[CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 25. Juli 2017 19:59

Nach dieser Niederlage war klar, dass Saladin die Stadt Jaffa nicht würde halten können. Er verlegte sich auf die Strategie der Verbrannten Erde und ließ Jaffa völlig zerstören, bevor es dem Feind nutzen konnte. Richard brauchte Jaffa aber als Nachschub-Etappe Richtung Jerusalem und verlor zwei Monate Zeit, in der die Stadt von seinen Leuten soweit wieder aufgebaut wurde, dass es als Stützpunkt genutzt werden konnte.

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Das Verhältnis von Saladin und Richard war ungeachtet des Kriegszustands zwischen ihnen von Respekt gekennzeichnet. Sie schickten sich gegenseitig Geschenke und bezeugten die Ehre des anderen. Diese Haltung beschränkte sich natürlich auf ihren königlichen Stand, der normale Soldat im Dienst des einen oder anderen durfte kaum auf die Gnade seines Gegners hoffen (es sei denn, dass für einen Gefangenen ein ordentliches Lösegeld winkte). Für die beiden Herrscher galt: Je ehrenvoller der Gegner, desto mehr Ruhm für den Sieger.

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Wie auch immer, Richard betrachtete die Lage, in der sich „sein“ Kreuzzug befand. Er erkannte, dass der Krieg gegen Saladin nicht zu gewinnen war. Das Reich des Sultans war zu groß, seine Ressourcen waren unbegrenzt, während das Kreuzfahrerheer nur eine kleine, wenn auch schlagkräftige Streitmacht darstellte, die bislang nur einige Stützpunkte an der Küste erobert hatte.

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Jerusalem lag in weiter Ferne: nicht im geografischen Sinne, aber militärisch. Die Voraussetzungen, es zu belagern oder gar zu erobern, waren gänzlich anders, als das in Akkon der Fall gewesen war. In Akkon waren Nachschub und Ausrüstung über das Meer zu beschaffen gewesen. Jerusalem lag im Inneren des Landes, und das bedeutete, dass nicht nur Belagerungsmaschinen mühsam würden herangeschafft werden müssen, die Sarazenen konnten auch, wenn das Kreuzfahrerheer Jerusalem berannte, den Verbindungsweg abschneiden. Richard zögerte und zog es vor, Verhandlungen zu führen.

Gegenüber dem muslimischen Verhandlungsführer (Saladins Bruder) erklärte Richard, beide Seiten seien am Ende, das Land zerstört. Man müsse über Jerusalem und die Rückgabe des Heiligen Kreuzes eine Übereinkunft finden. Saladin las Richards Brief und antwortete, Jerusalem sei 1099 nur aufgrund einer zeitweisen Schwäche der islamischen Gemeinschaft von den Christen erobert worden. Beim Heiligen Kreuz zeigte er Verhandlungsbereitschaft: Der einzige Grund, weshalb er noch nicht zerstört habe, bestünde darin, dass er womöglich einen größeren Nutzen für den Islam daraus ziehen könne. Richard konterte mit einem ungewöhnlichen Angebot: Er bot seine Schwester, die Witwe von Sizilien, als Ehefrau für Saladins Bruder an. Diese Ehe sollte die Grundlage für einen Kompromissfrieden mit einem muslimisch-christlichen Königreich Jerusalem bilden. Saladin war erstaunt über diesen Vorschlag und nicht einmal abgeneigt, mochte aber nicht an seine Ernsthaftigkeit glauben.

Richard erkannte wohl, dass seine militärischen Triumphe nicht anhalten würden. Jerusalem einzunehmen, was das eigentliche Ziel des Kreuzzugs war, erschien eher unwahrscheinlich. Hinzu kam, dass seine lange Abwesenheit von England seine Position in der Heimat schwächen würde. Nicht nur der französische König lauerte auf eine Gelegenheit, sich einen Vorteil zu verschaffen, auch Richards Bruder John war ein Risiko, er hatte es zweifellos auf Richards Thron abgesehen. Für Richard war ein halber Sieg im Heiligen Land besser, als alles zu verlieren. Na ja, Johanna war kaum erfreut über die Aussicht, in einem Harem zu landen – und die Sache musste im Sande verlaufen. Die Chroniken über den Kreuzzug schweigen sich peinlich berührt über diese Episode aus. Was also blieb Richard, als den Marsch auf Jerusalem anzupacken?

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Am 31. Oktober 1191 brach das christliche Heer auf. Saladin zog sich nach Jerusalem zurück und richtete sich auf die Belagerung ein. Natürlich griff er wieder zum Mittel der Störangriffe auf das marschierende Heer und verwüstete die Gegend zwischen Jaffa und Jerusalem. Winterwetter tat sein übriges, den Kreuzrittern das Leben schwer zu machen. Aber schließlich standen sie im Januar wenige Kilometer vor Jerusalem. Doch der Befehl zum Angriff wurde nicht gegeben. Zu riskant war die Belagerung, selbst bei einem Sieg konnte man kaum damit rechnen, eine ausreichend starke Garnison hinterlassen zu können. Richard entschied zur großen Enttäuschung seiner Männer: Rückzug nach Jaffa und abwarten, bis die Küstenregion besser gesichert ist.

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Als Ostern 1192 vorbei war und das Wetter besser wurde, kam ein Bote aus England, und er hatte beunruhigende Nachrichten für den König: Sein Kanzler berichtete in dem Schreiben, dass die königlichen Statthalter bei Unruhen aus vielen englischen Burgen vertrieben worden seien. Nutznießer der Ereignisse war eindeutig Richards Bruder John. Der Kanzler selbst war aus England geflüchtet und musste gestehen, dass ihm die Mittel für einen Gegenschlag fehlten, weil die königlichen Schatzkammern fast leer seien. Unter diesen Umständen stand für Richard fest, dass er zügig nach England zurückkehren muss.

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Noch einmal analysierte er die Bilanz des Kreuzzugs. Jerusalem lag in weiter Ferne. Das Lager der Christen im Heiligen Land war gespalten zwischen den Anhängern von Konrad und Guy, die beide gleichwohl auf die Krone von Jerusalem pochten. Und waren da noch die verfeindeten Händler von Genua und Pisa. Richard war klar, dass er die einzige allgemein anerkannte Autorität war. Wenn er abreist, würde ein Machtvakuum entstehen, in dem die Christen übereinander herfallen und Saladin der lachende Dritte sein würde. Richard ließ Guy, der sich sowieso nur dank seiner Unterstützung halten konnte, fallen. Außerdem hatte Richard inzwischen wohl selbst erkannt, dass Guy ein ebenso unfähiger wie intriganter Mistkerl war. Konrad von Montferrat sollte nun König von Jerusalem werden.

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Daraus wurde plötzlich nichts: Attentäter der Assassinen überfielen Konrad während einer Ritts nach Tyrus und erstachen ihn. „Der Markgraf fiel sterbend vom Pferd. Einer der Mörder wurde sogleich enthauptet. Der andere flüchtete in eine Kirche, doch holte man ihn heraus und verurteilte ihn, durch die Stadt geschleift zu werden, bis er starb und den Geist aufgab, der eines so großen Verrats schuldig war.“ (die Assassinen standen nicht in Saladins Diensten, es war eine schiitische Sekte, die sich hauptsächlich gegen sunnitische Würdenträger)

Wieder musste Richard entscheiden, wer König von Jerusalem werden solle. Die Wahl fiel auf den Grafen Henri von Champagne, einen Neffen Richards wie auch Philipps, des französischen Königs, der sich als fähiger Befehlshaber vor Akkon ausgezeichnet hatte. Um ihn zu legitimieren, musste erneut Isabella herhalten – die war nach Konrads Ermordung ja praktischerweise Witwe. Gefragt wurde sie nicht, die Hochzeit ging innerhalb einer Woche nach dem Attentat über die Bühne. Die Auswahl von Henri war eine kluge: Er sollte sich später als umsichtig und fähig erweisen und das Königreich Jerusalem stabilisieren.

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Bevor er abreisen würde, wollte Richard es doch noch einmal mit Jerusalem versuchen. Er konnte wohl nicht aus seiner Haut. Dieser Vormarsch begann am 6. Juni 1192 und verlief ohne Verluste. Saladin richtete sich erneut auf eine Belagerung ein und ließ die Wasserquellen um die Stadt unbrauchbar machen. Dieses Mal war es Sommer, also war Wasser eine essentielle Ressource für das Kreuzfahrerheer. Als die Christen nun das zweite Mal bis Jerusalem zogen, konnte König Richard einen ersten und einzigen Blick auf die Heilige Stadt werfen. Wieder musste er erkennen, dass eine Belagerung keinen Erfolg haben würde, auch wenn die Franzosen in seinem Heer so kurz vor dem ersehnten Ziel nicht aufstecken wollten. Richard erklärte ihnen kurz und knapp: „Die Quellen in dieser Gegend sind vergiftet worden. Was sollen wir trinken?“

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Das Argument des Königs war entscheidend. Am 4. Juli 1192, nach vier Wochen des Lagerns vor den Mauern Jerusalems, zogen die Kreuzritter wieder ab. Diesmal endgültig. Richard musste sich dringend um seinen Thron in England kümmern. Es galt nur noch, einen ehrenhaften Frieden auszuhandeln. Saladin verhandelte hart, er musste es tun. Den Christen durften nicht zu viele Stützpunkte bleiben, von denen aus sie später Ägypten bedrohen könnten. Denn Saladin machte sich keine Illusionen, dass die Kreuzritter auf Dauer keinen Frieden halten würden. Und was würde passieren, wenn er, Saladin, stirbt und die Einheit der Muslime dann zerbricht? Beide Seiten versuchten, sich vor einem Friedensschluss in eine günstige Position zu bringen. Das war damals nicht anders als heute. Richard nahm Beirut ins Visier, Saladin marschierte gegen Jaffa.

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Von der letzten Schlacht, die in dieser Phase geführt wurde, gibt es noch eine erwähnenswerte Geschichte. Wie so oft, stürzte sich König Richard höchstpersönlich in den Kampf, wobei das Pferd unter ihm getötet wurde. Tapfer kämpfte er zu Fuß mit seinen Mitstreitern weiter. Da überquerte auf Anweisung Saladins ein Unterhändler das Schlachtfeld, um Richard ein neues, edles Pferd zu übergeben. Es ziemte sich nicht, wenn eine hochgestellte Persönlichkeit, noch dazu der Anführer eines Heeres, zu Fuß wie ein gemeiner Soldat kämpfte. Richard nahm das Geschenk, Ausdruck höfischer Etikette, an und zahlte es Saladin später großzügig zurück. Diese letzte Schlacht endete noch einmal mit einem Sieg der Christen, sie änderte aber nichts an den bestehenden Kräfteverhältnissen: Die Kreuzfahrer beherrschten die Küste, die Muslime das Hinterland.

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Im Frieden vom 3. September 1192 erkannten beide Seiten dieses Patt an und schlossen einen Waffenstillstand für die Dauer von drei Jahren und acht Monaten. Den Franken wurde der Gebietsstreifen von Jaffa über Akkon bis Tyrus zuerkannt, dazu erhielten sie Tripolis und Antiochia. Im Gegenzug mussten sie Askalon räumen. Der verschlagene Guy, einst über seine Ehe mit Sybille der König von Jerusalem, fand übrigens sein Auskommen: König Richard sorgte dafür, dass er das von Isaak eroberte Zypern erhielt. Diese Anekdote hätte jedoch nicht zum Ende des Films Königreich der Himmel gepasst, fürchte ich.

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Was Jerusalem betraf, wurde den christlichen Pilgern und Händlern der freie Zugang versprochen. Und Saladin zeigte sich immerhin geneigt, dort den Pilgern auch das Heilige Kreuz zu zeigen, das er in der Schlacht von Hattin erobert hatte. Die Pilger durften es küssen, aber zurück erlangten sie es nicht. Es ist nicht einmal sicher, ob in Jerusalem das echte Kreuz ausgestellt wurde: Es heißt, dass Saladin es dem Kalifen nach Bagdad übersandte, und der habe es angeblich als Türschwelle im Zugang einer Moschee verwendet. Fest steht, dass die Christen das Kreuz nie wiedererlangten. Obwohl es auch später Gegenstand von Verhandlungen war, konnte man es nicht mehr auffinden. Das Heilige Kreuz, das zum Symbol des Königreiches von Jerusalem geworden war, blieb verschollen.

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… und wie ging es weiter?

In Syrien konnte Saladin nach dem Waffenstillstand von 1192 seine Heerführer heimschicken und wollte nun eine Pilgerfahrt nach Mekka antreten. Es war ihm heilige Pflicht und ein Bedürfnis, denn er wollte Allah für die Verteidigung Jerusalems danken. Den Winter 1192 gedachte Saladin in Damaskus zu verbringen, um im Frühjahr zur Hadsch aufzubrechen. Aber bald befiel ihn eine Krankheit (welche, ist unbekannt). Saladin starb am 3. März 1193 im Alter von 55 Jahren. Es scheint, dass das entbehrungsreiche Leben, zu dem die endlose Folge von Kriegen ihn zwang, den Sultan, der zudem durch Malaria-Anfälle geschwächt war, derart entkräftet hatte, dass er nach Ausbruch der akuten Krankheit innerhalb von zwei Wochen starb. Er war so bedürfnislos und rechtschaffen gewesen, dass er bei seinem Tode nicht einmal über die Mittel verfügte, um damit ein ordnungsgemäßes Begräbnis zu gewährleisten. Getreue halfen mit dem Nötigen aus, und so wurde Saladin in einem bescheidenen Pavillon beigesetzt.

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Und Löwenherz? Richard trat die Heimreise nach England an, aber er kam nicht ohne weiteres dort an. Weil ihm der französische König Philippe II. und der deutsche Kaiser Heinrich VI. nicht wohlgesonnen waren, wählte er eine Route über Aquileia und Böhmen. Mit wenigen Getreuen um sich und inkognito, um kein Aufsehen zu erregen. Richard überstand mit Mut ein Zusammentreffen mit Piraten vor Korfu, aber in Österreich ging er einem Bekannten am 20. Dezember 1192 in die Fänge – dem Babenberger Herzog Leopold. Wer erinnert sich? Das war derjenige, dessen Banner Richards Leute in den Dreck geworfen hatten, als dieser in Akkon einen Teil der Beute für sich gefordert hatte. Herzog Leopold lieferte den königlichen Gefangenen an seinen Lehnsherrn, Kaiser Heinrich VI., aus, der ihn auf der Burg Trifels in der Pfalz einsperren ließ (Trifels erscheint in CK2, wenn man neben Kaiserslautern eine zweite Burg in der Pfalz baut).

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Heinrich VI. war wie Richard ehrgeizig, kühn und tatkräftig. Aber der Staufer war zudem brutal und skrupellos, kühl berechnend und von einer Vision beseelt, die auf eine Weltherrschaft seines Geschlechts abzielte. Ein königlicher Gefangener war eine fette Beute, und das machte Heinrich daraus. Er forderte ein Lösegeld von astronomischen 150.000 Mark Silber. Das war keine Währung, sondern eine Gewichtseinheit, und zwar 234 Gramm je Mark. Das Lösegeld betrug also rund 35.000 Kilogramm Silber!

In England war die Empörung und das Klagen darüber groß (außer bei John). Richards Mutter Eleonore setzte alle Hebel in Bewegung und trieb energisch eine Sondersteuer ein, um das Geld zusammenzubekommen. Heinrich VI. bekam sein Lösegeld und Richard wurde nach über einem Jahr Gefangenschaft freigelassen. Fünf Wochen später, am 13. März 1194, betrat er endlich englischen Boden. Seit seinem Aufbruch zum Kreuzzug waren vier Jahre und drei Monate vergangen.

Der Aufstand von John brach schnell zusammen. Um die Unterstützung des französischen Königs zu erhalten, hatte er ihm das Vexin abgetreten (die Grafschaft gehörte zwar Richard, aber egal) sowie die Schwester von Philippe geheiratet. Na, wen wohl? Den „Wanderpokal“ Alix. Das nützte John aber auch nichts. Er warf sich seinem Bruder Richard zu Füßen und bat um Verzeihung. Und die erhielt er, Familiensachen eben. Apropos Heiraten: Johanna, die Richard als Braut für Saladins Bruder angeboten hatte, verschacherte der König an Raimund VI. von Toulouse, um mit dem ein Bündnis gegen Frankreichs Philippe zu erhalten.

Die nächsten fünf Jahre verbrachte Richard nämlich damit, sein Reich auf dem Kontinent zusammenzuhalten. Zwischendurch schloss er gelegentlich Waffenstillstände mit Philippe und dabei durfte die arme Alix aus England nach Frankreich zurückkehren, endgültig in den Hafen der Ehe: Sie erhielt den Grafen von Ponthieu zum Mann. Bis 1199 hatte Richard Aquitanien für sich gesichert und auch seine Territorien in Nordfrankreich wieder unter Kontrolle. Militärisch war Philippe ihm einfach nicht gewachsen. Zu dieser Zeit plante Richard einen erneuten Kreuzzug, über den er mit dem Papst verhandelte. Wie Saladin vorausgeahnt hatte, war nach seinem Tod die alte Zwietracht innerhalb der muslimischen Welt ausgebrochen. Ein vierter Kreuzzug erschien aussichtsreich. Einen Sohn hatte Richard übrigens immer noch nicht, Berenguela gebar ihm keine Kinder. An ihr dürfte es aber nicht gelegen haben.

Da geschah es bei der Belagerung einer banalen Burg in Aquitanien, wo Richard einen abtrünnigen Adeligen unterwerfen wollte. Es ging um einen aufgefundenen Schatz, den der Burgherr dem König nicht herausrücken wollte. Bei einer Inspektion der gegnerischen Mauerwerke traf Richard ein Armbrustbolzen, abgefeuert von den Zinnen der Burg. Als die Wunde brandete, beichtete der König seine Sünden, vergab dem Armbrustschützen und bestimmte seinen Bruder John zu seinem Nachfolger. Das muss am hohen Fieber gelegen haben. Der König starb, nicht einmal 42 Jahre alt, am 6. April 1199.


Literatur:
Gable: Von Ratlosen und Löwenherzen
Westphal: Richard Löwenherz und Saladin
Berg: Die Anjou-Plantagenets
Vollrath/Fryde: Die englischen Könige im Mittelalter

Video:

Video zu Löwenherz und Saladin

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 3. August 2017 07:18

Zwischenkapitel: Die Wehen der neuen Epoche

Das war es mit dem zwölften Jahrhundert, ich könnte es mit dem Tod von Richard Löwenherz abschließen und zur nächsten Epoche in CK2, der des Mongolensturms ab 1220, wechseln. Es ist zugleich das Jahr, in dem Friedrich II. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wird. Für ein Einstiegsjahr also optimal. An dem komme ich nicht vorbei, will ich auch gar nicht.

Den dreißig Jahren zwischen Barbarossas Tod 1190 und der neuen Epoche ab 1220 will ich aber noch ein eigenes Zwischenkapitel widmen, da war nämlich noch genügend los. Dieses Kapitel stellt das Bindeglied dahin dar: Was geschah nach dem Tod von Barbarossa und dem von Richard Löwenherz in Deutschland und England? Wie ging der Streit zwischen den Staufern und den Welfen weiter und was wurde aus dem Kreuzzug, nachdem der Waffenstillstand, den Richard und Saladin geschlossen hatten, auslief?

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1. Die glühende Krone - Heinrich VI. (regierte 1190-1197)

Schon im Kapitel über Heinrich den Löwen tauchte er auf, als Stellvertreter Barbarossas im Reich und als Gegenspieler des Löwen bei dessen letzten Kampf um die Macht: Barbarossas Sohn Heinrich VI. Dieser Herrscher ist heute ziemlich unbekannt, gleichsam eingeklemmt zwischen dem Glanz seines Vaters Friedrich I. Barbarossa und seinem Sohn Friedrich II., die beide die populärsten Staufer sind. Und dann hat Heinrich VI. auch noch ein schlechtes Image, das nicht seine Beweggründe und die Umstände seines Handelns, sondern sein vermeintliches Wesen, das ihn als einen Gewaltherrscher zeigt. Lange Zeit war das völlig anders, erst im 19. Jahrhundert wurde Heinrich VI. zum „enfant terrible“ der Staufer. Die 1190er waren zwar schon im den beiden vorigen Kapiteln abgehandelt, ich erzähle die Sache aber noch einmal aus Heinrichs Perspektive, um quasi eine Lanze für ihn brechen.

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Heinrich VI. wurde 1165 geboren, er war der erste Sohn von Friedrich I. Barbarossa und Beatrix von Burgund. Schon mit vier Jahren wurde er auf Betrieben seines Vater zum König von Deutschland gewählt und gekrönt, Barbarossa wollte zügig seine Nachfolge geregelt sehen. Über die Jugendzeit von Heinrich ist wenig bekannt, sicher ist nur, dass er eine erstklassige Ausbildung genoss und bestens auf seine Rolle als König vorbereitet wurde. Einen ersten großen Auftritt hatte er 1184, als er zu Pfingsten auf einem prunkvollen internationalen Hoftag gemeinsam mit seinem Bruder Friedrich die Schwertleite erhielt.

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Nur wenige Monate darauf hatte der junge Heinrich Glück, dass er einem unrühmlichen frühen Ende entging. Er machte im Juli Station in Erfurt, um einen Hoftag zu leiten. Nach dem Sturz von Heinrich dem Löwen lagen der Mainzer Erzbischof und der Thüringer Landgraf wegen irgendeiner Sache im Streit, und Heinrich VI. sollte hier schlichten. Die Versammlung fand im oberen Stockwerk der Dompropstei statt. Weil so viele Leute im Saal waren, brach der morsche Holzfußboden zusammen und die Menschen stürzten zum großen Teil in den Tod. Makaber war, dass unter der Wucht des Aufpralls auch der Boden des unteren Stockwerks durchbrach und die Opfer in die noch tiefer gelegene Latrine im Untergeschoss fielen. 60 Tote gab es zu beklagen, sie waren in dem Abort ertrunken oder von herabfallenden Gegenständen erschlagen worden. König Heinrich selbst saß zum Zeitpunkt des Unglücks in einer gemauerten Fensternische der steinernen Außenwand und kam mit dem Schrecken davon. Er reiste umgehend aus Erfurt ab...
https://de.wikipedia.org/wiki/Erfurter_Latrinensturz

Jetzt komme ich aber zu den Ereignissen um die Thronfolge in Sizilien, die schon im Kapitel mit Richard Löwenherz eine Rolle spielten – nun allerdings aus der Perspektive von Heinrich VI.:

Später im Jahr 1184 sorgte Heinrichs Vater Barbarossa dafür, dass Heinrich mit der dreißigjährigen Konstanze verheiratet wurde, der Tante des Königs von Sizilien. Die Verbindung war ziemlich aussichtsreich, denn König Wilhelm II. von Sizilien hatte keinen Erben, seine Ehe mit Johanna (der Schwester von Richard Löwenherz) war kinderlos geblieben. Und damit war Konstanze die erste in der Thronfolge – sie würde später mit Heinrich VI. an ihrer Seite über Sizilien herrschen. Für Barbarossa war das ein wichtiger Plan, denn bisher war Sizilien in der Lehnsabhängigkeit des Papstes. Sizilien würde dank dieser Ehe vom Gegner zum Teil des deutschen Imperiums werden! Es dauerte noch eine Weile, bis alles vertraglich geregelt war, aber Anfang 1186 fand die politisch so wichtige Hochzeit statt.

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Es gab einen, dem diese Verbindung überhaupt nicht passen konnte, und das war der Papst. Zum Königreich Sizilien gehörte damals auch Süditalien, während Norditalien sowieso schon zum Heiligen Römischen Reich gehörte (wenn auch widerstrebend). Und dazwischen eingeklemmt in Mittelitalien war der Kirchenstaat des Papstes. Unter solchen Bedingungen war die Unabhängigkeit des Heiligen Stuhls unmöglich aufrechtzuerhalten, das war jedem an der römischen Kurie klar. Was also tun? Papst Urban III. plante gerade, Barbarossa und seinen Sohn zu exkommunizieren, als 1187 die Nachricht von der Eroberung Jerusalems durch Saladin die Christenheit aufschreckte. Urban soll buchstäblich vom Schlag getroffen worden sein, jedenfalls starb er bald danach. Auch seinem Nachfolger war ein nur zweimonatiges Pontifikat beschieden, die Kirche war also erst einmal mit sich selbst beschäftigt, zum Glück für den Kaiser. Als mit Clemens III. ein neuer Papst gewählt war, stand die Sache mit Sizilien schon wieder im Hintergrund – der Kreuzzug um Jerusalem bestimmte die Politik, und Barbarossa bot dem Papst die Hand und versprach, höchstpersönlich mit einem Heer in das Heilige Land zu marschieren.

Im Mai 1189 brach der Kaiser mit seinem Sohn Friedrich dann tatsächlich zum Kreuzzug auf. Heinrich VI. übertrug Barbarossa für die Zeit seiner Abwesenheit die Regierung über das Reich. Wichtig war, das dürfte der Kaiser seinem Sohn eingebläut haben, eine Auge auf den Sachsenherzog Heinrich den Löwen zu haben. Den hatte Barbarossa für die Dauer des Kreuzzugs zwar vorsorglich ins englische Exil geschickt, aber er kannte ja seinen Vetter. Und tatsächlich kehrte der Welfe schon einige Monate nach Barbarossas Abreise aus England zurück und scharte in Sachsen seine Anhänger um sich, um noch einmal nach der Macht zu greifen. König Heinrich VI. organisierte gerade den Feldzug gegen den Löwen und erzielte bereits erste militärische Erfolge, da platzte eine Nachricht herein, die noch wichtiger war als die Krise in Sachsen:

König Wilhelm II. von Sizilien war Ende 1189 ohne Nachkommen gestorben, sein Königreich war ohne einen Herrscher. Das veränderte alles! Denn jetzt war Heinrichs Frau Konstanze diejenige, die den Anspruch auf den Thron hatte – wenn dieser auch durchgesetzt würde. Denn ein illegitimer Vetter des verstorbenen Wilhelm mit Namen Tancred griff nach der Macht und ließ sich im Januar 1190 in Palermo zum König krönen. Offenbar hatte Tancred dabei die Unterstützung des Papstes, der ja wie erwähnt nur gegen einen Staufer auf dem sizilischen Thron sein konnte.

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Heinrich VI. musste schleunigst nach Sizilien, um Tancred von seinem – ähm, vom Thron seiner Gattin zu stoßen. Er schloss mit Heinrich dem Löwen einen Waffenstillstand (zwei Söhne des Welfen, die Heinrich als Geiseln übergeben wurden, sollten dafür sorgen, dass der Herzog bei der Einhaltung des Friedens nicht wankend würde) und zog mit seinem Heer Richtung Italien. Papst Clemens III. sah das deutsche Heer auf Rom zukommen und hielt sich klugerweise zurück, Tancred allzu schnell als König von Sizilien zu belehnen und damit als rechtmäßig anzuerkennen. In der Tat ließ Heinrich VI. bei seinem Vormarsch Rom nicht beiseite: Weil im Sommer 1190 sein Vater Barbarossa auf dem Kreuzzug ums Leben gekommen war, hatte Heinrich als sein Nachfolger auf dem deutschen Thron eine klare Vorstellung. Er wollte vom Papst zum Kaiser gekrönt werden, und praktischerweise war der Staufer gerade vor Ort, vor Rom. Und mit ihm ein Heer, das dem Papst signalisierte, dass es wohl opportun wäre, dem Verlangen nach der Krönung nachzukommen. So wurde Heinrich VI. zu Ostern 1191 in Rom zum Kaiser gekrönt. Übrigens von einem zwischenzeitlich neuen Papst namens Coelestin III. (sein Vorgänger Clemens III. war kurz vorher gestorben). Wenn man bei Coelestin überhaupt von einem „neuen“ Papst sprechen konnte: er war bei seiner Wahl biblische 81 oder sogar 85 Jahre alt. Ein Übergangspapst war er letztlich trotzdem nicht, Coelestin wurde sagenhafte 88 bzw. 92 Jahre alt und regierte somit sieben Jahre lang.

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Derweil hatten der französische König Philippe II. sowie der englische König Richard Löwenherz auf ihrem Weg ins Heilige Land auf Sizilien Station gemacht. Richard setzte Tancred mit seinem Heer unter Druck und zwang diesen, Richards Schwester Johanna freizulassen. Als Witwe des alten Königs hatte sie gewisse Rechte und Güter in Sizilien. Die ließ sich Richard – natürlich im Namen seiner Schwester – nun von Tancred abfinden. Tancred griff tief in die Tasche, um Richard die geforderte Summe auszahlen zu können. Es war natürlich nicht seine eigene Tasche, sondern das sizilische Krongut, das Tancred zu Geld machte. Richard Löwenherz konnte zufrieden sein und setze seine Reise nach Jerusalem im Frühjahr 1191 fort.

Zu dieser Zeit setzte Heinrich VI. seinen Marsch auf das Königreich Sizilien, frisch zum Kaiser gekrönt und selbstbewusst, fort – und scheiterte. Trotz der Übermacht seines Heeres biss er sich bei der Belagerung von Neapel fest. Die Stadt wurde von der Seeseite von Schiffen Genuas mit Nachschub versorgt, und dagegen konnte der Staufer nichts ausrichten. Und dann brach in der Sommerhitze auch noch eine Seuche in seinem Heer aus. Die Zahl der Toten, unter ihnen viele Reichsfürsten, stieg von Tag zu Tag. In dem Durcheinander gelang es dem Sohn des Löwen, der vom Kaiser mitgeführten Geisel, aus dem kaiserlichen Lager zu entkommen und sich nach Deutschland durchzuschlagen. Dort erzählte er, auch der Kaiser selbst sei der Seuche vor den Toren von Neapel erlegen. Tatsächlich war Heinrich VI. an dem Fieber erkrankt, aber er hatte sich wieder davon erholt. Trotzdem: Es führte kein Weg daran vorbei, den Feldzug gegen Sizilien abzubrechen.

Geschlagen und von der Haltung des Papstes in der Frage Siziliens enttäuscht, zog sich Heinrich VI. nach Deutschland zurück. Er schwor Rache und einen zweiten Feldzug gegen Tancred. Der musste zusehen, dass er seine Position in Sizilien stärkte. Am wichtigsten war es, den offiziellen Lehnsherrn über Sizilien für sich zu gewinnen: den Papst. Tancred schloss mit Coelestin einen Vertrag, der Rom weitreichende Rechte in der sizilischen Kirchenpolitik garantierte. Die Vereinbarungen waren so günstig, dass der Papst unterschrieb und Tancred als König anerkannte. Jetzt stand ja auch kein deutsches Heer in Italien, das ihn daran hinderte, die Interessen seines Kirchenstaates zu verfolgen.

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Grollend verfolgte der Kaiser die Entwicklung in Italien. Den zweiten Versuch, seinen Anspruch auf Sizilien durchzusetzen, bereitete er aber generalstabsmäßig und in Ruhe vor. Zunächst galt es, seine Macht in Deutschland uneingeschränkt zu sichern und die Welfen für ihren Verrat zu strafen. Zu diesem Zweck verbündete sich Heinrich VI. mit dem französischen König gegen Richard Löwenherz, der wiederum mit den Welfen verbündet war. Der Kaiser bekam dann aber alle Hände voll zu tun, als zwischen den Fürsten im Reich Spannungen um die Neubesetzung des Bistums Lüttich auftraten. Mit Heinrich dem Löwen bzw. dessen Sohn schloss der Staufer schließlich lieber einen erneuten Waffenstillstand.

Dann geschah im Dezember 1192 etwas, das die Situation auf einen Schlag zu Gunsten des Kaisers änderte: In Erdberg bei Wien war der englische König Richard Löwenherz von Bediensteten des österreichischen Herzogs gefangen genommen und an den Herzog ausgeliefert worden. Dieses Ereignis war bis dahin beispiellos in der Geschichte des mittelalterlichen Europas. Ein König, zumal noch ein Kreuzfahrer auf der Rückreise in die Heimat, verfolgt, aufgespürt, gefangengesetzt und anschließend an den Kaiser ausgeliefert. Mehr als ein Jahr blieb Richard in der Haft des Staufers, bis er gegen Zahlung eines horrenden Lösegelds freigelassen wurde. In der Geschichte hat das einen dunklen Schatten auf Heinrich VI. geworfen, er hatte aber seine Gründe.

Der Kaiser war nicht der einzige Nutznießer von Richards Gefangenschaft. In England rieb sich Richards Bruder John die Hände, denn Richard hatte keine Kinder und John war somit der erste in der englischen Thronfolge. Ebenfalls freuen konnte sich Philippe II. von Frankreich, der die englischen Besitzungen in Frankreich zurückgewinnen wollte. In dieser Frage war John durchaus entgegenkommend, weil es ein Bündnis mit Philippe gegen Richards Anhänger gut gebrauchen konnte. Und für den Kaiser war Richard ein Feind des Reiches, seit dieser in Sizilien mit Tancred paktiert hatte und von Tancred das Geld erpresst hatte. Tancred hatte sich für die Zahlung ja am sizilischen Krongut vergriffen, und nach Ansicht des Staufers hatte Richard Geld angenommen, das nicht Tancred, sondern ihm als rechtmäßigen König von Sizilien gehörte. Zweitens hatte Richard mit Heinrich dem Löwen paktiert, als dieser sich gegen den Kaiser erhoben hatte. Und nicht zuletzt hatte Richard Löwenherz die Ansprüche des österreichischen Herzogs Leopold bei der Erstürmung von Akkon missachtet und diesen auch noch in seiner Ehre beleidigt.

Die Forderungen Heinrichs VI. an Richard Löwenherz waren insofern nachvollziehbar: Kappen des Bündnisses mit den Welfen und mit Tancred, Rückzahlung des sizilischen Geldes und Entschädigung des österreichischen Herzogs. Richard verhandelte selbstbewusst und geschickt, als er sich bei einem Hoftag vor dem Kaiser verteidigen sollte. Es lief nicht gut für Heinrich, aber er hatte noch einen Trumpf: Er drohte Richard mit der Auslieferung an den französischen König, der bereit war, dem Kaiser die gleiche Summe wie das geforderte Lösegeld zu zahlen, um des englischen Königs habhaft zu werden. Da bekam es Richard mit der Angst zu tun. Für den Kaiser war er nur ein Mittel zum Zweck, aber in Gefangenschaft von Philippe zu geraten, bedeutete, nie wieder nach England zurückzukommen und den Thron an John zu verlieren. Heinrich VI. bekam von Richard das geforderte Lösegeld und die anderen Zusagen. Im Frühjahr 1194 konnte Richard nach England zurückkehren und sich seinen Bruder vorknöpfen.

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Für Heinrich VI. war das ein toller Erfolg. Er hatte ordentlich Kasse gemacht und seine Widersacher in Sachsen und Sizilien politisch isoliert. Während die Rüstungen für den sorgfältig geplanten zweiten Kriegszug gegen Sizilien Anfang 1194 nahezu abgeschlossen waren, starb am 20. Februar in Palermo völlig überraschend König Tancred. Damit schien das Haupthindernis beseitigt, das dem Erbantritt des Kaiserpaares im sizilischen Königreich im Weg gestanden hatte. Aber der Papst Coelestin stellte sich dem wieder in den Weg, er erkannte Tancreds neunjährigen Sohn Wilhelm III. als neuen König von Sizilien an. Für den Kaiser eine brüske Missachtung seines Anspruchs!

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 7. August 2017 07:28

Am Erfolg seines Kriegszugs konnte es kaum Zweifel geben. Heinrich hatte politisch dafür sorgen lassen, dass es in Norditalien keine Schwierigkeiten mit den Städten geben würde, wenn er mit seinem Heer dort aufmarschiert. Auch mit Genua und Pisa hatte er Abkommen schließen lassen, damit deren Flotten ihm nicht wieder vor Neapel oder beim Übersetzen nach Sizilien das Leben schwermachen konnten. Ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, nahm Heinrich VI. innerhalb von Wochen Süditalien in Besitz und bestrafte seine Widersacher. Ende Oktober 1194 betrat Heinrich VI. zum ersten Mal den Boden der Insel Sizilien. Sein Flottenkommandeur Markward von Annweiler hatte dem heranziehenden Kaiser schon mitteilen lassen, er könne kommen, Sizilien sei besiegt und erwarte seinen Herrn.

In Palermo angekommen, ließ der Staufer zunächst Tancreds Frau und ihren Sohn Wilhelm III. festsetzen und sich bald darauf feierlich zum König von Sizilien krönen. Bei der Zeremonie zu Weihnachten 1194 musste Wilhelm III. selbst dem Kaiser öffentlich seine Krone zu Füßen legen. Heinrich war der Herrscher über Sizilien und das Heilige Römische Reich in Personalunion:

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Kurioserweise war Heinrichs Frau Konstanze, über die er ja seinen Anspruch auf Sizilien ableiten konnte, an diesem Tag nicht zugegen. Sie befand sich in Norditalien, wo sie wegen ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft zurückgeblieben war. Dort brachte sie am 26. Dezember 1194 ihr einziges Kind, den späteren Kaiser Friedrich II., zur Welt.

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Heinrich VI. schien nun am Ziel seiner Wünsche angelangt: Das Erbe seiner Gattin war erfolgreich in Besitz genommen, und durch die Geburt seines Sohnes stand ihm nunmehr auch der ersehnte Thronfolger zur Verfügung. Sollte das Kind die Eltern überleben, dann hätte es aufgrund des Erbrechts einen legitimen Anspruch auf die Ausübung der Herrschaft im Königreich Sizilien. Für die römische Kirche war hingegen eingetreten, was sie so vehement verhindern wollte. Die Inbesitznahme ihres Lehens durch den Kaiser und damit die vollständige territoriale Umklammerung des Kirchenstaates durch ein nunmehr kaiserlich beherrschtes Gesamtitalien. Mit der Geburt eines Thronfolgers hatte sich die Lage noch zusätzlich verschärft. Jetzt bestand sogar die reale Möglichkeit, dass die Kirche nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft die politische Kontrolle über ihr Lehen im Süden Italiens verlieren könnte. Das aber wusste man auch am kaiserlichen Hof. Heinrich VI. begann aus dieser Position der Stärke, diplomatische Beziehungen zum Papst zu knüpfen, um seine Herrschaft über Sizilien auf das solide Fundament einer päpstlichen Anerkennung zu stellen.

Bis Mitte Januar 1195 blieb Heinrich VI. noch in Palermo, er schlug eine kleine Adelsrevolte von früheren Anhängern Tancreds nieder. Bei der Abreise begleitete eine Art Souvenir das deutsche Heer. Heinrichs jüngerer Bruder Philipp von Schwaben hatte sich stürmisch in eine Frau namens Irene, die zu den Rebellen gehörte, verliebt. Es war die byzantinische Schwiegertochter des verstorbenen Königs Tancred, die ihrerseits seit einem Jahr Witwe war. Irene begleitete den Kaiser und dessen Bruder nach Deutschland, konvertierte zum Katholizismus, nahm den Namen Maria an und heiratete 1197 Philipp. Auf dem Weg nach Deutschland trafen sich Heinrich VI. und seine Gattin Konstanze kurz. Er war auf dem Weg nach Norden, sie nach Süden, um die Regierung über Sizilien auszuüben.

Die Verhandlungen mit Papst Coelestin gestalteten sich schwierig für den Kaiser. Immerhin war der Papst Lehnsherr über Sizilien und der Staufer wollte seine Herrschaft über dieses Königreich mit einer sauberen Legitimität bekleiden. Heinrich VI. machte den ersten Schritt im diplomatischen Reigen: Er verkündete zu Ostern 1195 öffentlich den Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems, das musste dem Papst gefallen.

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Eifersüchtig wachte der Kaiser darüber, dass der Kreuzzug nicht in anderen Ländern wie Frankreich oder England gepredigt wurde, denn er wollte ihn alleinig anführen: Nur dann würde ihm der Ruhm alleine zufallen und als Befreier des Heiligen Landes konnte ihm der Papst kaum mehr die Anerkennung Siziliens verweigern. So der Plan. Der Papst zeigte sich erst einmal spröde, als wolle er sagen: Erst liefern.

Heinrich VI. rührte in Deutschland nun also kräftig die Werbetrommel für seinen Kreuzzug. England und Frankreich hielt er aus der Sache heraus, indem er Richard Löwenherz und Philippe II. aufeinander hetzte und mit ihrem Krieg beschäftigte. Während die Vorbereitungen für den Kreuzzug anliefen, starb am 6. August 1195 in Braunschweig Heinrich der Löwe. Drei Monate später starb auch Pfalzgraf Konrad bei Rhein, der Onkel des Kaisers. Der Sohn des Löwen, Heinrich von Braunschweig, hatte inzwischen die Tochter Konrads geheiratet, obwohl der Kaiser die Ehe verboten hatte. Um mit dem Welfen Frieden zu schließen, genehmigte er die Verbindung aber nachträglich und gestand ihm damit die angeheiratete Grafschaft zu.

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Der Zuspruch zum Kreuzzug war unter den deutschen Fürsten ganz gut, immer mehr schlossen sich dem Unternehmen an. Mitten in diese bewegten Tage Ende 1195 hinein erschien vor dem Kaiser eine Gesandtschaft aus Zypern. Dort herrschte in der Nachfolge seines Bruder Guy von Lusignan (der Bösewicht aus dem Film) seit 1194 Amalrich. Im Namen ihres Herrn baten die Boten den Kaiser darum Amalrich unter die Lehnsherrschaft des Reiches zu nehmen und ihn dabei zum König zu erheben. Heinrich VI. sagte zu, auf dem Weg nach Jerusalem in Zypern Halt zu machen und die Sache zu bewerkstelligen.

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Bevor Heinrich VI. zum Kreuzzug aufbrechen konnte, wollte er in Deutschland die Thronfolge zugunsten seines kleinen Sohnes Friedrich regeln. Die Nachfolge war im Reich grundlegend anders als in Sizilien: In Sizilien galt das Erbrecht, im Deutschland das Wahlrecht der Fürsten. In CK2 durchaus eine unübersichtliche Angelegenheit, wenn man mehrere Königreiche anführt. Die deutschen Fürsten hatten Verständnis dafür, dass Heinrich vor Beginn seines Kreuzzugs hier Klarheit haben wollte. Auf so einer langen Heerfahrt konnte man durchaus das Leben verlieren, so wie das erst fünf-sechs Jahre zuvor Barbarossa widerfahren war. Die Fürsten sagten also zum Kaiser: In Ordnung, aber was bekommen wir für die Wahl deines Sohnes? Heinrichs Antwort überraschte die Fürsten total, denn sie war verwegen. Der Kaiser bot ihnen allen die Vererbbarkeit ihrer Lehen an. Bei den weltlichen Fürsten war das klar, der Sohn war automatischer Nachfolger. Mehr noch: Der Kaiser bot an, dass notfalls auch Töchter oder Familienangehörige aus Seitenlinien der Dynastie erbberechtigt sein würden. Bei den geistlichen Fürsten sollte es so laufen, dass der König während der Sedisvakanz, also der Übergangsphase von einem (verstorbenen) Bischof zum nächsten (gewählten) Bischof, die Einkünfte aus dem Bistum nicht mehr an die Krone fließen sollten.

Das war unzweifelhaft eine große Minderung, wenn nicht sogar Preisgabe wesentlicher Königsrechte, die Heinrich da anbot. Jedem künftigen König wäre damit die Möglichkeit zur Einflussnahme bei der Lehensvergabe bis hin zu der Einziehung von Lehen praktisch aus der Hand genommen. In CK2 entspricht das Angebot wohl, freiwillig die Gesetze zu „Vergabe und Einziehen von Titeln“ in die Hände des Rates zu geben.

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Die Fürsten waren vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen (vermutlich außer dem Herzog von Österreich, für den das mit dem Recht zum Vererben seit 40 Jahren nichts Neues wahr). Natürlich präsentierte der Kaiser anschließend, wie er sich die Kompensation für seinen Verzicht vorstellte: Die deutsche Krone sollte künftig nicht mehr durch die Wahl der Fürsten vergeben, sondern ebenfalls erblich werden – natürlich innerhalb seiner staufischen Dynastie.

Die Fürsten runzelten verunsichert die Stirn. Eine Erbmonarchie in Deutschland? Klar, sie verstanden, dass Heinrich VI. die Personalunion der deutschen und der sizilischen Krone zu einem Imperium dauerhaft sicherstellen wollte. Doch das war den Fürsten etwas unheimlich. Sie waren hin und hergerissen, stimmten dem Plan erst zu und dann doch nicht, wollten sich das ganze noch überlegen. In CK2 sind die Bedingungen für die Änderung der Nachfolgegesetze klar: 1) Kein Vasall darf eine negative Meinung über Euch haben – okay, dafür das Angebot des Kaisers an die Fürsten. 2) Der Kaiser muss seit wenigstens zehn Jahren regieren – „Hah!“, riefen die Fürsten aus, „diese Bedingung ist noch nicht erfüllt, wir müssen solange warten!“

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Und der Papst konnte mal gar nicht für Heinrichs Erbfolgeplan sein, Coelestin machte natürlich diplomatischen Druck auf die deutschen Kirchenfürsten und drohte dem Kaiser indirekt, endgültig die Tür für Verhandlungen über Sizilien zuzuschlagen, Kreuzzug hin oder her.

Heinrich VI. lief die Zeit davon, der Kreuzzug sollte schon längst gestartet sein und konnte nicht mehr warten. Die Frage der Erbmonarchie in Deutschland war noch immer offen, der Papst in den Verhandlungen bezüglich der Anerkennung Siziliens hartleibig. Da machte der Kaiser dem Heiligen Vater einen für die Kirche äußerst lukrativen Vorschlag, dessen Einzelheiten freilich nicht bekannt sind. Erwähnt wird er als sogenanntes „höchstes Angebot“ des Kaisers. Es ging auf jeden Fall um einen umfangreichen Ausgleich zwischen Kaiser und Papst, der den Staufern Sizilien und der römischen Kirche eine dauerhafte finanzielle Unabhängigkeit gesichert hätte. Und offenbar schlug Heinrich vor, dass seine künftigen Erben jeweils vom Papst mittels eines goldenen Reichsapfels mit dem Kaisertum investiert werden sollen. Das war ein revolutionärer Vorschlag: Der Kaiser sollte dann nicht durch Gottes Gnade seine Herrschaft erhalten, sondern durch den Papst. Das Verhältnis von Kaisertum und Papsttum wäre auf eine neue Basis der Koexistenz gehoben worden.

Aber Coelestin wusste offenbar, dass für die katholische Kirche Jahre oder Jahrhunderte nur einen Wimpernschlag darstellten. Er spielte auf Zeit und lehnte das ominöse höchste Angebot des Staufers mit dem Hinweis ab, er müsse sich das ganze bis Anfang 1197 überlegen. Heinrich VI. war ziemlich enttäuscht über die Abfuhr. In Deutschland gab er sich daraufhin auch mit der „kleinen Lösung“ zufrieden: Den Plan von der Erbmonarchie nahm er vom Tisch und ließ seinen Sohn stattdessen mittels Wahl der Fürsten als deutschen König und Nachfolger bestätigen.

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Der Kreuzzug zog nun los aus Deutschland, Heinrich führte das Heer nach Süditalien, um dort einzuschiffen. Die Anwesenheit vor Ort nutzte er natürlich, um seine sizilischen Vasallen zu versammeln. Er verärgerte sie mit der Aufforderung, eine Sondersteuer für den Kreuzzug zu bezahlen und ihm außerdem ihre Lehnsurkunden „zur Überprüfung“ vorzulegen. Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass die gewährten Privilegien in Zukunft bei Illoyalität auch wieder einkassiert werden konnten. Zur Untermauerung seiner Warnung ließ Heinrich bei dieser Versammlung in Capua den abtrünnigen Grafen Richard von Accera grausam hinrichten: Richard wurde von Pferden durch die Stadt geschleift und anschließend kopfüber aufgehängt, bis der Tod eintrat. Heinrichs Hofnarr soll während der Hinrichtung Scherze mit Richard getrieben haben.

Weiteres Geld für die Finanzierung des Kreuzzugs erpresste Heinrich VI. vom byzantinischen Kaiser. Der amtierende Alexios III. führte ein Reich im Niedergang, Heinrich verachtete ihn. Byzanz hatte in seinen Augen fragwürdige Beziehungen zu Sultan Saladin und zu König Tancred gepflegt, sprich stauferfeindliche Politik betrieben. Die deutschen Boten ließen keinen Zweifel: Wenn Alexios nicht 7.000 Pfund Gold und Silber zum Kreuzzug beisteuere, würden seine Kreuzritter Konstantinopel einen Besuch abstatten. Alexios war in einer so verzweifelten Lage, die geforderte Zahlung zusammenzubringen, dass er die Kaisergräber seiner Vorgänger aufbrechen ließ, um die Grabbeigaben zu entnehmen und einzuschmelzen.

Heinrich VI. hielt sich noch einige Monate in Süditalien und Sizilien auf, um auf das Ankommen der verschiedenen Truppenkontingente an diesem vereinbarten Treffpunkt abzuwarten. Es gab einige Verspätungen, weil (wie beim Dritten Kreuzzug von Richard Löwenherz) eine Flotte samt Heer in Portugal Station machte, um sich am Krieg gegen die Almohaden zu beteiligen. Heinrich nutzte die Zeit, um auf Sizilien jagen zu gehen. Offenbar unterschätzte er den Unmut der sizilischen Barone, den er mit seinem Auftreten in Capua geschürt hatte. Bald hatten sie sich zu einer bewaffneten Rebellion entschlossen, die dem Staufer nach dem Leben trachtete.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 13. August 2017 10:33

Der Aufstand vom Mai 1197 war gut vorbereitet worden, offenbar völlig unbemerkt war es den adeligen Verschwörern gelungen, eine stattliche Anzahl Bewaffneter zusammenzuziehen. Ihr Anführer, der Burgherr von Castrogiovanni (sein Name ist unbekannt), soll zuvor schon heimlich zum König gewählt worden sein. Nach dem erfolgreich durchgeführten Aufstand sollte dieser Thronprätendent unverzüglich die Regentschaft übernehmen, und einem Gerücht zufolge sogar Kaiserin Konstanze heiraten sollen. Auch der zeitliche Ablauf des Aufstands war offenbar in allen Einzelheiten festgelegt worden. Vorrangiges Ziel war, den Kaiser und seine engsten Begleiter gleich zu Beginn der Erhebung in einer Blitzaktion zu ermorden.

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Der Kaiser war anscheinend ahnungslos, er ging im Osten Siziliens bei Messina mit kleinem Gefolge auf die Jagd. Das war der Moment, auf den die Verschwörer gewartet hatten. Sie überfielen den Staufer in dem Wald. Aber buchstäblich im letzten Augenblick wurde der Anschlag verraten. Überstürzt konnte sich Heinrich mit seinem Gefolge hinter die Mauern Messinas flüchten, das seine Tore den Aufständischen sogleich verschloss. Mit dem Verlust des Überraschungseffektes hatten die Verschwörer die Chance auf ein schnelles und erfolgreiches Gelingen ihrer Erhebung verpasst. Es sollte sich zeigen, dass damit auch ihr gesamtes Unterfangen bereits im Ansatz scheiterte. Heinrich rief einen Teil der zahlreichen deutschen Ritter und Söldner, die in den Häfen Siziliens auf den Aufbruch zum Kreuzzug warteten, herbei. In einer einzigen Schlacht brachen sie dem Aufstand das militärische Rückgrat, den Flüchtenden wurde erbarmungslos in den Wäldern nachgestellt. Die Anführer der Verschwörung aber, so verlangte es der Kaiser, sollten unter allen Umständen lebend gefasst werden. Als letzte Bastion fiel die Burg Castrogiovanni des namentlich unbekannten Anführers. Heinrich VI. erhielt seinen Willen – die Rädelsführer wurden lebend gefasst und zu ihm nach Palermo geschafft.

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Was dann folgte, war ein grausames Strafgericht. Ganz offensichtlich wollte Heinrich ein Exempel statuieren, das nicht nur die Schuldigen bestrafen, sondern vor allem potentielle Nachahmer ein für alle Mal von einem ähnlichen Vorhaben abschrecken sollte. Auf Befehl des Kaisers wurde ein öffentlicher Schauprozess gegen die Verschwörer anberaumt. In Anwesenheit Heinrichs und seiner Frau Konstanze wurden sie ausnahmslos zum Tode verurteilt. Über die Gefangenen wurden Strafen von ausgesuchter Härte verhängt. Einige der Abgeurteilten wurden gehenkt, andere verbrannt, zersägt, gepfählt oder im Meer ertränkt. Am fürchterlichsten traf es den Burgherrn von Castrogiovanni, den Anführer der Verschwörer, in dessen Hinrichtung sich jenes Kapitalverbrechen spiegelte, dessen er angeklagt worden war. Ihm wurde mit eisernen Nägeln eine glühend gemachte Krone an den Kopf genagelt. „Nun hast Du endlich die Krone“, so soll Heinrich ihm zugerufen haben, „nach der Du gelangt hast. Ich neide sie Dir nicht. Genieße, wonach Du so eifrig gestrebt hast!“

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Dieses Strafgericht ist einer der Gründe für das Bild von Heinrich, nach dem ihm geradezu unmenschliche Eigenschaften zugeschrieben werden. In der Tat war Heinrich VI. „furchterregend und schrecklich für seine Feinde, intelligent und redegewandt, mit recht hübschem, aber eher magerem Gesicht, von mittlerer Statur, körperlich zart und schmächtig, aber harten Sinnes“, so schrieb Burchard von Ursberg über ihn. Grausam war das Gericht ohne Zweifel. Andererseits war das Strafmaß bei einer Verurteilung wegen Hochverrats noch nicht mal außergewöhnlich für diese Zeit. Damalige Chronisten urteilten: „Hätte der Kaiser nicht diejenigen, die den glimmenden Funken der Empörung gegen den Herrscher anfachten, gestraft, so würde er bald zu heller Flamme aufgeschlagen sein. Aber der Herrscher, rechtzeitig auf der Hut, bemerkte ihren treulosen Anschlag, kam ihren Plänen zuvor und tötete ohne Schonung, ohne Erbarmen alle ohne Unterschied. So brach er ihre Macht und unterdrückte sie durch Tod und harte Gefangenschaft dermaßen, dass sie ohnmächtig wurden, eine Empörung zu wiederholen. Ein anderer Chronist dieser Zeit, Arnold von Lübeck, schrieb kurz und knapp: „So glückte dem Kaiser, seine Widersacher in die Gewalt zu bekommen und gerechte Strafe an ihnen zu nehmen.“

Es hält sich bis heute die Vermutung, dass Heinrichs eigene Gemahlin Konstanze Teil des Komplotts gegen ihn gewesen sei. Es ist zwar davon auszugehen, dass Konstanze als gebürtige Sizilianerin eine andere Vorstellung von der Regierung ihres Volkes hatte als ihr Mann. Aber sie hatte ihren Thron eindeutig seinem Einsatz zu verdanken und hätte von einem Umsturz politisch wohl kaum profitieren können. Dieser Umstand, und nicht etwa eheliche Loyalität, macht es unwahrscheinlich, dass sie an der Verschwörung beteiligt war.

Der Sommer 1197 schritt voran, der Aufmarsch der Kreuzritter war endlich abgeschlossen. Mehrere tausend von ihnen warteten samt ihrer Knappen und Pferde sowie Fußsoldaten auf ihre Einschiffung. Es war das bisher größte Heer, das sich je für einen Kreuzzug versammelt hatte. Für den Proviant und den Nachschub war bestens gesorgt, es konnte losgehen. Es musste auch losgehen, in der sommerlichen Hitze und dem Gedränge machten sich Durchfallerkrankungen und andere Ausfälle im Heer bemerkbar. Heinrich VI. ließ seinem jüngeren Bruder Philipp, der sich in Schwaben befand, die Botschaft mit dem Auftrag überbringen, Philipp solle nun den kleinen Thronfolger (den dreijährigen Friedrich II.) aus dem italienischen Foligno abholen, um ihn mit nach Deutschland zu nehmen. Philipp machte sich wie geheißen auf den Weg über den Brenner. Doch da wurde der Kaiser von einer Krankheit befallen. Es begann harmlos im August 1197 wie bei einer Erkältung.

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Dann aber verschlechterte sich Heinrichs Erkrankung plötzlich so sehr, dass man ihn nach Messina bringen musste. Schwere Durchfall-Attacken belasteten den Fieberkranken zusätzlich. Mehrere Tage war sein Zustand sehr kritisch, doch dann trat eine Besserung ein. Der Kaiser erholte sich soweit, dass er sogar seine Regierungsgeschäfte wieder aufnahm. Schon ließ er Vorbereitungen für seine Rückkehr nach Palermo treffen. Der größte Teil des Hofstaats war mit dem Gepäck bereits abgereist, da warf ihn ein Rückschlag nieder.

Am Sonntag, den 28. September 1197, „nach guter Beichte und mit Zerknirschung des Herzens“, starb Kaiser Heinrich VI. in Messina. An seinem Sterbebett standen nur seine Gattin Konstanze und einige enge Vertraute. Wenige Wochen später wäre er 32 Jahre alt geworden. So verging der Mann, der nicht weniger als die Errichtung eines Imperiums mit einer Erbnachfolge und unter der endgültigen Führung seiner staufischen Dynastie geplant hatte. Woran er starb, ist nicht gewiss. Vielleicht war es die Malaria, zu der sich eine Ruhr-Infektion gesellt hatte. Allerdings passen die Schilderungen über die kurzfristige Erholung mit anschließendem Rückfall nicht dazu. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass es Gift gewesen war, das Heinrich vom Diesseits ins Jenseits befördert hatte. Gerüchten zufolge wurde Konstanze selbst verdächtigt, hier ihre Finger im Spiel gehabt zu haben.

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Der Kaiser hatte kaum die Augen geschlossen, da handelte Konstanze sofort. Im Wissen darum, dass ihr Schwager Philipp bereits auf dem Weg sein musste, um ihren Sohn zur Krönung nach Deutschland abzuholen, setzte die Kaiserin alles auf eine Karte. Sie ließ unverzüglich den kleinen Friedrich aus Foligno holen und kam den Deutschen nur um Stunden zuvor. Friedrich wurde nach Sizilien gebracht, damit er hier seine Herrschaft über das Königreich antreten konnte, mit seiner Mutter Konstanze als seine Regentin. Es dauerte kaum mehr als ein Jahr, da ging es auch mit Konstanze zu Ende. In Sorge um die Zukunft ihres vierjährigen Sohnes machte sie dem Papst weitreichende Zugeständnisse in der Kirchenpolitik Siziliens, ganz so, wie es Coelestin die ganzen Jahre über angestrebt hatte. Coelestin III. selbst war im Januar 1198 gestorben, und ihm war ein Mann mit einem ausgeprägten Machtinstinkt und -anspruch auf den Heiligen Stuhl gefolgt: Innozenz III.

Im Gegenzug wurde für die Kirchenprivilegien und die Anerkennung Friedrichs als König von Sizilien wurde Innozenz gemäß Konstanzes Wunsch Friedrichs Vormund, somit der Garant für die Sicherheit des Jungen. Der Papst war wieder der klare Lehnsherr des Königs von Sizilien. Und die Verschmelzung Siziliens mit dem Reich war verhindert. Denn dass der Papst seinen Mündel nicht für die Thronfolge in Deutschland herausgeben wollte, versteht sich von selbst. Die Kirche hatte gesiegt.

Und was wurde aus dem Kreuzzug? Er startete wie geplant, alle Vorbereitungen dazu waren schließlich abgeschlossen. Aber ohne ihren Anführer Heinrich konnte er nicht erfolgreich sein: Weil nicht religiöse, sondern politische Gründe ihn eigentlich angetrieben hatten.

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Jetzt, da diese politischen Gründe nach dem Tod des Kaiser obsolet oder zumindest unklar geworden waren, fehlte dem Kreuzzug die Einigkeit und Stoßrichtung. Eigentlich waren die Bedingungen zur Eroberung Jerusalems günstig: Nach Saladins Tod im März 1193 waren im muslimischen Lager die Diadochenkämpfe ausgebrochen, ganz so, wie es der Sultan befürchtet hatte. Militärisch stand der neue Kreuzzug vor dem gleichen Problem wie einige Jahre zuvor der Dritte Kreuzzug unter Richard Löwenherz. Jerusalem konnte nur angegriffen werden, wenn die Küste gesichert war. Das gelang den Kreuzrittern auch, aber dann war es vorbei mit der Einigkeit im christlichen Lager: Inzwischen hörte man von den chaotischen Ereignissen in Deutschland, die sich nach dem Tod des Kaisers zutrugen. Man hatte es deswegen eilig, nach Hause zu kommen. Mit den Ayyubiden schlossen die Kreuzritter im Juni 1198 einen neuen Waffenstillstand, nach dem der eroberte Küstenstreifen samt Jaffa in der Hand der Franken bleiben sollte. Christliche Pilger erhielten erneut den freien Zugang zu Jerusalem und die Heiligen Stätten.

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In Deutschland erwartete die heimkehrenden Kreuzfahrer der Thronfolgestreit zwischen Staufern und Welfen, angeführt von Philipp von Schwaben auf der einen Seite und Otto von Braunschweig auf der anderen Seite. Der eine war ein Sohn Barbarossas, der andere ein Sohn Heinrichs des Löwen. Zwischen Staufern und Welfen ging es also in die nächste Runde.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 17. August 2017 07:29

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2. Better to reign in hell, than serve in heaven - John Lackland (regierte 1199-1216)

Der frühe Tod von Richard Löwenherz spülte 1199 einen Mann auf den englischen Thron, wie man sich einen Schurken nicht schlimmer vorstellen kann. John war der jüngere Bruder von Richard und war gar nicht dafür vorgesehen gewesen, einmal König zu werden. Aus diesem Grund hatte ihn sein Vater damals übergangen, als es um die Verteilung von Grundbesitz an die Nachkommen ging. Das hatte John den Spottnamen Lackland (Ohneland) eingebracht, ersonnen vom eigenen Vater.

John war nur 1,65 Meter groß und mit den Worten eines Chronisten „ein unehrlicher König“. Er war ein verwöhntes Kind gewesen und wild, launisch und unberechenbar. Er hatte schräge Augen wie ein Orientale, sein Fuchsgesicht war ständig fahl. Nur in Dingen persönlicher Hygiene war er über allen Zweifeln erhaben: Man wusste, dass er in einem Jahr acht Bäder nahm. Seine Unausgegorenheit zeigte sich bei seiner Krönung. Entgegen dem Protokoll verweigerte er das Sakrament. In feierlichen Augenblicken riss er schlüpfrige Witze und brach in sein lautes meckerndes Lachen aus.

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Kaum war John seinem Bruder am 27. Mai 1199 auf den Thron gefolgt, da brach auf dem Kontinent die Hölle aus. Philippe II. hatte John im Kampf gegen Richard Löwenherz noch unterstützt, wandte sich nun aber gegen John. Der König von Frankreich wusste ganz genau, dass John weder politisch noch militärisch das Format von Richard hatte – und fiel in die englischen Besitzungen auf dem Kontinent ein. Ein Grund hierfür war rasch zur Hand: Der junge Arthur von der Bretagne (Pfeil), ein Sohn von Johns älterem Bruder Geoffrey, habe einen viel besseren Anspruch auf die englische Krone.

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John sah sich direkt in der Defensive, weil er es sich mit seinem eigenen Adel verscherzt hatte. Für den Moment hatte er noch seine Mutter Eleonore (sie war schon fast 80 Jahre alt), die in der Lage war, die Empörung über Johns Scheidung von Isabella von Gloucester zu glätten. Eleonore vermittelte für ihren Sohn direkt eine neue, wichtige Partie: Isabella von Angouleme, die Tochter seines mächtigsten aquitanischen Vasallen. Und dann verhalf das Glück John zum Erfolg: Bei einem Überraschungsangriff auf die feindlichen Truppen fiel ihm sein Neffe und Konkurrent Arthur in die Hände.

Einen ganzen Schwung Gefangener ließ John im Kerker verhungern, Arthurs Schwester versauerte vierzig Jahre (!) bis zu ihrem Tod im Verlies. Arthur selbst wurde zunächst auch eingesperrt und John hatte zunächst vor, den Jungen blenden zu lassen, um ihn für die Thronfolge untauglich zu machen. Aber die Wachen weigerten sich wohl, diesen Befehl auszuführen. Stattdessen kam Arthur am 3. April 1203 unter ungeklärten Umständen ums Leben. Der Prinz war gerade einmal sechzehn Jahre alt geworden. Natürlich vermutete der englische Adel für diesen Tod eine Verantwortung bei John, und das bedeutete den Makel des Verwandtenmordes. Sie rückten weiter von ihm ab.

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Unter diesen Umständen überrascht es nicht, dass Frankreichs Philippe II. ungehemmt die Oberhand über die englischen Besitzungen auf dem Kontinent erlangen konnte: John verlor die Normandie, Anjou und Aquitanien an die Franzosen.

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Die gaben ihm einen weiteren Spottnamen: John Weichschwert. Somit blieb John nur noch England als Betätigungsfeld. Er schröpfte seine Untertanen in einer Rücksichtslosigkeit, die noch nicht dagewesen war. Bevorzugt die Kinder seiner politischen Widersacher nahm er als Geiseln – und brachte sie um, wenn die Dinge nicht nach seiner Zufriedenheit liefen. Und er entzog seinen Untertanen den Beistand und Trost der Kirche, weil er ein Interdikt des Papstes auf sich zog.

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In Rom saß seit 1198 Papst Innozenz III. auf dem Heiligen Stuhl, ein Mann mit schwächlichem Körper, jedoch dem eisernen Willen, sich die ganze Welt zu unterwerfen. In dieser Hinsicht war er ein geistiger Nachfolger von Papst Gregor VII., dessen Entschlossenheit seinerzeit Kaiser Heinrich IV. im Investiturstreit zu spüren bekommen hatte. Der englische König John bekam es nun aus einem ähnlichen Anlass mit Innozenz III. zu tun. Der König mischte sich in die Freiheiten der Kirche ein, besteuerte den Klerus, um seine Kriege zu finanzieren.

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Im Jahre 1207 kam es zum Knall, als das Erzbistum Canterbury neu besetzt werden musste. John lehnte den aus Rom geschickten Nachfolger Stephen Langton schlicht ab und ernannte einen eigenen Kandidaten. Weil beide Seiten unnachgiebig blieben, verhängte Innozenz III. schließlich den Bann über König John und ganz England. John reagierte auf seine Weise: Er warf die papsttreuen Kleriker aus dem Land und beschlagnahmte ihre Güter. In England läuteten keine Glocken mehr, die Kirchen verfielen. Auf den Sommer folgte der Winter und wieder ein Sommer, ohne ein einziges christliches Fest. England steckte in einem dauernden Karfreitag, er sollte über sechs Jahre währen.

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John sorgten die religiösen Nöte seiner Untertanen nicht, er war beseelt von dem Gedanken, die verlorenen französischen Territorien zurückzuerobern. Um seine Kriegskasse zu füllen, überfiel er Irland, Wales und Schottland, das waren drei leichtere Gegner. Mit seinen Truppen verbreitete der König dort überall Angst und Schrecken. Wer von den Unterworfenen dem König nicht gehorchte oder ihm auch nur Geld schuldete, musste damit rechnen, dass seine Familienangehörigen im Kerker dem Hungertod überlassen wurden. Die englischen Lords reagierten beunruhigt auf diese Praxis: Schuldeten sie nicht alle dem König eine Menge Geld? Unter dem Joch der Gewaltherrschaft erhoben sich 1212 die Waliser, und zur Rache Rache ließ John im August 28 Geiseln, darunter auch Kinder, in Nottingham hinrichten.

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Das stachelte die Wut der Empörer nur weiter an, selbst die eigenen englischen Fürsten murrten über den Tyrannen auf dem Thron. John nahm sich ohne Hemmungen jede Frau seiner Untertanen mit in sein Bett. Auch seine Gattin Isabella von Agouleme war bekanntermaßen verrucht: Gelegentlich nahm sie sich einen Liebhaber, den John dann vornehmlich in ihrem Bett ermorden ließ.

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Manche der darüber aufgebrachten englischen Adeligen liefen sogar zum französischen König über. Der populäre Prediger Peter prophezeite mit unverhohlener Schadenfreude das baldige Ende von Johns Herrschaft.

John war zum Zurückrudern gezwungen und schloss 1213 Frieden mit dem Papst, indem er ihm England „schenkte“ und sogleich vom Heiligen Vater als Lehen zurückbekam. Klar, es hingen weitere, handfestere Pflichten daran: Rückgabe der beschlagnahmten Kirchengüter und Entrichtung eines Zinses nach Rom. Diplomatisch war das trotzdem ziemlich geschickt. John hatte die Exkommunikation abgestreift und sich den Papst zum Verbündeten gemacht. Und mal ehrlich: Wen sollte es später noch interessieren, dass John sein England nur als Lehen vom Papst erhalten hatte?

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Eine ähnliche Erklärung hatte sein Bruder Richard auch gegenüber Kaiser Heinrich VI. gemacht, um aus der Gefangenschaft freizukommen. Hochzufrieden ließ sich John nach diesem Coup im Mai 1213 ein zweites Mal krönen und ließ zur Feier des Tages den Prediger Peter, der ihn öffentlich verhöhnt hatte, gemeinsam mit dessen Sohn aufhängen. Aufgelöst wurde der Bann offiziell im Juni 1214, erst da waren alle Rückstände an Innozenz III. bezahlt. Erst dann wurden die Kirchentüren geöffnet, das Te Deum gesungen und die Glocken wieder geläutet. Und mit der freundlichen Erlaubnis des Papstes durfte Christus wieder nach England.

Weil John den harten Griff um die englische Kirche hatte lockern müssen, packte er nun bei seinen Adeligen umso fester wieder zu. Sein Ziel war immer noch der Feldzug in Frankreich. Aber die Barone weigerten sich, mitzumachen und wurden nur durch das beherzte Einschreiten des Erzbischof von Canterbury, Stephen Langton, vor Johns Zorn (sprich: dem Galgen) geschont. Die unwilligen Barone wurden geschont und mussten für Johns Krieg zahlen. In der Konsequenz knüpften sie mit dem Erzbischof ein Band, über das der König wenig später noch stolpern sollte.

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Im Jahre 1214 bekam der König endlich seinen ersehnten Revanchekrieg gegen Frankreich. Zu seinem „Festlandsdegen“ hatte John nämlich den deutschen Kaiser Otto IV. gewonnen, seinen Neffen aus dem Haus der Welfen. Die beiden hatten in Papst Innozenz III. einen gemeinsamen Gegner, und Otto musste sich in Deutschland neuerdings mit Friedrich II. einem gefährlichen Thron-Konkurrenten aus dem Haus der Staufer erwehren. Der Staufer wurde vom französischen König Philippe II. großzügig mit Geld unterstützt. Hier schloss sich quasi der Kreis, was die Parteizugehörigkeiten angeht. Den Anlass für das entscheidende Aufeinandertreffen gab das abtrünnige Flandern, das sich dem französischen König widersetzte. Philippe II. marschierte mit seinem Heer an der flandrischen Grenze auf, auf der anderen Seite die Flandern sowie Ottos Heer (John nahm nicht persönlich an dem Feldzug teil, er unterstützte den militärisch deutlich mehr begabten Otto IV. mit Geld).

Die bei dem Dorf Bouvines gelegene Brücke über den kleinen Wasserlauf der Marque musste unweigerlich von den kaiserlichen Truppen passiert werden, um französischen Boden zu betreten. Genau dorthin wandte sich Philippe, um dem Feind den Weg zu versperren. Am 27. Juli 1214 trafen die beiden Heere aufeinander. Es war Sonntag, der Tag des Herrn, an dem eigentlich nicht gekämpft werden durfte. Doch Philippe II. schien, vielleicht mit Hilfe des Überraschungseffekts, gegen Ende des Vormittags die Situation forciert und den entscheidenden Funken an das Pulverfass gelegt zu haben. Zu Beginn verlief der Kampf eher konfus und ungewiss. Philippe II. selbst, der sich ins Getümmel gestürzt hatte, wurde an einem bestimmten Punkt aus dem Sattel geworfen und riskierte sein Leben. Doch durch ihre bessere Organisation gelang es der schweren Reiterei der Franzosen, sich gegen die gegnerischen Ritter ebenso durchzusetzen wie gegen die zahlreichen Fußsoldaten, die diese begleiteten, so dass der Kaiser – ebenfalls vom Pferd gestürzt – gezwungen war, vom Feld zu fliehen, beschützt von einer Gruppe sächsischer Ritter.

Den letzten Widerstand im kaiserlichen Heer leistete eine vom Grafen von Boulogne befehligte Abteilung flämischer Fußsoldaten, die mit Piken bewaffnet den französischen Rittern lange Paroli bieten konnte. Erst als es Abend wurde, mussten auch sie aufgeben. Der Sieg Philipps II. auf dem Schlachtfeld hatte enorme politische Auswirkungen auf dem politischen Parkett Europas. Dem französischen König gelang es, die englische Präsenz auf dem Festland zu schwächen und vor allem seine politische Autorität dem Adel gegenüber zu stärken: Damit waren die ersten entscheidenden Schritte zur Gründung des französischen Staates getan.

Otto IV. Schicksal war durch die Niederlage bei Bouvines besiegelt, der Kaiser war isoliert. Im Jahr darauf wurde der Staufer Friedrich II. vom Papst als künftiger Kaiser anerkannt. Ohne den Sieg Philipps wäre Friedrich nie auf den Thron gelangt. Papst Innozenz III. war ebenfalls indirekter Gewinner der Schlacht bei Bouvines: der eigenwillige Otto IV. war zu Fall gebracht worden und der Papst konnte erneut als „Kaisermacher“ agieren.

John Lackland dagegen hatte nicht nur einen großen Teil seiner erst kürzlich von Philippe zurückeroberten französischen Lehen verloren, seine Autorität wurde massiv von der englischen Aristokratie in Frage gestellt. Nur wenige Monate später musste John einem demütigenden Waffenstillstand mit Philippe II. zustimmen und 40.000 Pfund Reparationen an ihn zahlen.

Übel gelaunt kehrte John als geschlagener Feldherr nach England zurück. Dort saßen händereibend seine Gegner, denen zu einem guten Teil aufgrund des Kompromisses zwischen John und Innozenz die Rückkehr nach England ermöglicht worden war. Es roch nach einem Aufstand, dem sich auch die Waliser anschließen wollten. John musste etwas gegen die drohende Revolte unternehmen, aber nach seinem französischen Abenteuer und der Entschädigung der Kirche war er pleite. John konnte seine Söldner nicht mehr bezahlen.

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Er hatte die eher unkluge Idee, seine Probleme mit der Erhebung einer Sondersteuer zu lösen. Das brachte bei den Lords das Fass zum Überlaufen, die Rebellion gegen den König brach offen aus. Sie kündigten John die Gefolgschaft und rüsteten für den Bürgerkrieg.

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Der König war derart verhasst, dass er in England kaum noch Verbündete fand und klein beigeben musste. Am 15. Juni 1215 unterzeichnete John auf Druck seiner Barone eine Freiheitsurkunde, welche die gegenseitigen Rechte und Pflichten von König und Adel festschrieb und die aufgrund ihrer Länge „Magna Charta“ genannt wurde. Für die Erhebung von Steuern, richterliche Entscheidungen wie Hinrichtungen und sowieso für Entscheidungen über Krieg und Frieden benötigte der König künftig die Zustimmung des Rats aus geistlichen und weltlichen Lords. Der Charta zufolge war der König wie alle freien Menschen dem Gesetz unterworfen, und die Gesetze sollten nicht geheim sein, sondern bekannt.

John, nun ein frommer Katholik, informierte umgehend seine Heiligkeit. Als Innozenz III. davon hörte, rief er aus: „Bei Petrus, wir können diese Beleidigung nicht ungestraft lassen.“ Dieses Dokument, oft die Grundlage der englischen Freiheitsrechte genannt, wurde vom Papst förmlich „gegen das moralische Gesetz“ verdammt. Der König, erklärte er, sei keineswegs Baronen und Volk untertan. Er sei nur Gott und dem Papst untertan. Von solchen Worten ermutigt, focht John die Magna Charta an und führte nun doch Krieg gegen seine Adligen – und das sogar erfolgreich. Isoliert saßen die Rebellen in London fest und ersuchten den französischen Thronfolger Louis um Hilfe. Ja, sie boten ihm sogar die englische Krone an – Louis' Frau war eine Enkelin von Henry II. - wenn er nur den Tyrannen John besiegen würde. Das Angebot kam Louis recht, denn er war ein kriegstüchtiger junger Ritter. Er behauptete, John habe seine Krone durch den Mord an seinem Neffen Arthur verwirkt und setzte im Mai 1216 (gegen das ausdrückliche Verbot des Papstes) mit einem Heer nach England über. Im Norden fiel der neue, junge König Alexander von Schottland in England ein, im Westen rüsteten die Waliser zum Kampf. John stand militärisch wie politisch mit dem Rücken zur Wand. Er hastete mit den letzten Getreuen von einem Brandherd zum nächsten. Er erreichte zwar nichts, richtete aber unter der einfachen Bevölkerung noch mehrere Blutbäder an.

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Am 9. Oktober 1216 erkrankte der König plötzlich an heftigem Durchfall und schaffte es zumindest noch bis ins sichere Newark, das noch fest in der Hand der Königstreuen war. Aber in der Nacht auf den 19. Oktober starb John. „So grauenhaft die Hölle auch sei“, schrieb ein Chronist zum Nachruf, „wird sie nun, da John dort ist, noch viel grauenvoller sein.“

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John hinterließ eine muntere Schar von Kindern, die er gemeinsam mit seiner Frau Isabella von Angouleme gezeugt hatte. Henry, der Älteste, war noch ein Kind, als sein Vater starb. In aller Eile wurde er am 28. Oktober 1216 – also neun Tage nach Johns Tod – gekrönt, um den Rebellen und dem französischen Prätendenten etwas entgegenzusetzen. Dem kleinen Henry muss das alles wie ein böser Traum vorgekommen sein. Aber seiner Mutter fiel nichts besseres ein, als ein gutes halbes Jahr nach der Krönung zu verschwinden, in ihre südfranzösische Heimat zurückzukehren und sowohl Henry III. als auch seine kleinen Geschwister einem höchst ungewissen Schicksal zu überlassen.

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Der Junge hatte Glück, dass sein nächster Regent ein mehr vertrauenswürdiger Mann war: Der betagte William Marschall hatte bereits zu Zeiten von Henrys gleichnamigen Großvater der Krone loyal gedient. Es war die Chance für einen Neuanfang, denn alle Parteien in England schätzten ihn gleichermaßen. Marschall besiegte nicht nur die Rebellen, er zerschlug auch die Träume des französischen Prinzen Louis, den englischen Thron zu besteigen. Der ließ sich mit einem Schmiergeld auszahlen und kehrte nach Paris zurück, wo er 1223 seinen Vater Philippe II. auf dem Thron beerben sollte.

Der loyale William Marschall war dem kleinen Henry III. ein echter Vaterersatz. Kein Wunder, wenn man bedenkt, was für einen leiblichen Vater der junge König gehabt hatte. Marschall starb allzu bald (1219) und es sollte sich in der Folge zeigen, dass Henry III. sein Leben lang nach einem Vaterersatz sein würde. Wirklich „mündig“ wurde er nie – mit entsprechenden Konsequenzen für England, das sich in den folgenden Jahrzehnten mit sich selbst beschäftigte und auf der internationalen Bühne wenig Gewicht haben sollte.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 20. August 2017 13:14

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3. „Ein Ausbund an Verderbtheit und das Werk der Hölle“ - der Vierte Kreuzzug (1202-1204)

Am 8. Januar 1198 wurde Lotario de Conti di Segni zu Papst Innozenz III. gewählt. Mit 37 Jahren zählt er bis heute zu den jüngsten Amtsinhabern. Während seines ereignisreichen Pontifikats (1198-1216) erreichten die Kreuzzüge eine neue Intensität und Vielfalt, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis: Die Feinde der Kirche, innerhalb wie außerhalb der Christenheit, wurden identifiziert, herausgefordert und in manchen Fällen auch besiegt. Innozenz war überzeugt, dass die Gläubigen den Verlust Jerusalems und das Scheitern des Dritten Kreuzzugs rückgängig machen konnten. Unter seinem Pontifikat zielte der Kreuzzugsgedanke aber auch in neue Richtungen: unter anderem gegen Ketzer in Südfrankreich (Albigenser) und gegen politische Gegner des Papsttums in Süditalien.

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Die Kreuzzüge, die Richard Löwenherz und Heinrich VI. 1191 bzw. 1197 angepackt hatten, waren nicht sonderlich von Erfolg gekrönt gewesen. Innozenz III. musste sich nun, im Jahre 1200, vor allem mit den Franzosen zusammensetzen, wenn er Jerusalem zum Ziel eines neuen, des vierten Kreuzzugs, machen wollte. Denn in England und Deutschland waren nach dem Tod der Herrscher innenpolitische Unruhen ausgebrochen. Im Frühjahr 1200 trafen sich die Planer des Kreuzzugs in Soissons und fällten bei ihren Beratungen eine folgenschwere Entscheidung: Sie beschlossen, in die Levante zu segeln, und wandten sich, weil Pisa und Genua gegeneinander Krieg führten, an die dritte damalige Seemacht, die Venezianer. Im März 1201 traf eine Delegation der Kreuzfahrer in Venedig ein, um die Bedingungen für eine Überfahrt auszuhandeln. Sie begegneten dort einer der faszinierendsten Figuren der mittelalterlichen Geschichte: dem Dogen Enrico Dandolo, einem über neunzigjährigen Mann, der seit mindestens zwei Jahrzehnten blind war.

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Trotz seiner Behinderung war Dandolo eine Persönlichkeit von gewaltiger Tatkraft, dessen Verhalten auf dem Feldzug ihm sowohl großes Lob als auch scharfe Kritik eintragen sollte. Dandolo regierte Venedig seit 1192 und war mit Sicherheit ein erfahrener und tüchtiger Politiker. Nach einigen Tagen Bedenkzeit stellten die Venezianer ihre Bedingungen auf die Anfrage der Kreuzfahrer. Es ging um die Gestellung von Transportschiffen für ein Heer von 4.500 Rittern und 20.000 Mann Fußtruppen samt der Pferde, die dazugehörigen Knappen und neun Monate Proviant für die Gesamtheit des Heeres. Zum Schutz der Überfahrt kamen „um Gottes Liebe“ fünfzig bewaffnete Galeeren hinzu. Der Preis, den die Venezianer hierfür aufriefen, belief sich auf 85.000 Mark, wovon 5.000 Mark direkt anzuzahlen waren – und die Kreuzritter sagten zu. Der Betrag war gigantisch, er entsprach dem doppelten Jahreseinkommen der englischen und französischen Krone. Und das, ohne dass ein größerer Monarch mit seinen Truppen an dem Kreuzzug teilnahm. Die Stadt Venedig war über ein Jahr lang komplett ausgelastet, um diesen gewaltigen Auftrag zu realisieren.

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Schon jetzt gab es eine geheime Absprache zwischen der Führung des Kreuzzugs und dem Dogen, den Kreuzzug mit einem Angriff auf Ägypten statt dem Heiligen Land zu beginnen. Man wollte Ägypten als Zwischenstation auf dem Weg nach Jerusalem nutzen. Eine vernünftige Strategie und beträchtliche finanzielle Anreize steckten hinter dem Plan. Die schier unerschöpflichen Ressourcen Ägyptens boten dem christlichen Militär ungeahnte Möglichkeiten, zugleich würde die Kontrolle der Küstenlinie die Sicherheit der fränkischen Schifffahrt garantieren. Die Venezianer konnten ihrerseits nicht der verführerischen Aussicht widerstehen, die dominierende Handelsmacht in Alexandria zu werden. Sie wussten, dass die Stadt später in EU4 einen wichtigen Handelsknoten darstellen würde. Im Jahre 1200 wickelte Venedig nur 10% seines Handelsvolumens in Alexandria ab, Genua und Pisa waren dort viel stärker vertreten. Der Papst missbilligte Geschäfte mit den Muslimen, insbesondere mit Kriegsmaterial wie Eisen und Holz, aber im Vorfeld des Kreuzzugs wollte Innozenz es sich nicht mit Venedig verscherzen und ließ den Handel mit nichtmilitärischen Waren zu.

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Weil im Mai 1201 der bisherige Anführer des Kreuzzugs starb, musste man sich einen neuen suchen. Die Wahl fiel auf Bonifaz, den Marquis von Montferrat. Seinen Brüdern waren wir schon begegnet: Wilhelm Langschwert (kurzzeitig der Ehemann von Sybille von Jerusalem) und Konrad Montferrat, den die Assassinen im Jahr 1192 ermordet hatten.

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Den Rest des Jahres 1201 und 1202 kamen die Kreuzzugspredigten und die Vorbereitungen allmählich in Gang. Nebenher kam es zu Weihnachten 1201 in Hagenau zu einer Begegnung zwischen Bonifaz und Philipp von Schwaben, dem deutschen König. Bonifaz traf bei Philipp dessen Schwager Alexios an, Prinz von Byzanz. Der reiste zu der Zeit in Europa umher, um Unterstützer dazu zu überreden, ihm und seinem Vater wieder zu ihren rechtmäßigen Stellungen zu verhelfen. Alexios' Onkel hatte einige Jahre zuvor selbst nach der Macht gegriffen und die beiden ins Gefängnis geworfen. Während Alexios' gestürzter Vater im Kerker geblendet wurde und dort versauern musste, war dem Prinzen dagegen die Flucht gelungen. Seine inständigen Bitten in Deutschland blieben auf emotionaler Ebene zwar nicht ohne Wirkung, aber schon Philipps Bruder und Vorgänger Heinrich VI. hatte für die Familie von Alexios wenig übrig gehabt: Die Angelos hatten ihrerseits die vorherige Dynastie erbarmungslos abgesetzt und sich gar mit Saladin verbündet gehabt. Es gab also wenig Interesse daran, den Bitten des Alexios zu folgen.

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Im Frühjahr und Sommer 1202 trafen die nordfranzösischen Kreuzfahrer nach und nach in Venedig ein – besser gesagt bei Venedig. Dandolo quartierte sie in weiser Voraussicht außerhalb der Stadt, damit sie dort keine Unruhe stiften konnten. Die Zahl der Eintreffenden enttäuschte jedoch, im August waren es erst 12.000 der vereinbarten 35.000 Mann. In Venedig machte man sich Sorgen, dass der ganze Plan scheitern würde und alle Opfer, die man sich abverlangt hatte, umsonst waren. Dandolo richtete eine klare Botschaft an die Kreuzfahrer: Entweder Venedig würde für seine Investitionen und zwischenzeitlich entgangenen Gewinne vollständig bezahlt, oder der Nachschub an Verpflegung würde gestoppt. So unter Druck gesetzt, legten die Anführer des Kreuzzugs ihr Geld zusammen, es fehlten aber immer noch 34.000 Mark. Der Ruf beider Seiten stand auf dem Spiel: Dandolo hatte seine Bürger auf den Vertrag verpflichtet, der nun zu einem Minusgeschäft zu werden drohte. Und die Kreuzfahrer hätten womöglich unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren müssen. Was für eine Blamage wäre das, nachdem man zuvor doch feierlich das Gelübde zur Befreiung Jerusalems abgelegt hatte. Der September 1202 kam, die Herbststürme standen ins Land, schlechte Voraussetzungen für einen Start in die See. Was also tun?

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Dandolo machte der verschuldeten Streitmacht vor seinen Toren einen Vorschlag: Man könne doch zunächst die kroatische Stadt Zara (heute: Zadar) überfallen, die 165 Seemeilen südöstlich von Venedig lag. Die Zaraner waren früher Untertanen Venedigs gewesen, hatten aber dessen Herrschaft abgeschüttelt. Die Sache hatte nur zwei Haken: Die Zaraner waren Christen, und ihr derzeitiger Herr, König Bela III. von Ungarn, war selbst Kreuzfahrer. Nominell standen seine Territorien also unter dem Schutz der Kirche und durften gar nicht angegriffen werden – schon gar nicht von anderen Kreuzfahrern. Da sich die Führer der Expedition über die höchst umstrittene Rechtmäßigkeit dieses Vorhabens im Klaren waren, beschlossen sie, den Truppen das Ziel vorerst zu verschweigen, und gaben nur den Befehl zur Abreise.

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Die einfachen Kreuzfahrer waren froh, dass es endlich losging, inbrünstig gingen sie an Bord der venezianischen Schiffe. Der Augenzeuge Robert von Clari beschrieb die mit Wappen und Flaggen geschmückte Flotte von fast zweihundert Schiffen so: „Es ist der prächtigste Anblick seit Anbeginn der Welt.“

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Der Papst in Rom, der von der Abänderung des Ziels erfahren hatte, sah das ganz anders. Er beauftragte seinen Legaten Peter von Capuano, den Angriff zu verbieten und den Kreuzfahrern bei Ungehorsam die Exkommunikation anzudrohen. Peter, der vor Ort von den ganzen Schwierigkeiten alles live mitbekommen hatte, entschied sich, die Haltung des Heiligen Vaters vor den Kreuzfahrern zu verschweigen. In seinen Augen hatte es oberste Priorität, dass der Kreuzzug überhaupt begann. Innerhalb des Kreuzfahrerheeres gab es auch so eine Spaltung. Der Adelige Simon von Montfort war gegen den Abstecher und teilte den Zaranern mit, kein französischer Soldat werde die Waffen gegen die erheben, Zara solle venezianische Forderungen nach einer Unterwerfung ruhig zurückweisen. Dandolo bekam das natürlich mit und wurde wütend. Am 13. November 1202 begann die Belagerung von Zara mit Türmen, Katapulten und der gefährlichsten Waffe, dem Tunnelbau. Der Aufmarsch war so beeindruckend, dass Zara rasch über die Bedingungen einer Übergabe der Stadt verhandeln wollte. Ende 1202 war die Sache bereits über die Bühne gebracht, der Kreuzzug hatte seine Schulden bei den Venezianern zumindest teilweise beglichen.

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Der moralische Preis indes wog viel schwerer. Papst Innozenz machte seine Drohung der Exkommunikation wahr und schrieb an die Kreuzfahrer: „Hütet euch, aus eurem Gold ist einfaches Metall geworden, und euer Silber ist inzwischen fast völlig verrostet, da ihr von der Reinheit eures Plans abgekommen seid.“ Die Kreuzfahrer mussten sowieso bei Zara überwintern und schickten in der Zwischenzeit Gesandte zum Papst, um ihn zu beschwichtigen.

Währenddessen trafen Botschafter des Prinzen Alexios in Zara ein. Sie brachten einen sorgfältig ausgewogenen Vorschlag, der geschickt eigens auf die Bedürfnisse und Interessen aller Beteiligten des Kreuzzugs abgestimmt war. Alexios begehrte, mit Hilfe der Kreuzritter wieder nach Konstantinopel, auf den Kaiserthron, zurückkehren zu können. Als Gegenleistung bot er an, das orthodoxe Byzanz unter den Gehorsam des katholischen Rom zu bringen. Ein frommer Christ müsse eine solche Mehrung für die Mutter Kirche doch gut finden, oder? Und der Papst müsse erst recht erfreut sein über das Ende des Schisma und würde sich gegenüber den Kreuzfahrern dann sicher großzügig erkenntlich zeigen, da wären doch bestimmt 200.000 Mark für sie drin. Mehr als genug, um dann den Kreuzzug nach Ägypten fortzusetzen! Das hörte sich verdammt gut an, der Haken daran war nur, dass Konstantinopel sicherlich mit Gewalt eingenommen werden musste, um Alexios auf den Thron zu setzen. Also wieder Kampf gegen eine christliche Stadt? Die Franzosen unter Simon von Montfort sagten dazu Nein und beschlossen, alleine direkt ins Heilige Land zu segeln. Die übrigen Kreuzritter folgten dem Dogen Dandolo, der von dem Plan sehr angetan war. Schließlich winkte in Konstantinopel fette Beute und nach so einem Umsturz und der Unterstellung unter Rom würde Byzanz als Venedigs Konkurrent im Seehandel auf lange Sicht ausfallen.

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Papst Innozenz reagierte mit der Aufhebung der Exkommunikation unter Vorbehalt und ermahnte die Kreuzfahrer mit der schwammigen Bemerkung, sie dürften „die Länder von Christen nicht feindlich betreten oder ihnen Schaden zufügen, außer wenn sie euren Zug böswillig behindern wollen oder ein anderer notwendiger oder gerechter Anlass sich ergeben sollte.“ Alles klar, sagten sich die Kreuzfahrer: Wenn sich ein „notwendiger oder gerechter Anlass“ ergeben sollte, werden sie daran denken. Von da an richtete sich der Kreuzzug gegen Konstantinopel. Als die Flotte der Kreuzfahrer im Mai 1203 vor Konstantinopel ankam, schwante den Männern erst, worauf sie sich so selbstbewusst eingelassen hatten.

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Die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches war mit 350.000 Einwohnern und seinen unvergleichlichen Befestigungsanlagen eine der gewaltigsten Metropolen der Welt. Zunächst versuchte man es damit, den Einwohnern von Konstantinopel den Prinzen Alexios zu präsentieren. Alexios hatte nämlich behauptet, dass seine Landsleute ihn glücklich empfangen würden, froh, die Tyrannei des Alexios III. abschütteln zu können. Nichts dergleichen geschah, die Byzantiner auf den Mauern der Stadt reagierten gleichgültig, als der Prinz von außerhalb der Stadt das Wort ans sie richtete. Der junge Mann war hier weder großartig bekannt noch geschätzt, die Leute hatten bereits Winde davon bekommen, dass der Prinz ihre Freiheit an den Papst verschachern wollte. Niedergeschlagen kehrten die Kreuzfahrer mit dem gedemütigten Prinz Alexios in ihr Lager zurück. Dann also Kämpfen.

Die Belagerung einer flächenmäßig so großen Stadt war illusorisch, Konstantinopel hatte zudem einen schwer bewachten Hafen, konnte also auf sicherem Seeweg mit Nachschub versorgt werden. Die Festung war einfach perfekt am Bosporus gelegen. Das Kreuzfahrerheer dagegen hatte nur begrenzt Proviant zur Verfügung, es musste also schnell eine Entscheidung her. Und tatsächlich : Überraschend und mit viel Tapferkeit errangen die Angreifer taktische Siege, setzten die Griechen an den Mauern und zur See unter erheblichen Druck. Der Ostteil der Stadt ging rauchend in Flammen auf, nur der Einsatz der elitären Waräger-Garde verhinderte Schlimmeres für den Kaiser.

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Alexios III. entschloss sich zu handeln und führte sein Heer vor die Stadt, um den Gegner zur Schlacht an der Nordmauer aufzufordern. Die Westeuropäer blickten entsetzt auf die Zahl der byzantinischen Streitmacht (mehrere Tausend), während die Katholiken nur noch 500 Ritter, weitere 500 Reiter und 2.000 Fußsoldaten hatten. Bei den Kreuzfahrern machten sich Unordnung und Flucht bemerkbar, da zog Alexios III. überraschend sein Heer wieder in die Stadt zurück – warum auch immer.

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Die Kreuzfahrer hauten lautstark auf die Pauke, ihr martialisches Auftreten habe die verweichlichten Byzantiner in Angst versetzt. Für die Moral der Verteidiger war die ganze Sache tatsächlich ein herber Schlag. Obwohl die Belagerer nur noch Proviant für wenige Tage hatten – Alexios III. hätte die Bedrohung also einfach aussitzen können – kochte innerhalb der Stadtmauern die Wut der Menschen jetzt so hoch, dass der Kaiser sich gezwungen sah, alles greifbare Geld zusammenzuraffen und in der Nacht des 17. Juli 1203 aus Konstantinopel zu fliehen.

Als man im Palast gewahr wurde, dass der Kaiser abgehauen war, holte man den geblendeten Isaak Angelos (den Vater von Prinz Alexios) aus dem Kerker und setzte ihn auf den Thron. Es war völlig unüblich, einem Blinden die Krone zu geben – gerade deswegen wurden Konkurrenten ja bevorzugt um ihr Augenlicht gebracht – doch man hoffte, Isaak werde seinen Sohn dazu bewegen, das Kreuzritterheer von der Stadt wegzuführen. Zum Anreiz bot man Alexios an, als Mitherrscher auf dem Thron Platz zu nehmen. Die Zeichen standen auf Frieden, im katholischen Lager brach Jubel aus über den leicht errungenen Sieg. Eine Delegation wurde in die Stadt geschickt und präsentierte dem bestürzten Isaak die Vereinbarung, die sein Sohn mit den Kreuzrittern geschlossen hatte. Angesichts der Machtverhältnisse blieb ihm erst einmal nichts anderes übrig, als der Übereignung seines Kaiserreiches an Rom zuzustimmen. Gut gelaunt schlugen die Kreuzfahrer neue Lager auf, sie erhielten reichhaltigen Proviant von den Griechen und erkundeten schon einmal, wo überall die byzantinischen Schätze aufbewahrt wurden.

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Für eine Invasion Ägyptens war es Ende Juli 1203 bereits zu spät für dieses Jahr, die Kreuzfahrer – sie wurden hier nun die „Lateiner“ genannt – beschlossen vor Konstantinopel zu überwintern. Die Einhaltung des Versprechens, dass Isaak II. und sein Sohn, nunmehr zu Alexios IV. gekrönt, musste zudem überwacht werden. Außerdem sollte sichergestellt werden, dass es nicht zu einem erneuten Umsturz in Byzanz kommt: es war klar, dass die beiden Herrscher zügig ermordet werden, sobald die lateinische Schutzmacht abgezogen ist. Kein Wunder, nachdem sie ganz Byzanz quasi verschenkt hatten.

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Der Druck im Kessel wuchs. Es zeigte sich, dass der Kaiser sein Versprechen gar nicht einhalten konnte, die Schulden bei den Lateinern waren zu gewaltig. Deren Kaufleute wiederum benahmen sich in Konstantinopel wie die Herren der Stadt, die Wut der Griechen entlud sich in Gewalt gegen die ungebetenen Gäste.

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Und das zog Strafmaßnahmen nach sich, Konstantinopel wurde immer mehr verwüstet. Schließlich erklärte der Kaiser, er könne nicht weiter bezahlen. Und da er wusste, dass die Kreuzfahrer über den Winter hinweg auf seinen Proviant angewiesen waren, drohte er zugleich, ihnen den Nachschub zu streichen. Dandolo platzte der Kragen, er schrie Isaak II. direkt ins Gesicht: „Übler Kerl! Wir haben dich aus dem Dreck geholt, wir werden dich zurückwerfen. Ich biete dir die Stirn, und wisse wohl, dass ich dir von jetzt an alles Schlimme zufügen werde, das in meiner Macht steht.“

„So begann der Krieg“, kommentierte Villehardouin lakonisch.

Die Byzantiner nahmen die Sache selber in die Hand. In einer nächtlichen Aktion griffen sie mit Brandschiffen die venezianische Flotte an. Mit größter Mühe retteten die Venezianer ihre Galeeren unter dem Spott einer Kulisse von Einheimischen. Ein griechischer Mob stürmte die Hagia Sophia und forderte Senat und Kirche auf, einen neuen Kaiser zu wählen. Ein Kandidat nach dem anderen lehnte eine so gefährliche Rolle ab, bis ein junger Adeliger namens Nicholas Kannavos am 27. Januar 1204 kurzerhand gegen seinen Willen von Senat und Kirche zum Gegenkaiser gesalbt wurde. Die sogenannte byzantinische Partei dagegen hob einen eigenen Kandidaten auf den Schild, einen Mann namens Murtzuphlos, der sich den Namen Alexios V. zulegte.

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Stich von Gustave Dore: Enrico Dandolo verhandelt mit Murtzuphlos

Am selben Tag wandte sich der verzweifelte Alexios IV. an die Kreuzfahrer um Hilfe, doch seine Einladung an sie, die Stadt zu betreten, brachte für seine Gegner das Fass zum Überlaufen. Noch in der Nacht wurde Alexios IV. ergriffen und in den Kerker geworfen. Jetzt gab es in Byzanz vier Kaiser gleichzeitig, eine groteske Situation und ein Zeichen, wie todgeweiht das Reich zu jener Zeit bereits war. Die Anzahl wurde aber rasch bereinigt: Murtzuphlos/Alexios V. ermordete binnen Tagen den blinden Isaak II. sowie den Kirchenkandidaten Kannavos. Anschließend ging er daran, die Mauern von Konstantinopel wieder verstärken zu lassen, das machte den Byzantinern Mut. Sie brachten ihn zum Ausdruck, indem sie drei Venezianer festnahmen und auf der Stadtmauer an Haken aufhingen. Dass der neue Herrscher Alexios V. ein zupackender Typ mit Hass auf die Lateiner war, bewies er, indem er eigenhändig die drei Körper in Brand steckte. Den Nachschub an Proviant an die Lateiner stellte der Kaiser natürlich umgehend ein. Arschlecken!

Die Kreuzfahrer standen düpiert vor den Mauern und reagierten auf den Boykott wie zu erwarten war: Sie plünderten über beträchtliche Entfernungen das Umland aus. Alexios V. befahl, die Raubtrupps der Lateiner zu überfallen, da passierte ihm ein schwerer Lapsus: Bei einem der Gefechte ging der große Talisman der byzantinischen Armee verloren, eine Ikone der Jungfrau Maria. Der Kaiser versuchte törichterweise, seinem Volk den Verlust zu verheimlichen, und als die Kreuzfahrer davon erfuhren, präsentierten sie unter großem Jubel die Ikone vor der Mauer, um ihren Rivalen zu demütigen. Der Kaiser fürchtete, unter die Räder zu geraten und ließ vorsichtshalber nun am 8. Februar 1204 auch den eingekerkerten Alexios IV. erdrosseln.

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Für die Lateiner ein willkommener Vorwand, Murtzuphlos als Mörder an dem rechtmäßigen Kaiser zu brandmarken. Ohne Möglichkeit, weiteren Proviant zu akquirieren, mussten die Kreuzfahrer sowieso eine Entscheidung herbeiführen: Der zweite Angriff auf Konstantinopel.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 26. August 2017 08:47

An einen Weiterzug der Kreuzfahrer nach Ägypten war ohne ausreichend Proviant und Ergänzung ihrer Ausrüstung nicht zu denken. Sie waren auch nicht bereit, ohne Beute in die Heimat zurückzukehren. Nun hatten sie sogar ein Motiv und Ziel, die christliche Stadt anzugreifen, nämlich die wortbrüchigen Griechen durch eine lateinische Herrschaft zu ersetzen. Der Sturmangriff auf Konstantinopel wurde sorgsam vorbereitet. Ein Brief des Papstes, der wiederum ein Verbot eines solchen Angriffs aussprach, wurde abgefangen. Im März 1204 unterzeichneten die teilnehmenden Mächte einen Vertrag über die Aufteilung von Beute und byzantinischem Gebiet für den Fall des Sieges. Demnach sollten die Venezianer drei Achtel, die Kreuzfahrer drei Achtel und der neu zu benennende Herrscher Byzanz' ein Viertel der Beute erhalten, bis die Schulden der Franken getilgt waren. Alles weitere an Beute sollte eins zu eins geteilt werden. Ebenso vereinbarte man, dass der zukünftige lateinische Kaiser von je sechs venezianischen und fränkischen Wahlmännern berufen werden sollte. Außerdem sollte die Partei, die nicht den Kaiser stellte, im Gegenzug einen der ihren zum Patriarchen ernennen dürfen.

Der erste Angriff am 9. April 1204 endete mit einem Unentschieden, die Angreifer mussten sich zurückziehen. Am 12. April versuchten sie es erneut. Diesmal gelang die Erstürmung einiger Türme der Seemauer. Die Angreifer öffneten nach harten Kämpfen von innen eines der Stadttore und konnten sich im Hafenviertel dicht hinter der Mauer festsetzen. Erneut setzten sie einige Häuser in Brand und lösten damit eine Feuersbrunst aus. Doch der Kampf war keineswegs entschieden, denn nach wie vor kontrollierten die Byzantiner den Großteil der Stadt. Über Nacht beschloss Murtzuphlos, dem Beispiel Alexios' III. nachzueifern und zu fliehen (er wurde aber gefasst – und man ahnt es – erst geblendet, dann getötet). Kaum hatte sich die Meldung von der Flucht des Kaisers in Konstantinopel verbreitet, kamen die übrigen großen Persönlichkeiten überein, die Stadt zu übergeben. Die Griechen hofften, mit der Unterwerfung weitere Gewalttaten zu verhindern, doch die Kreuzfahrer deuteten das Einstellen jeder Gegenwehr eher als Einladung, mit der Plünderung von Konstantinopel erst recht zu beginnen.

Während der Mob über die ganze Stadt ausschwärmte, beeilten sich die Adeligen, die kaiserlichen Paläste zu besetzen. Bonifaz, der Anführer der Kreuzritter, nahm sich den Bukoleon-Palast vor und machte fette Beute. Die Lateiner raubten die Hagia Sophia aus, das spirituelle Herz von Byzanz. Betrunkene Kreuzfahrer tanzten unterhalb der prächtigen Mosaikdecke, eine Dirne tanzte auf dem Altar und setzte sich dann breitbeinig auf den Stuhl des Patriarchen. Die katholischen Kirchenmänner ignorierten die blasphemische Orgie, sie waren mit dem Wegschaffen der Kirchenschätze beschäftigt. Den alten Wächter des Schatzes in der Kirche Christus Pantokrator packte der Abt Martin von Pairies am Kragen und schrie ihn an: „Los, treuloser Alter, zeige mir, was du an wertvollen Reliquien verwahrst, oder du sollst wissen, dass du sofort des Todes bist!“ Abt Martin erbeutete eine Spur vom Blut Christi, ein Stück des Wahren Kreuzes, einen bedeutenden Teil der Gebeine des Heiligen Johannes, einen Arm des Heiligen Jakobus, einen Fuß des Heiligen Kosmas, einen Zahn des Heiligen Laurentius sowie Reliquien von weiteren 28 männlichen und acht weiblichen Heiligen. Diese von Abt Martin aus Konstantinopel mitgebrachten Reliquien, steigerten in der Folgezeit die Bedeutung und den Ruf der elsässischen Abtei.

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Das gesamte Konstantinopel wurde ungehemmt und total ausgeplündert, Menschen ermordet, misshandelt oder geschändet. Die Griechen sollten den Katholiken dieses Benehmen niemals verzeihen. Das Ergebnis der Schandtat aber wahr, dass die Venezianer endlich komplett ausgezahlt werden konnten, und jeder einzelne im Kreuzfahrerheer bekam je nach seinem Rang eine bestimmte Summe. Als nächstes musste ein Kaiser gewählt werden. Am 9. Mai 1204 tagte das Komitee und stimmte für Graf Balduin von Flandern. Bonifaz war zwar etwas beleidigt, stimmte dem aber zu, die Person Balduin galt einhellig als eine gute Wahl. Eine Woche danach wurde der Flame, gehüllt in prächtige kaiserliche Gewänder, gesalbt und zum Kaiser von Konstantinopel gekrönt. Es war der Beginn des sogenannten Lateinischen Kaiserreichs.

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Und was wurde nun aus dem Kreuzzug und seinem mehr oder weniger heimlichen Lenker, dem Dogen Dandolo? Der schrieb mit Blick auf sein hohes Alter an den Papst und bat darum, von seinem Gelübde, nach Jerusalem zu fahren, entbunden zu werden. Doch Innozenz zürnte dem Dogen noch immer wegen seines Verhaltens bei Zara und der fehlenden Reue. Folglich bereitete es dem Papst ein besonderes Vergnügen, die Bitte abzulehnen: Innozenz versicherte Dandolo, dass seine persönliche Führung des Kreuzzugs von größter Wichtigkeit für das Gelingen des Unternehmens sei. Der mit höflichen Worten abgeschmetterte Doge konnte dagegen kaum etwas einwenden, allerdings erledigte sich die Sache wenig später von selbst: Enrico Dandolo starb im Juni 1205.

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Und der eigentliche Kreuzzug fand überhaupt nicht mehr statt. Im Anschluss an die Eroberung Konstantinopels dehnten die Lateiner lieber in heftigen Kämpfen ihren Einfluss in Griechenland aus. Bonifaz von Montferrat übernahm die Kontrolle über Thessaloniki, die Venezianer eroberten die Inseln Kreta und Korfu, die sie ihrem Handelsimperium einverleibten. Der Clan der Villehardouin richtete sich auf der Peloponnes ein. Die griechischen Adeligen nahmen das natürlich nicht einfach hin, auch die benachbarten Bulgaren sahen eine Gelegenheit, ihren Einfluss auf Kosten der Lateiner auszudehnen. Im April 1205 geriet Kaiser Balduin bei einem Gefecht in bulgarische Gefangenschaft und wurde nie wieder gesehen.

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So geriet das Lateinische Kaiserreich von Anfang an in die Defensive, ähnlich wie zuvor das Königreich Jerusalem. Es gab vor Ort einfach zu wenige Soldaten, mit denen man das Eroberte auf Dauer absichern konnte. Und Konstantinopel hatte weniger Strahlkraft als Jerusalem, die Hilfsappelle an die westlichen Monarchen blieben weitgehend ungehört.

Innozenz III. konnte vorerst aber zufrieden sein, Byzanz war seiner katholischen Kirche unterworfen worden. Noch Anfang 1205 sprach er von „dem Wunder, das sich in diesen Tagen ereignet hat“. Sein Ton änderte sich bald aber. Zunächst entband er die Kreuzritter von ihrem Gelübde, in das Heilige Land zu fahren. Eine realistische Maßnahme in Anbetracht der Verwundbarkeit des Lateinischen Reiches, für Innozenz trotzdem eine Niederlage. Viel gravierender war jedoch, was die ersten Besucher in Rom von den Gräueltaten in Konstantinopel schilderten, die die Kreuzfahrer in ihrem Bericht an den Heiligen Vater vornehm verschwiegen hatten. Innozenz stellte fest, dass die Orthodoxe Kirche gewiss nicht den Wunsch hatte, den Primat des Papstes anzuerkennen, wenn sie in den Lateinern „nur ein Ausbund an Verderbtheit und das Werk der Hölle“ sah, „so dass sie diese nunmehr zu Recht stärker noch als Hunde verabscheut“.

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... es hat sich auch mal jemand hingesetzt, und das Geschehen in CK2 nicht nur nachgespielt, sondern als Video hochgeladen:

Der vierte Kreuzzug

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 28. August 2017 20:32

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4. Deutschland: Philipp von Schwaben gegen Otto IV. (1198-1212)

Der frühe Tod von Kaiser Heinrich VI. im September 1197 stellte plötzlich die Vorherrschaft der Staufer im Reich in Frage. Zuvor war klar gewesen, dass später Heinrichs Sohn als Friedrich II. seine Nachfolge antreten würde, die Reichsfürsten hatten den Jungen bereits zum König gewählt. Ende 1197 war Friedrich allerdings erst drei Jahre alt und seine Mutter Konstanze sorgte dafür, dass er bei ihr in Sizilien blieb, um seinen Thron dort für ihn zu sichern. Als Konstanze ein Jahr später starb, wurde Papst Innozenz III. der Vormund Friedrichs, und der sorgte erst recht dafür, dass der junge Staufer im Süden blieb, denn er wollte eine erneuten Zusammenschluss des Reiches mit Sizilien, dieses Mal unter Friedrich II., unterbinden.

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In Deutschland war wegen des geringen Alters und der Abwesenheit Friedrichs somit die Frage wieder offen, wer auf den Thron folgen sollte. Weil andere Kandidaten entweder zu alt waren oder über zu wenig Geldmittel für die Beeinflussung so einer Kurfürstenwahl verfügten, lief es auf eine Konfrontation der beiden aussichtsreichsten Dynastien hinaus: Den Welfen und den Staufern.

Als Kandidat der Welfen hätte sich normalerweise Heinrich, der erstgeborene Sohn von Heinrich dem Löwen (+1195) angeboten, der befand sich zu dieser Zeit aber auf Kreuzzug im Heiligen Land. Als Alternative stand sein jüngerer Bruder Otto (*1175) bereit, dessen Kandidatur sein Onkel Richard Löwenherz, der König von England, unterstützte. Otto war – im Zuge des Exils des Löwen – am englischen Königshof aufgewachsen und Richard daher gut bekannt. Mehr noch: Der englische König konnte sich vorstellen, Otto zu seinem eigenen Nachfolger aufzubauen, um die Thronfolge seines Bruders John zu verhindern (aus diesem Plan wurde nichts, weil die englischen Barone da nicht mitmachten). Die nun im Raum stehende Kandidatur des Welfen um die deutsche Krone rief sogleich drei Fürsten auf den Plan, die kein Interesse daran haben konnten, dass ein Sohn Heinrichs des Löwen zum deutschen König gewählt wurde. Der Erzbischof Adolf von Köln, der Askanier-Herzog Bernhard von Sachsen sowie der Wittelsbacher Ludwig von Baiern – alle drei hatten von der Zerschlagung der Macht der Welfen profitiert. Ein Welfe auf dem deutschen Thron würde womöglich die Ereignisse aus den 1180ern rückgängig machen wollen.

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Der Gegenkandidat der Staufer war Philipp (*1177), der jüngste Sohn von Friedrich Barbarossa. Ursprünglich war er für eine kirchliche Laufbahn vorgesehen gewesen, inzwischen war er nach dem Tod seiner älteren Brüder aber der Herzog von Schwaben. Er war im Gegensatz zum militärisch-grobschlächtigen Welfen Otto also durch eine geistliche Erziehung scholastisch geprägt. Wie erwähnt hatte Philipp sich in Sizilien in die verwitwete Schwiegertochter von König Tancred verliebt, eine byzantinische Prinzessin, die Philipp bald darauf heiratete. Für Philipp stellte sich nach dem Tod von Heinrich VI. die Frage, ob er persönlich nach dem Königtum greifen sollte oder die Herrschaft als Regent im Namen seines kleinen Neffen Friedrich II. beanspruchen sollte. Er entschied sich, selber anzutreten und holte sich von Konstanze in Sizilien ihre Einwilligung und ihre Erklärung, dass Friedrich II. nicht für die Wahl zur Verfügung stünde. Die zuvor auf ihn abgelegten Eide der deutschen Fürsten seien obsolet. Für Philipp war das wichtig, wenn er die stauferfreundlichen Reichsfürsten vollständig hinter sich versammeln wollte.

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Es kam, wie es kommen musste: Auf getrennten Wahlveranstaltungen ließen sich sowohl Otto als auch Philipp Frühjahr 1198 zum neuen König wählen. Erzbischof Adolf spielte dabei eine besonders zwielichtige Rolle, denn er wollte beide Kandidaten gegeneinander ausspielen und unterstützte nach einer Rolle rückwärts nun Ottos Wahl. Der Welfe ließ sich diese Unterstützung natürlich etwas kosten, er garantierte Adolf den Besitz der Kölner Kirche in Westfalen. Nachdem der Welfe in Aachen zu Otto IV. gekrönt worden war (am richtigen Ort mit einer Kopie der Krone), musste Philipp zügig nachziehen: Er ließ sich in Mainz zum König erheben (am falschen Ort mit der richtigen Krone).

Zwei gekrönte Herrscher standen sich damit im Reich gegenüber. Ein Verfahren zur Lösung dieser Krise gab es nicht, auch wenn sich einige kluge Leute bereits Gedanken über eine rechtliche Systematisierung machten. Im Jahre 1198 musste der Streit von den Kontrahenten noch mit den Waffen ausgetragen werden. Die Strategie beider Parteien bestand darin, dem anderen die materielle Grundlage seines Anspruchs zu nehmen, indem man den Kernraum seiner Herrschaft mit militärischer Macht zusetzte und zugleich seinen Anhängern Angebote machte, die Seiten zu wechseln. Und solche Parteiwechsel gab es in den folgenden Jahren häufig, das war eine Sache des Geldes. Eines der Hauptziele Philipps musste es deshalb sein, Otto IV. von seinem englischen Gönner Richard abzuschneiden, und dazu ging er ein Bündnis mit Richards Rivalen Philippe II. von Frankreich ein. Kostengünstiger waren Rangerhöhungen, um die Reichsfürsten an seine Partei zu binden: Otakar von Böhmen wurde so zum König, Pfalzgraf Heinrich zum Herzog von Sachsen. Der ledige Otto IV. hatte dazu noch die Möglichkeit, sich durch eine geeignete Ehe gezielt zu positionieren. Er ging eine Verlobung mit Maria, der Erbtochter des Herzogs von Brabant, ein – allerdings taktierte der Herzog so lange, bis er schließlich 1204 zu Philipps Seite wechselte und die geplante Hochzeit seiner Tochter platzen ließ. Tja.

Wie man sieht, gab es keine rasche Lösung des Konflikts. Philipp hatte zwar mehr Anhänger, vor allem nach dem Tod von Ottos Unterstützer Richard Löwenherz im Jahre 1199. Ottos Position war aber immer noch stark genug, um eine lange Auseinandersetzung durchzustehen. Die Konsequenz aus der verfahrenen Lage war, eine höhere Autorität anzurufen, um die Entscheidung herbeizuführen: Den Papst. Dieser Weg war mehr im Interesse des in die Defensive geratenen Otto, auch, weil er wusste, dass der Papst nicht viel von einem weiteren Staufer auf dem Thron hielt. Das größte Interesse an der Schiedsrichterrolle hatte der Papst selber, der machtbewusste Innozenz. Der Heilige Vater handelte bei Otto IV. viele Zugeständnisse für die Kirche heraus, sprach sich sodann im März 1201 für den Welfen als rechtmäßigen König aus und exkommunizierte Philipp. Nur war der Kirchenbanns inzwischen allzu durchsichtig zu einer politischen Waffe des Papstes verkommen, er beeindruckte Philipp und seine Anhänger entsprechend nur mäßig.

1204 setzte eine allgemeine Abfallbewegung weg von dem Welfen ein, eingeleitet durch den Seitenwechsel des Pfalzgrafen Heinrich. Auch der Kölner Erzbischof Adolf und mit ihm die anderen Bischöfe erkannten jetzt Philipp als König an. 1205 konnte Philipp so die Krönung in Aachen, am richtigen Ort, durch Adolf, dem traditionell zur Krönung befugten, nachholen. Nur noch Innozenz III. stand jetzt noch auf Ottos Seite. Der Papst war aber realistisch genug, die Lage einzuschätzen, und drängte Otto dazu, im Jahre 1207 mit Philipp Verhandlungen über einen Waffenstillstand aufzunehmen. Als schließlich die Verhandlungen Philipps mit Innozenz III. über einen Romzug vor dem Abschluss standen, brachte ein völlig unerwartetes Ereignis die Wende: Am 21. Juni 1208 wurde Philipp von Schwaben in Bamberg durch Pfalzgraf Otto von Wittelsbach ermordet, vermutlich aus gekränkter Ehre. Dem Wittelsbacher war zuvor eine Ehe mit Philipps Tochter in Aussicht gestellt worden, die nicht zustande kam. Kaum mehr als zwei Monate nach Philipps Ermordung starb auch die Königin Maria.

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Allein Otto IV. stand als gesalbter und gekrönter Herrscher bereit, das Vakuum in der Legitimation einzutreten, das Philipps Tod hinterlassen hatte. Den Tod Philipps bezeichnete er als Urteil Gottes. Er ergriff beherzt die Chance, machte den Anhängern der Staufer große Zugeständnisse, indem er auf das Herzogtum Sachsen verzichtete. Über die Mörder von Philipp ließ er die Reichsacht verhängen und verlobte sich mit Beatrix, der Tochter seines ermordeten Kontrahenten.

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Damit band er sein Königtum dynastisch an die Staufer. Otto hatte mit diesen Schritten Erfolg, die Staufer ernannten keinen neuen Kandidaten gegen ihn. Im November 1208, nach zehn Jahren Bürgerkrieg, konnte sich Otto IV. noch einmal in Frankfurt zum König wählen lassen, dieses Mal von allen Reichsfürsten. Und ein Jahr später wurde Otto IV. in Rom vom Papst zum Kaiser gekrönt. Es gab da mit dem Papst keine Probleme, denn Otto hielt sich an die weitreichenden Versprechen, die er ihm in den Jahren zuvor bezüglich des Verzichts auf das Spolienrecht und dem Zugeständnis freier Bischofswahlen gemacht hatte. Es war ein weiterer Ausverkauf königlicher Rechte, die auf Dauer die Macht der deutschen Könige schwächen sollte.

Doch kaum war Otto zum Kaiser gekrönt, erhob er - entgegen früherer Absprachen mit dem Papst – Anspruch auf das Königreich Sizilien: Sein Vorgänger Heinrich VI. habe offen gelassen, ob er das normannische Königreich Sizilien als Kaiser oder als Gemahl Konstanzes, der Erbin der Königskrone, in Besitz genommen hat. Innozenz III. war düpiert. Er hatte geglaubt, die Verbindung Siziliens mit dem Reich dauerhaft unterbrochen zu haben. Nun sah er sich einem Kaiser gegenüber, der sich daran machte, eben diese Verbindung wiederherzustellen. Für Otto, der mit seinem Heer nach Süditalien weitermarschierte, war das quasi ein Abwasch: Er konnte nebenher Friedrich II. beseitigen, der auch als König von Sizilien eine latente Bedrohung seiner Herrschaft darstellte, da er als Erbe Heinrichs VI. und 1196 schon einmal gewählter deutscher König jederzeit Ansprüche auf das Reich erheben konnte, wenn auch noch nicht jetzt (Friedrich II. war inzwischen 15 Jahre alt).

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Innozenz III. griff zur bewährten Exkommunizierung, die er nun über Otto IV. verhängte, als dieser im November 1210 die Grenzen zum Königreich Sizilien überschritt. In Süditalien konnte er im Laufe des Jahres 1211 die Barone auf seine Seite ziehen. Offenbar war denen ein ferner Kaiser als Herrscher lieber als ein naher König. Mitte Oktober 1211 bereitete sich Otto IV. bereits darauf vor, auf die Insel Sizilien überzusetzen, als ihn eine unerwartete Nachricht zur überstürzten Rückkehr nach Deutschland zwang: Mehrere deutsche Fürsten hatten Ottos Exkommunikation zum Anlass genommen, ihn zum Ketzer zu erklären und Friedrich II. zu seinem Nachfolger zu erklären. Das trug eindeutig die Handschrift des politisch versierten Papstes, den Otto gegen sich aufgebracht hatte.

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Otto IV. zog sich nach Deutschland zurück, um erst einmal hier seinen Thron zu retten. Friedrich II. hatte der Welfe zwar vom Haken lassen müssen, aber hey, das war nur ein Junge. Damit Friedrich nicht womöglich in Deutschland auftauchen konnte, bezahlte der Kaiser die norditalienischen Städte dafür, den Weg über die Alpen für den Staufer zu versperren und wachsam zu sein.

Und tatsächlich: Friedrich II. entschied sich, nicht einfach im sicheren Sizilien zu bleiben und auf sein Recht auf die deutsche Krone zu verzichten. Er ging aufs Ganze und machte sich im März 1212 auf den gefährlichen Weg nach Deutschland, in eine ebenso unsichere wie verheißungsvolle Zukunft: Sieg oder Tod, konnte jetzt es für ihn nur heißen...

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Verwendete Literatur:
Hartmut Jericke: Kaiser Heinrich VI. der unbekannte Staufer

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 10. September 2017 19:26

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Das Staunen der Welt – Friedrich II.

Friedrich II.
Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, lebte 1194 bis 1250
Startdatum: 1. Januar 1212



1. Noch einmal Staufer gegen Welfen

Friedrich Roger wurde am 26. Dezember 1194 in der italienischen Mark Ancona geboren, als seine Mutter Konstanze gerade auf dem Weg von Oberitalien nach Sizilien war. Bald nach seiner Geburt überließ sie den Knaben der Obhut der Herzogin von Spoleto und reiste weiter, um ihr normannisches Königreich in Besitz zu nehmen. Mit Hilfe ihres Mannes, Kaiser Heinrich VI., kehrte sie nach Palermo auf den Thron zurück. Heinrich organisierte danach einen Kreuzzug nach Jerusalem und brachte die deutschen Fürsten dazu, vor seiner Abreise zu dem gefährlichen Unterfangen seinen zweijährigen Sohn, eben jenen Friedrich, zu seinem Nachfolger auf dem deutschen Thron zu wählen. In Sizilien galt sowieso die Erbfolge zugunsten des kleinen Friedrich.

Als Heinrich VI. im September 1197 starb, war sein Bruder Philipp von Schwaben bereits auf dem Weg, um Friedrich nach Aachen zur Königskrönung zu holen. Philipp musste wegen eines Aufstands in Mittelitalien unverrichteter Dinge umkehren. Konstanze holte den Knaben nach Palermo und ließ ihn im Mai 1198 zum König von Sizilien krönen. Wenig später erfuhr sie, dass sich Heinrichs Bruder Philipp von Schwaben zum neuen deutschen König hatte wählen lassen. Umgehend ließ sie den Anspruch Friedrichs auf das römische Königtum fallen. Indem Konstanze die vom Papst als Bedrohung empfundene Verbindung Siziliens mit dem Reich löste und überdies anbot, auf die besonderen Herrschaftsrechte des sizilischen Königs über die Kirche seines Reichs zu verzichten und ihr Reich wie ihre Vorgänger vom Papst zu Lehen zu nehmen, sicherte sie ihre Stellung und die Stellung ihres Sohns in Sizilien ab. Die Anerkennung und Legitimierung durch den Papst wogen schwerer als die kaum umsetzbar erscheinenden Ansprüche Friedrichs im fernen Deutschland.

Nur konsequent war es daher, dass sie Innozenz III. (1198-1216) testamentarisch zum Vormund ihres vierjährigen Sohnes einsetzte, als sie im November 1198 starb. Er war nun verpflichtet, die Rechte Friedrichs zu wahren. Die Legaten, die er gelegentlich nach Sizilien entsandte, konnten sich jedoch kaum durchsetzen. Friedrich wurde zum Spielball der rivalisierenden Gruppen in der eskalierenden Auseinandersetzung zwischen den noch von Konstanze eingesetzten Hofamtsträgern, den normannischen Baronen und den deutschen Ministerialen, die im Gefolge Heinrichs VI. nach Sizilien gekommen waren. Der Streit um seine Person scheint Friedrich frühzeitig die Bedeutung seines Königtums vor Augen geführt zu haben. 1207 heißt es jedenfalls in einem anonymen Brief über ihn, er entwickle sich gut, sei aber ganz unzugänglich für Ermahnungen, folge nur seinem eigenen Willen und empfinde es als schändlich, noch für einen Knaben, nicht aber für einen König erachtet zu werden.“ Es dürfte Friedrich geprägt haben, sich in solcher Unsicherheit über seine Zukunft befunden zu haben, denn jeder Machthaber wollte ihn in seiner Gewalt haben.

Kurz vor dem Ende seiner Vormundschaft sorgte Papst Innozenz III. für eine Eheverbindung, die Friedrichs Stellung in Sizilien sichern und ihn an ein zweites vom Papsttum lehnsabhängiges Reich binden sollte. Kaum volljährig geworden, heiratete Friedrich im August 1209 die zehn Jahre ältere Konstanze, die Schwester des Königs von Aragon (wohl wegen der Mitgift von 500 spanischen Rittern, die sie in die Ehe einbrachte). Für eine kurze Zeit schien es, als ergäben sich nach Jahren der Auseinandersetzung nun klare Verhältnisse. Der Thronstreit im Reich nördlich der Alpen war beendet: Philipp von Schwaben war 1208 ermordet worden, Otto IV. hatte daraufhin allgemeine Anerkennung gefunden. Friedrichs Stellung in Sizilien war gesichert, seine Einbindung in das Beziehungsnetzwerk des westlichen Mittelmeerraums angebahnt, seine Beziehungen zum Reich dagegen unterbrochen. Seine Wahl zum römischen (deutschen) König 1196 schien obsolet, seit Papst Innozenz III. Otto IV. als rechtmäßigen König anerkannt und im Oktober 1209 zum Kaiser gekrönt hatte.

Die Ereignisse nahmen danach eine ungeplante Wendung, sonst wäre Friedrich II. jetzt nicht ein eigenes Kapitel wert. Otto IV. betrachtete Friedrich nämlich weiter als potentiell gefährlichen Konkurrenten und machte sich daran, als Kaiser das Königreich Sizilien zu erobern.

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Innozenz III. sah schließlich keine andere Möglichkeit mehr, als nun seinerseits Friedrich gegen den raubeinigen Otto, der seiner Kontrolle entglitten war, in Stellung zu bringen. Er ermutigte die deutschen Fürsten, „auch schon vor der Absetzung des Kaisers“ einen Nachfolger für Otto IV. zu wählen. Otto kehrte überstürzt nach Deutschland zurück und versicherte sich seiner Herrschaftsgrundlagen in Sachsen. Dazu hatte er allen Grund, denn eine Fürstenopposition im Reich, unter ihnen die Erzbischöfe von Mainz und Magdeburg und der König von Böhmen, wählten Friedrich in dessen Abwesenheit im September 1211 zum „anderen Kaiser“ und zeigten dem Papst ihre Wahl an.

Otto IV. hielt im März 1212 demonstrativ einen Hoftag in Deutschland ab, um sich seiner Anhänger zu versichern. Immerhin hatte der Papst ihn selbstverständlich für seinen Zug gegen Sizilien exkommuniziert. Am 22. Juli 1212 heiratete Otto dann die 14jährige Beatrix, eine Cousine Friedrichs. Philipp hatte Otto während des Thronstreits 1207 seine kleine Tochter zur Verlobung angeboten, um den Welfen zum Verzicht auf die Krone zu bewegen. Der Verbindung mit Beatrix sollte die Belehnung mit dem Herzogtum Schwaben einhergehen. Otto machte mit der Eheschließung im Sommer 1212 also klar, was er von Friedrichs Anspruch auf Schwaben oder die Krone hielt. Die Sache ging für den Welfen voll nach hinten los: Beatrix starb bereits drei Wochen nach der Eheschließung, was Gerüchte aufkommen ließ, das Mädchen sei an den Folgen der Entjungferung gestorben. So oder so, das war ein böses Omen.

Sein Gegenspieler Friedrich kam ihm näher: Obwohl ihm seine Ratgeber davon abrieten, brach Friedrich Mitte März 1212 mit einem nur kleinen Gefolge Richtung Norden auf, um seinen Anspruch auf die Krone gegen Otto IV. einzufordern (und damit auch sein sizilisches Königreich vor ihm zu wahren). Vor dem Aufbruch nach Deutschland wurde Friedrichs neugeborener Sohn Heinrich zum König von Sizilien gekrönt, der Papst hatte darauf bestanden. Friedrich zog auf seinem Weg zunächst in Rom ein, wo er vom Volk wie ein Kaiser empfangen wurde. Papst Innozenz III. traf er hier zum ersten Mal und war sehr beeindruckt von ihm.

Während des Doppelkönigtums ergriffen die Kommunen Norditaliens unterschiedlich Partei. Mailand hielt Otto IV. die Treue, während Cremona und Pavia für Philipp und dann für Friedrich eintraten. Mailand versuchte mit allen Mitteln, Friedrichs Zug in den nordalpinen Reichsteil zu unterbinden. Vor den mailändischen Verfolgern gelang es Friedrich mitten in der Nacht, mit einem Pferd den Lambro zu durchqueren. Die Mailänder spotteten, dass sich Friedrich bei seiner Flucht im Fluss „nasse Hosen“ geholt habe. Trotz aller Probleme erreichte Friedrich auf Umwegen und über selten genutzte Alpenpässe im September 1212 den Bodensee. Die Stadt Konstanz hatte sich just auf den Empfang des von Norden heranziehenden Kaiser vorbereitet, als Friedrich mit seinem Gefolge vor den Mauern erschien. Nach einiger Diskussion entschieden sich die Konstanzer dazu, Friedrich die Tore zu öffnen. Nur wenige Stunden später traf Otto IV. mit seinem Heer vor Konstanz auf, ihm blieben die Tore nun verschlossen. Wenige Stunden Verspätung, die darüber entschieden, dass es Friedrich gelang, eine erste deutsche Bischofsstadt und zugleich einen Zugang zum schwäbischen Herzogtum seiner Vorfahren zu gewinnen! Otto war auf eine Belagerung nämlich nicht vorbereitet und zog sein Heer wieder zurück nach Sachsen.

Binnen weniger Wochen fiel ganz Schwaben dem „Kind aus Apulien“ zu. Er hatte bei der Durchsetzung seines Anspruchs auf die Krone mit ähnlichen Schwierigkeiten zu tun wie zuvor sein Onkel Philipp von Schwaben. Auch Friedrich blieb zunächst die Krönungsstadt Aachen verschlossen. Er wich nach Frankfurt aus, dort wurde er am 5. Dezember 1212 durch eine zahlreich besuchte Fürstenversammlung zum König gewählt (zum wievielten Male jetzt eigentlich?) und wenige Tage später in Mainz von dem dortigen Erzbischof gekrönt. Die Unterstützung der Kirchenfürsten und des Papstes war Friedrich sicher, weil der die ganzen Zugeständnisse wiederholte, die auch Otto der Kirche bereits 1209 gemacht hatte.

In kurzer Zeit waren alle Länder zwischen Böhmen und Burgund in Friedrichs Hand. Otto hatte sich nach Sachsen zurückgezogen. Ihn aus seinen Stammlanden zu vertreiben, wäre kaum möglich gewesen, denn als Soldat war er von wildem Mut, als Truppenführer ohne Tadel, und er verfügte über ein schlagkräftiges Heer. Einen Vorstoß ins Sächsische musste Friedrich mit einem raschen Rückzug bezahlen. Das Reich auf ewig geteilt in ein Stauferland und ein Welfenland, regiert von zwei Kaisern, diese Gefahr zog am Horizont herauf. Doch das Schicksal Deutschlands wurde längst nicht mehr in Deutschland entschieden. Es war zum Nebenschauplatz der internationalen Auseinandersetzungen geworden, nämlich jener zwischen Frankreich und England. Auf der einen Seite unterstützte der französische König Philippe II. den Staufer mit 20.000 Silbermark, mit denen Friedrich die Fürsten im Reich schmieren und auf seine Seite locken konnte. Der bei den deutschen Fürsten als Geizhals verschriene Welfe Otto IV. wurde vom englischen König John gestützt. Der Ausgang des zwischen Frankreich und England geführten Krieges musste auch darüber entscheiden, ob Friedrich oder Otto die Oberhand behielt.

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Nachdem Otto von dem staufisch-kapetingischen Bündnis erfahren hatte, fiel er in die französischen Kronländer ein. Er wollte sich mit Frankreich eines Verbündeten Friedrichs II. entledigen, durch einen Sieg seine Autorität im Reich wiederherstellen und zugleich seinem Onkel und Unterstützer, dem englischen König John, im anhaltenden Konflikt mit dem französischen König zur Hand gehen. Otto hatte aber noch viel weitreichendere Pläne: Er wollte die Herrschaft der Kapetinger in Frankreich beseitigen, die französische Krondomäne unter seinen Verbündeten aufteilen und deutsche Krieger in Frankreich ansiedeln. Seine Entschlossenheit, König Philippe II. zu töten, bekräftigte er mit einem Schwur. Beide Herrscher hatten die Absicht, sich in der Schlacht im Zweikampf zu messen und so eine Entscheidung herbeizuführen.

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Am 27. Juli 1214 kam es östlich von Lille zur entscheidenden Schlacht von Bouvines zwischen den Heeren Ottos und Philipps (siehe auch im vorigen Kapitel zu John Lackland). Zu Ottos Aufgebot zählten mehrere bedeutende linksrheinische Territorialherren, unter anderem die Herzöge von Brabant, Limburg und Lothringen; neben mehreren rheinischen Edelleuten begleiteten den Kaiser auch größere sächsische Aufgebote. Otto erlitt eine vernichtende Niederlage. Er hatte zwar eine durchdachte Strategie, doch mehrere Berater drängten ihn zu einem vorschnellen Angriff, der sich als verhängnisvoll erwies. Die Franzosen leisteten überraschend starken Widerstand. Nachdem Otto im Kampf vom Pferd gefallen war, hatte er ein zweites Pferd bestiegen und sich zur Flucht entschlossen, womit er die Schlacht für alle sichtbar verloren gab und sein Heer, das dennoch den Kampf fortsetzte, in eine aussichtslose Lage brachte. Allerdings war der entscheidende Durchbruch der Franzosen nach anderen Aussagen bereits zuvor erfolgt, als nordfranzösische Kontingente die Kaiserlichen zum Zurückweichen zwangen. Otto, der in militärischen Angelegenheiten erfahren war und während der Gefechte in Lebensgefahr geriet, drohte nun die Gefangennahme. Daraufhin habe der Kaiser die Flucht ergriffen.

Der Sieg gehörte dem französischem König, er hatte Englands „Festlanddegen“ geschlagen. Seinem Verbündeten Friedrich schickte Philippe II. den Reichsadler, den er Otto IV. entrissen hatte – jedoch nicht, ohne diesem deutschen Symbol zuvor die Schwingen ausgerissen zu haben. Ein diabolisches Geschenk, das nicht nur das Ende der Welfen signalisierte, sondern auch die Tatsache, das es mit der Macht der Deutschen zu Ende ging.

Die Schlacht hatte für die gesamteuropäischen Machtverhältnisse erhebliche Konsequenzen. Ihr Ausgang führte dazu, dass sich das französische Krongut mehr als verdoppelte; die französischen Lehnsfürstentümer verloren gegenüber der erstarkenden Zentrale an Bedeutung. Die Niederlage Ottos schwächte den englischen König John, der 1215 mit der „Magna Charta“ den Großen seines Landes herrschaftsbeschränkende Freiheiten einräumen musste. Die englischen Könige regierten fortan dauerhaft von England und nicht mehr hauptsächlich von französischem Boden aus. England begann sich als Inselreich zu entwickeln.

Otto war nach der Schlacht isoliert, John stellte seine finanzielle Unterstützung im Mai 1215 ein. Die niederrheinischen Großen wechselten in Friedrichs Lager, so dass der Staufer jetzt Zugang zur alten Kaiserstadt Aachen bekam. Am 25. Juli 1215 wurde Friedrich II. vom Mainzer Erzbischof in der Aachener Marienkirche gekrönt. Dabei versprach er feierlich, den Kreuzzug seines Vater wiederaufzunehmen. Der Zweck war klar: Als Kreuzfahrer konnte Friedrich leichter auf die Kaiserkrönung durch den Papst in Rom sowie auf die Regelung der Thronfolge hinwirken. Das war ein Versprechen, dessen Einlösung auf sich warten lassen und deshalb einige Konsequenzen haben sollte.

Im Jahr 1215 erreichte Innozenz III. den Höhepunkt seiner Macht auf dem Vierten Laterankonzil, das die umfassende Reform der Kirche, vor allem die Ketzerbekämpfung, die Abgrenzung der Juden, und den Kreuzzug, besonders den Schutz der Kreuzfahrer nach ihrer für Juni 1217 geplanten Abreise, als Thema hatte. Zu diesem Konzil im November 1215 schickte auch Otto IV. Gesandte. Es gelang ihnen jedoch nicht, die Aufhebung des Kirchenbanns zu erwirken, vielmehr wurde Friedrich dort vom Papst als künftiger Kaiser anerkannt. Innozenz III. hatte somit seine Rolle als Schiedsrichter und seinen Anspruch auf das Kontrollrecht der deutschen Königswahl verdeutlicht. Das Reich und seine Fürsten waren in die Position der Bittsteller und Kontrollierten geraten. Otto IV. kehrte übrigens nicht mehr zurück in die große Politik, er starb im Mai 1218 in Braunschweig.

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Für die päpstliche und fürstliche Unterstützung bekam Friedrich II. natürlich eine Rechnung präsentiert. Schon in der Goldbulle von Eger hatte er 1213 auf die umstrittenen Gebiete Mittelitaliens verzichtet, auf Spolien und Regalien, auf jede Einmischung in die Bischofs- und Abtwahlen. Da Friedrich auch den weltlichen Fürsten Zugeständnis auf Zugeständnis machte, konnte man bald nicht mehr von einem deutschen König reden, sondern von „dem jederzeit absetzbaren Präsidenten einer Fürstenrepublik, deren weltliche Mitglieder erblich waren, während die geistlichen vom Papst abhingen“. Friedrich schienen diese Konzessionen, die nichts anderes waren als eine Konkurserklärung der deutschen Kaiserpolitik, nicht allzu schwer gefallen sein. Er fühlte sich fremd in einem Land, das nicht seine Heimat war, dessen Sprache er anfangs nur schlecht sprach, das seiner Zersplitterung wegen ohnehin nicht mehr regierbar erschien. Es kam ihm in erster Linie darauf an, sich Rückendeckung zu erkaufen, die er für seine italienischen Unternehmungen brauchte.


2. Friedrichs ganz eigener Kreuzzug

Mit Hilfe des von ihm abhängigen Staufers Friedrich hatte Papst Innozenz III. somit den unbotmäßigen Welfen Otto, der zuvor sein Werkzeug gegen Philipp von Schwaben gewesen war, ausgeschaltet. Ottos Fehler war gewesen, dass er die Vereinigung des Reichs mit Sizilien angestrebt hatte. Die daraus resultierende Umklammerung des Kirchenstaates zu vermeiden, war ein wichtiges Ziel des Papstes. Nun musste Innozenz zusehen, dass ihm nicht die Kontrolle über Friedrich entglitt. Innozenz III. ließ sich deshalb im Juli 1216 feierlich von Friedrich versprechen, sogleich nach der Kaiserkrönung auf Sizilien zugunsten seines Sohnes Heinrich zu verzichten, damit beide Reiche für immer getrennt blieben. Friedrich tat dies sicher mit dem Hintergedanken, dass gegen jedes Gelöbnis ein Kraut gewachsen war. Man musste nur den richtigen Zeitpunkt abwarten, es anzuwenden.

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Und der war bereits gekommen, als Innozenz III. vierzehn Tage nach der Straßburger Verzichtserklärung den Weg allen Fleisches ging: Er starb am 16. Juli 1216, und jetzt setzte der Staufer das Gegenteil von dem um, was er zuvor versprochen hatte: Er holte umgehend seine Gattin und seinen Sohn von Sizilien nach Deutschland. Dort wurde der fünfjährige Heinrich zum Herzog von Schwaben ernannt. Wie würde der neue Papst auf diese Eigenmächtigkeit des Kaisers reagieren? Die Antwort: Eher lau. Der jetzt gewählte Honorius III. (1216-1227) war schon in höherem Alter und weniger hart bei der Durchsetzung der römischen Politik. Den Staufer ignorierte der Papst lieber, um bei den Verhandlungen über dessen Kaiserkrönung nicht in Zugzwang zu geraten. Denn Honorius war sowieso mehr an der Befreiung der Gebiete im Heiligen Land gelegen, die man 1187 an Saladin verloren hatte. Tatsächlich brach im August 1217 wie geplant ein Heer aus Österreichern und Ungarn auf, um Ägypten anzugreifen und zunächst Damiette einzunehmen. Dieser Brückenkopf sollte die spätere Eroberung von Jerusalem nicht nur ermöglichen, sondern anschließend auch strategisch absichern. Der Kreuzzug hing aber bald vor Damiette fest und drohte zu scheitern. Honorius III. musste jetzt also doch mit Friedrich über dessen Teilnahme am Kreuzzug sprechen, nachdem er ihn vorher in dieser Sache außen vor gelassen hatte, um dem Staufer nicht im Gegenzug die Kaiserkrönung geben zu müssen.

Friedrich nutzte seine Verhandlungsposition weidlich aus, er verlangte von den Welfen die Herausgabe der Reichsinsignien, ließ seinen Sohn Heinrich zum deutschen König wählen und erwartete natürlich trotzdem die Kaiserkrönung in Rom. Die Kirchenfürsten im Reich befriedigte mit dem Verzicht auf das Spolienrecht, so war dem Staufer die Zustimmung für die Wahl seines Sohnes sicher. Die Angelegenheiten in Deutschland waren Friedrich offensichtlich nur Mittel zum Zweck. Für den Papst war es dagegen ein Affront, dass der kleine Heinrich VII. nun designierter Nachfolger in Sizilien UND im Reich war, und Honorius drohte Friedrich mit der Exkommunikation, wenn dieser nicht endlich zum Kreuzzug aufbrechen würde.

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Okay, sagte Friedrich, und zog 1220 nach Italien. Seinen neunjährigen Sohn Heinrich ließ er in der Obhut der Reichsministerialen und eines zunächst durch Erzbischof Engelbert von Köln dominierten Rates von Fürsten zurück, die für den Knaben die Regentschaft ausüben sollten. In Norditalien galt es für Friedrich II. zunächst, das „übliche“ Aufgabenheft eines Kaisers zu erledigen und die alten Reichsrechte und die Reichsherrschaft wiederherzustellen. Im November 1220 kam Friedrich II. dann endlich in Rom an, achteinhalb Jahre, nachdem er zuletzt Richtung Norden hier durchgekommen war. Honorius brauchte ihn für den Kreuzzug, er schluckte also Friedrichs dreiste Ausrede, die deutschen Fürsten hätten seinen Sohn ohne sein „Wissen und Zutun ganz unvermutet zu ihren König gewählt“. Friedrich II. bekam seine Kaiserkrone, Honorius begnügte sich mit der lediglich formalen Trennung zwischen Sizilien und dem Reich, die der Staufer zugestand. Brav versprach Friedrich, im kommenden August nun wirklich zum Kreuzzug aufzubrechen. Bei anderen Angelegenheiten der Kurie war Friedrich stärker dabei, vor allem, wenn es um die Bekämpfung der Ketzer ging. Unmittelbar nach der Kaiserkrönung verkündete Friedrich noch in der Peterskirche zehn Gesetze, die im wesentlichen auf kurialen Entwürfen beruhten und die Eintracht von Papst und Kaiser demonstrierten: Auf die Exkommunikation des Ketzers sollte binnen Jahresfrist die kaiserliche Acht folgen, Ketzer sollten auch nach weltlichem Recht als ehrlos gelten und mit Konfiskation ihrer Güter bestraft werden.

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Nach der Krönung in Rom reiste der Kaiser weiter in sein sizilisches Reich, wo er an die Unterwerfung des Adels ging, um die Staatsstruktur zu reformieren. Interessanterweise orientierte er sich dabei an der Politik seiner normannischen Vorgänger. Das war es, was Friedrich II. wirklich am Herzen lag: Sizilien war die materielle Grundlage seiner Herrschaft, dessen Ressourcen er für die Durchführung des Kreuzzugs benötigte. Nach dem Adel unterwarf Friedrich mit harter Hand die rebellischen Muslime, die er aus Sizilien deportierte und in einer eigenen Stadt am nördlichen Ausgang Apuliens in Richtung Kirchenstaat ansiedelte. Ganz zum Ärger des Papsttums übrigens. Diese Muslime waren Friedrich von nun an treu ergeben, waren immun gegen jeden päpstlichen Bann und produzierten fleißig hochwertige Waffen, Teppiche und Pferde für ihren Herrscher.

Was ist mit dem versprochenen Kreuzzug?, fragte der Papst - ärgerlich, doch machtlos. Das Unternehmen in Ägypten ging zu dieser Zeit krachend unter. Die Christen, die Damiette erobert hatten, waren es selbst gewesen, die (auf Anraten des päpstlichen Legaten) mehrfache Friedensangebote des Sultans abgewiesen hatten. Dabei bot Sultan Al-Kamil sogar die Rückgabe Jerusalems samt der umliegenden Gebiete – mit Ausnahme zweier Festungen – an. Doch die Kreuzritter wollten sich jetzt nicht mehr mit dem „Spatz in der Hand“ Jerusalem zufriedengeben, sie wollten dazu die „Taube auf dem Dach“: Das reiche Ägypten erobern. Denn wem Ägypten gehörte, dem würde schließlich von selbst die Kontrolle über Jerusalem zufallen. Damit hatten die Kreuzfahrer überzogen: Beim Vormarsch wurde ihr Heer von der Nilschwemme überrascht und auf ungünstiges Gelände abgedrängt. Dort erlitten sie eine vernichtende Niederlage gegen die Truppen des Sultans, der nach diesem Triumph auch Damiette zurückerobern konnte. Der Kreuzzug war im August 1221 klar gescheitert. Und der Papst grollte, denn Friedrich II. hatte sein heiliges Versprechen immer noch nicht eingelöst.

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In Deutschland war unterdessen (im Jahre 1222) Friedrichs Sohn in Aachen zu König Heinrich VII. gekrönt worden. Der Elfjährige war zunächst mit der Tochter des böhmischen Königs verlobt worden, aber Friedrich suchte nach einer politisch besseren Partie für sich und dem Jungen. Aus dem Plan, Heinrich mit der Tochter des englischen Königs zu vermählen, wurde jedoch nichts. Es wäre eine gute Absicherung der Staufer gewesen, das sonst mit den Welfen verbündete England familiär an sich zu binden (schließlich suchte der Kaiser drei Jahre später die Tochter des österreichischen Herzogs als Braut für seinen Sohn aus). Friedrich selbst war 1222 zum Witwer geworden: Seine Frau Isabella von Aragon (die mit den 500 Rittern) war am 23. Juni in Catania gestorben.

In die Entwicklung der Verhältnisse nördlich der Alpen griff Friedrich II. in den folgenden Jahren kaum mehr ein. Auch die Erhebung Lübecks zur Reichsstadt und die Goldbulle von Rimini (beides 1226), durch die er dem Deutschen Orden den Besitz des Preußenlandes als Teil der „monarchia imperii“ bestätigte, sind kaum als zielgerichtetes Herrschaftshandeln im Rahmen einer weitgespannten Konzeption für die Erschließung des Ostseeraums zu deuten. Wie seine Vorgänger gewährte Friedrich Privilegien, weil er darum gebeten wurde, wenn nur der Antragsteller förderungswürdig erschien und sein Anliegen den Interessen des Königs nicht entgegenlief oder bei Anwesenden auf Widerspruch stieß. Auch im Fall der Goldbulle von Rimini ging die Initiative erkennbar vom Empfänger aus: Der Deutsche Orden war im Jahr zuvor nach der Ermordung Königin Gertruds (1213) – wie viele andere deutsche Günstlinge, die sie ins Land gebracht hatte – aus Ungarn vertrieben worden. Es musste dem Hochmeister des Ordens, Hermann von Salza (1210-1239), daher geraten erscheinen, die ihm durch Herzog Konrad von Masowien eingeräumten Rechte, den Besitz des von ihm dem Orden geschenkten Kulmer Landes und der noch zu erobernden Gebiete der Pruzzen, für die Zukunft besser abzusichern.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 15. September 2017 09:04

Friedrich II. war derweil auf Sizilien nicht untätig, er überzog das Königreich mit einem Netz an Burgen. So konnten seine Männer wirksame Kontrolle über das Umland ausüben. Die Macht der Seestädte Pisa und Genua brach der Staufer, indem er ihre Schiffe mietete bzw. ihren Verkauf an ihn erzwang. In Neapel gründete Friedrich eine Universität, um eine Alternative zu den norditalienischen Lehrstätten zu haben. Im Jahre 1224 hatte Friedrich die Sicherung der Herrschaft abgeschlossen und die Verwaltung des sizilischen Reiches auf seine Person zugeschnitten. Jetzt konnte und wollte er sich um den Kreuzzug kümmern. Dem Papst versprach Friedrich Mitte 1225 wieder einmal – jetzt abe r wirklich, ich schwör auf Bibel! - bis spätestens Ostern 1227 zum Kreuzzug aufzubrechen. Den gestaltete Friedrich aber nach seinen Vorstellungen.

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Der erste Schritt bei diesem Unternehmen führte ihn – vor den Traualtar. Nach dem Tod seiner Frau Konstanze von Aragon heiratete Friedrich nun Isabella von Brienne, die Erbin des Königreichs Jerusalem. Die Trauung fand am 9. November 1225 statt. Friedrich beanspruchte prompt das Königreich Jerusalem für sein Haus, was unmittelbar zum Bruch mit dem Brautvater Johann von Brienne führte. Schon in der Brautnacht betrog Friedrich seine Gemahlin mit ihrer eigenen Cousine. Der Kaiser schien an seiner Gemahlin wenig Interesse gehabt zu haben, bezeichnete die noch sehr junge Isabella sogar öffentlich als „Küken“.

Die militärisch-logistischen Vorbereitungen für einen Kreuzzug waren indes weniger erfolgreich. Das Fiasko von Damiette lag gerade einmal drei Jahre zurück, man hatte wenig Interesse an einer Neuauflage. Die norditalienischen Städte waren außerdem misstrauisch gegen jede Ansammlung deutscher Heere in ihrem Gebiet und verweigerten Heinrich VII. (Friedrichs Sohn, der die Regierung in Deutschland stellvertretend ausübte) mit seinen eintausend Rittern schlicht den Durchzug und zwangen ihn vor Trient zum Umkehren. Der Kaiser sah über die Provokation hinweg, um sich nicht vom Kreuzzug ablenken zu lassen. Im August 1227 war es soweit, es konnte losgehen!

Zu dieser Zeit schwängerte Friedrich offensichtlich seine neue Gattin, die 15jährige Isabella, denn sie brachte im April des folgenden Jahres ihren einzigen Sohn Konrad (später: Konrad IV.) zur Welt. Einige Wochen später starb sie im Kindbett, sie hatte ein nur kurzes Leben. Der kleine Konrad wurde nach Neapel gebracht, blieb dort sieben Jahre lang und erhielt von einem Ritter namens Landulf eine gute Erziehung.

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Doch kaum auf dem Schiff, das ihn zum Heiligen Land bringen sollte, verschlechterte sich Friedrichs Gesundheit. Er hatte sich zuvor an einer Seuche in seinem Heerlager angesteckt, der unter anderem der Thüringer Landgraf Ludwig IV. zum Opfer fiel (für dessen kleinen Sohn Hermann übernahm nun Ludwigs Bruder Heinrich Raspe die Regentschaft, er wird später noch Erwähnung finden). Der erkrankte Kaiser stoppte notgedrungen den gerade startenden Kreuzzug.

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Nun eskalierte der Konflikt mit dem Papst. Der gutmütige Honorius III. war im März 1227 gestorben, sein Nachfolger Gregor IX. (1227-1241) zeigte sich weniger nachgiebig. Ohne die kaiserliche Gesandtschaft auch nur anzuhören, verkündete er den Kirchenbann gegen Friedrich, weil der seinen Eid nicht eingehalten habe.

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Gregor war weniger ein Fan des Kreuzzugs wie sein Vorgänger, ihm war deutlich mehr am Zurückdrängen der staufischen Macht in Italien gelegen. Durch die Exkommunikation geriet Friedrich in eine ausweglose Lage: Zögerte er seinen Aufbruch weiter hinaus, konnte ihn Gregor IX. Zu Recht als wortbrüchig bezeichnen. Sein sizilianisches Königreich zu verlassen, barg jedoch ein hohes Risiko, da seine Abwesenheit päpstlichen Söldnern die Gelegenheit gab, nach Apulien einzufallen. Als Kreuzfahrer, nicht aber als Gebannter, stand Friedrich unter dem Schutz des Kirchenrechts.

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Dennoch entschied sich Friedrich zur Reise, als erkennbar wurde, dass Gregor nicht einlenken würde. Mitte 1228 brach er mit 40 Schiffen in Begleitung mehrerer sizilianischer Bischöfe auf. Dass er als Exkommunizierter einen Kreuzzug antrat, war eine unerhörte Provokation. Alles kam nun darauf an, dass das Unternehmen erfolgreich verlief. Die Chancen dafür standen gut, denn das Reich der Ayyubiden war in drei konkurrierende Teile zerfallen. Bereits seit 1226 stand Friedrich in Verhandlungen mit dem ägyptischen Herrscher al-Kamil, der ihm die Rückgabe Jerusalems für den Fall in Aussicht stellte, dass er ihn gegen seinen Bruder, den Herrn von Damaskus, unterstützte.

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Als er am 7. September 1228 in Akkon eintraf, wurde Friedrich dort freundlich empfangen, obwohl ihm die Geistlichkeit als Gebanntem den Friedenskuss verweigerte.

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Gegenüber seinem ägyptischen Verhandlungspartner war Friedrich im Nachteil, da er keine Zeit verlieren durfte und einen raschen Erfolg benötigte. Im Februar 1229 erreichte er jedoch, ohne dass es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung gekommen wäre, die Rückgabe Bethlehems und Jerusalems, allerdings mit Ausnahme des Tempelplatzes und der al-Aqsa-Moschee. Die Ritterorden der Templer und Johanniter, die Barone des Königreichs und der Patriarch von Jerusalem waren von dem Ergebnis enttäuscht, da sie kaum etwas von ihren 1187 verlorenen Besitzungen zurückerhielten. Für Friedrich II. jedoch war die Rückgewinnung Jerusalems ein Erfolg. Ohne Anwendung von Gewalt hatte er erreicht, was die vorausgegangenen Kreuzzüge seit 1187 (siehe: Richard Löwenherz) vergeblich versucht hatten: die Befreiung der heiligen Stätten. Zudem waren die Besitzungen der Kreuzfahrer im Heiligen Land durch einen auf zehn Jahre abgeschlossenen Waffenstillstand gesichert. Friedrich II. wurde neuer König von Jerusalem. Auf Rat des Deutschordenmeisters Hermann von Salza verzichtete der Staufer darauf, sich im Rahmen eines Gottesdienstes krönen zu lassen. Die Missachtung der Exkommunikation hätte die Beilegung des Konflikts mit dem Papst nur erschwert. Daher nahm Friedrich selbst die Krone vom Altar der Grabeskirche und setzte sie sich aufs Haupt. Indem er die Krone trug, ohne dass sich Widerspruch regte, zeigte er seinen Anspruch auf die Herrschaft zur Genüge. Dieser war ohnehin begrenzt: Friedrich leitete ihn von seiner Frau Isabella, der eigentlichen Königin von Jerusalem ab. Und die war ja nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Konrad gestorben. Nur stellvertretend und für ihn als väterlicher Vormund konnte Friedrich als König von Jerusalem Anerkennung fordern.

Von Jerusalem aus unterrichtete Friedrich den Papst, die Könige der Christenheit und seine Getreuen im Reich über den Erfolg seines Kreuzzugs. Der Patriarch von Jerusalem dagegen sandte einen negativen Bericht an den Papst, in dem er hervorhob, wie wenig Friedrich tatsächlich erreicht habe. Dass Friedrich die Verhandlungen in orientalischen Formen geführt und während seiner Anwesenheit in Jerusalem den Gebetsruf der Muezzine ausdrücklich gestattet hatte, kleidete er in die Worte, der Kaiser habe nach sarazenischer Sitte gelebt und überall sei das Gesetz Mohammeds ausgerufen worden. Es deutete sich an, dass der Erfolg Friedrichs sich auch gegen ihn wenden konnte. Dass ihm auf dem Verhandlungswege gelungen war, was andere nur mit Waffengewalt möglich erschien, gab Anlass zur Vermutung, er stehe den Muslimen näher, als dies für einen rechtgläubigen Christen möglich war.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 30. September 2017 16:23

Tatsächlich war Friedrich der Kultur des Orients mehr zugetan als der des Abendlandes. Mit Sultan al-Kamil verband ihn eine Geistesverwandtschaft, die Muslime nannten Friedrich mit Respekt den „König der Emire“. Der Sultan schrieb Gedichte, hatte Jura studiert und Grammatik, galt als Wirtschafts- und Finanzexperte, reformierte die Verwaltung seines Landes, war ein Beschützer von Künstlern und Wissenschaftlern.

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Wie Friedrich auch. Auch waren beide Männer der Philosophie ergeben, einem Fach, das sich bei tieferer Beschäftigung mit dem Glauben schlecht verträgt. Wäre Friedrich nicht Kaiser gewesen, er wäre wohl als Ketzer auf dem Scheiterhaufen geendet. Der Staufer war nicht ohne Glauben, seine Fragen kein blanker Zynismus, aber er tat sich schwer mit der Religion. Dass Maria ein Kind empfangen hatte, ohne ihre Jungfräulichkeit zu verlieren, schien ihm mit dem Naturgesetz so wenig vereinbar wie der Glaube, dass der Mensch nach dem Tode fortlebe. Einer nicht belegten Anekdote zufolge ließ der Kaiser einen Verbrecher in einem Fass einschließen und ersticken, um zu beweisen, dass aus dem Spundloch nichts, aber auch gar nichts entweiche, was an eine Seele erinnere. Dem Philosophen und Astrologen Michael Scotus stellte Friedrich Fragen, die Bischöfe erblassen und Kardinäle an den Leibhaftigen denken ließen. Friedrich wollte wissen, wie viele Himmel es gibt, und wer ihre Lenker sind.

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In welchem Himmel Gott seinem Wesen nach weilt und wie er auf dem Himmelsthron sitzt. Wie er umringt ist von Engeln von Heiligen, und was diese denn tun im Angesicht Gottes? Und wo denn die Hölle sei und das Fegefeuer und das himmlische Paradies: Unter der Erde, in der Erde oder über der Erde? Friedrichs Skepsis galt auch den Gottesurteilen, die ihm bar jeder Vernunft waren. Wie könne ein vernunftbegabter Mensch annehmen, dass ein glühendes Eisen den Schuldigen brenne und den Unschuldigen nicht brenne, dass das Element des kalten Wassers sich weigere, den Verbrecher untergehen zu lassen?

Mit eben jener Geisteshaltung ging Friedrich während seiner Regierungsjahre auch an die Gestaltung der Gesetze. Medizinstudenten machte er die Philosophie zum Pflichtfach und legte den Ärzten und Apothekern die Preise für ihre Leistungen fest. Die populären Liebestränke hielt Friedrich für Kokolores und verbot sie schlicht. Ehebrecher, Kuppler, Entführer hatten drakonische Strafen zu gewärtigen. Grafen, Barone, Ritter durften, ähnlich wie die Offiziere in Preußen, ohne allerhöchste Genehmigung nicht heiraten, und jeder Untertan sollte sich vor der ehelichen Verbindung mit Fremden hüten, „da durch die Mischung verschiedener Volksstämme die Reinheit des Reiches verderbt“ werde.

Friedrich strebte nach Wissen, aber nicht jede Geschichte darüber dürfte der Wahrheit entsprechen. Zu viele seiner Feinde hatten ein Interesse daran, den Kaiser mit Geschichten wie die folgende zu diskreditieren: „Die Babys wurden in einem Turm eingeschlossen und den Ammen befohlen, ihnen die Brust zu geben, sie zu baden, aber in keiner Weise mit ihnen schön zu tun und vor allem mit ihnen nicht zu sprechen. Er wollte nämlich erforschen, ob sie die hebräische Sprache sprächen, als die älteste, oder die griechische, lateinische oder arabische oder aber die Sprache ihrer Mütter, die sie geboren hatten. Aber er mühte sich vergebens, da die Kinder alle dahinsiechten und starben. Sie vermochten nicht zu leben, ohne das Händepatschen und das fröhliche Gesichterschneiden und die Koseworte derer, die sie pflegten.“

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Ein andermal servierte Friedrich II. zwei zum Tode Verurteilten eine reichliche Henkersmahlzeit, ließ den einen danach schlafen, den anderen dagegen einige Kilometer in raschem Lauf zurücklegen. Den Delinquenten wurde dann der Magen geöffnet, damit die Ärzte feststellen konnten, wer von ihnen besser verdaut habe. Auch hier sträuben sich einem die Haare, da man nicht weiß, ob man die Bedauernswerten vor oder nach der Hinrichtung aufgeschnitten hat. Auch wenn die Geschichten nur gut erfunden sind, man traute dem Kaiser solche Experimente zu, weil seine Wissbegier größer war als seine Achtung vor einem Menschenleben. Er wollte immer das Warum wissen: Warum ist das Meerwasser bitter, das Wasser der Seen und Flüsse dagegen lieblich? Woher kommt das Feuer des Vesuv und des Stromboli? Weshalb sieht ein in das Wasser getauchtes Ruder gekrümmt aus? Wieso sieht ein an grauem Star Erkrankter schwarze Fäden, obwohl auf der Pupille keine schwarzen Fäden sind? Friedrich wollte erkennen, was de Welt im Innersten zusammenhält. Und das brachte ihm den Beinamen stupor mundi, das Staunen der Welt – wobei dem Staunen der Schauder beigemischt war.

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Seine besondere Hingabe galt dem Studium der Falkenjagd, worüber er sogar ein ornithologisches Fachwerk schrieb. Friedrich ließ Experten der Falknerei aus dem Orient anreisen und befragte sie. Seine Beauftragten schickten ihm aus allen Ländern Falken, aber auch andere seltene Vogelarten. Man wusste, dass der Kaiser solche Geschenke mehr schätzte als jede andere Kostbarkeit. Einmal ließ er einen zum Strang Verurteilten in eine lotrechte Felswand klettern, in der er ein Nest des seltenen weißen Falken vermutete. Als der Großkhan der Mongolen Friedrich II. im Falle der Unterwerfung einen guten Posten an seinem Hof versprach, soll der Kaiser mit der ihm eigenen Ironie geantwortet haben: „Mit dem Amt des Falkners wäre ich einverstanden.“


3. Messias oder Antichrist

Aber zurück zum Lauf der Geschichte: Bei seiner Rückkehr aus dem Heiligen Land fand Friedrich Teile Apuliens von päpstlichen Söldnern besetzt vor. Diese wurden rasch in die Flucht geschlagen; diejenigen, die sie unterstützt hatten, demonstrativ hart bestraft. Die Verhandlungen mit dem Papst konnte er dagegen erst im Sommer 1230 zu einem erfolgreichen Ende bringen. Ein gemeinsames Mahl mit Gregor IX. besiegelte die Wiederaufnahme Friedrichs II. in die Gemeinschaft der Kirche. So sehr, wie der Kaiser in Sizilien die Zügel an sich zog und sich mit dem Ordnen der Gesetzgebungen beschäftigte, so fern war ihm die Regierung über den nördlichen Teil seines Reiches, Deutschland. Dort entdeckte der inzwischen erwachsen gewordene Heinrich VII. sein Handlungsfeld.

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Er setzte bei seinen ersten eigenen politischen Schritten auf die Städte und Ministerialen, was ihm Spannungen mit den Fürsten des Reichs einbrachte. 1231 nötigten sie ihn, ihnen die Verfügung über die nutzbaren Regalien – Münze, Zoll, Markt, Geleit – zu bestätigen und das Ausgreifen der Städte in ihr Umland zu bestätigen. Vater Friedrich bestätigte das geforderte Privileg und verpflichtete Heinrich eidlich, seine Herrschaft nur im Gehorsam ihm gegenüber auszuüben. Widrigenfalls sollten die Fürsten von ihrem Treueid entbunden und der Papst berechtigt sein, ihn zu exkommunizieren. Für den Sohn war das eine böse Schlappe, mit der er sich nicht zufriedengeben wollte. Erneut wandten sich die Fürsten an den Kaiser, der sich nun gezwungen sah, selbst über die Alpen zu kommen. Durch das Vorgehen seines Vaters gedemütigt, ließ sich Heinrich in den offenen Aufstand treiben.

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Schließlich aber unterwarf er sich und erlangte die Verzeihung des Kaisers. Als er sich jedoch weigerte, die Burg Trifels und die dort aufbewahrten Insignien seines Königtums herauszugeben, nahm ihn Friedrich 1235 in Haft. Heinrich VII. sollte nicht mehr freikommen. Der Kaiser musste sich nun zwangsläufig mit dem Fortbestand seiner Dynastie befassen.

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Er beschloss, seinen zweiten Sohn, Konrad, als neuen Nachfolger aufzubauen und ließ den Jungen zu diesem Zweck von Neapel nach Deutschland holen. Anfang 1237 ging Friedrich mit Konrad nach Wien, wo er seinen Sohn im Februar nach zwei Jahren Verhandlungen mit den deutschen Fürsten zum römischen König und Nachfolger als Kaiser wählen ließ (was der Papst natürlich nicht anerkannte). Die fällige Krönung Konrads in Aachen dagegen fand noch nicht statt: Offenbar wollte Friedrich II. - nach den Erfahrungen mit Heinrich VII. - dem Sohn nicht allzu viel eigene Hausmacht spendieren. Da Konrad IV. erst neun Jahre alt war, stellte der Kaiser ihm den Mainzer Erzbischof Siegfried als Regenten zur Seite.

Außerdem heiratete Friedrich ein drittes Mal, nämlich Isabella, die Schwester des englischen Königs Henry III., womit der Staufer seinen Rückhalt im Westen absicherte. Zu dem traditionellen Bündnis mit den französischen Kapetingern kam nun jenes mit den Plantagenet hinzu.


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Innerhalb des Reiches ließ er einen Landfrieden verkünden und sorgte für Stabilität, indem er Otto („das Kind“) zum Herzog von Braunschweig erhob. An den Knaben war das Erbe Heinrichs des Löwen und Ottos IV. gefallen, mit der Herrschaft über das neugeschaffene Herzogtum Braunschweig wurden die welfischen Ansprüche auf das Herzogtum Sachsen beigelegt und ihr Träger zugleich mit herzoglichem Rang wieder in den Kreis der Reichsfürsten aufgenommen.

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Geradezu modern war die Entscheidung über den gegen die Juden im Reich erhobenen Vorwurf, sie töteten christliche Knaben und gebrauchten ihr Blut zu rituellen Zwecken. Eine Kommission von Experten – zum Christentum übergetretene jüdische Gelehrte – wies im Auftrag des Kaisers nach, dass solche Praktiken im Gegensatz zur jüdischen Lehre standen.

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Gestützt auf dieses Gutachten, stellte sich der Kaiser 1236 schützend vor die Juden im Reich und beanspruchte sie als seine Kammerknechte, also als sein unantastbares königliches Eigentum. Er tat damit allerdings nichts anderes, als die kirchliche Lehre seiner Zeit konsequent umzusetzen. Auch die Päpste verboten ausdrücklich die Verbreitung der Ritualmordbeschuldigung und geboten den Schutz der Juden – vorausgesetzt, dass sie „in gebührender Abhängigkeit“ gehalten wurden.

Anschließend reiste Friedrich II. wieder nach Norditalien, um gegen die Städte des Lombardischen Bundes vorzugehen. Seit 1231 standen Mailand und andere Städte unter der Reichsacht, jetzt hatte der Kaiser die Zeit, sie durchzusetzen. Am 27. November 1237 errang er bei Cortnuova einen entscheidenden Sieg über die Streitmacht der Lombarden.

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Tausend Ritter, dazu dreitausend Fußsoldaten gerieten in Gefangenschaft. Im Stile antiker Triumphzüge zog Friedrich II. im kaisertreuen Cremona ein: Ein Elefant zog den Fahnenwagen der Mailänder, an dessen niedergelegten Mast gefesselt der gefangene Vorsteher der besiegten Stadt durch die Straßen geführt wurde. Anschließend übersandte der Kaiser das militärische Wahrzeichen Mailands an die Kommune des stadtrömischen Adels, die mit dem Papst um die Herrschaft in Rom konkurrierte.

Für Papst Gregor IX. war das eine doppelte Provokation. Vor dem römischen Stadtadel musste er fliehen, und Mailand, das den Papst in seinem Widerstand gegen den Kaiser unterstützt hatte, war besiegt worden. Es war dem Heiligen Vater daher ein willkommener Anlass, dass Friedrich II. 1239 seinen geliebten, unehelichen Sohn Enzio zum König von Sardinien erhob, ohne dazu die Zustimmung des Papstes zu erbitten. Der erhob nämlich aufgrund der Bestimmungen der (gefälschten) Konstantinischen Schenkung die Herrschaft über die italienischen Inseln. Zum zweiten Mal bannte Gregor IX. den Kaiser, nun jedoch mit einer Begründung, die auch eine Amtsenthebung rechtfertigen konnte: Unter anderem wurde von der Kurie die Behauptung verbreitet, Friedrich II. habe Moses, Jesus und Mohammed drei große Betrüger genannt – ein Skandal, der geeignet war, den Verdacht der Häresie zu begründen.

Damit fielen für Friedrich alle Schranken der Rücksichtnahme gegenüber dem Papst. Interdikt und Exkommunikation missachtend, ließ er sich feierlich die Messe lesen. Auf dem Weg durch das Herzogtum Spoleto und Ancona, die er „wegen Undankbarkeit des Beschenkten“ wieder der Herrschaft des Papstes entzog, ließ er ein Kreuz vorantragen. Offenbar griff der Staufer bewusst die verbreitenden Erwartungen eines nahenden Weltendes auf und stilisierte sich in dem Maße, wie Gregor IX. ihn zum Ketzer erklärte und mit dem apokalyptischen Tier 666 verglich, selbst als „neuer Messias“ und als „Kaiser der Endzeit“. Hammer wollte er jetzt sein und nicht mehr Amboss, und mit Hammerschlägen wütete Friedrich II. gegen die Papstkirche und die mit ihr verbündeten Lombarden.

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Der Konflikt eskalierte. Friedrich verhinderte ein Konzil, das der Papst zu seiner Absetzung einberufen hatte, indem er die anreisenden Prälaten gefangen nahm und die hochkarätigen Geistlichen unter schreckenerregenden Haftbedingungen in Apulien einkerkerte. Den Einwohnern Viterbos, die sich vom Papst zu einem „Kreuzzug“ gegen ihn hatten bewegen lassen, brannte Friedrich das Kreuz in die Stirn.

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Der Konflikt zwischen Kaiser und Papst verhinderte auch ein gemeinsames Vorgehen gegen die Mongolengefahr. Batu, ein Enkel des Mongolenherrschers Dschingis Khan, hatte im Osten am 9. April 1241 bei Liegnitz nahe Breslau und zwei Tage später bei Mohi zwei Erfolge gegen christliche Ritterheere aus der Region verbucht. Auch der Mongolensturm in Osteuropa löste eben jene intensive Endzeiterwartungen aus, die Kaiser und Papst gleichermaßen aufgriffen. Friedrich lehnte ein Eingreifen gegen die Mongolen ab, angesichts seiner schlechten Erfahrungen beim Kreuzzug machte er einen Frieden mit dem Papst zur Voraussetzung. Nur der plötzliche Tod des Großkhans Ögödei verhinderte einen weiteren Vorstoß der Mongolen nach Europa

In dieser Situation starb Gregor IX. am 22. August 1241, sein Nachfolger wurde erstmals im Rahmen einer Konklave der Kardinäle gewählt. Von den zwölf wahlberechtigten Kardinälen waren jedoch zwei Gefangene Kaiser Friedrichs II., und die verbliebenen waren zerstritten. Ein mächtiger römischer Senator der Familie Orsini ließ sie auf dem Palatin unter sehr dürftigen Bedingungen einschließen. Nach 60 Tagen und nachdem einer der eingeschlossenen Kardinäle gestorben war, wurde Coelestin IV. von den verbliebenen neun gewählt.

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Der neue Papst galt als stauferfreundlich und strebte eine Einigung mit Friedrich II. an – er starb jedoch nach nur siebzehn Tagen im Amt, wohl an den Folgen der schlimmen hygienischen Umstände während der Konklave. Es folgte nach einer zweijährigen (!) Sedisvakanz Papst Innozenz IV. auf den Heiligen Stuhl. Der suchte zunächst einen Ausgleich mit dem Kaiser, aber das gegenseitige Misstrauen war zu groß für direkte Friedensverhandlungen. Innozenz befürchtete, dabei gefangengenommen zu werden und flüchtete schließlich nach Lyon. Die Auseinandersetzung mit dem Papsttum ging über alle bisherigen Konflikte hinaus, es war ein regelrechter „Krieg der Kanzeln“: Die Kurie wie die Kanzlei Friedrichs verfassten und verbreiteten polemische Briefe, die den Umfang von Traktaten erreichten.

Am 10. September 1241 schlossen die Erzbischöfe von Köln und Mainz – wohl noch in Unkenntnis über den kürzlichen Tod Gregors IX. - ein Bündnis gegen den exkommunizierten Staufer. Damit wechselte der Mainzer Erzbischof, der zuvor doch noch die Regenschaft für Konrad IV. ausgeübt hatte, die Seite. Klar war nämlich, dass eine Entscheidung gegen den Vater Friedrich II. auch eine Entscheidung gegen den Sohn Konrad IV. war, der im Auftrag des Vaters die Herrschaft in Deutschland ausübte. Während der Konflikt in Italien während der Suche nach einem neuen Papst zwei Jahre lang gewissermaßen eingefroren blieb, stand Konrad IV. in Deutschland nun mächtigen und kampfbereiten Gegnern gegenüber. Aber es begann gut für ihn. Denn der Kölner Erzbischof geriet im Februar 1242 in die Gefangenschaft eines alten Gegenspielers, des Grafen von Jülich. Schon bald zog Konrad nach Aachen, um seines Gegners habhaft zu werden. Der Graf allerdings war nicht bereit, seinen Gefangenen zu übergeben, und im November wurde der Erzbischof wieder freigelassen. In den nächsten Jahren kämpften die Gegner wiederholt entlang des Rheins, wobei sie den Besitz des anderen nach Möglichkeit verwüsteten. Entscheidende Schlachten gab es während dieser Zeit keine, es war eine Pattsituation.

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Erst im Jahre 1245 trat die Auseinandersetzung in eine nächste Phase, als Papst Innozenz IV. im Juli ein Konzil in Lyon dazu bewegen konnte, Friedrich II. für abgesetzt zu erklären. Eine Versöhnung mit dem Papst war für die Staufer nun ausgeschlossen. Für den jungen Konrad hieß das, dass er um die Titel, als deren Erbe er sich bislang bezeichnet hatte, kämpfen musste.

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Anfang September 1246 heiratete Konrad IV. Elisabeth, die Tochter des Wittelsbacher Herzogs von Bayern und Pfalzgrafen bei Rhein, das brachte ihm mächtige Verbündete. Doch es formierten sich auch Gegner: Der zuvor erwähnte Heinrich Raspe hatte den Titel von Thüringen persönlich übernommen, nachdem sein Neffe Hermann, der eigentliche Erbe von Thüringen, 1241 überraschend zu Tode gekommen war.

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Bis dahin war Heinrich Raspe ein Verbündeter der Staufer gewesen, ja sogar der neue Regent für Konrad IV. geworden, nachdem der Mainzer Erzbischof Siegfried III. in das Lager der Gegner übergegangen war. Aber im Mai 1246 ließ sich Heinrich Raspe – wohl unter dem Eindruck der Absetzung des Kaisers durch den Papst im Jahr zuvor - zum deutschen Gegenkönig wählen. Okay, es waren sicher auch die 25.000 Mark Silber aus der päpstlichen Schatulle, die Heinrich Raspe zur Wahl bewegten. Wenn man es eine Wahl nennen konnte: Nur eine Minderheit der deutschen Fürsten hatte abgestimmt, und diese waren alle vom geistlichen Stand gewesen. Der Vorwurf, er sei ein „Pfaffenkönig“, war unter diesen Umständen nicht von der Hand zu weisen.

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Sein Gegenkönigtum war nicht von langer Dauer: Heinrich Raspe machte sich Ende 1246 an die (vergebliche) Belagerung von Ulm, um Konrads Machtbasis in Bayern und Schwaben zu treffen. Dabei schien er sich eine Krankheit zugezogen zu haben, an der der Gegenkönig im Februar 1247 auf der Wartburg verstarb. Es war tragisch: Im Alter von 44 Jahren verstorben, hinterließ er als letzter Landgraf seiner Familie der Ludowinger keine Kinder.

Innozenz IV. füllte seine Kriegskasse übrigens wieder auf, indem er den Gläubigen ihre Sünden abkaufte. Und er unternahm etwas, was in der mittelalterlichen Geschichte ein Novum war: einen Mordanschlag auf den Kaiser. Friedrich deckte die Verschwörung auf und rächte sich mit jener Erbarmungslosigkeit, die immer dann aus ihm hervorbrach, wenn er sich hintergangen wusste: Unter den Verschwörern waren Männer, die er für seine Freunde gehalten hatte. Er verurteilte sie wegen „versuchten Vatermordes“, und darauf stand nach altem römischen Recht eine ganz besondere Strafe: das Einnähen in mit Giftschlangen gefüllte Ledersäcke. Ihre Helfershelfer wurden in entsetzlich verstümmelten Zustand von Stadt zu Stadt geführt, damit jeder sehen konnte, wie man mit Verrätern umging. Ihre Frauen und Kinder verschwanden in den Verliesen Palermos, wo sie das Licht der Sonne nicht wieder erblickten.

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Bald darauf ereignete sich ein zweites Attentat, und von diesem hat der Papst zumindest gewusst und es gebilligt. Auch hier kam die Warnung im letzten Moment. Der Attentäter war ein Mann, den der Kaiser gerade aus einem Kriegsgefangenenlager in Parma freigekauft hatte und der zur engsten Umgebung des Throns gehörte, sein Leibarzt. Als er seinem Herrn einen Becher mit einem Stärkungsgetränk reichte, blickte ihn Friedrich lange an und sagte: „Lasst uns den Trank teilen. Trinke mir zu.“ Der Arzt wurde bleich, täuschte ein Stolpern vor und verschüttete den Inhalt des Bechers. Doch ein Bodensatz blieb, den man aufsammelte und einem zum Tode Verurteilten einflößte. Der starb qualvoll unter Krämpfen, worauf der Kaiser tonlos sagte: Auf wen kann ich noch vertrauen, wo kann ich noch sicher sein?“, und er befahl, den Arzt bis zur Hinrichtung bei Tag und Nacht zu foltern.

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Nach dem Tod von Heinrich Raspe benötigten die Gegner der Staufer einige Monate, um einen geeigneten Nachfolger zu finden. Dies gelang nicht gleich, doch am 3. Oktober 1247 wählten die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier mit weiteren geistlichen Fürsten Graf Wilhelm von Holland aus dem Haus der Gerulfinger. Wilhelm hatte die Grafschaften Holland und Zeeland im Alter von sechs Jahren geerbt, nachdem sein Vater 1234 bei einem Turnier umgekommen war. Bei seiner Wahl zum Gegenkönig war Wilhelm also noch ein junger Mann von 19 Jahren, der zudem noch keinerlei Berührungspunkte mit der Reichspolitik gehabt hatte: Holland lag an der Peripherie des Reiches, der König war weit weg gewesen. Dass die Wahl auf ihn gefallen war, lag wohl schlicht daran, dass sich sonst niemand gefunden hatte, der sich gegen die Staufer aufstellen lassen wollte. Ein Jahr nach seiner Wahl und erst nach längerer Belagerung konnte Wilhelm von Holland im Oktober 1248 in Aachen einziehen und sich dort krönen lassen. Damit hatte er seinem Gegenspieler Konrad IV. etwas voraus, denn der war noch nicht zur Krönung dort gewesen.

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Kaiser Friedrich II. schnaubte ob des erneuten Gegenkönigs von Gnaden des Papstes, konnte aber nicht großartig in Deutschland eingreifen. In Italien gab es genug Probleme, Friedrich hatte Schwierigkeiten, die Städte vom Wechseln zur päpstlichen Seite abzuhalten. Meistens setzte der Staufer Gewalt ein, um die Wankelmütigen zu überzeugen. Aber es war nicht zu übersehen, der Stern des Kaisers begann zu sinken. Er, der der Hammer sein wollte, war nun doch Amboss, auf den die Schläge herniedersausten. So blieb es auch bei dem Kampf zwischen seinem Sohn Konrad IV. und Wilhelm von Holland beim Patt, wie es schon bei dem Gegenkönig Heinrich Raspe der Fall gewesen war.

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Im Dezember 1250 verstarb Friedrich II. überraschend im Alter von 56 Jahren in Süditalien, vermutlich an Typhus oder an einer Blutvergiftung. Sein Tod wurde je nach politischer Parteizugehörigkeit beschrieben: Er sei einen typischen Ketzertod gestorben, mit schweren Durchfällen und Schaum vor dem Mund bis zum qualvollen Ende. Andere berichteten, Friedrich habe seine Sünden bereut und vom Bischof von Palermo Absolution erhalten, bevor er, als einfacher Zisterzienser-Mönch gekleidet, gestorben sei. Vermutlich schon zu Weihnachten 1250 erfuhr Konrad IV. vom Tod seines Vaters. Jedenfalls erhielt er das Schreiben mit der Nachricht durch seinen 18jährigen Halbbruder Manfred: Dieser Manfred war ein Sohn Friedrichs II. und seiner Geliebten Bianca Lancia, die der Kaiser 1233 oder 1234 geheiratete hatte, als diese schon auf dem Totenbett lag. Dadurch sollten die drei gemeinsamen Kinder (Anna, Violanta und eben Manfred) nachträglich legitimiert werden.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 9. Oktober 2017 07:24

4. Der Untergang der Staufer

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Im Testament hatte Friedrich II. seinen einzigen klar legitimen Sohn Konrad IV. (sein älterer Halbbruder, der inhaftierte Heinrich VII., war 1242 zu Tode gestürzt, vermutlich ein Selbstmord) zu seinem Nachfolger im Reich bestimmt. Damit war Konrad kaum geholfen. Denn keines seiner tatsächlichen Probleme wurde dadurch einfacher, dass er nun der alleinige Hoffnungsträger der Staufer wurde. Seine Gegner in Deutschland wurden dadurch nicht schwächer, im Gegenteil. Konrads bisherige Mittel hatten bisher nur gereicht, sich einigermaßen zu behaupten. Der Tod seines Vaters stellte ihn vor eine konkrete Alternative, ähnlich der, wie dieser sie 1212 auch gehabt hatte. Konrad hatte nicht nur – mit fragwürdiger Geltung - den Anspruch auf die deutsche Krone, er hatte auch das Königreich Sizilien von seinem Vater geerbt. Zwar hatte der Papst auch die staufische Herrschaft in Sizilien für beendet erklärt, aber die päpstliche Politik in Sizilien war bislang nicht sehr erfolgreich. Friedrich II. hatte hier ein straffes Regiment geführt, und wenn Konrad rechtzeitig kam, konnte er auf starke Unterstützung hoffen. Der junge Mann musste eine Entscheidung treffen.

Eine Zeitlang bemühte sich Konrad IV. noch um den deutschen Thron, aber im Oktober 1251 verließ er Deutschland, um in Italien das Königreich in Besitz zu nehmen, das ihm sein Vater vererbt hatte und das er aus eigener Kraft erwerben zu können glaubte. Er wählte den Seeweg über die Adria und gelangte Anfang 1252 an die Küste Apuliens. Seine Frau Elisabeth war in Süddeutschland geblieben und brachte dort am 25. März 1252 den gemeinsamen Sohn Konradin (kleiner Konrad) zur Welt. Konrad IV. sollte ihn nie sehen.

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Am selben Tag wurde in Norddeutschland Wilhelm von Holland erneut zum König gewählt, dieses Mal auch mit den Stimmen der wichtigen weltlichen Fürsten. Diese wurden inzwischen allgemein für notwendig erachtet für eine gültige Königswahl, der Wahlakt war im sogenannten Sachsenspiegel niedergeschrieben worden. Für Wilhelm wäre es beinahe eine kurze Regierung gewesen: Zu dieser Zeit heiratete er Elisabeth von Braunschweig (die Tochter des erwähnten Herzogs Otto das Kind“) und in der Hochzeitsnacht wurde das Zimmer des Brautpaares durch eine umgefallene Kerze in Brand gesteckt. Nur knapp entkamen die jungen Leute den Flammen.

In Süditalien begann Konrad energisch und bald erfolgreich, seinen Herrschaftsanspruch über das Königreich Sizilien gegen jene durchzusetzen, die sich nach dem Tod des Kaisers gegen die staufische Herrschaft erhoben hatten. Verschiedene Städte wurden von ihm belagert und unterworfen. Es war dann im Juni 1253, als sich Konrad IV. an die Belagerung der letzten wichtigen Stadt machen konnte: Neapel, bedeutende Handelsstadt mit 20.000 Einwohnern und Ort seiner Kindheit. Nach fünf Monaten Belagerung öffneten die Bürger von Neapel die Stadttore. Konrad konnte mitteilen, dass diese Stadt „sich mit uns ausgesöhnt hat und unter unseren Befehl zurückgekehrt ist“. Der Staufer hatte gesiegt, er verbannte die Anführer, verzieh den Bürgern, befahl aber, die Mauern der Stadt einzureißen.

Ein letztes Mal versuchte er, mit dem Papst in Verhandlungen einzutreten. Aber es gab keinen Weg aus der verfahrenen Situation. Vielleicht legte Konrad auch gar nicht mehr sonderlich Wert auf die Meinung des Papstes. Er richtete seinen Blick bereits auf die zweite Krone, die ihm qua Erbe zustand, jene des Königreichs Jerusalem, und sprach auch davon, in die italienische Politik, die mit dem Kaisertum verbunden war, einzugreifen. Zu diesem Zeitpunkt, im Februar 1254, war er bereits erkrankt. Eventuell unterschätzte er die Gefahr der fiebrigen Erkrankung, die sich in den nächsten Monaten verschlimmerte. Am 21. Mai 1254 starb Konrad IV. im Alter von 26 Jahren. Der zweijährige Konradin blieb in der Obhut der beiden Wittelsbacher Herzöge Ludwig II. der Strenge (Oberbayern) sowie Heinrich XIII. (Niederbayern).

Damit war endgültig klar, dass Wilhelm von Holland als deutscher König nicht mehr angefochten wurde. Die Städte, die sich ihm bisher noch widersetzt hatten, öffneten ihm nun die Tore. Wilhelm konnte nun energischer regieren, und das tat er vornehmlich zu seinem persönlichen Vorankommen in seinem holländischen Stammland. Als König war er Lehnsherr von früheren Rivalen im Nordwesten des Reiches, die ihm bislang ebenbürtige und problematische Nachbarn gewesen waren. Auf einem Hoftag ging er jetzt gegen die Gräfin Margarete von Flandern vor, so dass die ihm den Treueid verweigerte. Grund genug für einen Krieg zwischen Holland und Flandern! Den gewann Wilhelm auch, doch das brachte ihn nur als Grafen von Holland weiter, nicht jedoch in seiner Funktion als deutscher König. Im Gegenteil: Wilhelm hatte soviel Energie in diesen lokalen Konflikt investiert, dass ihm bereits 1255 die wichtigsten Verbündeten von der Stange gegangen waren. Sogar ein Brandanschlag wurde auf ihn verübt, als er in Köln nächtigte. Als Urheber wurde der Kölner Erzbischof verdächtigt, dem Wilhelms Zusammenarbeit mit dem neuen „Rheinischen Städtebund“ nicht gefiel.

Wilhelm von Holland starb trotzdem bald darauf, im Januar 1256. Er kam auf einem Winterfeldzug gegen die Friesen ums Leben, als bei einem Kampf das Eis unter seinem Pferd einbrach. Mit der schweren Ausrüstung konnte er sich nicht befreien. Seine Gegner, die ihn in seiner Rüstung nicht erkannten, nutzten die Situation und erschlugen den König. Wilhelm, der in den letzten Jahren zweimal dem Flammentod entkommen war, erfuhr somit einen kalten Tod. Als die Friesen bemerkten, wen sie getötet hatten, vergruben sie den Leichnam ohne Aufhebens. Erst 1282 erfuhr sein Sohn vom Grab des Vaters und ließ dessen Gebeine überführen.

Nach dem Tod Wilhelms von Holland gelang es den deutschen Fürsten nicht, sich auf einen gemeinsam Nachfolger zu einigen. Klar war nur, dass es kein Staufer mehr sein würde, der auf den Thron folgt. Nicht nur, dass der Papst alleine bei der Erwähnung der Staufer Pickel bekam, die Dynastie war vom Schicksal schwer gebeutelt worden. Friedrich II. hatte nicht weniger als 19 Kinder, doch das sicherte die Dynastie nicht. Sie waren zumeist entweder bereits tot oder unehelich geboren. Von Belang waren nur noch Konrads IV. rechtmäßiger kleiner Sohn Konradin, der nachträglich legitimierte und in Süditalien lebende Manfred von Tarent, sowie der unehelich geborene König Enzio von Sardinien. Letzterer saß allerdings schon seit sieben Jahren in so genannter ritterlicher Haft, nachdem er bei einer Schlacht in Gefangenschaft geraten war. Und in der Haft blieb er auch bis zu seinem Tod 1272.

Blieben der kleine Konradin und Manfred. Nachdem Wilhelm von Holland gestorben war, verzichtete Manfred im Namen Konradins auf die deutsche Krone (sie zu erlangen war sowieso außerhalb aller Möglichkeiten), und mehr noch: Manfred schwang sich 1258 selbst zum König von Sizilien auf, indem er das Gerücht aufgriff, der sechsjährige Konradin sei wohl in Bayern verstorben (was nicht stimmte). Weil Manfred den Papst nicht als Lehnsherrn anerkennen wollte, belegte dieser sein Königreich mit dem Interdikt. Manfred wehrte sich mit einigem Erfolg gegen die päpstliche Koalition, er konnte Rom jedoch nicht erobern.

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Papst Clemens IV. (1265-1268) fand durch Manfreds Usurpation bezüglich Sizilien endlich Gehör bei den europäischen Königshäusern. „Rottet aus Namen und Leib, Samen und Spross dieses Babyloniers!“ hatte der Papst nach dem Tod Friedrichs II. verkündet.

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Zunächst hatten der englische Prinz Edmund Plantagenet, Sohn Heinrichs III., sowie Karl von Anjou, Bruder des französischen Königs, noch dankend abgelehnt, als der Papst ihnen das Lehen Sizilien zum Erobern angeboten hatte. Es schien moralisch fragwürdig, denn die Staufer galten da noch als legitime Könige von Sizilien. Aber nun? Manfred war von nicht sauberer Legitimität und hatte die Rechte des rechtmäßigen Erben, seines Neffen Konradin, usurpiert. Mit Erlaubnis des französischen Königs Ludwig IX. durfte Karl von Anjou 1263 das päpstliche Angebot annehmen und Sizilien für sich beanspruchen. Karl war ein treuer Diener der Kirche, ein Mann ohne Gefühl und Gemüt, ein kalter Techniker der Macht, für seine Aufgabe also glänzend geeignet. Die Vorbereitungen für die Belehnung und Krönung in Rom, die Karl von Anjou mit dem Papst zu führen hatte, zogen sich noch bis zum Januar 1266 hin, dann war auch das unter Dach und Fach. Jetzt galt es noch, Manfred zu besiegen – und das gelang Karl prompt. In der Schlacht von Benevent am 26. Februar 1266 wurde Manfred gestellt und getötet. Ungehindert konnte der Anjou nun in Neapel einziehen und das Königreich Sizilien in Besitz nehmen.

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Über die drei noch kleinen Söhne, die Manfred hatte, verfügte der siegreiche Karl: „Sie mögen leben, als wären sie nie zur Welt gekommen.“ Man schaffte sie auf das von ihrem Großvater erbaute Castel del Monte und kettete sie wie Tiere in den Turmzimmern an. Einer von ihnen konnte nach dreißig Jahren währender Haft fliehen, die beiden anderen verkamen, halb erblindet, vom Wahnsinn umschattet.

Blieb von den Staufern noch Konradin, der mittlerweile erwachsen wurde. Als Konradin 1268 sechzehn Jahre alt wurde, marschierte er tatsächlich auf Sizilien zu und brachte Karls Herrschaft ins Wanken.

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Einer der ganz wenigen historischen Fehler im Spiel: Konradin zählt nicht zu der Liste derer, die Anspruch auf das Königreich Sizilien erheben können.

Denn wegen der harschen Verwaltung seiner französischen Beamten, die er nach Sizilien mitgebracht hatte, war Karl von Anjou denkbar unbeliebt bei den Sizilianern. Und der Papst hatte 1268 ziemliche Probleme mit kaiserfreundlichen Römern, die sich gegen ihn erhoben und vertrieben. Hier tauchten zwei neue Bezeichnungen für die beiden italienischen Parteien auf, die von den Namen der Staufer und Welfen abgeleitet sind: Die kaiserfreundlichen Ghibellinen = Waiblinger = Staufer gegen die dem Papst zugeneigten Guelfen = Welfen. Der Papst jedenfalls konnte nach seiner Flucht aus Rom Karl nicht gegen Konradin helfen. Konradin marschierte ungehindert durch Rom und traf am 23. August 1268 bei Benevent auf Karls Heer. Der Anjou war zahlenmäßig unterlegen, besaß aber die besser ausgebildeten Truppen und verfügte über größeres taktisches Können. Der Sieg der guelfischen Seite war vollständig, Konradin wurde auf der Flucht gefasst und an seinen Rivalen Karl ausgeliefert.

Karl betrachtete seinen Gegner nicht als königlichen Gefangenen, sondern als Hochverräter und Majestätsverbrecher, und ließ Konradin in einem Schauprozess zum Tode verurteilen. Seine Hinrichtung auf einem Platz in Neapel am 29. Oktober 1268 geriet zu einem öffentlichen Schauspiel. Konradin, so heißt es, schlug dreimal das Kreuzzeichen und sagte zu seinem Henker: „Ich verzeihe Dir, dass Du mich tötest.“ Er kniete nieder und betete. Dann schritt er zum Richtblock, seine letzten Worte sollen seiner Mutter, Elisabeth von Bayern, gegolten haben: „Ach, Mutter, welch einen Schmerz muss ich Dir bereiten...“


… und wie ging es weiter?

Das war das Ende der Staufer. Konradin war der letzte legitime agnatische Erbe der Dynastie gewesen, mit ihm starb die Chance auf eine Personalunion Siziliens mit dem Heiligen Römischen Reich – genau das hatte das Papsttum immer als gefährliche Umklammerung seines Kirchenstaates zu verhindern gesucht.

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Es gab aber überlebende, uneheliche agnatische Erben wie Enzio von Sardinien (1215–1272), der jedoch bis zu seinem Tod in Bologna gefangen gehalten wurde. Oder den von Kaiser Friedrich mit einer orientalischen Prinzessin unehelich gezeugten Konrad von Antiochia, der erst 1301 beim Kampf um die Stadt Foggia fiel. Zwei von dessen Söhnen konnten immerhin bis 1320 das Amt des Erzbischofs von Palermo einnehmen. Die drei männlichen Nachkommen König Manfreds von Sizilien starben im Kerker Karl von Anjous oder auf der Flucht in der Bedeutungslosigkeit. Als letzter von ihnen starb Heinrich 1318 nach 52 (!) Jahren im Kerker in Sizilien.

In der kognatischen Linie der Staufer existierten weitere Nachkommen, und eine Reihe von Häusern führt ihren Stammbaum auf sie zurück. So heiratete Konstanze, die älteste Tochter Manfreds von Sizilien, 1262 Peter III. aus dem Haus Barcelona, der 1282 nach der Sizilianischen Vesper die Herrschaft Karls von Anjou in Sizilien übernahm und sich dabei auch auf seine staufischen Verbindungen berief. Daneben heiratete Friedrichs II. Tochter Margaretha Albrecht den Entarteten und somit in das Haus Wettin ein (zu ihren Nachkommen gehören die Wettiner als Kurfürsten und Herzöge von Sachsen sowie das heutige englische Königshaus der Windsors). Dem gemeinsamen Sohn der Stauferin Margarete und dem Wettiner Albrecht, Friedrich (*1257), boten die Sizilianer später noch einmal die Krone ihres Reiches an, aber Friedrich winkte ab. Er hatte nicht die Absicht, sich auf ein italienisches Abenteuer einzulassen. Welchen Hass der Päpste die staufische Dynastie auf sich gezogen hatte, wusste er wohl nur zu gut.

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Unter den Nachfahren von Kaiser Friedrich II., die mit dem Leben davongekommen waren, waren es letztlich Friedrichs Tochter Margaret (17) und seine Enkelin Costanza (12a), die zumindest in weiblicher Linie bedeutende dynastische Zweige hervorbrachten.

1) Heinrich VII. - designierter Thronfolger, er brachte sich 1242 in der Haft seines Vaters um. Seine beiden Söhne Heinrich (1a) und Friedrich (1b) starben jung in den Jahren 1245 und 1251
2) Enzio – der uneheliche Lieblingssohn Friedrichs erhielt das Königreich Sardinien, geriet jedoch 1249 in die Gefangenschaft seiner Gegner, in der er bis zu seinem Tod 1272 blieb
3) Caterina da Marano – die uneheliche Tochter heiratete den Markgrafen von Savona und starb 1272 oder später
4) Gerardo – der uneheliche Spross aus einer Liebelei starb noch vor 1255
5) Selvaggia – auch sie stammte aus einer Liebschaft, heiratete 1238 Ezzelino, den grausamen Podesta von Verona, und starb schon 1244
6) Friedrich von Antiochia – der unehelich mit einer Orientalin gezeugte Federico war bereits 1256 beim Kampf um Foggia gefallen. Von seinen Kindern gelangte zumindest Konrad (Corrado, 6a) zu Lehen, er wurde Graf von Alba und starb 1301 oder später
7) Blanchefleur – ebenfalls illegitim geboren, sie wurde Nonne und starb 1279 in einem Dominikanerkloster
8) Richard von Chieti – er fiel bei den Auseinandersetzungen zwischen dem Papst und seinem Vater in einer Schlacht im Mai 1249
9) Friedrich von Pettorano – stammte aus einer Liebschaft mit einer sizilianischen Grafentochter. Er floh mit seiner Familie nach Spanien.
10) Konrad IV. - nach Heinrich der zweite legitime Sohn des Kaisers. Er beerbte 1250 seinen Vater, starb aber bereits 1254, vermutlich an der Malaria. Sein Sohn Konradin (10b) unterlag bei dem Versuch, das Königreich Sizilien zu erobern und wurde 1268 hingerichtet. Auch sein gleichnamiger illegitimer Halbbruder Konradin (10a) wurde 1269 samt seiner Familie durch Karl von Anjou hingerichtet.
11) Anna – war bis 1254 mit dem Kaiser von Nicäa verheiratet, ging nach dessen Tod in ein Kloster in Valencia, wo sie 1307 starb
12) Manfred – er schwang sich 1258 zum König von Sizilien auf, wurde aber 1266 von Karl von Anjou besiegt und getötet. Seine Tochter Costanza (12a) konnte gewissermaßen Rache nehmen: sie heiratete 1262 Prinz Peter von Aragon, der 1282 den Mörder ihres Vaters von Sizilien vertrieb und selber König wurde. Costanza überlebte ihren Gemahl und starb 1302. Ihre Söhne Alfons (12h) und Jakob (12i) wurden später Könige von Aragon und Sizilien. Beatrice (12b) heiratete den Markgrafen von Saluzzo und lebte bis 1307. Von Flordelis (12g) kennt man nur das Todesjahr 1297. Die nächste Beatrice (12c) lebte zumindest bis 1284 als Gattin des Grafen von Donoratico. Manfreds drei kleine Söhne Heinrich (12d), Friedrich (12e) und Enzio (12f) wurden 1266 durch Karl von Anjou eingekerkert. Einem gelang 1296 die Flucht, Enzio starb 1301, Friedrich 1312 und als letzter 1318 Heinrich, immer noch im Kerker
13) Violanta – verheiratet mit dem Grafen von Caserta, sie starb bereits 1264
14) Enrico - ?
15) Margherita de Suevia – sie wurde mit dem Grafen von Acerra verheiratet und starb 1297
16) Friedrich – starb 1239 oder 1240 noch als Kleinkind
17) Margareta – sie heiratete den Landgrafen von Thüringen, den Wettiner Albrecht II. den Entarteten. Weil ihr Mann sie betrog, biss sie ihrem Sohn Friedrich (17a) in die Wange, der spätere Markgraf von Meißen sollte deshalb Friedrich der Gebissene genannt werden. Sein Bruder Dietrich (17b) wurde später Markgraf der Lausitz. Margareta ging nach dem Eklat in ein Kloster, wo sie 1270 starb


Literatur:
Klaus van Eickels / Martin Kaufhold in – Die deutschen Herrscher des Mittelalters
Dossier Geschichte Magazin: Mittelalter, das Zeitalter der Schlachten

Video Friedrich II.
Friedrich II.
Video Konradin und die Schlacht von 1268
Konradin

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 18. Oktober 2017 07:22

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Edward I. Plantagenet
König von England, lebte 1239-1307
Startdatum: 1. Januar 1258


Ich fasse zur besseren Übersicht hier direkt zu Beginn und zu späteren Zeitpunkten zusammen, welche wichtigen Personen eine Rolle spielen:

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1. Prinz Edward

Als England in meiner Story zuletzt erwähnt wurde, da saß noch Edwards Großvater, der tyrannische John Lackland, auf dem Thron. Der hinterließ ein Reich im Niedergang: Im Jahre 1214 hatte John gegen den französischen König die wichtige Schlacht von Bouvines verloren, England war auf dem Kontinent klar in die Defensive geraten. Mehr noch, die englischen Barone begehrten 1215 gegen John auf und zwangen ihren König, die „Magna Charta“ zu unterzeichnen, in der die Rechte des Königs zugunsten eines vom Adel besetzten Parlaments beschnitten wurden. Als John im Jahr darauf starb, hinterließ er seinen Thron dem erst neunjährigem Henry III.

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War John noch ein waschechter Schurkenkönig gewesen, muss man Henry III. als eine traurige Gestalt bezeichnen, er war nicht sonderlich klug und von einfältigem Wesen. Dabei bekam der junge König trotz der desolaten Lage gute Startchancen spendiert, er hatte einen fähigen Regentschaftsrat. Als Henry III. sich 1227 für mündig erklärte und eigenverantwortlich regieren wollte, gingen die Probleme wieder los. Denn mündig wurde dieser König eigentlich nie.

Nach einigen Jahren des Gezerres mit Frankreichs Louis IX. waren die Jahre 1235 und 1236 die der Heiratspolitik: Zum einen verheiratete Henry seine Schwester Isabella mit dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, dem Staufer Friedrich II., und damit gewann er einen Verbündeten gegen Frankreich.

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Friedrich brauchte die 20.000 Pfund Mitgift seiner Braut, weil er gerade einige Probleme mit seinem Sohn Heinrich VII. und den italienischen Städten hatte. Zum zweiten heiratete Henry III. selber, und zwar Eleonore, die Tochter des Grafen der Provence (im folgenden Bild das Mädchen mit dem Namen Aliénor). Hier war zwar keine große Mitgift abzuräumen, die Verbindung war dafür politisch wertvoll: Eleonores ältere Schwester Margarete (im folgenden Bild die Frau namens Margarida) hatte vor kurzem Louis IX. von Frankreich geheiratet, während die Familie ihrer Mutter, die Grafen von Savoyen, die westlichen Alpenübergänge beherrschte und deshalb in den Machtkämpfen zwischen dem Papst und dem Kaiser von beiden umworben wurden. Henry gewann durch die Heirat Einfluss auf die päpstliche Kurie und verbesserte wesentlich seine Beziehung zum französischen König, der nun sein Schwager war.

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Das hinderte die beiden Schwager nicht daran, weiter Krieg miteinander zu führen. Die Engländer hielten auf dem Festland die Normandie und Aquitanien – das Angevinische Reich, das dank William dem Eroberer und durch Heirat den Plantagenet gehörte. Andererseits hatte der französische König dadurch einen Haufen de-jure-Kriegsgründe, die er nach und nach gegen Henry durchsetzen konnte. Henry machte bei den Auseinandersetzungen eine denkbar schlechte Figur und musste auf den englischen Anspruch auf die Normandie, Maine und Anjou verzichten. Er behielt einen Rest von Aquitanien und musste Louis dafür den Lehnseid leisten. Super, dachten die englischen Barone, echt super.

Henrys junge Gattin Eleonore war eine kluge Frau, die rasch Einfluss auf die Politik ihres Mannes gewann und die französische Berater an den englischen Hof mitbrachte – sehr zum Unwillen der englischen Barone.
Dann stieg am englischen Hof ein Emporkömmling auf, Simon de Montfort. Montfort war nicht nur ein charismatischer Anführer, er hatte es auch fertiggebracht, Henrys verwitwete Schwester (im folgenden Bild: Eleanor, rechts daneben Montfort selbst) zu verführen und 1238 zu heiraten. Als Schwager des Königs war Simon de Montfort natürlich eine einflussreiche Person in England. Allerdings hatte der König für die Verbindung nicht die vorherige Zustimmung der Barone eingeholt. Die dubiose Heirat wollte auch der Bruder des Königs, Richard von Cornwall, nicht akzeptieren, unterlag bei den Kämpfen aber. Richard erhielt schließlich 16.000 Mark Abfindung vom König, Simon bekam die Grafschaft Leicester, und man versöhnte sich wieder.

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Am 17. Juni 1239 wurde endlich der Thronfolger geboren. Seinen Namen enthielt er, entgegen der angevinischen Tradition, nach Edward dem Bekenner (siehe Kapitel über William dem Eroberer), das war der Lieblingsheilige des Königs. Als Taufpaten des kleinen Edward fungierten dessen beiden Onkel, Richard von Cornwall und Simon de Montfort. Mehr noch: Als der kleine Edward im Alter von neun Jahren von seinem Vater mit der Gascogne belehnt wurde, erhielt Montfort für die sieben Jahre der Regentschaft das Amt des Seneschalls, übte die Regierung über die Gascogne aus und war für die Erziehung Edwards verantwortlich. Montfort übte die Funktion dann aber nur drei Jahre lang aus, der König entzog sie ihm 1252 nach einem Streit wieder. Die Folge war, dass in der Gascogne Unruhen ausbrachen, zumal Alfons X. von Kastilien in der Nachfolge seines Vaters Ferdinand Ansprüche auf die Region erhoben hatte. Alfons hatte die beiden Königreiche Leon und Kastilien geerbt und diese in seiner Hand vereinigt. Ein neuer westeuropäischer Machtfaktor war da im Entstehen. Englands König Henry III. musste darauf reagieren und konnte es sich nicht leisten, wegen der Gascogne mit Frankreich und Kastilien zugleich im Streit zu liegen. Er schaffte 1254 dann einen Vertrag mit Alfons, in dem Kastilien auf die Gascogne verzichtete. Besiegelt wurde die Abmachung durch die Verlobung des englischen Thronfolgers (unseres Prinzen Edward) mit der kastilischen Prinzessin Eleonore, einer Halbschwester von König Alfons. Die Verbindung hatte schlicht die Funktion, die Südgrenze Aquitaniens für die englische Krone abzusichern. Es war eine politische Ehe, trotzdem wurden Edward und Eleonore miteinander glücklich.

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Um sein angeknackstes Image aufzubessern, entschied sich Henry, das Kreuz zu nehmen und Jerusalem zurückzuerobern. Der Papst hatte eine bessere Idee: Für einen Heiligen Krieg müsse Henry gar nicht so weit reisen, er könne doch Sizilien für die Kirche erobern und es den teuflischen Staufern entreißen. Immerhin war der bisherige Herrscher Friedrich II. 1250 gestorben und die Lage dort nicht geklärt. Henry III. sagte zunächst leichtfertig zu und investierte Unmengen von Geld in das Unternehmen, aus dem dann doch nichts wurde. Am Ende schuldete die englische Krone dem Papst 135.000 Mark Silber. Bekanntermaßen war es dann der französische König, der schließlich zugriff und seinem Bruder Karl von Anjou Sizilien sicherte.

Es gab bald noch einen vakanten Thron, nämlich den deutschen. Seitdem die Staufer-Dynastie beendet und auch König Wilhelm von Holland 1256 zu Tode gekommen war, wurde die Krone von den deutschen Fürsten nunmehr schlicht dem Meistbietenden angeboten. Die meiste Kohle bot zum einen Alfons X. von Kastilien (im folgenden Bild oben), als neuer Monarch im Konzert der Großmächte war er einfach scharf auf den Kaisertitel. Der zweite war Edwards Onkel Richard von Cornwall (im Bild unten), dessen Name wurde irgendwie immer genant, wenn es darum ging, einen verwaisten Thron neu zu besetzen oder einen unliebsam gewordenen Monarchen in seiner Herrschaft abzulösen. Richard hatte das nötige Geld und er war durchaus fähig.

Und offenbar weitsichtiger als sein königlicher Bruder, denn er hatte es 1252 abgelehnt, sich vom Papst mit Sizilien belehnen zu lassen. Richard kommentierte das Angebot nämlich mit den Worten, das sei so, als sage man ihm: „Ich verkaufe Dir den Mond. Steig' hinauf und hol' ihn Dir.“

Als es 1256 aber um die deutsche Krone ging, leistete Richard den an der Wahl beteiligten Fürsten Entscheidungshilfe durch beachtliche „Handsalben“ im Umfang von 28.000 Mark.

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Für welchen der beiden Kandidaten entschieden sich die deutschen Kurfürsten, nachdem sie von beiden reichlich Handsalbe erhalten hatten? Für beide. Jeweils eine Fraktion wählte einen der Kandidaten, wobei sich Alfons X. aber nicht mal die Mühe machte, für seine Krönung oder gar zum Regieren nach Deutschland zu kommen. Der Kastilier wollte nur den Titel. Bei Richard von Cornwall sah es etwas anders aus, er zeigte tatsächlich Interesse an Deutschland und wurde am 17. Mai 1257 in Aachen zum neuen König gekrönt.

Im Jahr darauf musste er jedoch zurück nach England, dort gab es nämlich Probleme. Die königlichen Schatztruhen Englands waren leer, die englischen Untertanen, besonders die Juden, waren durch die Steuerlast ausgeplündert.

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Henry III. wurde zahlungsunfähig und bekam ernsthaften Ärger mit dem Papst, der den englischen König aufforderte, seinen ihm gegenüber eingegangenen Verpflichtungen bezüglich Sizilien nachzukommen. Als sich nichts tat, drohte der Papst mit dem Interdikt für England. In seiner Not versuchte Henry, an den Magnaten vorbei in den Grafschaften neue Steuern einzuziehen. Die waren davon wenig begeistert. Dann hatten sich 1256 auch noch die Waliser erfolgreich gegen die englische Herrschaft erhoben. Frankreich war darüber beunruhigt, dass mit Richard ein Bruder des englischen Königs in Deutschland regierte und suchte das Bündnis mit Alfons von Kastilien, der ja auch Richards Konkurrent um die deutsche Krone war. Henry III. hatte alle Hände voll zu tun, ein gegen England gerichtetes Bündnis von Frankreich und Kastilien zu verhindern.

Vor diesem Hintergrund und einer Serie von Missernten war 1258 für die englischen Barone das Maß voll, und federführend unter den Lords war Simon de Montfort. König Henry wurde zu den „Provisions of Oxford“ gezwungen, einem Vertrag, der weit über die Magna Charta hinausging und den König zu weiten Teilen entmachtete. In einem Rat, dessen Mitglieder zur Hälfte die Barone und zur Hälfte der König bestimmen sollten, regierte Letzterer praktisch nur noch als „primus inter pares“, und das Parlament aus weltlichen sowie kirchlichen Lords sollte sich dreimal im Jahr versammeln. Diese „Provisions of Oxford“ mussten außer dem König und Edward auch der später nach England zurückkehrende deutsche König Richard beschwören. Über England herrschte nicht länger der König, sondern eine Oligarchie der Barone.

Auch beim französischen König musste Henry III. klein beigeben und ihn dazu persönlich in Paris aufsuchen, wo er von Louis IX. herzlich begrüßt wurde. Am 4. Dezember 1259 wurde der Friede von Paris verkündet, in dem Henry förmlich auf alle verlorenen Gebiete des Angevinischen Reiches verzichtete (also auf Anjou, Maine, Tourraine sowie den Titel eines Herzogs der Normandie). Im Gegenzug für die Bestätigung des Status quo erhielt Henry III. neben der Gestellung von 500 Rittern die Gascogne mit territorialen Zugeständnissen, und zwar als Lehen des französischen Königs. Sogleich hatte Henry dem Kapetinger Louis IX. im Garten des Pariser Königspalastes den so lange verweigerten Lehnseid zu leisten. Außerdem wurde vereinbart, dass jeder englische König bei einer Thronfolge - sowohl einer in Frankreich wie in England – ebenfalls dem französischen König als Lehnsherren huldigen müsse. Damit sollten die Franzosen die Engländer noch richtig quälen!

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Aber Louis IX. unterstützte Henry III. auch, und zwar gegen seine Barone bzw. das englische Parlament. Denn die Zeit war noch nicht reif für solche quasi-demokratischen Institutionen, und sowohl dem französischen König wie auch dem Papst waren mehr als unwohl bei dem Gedanken. Was sollte aus der Welt werden, wenn die von Gott gewollte Ordnung in Frage gestellt wird? Was, wenn dieser unerhörte Machtanspruch der Barone auf den Kontinent überschwappt? Louis half Henry mit Geld für Söldner aus, der Papst drohte den Baronen mit der Exkommunikation. Doch als Henry III. Anstalten machte, das Parlament vom Papst für nichtig erklären zu lassen, griffen die Barone unter Führung von Simon de Montfort zu den Waffen. In England herrschte wieder Bürgerkrieg.

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Am 14. Mai 1264 kam es in Sussex zur Schlacht. Henry III. machte seinem Ruf als mieser Feldherr alle Ehre und verlor trotz zahlenmäßiger Überlegenheit gegen die Barone unter Simon de Montfort. Henrys Bruder, der deutsche König Richard, floh in eine Mühle und galt fortan als einer der jämmerlichsten Feiglinge der englischen Geschichte. Der einzige, der auf Seiten der königlichen Truppen eine halbwegs gute Figur machte, war Henrys 25jähriger Sohn Edward. Er geriet in Gefangenschaft – genau wie der König – und die Barone behielten ihn als Geisel, um sich für die Zukunft Henrys zahme Kooperation zu sichern. Aber der junge Prinz Edward war ein waschechter Plantagenet, er ließ sich nicht ohne Weiteres wegsperren.

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Erst einmal gehörte der Sieg aber Simon de Montfort, der fortan wie ein ungekrönter König herrschte. Er rief ein Parlament ein, zu welchem auch Ritter und Bürger der Mittelschicht gehörten. Doch Regieren ist immer schwieriger als Opposition. Kaum hatten die Engländer festgestellt, dass auch Simon de Montfort nur mit Wasser kochte und nicht alle Missstände sich über Nacht abstellen konnte, kamen ihnen Zweifel. Plötzlich war es vielen Lords unheimlich, dass sie ihren König quasi abgesetzt hatten und erinnerten sich an die Worte des Papstes, der ihnen mit ewiger Verdammnis gedroht hatte. Und hier und da hörte man jemanden murren, dass sie den Streit mit König Henry III. doch nur angefangen hatten, weil der zu viele Franzosen in die Regierung geholt hatte. Und wer bitte war Simon de Montfort?

Im Mai 1265 konnte Prinz Edward aus der Gefangenschaft fliehen und sich mit dem Grafen von Gloucester zusammentun. Augenblicklich begannen die Engländer, sich um sie zu scharen. Prinz Edward versprach, das Land zu reformieren und ihm Frieden und Ordnung zurückzugeben. Plötzlich gab es einen neuen Hoffnungsträger in England, gegen den Simon de Montfort verstaubt aussah. Edward kesselte seine Armee am 4. August 1265 ein und tötete Montfort samt dessen Sohn, ihre Leichen wurden in Stücke gerissen. König Henry, der sich bei der Schlacht in Montforts Gefolge befand, geriet mitten in die Kämpfe und wurde dabei von seinen eigenen Anhängern, die ihn nicht erkannten, verwundet, ehe er doch noch erkannt und gerettet wurde. Edward befreite seinen verängstigten Vater aus der Hand der Rebellen und nahm ihm behutsam die Regierung aus den unfähigen Händen.

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Henry III. suchte den Ausgleich mit Montforts Anhängern, aber Edward führte den Krieg gegen die Barone zwei Jahre lang zornig fort, bis der König – kriegsmüde und pleite – einen ordentlichen Frieden mit seinen Gegnern schließen konnte. Zu verdanken hatte Henry das günstige Ergebnis seinem energischen Sohn Edward, der das unhaltbare Chaos und den Bürgerkrieg beendete und die Ordnung wiederhergestellt hatte.

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Edward unternahm 1270 einen Kreuzzug in das Heilige Land, wo er im Juni 1272 den Angriff eines Assassinen überlebte, was wirklich nicht viele Leute von sich behaupten konnten. Der Vertreter dieser gefürchteten Guerillatruppe verletzte ihn mit einem vergifteten Dolch am Arm, ehe Edward ihm die Waffe entreißen und ihn damit töten konnte. Die Wunde wurde brandig, und ein englischer Arzt schnitt das faulige Fleisch heraus. Offenbar war nicht genügend Gift eingedrungen, um Edward zu töten. Der Vorfall war typisch für Edward: Alles, was er zustande brachte, erreichte er durch unerschrockenes, schnelles Handeln und aus eigener Kraft.

Ein paar Monate später kehrte Edward in den Westen zurück und erfuhr bei seiner Landung in Italien vom Tod seines Onkels Richard von Cornwall (+ April 1272) sowie dem seines Vaters Henry III. (+ November 1272). Damit war die alte Generation abgetreten und Edward I. auch offiziell der Herrscher von England.

Das also ist aus den Protagonisten der ersten Phase geworden:
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Das ist eine Doku über die bisher in diesem Kapitel geschilderte Zeit von Henry III. und seinen Sohn Edward I.

Henry III. und Edward I.

Und dies sind die Protagonisten, die in den kommenden zwanzig Jahren eine Rolle spielen:
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2. König Edward

Offenbar war sich Edward seines Erbes ziemlich sicher, denn er hastete nicht nach England zu seiner Krönung. Stattdessen trieb er sich zwei Jahre auf dem Kontinent herum, besuchte den Papst, dann den neuen König von Frankreich (Philipp III.) und leistete ihm einen hochinteressanten Lehnseid: „Ich huldige dir für alle Ländereien, die ich eigentlich von dir zu Lehen halten sollte.“ Philipp dürfte ziemlich gestutzt haben und argwöhnte zu Recht, dass Edward sich zurückholen wollte, was sein Großvater John in Frankreich verloren hatte.

Für solch einen Schritt hatte Edward zunächst einmal daheim die Grundlagen zu schaffen. Er segelte nach England, und am 19. August 1274 – also fast zwei Jahre nach dem Tod seines Vaters – wurde er in Westminster mit großem Prunk gekrönt. Die sonst aufmüpfigen Barone hatten seine lange Abwesenheit nicht ausgenutzt, um wieder zu rebellieren. Im Land war trotzdem vieles im Argen. Die Richter und die Sheriffs ließen sich schmieren, die Lords machten, was sie wollten, und im ganzen Land herrschte Misswirtschaft. Die Reste vom Krönungsbankett waren kaum vertilgt, da begann Edward im September 1274, gründlich aufzuräumen. Alle Sheriffs wurden abgesetzt. Er schickte zwei vertrauenswürdige Beamte in jede Grafschaft zu einer Bestandsaufnahme aller Liegenschaften. Das Ergebnis war, dass Edward im Parlament des Frühjahrs 1275 ein Gesetz durchdrückte, welches die Korruption und viele andere Missstände abstellte. Bei all seinen Maßnahmen achtete er darauf, die weltlichen und kirchlichen Lords einzubinden und mitzunehmen, und es herrschte Einigkeit unter ihnen, die zwanzig Jahre zuvor undenkbar gewesen wäre.

Jetzt konnte sich der englische König den außenpolitischen Problemen auf dem Kontinent widmen, vor allem Navarra und Frankreich. In Paris rivalisierten die Königinmutter Margarete von Provence und Karl von Anjou um Einflussnahme auf den französischen König, der von seinem Onkel u.a. zu einer Kandidatur für die deutsche Krone gedrängt wurde (er unterlag jedoch gegen Rudolf von Habsburg, der am 24. Oktober 1273 in Aachen gekrönt wurde). In Kastilien gab es noch immer Alfons, der auf seiner Würde als deutscher König beharrte und den Edward bis zu Alfons Tod 1275 darin bestärkte.

Ein erstes Problem gab es für Edward mit Navarra. Hier übte die Königinwitwe Blanca die Regentschaft für ihre Tochter Johanna aus, übergab die Vormundschaft für das Mädchen aber dem französischen König, und regierte nur noch die Champagne im Namen ihrer Tochter. Mit diesem Schritt sicherte Blanca ihr Navarra vor dem Nachbarn Aragon ab. Edward gelang es, Blanca Ende 1275 zur Hochzeit mit seinem Bruder Edmund zu überreden, der so zum Herrn über die reiche Champagne wurde. Natürlich leistete Edmund dem französischen König artig das homagium für die Grafschaft. Merkwürdigerweise nutzte der englische König in der Folgezeit nicht die Gelegenheit zur Einflussnahme in dieser Region.

Ähnlich abwartend verhielt sich Edward in Brabant, wo er mit dem Herzog Verhandlungen über eine Eheschließung zweier ihrer Kinder führte (die Ehe zwischen Edwards Tochter Margarete und Johann, dem Sohn des Herzogs, kam erst 1290 zustande). Auch bei dem Streit um das Erbe von Poitiers blieb Edward I. zurückhaltend. Hier waren umfangreiche Besitzungen nach dem Tod des kinderlosen Grafen ledig geworden, und König Philippe vereinnahmte diese. Nach zähen Verhandlungen (vier Jahre lang!) mit Philippe sicherte sich Edward zumindest Agen und den südlichen Teil der Saintogne, musste im Gegenzug aber auf die Ansprüche auf andere Ländereien verzichten.

In Kastilien starb im August 1275 Alfons ältester Sohn und Thronfolger Ferdinand. Der König überging die Ansprüche von Ferdinands beiden Söhnen und ernannte stattdessen seinen zweiten Sohn Sancho zum Erben der Krone. Dieser Schritt brachte Alfons einigen Ärger: Seine eigene Frau sowie Ferdinands Witwe suchten samt den beiden Enkeln Schutz am Hof von Aragon. Auch Frankreichs König stellte sich auf die Seite der beiden Enkel. Edward war verwandtschaftlich an Alfons gebunden, hatte Philippe aber für die Gascogne den Lehnseid geleistet – er war also beiden Parteien zugleich verpflichtet. Ziemlich blöd, denn beide forderten unter Androhung rechtlicher Sanktionen jeweils Hilfeleistungen ein. Edward kam da ein aktuell anstehender Feldzug in Wales recht, denn so konnte er sich einer Parteinahme vorerst entziehen.

Unterdessen hatte sich in Wales nämlich Ärger zusammengebraut. Die dortigen Lords hatten den englischen Bürgerkrieg der 1260er Jahre ausgenutzt, um ihre eigene Machtstellung zu verbessern. Ja, sie waren sogar mehrfach in England eingefallen. 1267 hatte einer der ihren, Llywelyn, die walisischen Lords unter seiner Führung zusammengeschmiedet und sich zum „princeps Wallie“ - dem Prince of Wales – ausrufen lassen. Die Waliser waren fortan fähig, der Dominanz der Engländer etwas entgegenzusetzen. Edward gefiel es überhaupt nicht, auf der eigenen Insel einen so selbstbewussten Nachbarn zu haben. Und er hatte ein Auge auf all das walisische Land geworfen, das er besitzen und an seine Getreuen verteilen wollte. Nicht zuletzt wollte Edward die berühmten walisischen Bogenschützen in seinen Diensten wissen.

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Ausgerechnet Llywelyns Bruder Dafydd kam Edward zur Hilfe. Weil er sich von seinem mächtigen Bruder benachteiligt und überschattet fühlte, plante er einen Mordanschlag auf ihn. Der missglückte, und Dafydd floh nach England, wo er sich hinter Edwards Thron versteckte. Weil Edward dem Abtrünnigen Asyl gewährte, verweigerte Llywelyn ihm nun den Lehnseid und die fälligen Tributzahlungen. Ein willkommener Vorwand: Edward beschuldigte den „Prince of Wales“, seine Oberhoheit nicht anzuerkennen und lud ihn nach London vor Gericht. Natürlich erschien Llywelyn nicht vor den englischen Großen, die ihn am 12. November 1276 ganz legal zum Rebellen verurteilen konnten. Edward hatte den Feldzug strategisch gut geplant und marschierte noch im Winter 1276/77 mit drei Heeren in Wales ein.

Rasch nahm Edward die strategisch wichtige Insel Anglesey ein, die dem ganzen Norden von Wales als Kornkammer diente und deshalb unverzichtbar war. Bald musste Llywelyn sich ergeben, aber Edward zeigte untypische Milde: Llywelyn durfte nicht nur seine Ländereien, sondern auch seinen Titel des „Prince of Wales“ behalten. Edward behielt trotz der harten Vertragsbedingungen politisches Augenmaß, denn er begnügte sich damit, den Fürsten zu schwächen, statt ihn zu vernichten. Das war Edward durchaus bewusst, denn in der Folge ließ der englische König zahlreiche defensiv ausgerichtete Burgen in Wales errichten. Das Land war vielleicht wieder in Besitz genommen, konnte aber noch nicht als unterworfen gelten.

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Es verstrichen immerhin fünf Jahre, bis Edward die alten Probleme wieder einholten. Das betraf zum einen den Krisenherd mit den spanischen Königreichen. Der Auslöser befand sich aber woanders, nämlich in Sizilien. Dort herrschte seit 1268 der Franzose Karl von Anjou, seitdem er den Staufer Manfred besiegt hatte. Am Ostermontag 1282 kam es auf Sizilien aber zu jenen Revolten gegen die Fremdherrschaft, die man als „Sizilianische Vesper“ bezeichnen sollte. König Peter III. von Aragon war mit Manfreds Tochter, der Stauferin Konstanze, verheiratet und ergriff die Gelegenheit, auf Sizilien zu landen und die Herrschaft zu übernehmen. Auf Betreiben des französischen Königs, der Karl von Anjou helfen wollte, exkommunizierte der Papst den Thronräuber Peter. Nun forderten wieder zwei Parteien Edwards Loyalität ein: Der englische König hatte einerseits Philippe den Lehnseid geleistet, andererseits eine Heirat zwischen seiner Tochter Eleonore und dem aragonesischen Erben Alfons vereinbart.

Der Konflikt eskalierte weiter, als der Papst den exkommunizierten Peter nicht nur in Sizilien, sondern auch in Aragon für abgesetzt erklärte und den Thron seinem Gegner Karl von Anjou zusprach. Philippe III. unternahm einen Kreuzzug nach Katalonien, um seinem Onkel auch tatsächlich auf den Thron zu verhelfen. Und wie ging der Konflikt schließlich aus? Wie bei Shakespeares Dramen: Am Ende alle tot. Der Thronprätendent Karl von Anjou starb am 7. Januar 1285, kurz darauf folgte Papst Martin IV. am 28. März 1285. Der französische König Philippe III. erlag am 5. Oktober 1285 beim Rückzug aus Aragon einer Krankheit, König Peter verschied am 11. November 1285. Die Konkurrenten im Kampf um Sizilien und Aragon waren schlicht alle in Grab gesunken.

Für Edward war das gut. Er hatte sich in diesem Konflikt um Neutralität bemüht und versucht, sich von Waffengängen fernzuhalten. Es war in Englands Interesse, auf dem Kontinent den Status quo beizubehalten. Denn in Wales war der Frieden von 1277 inzwischen mehr als brüchig geworden. Das lag nicht nur an dem hochmütigen Auftreten königlicher Beamter, die englische Verwaltungsstrukturen sowie englisches Recht einführten und walisische Rechtsgewohnheiten unterdrückten. Die administrativen Änderungen führten teils zu Besitzstreitigkeiten, und das war für die walisischen Fürsten nicht hinnehmbar. Besonders der intrigante Dafydd fühlte sich übergangen: Hatte er nicht bedenkenlos auf der Seite der siegreichen Engländer gekämpft? Wieso hielt sein Bruder noch immer mehr Land als er selber? Dann verkrachte sich Dafydd so sehr mit seinen englischen Nachbarn, dass er nach Wales fliehen musste und seinen Bruder Llywelyn überzeugte, den Engländern den Frieden zu kündigen.

Die Auseinandersetzungen nahmen einen ähnlichen Gang wie 1277: Edward eroberte zunächst Conwy und dann Anglesey, wo er erneut die Weizenernte beschlagnahmte. Bei dem Versuch, von Anglesey auf das Festland überzusetzen, musste die Besatzungsarmee allerdings eine Niederlage einstecken. Der Erzbischof von Canterbury versuchte, zwischen Llywelyn und dem König zu vermitteln, und Llywelyn wurde ein großes Stück Land in England angeboten, wenn er Wales an Edward abträte. Dafydd sollte sich dem Kreuzzug anschließen und nicht ohne Erlaubnis des Königs zurückkehren. In einer emotionalen Antwort erklärte Llywelyn, er werde niemals das Volk verlassen, das seine Vorfahren seit den Zeiten von Kamber, dem Sohn Brutus von Britanniens, beschützt hätten. Das Angebot wurde somit abgelehnt.

Llywelyn überließ nun Dafydd die Verteidigung von Gwynedd und zog mit seinen Truppen nach Süden, um in Mittel- und Südwales um Unterstützung zu werben und eine strategisch wichtige zweite Front zu eröffnen.

In der Schlacht von Orewin Bridge wurde er getötet, nachdem er sich zeitweilig von seiner Armee entfernt hatte. Die genauen Umstände seines Todes sind unklar, offenbar wurde Llywelyn durch eine List von seiner Armee fortgelockt und dann niedergestreckt. Als er im Sterben lag, verlangte er nach einem Priester und gab seine Identität preis. Daraufhin versetzte man ihm den Todesstoß und schlug ihm den Kopf ab, den man König Edward schickte. Edward ließ ihn in London einen Tag lang am Pranger ausstellen. Dabei wurde er mit Efeu „gekrönt“ (dies sollte zeigen, dass er der König der Banditen war) als Verspottung der walisischen Prophezeiung, dass eines Tages ein Waliser in London zum König über ganz Britannien gekrönt werden würde (was schließlich auch eintraf, als Heinrich VII. 1485 König wurde). Danach wurde der Kopf an der Spitze einer Lanze von einem Reiter zum Tower von London gebracht und auf den Zinnen des Tores ausgestellt. Auch fünfzehn Jahre später soll er sich noch dort befunden haben.

Nach dem Tod seines Bruders rief sich Dafydd höchstpersönlich zum neuen Prince of Wales aus. Aber er verstand es nicht wie sein Bruder, die Waliser zu einen. Ein paar Monate hielt er noch aus, dann wurde er von seinen eigenen Leuten gefangen genommen und an Edward übergeben. Der ließ Dafydd als Hochverräter verurteilen und im Oktober 1283 grausam hinrichten. Die Fetzen der Leiche wurden in verschiedenen englischen Städten gezeigt, Dafydds Kopf endete aufgepflanzt auf der Mauer des Londoner Tower, neben dem seines Bruders.

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Edward brauchte noch einige Monate, um das unzugängliche Wales zu unterwerfen und dessen kriegerische Bewohner in die Knie zu zwingen. Aber 1284 konnte der König in Wales das englische Recht einführen und das Land nach englischem Muster in Grafschaften einteilen. Die Waliser selbst hatten nicht mehr viel zu melden. Und damit sie nicht auf dumme Ideen kamen, ließ Edward eine Reihe von Burgen errichten. Wales wandelte er in ein Fürstentum um, das immer dem englischen Kronprinzen gehören sollte, der seither „Prince of Wales“ genannt wird.

Auf dem Kontinent war Edward weniger erfolgreich. Er versuchte sich in der Gemengelage mehrerer Konflikte innerhalb und zwischen Kastilien, Aragon, Frankreich und Sizilien als Vermittler, konnte aber keine diplomatische Lösung durchsetzen. Es blieb weiter strittig, welcher Nachkomme auf den verstorbenen Alfons X. in Kastilien auf den Thron folgen sollte und ob den französischen Anjou die Kronen von Sizilien und Aragon zustehen. Edward kehrte 1290 auf die britische Insel zurück und widmete sich weiterer Reformen des englischen Justizwesens. Im November dieses Jahres ereilte ihn ein Schicksalsschlag: Seine geliebte Gattin Eleonore starb am 12. November 1290. Später verstarben die Königinmutter Eleonore am 25. Juni 1291 sowie bewährte Vertraute wie der Kämmerer Johannes Kirkby und der Kanzler Robert Burnell. Eine neue Generation von Verwaltungs- und Rechtsfachleuten rückte an die Schaltstellen Englands. Edward selbst musste sich zu dieser Zeit einer neuen Herausforderung zuwenden, und die wurde zu seiner persönlichen Obsession: Schottland.

Die wichtigen Charaktere des kommenden Abschnitts:
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3. Hammer der Schotten

Die Ursache lag eigentlich schon vier-fünf Jahre zurück. Am 19. März 1286 war der schottische König Alexander III. im Alter von 44 Jahren bei einem nächtlichen Reitunfall tödlich verunglückt. Eigentlich passieren Reitunfälle bei Paradox-Spielen grundsätzlich nur den 6-6-6-Thronfolgern, aber die waren in diesem Fall schon vor König Alexander III. gestorben: Seine Söhne David und Alexander waren seit 1281 bzw. 1284 tot. Der König musste 1283 auch das Ableben seiner Tochter hinnehmen, die mit König Erich III. von Norwegen verheiratet war. Der schottische Monarch war daher gezwungen gewesen, Adel und Geistlichkeit des Landes auf die Nachfolge seiner Enkelin Margarethe, der Tochter des norwegischen Königs, festzulegen. Als Alexander III. dann 1286 bei dem Reitunfall ums Leben kam, fiel die schottische Krone tatsächlich an die erst dreijährige Margarethe von Norwegen. Der schottische Regentschaftsrat verhandelte mit den Norwegern drei Jahre lang, bis 1289 vereinbart werden konnte, dass die kleine Margarethe bis zum 1. November 1290 die Reise nach Schottland durchgeführt haben sollte.

Der englische König Edward schaltete sich in die Verhandlungen ein und erreichte, dass sein Sohn Edward II. das Mädchen heiraten sollte. Diese Verbindung bedeutete nichts anderes als eine Personalunion der beiden Reiche England und Schottland. Die um ihre Unabhängigkeit besorgten schottischen Fürsten beruhigte Edward mit entsprechenden Zusagen und der Anerkennung der bestehenden Ländergrenzen. All diese Vereinbarungen wurden durch den Tod der Maid gegenstandslos, die die Reise ins Inselreich angetreten hatte. Sie erkrankte zwischenzeitlich und starb im September 1290 bei den Orkneys.

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Das war der Moment für zahlreiche Prätendenten auf den schottischen Thron, sowohl im Inland als auch aus dem Ausland. Zu denen gehörte sogar Edward I. höchstselbst, denn König Alexander III. war mit seiner Schwester verheiratet gewesen. Die kleine Margarethe war also Edwards Großnichte gewesen. Na ja, in CK2 heißt solch ein Anspruch nicht zu Unrecht „schwacher Anspruch“. Bis 1292 lichtete sich das Gerangel der Prätendenten auf dreizehn Personen, nachdem der Regentschaftsrat ihre jeweiligen Anspruchsgrundlagen analysiert und bewertet hatte. Mit den übrigen wusste man aber nicht, wie man weiter verfahren solle – und rief ausgerechnet den englischen König als Schiedsrichter an. Die Schotten wollten mit Edward einen neutralen Schlichter, der sah sich selbst jedoch als Suzerän, der interessengeleitet in Schottland einzugreifen gedachte. Edward I. ließ ein englisches Heer an der Grenze zu Schottland aufmarschieren und stellte den schottischen Großen ein Ultimatum, ihn als Oberherrn anzuerkennen. Die Adeligen waren zu schwach und zu uneins, um diese Provokation zurückweisen zu können, sie mussten Edwards oberste Autorität bei der Auswahl ihres nächsten Königs anerkennen.

Die aussichtsreichsten Kandidaten auf den schottischen Thron waren John Balliol, Robert Bruce und John Hastings. Nach ausführlichen Beratungen entschied das Gremium, das Edward eingesetzt hatte, im November 1292, dass gemäß Primogenitur und Unteilbarkeit des schottischen Reiches der Thron John Balliol zustehen würde. Die anderen Kandidaten akzeptierten den Beschluss, mit einer folgenschweren Ausnahme: Der betagte Robert Bruce übertrug seinen Anspruch auf seinen gleichnamigen Sohn und dessen Nachkommen.

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Robert Bruce der Ältere (links) und sein Sohn Robert Bruce

John Balliol war zwar nur weitläufig mit Alexander III. verwandt, für Edward war er aber der günstigste Kandidat: Balliol war ein eher schwacher Charakter, der über großen Territorialbesitz in England verfügte und gegenüber der englischen Krone hoch verschuldet war. Nachdem Balliol dem englischen König den Treueid geleistet hatte, wurde er auf dem traditionellen Stein von Scone inthronisiert.

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Er war kaum im Amt, als in seinem Namen ein Urteil gegen einen Bürger der Stadt Berwick erging. Als der Bürger sich bei Edward I. darüber beschwerte, gab dieser ihm Recht und kassierte das Urteil des schottischen Königs ein. Der Rechtsstreit war trivial, seine Folgen waren es nicht: Das Wort des schottischen Königs war – für jeden sichtbar – in Schottland nicht mehr das letzte Wort. Der aufgestaute Unmut der schottischen Adeligen führte im Sommer 1294 zum Eklat, als Edward ihre Dienstpflicht als Vasallen einforderte (der englische König musste wegen der Gascogne wieder einmal gegen Frankreich ins Feld ziehen). Für die Schotten war das die eine Demütigung zu viel.

Balliol weigerte sich zu kommen, verschanzte sich in Schottland und schloss am 23. Oktober 1295 sogar einen defensiven Bündnisvertrag mit dem König von Frankreich, die Auld Alliance. Die englischen Truppen gerieten auf dem Kontinent in gehörige Schwierigkeiten, was Edward zur Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen zwang. Ausgerechnet der berüchtigte Papst Bonifaz VIII. (1294-1303) sollte als „Privatmann“ einen Schiedsspruch über die Gascogne fällen. So schlecht war die Wahl für Edward aber nicht: Seitdem der nicht minder skrupellose Philippe IV. den französischen Klerus besteuert und den kirchlichen Zehnten für sich selber eingezogen hatte, war der Papst nicht gut auf den Kapetinger zu sprechen. Prompt entschied Bonifaz bezüglich der Gascogne gegen Philippe, der jede weitere Bemühung durch den Papst mit dem Hinweis ablehnte, dass es diesem nicht zustehe, über weltliche Belange zu urteilen. Damit vollführte Philippe einen erneuten Bruch mit dem Papst, der dieses Mal nicht zu beheben war. Der Konflikt zwischen England und Frankreich wurde nun doch diplomatisch beigelegt. Unter anderem wurde der englische Thronfolger Edward II. mit der französischen Prinzessin Isabella verlobt, die als „Isabella die Wölfin“ in die englische Geschichte eingehen sollte. Von ihr werden wir also noch hören.

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Es ist übrigens Kokolores, dass Isabella in Braveheart auf William Wallace trifft. Zwar ist ihr Geburtsjahr unklar (entweder 1288, 1292 oder 1295), in jedem Fall aber war sie zu der Zeit, in der der Film handelt, noch ein Kind am französischen Königshof. Korrekt dagegen ist, dass sie vom englischen König auf eine diplomatische Mission geschickt wurde – allerdings nicht von Edward I. nach Schottland, sondern von Edward II. nach Frankreich. Das passiert aber erst in einem späteren Kapitel.

Edward sah zu, dass er den vorläufigen Frieden auf dem Kontinent mit außenpolitischen Bündnissen absicherte, die sich gegen Frankreich richteten: Er gewann gegen Geld den deutschen König Adolf sowie andere flämisch-niederrheinische Verbündete an der französischen Ostgrenze für sich. Diese Bündnisse sollten sich zwar als nicht sonderlich beständig erweisen, aber sie verschafften Edward die Zeit, sich um die Rebellion in Schottland zu kümmern. Er zitierte den widerspenstigen Balliol vor das Londoner Gericht, und natürlich weigerte der sich zu erscheinen. Für den englischen König war nun der legale Anstrich gewahrt: Edward ließ sein Heer aufmarschieren und überschritt im Frühjahr 1296 die Grenze zu Schottland.

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Einige der schottischen Adeligen waren ihm treu geblieben, wohl auch, weil sie Balliol als König ablösen wollten. Sie begleiteten Edward auf seinem Feldzug. Am 27. April 1296 kam es bei Dunbar im Südosten Schottlands zu einer ersten Schlacht zwischen Schotten und Engländern. Edwards erfahrener Feldherr Warenne vernichtete das schlecht geführte schottische Heer mühelos, englische Ritter eroberten in der Folge Burg um Burg. John Balliol und viele Aristokraten gerieten in Gefangenschaft. Dem König wurde der Mantel mit dem schottischen Wappen vom Leib gerissen, er selbst in den Tower von London verschleppt. Bei der Gelegenheit raubte Edward I. den „Schicksalsstein“ von Scone, auf welchem seit Menschengedenken die schottischen Könige bei ihrer Krönung gesessen hatten. Innerhalb von fünf Monaten eroberte und plünderte Edward das Königreich Schottland. Anschließend kehrte er nach England zurück und ließ den Graf von Surrey als Regenten in Schottland. Das war also die Lage Ende 1296: ein abgedankter König im Tower, schottische Adelige, die schmählich geschlagen worden waren oder mit den Engländern kollaborierten. Engländer, die nun über schottische Burgen und Städte gebieten konnten, ein starkes englisches Heer, das jederzeit wieder über die Grenze marschieren konnte. Schottland hatte seine Eigenständigkeit verloren.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 21. Oktober 2017 10:33

Es dauerte verständlicherweise nicht lange, bis sich angesichts der englischen Repressionen Widerstand unter den Schotten regte. Für die Führungsrolle wären die einflussreichen Fürsten - Robert Bruce (der Jüngere), Jakob der Steward und Bischof Robert von Glasgow – prädestiniert gewesen, aber sie verharrten in Resignation. Der Widerstand wurde durch zwei ganz andere Männer geleitet: Andreas Moray und William Wallace.

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Es ist eine feine Ironie, dass Wallace selbst wahrscheinlich englischer Abkunft war. Sein Ahn war vermutlich ein Engländer aus dem Grenzgebiet zu Wales, der im 12. Jahrhundert seinem Herrn nach Schottland folgte. Zu dieser Zeit war das für ehrgeizige Engländer eine Aufstiegschance. Williams Vater war kein hoher Adeliger, aber doch bedeutsam genug, dass er zu jenen Schotten zählte, die Edward I. offiziell die Treue schwören mussten. William selbst wurde um 1270 geboren und zunächst wohl auf eine kirchliche Laufbahn vorbereitet. Jedenfalls zeigte er sich später bibelfest. Der charismatische und im Kampf geschickte Mann wird im August 1296 von einer Landbesitzerin des Überfalls auf ihr Haus beschuldigt und vor ein Gericht geladen. Ob dies der Anlass für sein Untertauchen war – ein gewöhnlicher Krimineller, der erst anschließend zum politischen Rebellen wird – bleibt unklar. In einer 170 Jahre später aufgeschriebenen Geschichte heißt es – wohl aus rein dramaturgischen Gründen - der im westschottischen Lanark regierende englische Sheriff William Heselrig habe Wallace' Geliebte bzw. Ehefrau, Marion Braidfute, ermordet.

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Sheriff Heselrig im Film

Ob nun als Räuber oder Rächer: Historisch belegt ist jedenfalls, dass Wallace den Sheriff tötete, indem seine Männer die englischen Schergen bei lebendigem Leib verbrannten. Von nun an waren Wallace und seine Komplizen vogelfrei und Todfeinde der Engländer.

Edward I. nahm den Rebellen zu dieser Zeit noch nicht wahr, noch war er zu unbedeutend. Die Schotten waren in Edwards Augen besiegt: Ihr Heer geschlagen, ihre Burgen besetzt, die Adeligen hatten ihm Treue geschworen oder waren in England eingekerkert. Das englische Heer zog nach Süden ab, in Schottland blieben Garnisonen unter dem Statthalter John de Warenne. Der war schon älter und mied das ungesunde schottische Klima. Während er lieber auf seinen nordenglischen Besitzungen verweilte, überließ Warenne die eigentliche Arbeit seinem Schatzmeister Hugh de Cressingham, einem gnadenlosen Steuereintreiber. Im Jahre 1297 befanden sich nach dem Triumph von Dunbar gar nicht mehr so viele Engländer in Schottland, und es waren nicht die besten.

Dass Edward das „Ius primae noctis“, das Recht der ersten Nacht, in Schottland einführte, stimmt nicht: Dieser angebliche Brauch hat im Mittelalter gar nicht existiert.

https://www.youtube.com/watch?v=WjjpMdL1nnE

Durch wiederholte Überfälle machte sich Wallace mit seinen paar Gefolgsleuten bald einen Namen unter der schottischen Bevölkerung, die Zahl seiner Unterstützer wuchs. Wallace verfolgte zwei Ziele, nämlich Schottland von den Engländern zu befreien und den eingekerkerten Balliol zurück auf den Thron zu heben. Wallace' Guerillataktik war den adelsstolzen Engländern unbekannt und machte ihnen zu schaffen: Keine Schlacht gepanzerter Ritter, keine langsamen Großheere, keine adeligen Feldherren. Stattdessen gewählte Anführer, Partisanenkampf und Terror. Bald mussten sich die Engländer in ihre Burgen verschanzen und den Rebellen das freie Land überlassen. Wer als Engländer dort von Wallace' Männern aufgegriffen wurde, hatte Schlimmes zu erwarten. Alte Männer, Priester und Frauen englischer Herkunft wurden verschnürt und unter dem Gelächter der Schotten in die Flüsse geworfen.

Bis zum Sommer 1297 brauchte Edward, um das Heer für die Strafexpedition zusammenzustellen. Wieder errang es einen leichten Sieg, denn angesichts der englischen Stärke verzichteten viele schottische Adelige auf den Kampf und erklärten erneut den Engländern die Treue. Ende Juli war es der Schatzmeister Cressingham, der den König in einem Brief davon überzeugte, das nun in Schottland stehende Heer für die Jagd auf die Rebellengruppe um Wallace zu nutzen. Das englische Heer stieß tief in das schottische Land vor, um Wallace aus seinen Verstecken in den Wäldern zu treiben. Anfang September standen die Engländer an der Stirling Bridge.

Am frühen Morgen des 11. September 1297 marschierten die Engländer über die enge Brücke. Auf dem gegenüberliegenden Ufer, auf einer Anhöhe, die Schotten – die regungslos abwarteten. Es standen bereits tausende Engländer am Nordufer, als die Angreifer zum Rückzug blasen. Im Gänsemarsch überquerten die Truppen die Brücke retour. Der Grund war erschreckend banal: Ihr Befehlshaber John de Warenne – der erwähnte ältere Herr – hatte verschlafen. Nachdem er erwacht war, hatte er darauf bestanden, vor Beginn der Schlacht noch einige seiner Kämpfer zu Rittern zu schlagen und den Dominikanern einen letzten Verhandlungsversuch unternehmen zu lassen.

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Dies dürfte im Film die Person von John de Warenne gewesen sein.

Es vergingen mehrere Stunden, ehe es zur zweiten Überquerung der Brücke durch die englischen Truppen kam. Diesmal griffen die Schotten an, und zwar, nachdem ein Drittel der Feinde das Nordufer erreicht hatte. Einige Tausend Feinde, darunter Cressingham, standen ohne Schlachtordnung vor dem schottischen Heer. Wallace befahl seinen Bauerntruppen den Angriff: Brüllend stürzten sie sich, einige hundert Meter hügelabwärts laufend, auf die in der Fluss-Schlaufe eingezwängten schweren Truppen der Engländer. Es kam zu einem Massaker: Wer nicht erschlagen wurde, fiel in den Fluss und ertrank in seiner Rüstung. Nur wenige hundert entkamen dem Gemetzel am Nordufer.

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Am Südufer war John de Warenne derart entsetzt, dass er die Stellung aufgab und mit seinem Heer die Flucht Richtung England antrat. Eine schlechte Entscheidung: Seine eigene Haut konnte Warenne damit zwar retten, doch viele seiner Soldaten fanden den Tod, denn nun stellten sich auch die schottischen Adeligen auf die Seite der Sieger und fielen über das im Rückzug befindliche Heer der Engländer her. Unter den Toten an der Stirling Bridge befand sich auch Cressingham, dessen Leiche gehäutet wurde und streifenweise durch Boten in die schottischen Städte geschickt wurde, als Zeichen des Triumphs.

https://www.youtube.com/watch?v=9ljKWSzl3Q8
Ich glaube, im Film wird er namentlich nicht genannt, aber hier dürfte Cressingham dargestellt sein.

In Braveheart ist die Schlacht von Stirling Bridge nicht zutreffend wiedergegeben, oder sieht hier jemand eine Brücke?
https://www.youtube.com/watch?v=-4WF7Iwo6MI

Ende September 1297 standen, bis auf wenige Garnisonen in isolierten Burgen, im ganzen Land keine Engländer mehr. Schottland war befreit und hatte einen neuen Herren. Wallace nutzte seinen Triumph militärisch und politisch aus. Militärisch, weil er mit seinen siegreichen Kriegern nachstieß und Nordengland plünderte. Zwei Monate lang zogen sie marodierend und mordend durch Northumberland, Cumberland und Durham. Einzig die Festungen ließen sie mangels Belagerungsgerät aus. Als der Winter 1297 anbrach, kehrten die Schotten mit reicher Beute heim. Politisch nutzte Wallace die Gunst der Stunde, um sich zum „Gurdian“, dem Befehlshaber der schottischen Armee, ernennen zu lassen. Nun war Wallace quasi der Statthalter Schottlands im Namen des in London eingekerkerten Königs Balliol. Und obwohl er in diesem Zuge zum Ritter geschlagen wurde, war Wallace in den Augen des schottischen Adels doch ein Emporkömmling. Mehrere adelige Familien, darunter der Clan der Bruce, befürchteten mit Neid und Sorge, dass Wallace' Regentschaft im Namen von Balliol lange andauern könnte: Wallace war jung und es gab keine Anzeichen dafür, dass Balliol aus der Haft nach Schottland zurückkommen könnte.

Die Folgen der Plünderungen und der Erhebung von Wallace konnten nicht ohne Folgen bleiben. Edward I. konnte diese Schmach zweifellos nicht auf sich beruhen lassen. Wenn es überhaupt eine Chance gegeben hatte, dass der englische König Schottlands Freiheit anerkennt, dann war sie nun vergeben. Edward I. hatte sich bis dahin auf dem Kontinent befunden, wo er in einem Feldzug gegen Philippe IV. vergebens versucht hatte, Ländereien zurückzuerobern. Der Plantagenet kehrte nun aus Frankreich zurück auf die britische Insel, um sich der Sache persönlich anzunehmen. Und er machte ernst: Im Juli 1298 führte Edward I. seine Armee nach Schottland, fast 26.000 Fußsoldaten und mehr als 1.500 Panzerreiter. Ohne auf Widerstand zu treffen, stieß er bis nach Edinburgh vor und plünderte das Umland.

„Sie sind ein blutrünstiger Mann“, sagte Edward zu einem seiner adeligen Kämpfer, „ich musste Sie häufig ermahnen, weil Sie zu grausam waren. Aber nun ziehen Sie los, nutzen Sie all Ihre Grausamkeit, und anstatt Sie zu ermahnen, werde ich Sie loben. Sehen Sie sich vor, dass Sie mich erst wiedersehen, wenn alle drei Burgen niedergebrannt sind.“ Doch für die Engländer ging das hemmungslose Plündern nach hinten los: Die Schotten unter Wallace entzogen sich der offenen Schlacht und verlegten sich auf den Partisanenkampf. Schon nach wenigen Wochen wurde Edwards Position unhaltbar, weil die schlechte Versorgung zu massiven Desertionen unter seinen Fußtruppen führte. Der Plantagenet wollte bereits den Rückzug anordnen, als ihm ein Spion meldete, das schottische Heer befände sich nur 18 Meilen entfernt bei Falkirk. Dort hielten sich Wallace' Männer bereit, die Engländer zu überfallen, sobald sie sich auf dem Rückzug befinden würden. Der militärisch versierte Edward erkannte seine Chance und trieb seine Armee zum raschen Aufbruch an, direkt nach Falkirk.

Erst in der Morgendämmerung des 22. Juli 1298 erkannte Wallace, dass ihm eine Schlacht aufgezwungen wurde. Es war angesichts der englischen Berittenen zu spät, noch zu weichen. Schlimmer noch: Die Kavallerie schottischer Adeliger ließ ihre Landsleute im Stich. Die Schotten befestigten ihr Lager daher mit angespitzten Pfählen gegen mögliche Reiterattacken und marschierten in der defensiven Formation des Schiltron auf. Edward I. jedoch war weder so träge wie Warenne noch so ungeduldig wie Cressingham. Mörderisch kühl wählte er eine Taktik, der die Schotten nicht gewachsen waren: Englische und walisische Bogenschützen nahmen die nur wenig gepanzerten Feinde aus sicherer Entfernung unter Feuer. Die Schotten wurden Salve um Salve zusammengeschossen, ohne etwas unternehmen zu können. Immerhin, sie hielten trotz des Beschusses diszipliniert ihre Formation – an ihrem Schicksal änderte es aber nichts. Als sich die schottischen Reihen schon gelichtet hatten, ließ Edward I. seine Panzerreiter los. Die Ritter sprengten mit blanken Schwertern in die geschwächten Reihen und erschlugen die Schotten.

Die Schlacht von Falkirk in Braveheart:
https://www.youtube.com/watch?v=QNVEYO4BNKQ

Wieder endete der Tag mit einem Massaker, doch jetzt unter umgekehrten Vorzeichen. Am Abend des 22. Juli 1298 hatte Wallace keine Armee mehr, die er noch kommandieren konnte. Er selbst floh mit einigen Getreuen in die Wälder und verbarg sich. Die schottischen Adeligen unterwerfen sich angesichts der Niederlage rasch den Engländern. Voller Verachtung legte Wallace daraufhin den Titel des Gurdian nieder. Ein symbolischer Akt, tatsächliche Macht hatte Wallace sowieso nicht mehr. Aber es ist ein Bruch mit dem schottischen Adel. Um neue Verbündete zu finden, verließ Wallace im Sommer 1299 das Land und reiste nach Lübeck und von dort weiter nach Paris. Dort empfing ihn Philipp IV. natürlich gerne, immerhin war Wallace ein nützlicher Unruhestifter in Eduards Rücken. Der Kapetinger stattete den Schotten mit einem Empfehlungsschreiben aus und ließ ihn nach Rom zu Papst Bonifaz ziehen.

In Rom bat Wallace den Heiligen Vater, er möge sich für die Wiedereinsetzung von John Balliol auf dem schottischen Thron starkmachen. Die englischen Diplomaten am Heiligen Stuhl waren empört, doch einige Monate lang schien es tatsächlich so, als würde Bonifaz VIII. Wallace seine Gunst schenken, zumal Edward I. gegenüber Philipp IV. politisch wie militärisch in eine bedenkliche Lage geriet. Im September 1299 verpflichtete sich Edward zur Heirat von Margarethe, der Schwester des französischen Königs, akzeptierte auf Druck des Kapetingers einen Waffenstillstand mit den Schotten und musste hinnehmen, dass Bonifaz das schottische Reich als päpstlichen Besitz reklamierte, den sich der englische König widerrechtlich angeeignet hätte. Edward wurde von Erzbischof Winchelsey von Canterbury im Namen des Papstes aufgefordert, Schottland umgehend zu restituieren. Das stieß in England bei den weltlichen Großen auf scharfe Ablehnung, so dass Edward bei einer Parlamentssitzung am 20. Januar 1301 das päpstliche Ansinnen zurückwies und eine ausführliche Begründung seines Herrschaftsanspruchs abgab.

Die Wende zugunsten von Edward kam mit einem Aufstand in Flandern, der sich gegen die französische Herrschaft richtete. Am 11. Juli 1302 kam es dabei zur Goldsporenschlacht bei Courtrai, bei der die schwere Kavallerie der Franzosen im sumpfigen Gelände von den flandrischen Fußtruppen niedergemacht wurde. Die überraschende wie verheerende Niederlage schwächte Philippe IV. so sehr, dass er auch mit Edward I. Frieden schließen musste. Edward erhielt die Gascogne zurück, die Verlobung zwischen dem englischen Thronfolger Edward II. und Philipps Tochter Isabella wurde vertraglich bekräftigt.

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Jetzt war Wallace für Frankreich kein nützlicher Verbündeter mehr, sondern ein diplomatisches Ärgernis. Ohne Unterstützung des französischen Königs wurde er an Europas Höfen wieder zum Niemand, kein Mensch setzte sich mehr für John Balliol ein, und der Heilige Vater schon gar nicht. So kehrte Wallace im Frühjahr 1303 nach Schottland zurück. Im Juni 1303 überfiel er aus einem Versteck im Wald von Selkirk Engländer. Der Partisanenkampf hatte wieder begonnen.

Aber die Zeiten hatten sich geändert. Vielleicht hatten sich zwischenzeitlich seine Anhänger zerstreut, oder er hatte sein Charisma eingebüßt. Vielleicht waren die Menschen im Land schlicht erschöpft, oder er hatte sich einen Feind zu viel gemacht. Denn mit seinen Anhängern griff er nicht bloß die Erbfeinde an, sondern verwüstete auch die Ländereien des neuen Gurdian Robert Bruce. Auf der anderen Seite versuchte der englische König, die schottischen Großen durch ungewohnte Milde für sich zu gewinnen. Natürlich mit Ausnahme von Vogelfreien wie Simon Fraser und William Wallace. Edward I. nutzte dabei den Groll, den die schottischen Adeligen gegen Wallace hegten, und lobte eine königliche Belohnung für dessen Ergreifung aus. Zwei Jahre lang konnte gehetzte Wallace den Verfolgern immer wieder entkommen. Am 3. August 1305 aber musste Edward I. in seine Schatztruhe greifen. Der schottische Adelige Sir John de Menteith erhielt eine Belohnung im Wert von einhundert Pfund für die Gefangennahme von Wallace bei Glasgow. Die Umstände waren wenig heroisch: Durch Verrat enttarnt, wurde Wallace ohne Widerstand wohl aus dem Bett eines Bordells heraus verhaftet.

Am 23. August 1305 wurde ihm in London der Prozess gemacht. Angeklagt des Verrats und des des Mordes, der Brandstiftung und Kirchenschändung, machte Wallace nur eine Aussage: Er habe keinen Verrat begangen, denn er habe ja niemals Edward I. die Treue geschworen. Die Verhängung des Todesurteils war vorhersehbar. In seiner Vollstreckung war es aber selbst für damalige Verhältnisse brutal. Wallace wurde zur Verhöhnung in eine Ochsenhaut gehüllt und an ein Pferd gebunden durch London geschleift. An der Hinrichtungsstätte wurde er zunächst gehängt - die übliche Strafe für Mord und Raub – und kurz vor Eintreten des Todes wieder vom Galgen genommen. Es folgte die Strafe für Kirchenschändungen, Wallace wurde bei lebendigem Leibe ausgeweidet, seine Innereien vor seinen Augen verbrannt. Schließlich enthauptete der Henker ihn und vierteilte seinen Körper. Die Leichenteile wurden zum Triumph nach Newcastle, Berwick und Perth gesendet, der Kopf auf einem Pfahl an der London Bridge aufgespießt. Edward I. hatte seinen Gegner vollständig vernichtet: Körperlich, politisch, moralisch und religiös.

Jetzt konnte Edward seinen Schmeichelkurs der letzten Jahre wieder ablegen und ging erneut daran, die kulturellen und rechtlichen Traditionen der Schotten zugunsten des englischen Systems abzuschaffen. Das Ziel war es, die notwendigen rechtlichen Strukturen für eine ungefährdete englische Herrschaft über Schottland zu schaffen. Diese schweren Eingriffe stießen sogar bei bisherigen Sympathisanten Edwards – Robert Bruce und John Comyn – auf Widerstand, die sich zudem bei den Umstrukturierungen nicht hinreichend berücksichtigt sahen. Sie waren sich im Vorgehen allerdings uneins: Während Bruce seine eigenen Thronansprüche verfolgte, suchte Comyn den Verhandlungsfrieden mit England. Robert Bruce setzte sich auf archaische Weise durch: Er stach am 10. Februar 1306 eigenhändig seinen Konkurrenten Comyn bei einer geheimen Unterredung in der Franziskanerkirche von Dumfries nieder. Bruce floh in heller Aufregung aus der Kirche, sein vor der Tür wartender Begleiter Roger de Kirkpatrick betrat dann das Gebäude, fand den noch lebenden Comyn und tötete ihn. Beim Hinaustreten soll er zu Bruce gesagt haben “You doubt! I mak sikkar!” (zu deutsch etwa: „Du zweifelst! Ich gehe auf Nummer sicher!“). Bis heute ist dies der Wahlspruch der Familie Kirkpatrick. Da der Mord auf heiligem Boden geschehen war, wurde Robert Bruce von Papst Clemens V. (1305-1314) mit dem Kirchenbann belegt.

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Nach dem Mord und der Exkommunikation konnte der englische König Bruce nicht mehr decken. Er hatte damit alle Brücken hinter sich abgebrochen und musste sehr schnell handeln. Es gab nur den Weg nach vorn: Um nicht alles zu verlieren – vor allem den Anspruch auf den schottischen Thron –, ließ er sich nur wenige Tage später am 25. März 1306 in Scone zum König der Schotten krönen. Ironischerweise erwuchs Edward damit nun ein neuer gefährlicher Gegner, denn Bruce bekam Zulauf unter den Adeligen und ging energisch gegen seine Widersacher unter den übrigen vor. Edward I. war inzwischen jedoch zu schwer erkrankt, um die fällige Strafexpedition gegen die Schotten persönlich anzuführen. Er beauftragte seinen Sohn damit, das Heer nach Norden zu führen. Dem Kronprinzen gelang es, den schottischen König am 13. Juli 1306 in der Schlacht von Dalry zu besiegen und zur Flucht zu zwingen. Edward I. griff nun wieder hart durch, um den schottischen Widerstand zu brechen. Zahlreiche Familienmitglieder der Bruce und anderer mit ihnen zusammenarbeitenden Clans wurden in spezielle Käfige gesperrt und in Isolationshaft gehalten. Doch das brutale Vorgehen brachte die Schotten nur mehr gegen die englische Herrschaft auf.

Edward I. war alt geworden und am Ende seines Lebens angelangt. Er war bereits zu einem letzten Schottlandfeldzug aufgebrochen, als er in Sichtweite der Grenze am 7. Juli 1307 starb. Mit welcher Verbissenheit der sterbende König die Sicherung seines Eroberungswerkes in Schottland anstrebte, verdeutlicht die legendäre Nachricht, wonach der Plantagenet den Thronfolger am Sterbebett schwören ließ, bei künftigen Kriegszügen gegen Schottland immer Edwards Gebeine im englischen Heer mitzuführen, weil dann die schottischen Rebellen niemals siegen könnten.

So war der neue König Edward II. zum Vollstrecker des Willens seines Vaters verpflichtet. Als Berater suchte sich Edward II. einen gewissen Piers Gaveston (1280/84-1312) aus. Der war der Sohn eines Ritters aus der Gascogne, der König Edward I. auf verschiedenen Feldzügen begleitet hatte. Seit etwa 1300 befand sich Gaveston am Hof des englischen Königs, und anders als im Film war Edward I. beeindruckt von Gaveston mit seiner Eleganz, seinem Scharfsinn und seiner militärischer Expertise.

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Ein letzter Blick auf den Verbleib der Charaktere....

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In einem weiteren Kapitel wird sich zeigen, ob Edward II. oder Robert Bruce in dem Ringen um Schottland die Nase vorn haben wird.


Literatur:
Berg – Die Anjou-Plantagenets
Gable – Von Ratlosen und Löwenherzen
Geo Epoche – Schottland

History Buffs: Braveheart Historien-Check
https://www.youtube.com/watch?v=ojBwASARAzo

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 28. Oktober 2017 10:55

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Drei Familien: Habsburg

Rudolf I. von Habsburg
König des Heiligen Römischen Reichs, lebte 1218-1291
Startdatum: 20. September 1273


Freitag, 26. August 1278. Bei dem österreichischen Ort Dürnkrut an der March, einem Nebenfluss der Donau, standen sich an diesem Morgen zwei Heere gegenüber. Drei Kilometer voneinander getrennt, warteten sie auf den Befehl zum Angriff. Im Süden hatte Rudolf von habsburg mehr als 9.000 Reiter aufmarschieren lassen, darunter 300 gepanzerte Ritter sowie 5.000 berittene Bogenschützen. Das Heer war mit weißen und roten Kreuzen geschmückt. Nördlich davon stand die Armee Ottokars II., erkennbar an dem grünen Kreuz. Der Rivale des Habsburgers hatte zwar weniger weniger Reiter als Rudolf an seiner Seite, gebot aber über eine größere Zahl schwer bewaffneter Ritter. Die Fußsoldaten beider Seiten bewachten jeweils die Feldlager. Die zwei Feldherren waren erbitterte Feinde. Der 60 Jahre alte Rudolf von Habsburg war wenige Jahre zuvor von deutschen Kurfürsten überraschend zum römisch-deutschen König gewählt worden. Sein Gegner Ottokar II. Premysl, König von Böhmen, Markgraf von Mähren, Herzog von Österreich, der Steiermark, Kärnten und Krain, hatte selbst die deutsche Krone erringen wollen und verweigerte dem Gewählten die Anerkennung. Diese Schlacht sollte die Entscheidung darüber bringen, wer der mächtigste Mann im Heiligen Römischen Reich ist.

Der Habsburger gab als Erster den Befehl zum Angriff. Mit dem Ruf „Rom“ und „Christus“ stürmten seine leicht gepanzerten Reiter hinab in die Ebene. Daraufhin setzten sich auch die ersten Kämpfer der anderen Seite in Bewegung, riefen dabei „Praga“ und preschten mitten in den Pfeilhagel der Bogenschützen Rudolfs, Hunderte fielen. Dann prallten die Reihen der Ritter aufeinander: Splitternde Lanzen, strauchelnde Pferde, die ihre Reiter und sich begruben. Schließlich ritt Rudolf selbst mit seiner dritten Kampfabteilung hinab auf das Schlachtfeld, das bereits von reglosen Leibern bedeckt war. Fast endete dort sein Weg: Als sein Pferd tödlich getroffen unter ihm zusammenbrach, stürzte der König herab, landete mit seinem schweren Harnisch in einem Bach. Nur mühsam konnte er mit dem Schild die Hiebe seiner Gegner abwehren. Einer seiner Ritter half ihm auf und rettete ihm so das Leben. Gut zwei Stunden hauten und stachen die Krieger aufeinander ein. Die Männer, deren Körper von eisernen Rüstungen umhüllt wurden und deren Topfhelme den ganzen Kopf bedeckten, waren erschöpft. Sie waren kaum noch fähig, ihre Schilder, Lanzen oder Langschwerter zu heben. Selbst eine kleine Zahl frischer Ritter konnte jetzt die Schlacht entscheiden. Und genau das hatte Rudolf vorausgesehen.

Als der König an diesem Augusttag des Jahres 1278 die wohl wichtigste Schlacht seines Lebens focht, waren er und sein Gegner Ottokar mächtige Fürsten des Heiligen Römischen Reiches. Sechzig Jahre zuvor hätte sich bei der Geburt Rudolfs niemand vorstellen können, dass dieser Mann einmal König und Begründer einer bedeutenden Dynastie werden würde. Dies ist seine Lebensgeschichte.

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Bescheidene Herkunft

1218 Ein merkwürdig ruhiges Jahr inmitten einer stürmisch bewegten Zeit, so als machte die Weltgeschichte eine Atempause. Nirgends ein großer Krieg, nirgendwo eine blutige Schlacht, die der Erwähnung in den Chroniken wert gewesen wäre, kaum auch Hungersnöte oder Seuchen, Übel, welche die Menschen zu jener Zeit häufig heimzusuchen pflegten. Arm war dieses Jahr 1218 an großen historischen Ereignissen, sicherlich zur Freude der Mehrzahl der Zeitgenossen, brachten doch Kriege und Schlachten nur den wenigsten Ruhm und Reichtum, den meisten hingegen Kummer und Leid.

Zwar war auch im Jahr 1218 die Welt nicht gänzlich frei von Kriegsgeschrei und Schlachtenlärm, doch dienten diese Kämpfe zumeist einem frommen, der Kirche wohlgefälligen Zweck. Wenn auf der Iberischen Halbinsel die christlichen Könige von Léon und Aragón gegen die heidnischen Mauren stritten und ihnen manch schönes Stück Land entrissen, war dies in den Augen eifriger Christen so böse nicht. Auch das Heilige Land galt es wieder einmal vor den Ungläubigen zu schützen, die Jerusalem und die heiligen Stätten bedrohten. Groß war die Zahl der Kreuzfahrer, die sich aufmachten zur Pilgerfahrt nach Jericho oder Jerusalem. Wer aber ein Kreuzfahrer werden wollte, der brauchte sich gar nicht erst nach Palästina zu bemühen. In der Provence, damals noch nicht der Krone Frankreich, sondern dem Heiligen Römischen Reich gehörend, fiel gerade eine Schar von Kreuzrittern über die ketzerischen Waldenser her, die sich der Autorität der Kirche nicht beugen wollten. Dass die Anhänger des Petrus Waldes es ernster nahmen mit Frömmigkeit und evangelischer Armut als so mancher Exponent der Amtskirche, sollte ihrer Sache mehr Schaden als nützen.

Im allgemeinen aber herrschte Friede in der Christenheit, Friede zwischen den Königen von Frankreich und England, die vier Jahre zuvor einander blutig bekämpft hatten. Das Treffen bei dem Flecken Bouvines hatte schmählich geendet für die englischen Ritter und Barone, die jedoch an ihrem eigenen König, John Lackland, sich schadlos hielten. Von ihm nämlich erpressten die Herren, in zähem Feilschen und Verhandeln weitaus standhafter als auf dem Schlachtfeld, ein Konvolut von Zugeständnissen und Privilegien, die Magna Charta, die als der Grundstein angelsächsischen Verfassungslebens gilt bis zum heutigen Tag.

Die Schlacht bei Bouvines wirkte auch auf die Mitte Europas, auf Deutschland und das Heilige Römische Reich, wo sich die zwei vornehmsten Familien, die Staufer und die Welfen, um die Vorherrschaft stritten. Ein blutiger Zwist, voll von Mord und Totschlag, Hinterlist und Heimtücke, den man Bürgerkrieg nur deswegen nicht nennen kann, weil Bürger darin noch kaum eine Rolle spielten. Die Welfen, mit dem englischen Königshaus verwandt und verbündet, unterlagen jetzt endgültig, weil sie auf die Unterstützung des schwachen Königs John nicht mehr zählen konnten. Verbittert und verbraucht von jahrelangen Kämpfen, übersandte der Welfe Otto, römischer Kaiser nur mehr dem Namen nach, die Reichsinsignien seinem staufischen Rivalen Friedrich und legte sich auf der Harzburg zum Sterben nieder. Noch einmal schien der Stern der Staufer hell zu strahlen, doch war dies ein trügerischer Glanz. Staufer und Welfen prägten die Geschicke Deutschlands, von den Habsburgern sprach damals noch niemand.

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In jenem Frühjahr 1218, da Friedrich der Staufer, der Enkel Barbarossas, allgemein anerkannter König wurde, kam auf einer Burg am Oberrhein oder im Elsass Rudolf von Habsburg zur Welt, unbeachtet von den Zeitgenossen, so dass der Ort seiner Geburt in Vergessenheit geriet.

Rudolf von Habsburg, der „arme“ Graf, der dank seiner Fähigkeiten, durch Zufall, dank göttlicher Fügung, durch eine Laune der Geschichte, wie immer man es nennen mag, zum König emporstieg, fing sein Leben recht bescheiden an, als Sohn des Grafen Albrecht von Habsburg und der Heilwig, welche dem Geschlechte der Grafen von Kyburg entstammte. Er war kein Purpurgeborener, die Königskrone wurde ihm nicht in die Wiege gelegt. Die Habsburger waren gewiss keine mittellosen Leute und brauchten nicht zu darben, doch schon in ihrer näheren Umgebung lebte wohl ein Dutzend Herren, die an Macht und Einfluss sich durchaus mit ihnen messen konnten. In den biederen habsburgischen Grafen die künftigen Beherrscher halb Europas zu vermuten, wäre niemanden eingefallen, und noch heute gilt ihre Stammburg als Symbol ihrer bescheidenen Herkunft.

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Im Schweizer Kanton Aargau, unweit der Stelle, wo Aare und Reuß zusammenfließen, stand auf einer steilen Anhöhe die Habichtsburg, ein düsteres, trutziges Gemäuer. Die Ursprünge des Geschlechts, das sich nach dieser Habichtsburg nannte, liegen im Dunkel der Vorzeit. Es ist einigermaßen sicher, dass die Habsburger zurückgehen auf die Familie der Etichonen im Elsass des siebten Jahrhunderts. Die leiblichen Vorfahren Rudolfs von Habsburg hießen nicht Jupiter oder Julius Caesar, wie später mancher Gelehrte und Pseudogelehrte herausgefunden zu haben meinte, sondern Guntram, Radbot und Lanzelin. Im aargauischen Kloster Muri haben fleißige Mönche den Stammbaum der frühen Habsburger aufgezeichnet. Diesen zufolge war ein Graf Guntram der Reiche (+973), der noch vor der Jahrtausendwende lebte, Ahnherr einer mächtigen Dynastie. Dass er aber ein Habsburger sei, hatte der Graf Guntram noch nicht wissen können und auch nicht sein Sohn Lanzelin (+991), der sich Graf von Altenburg nannte. Von den Söhnen Lanzelins gründete einer das Kloster Ottmarsheim am Rhein, ein anderer, Radbot (985-1045), soll um 1020 die Habichtsburg errichtet haben: Kein weitläufiges, respektgebietendes Schloss mit Palas, Kemenaten und Ringmauern, sondern einen schlichten Turm, allein dem Zwecke der Verteidigung dienend. Radbot wirkte aber auch bei der Gründung des erwähnten Klosters Muri mit. Die fromme Stiftung geschah auf Bitten seiner Gemahlin Ita (995-1035) und sollte ein Akt der Sühne sein. Welche Untaten Radbot sühnen musste, ist nicht bekannt, doch unterschied er sich in diesem Falle kaum von vielen anderen adeligen Klostergründern seiner Zeit, die nicht allein aus purer Frömmigkeit, sondern auch durch schlechtes Gewissen sich leiten ließen, für ihr gefährdetes Seelenheil auf angemessene Weise zu sorgen.

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Von Radbots Enkel Otto, „Graf de Havichsberg“, weiß man, dass er 1108 Kaiser Heinrich V. auf einem Kriegszug gegen Ungarn begleitete und bis nach Pressburg gelangte, der erste seiner Familie wohl, der österreichischen Boden betrat. Hier herrschten als Markgrafen die Babenberger, ein tatkräftiges, kriegstüchtiges Geschlecht. Trotz der exponierten Lage des Landes als Bollwerk gegen den Osten hatten sie im Verein mit ihren Untertanen für Wohlstand und Prosperität allerhand geleistet. Im Gebiet des Markgrafen Leopold gab es schon stattliche Siedlungen und blühende Klöster, die auf ihren Anhöhen thronend, das Donautal weithin beherrschten. Auch der Markgraf selber residierte zuweilen auf seiner Burg auf dem Kahlenberg hoch über dem Strom. Wo die Ostgrenze der Mark Österreich eigentlich verlief, vermochte niemand genau zu sagen. Blickte man vom Söller der markgräflichen Burg ostwärts, sah man eine weite Ebene, bedeckte mit üppigen Urwäldern, durch die der Donaustrom, in unzählige Arme geteilt, träge dahinfloss. Irgendwo in dieser Ebene begann Ungarn. Inmitten von Wäldern und Sümpfen verbarg sich eine Ansiedlung, die Vienni genannt wurde, wo auf den Ruinen römischer Zivilisation ein paar Dutzend tapferer Siedler kümmerlich hausten.

Dass anstelle dieser ärmlicher Hütten dereinst die Prunkbauten der habsburgischen Haupt- und Residenzstadt Wien stehen würden, hat Graf Otto sich gewiss nicht träumen lassen, als er im Heerbann Kaiser Heinrichs V. ostwärts zog. Überhaupt war ja diese erste Begegnung eines Habsburgers mit Österreich nur flüchtig und wäre der Erwähnung gar nicht wert, wenn es später nicht weniger flüchtige und weitaus folgenreichere Begegnungen gegeben hätte. Habsburg und Österreich hatten noch keine Beziehung zueinander. Ohne sich um das Land zu kümmern, zog Graf Otto wieder heimwärts nach Schwaben und ist dort anno 1111 im Verlaufe eines Streits meuchlings erschlagen worden, nicht der letzte Habsburger, der auf gewaltsame Art zu Tode kam. Die Nachkommen des Grafen Otto waren ein tatkräftiges, kriegstüchtiges Geschlecht, Herren über wehrhafte Burgen und einträgliche Bauerngehöfte. Umsichtig walteten sie ihrer Ämter als Klostervögte und Landgrafen im oberen Elsass. Manche ihrer Eigenschaften, Frömmigkeit zum Beispiel, Gelassenheit im Unglück, eine gesunde Portion Habsucht, haben sie späteren Generationen weitervererbt. Auch an Mut hat es ihnen nicht gefehlt. Als wehrhafte Gefolgsleute haben sie manchen Kriegszug des Kaisers Friedrich Barbarossa nach Italien mitgemacht. Ein Graf Werner von Habsburg hat 1167 bei einer Seuche vor den Mauern Roms sein Leben gelassen.

Gute Beziehungen zu den Staufern, der mächtigsten Familie Schwabens, war die Konstante ihres politischen Handelns, was ihnen im Fall des unglücklichen Grafen Werner Nachteil, im allgemeinen aber Vorteile brachte: Unermesslich hohen Blutzoll forderten die Italienzüge Barbarossas vom schwäbischen Adel, und manch einstmals blühendes Geschlecht starb aus. Die Grafen von Habsburg aber überlebten und erbten Güter und Rechte von denen, die nicht überlebten. Im Schatten der Staufer kamen sie empor und waren bereit, für diesen Aufstieg auch Opfer zu bringen. Man weiß von einer bedeutsamen Geldsumme, die Rudolf der Alte, der Großvater Rudolfs von Habsburg, dem Staufer Friedrich II. zur Verfügung stellte.

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Das Geld steckte der Herzog von Lothringen ein, dessen Wohlwollen für die staufische Partei Friedrich regelrecht erkaufen musste. 3200 Mark Silber hatte der Lothringer gefordert, und für allein 1000 Mark bürgte Rudolf der Alte, während so bedeutende Würdenträger wie der Erzbischof von Mainz und der Bischof von Worms nur je 700 Mark riskieren mochten. Dennoch zählten die Habsburger noch längst nicht zu den reichsten Familien, ein Adelsgeschlecht, wie es viele gab in Deutschland, die sich kämpfend oder Güter schachernd durchs Leben schlugen. In Schwaben und im Elsass wollten sie ihren Besitz erweitern, nach Höherem strebten sie nicht. Nichts deutete darauf hin, dass ihre Nachkommen statt um elsässische Bauernkaten um europäische Königreiche streiten würden. Graf Albrecht von Habsburg (1188-1239) noch hat sich als Feldhauptmann den Straßburgern verdingt, durch seinen Sold das spärliche Familieneinkommen aufbessernd, sein Sohn würde es später ähnlich machen, jedoch weitaus erfolgreicher und in größerem Stil. Dieser Sohn, Rudolf von Habsburg, nachmals König der Römer, kam im Frühjahr 1218 zur Welt, am 1. März oder am 1. Mai, man kennt das Datum nicht genau.

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In den Aufzeichnungen der Dominikaner von Colmar, der einzigen vorliegenden Quelle, ist nämlich die Eintragung von Rudolfs Geburt erst viel später erfolgt, als er schon König war. „Rex Rudolphus nascitur“, heißt es darin kurz und bündig. Dann fügte eine zweite Hand das Datum „Kal. Martii“, 1. März, hinzu, worauf noch ein Dritter das Wort „Martii“ durchstrich und durch „Maii“, 1. Mai, ersetzte. Der Ort von Rudolfs Geburt war möglicherweise auf der Limburg nahe Breisach am Rhein. Im Frühjahr 1218 war diese Festung in habsburgischen Besitz gekommen, und nachweislich hielt sich Rudolfs Vater Albrecht damals dort auf. Möglich, dass auch Frau Heilwig, geschützt durch die starken Mauern der Limburg, ihre Niederkunft erwartete. Friedrich II. der Staufer persönlich, soll des kleinen Rudolf Taufpate gewesen sein, was aber eher unwahrscheinlich ist. Wäre Rudolf am 1. März geboren, dann hätte der Staufer die heilige Handlung vollziehen können, denn damals weilte er noch am Oberrhein, am 1. Mai nicht mehr. Vermutlich erfand man die Sache mit der Taufe später, um die Habsburger gleichsam als legitime Erben der Staufer darzustellen.

Mehr als der Eintrag über die Geburt und die Geschichte von der Taufe ist nicht bekannt über Rudolfs Kindheit. Über die ersten zwei Jahrzehnte seines Lebens wurde nichts aufgezeichnet; nichts darüber, wie und wo er aufwuchs, was er lernte. Derlei Dinge erschienen den Zeitgenossen nicht wesentlich. Erst als Erwachsener, aktiv im Leben stehender Mensch fand der Habsburger die Beachtung seiner Zeitgenossen.

Noch war Rudolf zu jung, um in das Geschehen um ihn herum einzugreifen. Er war aber schon alt genug zu beobachten, und aus dem, was er beobachtete, seine Schlüsse zu ziehen. 14Jährig sah er seinen Großvater sterben, Rudolf den Alten, sah auch, wie die beiden überlebenden Söhne Rudolf und Albrecht einträchtig die üblichen frommen Stiftungen machten für des hohen Verstorbenen Seelenheil, wie sie dann jedoch gar nicht mehr einträchtig um das stattliche Erbe zu streiten begannen, das der alte Habsburger hinterlassen hatte.

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1235 Zwist gab es auch in der hohen Politik, im staufischen Kaiserhaus, Empörung des jungen Königs Heinrich gegen seinen kaiserlichen Vater. Die schwäbischen Herren, Albrecht von Habsburg unter ihnen, standen anfangs auf Heinrichs Seite. Im Jahre 1235 aber kam Friedrich II. selber nach Deutschland. Fünfzehn Jahre waren es her, seit er zum letzten Mal auf deutschem Boden geweilt hatte. Innere Angelegenheiten seines sizilischen Reiches, der Kreuzzug und der Streit mit dem Papst hatten ihn so lange ferngehalten. Sein prunkvoller Aufzug machte Eindruck auf die biederen Deutschen. Das orientalische Gepränge, die exotischen Tiere und sarazenischen Leibwachen, vor allem aber das viele Gold und Silber, das der Kaiser großzügig an Fürsten und Herren verteilte, verfehlten ihre Wirkung nicht: „Da wurden die Anhänger Heinrichs verwirrt, Schrecken und Entsetzen brachen über seine Spießgesellen herein wegen des gewaltigen Ruhmes und der Macht des Kaisers.“ Der Kaiser verfügte über keine nennenswerte Kriegsmacht, und dennoch brach der Aufstand rasch zusammen. Friedrich II. hielt strenges Gericht über seinen eigenen Sohn, die Königswürde wurde ihm genommen. Als Verbannter starb Heinrich in einem einsamen apulischen Schloss eines rätselhaften Todes. Anhänger des Königs Heinrich war auch Graf Albrecht von Habsburg gewesen.

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Doch auch ihn ließen die Lockungen kaiserlichen Goldes rasch erkennen, dass es vorteilhaft sei, die Partei zu wechseln. Im Winter 1236 reiste Albrecht an den kaiserlichen Hof nach Hagenau und blieb dort mehrere Wochen. Sein Sohn Rudolf dürfte ihn begleitet haben, der Weg nach Hagenau war nicht weit. Dort also dürfte der junge Rudolf von Habsburg erstmals seinen hohen Taufpaten von Angesicht gesehen haben. Wie lange er in Friedrichs Umgebung verblieb, ist unbekannt. Doch über Rudolfs Vater Albrecht geben Urkunden wieder, dass er bis 1238 mehrmals am Hofe des Kaisers war, unter anderem in Pavia. Auch hier ist Rudolfs Anwesenheit insofern wahrscheinlich, denn der junge Mann aus Schwaben schien von der Person Friedrichs II. in den Bann gezogen zu sein. Dem Kaiser wollte er die Treue halten, komme da, was wolle.

Wenn Rudolf jemals am Hofe des Kaisers eine sorglose Jugendzeit mit Liebschaften und Abenteuern genoss, dann riss ihn der frühe Tod seines Vaters jäh aus seinen Träumen. Im Frühjahr 1239 muss es gewesen sein, da nahm Graf Albrecht von Habsburg Abschied von seiner Gemahlin Heilwig und den Kindern und machte sich auf zur Kreuzfahrt ins Heilige Land. Er kehrte nie wieder heim, irgendwo zwischen Tyrus und Akkon soll er begraben liegen. Dem ältesten Sohn Rudolf hinterließ er ein stattliches Erbe und die Sorge für die Mutter und vier unmündige Geschwister.

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Nicht viel über zwanzig Jahre alt war Rudolf von Habsburg, als er in die Lage kam, Herr zu sein über Grafschaften und Bauerngehöfte, Ritter und Leibeigene, Herr aber auch seiner eigenen Entschlüsse, Bestrebungen, Neigungen, Pläne: Der junge Mann begann schon bald, sich umzusehen bei seinen Nachbarn – und befand, dass sie mit allerlei Reichtümern gesegnet waren, die ihm fehlten. Wie konnte er auch zu solchem Wohlstand gelangen? Bettelte er die Nachbarn an, sie möchten ihm von ihren Reichtümern einen Teil abgeben, hätte er nur Spott und Gelächter geerntet. Der Rechtsweg war Rudolf verschlossen, denn die Justiz urteilte nur im Sinne der Besitzenden. Also blieb ihm nur ein Weg, reich zu werden: Er wollte es mit Gewalt versuchen.

Die Herrschaft über das Eigen, das Gebiet rings um die Habsburg, übte Rudolf unmittelbar aus, es gehörte ihm (im Spiel: Die Grafschaft Aargau mit der Habsburg, der Stadt Schaffhausen und dem Bistum Basel). Nicht hingegen die Landgrafschaft im oberen Elsass, die war ein Lehen des Reiches. Wenn man von Besitzungen sprach, dann musste man die Besonderheiten des mittelalterlichen Verfassungslebens berücksichtigen. Da waren die Grafschaftsrechte im Aargau und die Vogtei über das Kloster Muri, die jedoch auch sein Onkel, Rudolf von Habsburg-Lauenburg, für sich beanspruchte. Das Tal der Reuß gehörte dem jungen Rudolf unbestritten bis hinauf zum Zuger und Vierwaldstätter See, dazu die Orte Bremgarten und Meienburg, die Grafschaft im Frickgau und die Stadt Säckingen am Rhein. Rudolfs elsässische Güter fanden sich in der oberrheinischen Tiefebene, in der Nähe der Stadt Mühlhausen und weiter nördlich gegen Schlettstadt zu, am Fuße der Vogesen. Auch rechts des Rheins, am Rande des Schwarzwalds, hatten Rudolfs Vorfahren schon Fuß gefasst. Weit verstreut lagen diese Besitzungen, von Straßburg hinauf in die Gegend des Vierwaldstätter Sees, und ringsum lebten genug neidische Nachbarn, die gierig nach einer Gelegenheit spähten, ihr Besitztum auf Kosten anderer zu vergrößern. Die verworrenen, schier unüberschaubaren Rechtsverhältnisse kamen solchen Bestrebungen entgegen.

Obwohl die Zeiten rau waren und das Recht unsicher, gelang es Rudolf, sein Erbe zusammenzuhalten. Er teilte nicht mit seinen jüngeren Brüdern. Die Spaltung und Schwächung habsburgerischen Besitzes nach dem Todes seines Großvaters waren ihm Warnung genug. Die Macht der Habsburger vertrug keine weitere Aufsplitterung. Das führte zu Schwäche und Bedeutungslosigkeit, und schnell konnte zunichte sein, was Generationen in Jahrzehnten und Jahrhunderten aufgebaut hatten. Dafür gab es ein trauriges Beispiel in Rudolfs unmittelbarer Nachbarschaft. Zerrüttet war der Besitz der einstmals mächtigen Herren von Winterstetten, deren letzter Spross bettelnd in Schwaben umherzog und von den Almosen sich nähren musste, die ihm seine glücklicheren und klügeren Standesgenossen gönnerhaft überließen.

Für einen standesgemäßen Lebensunterhalt seiner Geschwister sorgte Rudolf. Von seinen Schwestern widmete sich eine dem geistlichen Stand und ging als Nonne in ein Kloster. Die andere, Kunigunde, heiratete zuerst den Grafen von Küssaberg, und als dieser früh verstarb, den Edlen Otto von Ochsenstein, der ein treuer Gehilfe Rudolfs wurde. Man heiratete nur unter seinesgleichen. Als Rudolf anfing, waren es Grafen und Herren, denen eine Habsburgerin als angemessene Partie erschien, seine Töchter vermählten sich später mit Kurfürsten und Königssöhnen.

Die beiden Brüder Rudolfs spielten in der habsburgischen Geschichte keine bedeutende Rolle. Der eine, Albrecht, führte als Pfründner der reichen Bistümer Basel und Straßburg ein eher geruhsames Leben. Den anderen, Hartmann, lockte Lust nach Abenteuer in die Ferne. Schon in jungen Jahren geriet er bei Kämpfen in der Lombardei in Gefangenschaft und kam in einem feuchten Verlies um. Doch auch Albrecht, der Domherr, starb jung trotz des bequemen Lebens, das ihm seine Pfründe sicherten. Die Lebenserwartung der Menschen war im allgemeinen gering, auch die der Vornehmen. Wenn sie nicht auf einer Kreuzfahrt im Heiligen Land zugrunde gingen, oder bei den Kämpfen in Italien, und sie nicht das Unglück hatten, daheim in Deutschland im Laufe einer Fehde von einem missgünstigen Nachbarn erschlagen zu werden, dann drohten ihnen Krankheiten und Seuchen, gegen die kein Bader und kein Physikus wirksamen Rat wussten. Vor dem Tode waren Hoch und Nieder gleich. Man musste die knappe Zeit nutzen, die einem zur Verfügung stand, sei es im Kampf, sei es bei der Vermehrung des Besitzes. Die Nachbarn zu bekriegen, das war das Handwerk, das Rudolf von nun an durch fünf Jahrzehnte zumeist erfolgreich übte. Ein anderer wäre vielleicht mit dem zufrieden gewesen, was er besaß und was stattlich genug war. Rudolf nicht, der strebte nach mehr und bekam bis zu seinem Lebensende nie genug. In Ruhe die Erträge seiner Meierhöfe zu genießen, war nicht nach seinem Geschmack, ihn lockte das Abenteuer.

Da lebte in der Nähe der junge Hugo von Taufenstein, der war reich und vornehm und besaß eine feste Burg, so dass er sich vor neidischen Angreifern gesichert glaubte. Seine Reichtümer aber stachen dem Grafen von Habsburg ins Auge, und dieser beschloss, des Tiefensteiners Besitz mit Gewalt an sich zu bringen. Also begann Rudolf den Ritter Hugo in seiner Feste zu belagern. Er hatte anfangs wenig Erfolg dabei. In einer Zeit, die Feuerwaffen noch nicht kannte, war der Verteidiger gegen den Angreifer meist im Vorteil. Am Ende aber nützte dem Tiefensteiner seine feste Burg nichts. Er hatte nämlich nicht bedacht, zu welch heimtückischer List der Habsburger fähig war. Zum Schein bot Rudolf Frieden an. Arglos kam darauf der Ritter Hugo aus seiner schützenden Burg hervor und ließ sich willig in einen Hinterhalt locken, den habsburgische Reisige ihm stellten. Dort wurde er auf schimpfliche Weise erschlagen. Dunkel ist diese Geschichte und gewiss kein Ruhmesblatt für Rudolf von Habsburg. Die Erzählung dürfte wahr sein, hat doch Rudolf im Laufe seines Lebens auch noch andere Gewalttaten verübt, und kaum jemand außer den Betroffenen selber hat sie ihm angekreidet. Mord und Totschlag kamen häufig vor in jenen Zeiten. Die Herren hatten im allgemeinen nicht mehr gelernt, als sich nach Ritterart durchs Leben zu schlagen, und Rittertum bedeutete ja keineswegs nur Minnesang und Frauendienst und ähnlich harmlose Dinge.

Der Ritter war in erster Linie Krieger. Wenn es gerade anderwärts nichts zu kämpfen gab, etwa im Heiligen Land oder gegen die heidnischen Preußen, wenn der Kaiser gerade keinen Krieg führte und der Papst gegen niemanden das Kreuz predigen ließ, dann fielen die Herren zum Zeitvertreib übereinander her. Ein Anlass für einen Streit war rasch gefunden, ein paar Fässer Wein, die der Nachbar böswillig beschlagnahmte, ein strittiges Jagd- oder Weiderecht, und schon ging es los mit Brandschatzen und Burgenbrechen.

Mit jugendlichem Ungestüm stürzte sich Rudolf von Habsburg ins Getümmel und machte bald eine leidvolle, aber nützliche Erfahrung: Wer Schläge austeilte, musste auch bereit sein, Hiebe einzustecken, zumal ja viele andere denselben Prinzipien huldigten wie er selber, sein Vetter Gottfried zum Beispiel, der noch etwas jünger war als Rudolf und auch noch etwas kühner und ungestümer. Mit seinen Laufenburger Verwandten kam Rudolf von Anfang an nicht gut aus. Immer noch stritt man wegen der Vogtei über das Kloster Muri, auf die ja beide Habsburger Linien seit dem Tode Rudolfs des Alten Anspruch erhoben. Wenn Rudolf glaubte, sein Recht durchsetzen zu können, indem er den Laufenburgern deren Dörfer verwüstete, irrte er sich gewaltig. Vetter Gottfried sah dem bösen Treiben nicht lange zu und beschloss, den lästigen Verwandten tüchtig in die Schranken zu weisen.

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Eines Morgens erschien er mit einer Schar Bewaffneter überraschend vor der Stadt Brugg, fand den Zugang schlecht verteidigt, verschaffte sich Einlass und plünderte alles, was nicht niet- und nagelfest war. Auch Rudolfs Stadtburg ging in Flammen auf. Mit Beute reich beladen zog der kühne Jüngling samt seinen Spießgesellen wieder heim nach Laufenburg. Schlau hatte Gottfried die Abwesenheit des Hausherrn abgewartet, der daher die Zerstörung seiner Heimatstadt nicht verhindern konnte. Welche Gedanken mochten Rudolf bewegt haben, als er heimkam nach Brugg und vor den rauchenden Trümmerhaufen stand, der einst seine Residenz gewesen war? Eines jedenfalls lernte er daraus: Dass eine starke Faust und ein scharfes Schwert allein nicht genügten, wenn man sich behaupten wollte in gefahrvoller Zeit. Man brauchte auch einen klugen Kopf.

1241 war es im Mai, als Rudolf von Habsburg in Italien weilte. Man weiß dies aus einer Urkunde, die er selber im Jahr 1290 ausgestellt hat. Wenn er sich im hohen Alter noch an seinen Italienzug vor fast fünfzig Jahren erinnerte, dann muss ihn das, was er dort erlebte, beeindruckt haben. Er war in Faenza, am Hofe Kaiser Friedrichs II.

Es war die Zeit des Kampfes zwischen dem Kaiser und dem Papst. Auf Deutschland und das staatliche Leben dort wirkte er sich nachhaltig negativ aus. Der Kaiser, in die italienischen Händel verstrickt, konnte sich um den Erbteil seiner Väter wenig kümmern. Nicht einmal ganze zwei Jahre seines 30jährigen Kaisertums hat Friedrich II. in Deutschland verbracht. Das Machtvakuum, das er hinterließ, vermochten seine jugendlichen Söhne, die er zu deutschen Königen machte, nur unzulänglich auszufüllen. Die Fürsten, geistliche und weltliche, traten an deren Stelle, nahmen sich immer mehr Rechte, die vordem der Kaiser bzw. der König geübt hatte. Sie wurden zu Landesherren, wie sie sich stolz zu nennen begannen. Kaiser Friedrich II. ließ es geschehen, weil die Kämpfe in Italien alle seine Kräfte in Anspruch nahmen. Das Reich wandelte sich allmählich zu einem Konglomerat von mehr oder minder mächtigen Fürstentümern und Herrschaften, das Königtum geriet in Abhängigkeit vom guten Willen einiger Potentaten und Halbsouveräne. Diesen Niedergang der Zentralgewalt, der unter Friedrich II. begann, vermochte auch Rudolf von Habsburg nicht umzukehren.

Aber zurück zu Rudolfs Aufenthalt in Italien im Jahre 1241. In Faenza residierte zu dieser Zeit der Kaiser. Friedrich II. war nicht als Friedensfürst hergekommen, sondern als Eroberer. Rudolf selbst hatte die Strapazen der Alpenüberquerung auf sich genommen, um von dem Staufer seine Reichslehen zu empfangen. So erforderten es das alte Herkommen und die Satzungen des Reiches. Der Lehensmann nahm aus der Hand des Lehnsherrn ein Banner entgegen als Symbol für die Rechte und Pflichten, in die er nun eintrat. Peinlich genau hielt sich Rudolf an diesen Brauch, denn es war allgemeine Rechtsansicht, dass ohne eine solche Zeremonie, die vor möglichst vielen vornehmen Zeugen stattzufinden hatte, der Bewerber sein Anrecht auf das Reichslehen binnen Jahr und Tag verwirkt hatte. Der Kaiser nahm den hochgewachsenen, etwas ungehobelt wirkenden Mann aus Schwaben freundlich auf. Er brauchte ihn, weil durch habsburgerisches Gebiet wichtige Verbindungswege von Deutschland nach Italien führten. Bei seinem Aufenthalt in Faenza wird Rudolf die imposante Kriegsmaschinerie besichtigt haben, darunter die mächtigen Wurfmaschinen, die zentnerschwere Steine gegen Festungsmauern schleudern konnten. Auch der hohen Politik wohnte der Habsburger bei, wenn auch nur als Zaungast. Gesandte des Königs Bela von Ungarn reisten dem Staufer bis nach Spoleto nach und boten ihm im Namen ihres Königs die Unterwerfung ihres von den Mongolen verwüsteten Landes an, Ungarn vom Kaiser also als Lehen zu nehmen. In ganz Mittel- und Osteuropa lebten die Menschen in diesem Jahr in Angst vor der furchtbaren Mongolengefahr. Aus den Steppen Innerasiens waren diese wilden Reiterhorden aufgetaucht. Unter der Führung Batus, des Enkels Dschingis Khans, hatten sie ganz Russland überrannt, die Hauptstadt Kiew erobert, die Bewohner allesamt ermordet, die Stadt in einen rauchenden Trümmerhaufen verwandelt.

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Wo denn Kiew eigentlich lag, wussten in Mitteleuropa freilich nur die wenigsten. Genaue Karten gab es nicht, und von der Geographie hatten viele Leute nur eine ungefähre Vorstellung. Aber die wilden Tataren hatten bei Kiew nicht haltgemacht, sie waren weiter nach Westen vorgedrungen, nach Schlesien und Ungarn, und wo diese Länder lagen, wusste man in Deutschland und Italien sehr gut. Vergeblich hatte sich der ungarische König Bela den mongolischen Reiterscharen in den Weg gestellt, er war mit seinem Heer fürchterlich geschlagen worden. Bei Liegnitz in Schlesien versuchten deutsche und polnische Ritter, die Invasion aus dem Osten aufzuhalten. Sie wurden alle niedergemetzelt; und ihr Opfermut wäre vergeblich gewesen, hätten nicht innere Wirren den Khan Batu und seine Horden im Jahr 1242 plötzlich heim nach Asien gerufen.

Diese glückliche Wendung aber ließ sich im Mai 1241 noch keineswegs voraussehen. Da zitterte König Bela vor den Mongolen und flehte den Kaiser um Hilfe an, selbst um den Preis der Unterwerfung Ungarn, das zur Zeit ohnehin für ihn verloren war. Der Kaiser nahm die Mongolengefahr zwar ernst, sein Krieg mit dem Papst und den Städten aber hielt ihn in Italien fest. Die Unterwerfung der Ungarn aber nahm Friedrich II. gern entgegen, da sie ihn nichts kostete. Rudolf von Habsburg war in Spoleto Zeuge, wie die ungarischen Gesandten aus der Hand des Kaisers die Standarten entgegennahmen, die ihr Land symbolisierten. Das prunkvolle Schauspiel blieb Rudolf sicher im Gedächtnis. Jedoch: Reale Folgen hatte der Akt nicht. Der Kaiser, der Theorie nach nun Oberherr über Ungarn, konnte das Land (ebenso wie Deutschland) nicht vor den Mongolen schützen. Da überdies die Gefahr bald darauf so rasch wieder verschwand, wie sie aufgezogen war, fasste auch König Bela wieder Mut und dachte nicht mehr daran, dem Kaiser in Ungarn irgendwelchen Einfluss einzuräumen. Und Friedrich, der nur leere Versprechungen und keine Hilfe gegeben hatte, musste sich mit der Tatsache abfinden. Er hatte sowieso andere Sorgen.

Der Wind drehte sich gegen den Kaiser in seinem Konflikt gegen den Papst und die italienischen Städte. In der Reichsstadt Lyon berief der Heilige Vater ein Konzil, auf dem über die Absetzung des Staufers beraten wurde. So manch ein Reichsfürst fiel von Friedrich II. ab, der schüttere Besuch von dessen Fürstentag in Verona machte dies deutlich. Nicht nur die rheinischen Erzbischöfe von Mainz und Köln, auch der Thüringer Landgraf Heinrich Raspe, bisher ein wichtiger Vertrauensmann des Kaisers, gehörte inzwischen zu den Gegnern. Friedrich II. war im Kirchenbann, das nahm so mancher zum Anlass, ihm den Gehorsam zu verweigern. Einer jedoch hatte sich zum Freund des Staufers gewandelt: Als vornehmster weltlicher Fürst erschien Herzog Friedrich von Österreich in Verona.

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Österreich, das schöne Herzogtum an der Donau, aus einer Grenzmark zu Ungarn entstanden, war weitaus einheitlicher organisiert als die alten Stammesherzogtümer Baiern oder Schwaben und bildete ein im wesentlichen geschlossenes Herrschaftsgebiet. Hier gab es keine freie Reichsstadt, kein Bischof, Abt oder sonstiger geistlicher Machthaber mit selbständiger Regierungsgewalt störte die Geschlossenheit des Territoriums, kein Graf mit eigener Gerichtsbarkeit, wie Rudolf von Habsburg einer war. Die Babenberger konnten in ihrem wohlhabenden Österreich durchregieren, wie man heute wohl sagen würde, auch dank der Privilegien, die einst Barbarossa, der Großvater des Kaisers, ihnen 1156 verliehen hatte.

Mit Herzog Friedrich von Österreich bekam der Kaiser einen nicht nur reichen, sondern auch kriegstüchtigen Verbündeten. Warum Friedrich den Beinamen „der Streitbare“ trug, hatten nicht nur seine eigenen Dienstleute, sondern auch die Mongolen und die Böhmen erfahren. Dem Herzog ging der Ruf voraus, dass keine Frau oder Jungfrau vor ihm sicher sei. Den Markgrafen von Meißen, dem Gemahl seiner Schwester, hatte er gleich in der Hochzeitsnacht überfallen und vom eingeschüchterten Bräutigam den Verzicht auf die vereinbarte Aussteuer erpresst. Selbst die Mutter des Babenberger fürchtete sich vor ihrem Sohn so sehr, dass sie beim König von Böhmen Zuflucht suchte. Der Beistand des Herzogs hatte für den Kaiser natürlich einen Preis: Es ging darum, Österreich zu einem Königreich zu erheben. Das war für Friedrich II. annehmbar, denn die Vereinbarung hatte einen Zusatz: Da Herzog Friedrich ohne Kinder war, sollte die Krone Österreichs nach dessen Tod an den Kaiser fallen. Doch der Plan scheiterte an Widerstand anderer, und es blieb beim Status quo. Bei der dabei beurkundeten Bestätigung der alten Privilegien setzte als einer von vier vornehmen Laienzeugen kein anderer als Rudolf von Habsburg sein Siegel. Er war 1245 bei den Beratungen des Kaisers in Wien also dabei gewesen.

Nur ein Jahr später starb Herzog Friedrich der Streitbare im Kampf gegen seine ungarischen Todfeinde. Er, der beinahe König geworden wäre, erhielt einen Lanzenstich in den Kopf, ein Heldentod, der seinem kriegerischen und tatenreichen Leben entsprach. Mit ihm erlosch die Dynastie der Babenberger, die das Land 270 Jahre hindurch erfolgreich regiert hatte. Österreich und Steiermark wurden nun zum Spielball der großen Nachbarn Böhmen und Ungarn, eine Entwicklung, die der letzte Babenberger, man mag über seinen wilden Lebenswandel denken, wie man will, bei seinen Lebzeiten verhindert hatte.

Rudolfs wiederholte Anwesenheit am Hof Kaiser Friedrichs II. deutet es bereits an: Er war ein treuer Gefolgsmann des Staufers, selbst in den letzten Lebensjahren des Kaisers. Dabei lief es für Friedrich II. nicht sonderlich gut, die Zahl seiner Feinde überwog zuletzt die seiner Freunde.

1250, am 13. Dezember, starb in einem einsamen Kastell im fernen Apulien „das Staunen der Welt“. Unermüdlich, jedoch sieglos und mit abnehmenden Erfolgsaussichten hatte er gegen das Papsttum gekämpft. In einer schlichten Mönchskutte beschloss der einst so Glanzvolle sein an Höhepunkten und Rückschlägen überreiches Leben und verließ die Welt, die ihn nie so recht verstanden hatte. Prophetisch notierte ein Chronist: „Mit ihm wird das Imperium enden, denn wenn er auch einen Nachfolger finden wird, so werden sie doch der Kaiserkrone beraubt sein.“

Noch stand Rudolf nicht im Brennpunkt großer Ereignisse, noch waren die Grenzen eng, in denen er sich bewegte. Brugg, Basel und Schlettstadt hießen die Orte, wo er sich in diesen Jahren aufhielt. Vom Griff nach der Krone war er 1250 weit entfernt, obwohl er sich schon eine durchaus solide Stellung erkämpft hatte. Er galt als das Haupt der staufischen Partei am Oberrhein - die jedoch offenbar nur aus ihm selbst bestand. Rudolf unterstützte den jungen Konrad IV., der nach dem Tode seines Vaters den Kampf gegen die Anhänger des Papstes fortsetzte und sich gegen den „Pfaffenkönig“ Wilhelm von Holland leidlich behaupten konnte. Warum folgte Rudolf nicht dem Beispiel seiner Nachbarn und machte seinen Frieden mit der Kirche? Glaubte er am Ende immer noch, auf staufischer Seite mehr Gewinn einzuheimsen als auf päpstlicher? Auch dieses Motiv muss wohl im Spiel gewesen sein. Opportunismus, Streben nach Macht und Gewinn spielten ja keine geringe Rolle im Denken dieser Menschen, im Denken Rudolfs zumal, obwohl ihm Begriffe wie „Kapital“ oder „Profit“ noch durchwegs fremd waren. Dagegen war das Wort „Handsalbe“ eine gängige Vokabel. Treue musste belohnt werden, und wer den Lohn für sein Wohlverhalten nicht gleich auf die Hand bekam, der suchte ihn eben in Form von Gütern und Ländereien zu kassieren. Man sah darin nichts Unehrenhaftes, auch das Wort „Korruption“ hat niemand in den Mund genommen.

Von Konrad IV. ließ sich Rudolf den Zehnten in Mühlhausen übertragen, als wohlverdiente Gunst. Schließlich erhielt der Habsburger noch 100 Mark Silber und die Städte Breisach und Kaisersberg, die er jedoch an den König zurückzugeben hatte, falls er das feste Rheinfelden gewänne, das der Bischof von Basel besetzt hielt. Im Kampf gegen diesen Bischof und seine Leute nutzte Rudolf nicht nur seiner eigenen Sache, er war damit zugleich das Werkzeug Konrads IV. gegen die Anhänger des Papstes. Rudolf war dabei so gründlich, dass es ihm fast zum Verhängnis geworden wäre.

Mit einer Schar seiner ritterlichen Spießgesellen erschien er vor Basel, bemächtigte sich durch nächtlichen Überfall des Klosters der Reuerinnen, das außerhalb der Stadtmauern lag, plünderte das Gebäude und brannte es nieder. Ein boshafter Gewaltakt ohne Zweifel. So sehr rührte das Wehklagen der obdachlosen Nonnen den Basler Bischof, dass er sofort einen Boten an die Kurie abfertigte und dem Papst Kunde gab von dem bösen Treiben des Habsburgers. Erzürnt befahl Papst Innozenz am 18. August 1254, den Grafen Rudolf von Habsburg und seine Komplizen, „allesamt Anhänger des verstorbenen Kaisers Friedrich und seines Sohnes Konrad und Feinde der Kirche“, wegen des nächtlichen Überfalls und der argen Beschädigung des Basler Reuerinnenklosters zu exkommunizieren. Von diesem Banne sollten sie erst losgesprochen werden, wenn sie den Schaden gutgemacht und sich vor dem päpstlichen Richterstuhl zur Rechtfertigung eingefunden hätten. Der Arm des Papstes reichte weit, den Habsburger aber erreichte er dieses Mal nicht; der hütete sich wohl, vor des Papstes Gericht zu erscheinen. Und auch mit dem Bischof von Basel, der ihn jüngst wegen seiner Gewalttat so vehement verklagt hatte, lebte er bald darauf wieder in schönster Eintracht. Die Herren waren ja rasch bei der Hand mit dem Friedenschließen wie mit dem Kriegführen, zumal die Folgen ihres Tuns andere, Unbeteiligte, meist weitaus schärfer spürten als sie selber.

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Die Sache der Staufer erlitt 1254 wohl ihren entscheidenden Rückschlag. Es lag ein schlechter Stern über dem Italienzug Konrads IV. In Rom hatte der junge Staufer einziehen wollen, um sich die Kaiserkrone zu holen, statt dessen holte er sich im ungesunden Klima Italiens das Fieber, und der Tod raffte ihn hinweg und machte all seinen ehrgeizigen Plänen ein frühes Ende. Ein kleines Kind, Konrads zwei Jahre alter Sohn, von den italienischen Ghibellinen Corradino (Konradin) genannt, repräsentierte jetzt in Deutschlan die vor kurzem noch blühende Dynastie der Staufer. Ob der kleine Konradin jemals in die Fußstapfen seiner berühmten Vorfahren treten, ob er die Macht der Staufer noch einmal aus dem Staub erheben würde, war noch nicht abzusehen. Der Sieg in dem gewaltigen Ringen neigte sich dem Papst zu.

Für Rudolf von Habsburg war es an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Fast ein Jahrzehnt hatte er sich jetzt für die Sache der Staufer eingesetzt und galt deshalb als Feind der Kirche. Die Handsalbe, die er sich ausgerechnet hatte, war dürftig. Die schönen Städte Breisach und Kaisersberg konnte er nicht halten, und vom Erwerb Rheinfeldens war nach Konrads IV. Tod keine Rede mehr. Rudolf tröstete sich mit dem Brückenzoll von Freudenau und der Vogtei über das Kloster Sankt Blasien, ein mageres Ergebnis nach beinahe zehn Jahren Kampf und Entbehrungen. Zweifellos hatte er auf das falsche Pferd gesetzt in dem gewaltigen Spiel, er hatte gewagt und nicht gewonnen. Doch wenigstens seinen Einsatz hatte er retten können. Seine Territorien im Aargau und Elsass vermochte er zu behaupten als Basis für künftige Unternehmungen.