Beitragvon Fridericus Secundus » 20. Dezember 2022 10:33
Nach rund 15 Stunden Spielzeit kann ich nun, denke ich, auch eine profundere Meinung zum Spiel abgeben. Und das ist nicht positiv gemeint: Wenn man ein Spiel nach 15 Stunden bereits weitgehend kennt, dann läuft was schief. Nicht, dass ich bereits alle Details aktiv ausgetestet hätte oder die Kampagne xmal durchgespielt - es ist einfach so, dass KoH2 vor allem eins ist: flach. Überall. Man kennt die Spielmechanik nach 15 Stunden und spult den immergleichen Stuss ab, einfach weil es nichts anderes zu tun gibt. Aber der Reihe nach:
1) Diplomatie: einer von zwei Hauptschwachpunkten. Von einem Spiel, dass in die Grand Strategy Ecke auch nur schielt, erwarte ich diplomatische Optionen, die den Namen auch verdienen. Bei KoH kann ich Handelsabkommen schließen, die erstmal wenig bis nichts bringen (die KI macht eh, was sie will, daher bringen auch die verbesserten Beziehungen nicht viel). Ich kann andere Fraktionen bitten, in einen Krieg einzutreten (gegen andere Reiche oder Rebellen, was auf zwei Optionen aufgepumpt wurde, aber faktisch dasselbe ist). Nur tut das nie jemand, wenn ich das bräuchte, dafür permanent, wenn man es nicht braucht. Und: da man allen Ernstes für eingehende Angebote nicht mal Gegenangebote unterbreiten kann, während die KI das kann, hat man ständig die Wahl zwischen "friss oder stirb". Und die Möglichkeit, mit einem Diplomaten Angriffs- oder Verteidigungspakte zu bilden, ist teuer, ansonsten aber witzlos, da man wie gesagt keine wirklichen Optionen hat, die KI zum Beitritt zu bewegen. Insgesamt war die Diplo spgar bei Rome: TW facettenreicher.
2) Kampf: seit dem letzten Patch bringt die KI ihren General zumindest nicht mehr aktiv um, wow. Da man aber sofort gewonnen hat, wenn man den gegnerischen General tötet, sind meistens ein bis zwei Billigspeerträger und Bauern als Kanonenfutter alles, was man braucht. Oh, oder die lasergelenkten Schnellfeuer-Megatöt-Onager, die alles wegnuken, was blöd genug ist, in Reichweite zu kommen. Da die KI außer dem General kaum Kavallerie hat (bzw. ewig braucht, bis mal ein paar Einheiten rumlaufen), räumt man im Early- und Midgame mit diesen Kombinationen alles weg. Taktische Möglichkeiten hat man auf dem Papier zwar ein paar (Formationen, Geländebonus etc.), aber die sind faktisch Makulatur, da die KI einfach immer wie bescheuert auf den Spieler zurennt. Man hat meistens einfach keinen Anlass, groß auf Taktik zu setzen. Auf die Grafik gehe ich hier erst gar nicht ein, die ist immernoch auf dem Level von 2004 (seltsame Modelle und Texturen, keine drehbare Kamera, kein wirklich nahes Hereinzoomen usw.)
3) Wirtschaft und Bau: das Prinzip mit den Waren (und deren gezielten Import durch Kaufleute) ist grundsätzlich interessant, aber irgendwie auch zu flach. Die meisten wichtigen Ressourcen (die z.B. für Einheiten oder Gebäude benötigt werden) bekommt man zu leicht, da der Zufallsgenerator die Ressourcenverteilung in jeder Runde neu auswürfelt. Damit ist die Chance, dass die wichtigsten Waren irgendwo in der Nachbarschaft verfügbar sind, relativ groß. Ich hatte z.B. Wein in Mittelengland... Für andere Waren wie Bernstein habe ich noch keinerlei brauchbaren Nutzen entdecken können, außer für den Warensieg, der aber sowieso unrealistisch ist. Allgemein ist es nämlich meistens lohnenswerter, Reiche mit benötigten Ressourcen gleich gezielt zu erobern, als den Umweg über den Handel zu gehen - zumal es gefühlt zufallsabhängig ist, ob die KI einem Handelsabkommen zustimmt oder nicht. Das Prinzip, dass man nur 4 (plus vier freischaltbare) Bauplätze hat ist auch im Grunde nett, da man so v.a. als kleines Reich genauer planen muss, wo man was baut. Aber auch hier führt der Zufalls-Ressourcengenerator teils zu komischen Situationen, v.a. für Reiche mit nur einer oder zwei Provinzen: so kann es vorkommen, dass man in seiner einzigen Provinz nur eine einzige Ressource zugelost bekommt und damit wirtschaftlich auf dem Trockenen sitzt, oder aber 5 verschiedene, die man aufgrund des Slotlimits aber gar nicht erschließen kann. Letzteres ist auch bei größeren Reichen ein Problem, wenn auch kein gravierendes.
4) Dynastie/RPG Komponente: kaum vorhanden. Man kann den Ritter und damit dem König zwar Fähigkeiten zuweisen und diese weiterentwickeln, das fühlt sich aber ziemlich random an, da die Auswahl eines Skills bestimmte andere sperrt und dann andere zur Auswahl stellt. Töchter kann man verheiraten, ansonsten hat die königliche Familie keine wirkliche Funktion (außer die Söhne, die man zu Rittern machen kann. Aber wenn man alle Ritterslots besetzt hat und Söhne übrig hat, haben die einen Nutzwert von 0)
Das waren so die wichtigsten Punkte, die mir aufgefallen sind. Insgesamt hat mir KoH2 durchaus Spaß gemacht - ca. 10 Stunden lang. Dann habe ich mich immer öfter bei der Feststellung ertappt "das ist tatsächlich alles". KoH2 will zwar das Beste aus Total War und Paradox-Spielen verbinden und dabei nicht zu komplex werden - es scheitert aber genau daran. Man hat den Eindruck, dass einfach die zentralen Features beider Serien zusammengekippt wurden, dabei aber aus übertriebener Angst vor zu übermäßiger Komplexität alles nur mit halbem Hintern gemacht wurde. Das Ergebnis ist ein Spiel, das fast überall Tiefe vermissen lässt und das daher, zumindest für mich, kaum Wiederspielwert hat. Und das bei einem reg. Preis von 45€.
Ich bin Historiker. Da geht man immer mit ganz niedrigen Erwartungen an die Menschen ran.
-- Don Alphonso