[CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

AAR u.a. zu Spielen der Total War Reihe

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 30. Dezember 2016 10:12

Mantes, September 1083

Caedmon, der altgediente Dolmetscher, hatte an König Williams Seite in vielen Schlachten gekämpft und viele Städte und Dörfer fallen sehen. Er wusste, was eine Armee anrichten konnte, wenn sie erst aufgestachelt und enthemmt und dann losgelassen wurde. Aber was er an diesem Septemberabend im Vexin erlebte, stellte alles in den Schatten.

Brennend und mordend zogen Williams Truppen die Seine hinauf, zündeten das Korn auf den Feldern an und verwüsteten jedes Dorf, durch das sie kamen. Eine Vorhut von knapp fünfhundert handverlesenen Rittern zog schließlich vor die Tore von Mantes und forderte die französische Garnison zum Kampf. Deren Befehlshaber zog es angesichts der feindlichen Übermacht vor, die Stadt preiszugeben und für seine Garnison freien Abzug zu verhandeln. Das war jedoch eine Finte. Kaum hatten sie die sicheren Mauern der Stadt verlassen, da fielen Williams Horden über sie her, metzelten sie nieder und stürmten die Stadt.

Williams Befehl, Kirchen und Klöster zu schonen, verhalte ungehört. Sie wurden genauso geplündert und in Brand gesteckt wie die Häuser der unglücklichen Bewohner der Stadt. Menschen verbrannten oder wurden in Stücke gehackt, Mädchen und Frauen jeden Alters vergewaltigt. Schreie, Waffenklirren und das Tosen des Feuers stiegen zum Himmel auf. In der Stadt waberte der Gestank von brennendem Holz, Nässe und Fäulnis.

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Als es Nachmittag wurde, war die Stadt dem Erdboden gleich. Schwer beladen mit Fässern und Säcken voller Beute strömten die Soldaten zum Tor hinaus, manche hatten gar einen Karren organisiert. Caedmon saß an Williams Seite auf dem Rücken seines Pferdes und beobachtete diesen grausigen Exodus. Ein Karren, hoch beladen mit Tierhäuten, Fellen und zwei leblosen Frauengestalten, der von zwei weinenden, halbwüchsigen Jungen gezogen wurde, fuhr kaum zehn Schritte vor ihnen vorbei. Ein halbes Dutzend englischer Söldner trieb die Knaben mit Tritten, Schlägen und unter lautem Gejohle an. Der König, der seit geraumer Zeit mit dieser vollkommen ausdruckslosen Miene, die so unheimlich war, durch das weit geöffnete Stadttor gestarrt hatte, wandte plötzlich den Kopf und sah Caedmon an. „Sind das Eure Männer?“

„Nein“. Aber seine Housecarls waren genau wie jeder andere Soldat in der Stadt eingefallen, und Caedmon dachte, dass er lieber nicht wissen wolle, was sie getrieben hatten. Auch ansonsten anständige Männer konnten in einer gefallenen Stadt in einen gefährlichen Rausch geraten. Der König sprach nun lauter, die anderen Berittenen um ihn herum sollten seinen Befehl hören. „Die Kommandanten sollen bekanntgeben, dass bis morgen früh jeder Gelegenheit hat, Reliquien, Kelche und anderes Kircheneigentum zurückzugeben. Nach dem Morgenappell wird die Beute untersucht, und wer dann noch im Besitz solcher Gegenstände ist, wird geblendet und verliert seine Hand.“ Die Männer um den König nickten. „Und jetzt seid so gut und begleitet mich in die Stadt. Ich denke, die Lage ist ruhiger geworden.“

Mit einigen Männern der Leibwache ritt der König durch das Stadttor und zwischen den schwelenden, verkohlten Gerippen der Häuser hindurch die einstmals belebten Straßen von Mantes entlang. In der Nähe des Tores lagen die Leichen der französischen Soldaten, die zurück in die Stadt geflüchtet waren, als Williams Heer sie überfallen hatte. Auch im Stadtinneren lagen Tote im Staub, zertrampeltes Federvieh und verendete, halb verbrannte Schweine und Ziegen. Caedmon sah kein einziges Haus, das nicht verbrannt war. Die Zerstörung war vollkommen. Selbst die steinernen Kirchen waren rußgeschwärzte Ruinen, ihre hölzernen Dächer verbrannt und eingestürzt. Vor einem dieser geschändeten Gotteshäuser hielt der König an und sah an der einstmals prächtigen Westfassade hoch.

„Notre-Dame“, murmelte er. „Mein Vater hat sie bauen lassen, als er das Vexin bekam. Obwohl er sonst kein großer Kirchenstifter war. Nicht so wie ich.“ Die Kirche stand am Rande eines großen Marktplatzes, der vollkomen ausgestorben dalag, bis ein lahmer Straßenköter mit angesengtem Fell aus einer Gasse gekrochen kam, sich geduckt vorwagte und die blutige Leiche eines alten Mannes beschnupperte. Caedmon wurde bei dem Anblick übel. Ein heißer Windhauch erhob sich inmitten einiger noch lodernder Feuer und wirbelte den Staub zu einer flachen Windhose auf dem Marktplatz auf. Caedmon starrte darauf, um den Anblick des Hundes zu vergessen, als er plötzlich an seiner Seite ein schrilles Wiehern vernahm. Sein Kopf fuhr herum.

Die Bö hatte das schwelende Feuer im Inneren der Kirche wieder angefacht, und mit einenmal schlugen Flammen aus der leeren Türöffnung. Der große Rappe des Königs stieg hoch, zwei Pferde der Wachsoldaten brachen aus und galoppierten ein Stück, ehe die Männer sie wieder zum Stehen brachten und wieder wendeten. Das Pferd des Königs bockte, ging hinten hoch und sein übergewichtiger Reiter wurde nach vorn geschleudert. Dann war der Spuk vorbei und die Pferde beruhigten sich wieder. „Alles in Ordnung, Sire?“, fragte Caedmon.

Der König saß reglos und eigentümlich zusammengesunken. Langsam hob er den Kopf und sah Caedmon an, seine Augen waren geweitet. Dann zuckte er, und ohne Vorwarnung sackte der schwere Körper zur Seite, rutschte vom Rücken des Pferdes und schlug hart auf den Boden. Erschrocken sprangen die Wachen aus dem Sattel und knieten beim König. William lag zusammengekrümmt auf der Seite und stöhnte. „Es ist nichts“, keuchte er. „Ich bin auf den Sattelknauf gefallen.“ Er lachte gepresst. „Warum muss das verfluchte Ding auch vergoldet sein? Helft mir auf, es geht gleich wieder.“ Aufhelfen? Caedmon sah fragend die Wachen an. Dazu bräuchte man einen Ochsen und eine Winde... Von jeder Seite stützten die Männer den König und brachten ihn in sitzende Haltung. Doch da gab William einen erstickten Laut von sich und verlor das Bewusstsein. „Schnell! Schafft den König in sein Zelt!“

William wurde zurück nach Rouen gebracht, um sich erholen zu können. Doch nahmen Krankheit und die Schmerzen in seinen Eingeweiden täglich zu und er empfand den Lärm der Stadt als unerträglich. Er befahl daher nach einigen Tagen, ihn in die auf einem Hügel im westlichen Vorort der Stadt gelegene Priorei zu bringen. Ärzte behandelten ihn, doch lag er offensichtlich im Sterben.

Um das Bett des Königs hatte sich in der Priorei eine große Gesellschaft versammelt, darunter sein Sohn William Rufus. Der König starb langsam und unter großen Qualen. Trotz der Schmerzen war er wachen Geistes und blieb bis zuletzt der Sprache mächtig. So konnte er den versammelten Fürsten Anweisungen erteilen. William beichtete und erhielt die Absolution. Dann befahl er eine großzügige Verteilung von Almosen und ließ die anwesenden Geistlichen genau aufzeichnen, wem seine Geschenke zukommen sollten. Insbesondere vermachte er der Geistlichkeit von Mantes eine besondere Spende, um das, was er eingeäschert hatte, wieder aufzubauen. Dann ermahnte er alle Anwesenden, nach seinem Tode für die Erhaltung des Rechts und die Bewahrung des Glaubens Sorge zu tragen. Und schließlich befahl er, all jene, die er gefangen hielt, freizulassen, mit der einzigen Ausnahme des Bischofs von Bayeux. Doch stieß er hierbei auf den Widerstand der Anwesenden, von denen vor allem Graf Robert von Mortain um die Freilassung seines Bruders bat. Die Erörterung dauerte lange, bis der König schließlich vollkommen erschöpft nachgab, nicht ohne jedoch auf die vermutlich daraus entstehenden schlimmen Folgen hinzuweisen. So wurde Odo freigelassen und sollte bald darauf bei der Bestattung des Eroberers zugegen sein.

Die Übertragung des Reiches war eine höchst bedeutsame Angelegenheit. Dem König war sehr wohl bewusst, dass er seine Königswürde nicht ererbt, sondern durch Kriegsglück und auf Kosten zahlreicher Leben erworben hatte. Daher wagte er nicht, das so gewonnene Königreich einem anderen zu hinterlassen als Gott. Doch hoffte er, dass Gott es seinem Sohn William verleihen möge, dem er sein Zepter, sein Schwert und seine Krone überreichte. Da er sich jedoch bewusst war, dass seinem Tode unvermeidliche Unruhen folgen würden, sandte er an seinen Vertrauten Lanfranc in England einen versiegelten Brief, der die Bestätigung seiner Beschlüsse enthielt, und hieß William Rufus unverzüglich damit abzureisen. Der junge Mann verließ sofort das Sterbebett seines Vaters, ritt eiligst von dannen, um England möglichst vor dem Tod des Königs zu erreichen.

Nachdem William seine Anordnungen getroffen hatte, empfing er die Letzte Ölung und das Abendmahl aus der Hand des Erzbischofs von Rouen. Die Nacht des 1. Dezember 1083 verbrachte der König ruhig und erwachte bei Morgengrauen vom Klang der großen Glocke der Kathedrale von Rouen. Auf seine Frage, was dies bedeute, antworteten seine Gefolgsleute: „Herr, die Glocke läutet zur ersten Gebetsstunde in der Marienkirche.“ Da hob der König seine Augen, streckte seine Hände empor und sagte: „Ich empfehle meinen Geist Maria, der Heiligen Muttergottes, meiner himmlischen Gebieterin, auf dass ich durch ihre Fürbitte mit ihrem Sohn, unserem Herrn Jesus Christus, versöhnt werden möge.“ Nach diesen Worten starb er.

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Seinem Hinscheiden folgte sofort große Verwirrung, und einige der Anwesenden gebärdeten sich so, als hätten sie den Verstand verloren. Die Reichen bestiegen ihre Pferde und eilten davon, um ihre Güter zu schützen. Als aber die geringeren Hofbediensteten sahen, dass ihre Herren verschwunden waren, bemächtigten sie sich der Waffen, des Tafelgeschirrs und des königlichen Hausrats und verschwanden damit, nachdem sie den Leichnam des Königs fast nackt auf dem Boden der Zelle zurückgelassen hatten.

Es wurde beschlossen, ihn in dem von ihm gegründeten Kloster Saint-Stephan in Caen zu begraben, doch ergaben sich anfänglich anscheinend Schwierigkeiten bei der Überführung der Leiche. Schließlich wurde sie zu Schiff die Seine abwärts gebracht und dann auf dem Landwege bis zum Stadtrand von Caen transportiert, wo sich eine Gesellschaft von Leidtragenden zu dem Zug gesellte. Doch wurde die prächtige Prozession durch ein zufällig in der Stadt ausgebrochenes Feuer gestört. Auch die Erhabenheit der Begräbnisfeier in der Kirche wurde unterbrochen. Ein gewisser Ascelin, der in Caen ein angesehener Bürger war, protestierte dagegen, dass man ihn des Grundes beraubt hatte, auf dem der König begraben werden sollte und forderte eine Entschädigung, die er dann auch erhielt. Und dann ereignete sich noch ein makabrer Vorfall: Als die Diener den starren Körper in den Steinsarg zwängen wollten, verletzten sie den dicken Leichnam, woraufhin sich ein so unerträglicher Gestank in der Kirche ausbreitete, dass sich die Priester gezwungen sahen, die Messe so schnell wie möglich zu Ende zu bringen. So endete das Leben von William dem Eroberer, und dies war das Ende all dessen, was außer seinem Ruhm sterblich an ihm war.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 31. Dezember 2016 14:14

… und wie ging es weiter?

Williams Sohn, Rufus, gelang es wie geplant nach London zu gelangen, bevor die Engländer womöglich einem anderen die Krone antragen konnten. Als William II. bestieg er in Westminster den Thron und herrschte dreizehn Jahre als König von England. Wie in meiner Partie war William Rufus zunächst nicht als Thronerbe vorgesehen gewesen, im Gegenteil. Es zeichnete sich schon während seiner Jugend ab, dass er zwar ein hervorragender Feudalherr werden würde, aber nicht fähig war, König zu werden. Nach dem unerwarteten Tod von Richard, dem zweitältesten Sohn von Wilhelm I., wurde Wilhelm Rufus zum Thronfolger ernannt und folgte jenem 1087 (das historische Jahr, in der Partie stirbt der König bereits 1083) auf den englischen Thron. Wie in meiner Partie starb der jüngere Bruder Richard bei einem ominösen (Jagd-) Unfall, und zwar 1081.

Im Spiel ist William Rufus der Erbe auf dem englischen Thron, und das ist historisch sogar korrekt. Nicht korrekt ist hingegen, dass er zu diesem Zeitpunkt der einzig verbliebene Sohn des Eroberers war. Der erstgeborene Sohn Robert stirbt nur in meiner Partie, in Wirklichkeit erhielt er 1087 wie vorgesehen das Herzogtum Normandie. Für den französischen König war das übrigens ein später Sieg, waren England und die Normandie dadurch doch wieder unter getrennter Regierung (wenn auch nur vorläufig). Und neben Robert gab es noch den letztgeborenen Sohn Henry (*1068), der in meiner Partie gar nicht zur Welt gekommen ist. Dieser Henry erhielt nach dem Willen seines Vaters die Summe von 5.000 Silber als Erbe bzw. als Abfindung.

Was wurde nach 1087 aus den drei Brüdern?

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1. Robert (im Bild links unten)

Robert wurde endlich Herzog der Normandie. Diejenigen Adligen, die Ländereien auf jeder Seite des Ärmelkanals hatten, versuchten hauptsächlich bei Robert Einfluss zu gewinnen, weil sie ihn für denjenigen hielten, den sie leichter beeinflussen konnten. Als ihr Vater starb, hatten die beiden Brüder Robert und Rufus vereinbart, dass sie sich gegenseitig zu Erben einsetzen würden. Dieses friedliche Nebeneinander der Brüder endete aber schon im Folgejahr, als einige englische Barone zusammen mit Robert in der Rebellion von 1088 versuchten, William Rufus abzusetzen. Die Rebellion scheiterte, nicht zuletzt deswegen, weil Robert nie in England erschien, um die dortigen Barone zu unterstützen.

1096 beteiligte sich Robert am Ersten Kreuzzug ins Heilige Land. Es wird berichtet, dass er zum Zeitpunkt seiner Abreise derart arm gewesen sein soll, dass er teilweise tagsüber im Bett blieb, weil er nichts anzuziehen hatte. Um Geld für den Kreuzzug zu bekommen, verpfändete er seine Grafschaft an seinen königlichen Bruder für die Summe von 10.000 Mark. Robert und William vereinbarten erneut, dass sie gegenseitig Erben von England und der Normandie sein sollten.

Nach seiner Rückkehr ging der Streit zwischen Robert und seinen Brüdern weiter. Schließlich marschierte Henry 1105 in die Normandie ein, besiegte im Jahr darauf Robert und ließ ihn einkerkern. Robert starb 1134 in Gefangenschaft.

2. William II. Rufus (im Bild links unten), König von 1087-1100

Die Entscheidung, die Besitztümer William des Eroberers beidseitig des Ärmelkanals aufzuteilen, führte für diejenigen Adligen, die Ländereien auf beiden Seiten des Kanals hatten, zu einem Dilemma. Da William Rufus und sein Bruder Robert Rivalen waren, mussten sich die Adligen entscheiden, welchem Lehnsherrn sie dienen sollten. Sie würden auf jeden Fall die Gunst des anderen Herrschers verlieren. Die einzige Möglichkeit, die sie sahen, war, die beiden Reiche, Normandie und England, zu vereinigen. Dies führte zur Rebellion von 1088, in der die Adligen sich Robert Curthose anschlossen. Anführer dieser Rebellion war der Bischof Odo von Bayeux, der aus der Story bekannte Halbbruder von William dem Eroberer.

Also schloss sich Odo nach seiner Freilassung tatsächlich dem (erfolglosen) Aufstand gegen William II. an - der Eroberer hatte ja auf dem Totenbett vor seiner Freilassung gewarnt. Anschließend zog Odo sich aus der großen Politik zurück und widmete sich der Erneuerung seiner ihm anvertrauten Kirchen. Nach der Synode von Clermont 1095, an der er höchstwahrscheinlich teilnahm, schloss er sich dem Ersten Kreuzzug an. Auf der Reise dorthin starb Odo 1097 in Palermo, wo er auch begraben ist.

William II. konnte Roberts Aufstand niederschlagen. Er regierte zu dieser Zeit eines der mächtigsten Königreiche Europas und hatte innenpolitisch wenig Probleme mit dem Adel. Außenpolitisch war er recht erfolgreich mit seinen Kriegen gegen Schottland. Der vielleicht bekannteste Aspekt im Leben von William II. Rufus ist sein Tod im Jahre 1100, als er gerade auf der Jagd im New Forest war. Er wurde durch einen Pfeil in die Lunge getroffen, aber die näheren Umstände blieben unklar. In CK2 gibt es schließlich auch den unbekannten Bogenschützen, der ein Attentat durchführen kann...

3. Henry I. (im Bild rechts unten), König von 1100-1135

Der Nachfolger von König William II. wurde 1100 der jüngste der Brüder, also Heinrich, bekannt unter seinem Namen Henry I. Beauclerk. Mit Schottland schloss er Frieden und heiratete eine Tochter des schottischen Königs. Wie erwähnt besiegte er 1106 seinen älteren Bruder Robert und wiedervereinte die Herrschaft über die Normandie und die über England in seiner Hand. In den Jahren darauf beschäftigte er sich bevorzugt mit der Gesetzgebung sowie dem Kampf gegen Wales. Kritisch wurde es wegen seiner Nachfolge, denn seine beiden Söhne ertranken 1120 bei der Havarie des „white ship“ vor der Küste der Normandie. Deshalb bestimmte er seine Tochter Mathilde (im Bild rechts unten) zu seiner Nachfolgerin auf dem Thron. Die Dame war übrigens zugleich die Witwe des verstorbenen deutschen Kaisers Heinrich V. und aus diesem Grund wieder nach England zurückgekehrt.

Die weibliche Nachfolge sorgte später, als Henry 1135 an einer Lebensmittelvergiftung starb, natürlich für Stress. Es erhob nämlich Mathildes Cousin Stephan (im Bild mit dem gelben Pfeil markiert) Anspruch auf den englischen Thron. Stephan de Blois war der Sohn einer Tochter von William dem Eroberer. Was folgte, war ein Bürgerkrieg, der sich bis 1153 hinziehen sollte. Aber das wäre etwas für eine eigene Story.


Hier ist zum Abschluss des Kapitels wie üblich noch ein Link zu einer sehenswerten Doku zum Thema. Sie ist etwas umfangreicher (84 min.), wie von arte oder auch BBC gewohnt aber informativer als andere: Wilhelm der Eroberer

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 7. Januar 2017 14:27

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Das sechste Kapitel der Story. Ich springe noch einmal zurück ins Jahr 1066, in dem William die Invasion von England vorbereitete und durchführte. Zur gleichen Zeit also in Deutschland - Heinrich IV. ist einfach ein zu schillernder Charakter, um ihn zu überspringen.

Heinrich IV.
Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, lebte 1050-1106
Startdatum: 26. Dezember 1066


Wichtige Start-Charaktere:

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Heinrich IV. Salier (Kaiser)

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Agnes von Poitou (Heinrichs Mutter)

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Bertha de Savoie (Heinrichs Gattin)

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Rudolf von Rheinfelden (Herzog von Schwaben)

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Berthold von Zähringen (Herzog von Kärnten)

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Vratislaw II. Premyslid (Herzog von Böhmen)

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Otto von Northeim (Herzog von Baiern)

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Anno II. von Köln (Erzbischof von Köln)

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Adalbert von Bremen (Erzbischof von Bremen)

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 7. Januar 2017 15:09

1. Wehe dem Lande, dessen König ein Kind ist!

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Es ist das Weihnachtsfest des Jahres 1066, und für Heinrich IV. ist es ein besonderer Tag. Die großen Fürsten des Reiches sind nach Worms gekommen, um der Schwertleite des jungen Saliers beizuwohnen. Denn der König hatte das 16. Lebensjahr erreicht, und mit der Feier der Schwertleite endete die Zeit der Regentschaft für ihn, Heinrich IV. wurde regierungsfähig. Erzbischof Eberhard von Trier segnete ihn, und Herzog Gottfried der Bärtige, der mächtigste unter den Reichsfürsten, trug den königlichen Schild. Da kam es beinahe zu einem folgenschweren Eklat: Kaum wurde Heinrich IV. das Reichsschwert überreicht, erhob er es zornig und ging los auf den anwesenden Kölner Erzbischof Anno, um mit ihm abzurechnen. Nur mit Mühe konnte die Kaiserin Agnes ihren Sohn von der Bluttat abhalten. Stirnrunzelnd sahen sich die Fürsten an. Warf sein Verhalten nicht ein schlechtes Licht auf seinen Charakter, auf seine Befähigung zum Herrschen?

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Herzog Rudolf von Rheinfelden erinnerte sich an die Umstände, unter denen dreizehn Jahre zuvor der damalige Kaiser Heinrich III. seine Nachfolge regelte. Damals wollte der Salier die Fürsten in Trebur verpflichten, seinen dreijährigen Sohn als Thronfolger zu bestätigen. Er, der schwäbische Herzog, war es gewesen, der damals eine ungeheuerliche, weil bisher nicht dagewesene Bedingung an die Wahlabsprache knüpfte. Rudolf sagte seinerzeit zu Heinrich III.: „Mein Kaiser, wir werden Deinen Sohn Heinrich zu Deinen Nachfolger auf dem deutschen Thron wählen und ihm treu dienen, wenn er sich als gerechter Herrscher erweist“. Damals war Heinrich III. erbost über diese Einschränkung, doch sie war im Raume stehengeblieben.

Heinrich IV. wurde im April 1053 also zum Mitkönig gewählt und im Juli durch den damaligen Kölner Erzbischof Hermann geweiht und gekrönt. Die Eile des Kaisers war weder ungewöhnlich noch unangebracht gewesen, denn bereits im Oktober 1056 starb Heinrich III. im Alter von knapp 39 Jahren.

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Der Übergang auf den Kindkönig Heinrich IV. verlief zunächst reibungslos, nicht zuletzt wegen des Engagements von Papst Viktor II., der beim Kaiser zu Besuch weilte. Der Sterbende hatte seinen Sohn dessen Fürsorge anempfohlen. Viktor - vormals Bischof Gebhard von Eichstätt – geleitete den kleinen Herrscher daher nach Aachen und setzte ihn auf den Thron Karls des Großen. Möglicherweise wiederholte er Weihe und Krönung. Weihnachten 1056 feierte man noch gemeinsam in Regensburg, bevor der Papst nach Italien zurückkehrte. Dort starb er im Juli 1057. Bei der Regierung des Reichs konnte sich die Kaiserin Agnes also auf päpstliche Autorität nicht mehr stützen. Im Mittelalter war eine Regentschaft ohnehin eine große Herausforderung, da der unmündige Herrscher nach außen hin sämtliche Regierungshandlungen selbst vornahm und es für diesen Fall keine festgelegten Handlungen gab. Diejenigen, die faktisch handelten, blieben im Hintergrund. Als Ratgeber standen Agnes etwa die Erzbischöfe Anno von Köln, Siegfried von Mainz, Adalbert von Bremen und vor allem Bischof Heinrich von Augsburg zur Seite. „Ein erster gewichtiger Grund für die Wut des jungen Königs auf die Geistlichen“, dachte sich Rudolf.

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Agnes von Poitou

Mit einer Mischung aus Geringschätzung und Befriedigung hatte der Herzog auf die Regenschaft der Französin Agnes von Poitou, Heinrichs Mutter, geblickt. Sie war weder tatkräftig noch klug. Von labilem Charakter und allen Einflüsterungen ausgesetzt, machte sie eine schlechte Figur. Fromm bis zur Bigotterie, war sie jenen Geistlichen hörig, die ausgerechnet das Kaisertum in Frage stellten. Eigentlich hatte Agnes den Wunsch, sich in ein Kloster zurückzuziehen. Rudolf empfand ihre Personalpolitik der vergangenen Jahre als ein Fiasko, denn sie hatte keine Menschenkenntnis. Der wichtigste Posten in der deutschen kirchlichen Hierarchie, der Stuhl des Erzbischofs von Mainz, kam an einen Schwächling, den Mönch Siegfried, der dann auch prompt versagte, als die Krone seine Hilfe brauchte.

Agnes hatte aber auch ihm, Rudolf von Rheinfelden, einst ein burgundischer Höfling, mit dem Herzogtum Schwaben zum Aufstieg innerhalb des deutschen Adels verholfen. Auch Otto von Northeim profitierte mit dem bedeutenden Lehen Baiern von der Kaiserin.

Anstatt die Königsmacht zu stärken oder zumindest nicht zu schmälern, verteilte sie großzügig die Herzogtümer. Im Jahr 1057, nach dem Tod des Babenbergers Otto III., belehnte die Kaiserin Rudolf von Rheinfelden mit dem Herzogtum Schwaben, obwohl dieser Mann im Verdacht stand, die Kaisertochter Mathilde im Bischofssitz von Konstanz, wo sie ihre Erziehung genoss, mit List oder Gewalt entführt zu haben. Damit nicht genug, übertrug sie diesem fragwürdigen Schwiegersohn die Verwaltung Burgunds. Die Belehnung Rudolfs von Rheinfelden mit Schwaben stieß auf den flammenden Protest des Grafen Berthold von Zähringen, der behauptete, Kaiser Heinrich III. habe ihm eine Eventualbelehnung für Schwaben erteilt.

Die Kaiserin, dem Weg des geringsten Widerstands folgend, belehnte Graf Berthold 1061 mit dem Herzogtum Kärnten. Als im Jahre 1060 die Kaisertochter und Gattin Rudolfs von Rheinfelden starb, wurde das Karrierestreben Rudolfs offenbar. Er heiratete in zweiter Ehe Adelheid von Turin, die Schwester Bertas, der Verlobten und späteren Gemahlin Heinrichs IV.: eine doppelte Ansippung an das salische Herrscherhaus, um in den Kreis derer zu gelangen, die zum Königtum befähigt waren.

Im Jahre 1061 gab Kaiserin Agnes ihre herzogliche Stellung in Baiern, das seit 1024 in salischer Hand gewesen war, auf und ernannte den sächsischen Grafen Otto von Northeim zum Herzog von Baiern. Außer dieser neuen Machtposition in Baiern hatte Otto von Northeim Grafschaften und umfangreichen Besitz in Sachsen. Er gehörte nunmehr zu den mächtigsten Männern im Reich, ebenfalls befähigt, von der Krone zu träumen.

Der reale Anlass zur Erhebung des Northeimers zum Baiernherzog waren die Zustände an der Ungarnfront. Im Jahre 1058 hatte man die Kaisertochter Judith mit dem ungarischen Thronfolger Salomon verheiratet, um den Frieden zu stabilisieren. Aber auch hier war das Glück gegen die Kaiserin. 1060 war der regierende Ungarnkönig Andreas von seinem Bruder Bela gestürzt worden. Der Kronprinz Salomon und seine deutsche Prinzessin flohen an den deutschen Hof. Ein glückloser Ungarnfeldzug vollendete das Desaster, und nun hatte man der Kaiserin suggeriert, die politische Lage in Ungarn benötige dringend einen starken Herzog in Baiern. Otto von Northeim sollte die Sicherung der Reichsgrenze zu Ungarn übernehmen.

Tatsache blieb, dass die drei süddeutschen Herzogtümer an drei Fürsten gegeben wurden, die sich nicht als Amtherzöge ihres Königs betrachteten, sondern als Dynasten, die den Umbau ihrer Lehen zu erblichen Herzogtümern anstrebten und nicht die Stärkung des salischen Königtums.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 14. Januar 2017 13:06

Am Tag der Schwertleite waren auch diese machtbewussten Fürsten zugegen. Rudolf von Rheinfelden blickte hinüber zum Bremer Erzbischof Adalbert.

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„Dieser perverse Säufer hatte einigen Einfluss auf den jungen König und sieht es sicher mit Genuss, dass dieser nun auf Anno losgeht“, raunte Rudolf seinem Kanzler zu. Die alte Weisheit, wonach schwache Herrscher Böseres zeugen können als harte Tyrannen, zeigte sich am Hof täglich. Der Kanzler nickte seinem Herzog zu: „Der König ist ein Knabe, die Mutter gibt bald diesem, bald jenem, der ihr Rat bot, willig nach. Und die anderen, die am Hofe mächtig sind, trachten nur nach dem Gelde.“ Wahrlich, die Fürsten hatten den kleinen König wie die Straßenräuber geplündert. Die Herzöge und Bischöfe, die Fürsten und die Markgrafen, vergriffen sich an den Einkünften aus den Klöstern, überschrieben sich Zoll-, Münz- und Marktrechte – auch er selbst, Herzog Rudolf.

Heinrich IV. war mit zunehmendem Alter bewusst geworden, dass er in einer Atmosphäre von Raffsucht und Neid, List und Gewalt, aufwuchs. Von der Mutter verwöhnt, doch nicht geliebt, von den Höflingen umschmeichelt, doch hintergangen. Das Produkt war ein frühreifer Knabe, mit wissenden Augen, doch ohne Gefühl für das Maß, die höchste Tugend des Mittelalters. Er stand als Kind zwischen vielen Erwachsenen, die es scheinbar gut mit ihm meinten, doch intrigant mit allen Wassern gewaschen waren. Wenn je ein Mensch in seiner Kindheit negativ geprägt wurde, so war es dieser Salier. Es war Heinrich IV. wohl kaum bewusst, dass es ihm in den prägenden Jahren an Nestwärme und Leitbildern gefehlt hatte.

Was waren das auch für Erwachsene, die sich beim Pfingstfest einige Jahre zuvor im Dom zu Goslar die Köpfe blutig schlugen, weil sie sich in maßloser Eitelkeit nicht über die ranggemäße Sitzordnung einigen konnten. Untergebene des Bischofs von Hildesheim und jene des Abtes von Fulda stritten in der Kirche um die Plätze ihrer Herren. In dem darüber ausbrechenden Gemetzel vor dem Altar ignorierten sie sogar den in Bedrängnis geratenen, ängstlichen König.

Den Höhepunkt der Machtlosigkeit erfuhr Heinrich IV. 1062 als Zwölfjähriger. Und dieser Vorfall war zugleich der Grund für Heinrichs ungebrochene Wut auf den Kölner Erzbischof an diesem Weihnachtstag des Jahres 1066. Damals war es auf der Rheininsel Kaiserswerth, zwischen Duisburg und Düsseldorf gelegen, wo Heinrich IV. mit seiner Mutter Agnes die Ostertage verlebte. Ein Schiff kam den Strom hinab und machte am kleinen Pier fest. Sein Eigner, der Erzbischof Anno von Köln, ging an Land und lud den jungen König ein, sich doch einmal das prächtige Schiff anzusehen. Kaum an Bord, wurde Heinrich umringt und abgedrängt, das Schiff legte ab.

„Mord“, schrie er, „Mörder!“, denn nichts anderes vermochte er, in der Schule des Misstrauens erzogen, zu glauben, als dass man ihm ans Leben wollte. Er riss sich los, sprang mit einem Satz in das noch eisig kalte Wasser, die Strömung packte ihn, und er wäre ertrunken, wenn ihn nicht der Graf Eckbert von Braunschweig, einer der Verschwörer, aus dem Wasser gezogen hätte. Der junge König durfte nicht umkommen, man hatte mit ihm große Pläne. Denn wer den Thronfolger besaß, besaß die Herrschaft.

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Durch den Handstreich brachte sich Anno gegenüber seinen politischen Widersachern in eine einflussreiche Position. Heinrich wurde nach Köln gebracht und der Erzbischof nahm auch die Reichsinsignien an sich. Sein Komplott hatte Unterstützer: Neben Graf Eckbert von Braunschweig den Herzog Otto von Baiern, Erzbischof Siegfried von Mainz und Herzog Gottfried der Bärtige. Anno übernahm mit diesem Schachzug die Führung der Reichsregierung.

Die Reaktion der Mutter auf die Entführung war eine Schande, sie nahm sie schlichtweg hin. Annos Tat war selbst in dieser Zeit geringer Skrupel ein Skandal und zwang ihn zu Rechtfertigungen. Er habe den König aus dem Zustand schlaffer, böse Gewohnheiten erzeugender Aufsicht herausgeholt. Zum Besten für den König selbst und das Reich. Die Kaiserin selbst habe ihn gebeten, sich des verwahrlosten Sohnes anzunehmen und ihn auf den rechten Weg zu führen. Seine Mutter hat er nach der Entführung nicht mehr gesehen, bis sie 1064, zweieinhalb Jahre später, am Hof in Trebur erschien. Von diesem Zeitpunkt an rückte sie allerdings schon zunehmend in das Lager der Gegner ihres Sohnes über, was das Gefühl der Verlassenheit bei Heinrich IV. noch gesteigert haben könnte.

Den jungen König ließ der Erzbischof wissen, dass ein zukünftiger Kaiser kaiserlicher Erziehung bedürfe. Was Anno verschwieg, war, dass er sich diesen Dienst mit einem Neuntel der Reichseinnahmen bezahlen ließ, seinen Bruder zum Erzbischof von Magdeburg machte, einem Neffen das Halberstädter Bistum zuschob, zwei guten Freunden Minden und Utrecht. Heinrich IV. aber wusste, was er von seinem neuen Vormund zu halten hatte. Das war der Grund für seinen Hass, dass er bei seiner Schwertleite die Hand gegen Anno erhoben hatte.

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Wer war Anno, der die Macht durch den Staatsstreich an sich gerissen hatte? Gemessen an seiner Stellung als Erzbischof von Köln und Reichsregent war er ein Mann kleiner Verhältnisse. Er entstammte dem schwäbischen Geschlecht der edelfreien Herren von Steußlingen. Dem Wunsch des Vater, Krieger zu werden, widersetzte er sich, Kleriker zu werden war sein Ziel. Er trat in die berühmte Schule der Bamberger Kirche ein und bald fand er sich in der Hofkapelle Heinrichs III. wieder. Nach wenigen Jahren am Hof bekam er am 4. April 1056 durch den Kaiser das Erzbistum Köln. Anno, den man der Habsucht zieh, verwandte alles, was er zuhause und bei Hof erraffen konnte, zum Schmuck seiner Kirche. Auch beförderte er Verwandte, Freunde und Kapläne, „damit sie wieder anderen, Schwächeren, helfen konnten.“

Neben Anno hatte Heinrich IV. noch einen Vormund bekommen, Adalbert von Bremen. Der war eine glanzvolle Person, die uneingeschränkt über den Norden des Reiches herrschte. Sein Arm reichte bis nach Skandinavien und er war so sehr von sich überzeugt, dass er mit dem Gedanken spielte, seine eigene Kirche mit ihm als Papst zu errichten. Adalbert dachte und agierte nicht nur königlich, er lebte auch verschwenderisch wie ein Fürst. Der Geldbeutel des jungen Heinrich war auch ihm eine willkommene Quelle. Für Adalbert sprangen dabei zudem die Reichsabteien Corvey und Lorsch heraus.

Behandelte Anno den zukünftigen Herrscher mit schulmeisterlicher Pedanterie, so erzog ihn Adalbert antiautoritär und betonte nachdrücklich, dass jeder junge Mensch töricht sei, der seinen Gelüsten nicht freien Lauf ließe. Heinrich hielt sich gern an diesen pädagogischen Grundsatz, ging mit einer Schar junger Leute, die man heute Playboys nennen würde, auf Schürzenjagd, trank Unmengen Wein, raufte, randalierte, hatte zwei-drei Konkubinen zugleich und bezahlte – so munkelte man – Dirnen mit den aus den Altarkreuzen herausgebrochenen Edelsteinen.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 19. Januar 2017 21:24

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Um ihn auf den Pfad der Tugend zu führen, beschloss man 1065, den Fünfzehnjährigen unter die Haube zu bringen. Nach einer Braut zu suchen erübrigte sich, die junge Dame lebte bereits seit Jahren am Hofe. Heinrich IV. war im zarten Alter von fünf Jahren mit der noch jüngeren Bertha de Savoie verlobt worden und zusammen mit ihr aufgewachsen. Bertha war eine Tochter aus dem befreundeten Hause des Grafen von Savoyen und der Markgräfin Adelheid von Turin und damit Garanten des deutschen Einflusses in Oberitalien. Heinrich und Bertha, das war die übliche Ehe aus Gründen der Staatsraison, bei der die gegenseitige Achtung die Liebe ersetzen musste. Das ging meist gut – hier nicht.

Wie auch immer – auch nach seiner Schwertleite nahm sich Heinrich IV. der praktischen Politik nicht an. Adalbert von Bremen leitete die Reichsgeschäfte und sorgte nebenbei weiter dafür, dass er reich belohnt wurde. Dies veranlasste den an den Rand gedrängten Anno von Köln, der sich damit nicht abfinden konnte und wollte, sich gemeinsam mit den Erzbischöfen Siegfried von Mainz und Gebhard von Salzburg, sowie den Herzögen Rudolf von Schwaben, Otto von Bayern und Berthold von Kärnten gegen Adalbert zu verschwören. Schon Anfang 1067 wurde dieser gestürzt und Anno nahm die Regierungsgeschäfte erneut in die Hand.

Vielleicht aus Enttäuschung über diese Wendung, begann der junge König, sein allzu lockeres Leben fortzusetzen und sich mit Personen niederen Standes, willfährige und seine Neigungen teilende Speichellecker, zu umgeben. Geleitet wurde Heinrich IV. von seiner Abneigung gegen die Fürsten, die ihn herumgestoßen hatten und sich nun gegen den von ihm geschätzten Adalbert gestellt hatten. Der König ließ seine Gefolgsleute in Baiern und Kärnten seine Augen und Ohren spielen, um Otto von Northeim (im Bild rechts) sowie Berthold von Zähringen mit kompromittierenden Erkenntnissen konfrontieren zu können.

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Nur kurze Zeit später wurde Herzog Otto von Northeim von einem gewissen Egino beschuldigt, dass dieser ihn zur Ermordung des Königs gedungen habe. Otto ließ sich auf ein Verfahren ein, stellte sich aber nicht zum Zweikampf in Goslar. Daraufhin sorgte der König dafür, dass er von einem sächsischen Gericht verurteilt wurde.

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Otto wurde das Herzogtum Baiern entzogen, das Heinrich IV. sofort an Welf IV. gab, der seine Ehe mit der Tochter Ottos auflöste und sich von seinem Schwiegervater lossagte. Otto von Northeim ging zur Gegenwehr über, wurde von Teilen des sächsischen Adels unterstützt und nahm sogar mit den feindlichen Liutizen Kontakt auf. Doch angesichts seiner Unterlegenheit unterwarf er sich dem König. Er blieb ein Jahr in Haft und wurde dann begnadigt.

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Mit dem neu eingesetzten Herzog Welf IV. betrat die Dynastie der Welfen die Bühne der deutschen Politik. Welf IV. war ein Sohn des italienischen Markgrafen Alberto Azzo II. d’Este und Kunigundes von Kärnten, der Schwester des Herzogs Welf III. von Kärnten. Damit war Welf IV., wenn auch in weiblicher Linie, der einzige Erbe der welfischen Besitzungen in Schwaben, Rätien und Baiern. Seine Großmutter Imiza, die Witwe Welfs II., ließ ihn nach Deutschland holen, um das Erbe anzutreten, das ihr kinderloser Sohn Welf III. bereits dem Kloster Altdorf vermacht hatte.
Wie erwähnt hatte Welf IV. zur Absicherung seiner Position in Baiern Ethelinde, die Tochter des Herzogs Otto von Northeim geheiratet Nun, da sein Schwiegervater vom König geächtet worden war, verstieß Welf seine Frau – zumal die Ehe auch kinderlos geblieben war. Weihnachten desselben Jahres wurde Welf von König Heinrich IV. mit der Nachfolge Ottos in Bayern betraut. Seine zweite Ehe schloss Welf IV. anschließend mit der verwitweten Judith von Flandern.

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Direkt zu Beginn seiner Herrschaft hatte sich für Heinrich IV. die günstige Gelegenheit ergeben, die Kaiserkrönung in Rom zu erlangen. Denn im Jahre 1066 waren die Normannen unter Richard von Capua in den Kirchenstaat eingefallen. So wie einst Papst Stephan den Frankenkönig Pippin gegen die Langobarden um Hilfe gerufen hatte, so erging jetzt der Ruf des Papstes an den jungen König. Der Weg für Heinrich IV. war frei – nicht als Eroberer, nein, als Erretter des Papstes sollte er erscheinen, um „die heiligen Rechte Sankt Peters“ zu verteidigen. Auch durfte Rom darauf vertrauen, dass die deutschen Fürsten an der Unabhängigkeit des Papstes interessiert waren. Denn nur ein unabhängiges Papsttum konnte die Aufgabe erfüllen, die die deutschen Fürsten ihm zugedacht hatte: ein Gegengewicht zum eigenen König zu sein.

Im Frühsommer 1067 sollte der Abmarsch des deutschen Heeres von Augsburg erfolgen. Die Rüstungen wurden mit Macht betrieben, und die Kaiserkrone war zum Greifen nah. Da zerstörte ein Zwischenfall, der kein Zufall sein konnte, die Hoffnungen des jungen Königs. Gottfried der Bärtige, in dessen Hand durch die Heirat mit Beatrix, der Witwe des Markgrafen Bonifacius von Tuszien, die Macht Lothringens und Mittelitaliens gebündelt war, wollte den jungen Salier nicht als Schiedsrichter und Retter des Papsttums sehen. Während der König auf sein Eintreffen in Augsburg wartete, marschierte Herzog Gottfried über Burgund nach Italien. Sein Argument zu diesem Tun: Es sei das Recht des Markgrafen von Tuszien, dem deutschen König beim Romzug voranzumarschieren. Sein Erscheinen genügte, die Normannen in die Schranken zu weisen. Gottfried und Richard schlossen einen für beide Seiten maßvollen Frieden. Königliche Kreise in Italien sahen in Gottfried einen Eidbrecher, der aus Hass gegen den jungen König diesem den Weg verschlossen habe, um selbst die kaiserliche Krone zu erlangen. Wahrscheinlich war es Gottfried darum gegangen, seinen Einfluss in Italien sichtbar zu machen und durchzusetzen. Damit war er offensichtlich erfolgreich, denn schon im Sommer darauf erneuerten die Normannen gegenüber dem Papst ihren Schwur. Die süditalienischen Verhältnisse waren durch das Eingreifen Gottfrieds des Bärtigen stabilisiert worden. Der Papst hatte keine Veranlassung mehr, Heinrich IV. mit seinem Heer zu seinem Schutz nach Rom zu bitten. Es sollte sich zeigen, dass der König danach sehr lange auf die Kaiserkrone warten musste.

Nicht nur, dass 1067 eine günstige Gelegenheit für einen starken Auftritt gegenüber dem Papst vereitelt worden war. Der König manövrierte sich in der Folge selbst in eine schwache Position. Im Jahr 1068 hatten sich Heinrich IV. und seine Gattin Bertha auseinandergelebt. Anfänglich hatte Bertha die Rolle einer Herrschergemahlin noch ausgefüllt, inzwischen war Heinrich ihr allerdings überdrüssig geworden. Er schockierte jene, die ihn verkuppelt hatten, mit der abenteuerlichen Forderung, geschieden zu werden. Das war so gut wie unmöglich. Es sei denn, ein Mann konnte seiner Frau einen Seitensprung nachweisen. Das aber konnte der junge König nicht. Zunächst zog er Erzbischof Siegfried von Mainz ins Vertrauen und bat ihn um Unterstützung.

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Auf einer Versammlung in Worms erklärte er dann ganz naiv, er passe mit seiner Gemahlin nicht zusammen und könne auch die Ehe mit ihr nicht vollziehen. Dass dies wirklich der Fall war, versicherte Heinrich IV. sogar unter Eid. Mit einer schon bemitleidenswerten Offenheit wandte sich der Salier an die versammelten Fürsten im Saal: „Lange genug habe ich ein falsches Spiel gespielt vor den Augen der Menschen“, sagte er, „doch jetzt und hier muss die Täuschung enden. Es ist mir, nur Gott weiß durch welches Verhängnis, unmöglich, mit der Königin ehelich zu verkehren. Und deshalb beschwöre ich Euch, uns beide von der verwünschten Fessel zu befreien, auf dass mir und ihr der Weg in eine andere, eine glücklichere Ehe bleibe. Und damit niemand glaube, die Königin sei für eine zweite Ehe untauglich, so versichere ich unter Eid, dass ich sie allzeit als reine, unverletzte Jungfrau gehalten habe“.

Lediglich unter dieser Voraussetzung hätte eine Ehe überhaupt getrennt werden können, denn damals hatte sich die kirchliche Vorstellung von der Unauflöslichkeit der Ehe schon weitgehend durchgesetzt. Geistliche und weltliche Fürsten waren ob so viel Ehrlichkeit tief bestürzt. Sie fanden es abscheulich und mit der königlichen Würde unvereinbar, wagten aber angesichts eines mit solcher Festigkeit vorgetragenen Entschlusses aber auch nicht, das Scheidungsbegehren abzulehnen. Herzog Rudolf von Schwaben tafelte des Abends mit dem Mainzer Erzbischof Siegfried, dem er zuraunte: „Die ungezogene Laune des jungen Menschen muss nun dem Heiligen Vater unterbreitet werden, auf dass wir die Verantwortung erst einmal los sind“.

Eine anberaumte Synode sollte nun den Fall entscheiden. In der Zwischenzeit nahm Erzbischof Siegfried Kontakt zu Papst Alexander II. auf. Dessen Legat, der ob seiner Frömmigkeit hochangesehene Petrus Damiani, wurde nach Deutschland entsandt. Petrus hatte in seinem Liber Gomorrhianus die Laster des Klerus erbarmungslos angeprangert und war deshalb auch in Sachen weltlicher Moral unverdächtig. Vor dem Thron des Königs nahm er Haltung ein, um ihn zu ermahnen: „Du, der berufene Rächer alles Unsittlichen, darfst Dich nicht zum Bannerträger des Verbrechens machen.“ Heinrich IV. hob die Brauen, als er den Legaten so sprechen hörte. „Tust Du es dennoch und stehst Du nicht ab von Deinem Begehren, so werde ich als päpstlicher Legat dem Frevel durch das Gesetz der Kirche vorbeugen. Nimmer werden des Papstes Hände den zum Kaiser weihen, der durch solch pestilenzialisches Verhalten den Christenglauben verrät und die Majestät des Königsnamens mit dem Schmutz einer so schmählichen Handlung befleckt.“

Starke Worte, die ihre Wirkung auf die versammelten Bischöfe nicht verfehlten. Der Legat machte dem König nicht weniger als das deutlich, dass er die Exkommunikation zu gegenwärtigen habe und nach einer Trennung nicht zum Kaiser geweiht werden könne. Auch die Fürsten bezogen nun einhellig gegen den Plan des Königs Stellung, der daraufhin nachgab: „Ist es denn Euer Wille, ihr Herren“, sagte Heinrich IV. mit leiser Stimme, „so will ich mir selbst Gewalt antun und mich auch fernerhin dem Joch beugen, das ich nicht abwerfen kann. Gott möge mir dabei helfen“.

Mancher Zeitgenosse machte Heinrichs Lebenswandel für seine Absichten verantwortlich, und dies ist wohl nicht nur Verleumdung. Aber wenigstens unterstellte er seiner Frau nicht wie andere Könige in vergleichbarer Situation ein Vergehen oder gar ein Liebesverhältnis, um sein Ziel – die Scheidung – zu erreichen. Aber seinem Ansehen als König hatte er unnötigerweise schweren Schaden zugefügt und ungewollt das des Papsttums gesteigert.

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Heinrichs Scheidungsbegehren fällt in die Zeit, als er sich bemühte, die Regierung des Reichs in den Griff zu bekommen. Zu Ostern 1068 hatte er in Goslar in der Tradition seines Vaters einen Landfrieden verkündet. Zudem traten damals die Männer ab, die bis dahin die Politik des Reiches bestimmt hatten. Im Oktober 1068 starb Ordulf (Otto) von Sachsen und ihm folgte sein Sohn Magnus nach, der sich allerdings als Gegenspieler Heinrichs erweisen sollte. Vor allem aber verließen Adalbert, Gottfried der Bärtige und Otto von Northeim die politische Bühne.

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Der schmählich abgesetzte Baiernherzog Otto besaß nach seinem Sturz zwar noch immer Anhänger in Sachsen, gegen den von Heinrich IV. zu seinem Nachfolger bestimmten Welf IV. konnte Otto von Northeim aber nicht mehr vorgehen: Otto starb am 2. Januar 1070. In Niederlothringen, diesem mächtigen Teil des Reiches, ging die Regierung zur gleichen Zeit vom Vater Gottfried III. (dem Bärtigen) auf Gottfried IV. (dem Buckligen) über.

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Gottfried III. war einst ein mächtiger Gegenspieler von Heinrich III., dem Vater des Königs gewesen. Denn 1054 hatte er Beatrix von Lothringen geheiratet, was ihm die Verfügung über die reichen Ländereien der Toskana und Romagna einbrachte. Heinrich III. war diese Macht ein Dorn im Auge, weshalb er Gottfried in Niederlothringen absetzen wollte. Unter Vermittlung des damaligen Papstes Viktor II. versöhnten sich die beiden schließlich miteinander. Der Herzog festigte seine Position in Italien noch weiter, indem er seinen Sohn Gottfried IV. mit seiner Stieftochter Mathilde - der Tochter seiner Gattin Beatrix aus ihrer ersten Ehe – vermählte. Durch diesen Schachzug war klar, dass Niederlothringen und Tuszien (die Toskana) weiterhin verbunden bleiben würden. Ein glückliches Paar blieben die Ehepartner jedoch nicht, sie lebten ab 1071 getrennt (wie auch im Bild zu sehen ist). Denn im aufkommenden Investiturstreit - mehr dazu später - stand Mathilde auf der Seite des Papstes und der Reformer, Gottfried IV. hingegen auf der des Königs Heinrich IV. und der Reichskirche.

Am 27. Februar 1076 wurde Gottfried IV. in Vlaardingen ermordet. Die Tat geschah im Auftrag des Grafen von Flandern, Robert dem Friesen, gegen den er im Begriff stand einen Kriegszug zu führen. Nach dem Bericht des Lambert von Hersfeld wurde Gottfried während der Verrichtung seiner Notdurft auf dem Aborterker getötet. Eine weitere Überlieferung ergänzte dazu, dass der Täter einen Dolch in den Anus des Herzogs gestoßen habe, worauf dieser an der Verletzung starb. Bestattet wurde er in der Kathedrale von Verdun.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 21. Januar 2017 09:37

2. De bello saxonico

In Sachsen sah sich der König mit noch ganz anderen Widerständen konfrontiert. Sein Vater hatte bereits im östlichen Sachsen rund um Goslar versucht, königliche Rechte besser zur Geltung zu bringen und seine Herrschaft intensiver auszuüben. Der Tod Heinrichs III. und die Minderjährigkeit Heinrichs IV. waren für geistliche und weltliche Fürsten eine gute Gelegenheit gewesen, sich Reichsgüter und Reichsrechte anzueignen. Heinrich forderte das Verlorene zurück und mehr noch: Er nahm die Politik seines Vaters wieder auf und baute das Krongut wo immer möglich im östlichen Sachsen und auch in Thüringen wieder auf. Die betroffenen Fürsten waren davon wenig begeistert. Nicht nur dieses Ziel, sondern auch die damit verbundenen Methoden provozierten den Widerstand vor allem der freien Bauern. Sachsen war nach geläufiger Meinung „an Frieden und Fruchtbarkeit einem Paradiese nicht unähnlich“ - in Sachsen lagen die Silberbergwerke. Die Sachsen, die als Angehörige eines noch bäuerlich bestimmten Volks Landbesitz über alles schätzten, überhaupt als ziemlich geldgierig galten, waren nicht bereit, auf etwas zu verzichten, was sie nach dem Gewohnheitsrecht längst als ihr Eigentum ansahen. Schon gar nicht, wenn einer daherkam, der das stolze Geschlecht der Sachsenherrscher abgelöst hatte, auch noch die Stirn besaß, mit einem Haufen schwäbischer Gefolgsleute anzurücken. Heinrich stampfte überall Zwingburgen förmlich aus dem Boden, um seine Forderungen auf die Grafschaft Göttingen mit den Silbervorkommen um Goslar durchzusetzen. Hier war er von seinem Parteigänger, dem Brandenburger Herzog Lothar-Udo II., schlecht beraten, denn es war bekannt, dass man die Sachsen zu nichts zwingen konnte.

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Am Hofe des sächsischen Herzogs in Braunschweig. Magnus, der Erbe und neue Herr über Sachsen, hat seine Landesfürsten herbeirufen lassen, denn es gilt über eine Ungeheuerlichkeit des Königs zu beraten. Magnus erhob sich von seinem Stuhl, der am Kopfende des langen Tisches stand und sprach zu den Anwesenden: „Meine treuen Gefolgsmänner, meine sächsischen Brüder! Der Herr König erbaut, wie Ihr wisst und wie Ihr es missbilligt, ebenso wie ich, Burgen in unserem angestammten Lande. Ich habe ihn an die Friedenspflicht, die er selbst in Goslar für das Reich verordnet hat, erinnert und an ihn appelliert, diesen seinen eigenhändigen Bruch des Friedens Einhalt zu gebieten. Denn das ist es, was der Bau dieser Zwingburgen in unserem Land bedeutet. Beklagt habe ich bei ihm das Verhalten seiner Ministerialen aus dem Schwabenland, die unsere Bevölkerung, unsere Männer, Frauen und Kinder bedrücken. Ungerechtigkeit und Willkür gehen aus von seinen Burgmännern über unser Volk. Eure Frauen und Töchter missbrauchten sie nach Belieben zu ihrer Lust. Eure Knechte und Eurer Zugvieh fordern sie nach Willkür in ihren Dienst. Sogar Euch selbst zwingen sie, jede Last – und sei sie noch so schimpflich – auf Euren Schultern zu tragen. Auch die anderen Großen des Reiches teilen unsere Meinung und wünschen, dass der König von der Ungerechtigkeit, die er über uns bringt, ablässt. Hat er nicht schon bei den Beschuldigungen, die er gegen den ehrenwerten Herzog Otto von Baiern, unserem Bruder aus dem sächsischen Hause der Northeim, erhob, nicht gezeigt, dass er die Ehre des Reiches und seiner Glieder nicht den schuldigen Respekt zollt?“

„Hört, hört!“, riefen die sächsischen Fürsten aus, denen gewahr war, dass sie das nächste Ziel der königlichen Politik werden sollten. Magnus fuhr fort: „Meine Gefolgsleute! Weil ich den Frieden und die Ehre des Königs ehre, schickte ich einige von Euch zu unserem König, damit er unser gerechtes Ansinnen anhöre und einen gütlichen Ausgleich mit uns finden möge. Doch als sie vor dem Tor seiner Pfalz in Goslar ankamen, empfing er sie nicht und ließ Euch edle Herren Stunde um Stunde vor seiner Tür ausharren, während er drinnen mit zweifelhaften Begleitern des Trinkens und des Würfelns fortspielte. Dies ist wahrhaft eine Beleidigung unseres Standes!“

Laute Zustimmung mit dem Herzog und Empörung über den ausländischen König mischten sich in dem Saal, in dem Magnus zu seinen Leuten sprach. „Wollt Ihr das alles, tapfere Männer, etwa über Euch ergehen lassen? Wir müssen uns zur Wehr setzen gegen die ungerechte Behandlung durch den König, der unsere Rechte missachtet und unser Land mit Fremden besetzt. Die Empörung Eurer Vasallen in Stadt und auf dem Land ist gerechtfertigt, und wir sollten die fremden Burgmannen und jene, die sie unterstützen, mit Nachdruck aus unserer Heimat forttreiben und diese Burgen, von denen Mord, Raub und Unzucht ausgehen, niederbrennen, damit tatsächlich Frieden in unserer Heimat und im Reich einkehren möge. Denn ist es nicht besser, in tapferem Kampf zu fallen, als ein elendes und schmähliches Leben, in dem ihr dem Übermut solcher Leute zum Spott dient, schimpflich zu verlieren? Sogar Knechte, die man für Geld kauft, ertragen nicht die ungerechten Gebote ihrer Herren. Aber ihr, die ihr frei geboren seid, ihr wollt geduldig die Knechtschaft ertragen?“ Die Fürsten sprangen von ihren Sitzen auf und riefen: „Niemals! Niemals!“, und schworen ihrem Herzog, ihm zur Bewahrung ihrer Freiheit und ihrer Ehre zu folgen.

Im Jahre 1073 entlud sich der aufgestaute Unmut der Sachsen in einem gewalttätigen Aufstand. Eigentlich stand nur ein Feldzug gegen Polen an, doch die Sachsen fürchteten, dies sei nur ein Vorwand für das militärische Aufgebot und der König wolle sie nun endgültig ihrer Freiheit berauben und seiner Gewaltherrschaft unterwerfen. Angeführt von Bischof Burchard von Halberstadt und Herrmann Billung, dem Bruder des neuen Sachsenherzogs Magnus, wandten sie sich gegen Heinrich. Dessen wenige Anhänger, darunter Erzbischof Liemar von Bremen, mussten fliehen. Die aufgebrachten Sachsen stellten unerhörte Forderungen: Sie verweigerten die Teilnahme am Krieg gegen Polen, da sie ohnehin an ihrer östlichen Grenze ständig mit den Liutizen zu kämpfen hätten. Auch sollte der König die Güter der sächsischen Großen zurückgeben, seine Burgen zerstören, sich von seinen nichtswürdigen Beratern trennen und statt dessen wieder auf den Rat der Fürsten hören. Als Heinrich rundweg ablehnte und wie erwähnt die Abgesandten der Sachsen auch noch schlecht behandelte, erschienen diese selbst in Goslar. Heinrich musste sich Hals über Kopf in die Harzburg zurückziehen, die sich für die Angreifer als zu stark erwies.

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Aber der König konnte sich unmöglich wochenlang belagern lassen und wagte die Flucht. Erschöpft, demoralisiert, krank dazu, erreichte er nach langem Umherrirren den Rhein und erfuhr dort, das die Erzbischöfe von Mainz und Köln sich bereits über seinen Nachfolger unterhielten. Diesmal hatte Heinrich IV. das Glück, die Bürger von Worms auf seiner Seite zu wissen, Männer, die durch Handel und Handwerk wohlhabend geworden waren. Die Wormser hatten eine Tat von atemberaubender Kühnheit gewagt, die bald Schule machen sollte: Sie jagten ihren dem König feindlich gesonnenen Bischof aus der Stadt und holten Heinrich feierlich in ihre starken Mauern ein, ihm jeden Schutz und jede Hilfe bietend. Damit betrat eine neue Macht die Bühne des Welttheaters – die Stadt und ihre Bürger. Die Vertreter der neuen Gesellschaftsschicht zeigten sogleich, warum sie so reich geworden waren. Der nicht ungefährliche Dienst, „in der größten Not des Reiches mit der größten, herrlichsten Treue“ zur Krone gestanden zu haben, war keine Gratiszuwendung. Um dem König klarzumachen, wiesen sie durch die Blume darauf hin, wie viel preiswerter doch alles sein könne, wenn nur der kaiserliche Zoll nicht wäre. Bis Majestät verstanden hatten und der Stadt Worms in einer Urkunde feierlichst Freiheit von allen Abgaben zusicherte.

Die Fürsten dagegen hatte Heinrich IV. nicht auf seiner Seite. In den zurückliegenden Jahren hatte der junge König etliche von ihnen, wie den Schwabenherzog Rudolf von Rheinfelden, gegen sich aufgebracht. Die Thüringer gingen sogar zu den Sachsen über, die nahezu ungehindert auf dem Vormarsch waren. Alle Burgen des Königs wurden eingeschlossen und etliche von ihnen waren schon gefallen. Heinrich konnte dagegen nur mit schwachen Truppen nach Nordosten aufbrechen.

Die beiden Heere lagerten nicht weit voneinander entfernt und Heinrich IV. musste einsehen, dass die Truppen der Sachsen den seinen überlegen waren. Darauf schickte er vier Bischöfe als Friedensunterhändler zum Lager der Sachsen. Die blieben bei ihrer wiederholten Forderung: die königlichen Burgen in Sachsen und Thüringen niederzureißen, um so die Königsgewalt zu reduzieren. Ferner forderten sie, dass in Sachsen alle Regierungsmaßnahmen nur nach dem Rate von Angehörigen ihres Stammes zu vollziehen seien. Weiter wurde eine umfassende Autonomie eingeklagt. Das kam für dem König einem Diktat gleich! Doch auch das Lager der Sachsen war darüber gespalten – zwischen den Freien und ihren Ethelingen. Die Edlen waren in ihrer Mehrzahl kompromissbereit, die Bauern hingegen wollten den endgültigen Sieg. Nach zweitägigen Beratungen setzten sich die Adeligen weitgehend durch, den günstigen Frieden statt die Schlacht zu suchen. Nachdem dies vereinbart war, zogen sie in dichten Haufen gemeinsam mit den königlichen Unterhändlern heran, um den König von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Dieser empfing sie mit allen Ehren, gewährte ihnen den Kuss und bekräftigte durch die Macht des lebendigen Wortes die Friedensbedingungen, die er durch die Unterhändler kundgetan hatte. Das war der Frieden von Gerstungen vom Februar 1074.

Es war eine einseitige Abmachung: Die militärisch überlegenen Sachsen setzten die Zerstörung der Burgen in Sachsen und Thüringen durch, die Rückgabe aller Konfiskationen und die Anerkennung des sächsischen Rechts. Außerdem sollte der König künftig nicht mehr ständig in Goslar residieren. Noch nie war ein König so von seinen Untergebenen gedemütigt worden.

Aber da zeigte sich Heinrich IV. ein Silberstreif am Horizont. Zum einen verlor sein Gegenspieler Anno II. von Köln an Einfluss. Man warf ihm Überheblichkeit (insolentia) und übermäßige Härte (austeritas) vor.

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Anno hatte 1074 für einen Besucher kurzerhand ein Schiff beschlagnahmen lassen, das einem Kölner Händler gehörte. Das führte zu einem Aufstand der Kölner Bürger, sie fühlten sich ungerecht und hochfahrend behandelt. Nur mit viel Glück konnte sich der Erzbischof damals retten, weil einer der Domherren kurz zuvor bei seinem Haus ein Türchen durch die Stadtmauer hatte brechen lassen. So konnte sich Anno vor der aufgebrachten Menge in Sicherheit bringen und auf bereitgestellten Pferden entkommen. Nachdem er nach wenigen Tagen mit seinen Leuten die Oberhand in der Stadt wiedergewonnen hatte, folgte ein hartes Strafgericht. Damit sollte die Missachtung der Herrschaft niedergedrückt werden. Haus und Habe der Handelsherren wurden enteignet, die Anführer geblendet oder gegeißelt. Lampert von Hersfeld schilderte die Stimmung in Köln: „So wurde die Stadt, noch vor kurzem die volksreichste und nächst Mainz der Haupt- und Vorort aller rheinischen Städte, plötzlich fast verödet. Wo bisher die Straßen die dichten Scharen von Fußgängern kaum fassen konnten, zeigt sich jetzt nur selten ein Mensch. Schauriges Schweigen herrscht an all den Stätten der Lust und der Genüsse.“ Die hierarchische Ordnung war wiederhergestellt, doch um einen hohen Preis auch für den Erzbischof.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 25. Januar 2017 19:39

Entscheidend war für Heinrich IV. aber die Entwicklung in Sachsen selbst. Zwar hatte er den Rebellen seine Burg zur Zerstörung ausliefern müssen, die damit beauftragten Bauern aber taten ihm einen schrecklichen Gefallen. Bei der Niederlegung der Harzburg begnügten sie sich nicht mit dem Schleifen der Mauern. In einem atavistischen Ausbruch, bei dem dumpf Heidnisches die dünne Kruste christlicher Gesinnung durchbrach, zündeten sie die Burgkapelle an, plünderten den Kirchenschatz, schändeten die Reliquien, brachen die Gräber der königlichen Familie auf und zertraten mit ihren Stiefeln die Gebeine. Denn dass Heinrich IV. die Gräber seines verstorbenen jüngeren Bruders und seines toten erstgeborenen Sohnes dort angelegt hatte, war ihnen verhasst – war es doch ein Zeichen des Königs gewesen, seinen langfristigen Anspruch auf die Harzburg kundzutun.

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Die Grabschändung der verhetzten Masse war ein Frevel nicht nur gegen den König, sondern gegen die Obrigkeit schlechthin, und die Fürsten begriffen, welche Saat hier gesät wurde. Der gleiche Volkszorn, der die königlichen Gräber umpflügte, konnte sich morgen gegen die eigenen Fürsten und Herren richten. Nie waren sie sich schneller in aristokratischer Solidarität einig als in dem Augenblick, da das Volk aufbegehrte. Sie drängten dem König die bis dahin verweigerten Soldaten geradezu auf. An Heinrichs Seite standen jetzt die Herzöge Rudolf von Rheinfelden, Berthold von Kärnten und Gottfried von Niederlothringen. Auch die fränkischen Fürsten, die Baiern und die Böhmen stützten die Stellung des Königs.

Die Führer der Sachsen erkannten, weitsichtiger als ihr Volk, dass sie der geballten Macht des Reiches nicht gewachsen waren. Manche ritten auf dem Volkszorn, andere suchten ihr Heil in der Diplomatie, weitere ließen sich durch Bestechung auf Heinrichs Seite ziehen. Ganz Sachsen war, selbst quer durch Familien, in dieser Sache zerrissen. Dann wurde noch von Zeichen berichtet, die kommendes Unheil verkündeten. Von Rabenschlachten, von Bischofsstäben, die Wasser absonderten, von Kruzifixen, die Schweiß verströmten, und anderen Symbolen.

Die sächsischen Fürsten schickten Heinrich IV. einen Boten, der am Osterfest 1075 mit einem Schreiben in Worms eintraf. Dieses überreichte er dem Erzbischof Udo von Trier, während er gerade auf der Kanzel stand und dem Volk predigte. Der Bote bat darum, den Brief dem versammelten Volke vorzulesen und zu erklären. Als der König das untersagte, legte der Bote selbst beherzigt den Inhalt des Briefes in kurzen Worten vor dem Volke dar und forderte sie auf, die Sachsen nicht mit Waffengewalt anzugreifen, ehe sie nicht einer Schuld überführt seien. Ein unglaublicher Vorgang, der die anwesenden Fürsten erzürnte. Da drang ein Bote während einer Messe in eine Kirche ein und verlangte vom Erzbischof die Unterbrechung seiner Predigt. Und widersetzte sich dann noch dem Ansinnen des Königs. Die Sachsen erreichten durch diesen Vorfall nur die erneute Solidarisierung der Fürsten mit dem König: Die Regierung des Adels über das Volk setzte eine ständige aristokratische Allianz voraus, damit die Herrschaft der wenigen über die vielen möglich blieb. Jetzt konnte Heinrich IV. voller Erwartung den Feldzug vorbereiten und die Truppen zusammenrufen lassen.

Es kam zu der blutigsten Schlacht, die bisher im Inneren des Reichs geschlagen wurde. Diese „Schlacht an der Unstrut“ sah den König und eine Reihe vornehmer Fürsten und Bischöfe auf der einen, die Sachsen auf der anderen Seite. Anfang Juni 1075 hatte sich das Heer des Königs in der Nähe von Hersfeld versammelt. Dem Chronisten Lampert von Hersfeld zufolge war es so gewaltig, „dass seit Menschengedenken niemals im Deutschen Reich ein so großes, so tapferes, so kriegsmäßiges Heer aufgebracht worden war. Was es im Reich an Bischöfen gab, was an Herzögen, was an Grafen, was an kirchlichen und weltlichen Würdenträgern, alle hatten sich hier versammelt, all ihre Kraft, all ihre Macht auf diesen Krieg gerichtet. Kein einziger fehlte, es sei denn, er war durch eine ganz dringende Notwendigkeit entschuldigt.“ Nur der Erzbischof Anno II. von Köln hielt sich fern. Doch dies sei dem König ohnehin angenehmer gewesen, denn den Kölner Erzbischof habe er schon immer gehasst. Auch der Bischof von Lüttich durfte zu Hause bleiben, er musste dort die Königin in Obhut nehmen.

Kundschafter des Königs berichteten, dass das Heer der Sachsen an Zahl und Bewaffnung nicht schwächer sei als das königliche Heer, ja, in der sonstigen Kriegsausrüstung erscheine es sogar überlegen und sei mit Hilfsmitteln und Vorräten bestens ausgestattet. Der König und seine Leute brachten für das sächsische Aufgebot jedoch nur Hohn und Spott auf: Schließlich seien das doch nur Bauern, die schon durch das Getöse und Geschrei des anrückenden Heeres eingeschüchtert, geschlagen und vernichtet würden. Bei Homburg an der Unstrut, südlich vom Harz, kam es dann am 9. Juni 1075 zum Kampf. Laut Lampert von Hersfeld war es für die Sachsen ein Überraschungskampf, weil das Heer des Königs ohne weiteres Verweilen direkt aus dem Marsch heraus angriff, während die Sachsen noch weitgehend ungeordnet gestanden hätten. Das Heer der Königs wurde von Herzog Rudolf von Schwaben angeführt, einem der herausragenden Kriegsführer dieser Jahre. Auch die schwäbischen Kontingente kämpften in der vordersten Reihe, weil dies, so Lampert, ein besonderes Vorrecht der Schwaben gewesen sei. Die Königlichen wüteten schrecklich unter den Sachsen. Sie wurden in der blutigen Schlacht an der Unstrut zur Kapitulation gezwungen, wobei man die einfachen Soldaten abschlachtete „wie gemeines Vieh“, so schilderte es Lampert. Ihre Führer, darunter eine Anzahl von Bischöfen, kamen in Gefangenschaft. Am Ende sei der König heiter, ja geradezu in überschäumender Freude ins Lager zurückgekehrt, habe er doch seine schlimmsten Feinde niedergerungen.

Was hier einen blutigen Kulminationspunkt erreicht hatte, war ein Bürgerkrieg größten und schlimmsten Ausmaßes. In den Quellen wird an dieser Stelle erstmals der Begriff bellum civile gebraucht, und in der Tat war es der erste Bürgerkrieg im mittelalterlichen Deutschen Reich. Für den König war es ein großer Sieg, den er voll auskostete, indem er seine unterlegenen Feinde hart bestrafte und sie demütigte.

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Heinrichs Verhalten widersprach allerdings offensichtlich den Regeln und Traditionen, die man mit dem König verband, und bedeutete einen Bruch mit der überkommenden Ordnung. Sogar die Vermittler desavouierte er, indem er die von ihnen ausgehandelten Vereinbarungen nicht einhielt. Ein solcher Affront gehörte zu den schwersten Verfehlungen, die man einem König vorwerfen konnte. Außerdem ließ Heinrich IV. eine Herrschertugend vermissen, die bis dahin den ersten Rang einnahm: die Barmherzigkeit. Als Stellvertreter Gottes, des himmlischen Königs, hätte er Gnade walten lassen müssen.

Gnade und Barmherzigkeit, das waren nicht nur Eigenschaften, sondern auch politische Instrumente des gerechten Königs. Ein König musste im Notfall hart durchgreifen können und sich Achtung verschaffen. Aber noch wichtiger war, dass er in einer fein ausgewogenen Interessenvielfalt den Gnadenerweis gerecht handhaben konnte. Barmherzig zu sein, war nicht nur ein Zeichen klugen Verhaltens, sondern auch ein Element königlicher Legitimation. Dem König war es aufgetragen, das Reich wie das Haus Gottes im göttlichen Auftrag zu lenken. Für Heinrich III. war das einst die Leitlinie seines Handelns gewesen, bei seinem Sohn Heinrich IV. vermisste man nun diese Tugend.

Als Heinrich 1075 in Goslar das Weihnachtsfest beging, feierte er nach langen Jahren der Not den ersten Triumph. Seine Gegner lagen im Staub, ihre Güter waren beschlagnahmt, Sachsen gehorchte wieder der Krone, die Fürsten huldigten ihm. „Ich sehe die Morgenröte“, sagte Heinrich IV. zufrieden. Wie konnte er ahnen, dass sie nicht den Morgen verkündete...

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 29. Januar 2017 13:47

3. Der unheimliche Mönch

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In Rom braute sich ein Sturm zusammen, der die Welt des Mittelalters aus den Angeln heben sollte. In der Auseinandersetzung des Papsttums mit den weltlichen Herrschern wurde in Rom das Lager der Reformer durch eine starke Persönlichkeit wahrgenommen: Dem Archidiakon Hildebrand.

Heinrich IV. konnte sich bestimmt nicht mehr an diesen Mann erinnern, doch er war ihm in jungen Jahren schon einmal begegnet. Irgendwann Mitte der 1050er hatte sich das in der Kaiserpfalz zu Goslar ereignet. Da saß das königliche Kind vor seiner Schüssel mit Brei, der Vater kam herein und mit ihm ein Mönch, klein, hässlich, von fahlbrauner Gesichtsfarbe. Er war aus Rom angereist als ein Gesandter des Papstes, den Prinzen im Namen seiner Apostolischen Majestät zu segnen, den Treueschwur zu leisten und zu versprechen, niemals gegen den Erben der deutschen Krone die Brandfackel zu schleudern oder das Schwert Petri zu erheben. Ein ungewöhnliches Verlangen, das bisher nicht üblich gewesen war, aber der hässliche Mönch schwörte, und als dem Knaben so gegenüberstand, lächelte er und sprach nach Art der Erwachsenen ein paar gutmütige herablassende Worte.

„Aber der Sohn des Kaisers“, so berichtet der Chronist, „schmähte ihn, weil er ihn so hässlich fand, und warf ihm Brei ins Gesicht, ihn dabei mit allen Schimpfwörtern bedenkend, die ein Kind nur kennen konnte. Als die Mutter dazukam, verbot sie ihrem Sohn die Ungezogenheit und verbat sich die Scherze des Vaters darüber“. Der Vater war Heinrich III., der Sohn Heinrich IV., die Mutter Agnes von Poitou, der Mönch hieß Hildebrand – ein brennender Verfechter der kirchlichen Reformer. In Rom tat sich da nämlich seit einiger Zeit einiges.

Die Geschehnisse um den Reformer ereigneten sich nicht wie aus heiterem Himmel. Im Ordnungs- und Herrschaftsdenken waren längst die Weichen auf Wandel gestellt. Die Forderung auf Besserung des Klerus, auf Ausrichtung der Lebensweise der Geistlichen nach den Regeln und Gesetzen der Kirche wurde schon Mitte des 11. Jahrhunderts mit Nachdruck erhoben. In Papst Leo IX. (1049-1054) sahen schon die Zeitgenossen den großen Initiator der römischen Kirche.

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Leo IX. hieß vor seiner Amtszeit Brun, er war ein weitläufiger Verwandter der Salier. Als er im Dezember 1048 auf kaiserliche Weisung Heinrichs III. für das Amt des römischen Bischofs nominiert werden sollte, genügte ihm diese Legitimation nicht. Brun wollte den Auftrag für sein Amt nach kanonischen Regeln erhalten, erst musste die Zustimmung des Klerus und des Volkes von Rom vorliegen. Konsequent hielt er sich an diese Forderung und ließ sich erst am 12. Februar 1049, nach der Zustimmung von Klerus und Volk, in Rom zu Papst Leo IX. inthronisieren.

Mit seinem Namen knüpfte er an Papst Leo I. den Großen (440-461) an. Das war der Papst gewesen, unter dem die auf Petrus bezogene Sonderstellung des Bischofs von Rom in der Gesamtkirche erstmals in sehr präzise Formeln gegossen worden war. Mit Leo IX. bestieg mithin nicht so sehr ein Bischof von Rom den Stuhl Petri, sondern ein Papst mit einem Führungsanspruch über die gesamte Kirche. Auch Hildebrand, der mit Papst Gregor VI. 1047 in die Verbannung ins Reich nördlich der Alpen gezogen war und sich einige Zeit in Köln aufgehalten hatte, kehrte nun mit Leo IX. nach Rom zurück.

Aus einem Kreis von Helfern, zu denen auch Hildebrand gehörte, bildete sich im Umfeld dieses Papstes ein einflussreicher und schlagkräftig organisierter „Hof“ (curia), eine Kurie, die sich nun in mancherlei Hinsicht am königlichen Hof orientierte. Wichtig daran war, dass sich der Papst und seine Umgebung auf diese Weise unter dem Schlagwort von der „Freiheit der Kirche“ von den vielfältigen Verknüpfungen mit den stadtrömischen Organisationen befreien konnten.

Der Alleinführungsanspruch, den der römische Bischof für sich erhob, kollidierte mit dem von anderen Bischofssitzen. So wie Rom nahmen auch Jerusalem, Alexandria, Antiochia und Konstantinopel den Rang von Hochthronen ein. Eine römische Delegation, die 1054 nach Konstantinopel reiste, verlangte den Vorrang Roms auch vor der Ostkirche. Wie nicht anders zu erwarten, folgte die strikte Weigerung des Patriarchen. Petrus Damiani brachte diese Ablehnung in einer Rechtsauffassung auf die Formel: „Das heilige Kirchenrecht bestimmt diejenigen zu Häretikern, die mit der Römischen Kirche nicht übereinstimmen“. Im Juli 1054 folgte der gegenseitige Fluch von West- und Ostkirche, das Große Abendländische Schisma.

Zwei weitere inhaltliche Schwerpunkte schälten sich in der Reformpolitik des Papstes heraus: Der Kampf gegen die Simonie und gegen den Nikolaitismus, also die Priesterehe. Der Ämterschacher war in der Kirche schon lange verpönt. Es lag darauf der Fluch, den Petrus über den Magier Simon verhängte. Dieser hatte die Geisteskraft der Apostel für sich erwerben wollen und dafür Geld angeboten. Doch Petrus sprach zu ihm: „Verdammt seist Du mit Deinem Gelde, weil Du meinst, Gottes Gabe könne durch Geld erlangt werden.“ Das Simonieverbot war in der Kirche immer mehr oder weniger stark wiederholt worden. Aber es half nicht viel – der Pfründenhandel stand in hoher Blüte und galt als der Normalfall.

Die Frage der Simonie war: Konnte ein Geistlicher, der mittels Simonie ins Amt gelangt war, überhaupt wirksame Sakramente spenden? Konnte er also das Seelenheil vermitteln und damit die Gläubigen zur Rettung des ewigen Heils führen? Eine Frage von fundamentaler Bedeutung! Papst Leo IX. vertrat anfangs eine radikale Haltung. Für ihn waren alle von Simonisten vorgenommenen Weihen ungültig. Im Kreis der Reformer wurde die Frage intensiv erörtert. Petrus Damiani vertrat eine gemäßigtere Ansicht: Nicht die Beschaffenheit oder die moralische Qualität eines Menschen könne darüber bestimmen, ob ein Sakrament, also eine von Gott ausgehende Heilsgabe, wirksam sei oder nicht. Leo IX. lenkte ein. Nicht weniger schwierig gestaltete sich der Kampf gegen die Priesterehe, also gegen den Nikolaitismus. Der Name kommt von einer in der „Geheimen Offenbarung“ (Apokalypse) erwähnten Sekte. Dort ist vom Treiben der Nikolaiten die Rede. Sie galten als Häretiker, ohne dass man ihre Irrlehre genauer definieren konnte. Erst die Reformer des 11. Jahrhunderts bezogen sie auf die Kleriker, die in Ehe oder Konkubinat lebten. Verheiratete Priester waren zu dieser Zeit der Normalfall. Mit diesem sündigen Treiben sollte nun ein Ende sein, denn die Priester und Bischöfe hatten schließlich bereits mit ihrer Kirche eine unauflösliche Verbindung geschlossen. Weitere Bindungen verboten sich demnach, ja selbst der Wechsel von einem Kirchensitz zu einem anderen wurde als problematisch empfunden.

Nach dem Tod von Leo IX. diente Hildebrand unter Papst Viktor II., der aber nur kurz amtierte. Im Grunde knüpfte der an die Reformhaltung seines Vorgängers an. Als im Juli 1057 Papst Viktor II. gestorben war, musste die Lage schnell geklärt werden, denn der Adel der Stadt Rom wollte mal wieder seinen Einfluss geltend machen. Da damals im Reich durch die Regentschaft der Kaiserin für ihren minderjährigen Sohn Heinrich IV. keine energische Reaktion kam, Gottfried III. der Bärtige aber eine einflussreiche Position in Mittelitalien einnahm, setzten die Reformer in Rom dessen Bruder Friedrich als Stephan IX. auf den Papstthron. Die Zustimmung der Regentin wurde nur nachträglich durch eine Gesandtschaft unter eben jenen Hildebrand eingeholt. Der lothringische Papst regierte nur kurz, kämpfte gegen die Priesterehe und zog vor allem den gemäßigten Petrus Damiani – jener eingangs erwähnte Legat, der später über das Scheidungsgesuch Heinrichs IV. zu entscheiden hatte – nach der Erhebung zum Kardinalbischof von Ostia näher an die Kurie heran.

Als Stephan IX. bereits vor der Rückkehr der Gesandtschaft im März 1058 starb, reagierte der römische Stadtadel dieses Mal schnell und ließ den Kardinalbischof Johann von Velletri zu Papst Benedikt X. wählen. Die Reformer unter Petrus Damiani setzten sich zur Wehr. In Florenz, der Metropole von Gottfried dem Bärtigen, einigte man sich auf Gerhard, den Bischof von Florenz, der als Nikolaus II. im Januar 1059 in der Peterskirche geweiht wurde. Benedikt X. wurde exkommuniziert und abgesetzt. Die Reformer hatten gesiegt und dokumentierten dies auf einer großen Lateransynode im Jahr 1059, die sich mit Simonie (dem Handel mit geistlichen Ämtern), Klerikerehe und Kanonikerreform befasste. Das Hauptergebnis der Synode war aber das Papstwahldekret, das die unsichere Lage bei der Papstwahl beseitigen sollte. Hiermit wurde festgelegt, dass ein Kollegium der Kardinäle den Papst wählen, Volk und Klerus von Rom nur noch akklamieren sollten. Der Gewählte musste nicht aus der römischen Kirche kommen, die Wahl konnte auch an einem anderen Ort stattfinden. Das Recht des Königs, also ein Mitspracherecht, sollte gewahrt bleiben. In Zukunft kam es darauf an, was der König daraus machte. Ebenso brisant war das sechste Kanon der Synode, der besagte, dass kein Kleriker oder Priester von einem Laien eine Kirche erhalten dürfe. Dies war noch sehr vage formuliert und verbot nicht, dass der König die Bischöfe einsetzte, zumal es im Reich gar nicht verbreitet wurde.

Mit der Synode wurde nicht dem theokratischen Königtum der Krieg erklärt, denn man benötigte diese Schutzmacht noch, aber das Selbstbewusstsein der Reformkirche war erheblich gestiegen. Zwischen den Ratgebern des kleinen Heinrich IV. und den radikaleren Ratgebern des Papstes kam es zu Unstimmigkeiten, die zu einem Eklat führten, dass eine Reichssynode alle Verfügungen des Papstes für ungültig erklärte und ihn selbst für abgesetzt. Konsequenzen hatte dies nicht, weil der Papst am 20. Juli 1061 starb. Wieder ergriffen die römischen Adeligen die Initiative. Diesmal suchten sie aber die offizielle Anbindung, indem sie dem König eine Gesandtschaft schickten und um die Nominierung eines neuen Papstes ersuchten. Unterstützt wurden sie von lombardischen Bischöfen, die den Zentralismus der Reformer misstrauisch beobachteten. Dies brachte die Reformer unter Zugzwang, die am 30. September Bischof Anselm von Lucca als Alexander II. wählten. Dieser war ein Mann des Ausgleichs mit guten Beziehungen zu Gottfried dem Bärtigen und dem Hof.

Auch über Otto von Northeim hielt Alexander II. damals Kontakt zum Reich. Der Papst war notwendigerweise daran interessiert, weil er die Normannen im Süden nicht ausrechnen konnte und Mailand ein Unruheherd war, wo die Pataria, der Gottesbund zum Frieden zwischen niederem Adel und unteren Schichten, gegen den Erzbischof und die Aristokratie stand. Petrus Damiani konnte die Lage beruhigen, indem er die Priester, die fast alle mit Simonie ins Amt gekommen waren, abschwören ließ. Dies war ein Sieg für das Papsttum, denn hier wurde von der Zentrale aus die Mailänder Kirche, die sich eigenständig entwickelt hatte, zurechtgewiesen.

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Eine Zeit lang war es ruhiger, dann eskalierte die Lage in Mailand, als 1070 Erzbischof Wido vor dem ständigen Kampf resignierte und Ring und Stab an den König schickte. Heinrich IV. investierte sofort den Kleriker Gottfried. In Mailand traf dieser auf den Widerstand der Pataria, auch Papst Alexander II. stellte sich auf ihre Seite und exkommunizierte den neuen Erzbischof. Nach Widos Tod ließ die Pataria Atto zum Erzbischof wählen. Dieser konnte sein Amt allerdings nie antreten, der Papst verschaffte ihm ein Amt als Kardinalpriester in Rom. Heinrich IV. ließ Gottfried weihen. Der Papst bannte daraufhin fünf Ratgeber Heinrichs unter der Anklage der Simonie, eine deutliche Warnung an Heinrich IV. von dem Papst, der mit seiner Mutter Agnes in Rom eng zusammenarbeitete. Nur durch den Tod Alexanders am 21. April 1073 wurde weiteres verhindert.

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Jetzt schlug die Stunde für Hildebrand. Er war Anfang der 1020er in der Toskana geboren worden, wurde Mönch in Rom, begleitete den abgesetzten Papst Gregor VI. in die Verbannung nach Köln und kam 1049 mit Leo IX. zurück. Im deutschen Exil hatte er Augen und Ohren offen gehalten und die deutschen Verhältnisse so sorgfältig studiert, als wüsste er, dass ihm diese Kenntnisse einmal nützen würden. Unter Leo IX. wurde er dann in Rom zum Leiter der „Geldverhältnisse“ des Apostolischen Stuhls ernannt. Die Verwaltung des Geldes war eine Schlüsselstellung, die von jeher aus den Finanzministern besonders wichtige Minister gemacht hat. Nicht anders in Rom, einer Stadt, die nicht nur religiöse, sondern auch finanzielle Metropole des Abendlands war. Hierhin flossen die sich zu Riesensummen addierenden Peterspfennige aus den Ländern des Nordens und Ostens, häuften sich auf den Altären die Gaben der Pilger, kassierte die Kurie die Geschenke der Großen, nahm man Millionen durch den Reliquienhandel ein, wurden Grundstücke, Landgüter und ganze Provinzen gehandelt, Geld zum Wucherzins verliehen. Wer dieser Weltbank vorstand, besaß einen ungeheuren Einfluss, und Hildebrand erkannte das, um davon Gebrauch zu machen. Als die Tiara von Benedikt an Gregor verkauft wurde, war er als Vermittler der jüdischen Bankiersfamilie Pierleoni tätig gewesen. Kein schönes Geschäft, doch nicht so anrüchig, wie es den Anschein hat. Denn die von idealen Zielen erfüllte Reformpartei wollte die Macht, um die korrupten Reformgegner zu entmachten. Geld war in diesem Falle das schlechte Mittel zum guten Zweck, und so setzte es Hildebrand auch später immer ein. Er selbst bereicherte sich nicht, lebte einfach und bescheiden, ohne den fürstlichen Aufwand seiner ihm im Rang gleichen Kollegen.

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Der Mönch Hildebrand war in den Anfangsjahren niemandem ein Begriff, und wer ihn nur flüchtig kannte, wusste nicht einmal, was er eigentlich tat. Das jedoch war die Rolle, die der äußerlich so unscheinbare Mann am liebsten spielte: die der Grauen Eminenz. Hildebrand stieg an der Kurie allmählich in wichtige Positionen auf und wurde zum Gegenspieler von Petrus Damiani. Nach einigen Jahren sprach man am Tiber respektvoll: „Mehr noch als den Herrn Papst ehr' ich den Herrn über'm Papst“. Und der war nicht der liebe Gott. Mit Viktor II. hat sich Hildebrand noch einen Papst von kaiserlichen Gnaden gefallen lassen, wohl wissend, dass es noch zu früh sei, gegen die Macht am Rhein zu rebellieren. Wie erwähnt hatte er selbst als Subdiakon die Delegation nach Deutschland geführt, um dort ein neues Oberhaupt zu erbitten. Bei der Erhebung des nächsten Papstes „vergaß“ er, dass es ein Gesetz gab, wonach dem Kaiser das Wahlrecht zustand, und erklärte sich lediglich dazu bereit, die Regentin Agnes zu informieren. Bereits Nikolaus II. war so sehr sein Geschöpf, dass man ihn als einen Esel bezeichnete, der im Lateran von Hildebrand gefüttert werde wie in einem Stall.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 2. Februar 2017 20:38

Nur einen Tag nach dem Tod Alexanders II. wurde der neue Papst unter merkwürdigen Umständen gewählt. Als man in der Laterankirche noch damit beschäftigt war, die Leiche des alten Papstes in die Gruft zu senken, wurde die feierliche Stille jäh gestört durch vereinzelte Rufe, dann tönte es im Chor aus der Schar der Trauernden: „Gregorium papam sanctus Petrus elegit!“ - Der Heilige Petrus hat den Papst Gregor erwählt! Sie umringten einen Mann, schleppten ihn, der sich heftig sträubte, zur bischöflichen Kathedra, schrien immer wieder wie von Sinnen „Gregor sei Papst!“

Es war der Archidiakon Hildebrand, der hier zu seinem Glück gezwungen wurde, und das Volk wusste wunderbarerweise, dass für ihn nur der Name Gregor in Frage kam. Der Name stand in Erinnerung an Gregor den Großen (590-604), einen der wichtigsten Verfechter des römischen Vorrangs vor allen anderen christlichen Kirchen.

Der Erwählte wehrte sich schließlich nicht mehr gegen seine Wahl, weil er zu spüren glaubte, dass aus dem Mund des Volkes die Stimme Gottes spricht. Diese Wahl war ungesetzlich, ja sie widersprach den von ihm selbst dekretierten Regeln. Auch Hildebrand war das bewusst, aber er hatte eine Rechtfertigung parat. Mit Verweis auf das bisherige Gewohnheitsrecht der Wahl schrieb er: „Christus sagt: Ich bin die Wahrheit und das Leben. Er sagt nicht: Ich bin die Gewohnheit - sondern die Wahrheit!“ Die Kardinäle und anderen Geistlichen stimmten in einem förmlichen Akt bei der Inthronisation zu: Die Wähler und der Gewählte sahen in diesem Akt das unmittelbare Wirken Gottes.

Dreiundfünfzig war Hildebrand jetzt, doch von Gebrechlichkeit keine Spur, alles an ihm war Wille, Kraft, Leidenschaft, die brennenden Augen im bleichen Gesicht zeugten Fanatismus. Ein Mann von ungeheuren Gegensätzen: hässlich und charmant, warmherzig und eiskalt, so sentimental, dass er beim Messopfer weinte, und so erbarmungslos, dass er vor Folterungen seiner Feinde nicht zurückschreckte. Kindern war er unheimlich, die Frauen liebten ihn abgöttisch trotz seiner Hässlichkeit, er wollte den Frieden und verfluchte den, „der sich scheute, das Schwert in Blut zu tauchen“. Doch was auch seine Gegner ihm vorwarfen, ihm, den sie den Heiligen Satan nannten, in einem waren sie sich einig: dass er inbrünstig an das glaubte, wofür er stritt, und zutiefst davon durchdrungen, Gott zu seinem Recht auf Erden zu verhelfen.

Dabei war er gar kein geschliffen formulierender Theoretiker oder besonders gut ausgebildeter Theologe, sondern ein politisch denkender Pragmatiker, der umsetzte, was andere nur dachten. Im „Dictatus Papae“, einem Eintrag ins Briefregister vom März 1075, hat er im Sinn der radikalen Reformer seine Vorstellungen von der Autorität des Papsttums in allen kirchlichen und weltlichen Entscheidungen verdeutlicht. In den 27 Leitsätzen stellte Gregor VII. zusammengefasst fest: Der Papst steht allein an der Spitze der Universalkirche und ist allein berechtigt, kaiserliche Insignien zu tragen. Die geistliche Macht ist der weltlichen übergeordnet. Der Papst kann Untertanen in bestimmten Fällen, z.B. wenn der Fürst nicht mit der römischen Kirche übereinstimmt, von ihrem Eid gegenüber einem Fürsten entbinden. Dies bedeutete die Durchsetzung des päpstlichen Primats gegenüber der gesamten Kirche und vor allem gegenüber der weltlichen Macht.

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Vor diesem Hintergrund war es nicht verwunderlich, dass Gregor es unterließ, seine Wahl Heinrich IV. anzuzeigen. Heinrich IV. war im Reich im Kampf mit den Sachsen, hatte also keine Zeit für die Probleme in Rom. Er unternahm deshalb nichts gegen den Reformkurs des Papstes. Im Gegenteil, da er selbst in seiner Umgebung fünf Gebannte hatte, war die Lage auch hier schwierig. Daher schickte er dem Papst ein Schreiben, in dem er um gute Zusammenarbeit in dieser Sache bat. Heinrich entschuldigte sich sogar für seine Vergehen und die seiner Ratgeber und hoffte auf Vergebung. In seiner Situation war es wichtig, dass der Papst nicht die Aufständischen, sondern ihn unterstützte. Dies gelang ihm auch dank der Fürsprache von Heinrichs Mutter Agnes in Rom. Zu Agnes kam noch eine weitere bedeutende Frau hinzu, als die fromme Herzogin Mathilde von Tuszien sich dem Dienst des heiligen Petrus in Rom widmete.

Gregor VII. zeigte dem König dafür aber deutlich, dass er als Oberhaupt der römischen Kirche auch in die Reichskirche einzugreifen entschlossen war. Bischöfe wurden wegen Simonie-Verdacht vorgeladen, dazu gehörten Karl von Konstanz, Werner von Straßburg und Hermann von Bamberg. Letzterer wurde 1075 tatsächlich als Simonist abgesetzt. Aber auch die Bischöfe von Straßburg und Speyer suspendierte Gregor VII. von ihrem Amt, als sie seiner Einladung zu einer Fastensynode nicht Folge leisteten. Dies richtete sich auch gegen die Besetzungspolitik Heinrichs, der vermehrt Bischöfe nach ihrem Nutzen für die Reichspolitik einsetzte. Trotzdem war die Beziehung zwischen König und Papst im Sommer 1075 noch gut, wie man Briefen entnehmen kann, in denen Heinrich IV. eher unterwürfig ist, der Papst ihn als „lieben Sohn“ anredet.

Aber schon bald sollte sich zeigen, dass die beiden unter „Kirchenreform“ ganz unterschiedliche Dinge verstanden: Heinrich IV. die Bekämpfung von Missständen unter Beibehaltung seiner traditionellen Kirchenherrschaft, Gregor VII. vor allem den absoluten Primat des Papstes.

Besser als alle theoretischen Darlegungen dokumentiert sich die Macht der Reichsbischöfe und deren Bedeutung für den Herrscher im Heeresaufgebot. Aus dem Jahr 981 stammt eine erhaltene Auflistung des militärischen Aufgebots der Bischöfe für Kaiser Otto III. Danach stellten an Panzerreitern
- die Erzbistümer Mainz, Köln, Trier und Salzburg zusammen 340,
- fünfzehn weitere Bistümer zusammen 722,
- und elf Abteien zusammen 442.
Insgesamt stellten die geistlichen Fürsten 1.504 Panzerreiter. Demgegenüber standen 600 Panzerreiter der weltlichen Fürsten. Dies muss nicht das durchgängige Verhältnis gewesen sein, dennoch bekunden diese Zahlen, welch großes Machtpotential die geistlichen Fürsten ins Feld stellen konnten. Auf diese Macht konnte kein deutscher König durch Aufgabe des Investiturrechts verzichten.

Vor diesem Hintergrund war eine Auseinandersetzung nahezu unvermeidlich, und Mailand blieb nach wie vor ein Stein des Anstoßes. Nachdem der König die Sachsen besiegt hatte und die Mehrheit der Mailänder im Juni die Herrschaft der Pataria blutig beendet hatte, erhob Heinrich IV. erneut einen Erzbischof, wieder einen seiner Kapläne, der jedoch von den Mailändern wiederum nicht angenommen wurde. Auf diese Provokation reagierte Gregor VII. prompt und unmissverständlich. Im Dezember 1075 richtete er ein Schreiben an den König, in dem er von diesem den schuldigen Gehorsam verlangte. In einer mündlich übermittelten Botschaft ließ er Heinrich IV. weiter die Exkommunikation androhen, zumal dieser sich noch immer nicht von seinen gebannten Räten getrennt hatte.

Der Brief war eine Kampfansage, zeigte aber auch Wege der Verständigung an. Doch dies widersprach Heinrichs Herrscherbewusstsein und wohl auch seinem Charakter. Um eine Antwort zu geben, versammelte Heinrich IV. am 24. Januar 1076 in Worms die geistlichen Fürsten seines Reiches unter Leitung von Erzbischof Siegfried von Mainz. Einzig der Kölner Erzstuhl war nicht vertreten, denn Anno II. war kürzlich am 4. Dezember 1075 gestorben. Diese waren über die Haltung des Papstes zutiefst empört. Stimmen erhoben sich, die den Papst eines unkeuschen Lebenswandels anklagten. 26 Bischöfe kündigten dem Papst den Gehorsam auf. Sie akzeptierten nun auch seine Wahl nicht mehr, sondern nannten ihn schlicht „den Bruder Hildebrand“. Manche schmähten ihn gar mit dem Namen „Höllenbrand“. Dem König kam die Unzufriedenheit seiner Reichsbischöfe über die „Gutsherrenart“ des Heiligen Vaters recht. Heinrich erinnerte sich daran, dass sein Vater es damals als Kaiser auch bewerkstelligt hatte, in Sutri gleich drei Päpste abzusetzen. Der junge Salier diktierte nun die Antwort an Gregor VII., gleichermaßen seine Reaktion auf dessen „Dictatus Papape“ und ließ sich den sprachgewaltigen Text von den versammelten Bischöfen bestätigen:

„Von Heinrich, nicht durch Gewalt, sondern durch Gottes weise Anordnung König – an Hildebrand, nicht mehr Papst, sondern falscher Mönch.

Das ist der verdiente Gruß für Dich, der Du jeden Stand in der Kirche statt mit Ehre mit Schmach, statt mit Segen mit Fluch überhäufst hast. Wir ertrugen dies alles, weil wir des Apostolischen Stuhles Ehre zu wahren suchten. Du aber hieltest unsere Ehrfurcht für Furcht, erhobst Dich gegen die königliche Gewalt und wagtest zu drohen, Du wolltest uns ihrer berauben, als ob die Krone in Deiner und nicht in Gottes Hand läge, in der Hand Jesu Christi, der uns zur Herrschaft, Dich aber nicht zum Priestertum berufen hat.

Die Stufen, auf denen Du emporgestiegen bist, sind: die List, die Dir das Geld verschafft hat, das Geld, mit dem Du Dir Gunst gekauft, die Gunst, mit der Du die Gewalt des Schwertes gewonnen. Auch ich, der ich unter den Gesalbten zur Herrschaft geweiht worden, hast Du anzutasten gewagt. Dabei lehrt die Überlieferung der heiligen Väter, dass der König allein dem Gericht Gottes unterworfen ist und keines Vergehens wegen abgesetzt werden kann.

Du also, durch den Urteilsspruch aller unserer Bischöfe und den Unsrigen gerichtet, verlasse den angemaßten Sitz des seligen Petrus. Denn ich, Heinrich, König von Gottes Gnaden, sage Dir: Steige herab, steige herab, auf ewig Verfluchter!“

Förmlich war das Brennens seines Herzens in diesen Zeilen zu lesen, als Heinrich IV. sie diktierte. Das Herz aber ist ein schlechter Ratgeber, wenn es um die Politik geht, und die Vernunft hätte sagen müssen, dass hinter einer Machtdemonstration auch die Macht stehen muss. Wo war das Heer, das Heinrichs Worten hätte Taten folgen lassen? Es existierte nicht. Das Reich war uneins, die Fürsten nicht bereit, dem König Soldaten zu stellen. Auch unter den Bischöfen gab es Zauderer, von denen einer sich auf aparte Weise rückversicherte: Er malte unter seine Unterschrift nachträglich einen liegenden Spieß, womit sie nach dem Brauch der Zeit ungültig war. Den Inhalt des Schreibens und eines weiteren Briefs, in dem Hildebrand unter anderen Schandtaten auch „Hurerei mit Mathilden von Toskana“ und das Führen eines „Weibersenats“ (Agnes und Mathilde) vorgeworfen wurde, ließ Heinrich IV. durch seine Agenten überall in Rom verbreiten, in der Hoffnung, damit einen Aufstand gegen den falschen Mönch hervorzurufen.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 7. Februar 2017 19:46

Als diese Hoffnung trog, blieb nur die offizielle Übergabe der Noten. Ein solcher Auftrag war lebensgefährlich. So wie man Boten für schlechte Nachrichten bestrafte, so galt auch die Unverletzlichkeit von Gesandten wenig, wenn ihre Botschaften als beleidigend empfunden wurden. Als zum Beispiel Otto der Große dem Kalifen von Cordoba die Vorzüge der christlichen Religion gegenüber der islamischen in einem Brief darlegte, suchte er einen Boten, der bereit war, zum Märtyrer zu werden.

Heinrich IV. fand nun für eine hohe Belohnung zwei Freiwillige: Ein Priester namens Roland und ein niederer Ritter waren bereit, den schweren Gang zu wagen. Auf der Fastensynode des Februars 1076 wandte sich Roland todesmutig an die versammelten Kardinäle Roms und forderte sie auf, Gesandte über die Alpen zu schicken, um aus der Hand des Königs einen neuen Papst zu empfangen. „Denn dieser hier“, rief er und zeigte auf Gregor, „ist kein Papst, sondern ein Wolf!“

Der Sturm der Entrüstung, der darauf losbrach, war selbst für die wegen ihres Temperaments berüchtigten Römer ungewöhnlich, und die beiden Gesandten wären Glied für Glied zerstückelt worden, wenn nicht Gregor sich in das Getümmel gestürzt und sie gerettet hätte. Das war beherzt und wohl berechnet: denn nichts hätte ihm weniger ins Konzept gepasst, als durch den Mord an Gesandten seine Rolle als Rächer der Kirche zu verspielen. Außerdem sollte alle Welt erfahren, wie sehr er das Liebt-Eure-Feinde auch gegenüber seinen bösesten Widersachern beherzigte. Dass er die beiden Boten tags darauf in den Kerker werfen und foltern ließ, erfuhren nur wenige.

Auf das Problem der Investitur von Bischöfen ging der König in seinen Briefen gar nicht ein. Es ging ums Wesentliche, den Anspruch der beiden Gewalten und um die Ordnung in der christlichen Welt.

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Im Grunde war Gregor VII. froh über die Briefe, die er nun vor der Versammlung – unter ihnen befand sich auch Heinrichs Mutter Agnes - verlesen ließ. Ihre Maßlosigkeit in Form und Inhalt machten ihn vor aller Welt zum Opfer. Er konnte nun zu einem Gegenschlag ausholen, der in Europa wie eine Naturkatastrophe wirkte: Er tat den König in den Bann! Sein Verdammungsurteil kleidete er in Form eines Gebetes an Petrus:

„Heiliger Petrus, ... weil Du es gewollt hast, ist mir Gottes Vollmacht gegeben., zu binden und zu lösen im Himmel und auf Erden. Darum untersage ich nun in solcher Zuversicht, zur Verteidigung Deiner Kirche, dem König Heinrich, das Reich der Deutschen und das Italiens zu regieren, und befreie alle Christen vom Eid, den sie ihm geleistet, und verbiete, dass ihm irgendeiner noch diene. Von Deiner Kirche hat er sich abgewandt und will sie zerspalten. Du bist Petrus, Du bist der Felsen, auf dem der Sohn des lebendigen Gottes seine Kirche gebaut hat. In Deinem Namen schlage ich ihn vor allen Völkern in die Fessel des Bannes.“

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Dies war noch nicht dagewesen. Päpste waren vom König/Kaiser abgesetzt worden, aber nicht umgekehrt. „Als die Kunde von der Bannung des Königs an die Ohren des Volkes drang“, so schrieb der Kardinal von Sutri auf, „erzitterte unser ganzer römischer Erdkreis“ (orbis Romanus). Doch genau genommen hatte Gregor VII. den König nur gebannt, jedoch noch nicht abgesetzt, es gab also noch ein kleines politisches Hintertürchen. Heinrich IV. reagierte, indem er seinerseits den Papst durch Bischof Wilhelm von Utrecht exkommunizieren ließ. Trotzdem brach seine Position in Windeseile in sich zusammen.

Im plötzlichen Tod des Wilhelm von Utrecht, der den Papst öffentlich verflucht hatte, und in der Zerstörung seiner Kirche durch einen Blitz sah man ein Zeichen des Himmels. Man munkelte, der Bischof sei von Gott mit einer schweren Krankheit beschlagen worden und an seinem Krankenlager habe man böse Geister gesehen, bereit dazu, ihn fortzuschleppen. Nach seinem Tod sei Wilhelm dem Abt von Cluny erschienen und habe ihm versichert, dass er nun für immer tot und in der Hölle begraben sei. Das war ein klarer Wink Gottes! Noch dazu häuften sich solche Unfälle. Udo von Trier starb an einem Schwächeanfall. Bischof Eppo von Zeitz war bei einem Ritt im Bistum Würzburg von seinem Pferd gefallen und in einem seichten Bach ertrunken. Man sagte, der Heilige Kilian habe dies veranlasst, weil er wollte, dass dieser Bischof endlich wieder Wasser trinke und nicht immer nur Wein.

An Pfingsten wollte er in Worms Gericht über Gregor halten, doch die Versammlung scheiterte, einige Bischöfe verließen die Versammlung. Geschickt hatte der Papst den deutschen Bischöfen eine Möglichkeit zur Umkehr gelassen, die von vielen genutzt wurde. Es bildeten sich drei Fraktionen – ausgesprochene Anhänger des Papstes (darunter weltliche Fürsten, die mit Heinrich abrechnen wollten) auf der einen und des Königs (unter Siegfried von Mainz, der sich aber bald vom König distanzierte ) auf der anderen Seite sowie eine relativ große Gruppe (unter Udo von Trier), die einen Ausgleich herbeiführen wollte. Voraussetzung dafür war aber, dass Heinrich IV. vom Bann gelöst wurde. Was eine Exkommunikation oder auch eine Suspendierung durch den Papst bedeutete, das war jedem von ihnen geläufig. Aber ihre Nichtanerkennung Gregors VII. lief ins Leere, denn ihr fehlte jedes rechtliche Fundament. Außerdem bestand keine Möglichkeit, sie uz exekutieren. Der päpstliche Bann dagegen beruhte auf dem Kirchenrecht. Schlagartig stand jeder einzelne der Reichsbischöfe in Gefahr, seine Legitimation zu verlieren und selbst die Einheit von Kirche und Reich zu zerstören. Das trieb die Bischöfe um – und in dieser Streitfrage weg von der Seite des Königs. Peinlich begannen die meisten von ihnen, den Anordnungen aus Rom wieder Folge zu leisten.

Die Feinde Heinrichs im Reich gewannen rasch an Boden: Der sächsische Aufstand flackerte wieder auf und die süddeutschen Herzöge bezogen im September in Ulm Stellung gegen Heinrich. Dort saßen jene sächsischen und süddeutschen Fürsten einträchtig zusammen, die sich zuvor noch blutige Schlachten geliefert hatten. Gemeinsam berieten sie bereits über die Wahl eines neuen, „besseren“ Königs – einem, der ihre Sonderinteressen zu berücksichtigen verstand. Für Heinrich IV. war das der Versuch, das Reich umzustürzen. Ihren Hass gegen den König würden sie durch einen „neuen Begriff der Religion“ bemänteln.

Für die Sachsen war Heinrich IV. ein Tyrann, ein ungerechter Herrscher. Auch die anderen mächtigen Fürsten, die nun zusammentraten, erkannten, dass der König seinem autokratischen Stil nicht geändert hatte. Mitte September 1076 trafen sich die, „die wegen der Notlage des Reiches in Sorge waren“ in Ulm. Hatte das Reich überhaupt noch einen König, dem Treue zu bewahren war? Der Eid war bis dahin die unumstößliche und verpflichtende Klammer der Reichsgemeinschaft gewesen und war nicht einseitig aufhebbar. Der Eidbruch war eine der schlimmsten Sünden an der Gemeinschaft, der Eid war wie ein Sakrament. Gregor VII. argumentierte nun schließlich dagegen, der Eid sei hinfällig gegenüber demjenigen, der sich Gott und dem Papst widersetzte. Für die Reichsfürsten blieb es trotzdem bei dem Problem: Sie waren vom Papst nicht ohne die Schande des Meineids vom Eidschwur gelöst worden, denn dem Verletzen des Treueversprechens folgte unweigerlich der Eidbruch und somit der Meineid. Die Legaten der Kirche hielten dagegen: „Meineid bedeutet zu schwören, was man nicht schwören darf“. Das bedeutete, dass es bei einem tyrannischen Herrscher, der die Gerechtigkeit und den Frieden zunichte mache, sogar eine Pflicht sei, einen anderen zum König zu erheben. Es war der Zwang, sich dem Guten zu jeder Zeit durch einen Eid zu verpflichten. Schon eine neutrale Haltung sei da eine Sünde und Gefahr für das Seelenheil. Was das Gute war, das wollten natürlich die Reformer in der Kirche bestimmen. Es war eine Art von Moralisierung des politischen Handelns.

Im Oktober des Jahres 1076 standen sich die Gegner bewaffnet gegenüber. In Trebur sammelten sich die Feinde des Königs mit den päpstlichen Legaten Patriarch Sigehard von Aquileja und Bischof Altmann von Passau an der Spitze. Auf der anderen Rheinseite hatte Heinrich IV. seine Zelte aufgeschlagen. Doch es kam nicht zum Kampf, vielmehr wurden Verhandlungen aufgenommen, die am 1. November zu einem Ausgleich führten: Die Gegner des Saliers verzichteten auf die Wahl eines anderen Königs, während Heinrich IV. erklären musste, zum Gehorsam gegenüber dem Papst und zur Genugtuung bereit zu sein. Der König rückte also von seiner einstigen Position ab, nach der Gregor VII. als Papst abgesetzt war, und signalisierte deutlich Kompromissbereitschaft. Das waren Versprechungen, die man halten konnte oder auch nicht.

Heinrich ließ den Papst aber auffordern, sich zu den Anklagen gegen sich zu äußern. Nach wie vor war Heinrich jedoch exkommuniziert und damit nach zeitgenössischer Auffassung unfähig zur Herrschaft, da seinen Untertanen der Umgang mit ihm untersagt war. Die Fürsten forderten daher, dass er sich bis zum Februar 1077 vom Bann lösen müsse. Anderenfalls würden sie ihn nicht mehr als König anerkennen. Zugleich luden sie den Papst ein, zur Entscheidung des Streites nach Deutschland zu kommen. Die Verhältnisse zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt hatten sich damit seit Sutri 1046 in ihr Gegenteil verkehrt: Nicht mehr der König richtete über drei Päpste, sondern der Papst sollte über die Absetzung des Königs entscheiden.

Heinrich IV. wollte dies natürlich verhindern, aber Gregor VII. lehnte den Wunsch des Königs ab, ihn in Rom zu empfangen und nach seiner Bußleistung vom Bann zu lösen. Vielmehr brach der Papst nach Norden auf, um bis Anfang Februar 1077 Augsburg zu erreichen, wo er über den König Gericht halten wollte. Heinrich sah die drohende Absetzung – mindestens aber das Verbot der Investitur - auf sich zukommen und griff deshalb zu einem verzweifelten Mittel. Er zog dem Papst nach Italien entgegen – doch nicht durch die Macht des Kriegers, sondern durch die Demut des Büßers wollte der König den Papst zwingen. Heinrichs Aufbruch kam sehr plötzlich, damit er nicht verhindert werden konnte. Noch vor Weihnachten brach er mit kleinem Gefolge auf. Heinrich nahm seinen zweijährigen Thronfolger Konrad mit auf die Reise, da er ihn vor einer Entführung nicht gut genug geschützt glaubte. Bertha, die Königin, die er einst als Frau verstoßen wollte, wurde ihm jetzt zur Gefährtin, die alle Gefahren klaglos mit ihm teilte.

Da die meisten Pässe durch Gegner gesperrt waren, reiste er durch das Gebiet seiner Schwiegermutter, Mathilde von Turin. Bei Genf setzten sie über die Rhone und begaben sich zu ihr nach Savoyen. Sie hielt den noch offenen Pass über den Mont Cenis, die freie Überquerung ließ sie sich mit fünf an ihr Gebiet grenzende Bistümer bezahlen. Heinrich IV. machte sich in dem strengen Winter an die gefahrvolle Strecke durch die Alpen. In der Lombardei strömten ihm Anhänger zu, in der Erwartung, dass er nun den Papst in seine Schranken verweisen werde. Dies glaubte auch der Papst, der auf dem Weg ins Reich war, und zog sich deshalb zurück auf die Burg Canossa seiner Ratgeberin Mathilde von Tuszien. Mit ihr führte Heinrich IV. Vorgespräche, bis er am 25. Januar 1077, dem Tag, an dem laut Kirchenkalender Saulus zum Paulus wurde, barfüßig im Büßergewand vor der Burg bei eiskaltem Wetter auftauchte.

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Dort kniete er in bestimmten Abständen nieder, warf sich der Länge nach auf den schneebedeckten Boden, die Arme in Kreuzesform ausgestreckt, sprach die vorgegebenen Gebete. Man darf es nicht als Kapitulation verstehen, denn im Mittelalter galt es nicht als Schande, sich einer Buße zu unterziehen. Seine Sünden büßte man nicht vor dem Priester, sondern vor seinem Gott, und vor dem waren alle gleich. Gregor VII. beobachtete Heinrich die ganze Zeit von einem verborgenen Fenster aus. Es war eine moralische Erpressung, die sein Gegner da draußen inszenierte. Für den Papst ein Dilemma: Befreite er ihn vom Bann, verriete er die deutschen Fürsten, denen er zugesagt hatte, den Gebannten nicht ohne Rücksprache mit ihnen loszusprechen. Verweigerte er die Absolution, versündigte er sich gegen seine priesterliche Pflicht, barmherzig zu sein. Schon warfen ihm Anwesende vor, dass nicht der Ernst apostolischer Strenge, sondern die Grausamkeit tyrannischer Willkür aus ihm spreche. Schweren Herzens entschloss sich Gregor VII. nachzugeben. Unter der Bedingung, dass Heinrich IV. sich in seinem Streit mit den Fürsten nach wie vor dem Richterspruch des Papstes unterwerfe und ihm auf der Reise nach Augsburg Sicherheit gewähre.

Das innere Tor wurde geöffnet. Heinrich, durch Hunger und Fasten geschwächt, warf sich vor Gregor zu Boden, wurde aufgehoben. Die Männer, eben noch hasserfüllt, umarmten sich tränenreich und tauschten den Friedenskuss. In einer Kapelle nahmen sie gemeinsam das Abendmahl, der Papst sprach seinen Segen und erlöste Heinrich IV. und die mit ihm exkommunizierten Bischöfe vom Bann.

Über die Frage, wer in Canossa gesiegt hat, wird bis heute gestritten. Hatte sich hier ein König in schamloser Weise seiner Würde begeben, die Vergebung des Papstes zu erbetteln? Oder war hier ein Meister der Staatsraison am Werk gewesen, der in einem wohlberechneten Akt der Selbstüberwindung das Knie beugte und damit seine Handlungsfreiheit wiedergewann? Die Wahrheit liegt in der Mitte, und sie klingt nur scheinbar paradox: Heinrich hat in Canossa taktisch gesiegt und Gregor hat strategisch triumphiert. Denn der „Sieg“ war nur temporär, der „Triumph“ dagegen auf Dauer. Nach Canossa war die Welt nicht mehr das, was sie vorher war. Für die Idee des sakralen Königtums war Canossa eine schwere Einbuße. Den auch für viele Zeitgenossen unerhörten Anspruch des Papstes, den König bannen zu können, hatte Heinrich IV. grundsätzlich anerkannt. Indem er sich dem Papst als Richter unterwarf, war das wahre Gottesgnadentum aufgegeben worden. So bedeutete dieser Tag einen verhängnisvollen Schritt auf dem Weg der Auflösung des bisherigen Weltbildes vom Zusammenwirken der beiden höchsten Gewalten.

Nach dem Ereignis von Canossa versuchte der Papst, die Position in der Lombardei zu festigen. In Mailand gelang ihm das, in anderen Städten wurden seine Legaten dagegen eingekerkert. Heinrich wollte seine Stellung in Italien verdeutlichen und bat den Papst um Anerkennung als König von Italien, was Gregor VII. verweigerte. Dabei konnte er auf die Gefangennahme seiner Legaten durch Bischöfe verweisen. Heinrich IV. hielt sich nicht länger auf, sondern zog ins Reich zurück. Dort hatten sich seine Gegner geeinigt, sich bei einer Versammlung am 13. März in Forchheim zu treffen. Dort versammelten sich süddeutsche und sächsische Fürsten sowie diverse Bischöfe. Die unter ihnen befindlichen beiden Legaten des Papstes in Deutschland sollten bis zum Eintreffen des Papstes eine Neuwahl verhindern.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 10. Februar 2017 15:53

4. Der Gegenkönig

Für die Fürsten in Deutschland war Canossa ein Schock. Denn für sie war dadurch nichts geregelt. Sie wollten eine Klärung des Verhältnisses zwischen König und Reich, zwischen Königsautorität und fürstlicher Mitwirkung. Von Canossa waren sie enttäuscht, dem Papst nahmen sie seinen „Alleingang“ übel. Aus einsamer Höhe hatten König und Papst beide ihre Entscheidungen getroffen und ihre Angelegenheit geregelt. Die Fürsten und Bischöfe und damit das kollegiale Prinzip blieben davon ausgeschlossen. Vor allem war damit nichts über die Sache der Königsherrschaft entschieden.

Man verabredete sich für den 13. März 1077 in Forchheim. Neben den Fürsten wurden auch Gregor und Heinrich eingeladen, die natürlich nicht anwesend waren. Der Papst ließ sich aber durch Legaten vertreten. Die Versammlung in Forchheim entwickelte sich zu einer Schicksalsveranstaltung des Reichs. Sicherheitshalber hatte man schon eine neue Krone mitgebracht. Der Druck der Fürsten wurde so stark, das sich eine Neuwahl nicht unterbinden ließ. Es wurde ein regelrechtes Absetzungsverfahren eingeleitet, weil es unklar war, ob Heinrich IV. noch als abgesetzt zu gelten hatte. Nach schwierigen getrennten Beratungen wurde am 15. März 1077 Herzog Rudolf von Rheinfelden in der Pfalz Forchheim, in der bereits 911 eine Königswahl stattgefunden hatte, zum König erhoben. Der Erzbischof Siegfried von Mainz gab bei der Kur die erste Stimme ab, die anderen folgten und huldigten dem Gewählten, der sich verpflichten musste, die Bischöfe ohne Simonie einzusetzen und für die Thronfolge das Prinzip der freien Wahl anzuerkennen. Als wesentliches Auswahlkriterium wurde dabei nach den Erfahrungen mit Heinrich IV. die Idoneität des Kandidaten, also seine Eignung für das Amt, genannt. Dies war ein Schlag der Partikularkräfte gegen die Designationspolitik der herrschenden Familien, die zur Erbfolge im Amt geführt hatte. Man wollte zurück zum Recht der freien Wahl.

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Die Wahl auf Rudolf, dem Herzog von Schwaben, dürfte nicht nur wegen seiner aufgeschlossenen Haltung zur Reform gefallen sein. Er stammte über einige Generationen hinweg aus dem Haus der Könige von Burgund und war auch der Herrscherfamilie der Salier verwandtschaftlich verbunden. Rudolf hatte zunächst Mathilde, die Schwester des Königs geheiratet und nach deren frühen Tod Adelheid, die Schwester der Königin Bertha. Als Schwager des Königs konnte er als vornehmer Fürst des Reiches und als geeigneter Nachfolger Heinrichs IV. gelten. Aber der dachte nicht daran, abzutreten, und setzte die Herzöge seinerseits ab.

Mit der Wahl des Gegenkönigs brach endgültig ein offener Bruderkrieg aus, der von allen Großen des Reichs eine klare Stellungnahme erzwang. Rudolf hatte sich immerhin als glänzender Feldherr in den Kriegen der letzten Jahre ausgezeichnet. Man konnte darauf bauen, dass man mit ihm einen Sieg erringen konnte. Parteiungen entstanden, die sich blutig bekämpften. Weite Landstriche wurden erheblich in Mitleidenschaft gezogen.

Gregor VII. neigte natürlich dem Gegenkönig mehr zu. Nicht nur, weil Rudolf nun der Rivale seines Feindes Heinrich war. Rudolf von Rheinfelden sympathisierte auch mit den Reformern der Kirche. Ihm bescheinigte der Papst, zwischen „Gut und Böse“ unterscheiden zu können. So gab es nun im Reich seit dem März 1077 zwei Könige, Heinrich IV. und Rudolf von Rheinfelden. Canossa hatte keine Klärung gebracht.

Bevor es überhaupt zur ersten Schlacht kam, erlitt Rudolf bereits eine Niederlage: Schon seine beabsichtige Krönung in Mainz misslang, weil die Mainzer Bürger, die treu zu Heinrich IV. hielten, vor Rudolf die Tore schlossen. Der Gegenkönig war ebenso wie der mit ihm reitende Mainzer Erzbischof Siegfried gezwungen, abzuziehen.

Heinrich IV. ging zunächst auf politischem Wege zur Gegenwehr über. Auf einem Hoftag setzte er mehrere abtrünnige Fürsten, darunter natürlich Rudolf, als Hochverräter ab und entzog ihnen ihre Herzogtümer. Da der König keine tatsächliche Verfügungsgewalt über die Herzogtümer hatte – die Empörer hielten ihre Ländereien ja weiterhin – blieb die Frage, wer an der Stelle der Verräter die Titel erhalten solle, zunächst offen. Erst am Ende des Jahres 1077 kam es bei Zürich zum ersten großen Aufeinandertreffen der beiden Kontrahenten Heinrich und Rudolf.

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Rudolf von Rheinfelden kommandierte den rechten Flügel seines Heeres und stand hier dem König mit seinem linken Flügel direkt gegenüber. Der Gegenkönig hatte das defensiv günstige Gelände auf seiner Seite, Heinrich dafür die doppelte Zahl an Truppen für seinen Angriff zur Verfügung. Nur bei den schweren Rittern gab es ein Kräftegleichgewicht.

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Die Schlacht verlief schnell ungünstig für Rudolfs Seite, denn sein Zentrum wurde geschlagen und Berengars Männer vom Feld vertrieben. Die Wucht von Heinrichs eintausend Bogenschützen war zu groß, auch Rudolfs Flanke hatte dem Beschuss zu wenig entgegen zu setzen. Mitte Januar 1078 musste sich der Gegenkönig zurückziehen und sein Heil im Marsch nach Nordosten suchen.

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Im März 1078, ein Jahr nach der Wahl von Forchheim, war Rudolf auf sein schwäbisches Herzogtum zurückgeworfen und wurde ein weiteres Mal von Heinrich IV. bei Zweifalten geschlagen. Das salische Heer belagerte nun Ulm und Tübingen, während Rudolf sich weiter nach Thüringen zurückzog in der Hoffnung, weitere Unterstützung durch die sächsischen Fürsten zu gewinnen.

Aber selbst aus Rom kam keine eindeutige Unterstützung, obwohl Rudolf dem Papst Gehorsam gelobt hatte und sogar seinen Sohn als Geisel anbot. Wenn er und seine Anhänger erwartet hatten, Gregor VII. werde sie massiv unterstützen, so hatten sie sich getäuscht. Gregor erkannte Rudolf nämlich nicht ausdrücklich an und taktierte zwischen ihm und dem Salier, die sich beide um ihn bemühten. Die Stellung als Schiedsrichter entsprach genau seinen Vorstellungen von der politischen Rolle des Apostolischen Stuhls: Die weltliche Gewalt sollte der geistlichen vollständig untergeordnet sein. Deshalb war es nicht im Sinne Gregors, dass Rudolf in Forchheim von den Fürsten gewählt worden war – sozusagen eine Erhebung „von unten“. Das entsprach nicht dem hierarchischen Prinzip des Heiligen Vaters. Auf Dauer konnte Gregor VII. nicht untätig bleiben.

Auf der Lateransynode 1078 unternahm Gregor dann einen weiteren Schritt gegen die bisherige Stellung des Königtums innerhalb der Kirche. Er erließ unter Androhung der Exkommunikation erstmals ein umfassendes Verbot der Laieninvestitur, das sich vor allem gegen die bisherige Praxis der Bischofserhebung durch einen weltlichen Machthaber richtete. Damit war die Herrschaft insbesondere des deutschen Königs über die Reichskirche in Frage gestellt, und das konnte Heinrich IV. nicht akzeptieren. Doch auch jetzt war der Investiturstreit in dieser Auseinandersetzung nur ein Punkt unter mehreren. Wichtiger war noch immer die Frage, ob der geistlichen oder der weltlichen Gewalt der Vorrang gebührte.

In Süddeutschland nahmen Heinrichs Truppen die belagerten Burgen der Gegner ein. In Ulm, wo der Kampf der Fürsten gegen ihn begonnen hatte, hielt der König Gericht über die süddeutschen Empörer, die geächtet und zum Tod verurteilt wurden. Heinrich IV. zog das Herzogtum Schwaben an sich.

Nach dem Fall von Ulm und Tübingen wollte Heinrich IV. im Reich die Entscheidung erzwingen. Er forderte den Papst ultimativ auf, sich gegen Rudolf und für ihn zu entscheiden. Anderenfalls werde er einen eigenen Papst erheben. Heinrich erreichte damit das Gegenteil: Gregor exkommunizierte ihn erneut, setzte ihn als König ab und löste alle Untertanen vom Treueid gegenüber dem Salier. Außerdem erkannte er jetzt Rudolf von Rheinfelden als deutschen König an. Doch dann überschätzte Gregor VII. ebenfalls seine Kräfte: Am Ostermontag 1079 sagte er während der feierlichen Messe in Sankt Peter den Untergang Heinrichs voraus, wenn dieser nicht bis zum 1. August Buße getan hätte. Der neuerliche Bannfluch, dem man den politischen Anlass deutlich anmerkte, verfehlte seine Wirkung auf Heinrichs Anhängerschaft unter den Bischöfen. Auf einer Synode Ende Juni 1079 in Brixen ließ Heinrich IV. seinen Widersacher wieder absetzen und erhob mit Guiberto nun tatsächlich einen Gegenpapst, der sich Calixt II. nannte.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 12. Februar 2017 10:02

Der 1. August kam, und Heinrich IV. lebte noch immer. Er ließ auch nicht ab von seinem Kampf gegen den Papst, von Buße und Resignation keine Spur. Die Reformer erklärten, Heinrich sei in der Zwischenzeit sehr wohl gestorben. Er habe nämlich mit der von ihm betriebenen Nominierung des Gegenpapstes Calixt ein Götzenbild verehrt. Damit sei Heinrich der ewigen Seelenstrafe verfallen, „denn die Seele, die sündigt, sie stirbt.“ Das klang nicht besonders überzeugend. Auch die militärischen Auseinandersetzungen gingen weiter. Im August 1079 verwüstete Heinrich nach Schwaben nun Thüringen und das östliche Sachsen. Danach zog der Salier wieder Richtung Südwesten. Bei Altdorf trat Rudolf von Rheinfelden ihm zur Schlacht entgegen.

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Heinrich IV. blickte zuversichtlich gegen die Reihen seines Gegners. Als der Morgennebel sich lichtete, nahmen seine Männer die Schlachtaufstellung ein. Viertausend Mann konnte er am heutigen Tag aufbieten. Er selbst saß auf seinem Pferd hinter dem linken Flügel seines Heeres. Bei ihm waren seine Militärbefehlshaber und der Staufer Friedrich. „Nun, Friedrich“, hob der König optimistisch an, „heute wollen wir den kecken Rheinfelder für seinen Hochverrat zur Verantwortung ziehen und seiner Anmaßung ein Ende setzen.“ Der Staufer pflichtete Heinrich bei. Kein Wunder, hatte doch auch er eine Menge zu gewinnen, wenn Rudolfs Herrschaft stürzt. Der König hatte ihm versprochen, ihm nach dem Sieg an der Stelle Rudolfs das Herzogtum von Schwaben zu geben. „Der Tod ist die verdiente Strafe für alle Verräter, die ihre Hand gegen Eure gerechte Herrschaft erheben. Seid gewiss, dass ich Euch heute Banner und Krone dieses Pfaffenkönigs bringen werde.“ Heinrich blickte den Staufer an. „Treuer Friedrich, großzügig soll Eure Belohnung sein, wenn Ihr dies für mich tut. Ich möchte als Euer König die Bitte an Euch richten, dass Ihr mir die rechte Hand meines Feindes bringt.“ Der Staufer blickte den König etwas erstaunt an: „Mein Herr?“. Nicht, dass es Friedrich Überwindung kosten würde, Rudolf dem Tod zu überantworten, um seinen eigenen Aufstieg zu besiegeln. Es war nur ein ungewöhnlicher Wunsch. Heinrich IV. klärte seinen Vasallen auf: „Seine Schwurhand. Mit ihr hat er mir einst seine Gefolgschaft versprochen. Was wird man sagen, wenn man hört, er sei durch ihren Verlust zu seinem verdienten Tode gekommen?“ Friedrich verstand nun. Es konnte beginnen. Mit einem Handzeichen signalisierte der König den Befehlshabern des niederen Adels an den Rändern der Aufstellungen den Befehl zum Angriff auf die Anhöhe, die Rudolf hielt. Standarten wurden geschwenkt, Hörner geblasen. Die Reihen setzen sich bergan in Bewegung.

Auch Rudolfs Männer stürmten nun voran, laut skandierten sie den 83. Psalm: „Gott, bleib nicht still, bleib nicht stumm! Sieh doch, Deine Feinde toben, die Dich hassen, sie erheben ihr Haupt.“ Sie waren sich ihrer guten Sache sicher, sie hielten sich für die Auserwählten des Herrn. Endlich stießen die Reihen aufeinander und, wie Bruno es formuliert, „es begann das schreckliche Morden“. Die Krieger Rudolfs seien überraschend tapfer gewesen, hätten gar erste Erfolge errungen und schon erste Gesänge angestimmt: „Gott, wir loben Dich.“ Der Kampf wogte hin und her. Doch Rudolfs rechter Flügel wurde besiegt. Als diese Männer flüchteten, wurden sie von Bauern mit Äxten und Knüppeln niedergemacht. Und dann kam die Hiobsbotschaft selbst. König Rudolf war tödlich verwundet worden. Ein Hieb hatte ihm im Unterleib getroffen, mit einem anderen war ihm die rechte Hand abgeschlagen worden.

Es war die Schwurhand, mit der Rudolf einst dem König die Treue gelobt hatte. Viele hielten dies für ein Gottesurteil. Dies wog umso schwerer, als sich die Prophezeiung Gregors nicht bewahrheitet hatte. Es konnte kein Zweifel bestehen. Die heilige Maria hatte Heinrich IV. geholfen und Rudolf war als Meineidiger entlarvt. Für Rudolfs Anhänger indes war es ein ganz anderes Zeichen Gottes: Er hatte ihrem König das Martyrium geschenkt.

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Als die Anhänger Rudolfs nach dem Zusammenbruch des Gegenkönigtums dessen Sohn Berthold zum Herzog von Schwaben wählten, setzte Heinrich IV. Friedrich, den Sohn Friedrichs von Büren, ein. Der König ging sogar noch weiter: Er verlobte seine sechsjährige Tochter Agnes mit Friedrich – mehr Anerkennung ging nicht. Mit diesem Ereignis begann der Aufstieg der Staufer.

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Die Leiche des Verräters Rudolfs wurde nach Merseburg überführt, wo sie im Dom ehrenvoll bestattet wurde. Die Grabplatte mit seinem Abbild überdauerte die Zeiten. Es heißt, Heinrich IV. selbst habe die Ruhestätte seines Gegners besucht und dort gesagt: „Mögen alle meine Feinde so ehrenvoll begraben liegen.“

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 14. Februar 2017 07:39

5. Reges geminati, papae geminati

Heinrich IV. konnte jetzt den Gang in die Höhle des Löwen wagen: nach Rom. Zwar stellten seine Widersacher einen zweiten Gegenkönig auf, der war aber schwach. Das Volk gab Hermann von Salm den verächtlichen Namen „König Knoblauch“. Dieser Gegenkönig konnte Heinrich nicht gefährlich werden, der Gegenpapst Gregor umso mehr. Denn Heinrich hatte ja den Erzbischof Guiberto von Ravenna zum Papst Calixt II. wählen lassen. Dieser war eine starke, bei Freund und Feind geachtete Persönlichkeit, wohl imstande, dem unbeliebten Gregor entgegen zu treten. Heinrich gab den Eid ab, dass er sich nur von Calixt II. zum Kaiser krönen lassen werde.

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Da der König auch die untreuen Herzöge abgesetzt und durch Männer seines Vertrauens ersetzt hatte, gab es nun Gegenkönig, Gegenpapst, Gegenherzöge, und die Klage der Augsburger Annalen gab die Stimmung im Land wieder: „Oh Reich, oh herrliches Reich, wie düster ist Dein Antlitz. Alle sind wir gedoppelt. Doppelte Herzöge, doppelte Päpste, doppelte Könige“.

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Heinrich wollte nach dem ersten Gegner nun auch den zweiten schlagen. Im April 1081 überschritt er mit einem Heer die Alpenpässe. Nur die Markgräfin Mathilde von Tuszien, die kurz zuvor ihren gesamten Besitz der römischen Kirche vermacht hatte, konnte den König noch stoppen. Aber ihre Truppen wurden besiegt, sie selbst von Heinrich IV. und einem Fürstengericht geächtet.

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Der König belagerte gemeinsam mit den Lombarden Rom anfangs ergebnislos. Heinrich IV. hoffte insgeheim wohl immer noch auf eine Einigung mit dem Papst – vergebens. Verhandlungen mit den Römern über einen Ausgleich scheiterten ebenfalls, und Gregor VII. verdeutlichte seine unnachgiebige Haltung, indem er Heinrich abermals bannte. Er konnte aber noch nicht mit der Hilfe der Normannen aus dem Süden rechnen, den die waren mit anderen politischen Zielen beschäftigt. Beim Heinrichs dritten Angriff auf Rom im Mai 1082 gelang dem König immerhin die Eroberung der Leostadt mit der Peterskirche.

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Rom war gefallen, der Papst aber befand sich nicht unter den Gefangenen. Er hatte sich hinter die Mauern der Engelsburg geflüchtet und beantwortete jeden Vermittlungsversuch mit einem unbeugsamen „Niemals“. Er sei, so ließ er durch seine Parlamentäre melden, zur Versöhnung erst bereit, wenn der Deutsche öffentlich Buße leiste und sich in aller Form unterwerfe. Eine Haltung, die man halsstarrig oder heroisch nennen konnte, doch angesichts einer fast hoffnungslosen Situation nötigte sie Respekt ab.

Heinrich IV. war gekommen, um sich die Kaiserkrone zu holen. Er hätte sie sich von seinem eigenen Papst aufsetzen lassen können, davor aber scheute er zurück. Gregors Macht über die Seelen war noch groß genug, so dass eine solche Krönung der ganzen christlichen Welt als eine Farce erscheinen musste. Anstatt Calixt II. zu inthronisieren, suchte Heinrich IV. deshalb erneut den Kontakt zu den Römern, um so zu einem Ausgleich zu kommen, dem er wohl auch „seinen“ Papst geopfert hätte. Eine Zeit lang sah es sogar so aus, als ob nun auch Gregor VII. nachgeben würde. Aber die Verhandlungen zogen sich so lange hin, bis Heinrich selbst schließlich das Interesse an einer Einigung verlor.

Denn die Zeit arbeitete für den Salier. Die Zeit und das von den romfeindlichen Byzantinern reichlich gespendete Geld. Mit solcher Hilfe gelang es Heinrichs Agenten, eine Stütze nach der anderen aus der gregorianischen Front herauszubrechen. Allein dreizehn Kardinäle und zahlreiche Adelige gingen in das Lager des Königs über. Das merkte Gregor VII. bei der Synode im November 1082, die unter seiner Leitung zusammentrat. Sie erbrachte nämlich kein Ergebnis. Bezeichnend war, dass es dem Papst nicht einmal mehr gelang, eine neuerliche Exkommunikation des Königs durchzusetzen. Zusehends verlor Gregor im eigenen Lager an Unterstützung.

Besonders aktiv war dabei der Kardinal Hugo von Worms. Er brachte erneut die wüstesten Anschuldigungen gegen Gregor VII. vor, diesmal auch die Behauptung, der Papst habe meuchlerisch den Tod von vier seiner Vorgänger herbeigeführt. Auch die Umstände von Gregors Erhebung wurden wieder aufgetischt und jetzt in noch absurderen Versionen von Gewalt, Betrug und Bestechung verpackt. Die gegenseitigen Anschuldigungen wurden grotesk. An allen Ecken, mochte man meinen, tauchte der Antichrist auf. Bischof Benzo von Alba formulierte, es sei die letzte Zeit vor dem Ende: „Die Welt ist friedhofsreif! Der Antichrist und die Bösen allerorten, angeführt vom Kuttenträger Gregor VII. alias dem Mönch Prandellus, treiben ihr Unwesen.“ Weitere Gerüchte wurden gegen den Papst gestreut: Dieser habe ein heimliches Gottesgericht zwischen seiner Sache und der des Königs veranlasst, eine Wasserprobe. Dabei habe sich gezeigt, dass Gott selbst den Papst schon aufgegeben habe:

Nach dreitägigem Fasten wurde das Wasser für die Probe gesegnet und ein Knabe, der den Kaiser Heinrich IV. repräsentieren sollte, ins Wasser hinabgelassen. Zum Schrecken der Prälaten sank er wie ein Stein. Als dem Papst Gregor VII. davon berichtet wurde, ordnete dieser eine Wiederholung des Versuchs an, der das gleiche Ergebnis hatte. Dann wurde der Knabe als Vertreter des Papstes hineingeworfen und blieb während zweier Versuche an der Oberfläche, trotz aller Versuche, ihn ins Wasser zu tauchen. Allen Beteiligten sei ein Eid abgenommen worden, das unerwartete Ergebnis der Wasserprobe geheim zu halten.

Auch das einfache Volk war es müde geworden, seine Haut für einen Mann zu Markte zu tragen, dessen Ziele längst nicht mehr die eigenen waren, dessen Stern außerdem am Sinken war. Und Verlierer hatte man in Rom schon immer gemieden.

Im Frühjahr 1083 wandte Heinrich IV. sich gegen die wichtigsten Verbündeten des Papstes, die Normannen in Süditalien. Da erreichte ihn die Nachricht, dass Rom ihm die Tore öffnen wolle. Die Römer waren kriegsmüde und von der sturen Haltung Gregors enttäuscht.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 18. Februar 2017 08:58

Heinrich berief eine Synode ein, auf der er den Papst anklagte, der sich weiter in der Engelsburg verschanzt hatte. Er wurde als Majestätsverbrecher verurteilt, abgesetzt und exkommuniziert. Guiberto wurde als nominierter Kandidat zum Papst gewählt und trat als Calixt II. an die Spitze der römischen Kirche. Anschließend nahm der neue Papst die Kaiserkrönung an Heinrich IV. und seiner Frau Bertha vor. Der Salier war auf dem Höhepunkt seiner Macht.

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Nur zwei Monate später, Heinrich hatte gerade die Stadt verlassen, wurde Rom stark zerstört. Die Normannen waren endlich dem Hilferuf des Papstes gefolgt, da ihnen ein starker Kaiser gefährlich werden konnte. Mit 6.000 Reitern und 30.000 Mann Fußvolk nährte sich ihr Heer unter dem Befehl von Robert Guiscard, dem Normannenherzog. Heinrich IV. erhielt die Nachricht vom Anmarsch Guiscards, als er bereits Vorbereitungen zu seiner Rückkehr nach Deutschland ergriffen hatte. Er beschleunigte sie, denn für den Kampf mit den gefährlichen Normannen war er nicht stark genug. So zog er nach Norden, wohl wissend, dass er die Römer einem ungewissen Schicksal auslieferte.

In der Dämmerung des 28. August 1083 drangen des Herzogs Krieger unter dem gellenden Schlachtruf „Guis-caaard!“ durch die Porta Flaminia ein, befreiten den Papst aus der Engelsburg und führten ihn im Triumphzug zum Lateran. Normannen, Langobarden, Griechen, Süditaliener und Sarazenen waren es, ein wüster Haufen von Söldnern, zusammengehalten durch barbarische Strafen und die Aussicht auf Beute. Ein Haufen, den keine Macht der Welt abhalten konnte, die neben Byzanz reichste Stadt der Welt zu plündern. Wer auch immer Rom im Laufe seiner Geschichte blutig heimgesucht hatte, verglichen mit dieser Soldateska waren es Menschenfreunde gewesen.

Gregor sah hilflos und untätig zu, als die geschändeten Frauen und die geblendeten Männer wie Vieh zu den Sklavenmärkten transportiert wurden, ihre gemordeten Kinder, ihre zu Tode gefolterten Eltern in den Trümmern der Häuser zurücklassend. Als die Normannen sich nach dem Blutbad zurückzogen, folgte Gregor VII. ihnen aus Furcht vor der Rache der Römer. Er verließ die ewige Stadt, denn er konnte sich nicht mehr sicher fühlen unter Menschen, die ihn für die Schandtaten verantwortlich machten und ihm mit den Augen des Hasses verfolgten. Der Abzug dieses großen Papstes aus dem zerstörten Rom, im Schwarm von Normannen und Sarazenen, gegen deren Glaubensgenossen er einst das Kreuz gepredigt, von Scharen gefangener Römer und von Beutewagen gefolgt, war ein Drama in dem an Extremen so reichen Leben Gregors.

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Gregor VII. verblieb noch ein Jahr. Er verbrachte es im süditalienischen Salerno, bis zu seinem Ende im Mai 1085 an einem Feldzugsplan arbeitend, der ihn wieder nach Rom bringen sollte. In die Stadt, in der Calixt II. nun herrschte. Die Worte, die Gregor VII. am Ende seines Lebens sprach, waren von schneidender Bitterkeit: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und die Sünde gehasst, darum sterbe ich nun im Exil.“ Und als es ans Sterben ging, vergab er, nach der Sitte der Zeit, allen seinen Feinden, bis auf einem, dem „sogenannten König Heinrich“.

Im Reich hatte die gregorianische Partei immer noch Schwerpunkte in Sachsen und im Südwesten, aber ihre Anhänger waren verunsichert. Die Zeit war reif für eine Einigung, denn die Menschen konnten das Hin und Her nicht länger ertragen, weil ihr Alltag völlig durcheinander war. Denn niemand wusste, ob die Sakramente, die ein Priester spendete, wirklich ihre Gültigkeit hatten. Heinrich IV. wollte die Reichskirche wieder ganz an sich binden und begann mit dem Mainzer Erzbistum, das er an Wezilo übertrug. Als die Gregorianer sich unnachgiebig zeigten, berief der Kaiser Anfang Mai 1085 eine folgenreiche Synode in Mainz ein, auf der in Anwesenheit der Legaten von Calixt II. fünfzehn Bischöfe abgesetzt und exkommuniziert wurden. Heinrich IV. und seine Anhänger kämpften nach dem Tod von Gregor VII. nicht mehr gegen eine Person, sondern gegen die Idee.

Eine weitere wichtige Entscheidung war die Erhebung Wratislaws (Haus Premyslid) von Böhmen zum König, wobei der Titel nicht erblich sein sollte, aber das Prestige des Herrschers erheblich aufgebessert und Böhmen näher an das Reich gezogen wurde.

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Von eminenter Wichtigkeit war aber der Gottesfrieden, der in Mainz verkündet wurde. Hiermit griffen die Bischöfe mit dem Kaiser die Friedenspolitik der Salier wieder auf, die sie schon 1082 mit dem Lütticher und 1083 mit dem Kölner Frieden angeschoben hatten. Dieser neue Frieden sollte für das ganze Königreich gelten und stellte Frauen, Kleriker, Kaufleute und Bauern unter seinen Schutz. Übergriffe wurden nicht nur mit kirchlichen Strafen, sondern auch mit weltlichen Strafen an Vermögen, Leib und Leben geahndet.

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Der König selbst verhielt sich nicht friedlich, sondern versuchte, seine Gegner auszuschalten. Mit einem Sommerfeldzug zwang er den Gegenkönig und seine Anhänger zur Flucht über die Elbe zu den Dänen. Als Heinrich IV. jedoch über den Besitz der Adeligen verfügte, stellten sie sich unter Führung Markgraf Ekbert von Meißen gegen ihn und drängten ihn erfolgreich zurück. In weiteren Kämpfen bei Würzburg und in Thüringen verlor der Kaiser zwar, aber der Gegenkönig blieb ohne jede Bedeutung, so dass man sogar überlegte, ihn durch den Brunonen Ekbert zu ersetzen. Hermann von Salm verzichtete auf sein Königtum und zog sich im Sommer 1088 in seine Heimat zurück, wo er während einer Privatfehde schon am 28. September 1088 starb. Das Gegenkönigtum war erloschen. Heinrich IV. hatte dagegen schon im Vorjahr einen weiteren großen Erfolg errungen: Ende Mai 1087 war sein Sohn Konrad in Aachen zum König gekrönt worden, damit war die Herrschaft der Dynastie gesichert. Allerdings starb Heinrichs Frau Bertha im Dezember 1087, die er in Speyer bestatten ließ. Schon kurze Zeit später verlobte er sich mit Praxedis (im deutschen: Adelheid), der Witwe des Grafen Heinrich von der Nordmark und Tochter des Großfürsten Wsewolod von Kiew. Die Hochzeit fand 1089 statt.