Phrygien (Antigonidenreich)
Der Phrygisch-Makedonische Krieg (227-226 v. Chr.)
QuellenlageFür die Rekonstruktion des Kriegsverlaufes sind wir weitgehend auf die Aufzeichnungen des phrygischen Generals Kleandros Alcetid angewiesen, die uns leider nur fragmentarisch überliefert wurde. Obwohl man ihm naturgemäß eine prophrygische Voreingenommenheit unterstellen muss, wird der Wahrheitsgehalt seiner Schilderungen zu Recht von Historikern als sehr hoch eingeschätzt.
VorgeschichteUnglücklicherweise fehlt uns ein Großteil von Kleandros Einleitung und damit auch die von ihm gelieferte Erklärung für den Ausbruch des Krieges. Allerdings deutet alles darauf hin, dass hinter der phrygischen Kriegserklärung sowohl territoriale als auch ideologische Absichten steckten. Es ist bekannt, dass die beiden griechischen Königreiche Epirus und Makedonien sich in den Jahrzehnten davor sukzessiv die - nicht unmittelbar von Phrygien - kontrollierten Städte in Griechenland eroberten. Auf die phrygischen Könige, die sich mit einiger Berechtigung selbst als Nachfolger Alexanders wahrnahmen (vor allem nachdem die Ptolemäer sich von ihrem hellenischen Erbe distanziert hatten), musste das wie eine Herausforderung wirken. Seit Antigonos (dem Einäugigen) verstanden sich die Antigoniden als die Bewahrer der hellenischen Freiheit und wurden als solche auch lyrisch und künstlerisch überhöht. Die Makedonier und Epiroter wurden dagegen von den gebildeten Hellenen verachtet und hinter vorgehaltener Hand als
Barbaroi bezeichnet (Alexander dem Großen und seinem Vater ist es übrigens ähnlich ergangen). Insbesondere der makedonische König Cassander Antipatrid (es ist ein schöner historischer Zufall, dass sowohl die Könige von Phrygien, Makedonien und Epirus zu diesem Zeitpunkt die Namen der Begründer ihrer jeweiligen Dynastien trugen) wurde als der Inbegriff eines Tyrannen betrachtet. Ein in dieser Zeit entstandenes Drama (ebenfalls nur in Bruchstücken überliefert) des athenischen Dramatiker Schilleros illustriert diese Sicht besonders anschaulich, indem es den Makedoniern als verschlagenen Schurken auftreten lässt, der nach einer Niederlage gegen Athen wütend schwört:
„Gegen dies Volk [die Hellenen] – die Zungen sind noch frei,
Es ist noch nicht ganz wie es soll gebändigt –
Doch es soll anders werden, ich gelob' es,
Ich will ihn brechen diesen starren Sinn,
Den kecken Geist der Freiheit will ich beugen.
Ein neu Gesetz will ich in diesen Landen
Verkünden“ [leider bricht die Überlieferung hier ab]
Der phrygische König konnte demnach hoffen, dass sich ein Waffengang gegen das Bündnis Makedonien-Epirus vorteilhaft auf die Macht und das Prestige seines Reiches auswirken dürfte. Berücksichtigt man überdies noch die weitläufigen Expansionsbestrebungen Makedoniens am Schwarzen Meer, sowie die dreiste Eroberung von Rhodos durch Epirus, ist es eigentlich ein Wunder, das es nicht früher zu einem Krieg gekommen ist. Manche Historiker glauben, dass Antigonos Antigonid nach seiner Thronbesteigung - er selbst war der jüngere Bruder des vorherigen Königs und erst nach dem plötzlichen Tod des designierten Thronfolgers, eines jungen Prinzens, überraschend in der Erbfolge aufgerückt- zunächst sein heterogenes Reich stabilisieren musste. Von Relevanz war zweifelsohne auch die Haltung Ägyptens, das eine konstante Bedrohung Phrygiens darstellte. Wir wissen von Kleandros, dass sich der phrygische König im Vorfeld wiederholt und lange mit dem ägyptischen Botschafter unterhielt, über den genauen Inhalt ihrer Unterhaltungen schweigt unser Gewährsmann jedoch (falls er denn überhaupt anwesend war). Für eine immer wieder geäußerte Vermutung in Forscherkreisen, Phrygien könnte Ägypten die Eroberung Kretas (das von Epirus kontrolliert wurde) in Aussicht gestellt haben, finden sich jedenfalls keine Belege. Fest steht nur, dass Ägypten sich aus dem Krieg weitgehend heraushalten sollte (abgesehen von einer großzügigen finanziellen Unterstützung der Makedoniern und Epiroten).
Verlauf227 v. Chr. begann die phrygische Invasion von Makedonien. Mehrere Armeen marschierten vom phrygischen Brückenkopf am Bosporus in die makedonische Provinz Europa. König Antigonos kommandierte die größte Armee persönlich, weitere nennenswerte Befehlshaber waren der phrygische Kronprinz Corrhabus und der bereits erwähnte Kleandros. Die bedeutende Stadt Lysimacheia fiel nach kurzer Belagerung, und die phrygischen Armeen bereiteten sich auf ein Vorrücken in das Landesinnere vor. Da jedoch meldeten die phrygischen Kundschafter die Sichtung starker makedonischer und epirotischer Truppenverbände.
Die Reaktion der Allianz auf die Invasion erscheint aus heutiger Sicht merkwürdig zögerlich. Kleandros behauptet, dass abgefangene Briefe zwischen Pyrrhus und Kassander einen eigentümlich defätistischen Tonfall gehabt hätten, unser Zeitzeuge interpretiert dies als einen Beleg für den Respekt, den die phrygische Armee ihren Feinden abgenötigt hätte. In diesem Punkt wird man seine Glaubwürdigkeit jedoch anzweifeln müssen. Aus anderen Quellen wissen wir, dass Makedonien und Epirus in dieser Epoche bereits über beachtliche Reserven an Soldaten Gold verfügt haben müssen. Des Weiteren hatten ihre Waffenschmiede neuartige Verarbeitungsverfahren entwickelt, dank denen die makedonische und epirotische Ausrüstung der Bewaffnung der Phrygier überlegen gewesen sein muss. Die beiden Könige hätten demnach allen Grund gehabt, an eine erfolgreiche Verteidigung zu glauben, zumal die Invasion offenkundig auch die Staatsfinanzen und Rekrutenreserven von Phrygien schwer belastete. Möglicherweise hatten die Einfälle der Barbarenvölker aus dem Norden auch einfach die Aufmerksamkeit der Könige beansprucht, weshalb der phrygische Angriff sie dann auch völlig überrumpelte. Angesichts der Bedrohung, die diese Völker darstellten, wäre das durchaus nachvollziehbar.
Die Schlacht von SaleZögerlich oder nicht, Makedonien und Epirus warfen schließlich ihre geballten Kräfte den Angreifern entgegen. Antigonos wusste, dass ein Gegenangriff nur eine Frage der Zeit war. Deshalb gab er den Befehl an seine Generäle, sich in der Nähe der strategisch günstig gelegenen Stadt Sale einzufinden. Kleandros wurde jedoch mit einer kleineren Abteilung nach Norden geschickt, um mit einer Belagerung die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich zu ziehen und idealerweise feindliche Kräfte zu binden.
Leider fehlt uns damit ein Augenzeuge für die Schlacht, gleichwohl baute Kleandros eine kurze Darstellung dieses Ereignisses in sein Geschichtswerk ein. Wahrscheinlich berief er sich dabei auf Gespräche mit Teilnehmern der Schlacht, die er sicherlich geführt haben wird. Jedenfalls scheint König Antigonos persönlich die schwere Infanterie angeführt zu haben, und nicht, wie sonst für einen Mann seines Ranges üblich, die Reiterei. Diese stand unter dem Befehl von Corrhabus, dagegen ist unbekannt, in welcher Funktion die Könige von Epirus und Makedonien an der Schlacht teilnahmen. Die Schlacht selbst verlief weitgehend unspektakulär, beide Seiten drangen unaufhörlich aufeinander ein, darauf wartend, dass die andere Partei zurückwich. Die überlegene Bewaffnung der Makedonier und Epiroten verlangte bei den Phrygiern ihren Tribut, die jedoch auch auszuteilen wussten und kein Anzeichen von Schwäche zeigten. Als es Dunkel wurde, zogen sich die Makedonier und Epiroten mehr oder weniger geordnet zurück, während die Phrygier in Kontrolle des Schlachtfeldes blieben und sich deshalb als Sieger fühlen konnten.
Der Frieden von Lysimacheia und seine FolgenDie Schlacht von Sale war für sich genommen keineswegs dazu geeignet, den Krieg zu entscheiden. Die Phrygier hatten zwar einen wichtigen Sieg errungen und damit die Anfangserfolge ihrer Invasion abgesichert, gleichwohl waren die makedonischen und epirotischen Armeen immer noch intakt und zu einem koordinierten Widerstand fähig. Tatsächlich gelang es dann einer makedonischen Armee auch kurz darauf, eine von Kleandros belagerte Festung zu entsetzen und den Belagerern empfindliche Verluste zuzufügen. Darüber hinaus belastete die Invasion sehr schwer auf den phrygischen Staatsfinanzen, wohingegen die großzügigen ägyptischen Subventionszahlungen (so zumindest Kleandros) den Verteidigern einen langfristigen Zermürbungskrieg ermöglicht hätten, zumal das makedonische Kernland immer noch durch diverse Festungen abgesichert wurde.
In dieser heiklen Situation kam Antigonos die Fortuna zu Hilfe. Nur wenige Tage nach der Schlacht von Sale meldeten Botschaften aus dem Norden, dass die Barbarenvölker des Balkans im Norden Epirus eingefallen waren. Mit dieser zusätzlichen Bedrohung konfrontiert, baten die Könige von Epirus und Makedonien um Frieden, ein Wunsch, dem Antigonos nur zu gerne entsprach. Die Friedensverhandlungen im phrygisch besetzten Lysimacheia dauerten dann auch nicht lange, was vor allem der versöhnlichen Haltung des phrygischen Königs zuzuschreiben ist. Als Kriegsbeute verlangte er lediglich die (ohnehin vor Kriegsausbruch zwischen Phrygien und Makedonien geteilte) Provinz Europa, Epirus musste die Insel Rhodos samt Umland abtreten. Die Unterhändler dürfte diese Bedingungen auch deswegen so bereitwillig akzeptiert haben, weil sie im Grunde ihres Herzens gewusst haben müssen, dass ihre Reiche keinen wirklichen Anspruch auf diese Gebiete hatten. Von der Nachwelt ist Antigonos Großzügigkeit immer wieder als naiv gescholten worden. Freilich wird man berücksichtigen müssen, dass der Vertrag von Lysimacheia auch der panhellenischen Überzeugung des phrygischen Königs entsprungen sein muss. Für den Bewahrer von Alexanders Traum dürfte es undenkbar gewesen sein, aus dem Angriff der
Barbaroi auf andere Hellenen übermäßig Kapital schlagen zu wollen. Auch deshalb erscheint Kleandros Fazit heute noch seine Berechtigung zu haben:
„Selten ist ein Krieg so ehrenhaft geführt und so edelmütig beendet worden.“