[CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 31. Oktober 2017 09:46

Das Interregnum

Der Tod des Staufers Konrads brachte endlich dem holländischen Grafen Wilhelm im Reich endlich die allgemeine Anerkennung als König. Schon sechs Jahre vorher war er nach dem Tod des Gegenkönigs Heinrich Raspe von der Kurie zum neuen Gegenspieler Friedrichs II. ausgesucht worden. Die Wahl auf diesen eher unbedeutenden Grafen von der Peripherie des Reiches war jedoch weniger in einer persönlichen Eignung Wilhelms oder in einem nennenswerten Einfluss begründet. Eher im Gegenteil. Es fand sich im Reich schlicht niemand, der die Rolle des Gegenkönigs von Papstes Gnaden annehmen mochte. Nach Konrads Tod wurde Wilhelm von Holland als neuer König anerkannt, weil er sich als Alternative für den Thron bereits anbot, die Kirche ihn als ihren Kandidaten förderte und weil Wilhelm in den Augen der anderen Fürsten den Vorteil bot, dass er über so wenig Hausmacht verfügte. Unter Friedrich II. hatten sich die deutschen Fürsten bereits daran gewöhnt, dass ihnen der König wenig in ihre Angelegenheiten hineinredete. Das sollte so auch bleiben. König Wilhelm tat ihnen diesen Gefallen, er beschränkte sich bei seinen Aktivitäten auf seine holländische Nachbarschaft. Gerade einmal zwei Jahre auf dem Thron, wurde ihm eine seiner Nachbarschaftsfehden zum Verhängnis: 1256 brach er bei einem Feldzug in Friesland im Eis ein und ertrank.

Die deutsche Krone wurde nach Wilhelms Tod endgültig zu einem Pokal, der dem Meistbietenden zugeschanzt wurde. Besser noch, den zwei Meistbietenden, dann konnte man doppelt kassieren. Und so wurde nicht nur Graf Richard von Cornwall, der Bruder des englischen Königs, sondern auch der kastilische König Alfons X. von einem Teil der Fürsten zum deutschen König gewählt. Während Richard zumindest zeitweise in Deutschland auftauchte, ließ sich Alfons zeitlebens nicht im Reich blicken, nicht einmal zu einer Krönung oder dergleichen. Ausrichten konnten beide nichts, wenn es um die Geschehnisse in Deutschland ging. Dort waren die Fürsten nun sozusagen unter sich. Dem Papst war es recht, Hauptsache es war kein Staufer an der Macht. Es gab da ja noch den kleinen Konradin, der potentiell eine Gefahr darstellte.

Die Folge war, dass die deutschen Fürsten ungehemmt ihre eigenen Interessen durchsetzen konnten. Früher hatte sie eine starke Zentralgewalt, eine geordneter Staat, ihr Streben nach Macht und Reichtum in gesetzlich geregelte Bahnen gelenkt. Jeder Territorialherr, vom Fürsten herab bis zum ärmsten Ritter, nahm sich nun, was und wie viel er kriegen konnte. Man bediente sich dabei gern eines alten, aus germanischer Zeit stammenden Rechtsmittels, der Fehde. Fehde war das Zauberwort, das alle Überfälle und Brandschatzungen, alle Morde und Raubzüge mit dem Deckmantel scheinbarer Rechtlichkeit umgab. Viel uraltes Gedankengut spielte da mit, von Gottesurteil und göttlicher Gerechtigkeit. Wem sein Recht vorenthalten wurde, weil der König fern oder niemand gewillt war, Recht zu sprechen, der konnte es suchen durch das Mittel der Fehde. Die einst streng formalisierte Fehde war zu Rudolfs Zeiten aber bereits zur Karikatur entartet, denn sogar der schlimmste Raubritter hatte keine Skrupel dabei, die Fehde zur scheinbaren Rechtfertigung seines bösen Treibens zu missbrauchen.

Doch nicht nur üble Räuber und Strauchdiebe bedienten sich der Fehde, auch Fürsten und Herren machten fleißig Gebrauch davon, um ihr Recht durchzusetzen, oder das, was sie für ihr Recht hielten. Rudolf von Habsburg zum Beispiel war ein angesehener Mann, und gleichwohl hat er in jenen verworrenen Jahren unzählige Fehden ausgefochten. Es konnte ja einer, wenn er tüchtig war und skrupellos und auch einigermaßen reich und mächtig, wenn er mehr an das Diesseits dachte als an sein Seelenheil, aus den Verhältnissen, wie sie waren, sehr wohl seinen Vorteil ziehen. Es galt das Recht des Stärkeren, der Schwache blieb auf der Strecke. Diesem Faustrecht hat Rudolf von Habsburg sich angepasst und kräftig davon profitiert. Er war ein typischer Vertreter dieser wirren Zeit des Interregnum, heute würde man ihn wohl einen Warlord nennen. Seinen Rivalen hatte der Habsburger Warlord voraus, dass er meist klüger war als sie, bisweilen aber auch weitaus skrupelloser.

Mitten in den Wirren dieser Zeit fand Rudolf Zeit, zu heiraten. Er war ja schon weit über 30 Jahre alt, da empfahl es sich für einen Grafen, eine Familie zu gründen und für legitime Nachkommenschaft zu sorgen. Er hatte nicht enthaltsam gelebt bisher und mit einer Frau Ita einen außerehelichen Sohn gezeugt. Die näheren Umstände dieser Beziehung sind nicht bekannt. Vielleicht war Ita eine Dienstbotin, eine Unfreie, die für eine Ehe mit einem Grafen nicht in Frage kam. Für den Sohn aber, der aus dieser Verbindung entspross, sorgte Rudolf. Die Braut, die Rudolf von Habsburg zum Altar führte, war die ungefähr fünfzehnjährige Gertrud von Hohenberg.

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Sie sollte ihm in einer langen Ehe ein gutes Dutzend Kinder gebären. Nicht lange nach seiner Hochzeit beendete Rudolf den leidigen Streit mit den Laufenburger Verwandten. Vetter Gottfried, ein tüchtiger Kriegsmann, hatte ihm viel Ungemach bereitet. Einen solchen Mann, der noch kühner und angriffslustiger war als er selber, wollte Rudolf auf Dauer nicht zum Feind haben. Ab Ende 1256 traten die beiden Vettern einträchtig als Verbündete auf.

Sicher ist es nicht, doch es heißt, im Jahre 1257 sei Rudolf von Habsburg dann am Hofe des Königs von Böhmen gewesen, hätte dort sogar das Amt des Hofmarschalls ausgeübt. Der Name dieses Königs: Ottokar II. Premysl, später Rudolfs größter Gegner. Dessen Persönlichkeit hatte etwas geheimnisvoll Zwiespältiges: Meinen die einen, er sei ein überaus blutrünstiger Tyrann gewesen, gibt es andererseits Zeugnisse, er sei ein beliebter Heerführer gewesen, ein vortrefflicher Fürst, mit dem sich von den Königen seiner Epoche kaum einer an Freigebigkeit, Macht und guten Sitten messen konnte. Er war ein gutes Jahrzehnt jünger als Rudolf von Habsburg, und in seinen Adern rollte staufisches Blut. Seine Mutter Kunigunde war eine Cousine Friedrichs II. Ottokar soll ein schöner Jüngling gewesen sein, nur mittelgroß zwar, aber kräftig, mit braunen Haaren, tapfer und an Beredsamkeit sogar die Philosophen übertreffend. Doch nicht zur Philosophie fühlte sich der aufgeweckte junge Mann hingezogen, sondern zu Macht und Reichtum, und in seiner Seele brannte der Ehrgeiz. Noch nicht zwanzig Jahre alt, empörte er sich gegen seinen Vater, den König Wenzel, und konnte sogar die Hauptstadt Prag für sich gewinnen. Nur mit Mühe gelang es dem Vater, den ungestümen Sohn zu bändigen. Der Aufstand wurde niedergeworfen und Ottokar geriet in Gefangenschaft. Auf einem einsamen Bergschloss in milder Haft gehalten, hatte der Jüngling Muße, über aussichtsreichere Eroberungspläne nachzudenken.

Der alte Wenzel beschloss, den Tatendrang seines Sohnes in für ihn weniger gefährliche Bahnen zu lenken, und als nächstes und überdies äußerst lohnendes Ziel bot sich das benachbarte Österreich an. Die babenbergergischen Länder waren nach dem Tod Friedrichs des Streitbaren der Anarchie verfallen. Sechs Jahre lang herrschten dort Mord und Totschlag unter den Leuten. Denn die verschiedenen Prätendenten, die sich des verwaisten Babenberger Erbes zu bemächtigen trachteten, konnten sich nicht durchsetzen und paralysierten ihre Kräfte gegenseitig: Der König Bela von Ungarn, der sich durch grausame Raubzüge Respekt verschaffen wollte, der kaiserliche Statthalter Otto von Eberstein und Markgraf Hermann von Baden, der Gemahl der frommen Babenbergerin Gertrud, der als Favorit des Papstes galt. Über den erfolglosen Markgrafen höhnten die Annalen: Er wollte Herzog von Österreich sein, doch er konnte nicht.

So lagen die Dinge, als im Spätherbst 1251 Ottokar von Böhmen mit Heeresmacht in Österreich erschien. Er fand keinen nennenswerten Widerstand und freundliche Aufnahme beim österreichischen Adel, den er durch Handsalbe für sich gewonnen hatte. Bald gab es nach dem Zeugnis eines Zeitgenossen in Österreich „keinen Winkel mehr, der seine Herrschaft zurückgewiesen hätte“. Auf der Hainburg, am östlichen Rand der Mark Österreich, heiratete Ottokar die fast doppelt so alte Margarete, die Schwester des letzten Babenbergers, eine Vernunftehe aus dynastischen Gründen. Nach der Hochzeit übergab ihm die Babenbergerin die Privilegien Barbarossas und Friedrichs II., die den Przemysliden weit mehr interessierten als seine ältliche Ehefrau. In diesen Freiheitsbriefen stand festgeschrieben, dass Österreich ein „Weiberlehen“ sei, also auch die Töchter des regierenden Herzogs Anspruch auf die Regierung hätten (mal wieder: agnatisch-kognatisch). Von den Seitenverwandten allerdings war darin nicht die Rede, und so galt Margaretes Erbrecht als zweifelhaft. Um derlei juristische Spitzfindigkeiten aber kümmerte sich Ottokar nicht. Sein ganzes Leben lang hat er lieber auf die macht vertraut als auf das Recht, was ihm letztlich zum Verhängnis werden sollte.

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Vorerst aber eilte er von Erfolg zu Erfolg. Er beerbte seinen Vater Wenzel im Königreich Böhmen und schlug die Ungarn 1260 vernichtend an der March. Der Siegerpreis war die Steiermark, die zuvor dem grausamen König Bela hatte gehorchen müssen. Niemand konnte hier Ottokar noch entgegentreten, niemand forderte ihn auf, die erworbenen Herzogtümer vom Reiche als Lehen zu nehmen – denn es gab keine zentrale Reichsgewalt, die ihn dazu hätte auffordern können. Ironischerweise hatte Ottokar den Kastilier Alfons als deutschen König anerkannt, und ließ sich von dessen Konkurrenten Richard von Cornwall einen Lehensbrief ausstellen. Gewählt hatte er beide. Und so entstand ein gewaltiges Reich im Osten, bestehend aus Böhmen, Mähren, Österreich, Steiermark, Kärnten und Krain, das von den Sudeten bis an die Gestade der Adria reichte. Ottokar konnte anschließend die Ehe mit der älteren Margarete lösen lassen, er brauchte die Babenbergerin nicht mehr.

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Rudolfs Verhältnisse stellten sich im Vergleich zu dem Böhmen recht bescheiden dar, noch zumindest. Vielleicht machte sich der Habsburger einen Reim darauf, als er vom Erfolg Ottokars hörte. Im Übrigen beschränkte sich seine Herrschaft auf die nähere Umgebung um die Habsburg. Erwähnenswert aber ist eine Begebenheit aus dem Herbst dieses Jahres 1260: Da reiste der Herr Werner von Eppstein, der neugewählte Erzbischof von Mainz, nach Rom, um sich vom Papst die Weihen und das Pallium zu holen. Von Straßburg bis an die Alpen gab Rudolf von Habsburg dem Würdenträger das Geleit. Wie der Erzbischof selber bezeugte, war die Fahrt gefährlich und mühevoll. Damals reiste ja niemand aus purem Vergnügen, die Wege waren beschwerlich, Raubritter und Wegelagerer lauerten den Reisenden auf, und das Hochgebirge mag dem hohen Herrn aus dem Rheinland wohl ein wenig unheimlich gewesen sein, zumal er es in der schlechten Jahreszeit überquerte. Dennoch ging die Reise glücklich vonstatten, und dass der Erzbischof wieder wohlbehalten nach Hause kam, war zu einem Teil auch das Verdienst des Grafen von Habsburg. Diesen Dienst vergaß Werner von Mainz nicht, und er erinnerte sich später an Rudolf, als es daran ging, einen neuen König zu wählen. Der Erzbischof war ein einflussreicher Mann im Kurfürstenkollegium. Tja, Tüchtigkeit allein entschied, und entscheidet, nicht über Erfolg und Misserfolg – man muss auch die richtigen Freunde haben.

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Für Rudolf gab es trotz seines eingeschränkten Wirkungskreises durchaus Gelegenheiten zum Eingreifen. Da war das benachbarte Straßburg, eine reiche Stadt, ein Bistum. Regiert wurde es ab März 1260 von dem Bischof Walther von Geroldseck, mit dem die selbstbewussten Bürger Straßburgs nicht glücklich waren. Der führte nämlich mit ihnen einen Machtkampf um die Gerichtsbarkeit, der freien Wahl von Stadträten und der Steuererhebung. Bis dahin waren die Straßburger den umgänglichen Heinrich III. von Stahleck, der vierzehn Jahre als Bischof amtierte, gewohnt gewesen. Bischof Walther dagegen war ein aufbrausender und stolzer Mann, der lieber zum Schwert als zum Bischofsstab griff und von einem geistlichen Fürstentum am Oberrhein träumte. Anfangs war Walther erfolgreich, brachte die Städte Colmar, Hagenau und Mühlhausen in seine Gewalt. Die aufsässigen Straßburger Bürger schlugen zurück und zerstörten 1261 die Zwingburg Haldenberg. Da ließen sie sich auch von dem bischöflichen Interdikt nicht einschüchtern. Walther rief einige benachbarte Adelige mit ihren Truppen zu Hilfe, darunter auch Rudolf von Habsburg. Es kam zu einer Schlacht, die aber keine Entscheidung herbeiführte. Wegen der bevorstehenden Ernte wurde ein mehrwöchiger Waffenstillstand vereinbart.

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Unverrichteter Dinge ritt Rudolf von Habsburg also wieder heim – und wechselte die Seiten. Hatte ihn die militärische Tüchtigkeit der Straßburger beeindruckt? Lockten sie ihn mit Handsalbe? Fraglos war ein übermächtiges Bistum Straßburg auch eine Bedrohung seiner Interessen. Aber als Adeliger ein Bündnis mit Bürgern eingehen? Wie dem auch sei, Rudolf griff ab Oktober 1261 auf der Seite der Bürger in die Kämpfe ein und eroberte für sie die Stadt Colmar zurück. Die Bürger von Colmar begrüßten Rudolf als Befreier von der bischöflichen Garnison. Das Beispiel von Colmar machte nun Schule: Auch die Bürger von Mühlhausen wollten sich von den drückenden Steuern des Bischofs befreien und boten Rudolf die Übergabe ihrer Stadt an. Natürlich war Walther von Geroldseck nicht gewillt, das einfach hinzunehmen, den ganzen Winter 1261/62 kämpfte er gegen die Straßburger und ihren Habsburger Verbündeten. Kurz darauf , im Februar 1262, starb der Bischof, an Gram über seine wiederholten Niederlagen, hieß es. Der Weg war frei für Friedensverhandlungen.

Die Früchte des Straßburger Sieges durfte auch Rudolf von Habsburg ernten, er erhielt die faktische Oberhoheit über die eigentlich freien Reichsstädte Colmar, Mühlhausen und Kaisersberg. Freie Reichsstadt war fortan auch Straßburg selbst, und sie sollten dieses Privileg 400 Jahre lang verteidigen (erst der Sonnenkönig Louis XIV. von Frankreich machte dieser Freiheit im Jahre 1681 ein brutales Ende). Rudolf von Habsburg hatte seinen Einfluss in das Elsass erweitert, ein geschickter Schachzug. Der schwache König Richard von Cornwall nahm es einfach hin, dass die Reichsstädte unter Rudolfs Hand gerieten, was hätte er auch dagegen tun sollen? Im November 1262 weilte der Schattenkönig im Elsass. In der ehemaligen Stauferpfalz Hagenau bestätigte er der Stadt Straßburg all ihre schwer errungenen Rechte und Freiheiten. Vornehm waren die Zeugen dieses Rechtsaktes, Werner von Eppenstein, Erzbischof von Mainz, und Graf Rudolf von Habsburg. Die Herren kannten einander. Vor kaum zwei Jahren hatte Rudolf den Kirchenfürsten sicher über die Alpen geleitet. Ein tüchtiger, tatkräftiger Mann, dieser Habsburger! Den Eindruck muss der Erzbischof wohl gewonnen haben. Und, wie gesagt, seine Meinung hatte Gewicht im Rate der Kurfürsten.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 11. November 2017 08:38

Die nächste Gelegenheit ergab sich für Rudolf, wenn er nach Savoyen blickte. Die dortigen Grafen waren Mitte des 13. Jahrhunderts ein mächtiges Geschlecht, ihr Oberhaupt Graf Peter hatte es zu Einfluss gebracht und saß sogar im Rate des englischen Königs, weil er auch über die Grafschaft Richmond herrschte. Peter strebte nach Höherem, nämlich einem Staat beiderseits der Westalpen, der die Pässe beherrschte (ähnlich wie das für Tirol in den Ostalpen galt). Der Graf von Savoyen hatte nicht weniger im Blick als die Kontrolle über ein Territorium, das vom Bodensee bis an die Ufer des Mittelmeeres reicht. Eine wichtige, wenn auch nicht sehr ruhmreiche Rolle in den Savoyers ehrgeizigen Plänen war den Grafen von Kyburg zugedacht.

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Sie beherrschten den gesamten Thurgau vom Bodensee bis Zürich und hatten überdies stattliche Besitzungen im Aargau und in Burgund. Dort berührte ihr Interessengebiet das der Grafen von Savoyen. Die Kyburger waren verwandt mit den Habsburgern: Rudolfs Mutter entstammte dem Kyburger Geschlecht. Das Oberhaupt der Kyburger, Graf Hartmann der Ältere, war der Oheim Rudolfs und ein kränklicher, schwacher Mann. Ihn einen Pantoffelhelden zu nennen, täte seiner gräflichen Würde Abbruch tun, doch stand der Kyburger zweifellos unter dem Joch seiner überaus energischen Ehefrau. Sie hieß Margareta und war eine Schwester Peters von Savoyen.

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Die Ehe Hartmanns mit Margareta war kinderlos geblieben, und man ahnt schon, was folgt. Denn nachdem auch Hartmanns Neffe jung gestorben war, war das Erlöschen des Hauses Kyburg im Mannesstamm nur noch eine Frage der Zeit. Margareta bestürmte – sicher im Sinne ihres Bruders Peter – ihren Mann, für ihr späteres Auskommen als Witwe vorzusorgen. Hartmann tat ihr den Gefallen und überschrieb ihr seinen gesamten Besitz bzw. bat König Richard um Übertragung seiner Lehen an Margareta.

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In Ruhe sterben konnte der alte Hartmann trotzdem nicht. Die Bürger seiner Stadt Winterthur rebellierten im Frühjahr 1264 und belagerten wohl sogar das Stammschloss der Kyburger. Hartmann sah nur die Möglichkeit, seinen kriegstüchtigen Neffen Rudolf von Habsburg um Hilfe zu rufen. Der hatte darauf anscheinend nur gewartet. Eilends kam er herbei geritten, erledigte das kleine Ungemach und forderte bei Hartmann sogleich seinen Anteil an der künftigen Erbschaft. Der wachsweiche Kyburger gewährte ihm diesen, und quasi zum Pfand behielt Rudolf die Stadt Winterthur in seiner Kontrolle. Noch im selben Jahr, am 27. November 1264, starb Hartmann, der letzte Kyburger.

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Es bedeckte ihn kaum das kühle Grab, da eilte Rudolf mit seinen Rittern und Reisigen auf den Plan und nahm so viel in Besitz, wie er sich gewaltsam nur aneignen konnte: Seinen versprochenen Erbteil (die Städte Frauenfeld und Diessenhofen, die Burgen Limmat und Wallensee) und noch mehr (den gesamten Thurgau, die Vogteien über Zürich und Glarus). Und das, obwohl Rudolf einen heiligen Eid geschworen hatte, Margaretas Besitzungen und Rechte nicht anzutasten. Mit dem Schutz von Witwen und Waisen hielt es der Habsburger also nicht so sehr. Margareta floh, wie vorauszusehen war, an den Hof ihres Bruders nach Savoyen und rief den Papst um Hilfe. Den König anzurufen, für Recht zu sorgen, erschien offenbar zwecklos, wegen Interregnum und so. Also erschien ein päpstlicher Legat bei Rudolf und forderte – aus sicherer Entfernung – schriftlich geführte Verhandlungen. Für den Habsburger, der des Schreibens und Lesens nicht mächtig war, ein lächerlicher Vorschlag. Wozu die Feder führen, wenn das Schwert mächtiger ist? Unverrichteter Dinge zog der Legat wieder nach Rom zurück. Das Schwert musste Rudolf nun auch gebrauchen, wenn er seinen Gewinn gegen Graf Peter von Savoyen, der aus Flandern zurückeilte, verteidigen wollte. Doch Rudolf hatte bereits vollendete Tatsachen geschaffen, nur den burgundischen Teil des Erbes konnte Peter retten. Daran änderte auch eine Schlacht nichts, von der nicht sicher war, ob sie ein Unentschieden bedeutete oder eine Niederlage für Rudolf. Die Savoyer mussten sich zu einem Vergleich bequemen, der Margareta einen nur bescheidenen Teil ihres geraubten Erbes sicherte - und selbst der sollte nach ihrem Tod an den Habsburger fallen.

Mit diesem Coup, zusammengenommen mit dem Erfolg von Straßburg, hatte Rudolf seinen Machtbereich schlagartig vergrößert. Er war nun einer der bedeutendsten Territorialherren im Südwesten des Reiches, herrschte von Colmar im Elsass bis zum Vierwaldstätter See, von den Grenzen der Abtei Sankt Gallen im Osten bis nach Freiburg im Westen. Bedrohlich umklammerten seine Besitzungen das Bistum Basel, und auch die kleinen Adeligen im Thurgau und im Zürichgau bekamen Angst vor der geballten Macht und dem Landhunger des Habsburgers. Möglich war das nur, weil es keinen König gab, der ihn zur Ordnung rufen konnte. Rudolf nahm, wie die anderen Fürsten um ihn herum auch, was er kriegen konnte. Das Kyburger Erbe war eine Weichenstellung, es hob die Habsburger in eine neue Liga, während sich Savoyen nach dieser Geschichte nicht über den Status einer Regionalmacht erheben würde.

Vermutlich hätte der Habsburger an diesem Punkt gerne einige Jahre Zeit gehabt, seine Territorialgewinne einzugliedern. Doch sein hoher Aggressionswert hatte zur Folge, dass sich in seiner Nachbarschaft eine gegen ihn gerichtete Koalition bildete. Seele dieser Koalition war der Graf Ulrich von Regensberg, der alle seine Verwandten zum Beitritt in das Bündnis überredete. Es erschien nicht ratsam, solange zu warten, bis Rudolf wieder zu Kräften kommen würde. 1266 wurde die Lage für Habsburg wirklich ernst, aber Zürich sprang Rudolf bei. Ein höchst ungleiches Paar, doch den Zürichern erschien Habsburg als das kleinere Übel. Rudolf hatte erkannt, dass er die Bürger nicht zum Feinde haben durfte und hatte sie weder mit Raub und Brand belästigt noch ihre Warentransporte überfallen. In einem Gefecht während dieser Fehde gegen Regensberg geriet Rudolf sogar in akute Lebensgefahr, als er vom Pferd stürzte. Wäre nicht der Ritter Rudolf Müllner aus Zürich herbeigeeilt, wäre es früh zu Ende gewesen mit Habsburgs Glanz und Gloria. Ein anderes Mal gelang es Rudolf nur dank der Information eines Spions, rechtzeitig vor einem Überraschungsüberfall der Regensberger zu fliehen.

Kaum hatte sich Rudolf dieser Angriffe leidlich erwehrt, drohte ihm mit dem Abt von Sankt Gallen ein neuer, mächtiger Gegner. Der sah nämlich die Chance, Rudolfs – im Zuge der Aneignung des Kyburger Erbes - frechen Eingriff in seine Rechte rückgängig zu machen. Angesichts dieser Koalition stand es um Habsburg so schlecht, dass Rudolf dem Abt Frieden anbieten musste. Nur: Seine Dienstmannen, die sich jahrelang an das Plündern und Beutemachen gewöhnt hatten, stellten sich quer. Der Graf musste doch tatsächlich auf die Forderungen „seiner Belegschaft“ hören und sich ihnen beugen. Auch Zürich hatte ein Interesse am Fortgang der Fehde, sie wollten die Regensberger tüchtig in die Schranken weisen. Dies gelang einige Monate später, die regenbergische Festung Glanzenberg wurde durch eine Kriegslist Rudolfs erobert. Den Überrumpelten blieb nur die Kapitulation, Glanzenberg wurde von den Zürichern angezündet. Ähnlich erging es Ulrichs Raubschloss auf dem Ütliberg. Der Regensberger konnte der Stadt Zürich nie mehr gefährlich werden.

Härteren Widerstand leistete der Graf von Toggenburg. Durch seine starke Feste Uznaberg am Südende des Zürichsees beherrschte er die Straße, die von Zürich südwärts führte nach Italien, und nutzte diese Lage auf seine Weise. Nicht genug, dass er die Warentransporte der Züricher Handelsherren überfiel, er vergriff sich auch an lombardischen Kaufleuten, die Rudolfs Geleitschutz erbeten hatten, und raubte sie gnadenlos aus. Eine solche Beleidigung konnte sich der Habsburger nicht bieten lassen, sein Ruf stand auf dem Spiel. Mit seinen Reisigen erschien der Graf vor dem Raubnest und belagerte es zwei Monate lang, ehe die Garnison ausgehungert aufgab. Für die Toggenburger bedeutete der Fall ihrer Burg ihr Ende als Landesherren.

In diese Zeit (1267) fiel der Italienzug des letzten Staufers Konradin, der dem Anjou Karl das Königreich Sizilien entreißen wollte. Rudolf ließ sich den sicheren Durchzug von Konradins Heer durch sein Gebiet gut bezahlen und folgte Konradin bis nach Verona. Dort aber überlegte der Habsburger es sich anders: Das Heer des Staufers machte keine glänzenden Eindruck, Konradin gingen die Geldmittel allmählich aus. Nach Beratung mit einigen anderen Reichsfürsten entschloss sich Rudolf, nach Hause zurückzukehren und das Unternehmen des Staufers seiner ungewissen Zukunft zu überlassen. Als sich im folgenden Jahr 1268 Konradins bitteres Schicksal im fernen Unteritalien erfüllte, war der Habsburger längst wieder daheim. Er hatte den Staufern lange die Treue gehalten, ein weltfremder Phantast war Rudolf aber sicher nicht.

Die nächste Fehde Rudolfs begann noch im Jahre 1268 gegen das Bistum von Basel. Die Beziehungen waren schon länger belastet, verschlechterten sich aber noch, als der ehrgeizige Heinrich von Neuenburg (ein Vetter Rudolfs, siehe unten im folgenden Bild) auf den Bischofsstuhl gelangte.

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Im Straßburger Krieg hatten sie noch gemeinsam gefochten, nun wurden sie erbitterte Feinde und blieben es mehr als fünf Jahre lang. Zankapfel war wohl die Stadt Breisach, die Rudolf in den Wirren des Interregnums an sich gebracht hatte. Bischof Heinrich meldete Erbansprüche auf Breisach an, und Rudolf zeigte sich kompromissbereit – unter der Voraussetzung, dass er die Abtretung mit 1.000 Mark Silber bezahlt bekommt. Der Bischof zahlte schließlich 900 Mark und erhielt dafür Breisach. Doch der Habsburger gab danach keine Ruhe, „belästigte“ den Basler ungebührlich und erhielt weitere 100 Mark, auf dass er Ruhe geben sollte. Ein Jahr lang hielt sich der Habsburger daran, dann beunruhigte er den Bischof erneut (der gab ihm weitere 100 Mark), im Jahr darauf das gleiche Spiel (der Bischof zahlte ihm noch einmal 100 Mark). Im dritten Jahr forderte Rudolf aber 200 Mark, weil er Schulden hatte. Dieses Geld verweigerte ihm Heinrich von Basel schließlich, worauf Rudolf von Habsburg seinen Cousin nach Kräften zu befehden begann. Raue Sitten am Oberrhein, für Rudolf war Erpressung, nichts anderes war das, ein legitimes Mittel der Politik.

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Den Habsburger trieben allerdings nicht nur finanzielle Nöte dazu, gegen Basel zu agieren. Das Territorium des Bistums schob sich territorial wie ein Keil zwischen die Habsburger Gebiete im Elsass und in Oberschwaben. Es lag auf der Hand, dass Rudolf nach Arrondierung strebte, also eine Landverbindung herzustellen. Umgekehrt wollte Heinrich von Basel ein mächtiges geistliches Fürstentum am Oberrhein schaffen, wie ein Jahrzehnt zuvor der Bischof von Straßburg es beabsichtigt hatte. Dazu brauchte er auch solche Städte und Burgen, die dem Habsburger gehorchten. Eigentlich hatten beide kein Anrecht auf Orte wie Colmar, Breisach und Mühlhausen, denn das waren ja Reichsstädte, die dem König direkt unterstanden. Dem Papier nach, denn es gab keinen mächtigen König mehr, der sein Recht durchgesetzt hätte. Die Fehde spielte sich mit den bekannten üblichen Ereignissen ab: Burgen brechen, Städte abbrennen, Reliquien stehlen, die einfache Bevölkerung ausrauben und ermorden.

Was Rudolf voranbrachte, war nicht allein kriegerisches Handwerk. Er verstand es auch, einen Zwist innerhalb der Basler Bürgerschaft geschickt für sich zu nutzen. In Basel bekämpften einander die Parteien der Psittiche und der Sterner, und Rudolf wusste haargenau, dass er in dieser Sache an seinem spärlichen Schatz nicht sparen durfte. Mit Bestechungsgeldern befeuerte er die Unruhen zu seinen Gunsten. Kurz: Der Ring um Bischof Heinrich zog sich immer enger zusammen. In der Nacht auf den 25. August 1272 ging Basels nördliche Vorstadt vor dem Kreuztor in Flammen auf, ohne dass es der Bischof hindern konnte. Rudolfs Mannen hatten den Brand gelegt, aber einnehmen kann der Habsburger die Stadt nicht ohne weiteres. Angesichts des nahen Winters erschien eine Belagerung zu langwierig. Doch im darauf folgenden Frühjahr 1273 stand Rudolf wieder vor Basel und jetzt meinte er es ernst mit der Belagerung. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Bischof Heinrich würde aufgeben müssen. Der Sieg über Basel würde ein miteinander verbundenes Habsburger Territorium entstehen lassen, endlich jenes mächtige Staatswesen, das Rudolf all die Jahre angestrebt hatte, von Straßburg bis zu den Alpen reichend. Doch es kam anders.


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Königswahl

Um den 20. September 1273 erschien Burggraf Friedrich von Nürnberg (ein Hohenzollern) in Rudolfs Lager. Er brachte ihm das Angebot der Kurfürsten, das Amt des Königs zu übernehmen. Rudolf war nicht der Mann, eine solch verlockende Offerte auszuschlagen. Was für Möglichkeiten sich da auftaten, in noch größerem Maße fortzuführen, was er bisher schon erfolgreich betrieb! Mit dem Bischof von Basel schloss Rudolf einen Waffenstillstand. Herr Heinrich konnte die überraschende Wendung kaum fassen. Erleichterung, Ärger, aber auch Bewunderung für den Rivalen schwangen mit, als er ausrief: „Herr im Himmel sitze fest, sonst nimmt Dir dieser Rudolf auch noch Deinen Platz weg!“

Wäre es nach der Mehrheit der deutschen Fürsten gegangen, hätte Deutschland wohl noch eine lange Zeit ohne einen starken und rechtmäßig gewählten König auskommen müssen. Von den beiden Schattenkönigen des Interregnum war der eine, Richard von Cornwall, im Jahr 1272 gestorben, nachdem er familiärer Zwistigkeit wegen einige Zeit in den Verliesen des Londoner Towers geschmachtet hatte. Der andere, Alfons von Kastilien, war vergessen. Den Fürsten und Herren gefiel dieser Zustand der Anarchie recht gut, wo jeder tun und lassen konnte, was er wollte, solange er nicht einem Mächtigeren in die Quere kam. Für diese großen Potentaten war die kaiserlose, schreckliche Zeit gar so schrecklich nicht, sie hatten sogar Vorteile davon. Kräftig hat sich zum Beispiel Rudolf von Habsburg in jenen wilden Jahren bereichert, wobei seine Mittel, um es vorsichtig zu formulieren, nicht immer rechtens waren und schon gar nicht moralisch einwandfrei. Keine Reichsoberhaupt hatte ihn daran gehindert, die Reichsstädte Colmar und Mühlhausen in Besitz zu nehmen, niemand war ihm in den Arm gefallen, als er die savoyische Margareta gewaltsam um ihr Witwengut und seine Nachbarn an den Bettelstab brachte. Kein Richter hat ihn je zur Verantwortung gezogen, weil seine Krieger Klöster niederbrannten und Gehöfte und die Hufe ihrer Pferde die Ernte auf den Feldern niedertrampelten, so dass die Landsleute in Hunger und Elend verkamen. Die Fürsten und Herren maßen mit anderen Maßstäben. In ihren Augen war der Habsburger ein durchaus ehrenwerter Mann, da sie es doch selber, sofern sie konnten, genauso trieben.

Nach dem ruhmlosen Tod Richards von Cornwall war die Krone des Reiches verwaist. Es gab einige Fürsten, die sie sich gerne aufs Haupt gesetzt hätten, der mächtige Przemysl Ottokar zum Beispiel; der war aber den anderen zu mächtig. Vorbei wäre es gewesen mit all der schönen fürstlichen Libertät, wenn erst der Böhme mit harter Hand über ganz Deutschland regiert hätte. Dass er dies konnte, hatte er unlängst im Herzogtum Steiermark eindrucksvoll bewiesen, als er in einer energischen Aktion die Burgen der unzufriedenen Adeligen brach, einen der Aufrührer sogar hinrichten ließ und von den glimpflicher Davongekommenen Geiseln forderte, damit sie künftig seinen Anordnungen gefügiger waren. Der grausame König Ottokar (Pfeil 1) war in den Augen der Fürsten also nicht der rechte Kandidat.

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War es der Wittelsbacher Ludwig (Pfeil 2), Pfalzgraf bei Rhein? Der führte den Beinamen „der Strenge“, und trug um seinen Hals als eine Art Wahrzeichen eine prächtige Kette mit einem Herzen aus Gold daran, das von einem Dolche durchbohrt war. Das seltsame Schmuckstück diente dem Grafen nicht als Befriedigung seiner Eitelkeit, sondern sollte ihn stets an das Furchtbare gemahnen, das vor Jahren auf seiner Burg Mangoldstein in Baiern geschehen war. Rasend vor Eifersucht hatte er dort seine junge Gemahlin enthaupten lassen. Als sich zu spät deren Unschuld herausstellte, war Ludwig ein gebrochener Mann. Das Haar des noch nicht 30jährigen soll damals über Nacht ergraut sein. Er tat Buße für seine blindwütige Eifersucht und den Justizmord an seiner unschuldigen Gemahlin, und stets wollte er an seine schwere Sünde erinnert sein. Deswegen die goldene Kette. Auch ein Kloster stiftete der reuige Mann zur Sühne für seine Missetat, wofür jedoch auch seine Untertanen kräftig zu zahlen hatten, die ja auf keinen Fall mitschuldig waren am grausamen Schicksal der Maria von Brabant. Doch Ludwig war nicht nur ein Büßer, sondern auch ein Geschäftsmann von Rang. Einst hatte sich der junge Konradin die Unterstützung des Wittelsbachers durch immer neue Verpfändungen staufischen Hausguts teuer erkaufen müssen. Diese Güter am Lech und in Franken nahm Ludwig nach der Katastrophe Konradins vollends in Besitz, was ihn zwar zum reichsten weltlichen Potentaten in Deutschland machte, zu reich und mächtig jedoch für seine Mitfürsten, die ihn deshalb nicht zum König wählen mochten, wie sehr der Pfalzgraf auch nach dieser Würde strebte.

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Sogar der grimmige Karl von Anjou, Sieger über die Staufer, Herr über Neapel und Sizilien und vom Papst mit dem Ehrentitel Senator ausgezeichnet, gedachte, in die deutschen Thronwirren sich einzumischen. Als Kandidaten hatte er seinen jungen Neffen Philipp im Auge, den Sohn des frommen Königs Ludwig von Frankreich, der unlängst auf einer Kreuzfahrt vor der Stadt Tunis ums Leben gekommen war.

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Das Kaisertum, schrieb der Senator seinem Neffen nach Paris, sei für einen König von Frankreich ein erstrebenswertes Ziel sei gar nicht so schwer zu erreichen: Man müsse nur die Kirche für sich gewinnen und in paar deutsche Fürsten, die Geldmittel seien vorhanden.

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Die „paar deutschen Fürsten“, die es mit Geld für die französische Kandidatur zu gewinnen galt, waren die sieben Kurfürsten (Pfeile 1 bis 7), Inhaber der Erzämter des Reiches, drei geistliche, die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, und vier weltliche, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und der König von Böhmen, dessen Kurrecht aber strittig war. Das Kurfürstentum als Institution war noch nicht alt, es hatte sich allmählich erst in den letzten Jahrzehnten herausgebildet. Bei der Wahl des jungen Staufers 1237 in Wien war von Kurfürsten noch keine Rede gewesen, damals hatten noch alle Fürsten gemeinsam den König gewählt, ein Recht, das jetzt die Kurfürsten als „principes electores“ allein für sich in Anspruch nahmen. Rasch setzte sich diese Rechtsmeinung durch, schon 1260 hatten die Bürger der alten Krönungsstadt Aachen die Fassade ihres Rathauses mit den Statuen der sieben Kurfürsten geschmückt.

Die sieben Wähler des Jahres 1273 waren unter sich nicht eins. Sie hätten wohl noch so manchen Monat, vielleicht auch Jahre auf der Suche nach einem ihnen allen genehmen Kandidaten verstreichen lassen, wären sie nicht von anderer Stelle energisch zur Eile gemahnt worden. Der Papst selber war es, der die Deutschen aufforderte, endlich einen König zu wählen. Inhaber des Stuhles Petri war seit dem Jahr 1271 Tebald Visconti, vormals Archidiakon von Lüttich, der den Namen Gregor X. angenommen hatte, ein weitgereister, welterfahrener Mann, durch sein früheres Amt auch mit den Verhältnissen nördlich der Alpen wohl vertraut.

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Der neue Papst war von dem Gedanken beseelt, die ganze Christenheit zu vereinen für einen Kreuzzug zur Befreiung des Heiligen Landes. Wie einst Barbarossa die christliche Ritterschaft um sein Banner geschart hatte, so sollte auch jetzt ein Kaiser der neue Führer dieses gewaltigen Unternehmens sein. Deswegen das große Interesse Gregors, dass die Deutschen endlich einen König wählten, denn nur dieser konnte nach altem Herkommen die Kaiserkrone empfangen, die ihm als eine Art Oberhaupt des Abendlandes und Schutzherrn der Christenheit legitimierte. Ein Jahr lang wartete der Papst vergeblich auf die Nachricht von einer deutschen Königswahl, dann entschloss er sich zu handeln. Anfang August 1273 erging der päpstliche Appell an die Kurfürsten, endlich ihre Pflicht zu tun und dem Reich einen Herrscher zu geben. Sollten sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, dann werde er, Papst Gregor, mit seinen Kardinälen für ein geeignetes Reichsoberhaupt sorgen.

Diese Drohung wirkte Wunder. Hektisch berieten die rheinischen Kurfürsten im Spätsommer 1273, der Pfalzgraf Ludwig, Werner von Mainz und seine geistlichen Kollegen aus Köln und Trier. Einen von der Kurie ihnen aufgezwungenen Kandidaten wollten sie denn doch nicht haben. Der möglichen Bewerber waren aber nicht viele. Ottokar von Böhmen stand nicht zur Diskussion. Zwar hatte ihn Engelbert von Köln das Jahr zuvor in Prag aufgesucht, doch nicht, wie das Gerücht ging, um ihm die Krone anzutragen, sondern um zu sondieren, ob der Böhme wohl zu einer einmütigen Königswahl sein Einverständnis geben würde. Der Erzbischof war von seiner Mission mit leeren Händen heimgekommen. Eine Wahl, an der Ottokar sich beteiligte, musste ihn zum König machen, keinen anderen, sonst mochten sie sehen, wie sie ohne ihn auskamen. Anfang September musste auch der Pfalzgraf Ludwig schweren Herzens einsehen, dass für ihn sich eine Mehrheit im Kurfürstenkollegium nicht finden ließe, obwohl noch ein paar Wochen zuvor der einflussreiche Werner von Mainz ihm seine Stimme versprochen hatte. Guter Rat war jetzt teuer, denn im Hintergrund stand die Drohung des Papstes, dass er von sich aus einen König bestimmen werde. Würde er sich am Ende für den Böhmen aussprechen, der ja mit der Kurie bekanntermaßen im besten Einvernehmen stand? Ein Kompromisskandidat musste her, der sowohl dem Papst als auch den Städten genehm wäre, denn diese, Mainz und Frankfurt an der Spitze, hatten erklärt, sie würden bei zwiespältiger Wahl keinen Bewerber und überhaupt nur einen einmütig Gewählten als König anerkennen.

Es gab kam noch Männer königlichen Geblüts. In Thüringen lebte ein Enkel Friedrichs II., der Sohn der Kaisertochter Margarete, Friedrich der Freidige genannt, doch diesen Sprössling hätte die Kurie niemals als König anerkannt. Ein Stauferspross, ein Abkömmling des „Natterngezüchts“, und wäre er ein noch so entfernter Verwandter gewesen, kam für den Papst nicht in Frage.

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Ein paar Wochen lang war dann noch der Graf Siegfried von Anhalt im Gespräch, ein farbloser Mann, doch auch er fand keine allgemeine Zustimmung. Da stellte in der ersten Septemberwoche angeblich der Burggraf von Nürnberg den Namen Rudolf von Habsburg zur Diskussion. Der Habsburger war den Kurfürsten kein Unbekannter, seine Kriegstaten forderten Respekt, und Erzbischof Werner mochte sich noch an seine beschwerliche Romreise vor 13 Jahren erinnern, bei der ihm der Graf das Geleit gegeben hatte. Auch Pfalzgraf Ludwig kannte den schwäbischen Herrn von Verona her, als sie gemeinsam im Heere Konradins gedient hatten. Dann war es aber einer unbekannten Sache wegen zu einer Verstimmung zwischen den beiden Herren gekommen, doch der Pfalzgraf erklärte sich bereit, diesen Streit zu begraben. Es sprachen einige Gründe für die Wahl des Habsburgers. Vor allem war er, wenngleich keineswegs arm, doch längst nicht so mächtig wie der Böhmenkönig, so dass er die fürstliche Libertät kaum würde gefährden können. Außerdem war er, obwohl robust und von guter Gesundheit, doch schon ein Mann von 55 Jahren, ein Alter, dass damals viele gar nicht erreichten. Wählte man einen Jüngeren zum König, würde man mehrere Jahrzehnte mit ihm auskommen müssen. Es war nicht abzusehen, dass Rudolf fast zwei Jahrzehnte Zeit haben würde, um seine Herrschaft zu konsolidieren. Eine Kompromisslösung also war Rudolf von Habsburg, ein Übergangskandidat, der jetzt einmal ein paar Jahre unter der Aufsicht der Kurfürsten sein Glück versuchen sollte.

Der Burggraf von Nürnberg wurde zu Rudolf gesandt, um ihm die überraschende Botschaft der Kurfürsten zu überbringen: „Die Wahlfürsten tun Euch kund: wenn Ihr Eure Töchter diesen und jenen Herren vermählen wollt, so werden sie Euch zum König der Römer wählen.“ Rudolf antwortete: „Dies und alles andere werde ich erfüllen.“ Da zeigte der Bote allen den Bestätigungsbrief, und alle brachen in Jubel aus und riefen: „Lang lebe der König!“

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Selbst in diesem feierlichen Augenblick handelte der Habsburger rasch und umsichtig: Abschluss eines Waffenstillstands mit dem Bischof von Basel, Verkünden einer Amnestie, die auch den Gefangenen die Freiheit brachte, die schon gut ein Jahrzehnt in habsburgischen Verliesen schmachteten; Zustimmung zur Verlobung seiner Töchter mit dem Pfalzgrafen und dem Herzog von Sachsen, eine Bedingung, die ihm die Kurfürsten gestellt hatten, um ihn leichter lenken zu können. Es musste ja einer König werden, der ihnen das in den letzten Jahrzehnten erworbene Reichsgut, für dessen Besitz sie kaum gültige Rechtstitel hätten vorweisen können, nicht wieder streitig machte. Den mächtigen Böhmen im Südosten, der durch seine geballte Übermacht ihre Interessen bedrohte, sollte der neue König in die Schranken weisen, die Kurfürsten aber in Ruhe lassen, und als königliche Schwiegersöhne würden sie in dieser Beziehung nichts zu fürchten haben.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde, dass der Graf von Habsburg zum König bestimmt sei. Städte, die ihm zuvor feindlich waren, Rheinfelden, Neuenburg, Breisach, öffneten ihm die Tore, selbst Basel, das so sehr unter seinen kriegerischen Unternehmungen gelitten hatte, bereitete ihm einen ehrenvollen Empfang. Die Reise den Rhein hinab zum Wahlort Frankfurt gestaltete sich zum Triumphzug. Der hagere, asketische Mann aus Schwaben verkörperte mit einem Male die Sehnsucht Tausender nach Frieden und einem geordneten Zusammenleben, die Hoffnung auf ein Ende der kaiserlosen, schrecklichen Zeit. Dass er selber kräftig dazu beigetragen hatte, dass diese Zeit so schrecklich war, spielte jetzt keine Rolle mehr. Am Michaelstag, dem 29. September 1273, hielten die Kurfürsten mit großem Pomp Einzug, am prächtigsten der Erzbischof von Trier, sein Gefolge wurde auf 1800 Ritter und Knappen geschätzt. Es war auch ein Gesandter des Böhmenkönigs erschienen, der Bischof von Bamberg, er erhob Einspruch gegen die bevorstehende Wahl.

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Da aber Einstimmigkeit sein sollte und die geheiligte Siebenzahl des Kollegiums nicht angetastet werden durfte, zog man den Herzog Heinrich von Niederbaiern hinzu, der auch bei der Wahl Richards von Cornwall anno 1257 mitgestimmt hatte. Der Herzog aber war nicht in persona anwesend, sein Bruder, der Pfalzgraf, übte das Stimmrecht für ihn aus und gab deshalb gleich zwei Stimmen ab, ein Verfahren, das man schon von früheren Königswahlen her kannte.

Auf die Kunde des Burggrafen von Nürnberg, Rudolf harre im nahen Dieburg der Wahl, schritten die Kurfürsten am Sonntag, den 1. Oktober 1273, zur feierlichen Handlung. Einstimmig gaben sie ihr Votum für den Grafen von Habsburg ab und einigten sich dann auf den Pfalzgrafen Ludwig, damit er in aller Namen die Wahl vollziehe. Der Pfalzgraf erhob sich und sprach: „Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit mit Willen aller Kurfürsten verkünde und wähle ich den Grafen Rudolf von Habsburg zum römischen König.“ Am folgenden Tag hielt der Erwählte feierlich Einzug in der Stadt Frankfurt und nahm die Huldigung der Fürsten und des Volkes entgegen. Der Erzbischof von Mainz las ein festliches Hochamt im Münster, daran sollte sich die Belehnung der Kurfürsten anschließen. Da gewahrte man zur allgemeinen Bestürzung, dass auf ein Zepter vergessen worden war, ein übles Vorzeichen, denn eine Belehnung ohne Zepter war nach den Rechtsanschauungen der Zeit ungültig. Doch der neue König war um einen Ausweg nicht verlegen: „Dieses Zeichen“, rief er, „durch welches wir und die ganze Welt erlöst worden, soll unser Zepter sein!“ Und unter tosendem Beifall der Umstehenden nahm er die Belehnungszeremonie vor. Dann sprach der König zum erwartungsvoll lauschenden Volk: „Heute will ich all denen jegliche Schuld nachsehen, die mir geschadet haben; alle Gefangenen sollen frei sein, die in meinen Kerkern schmachten, und ich gelobe, von nun an ein Schirmer des Landfriedens zu sein, wie ich bisher ein unersättlicher Kriegsmann gewesen.“

Am Dienstag,dem 24. Oktober 1273, fand in Aachen die feierliche Krönung statt, der Höhepunkt seines Lebens. Der Erzbischof von Köln salbte ihn und setzte ihm die Bügelkrone aufs Haupt, die vor ihm so viele bedeutende Herrscher des Reichs getragen hatten. Jetzt fühlte er sich ihnen zugehörig. Er, der Graf aus Schwaben, war jetzt der legitime Nachfolger eines Barbarossa, eines Friedrich II., dem er selber einst treu gedient hatte. An Friedrich II. wollte er anknüpfen, der Institution des Königtums wieder zu Glanz und Ansehen verhelfen, die es einst unter diesen Herrschern gehabt. Über dem Münster stand während der Krönung eine Wolke in Kreuzesform, und spontan gelobte Rudolf, das Kreuz zu nehmen, bei aller Emotion dieses Tages ein wohlberechneter Schachzug. Einem Kreuzfahrer würde der Papst die Anerkennung schwerlich verweigern können.

Nur das Königsmahl musste leider um einen Tag verschoben werden, weil die Erzbischöfe von Köln und Mainz sich nicht einigen konnten, wem der beste Platz an des Königs Seite gebührte. Auf inständiges Zureden Rudolfs gab der besonnenere Werner von Mainz schließlich nach und begnügte sich mit dem Stuhl neben der Königin, nicht ohne sich aber feierlich verbriefen zu lassen, dass dieses einmalige Nachgeben seinen und seiner Kirche Rechten keinerlei Abbruch tun sollte. So walteten denn um einen Tag verspätet die Kurfürsten nach altem Brauch ihrer Ämter als Truchsess, Kämmerer und Marschall. Das Schenkamt aber, das dem König von Böhmen zugekommen wäre, übte aushilfsweise der Schenke des Erzbischofs von Köln, ein Wermutstropfen in der allgemeinen Festfreude, denn augenfällig wurde Rudolf daran erinnert, dass sein Königtum keineswegs nur begeisterte Zustimmung hervorrufen würde, sondern auch erbitterte Feindschaft.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 20. November 2017 21:06

Marsch auf Wien

Sie hatten nicht viel gemeinsam, der strahlende, stolze König Ottokar, und der Emporkömmling aus Schwaben, den die Kurfürsten mangels eines geeigneteren Kandidaten zum König gemacht hatten. Nicht einmal Reichsfürst war Rudolf von Habsburg gewesen, ehe er die Stufen zum Königsthron erklomm. Zuvor dürfte der Böhmenkönig von Rudolf vor dessen Königswahl keine Notiz genommen haben, eilends erkundigte er sich, was für ein Mann „der schwäbische Graf“ denn sei, denn in seiner Gegenwart durfte niemand einen König nennen. Ein Gemisch von Hochmut und Hass waren die Gefühle, die der Przemyslide dem Habsburger entgegenbrachte, dem armen Grafen, wie er ihn geringschätzig zu nennen beliebte, den der Bettelsack drückte. In diesem Sinne schrieb Ottokar an den Papst Gregor, klug die Wunschträume des Heiligen Vaters für seine Zwecke nutzend. Wie sollte dieser schäbige kleine Adelige der Führer des Abendlandes gegen die Ungläubigen werden, der kein Geld hatte, keine Verbindungen, der alles in allem unwürdig war für dieses hohe Amt. Wieder so ein Schattenkönig, wie man sie schon genug kannte seit Wilhelm von Holland, Richard von Cornwall und Alfons von Kastilien? Er, Ottokar, würde einen Kreuzzug unternehmen ins Heilige Land, wenn ihm der Papst für sechs Jahre den Besitz seiner Länder garantieren könne.

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Der Papst zögerte in der Tat sehr lange, Rudolf von Habsburg anzuerkennen. Unermüdlich arbeitete Rudolfs Vertrauter Heinrich von Isny daran, seinen Herrn ins rechte Licht zu rücken. Das tat er mit seinem souverän diplomatischen Auftreten gegenüber Papst und Kardinälen, und wohl auch mit Handsalbe. Ein übriges taten die unterwürfigen Briefe, die Heinrich im Namen seines Herrn überbrachte. Dem Papst gefielen solche demütigen Zeilen, sie klangen ganz anders als zu Zeiten Friedrichs II. Wenn sich Gregor die Sache genau überlegte, konnte Rudolf von Habsburg doch der rechte Mann sein. Natürlich ließ sich der Papst von Rudolf zusätzlich schwören, die Kirche nie in ihren Interessen zu schädigen und vor allem niemals die von den Päpsten so gefürchtete Vereinigung Siziliens mit dem Reich anzustreben. Der Habsburger leistete diesen Eid leichten Herzens, erkannte er damit doch nur das an, was eh längst Realität war. Fürsten und Päpste hatten fast ein Menschenalter lang Zeit gehabt, die Macht des Königtums zu untergraben. Die universale Politik, die einst die Staufer betrieben hatten, konnte sich ihr Nachfolger nicht mehr leisten. Wie sollte einer, der bei der kleinsten Amtshandlung von der Zustimmung der Kurfürsten abhängig war, nach der Eroberung Siziliens streben? Rudolf verzichtete auf die alten Reichsrechte in Italien, sie durchzusetzen lag sowieso außerhalb des für ihn Möglichen.

Nachdem Ottokar nicht bei der Belehnungszeremonie erschienen war, wartete Rudolf die Frist von einem Jahr ab, die dem Böhmenkönig zum Empfang seiner Lehen offenstand. Dann schritt er zur Tat: Einberufung eines Reichstages nach Nürnberg für den Martinstag, den 11. November 1274, Erscheinen des Königs mit starker bewaffneter Macht, denn man musste einen Anschlag Ottokars aus dem nahen Böhmen fürchten. Es folgte die feierliche Frage Rudolfs an die versammelten Fürsten, wer Richter sein solle, wenn der römische König wider einen Reichsfürsten eine Klage vorzubringen habe. Die Versammlung antwortete, dass dieses Recht nach altem Herkommen dem Pfalzgrafen bei Rhein zustehe. Und so wurde ein Tribunal gebildet, bei dem Rudolf vor dem Vorsitzenden Pfalzgraf Ludwig als Kläger gegen Ottokar von Böhmen auftreten konnte. Im Ergebnis wurde Ottokar der Verlust aller Reichslehen angedroht, wenn er sich nicht am 23. Januar des nächsten Jahres in Würzburg vor dem Gericht einfinden würde. Mit Ottokars Erscheinen rechnete natürlich niemand ernsthaft.

Die für Rudolf recht erfolgreiche Versammlung zu Nürnberg klang aus mit einer prächtigen Hochzeitsfeier. Des Königs ältester Sohn Albrecht heiratete Elisabeth von Görz-Tirol, eine hochpolitische Verbindung. Das Mädchen, das man dem 20jährigen Albrecht ins Bett legte, mochte kaum zwölf Jahre gezählt haben. Das vorgeschriebene Beilager dürfte sich also in einer symbolischen Handlung beschränkt haben, in der der Bräutigam in voller Rüstung sich neben seine künftige Ehefrau legte und ihre Schenkel flüchtig berührte. Damit galt die Ehe als vollzogen.

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Wie auch immer, entscheidend war der politische Wert dieser Verbindung mit Graf Meinhard von Görz. Der war der südwestliche Nachbar Ottokars, seine Gebiete grenzten an das Herzogtum Kärnten, das der Böhme besetzt hielt und sich nicht darum kümmerte, dass Rudolf das Land längst dem schwachen Philipp von Sponheim verliehen hatte. Ottokar war sicherlich alarmiert von diesem Bündnis, war sich seiner eigenen Stärke aber bewusst und fühlte sich der Koalition seiner Gegner überlegen. Die Ladung für den 23. Januar 1274 nach Würzburg ignorierte er. Sein Standpunkt war sogar verständlich: Wo waren der König, wo das Reich gewesen, als er Österreich und die Steiermark gegen die grausamen Überfälle der Magyaren verteidigt hatte? Als gleichsam herrenloses Gut hatte Ottokar einst die Länder in Besitz genommen und dort Ordnung geschaffen. Sein böhmisches Reich war seine eigene Schöpfung, die er sich von dem Habsburger nicht zerschlagen lassen wollte. Wie Rudolf hatte Ottokar immer lieber auf die Macht als auf das Recht vertraut - und damit auch recht behalten.

Ottokar erschien der Schattenkönig Alfons von Kastilien als nützliche Schachfigur gegen Rudolf. Er bestärkte Alfons in seiner Haltung, der rechtmäßige König des Reiches zu sein und ermunterte ihn, mit einem Heer in Oberitalien zu landen. Vergeblich forderte der Papst daraufhin Rudolf auf, seinerseits Truppen über die Alpen zu schicken, um Alfons in die Schranken zu weisen. Der Habsburger antwortete mit der Bitte um ein Darlehen. Es war letztlich das Werk Gregors, Alfons auf diplomatischem Wege von der Aussichtslosigkeit seines Thronanspruchs zu überzeugen, der kastilische König zog sein Heer schließlich ergebnislos aus Italien zurück und kehrte in seine Heimat zurück. Nach diesem Eingreifen des Papstes erst leisteten die oberitalienischen Städte Rudolf den Huldigungseid. Mehr als eine formelle Anerkennung war das nicht. Es war jedoch zumindest die Grundlage für Rudolfs Plan, nach Rom zu ziehen und die Kaiserkrone zu empfangen.

Ein Treffen mit dem Papst in Lausanne (Oktober 1275) ließ den Habsburger hoffen, dass die Kaiserkrönung bald stattfinden könnte. Rudolf leistete dem Papst artig alle gewünschten Zusagen – all jene, die frühere Herrscher wie Barbarossa und Friedrich II. sich stets gesträubt hatte, sie abzugeben – und bekam von Gregor sogar ein Darlehen von 12.000 Mark, um den Zug nach Rom unternehmen zu können. Aber selbst das reichte für den König angesichts seiner klammen Kassen nicht. Außerdem gab es in Süddeutschland einige Probleme unter den Fürsten, die Rudolfs Präsenz ratsam erschienen ließen. Schweren Herzens musste Rudolf seinen Plan mit Rom verschieben. Es sollte ein Vertagen auf längere Zeit werden, denn am 10. Januar 1276 starb Gregor X. plötzlich. Aus war es mit Gregors Kreuzzug- und Rudolfs Kaiserplänen. Das Heilige Land sollte nicht mehr zurückerobert werden, die letzten Bastionen der Kreuzritter sollten zwanzig Jahre später in die Hand der Muslime fallen. Der Nachfolger auf dem Heiligen Stuhl wurde Innozenz V., ein Mann der französischen Partei an der Kurie und Freund des mächtigen Karl von Anjou (der kein Interesse an einem starken Kaiser hatte, der ihm Sizilien streitig machen könnte). Daher befahl der neue Papst dem Habsburger, keinesfalls nach Rom zu kommen, bevor nicht der Status Siziliens und der von der Kirche beanspruchten Romagna geklärt seien. Für Rudolf von Habsburg war jetzt klar, dass er sich besser erst einmal um das Problem mit Ottokar von Böhmen kümmern sollte.

Die Situation im Südosten des Reiches war insofern günstig für Rudolf, weil die meisten dortigen Adeligen unter der strengen Herrschaft Ottokars stöhnten. In Österreich und Steiermark hatte der Böhme kaum Rückhalt unter den Fürsten, war bei den Bürgern jedoch sehr beliebt. Rücksichtslos hatte der Przemyslide nämlich die widerrechtlich errichteten Burgen des Adels gebrochen, die Anführer der Raubnester eingekerkert oder hingerichtet. Für die Bürger war das eine Befreiung, fleißige und gehorsame Kaufleute und Handwerker konnten zufrieden sein mit Ottokars strengem Regiment. Rudolf von Habsburg ging den streng legalen Weg, um Ottokar möglichst ins Abseits zu stellen. Eine letzte Ladung für den Mai 1275 scheiterte, es gab keine Einigung mit dem arrogant auftretenden Gesandten Ottokars. Endlich konnte Rudolf gegen Ottokar den ersehnten Beschluss fällen lassen: Ottokar wurden wegen nachgewiesenem Ungehorsam und unterlassener Lehensnahme seine Reichslehen Böhmen und Mähren samt Kurwürde aberkannt, dazu Österreich, Steiermark, Kärnten, Krain, die Windische Mark und das Egerland als dem Reiche heimgefallenes und entfremdetes Gut.

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Die Kurwürde verlieh Rudolf sogleich dem niederbairischen Herzog Heinrich, ein kluger Zug. Denn der Wittelsbacher hatte zuvor Ottokars Partei zugeneigt. Mit Geld hatte der Habsburger ihn nicht locken können, doch angesichts der verlockenden Kurwürde wechselte Herzog Heinrich die Seiten. Mit diesem Schritt verprellte Rudolf zwar den Pfalzgrafen Ludwig, der seinem verhassten Bruder Heinrich den Erfolg nicht gönnte, aber Rudolf schätzte korrekt ein, dass er den vorläufigen Unmut seines Schwiegersohns in Kauf nehmen konnte. Ottokar wurden den Beschluss der Reichsversammlung im Juni 1275 in Wien übergeben. Natürlich wies der ihn brüsk zurück, wie sollte er auch seiner eigenen Entmachtung zustimmen. Es war klar, dass das Schwert nun entscheiden musste.

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Nahe beieinander lagen zu Rudolfs Zeiten Freude und Leid, Glück und Unglück, Geburt und Tod. Am Valentinstag, dem 14. Februar 1276, gebar Königin Anna ihr zehntes Kind, einen Sohn, der auf den Namen Karl getauft wurde. Nie zuvor hatte ein Habsburger diesen stolzen Namen getragen, der an die glorreichen Zeiten des fränkischen Reiches erinnerte. Die Hoffnungen, die Rudolf in den Jungen gesetzt haben mochte, erfüllten sich aber nicht. Das Kind starb schon nach wenigen Wochen. Ein Monument aus rotem Sandstein bezeichnet noch heute die Stelle im Münster von Basel, wo der erste Purpurgeborene habsburgischen Geblüts seine letzte Ruhestätte fand. Werfen wir bei dieser Gelegenheit einen Blick auf Rudolfs Nachkommen, wie sie sich 1276 darstellen:

Rudolf I. (*1218) oo Gertrud, genannt Anna (*1225)
1. Mathilde (*1253) – wurde verheiratet mit dem Kurfürst Ludwig II. von der Pfalz (*1229)
2. Albrecht (*1255) – wurde verheiratet mit Elisabeth von Görz (*1262)
3. Katharina (*1256) – wurde verheiratet mit Herzog Otto III. von Niederbaiern (*1261)
4. Gertrud (*1257) – wurde verheiratet mit Herzog Albrecht II. von Sachsen (*1250)
5. Heilwig (*1259) – wurde verheiratet mit Markgraf Otto IV. von Brandenburg (*1238)
6. Klementia (*1262) – wurde verheiratet mit Charles Martell von Ungarn (*1271)
7. Hartmann (*1263) – ledig
8. Rudolf (*1270) – ledig
9. Guta (*1271) – ledig
10. Karl (*1276) – 1276 gestorben

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Wer in einer Partie den Aufstieg der Habsburger nachspielen möchte, mit diesen Ehen ging Rudolf die entsprechenden Bündnisse ein bzw. erhoffte sie sich.

Bei der Beisetzung seines Sohnes Karl war der König nicht persönlich zugegen. Er versuchte zu dieser Zeit, eine Allianz gegen Ottokar zu schmieden. Dazu musste er im Streit zwischen den Wittelsbacher Brüdern vermitteln, schickte einen Boten nach Ungarn, um dort den König Ladislaus daran zu erinnern, dass Ottokar ihr gemeinsamer Feind sei. Dem Habsburger schwebte vor, gemeinsam mit den Ungarn das gegnerische Böhmen in die Zange zu nehmen, und er bot Ladislaus die Wiederherstellung der früheren ungarischen Grenzen. Was Rudolf offenbar nicht wusste: Der junge Ladislaus war ein Spielball der Adelscliquen, die ihn für ihre eigenen Zwecke missbrauchten. Der Kumane, wie Ladislaus genannt wurde, Sohn einer heidnischen Mutter, war ein wankelmütiger König, der ein Jahr zuvor noch Ottokar Treue geschworen hatte. Doch Rudolf hatte das Glück, dass am ungarischen Hof inzwischen der Schatzmeister Joachim der starke Mann im Hintergrund war – und der war ein eingefleischter Gegner des Böhmen. Ungarn würde bei einem Angriff dabei sein. Der wankelmütige Kumane war vielleicht nicht die erste Wahl, wenn es um einen Bündnispartner ging, doch Rudolf konnte sich seine Freunde nicht aussuchen. Norddeutschland hielt sich ganz aus dem Streit im Süden heraus, auch Erzbischof Siegfried von Köln zog es vor - trotz der zuvor erwiesenen Aufmerksamkeiten von Seiten des Königs – zu Hause zu bleiben.

Energisch aber entledigte er sich seiner Gegner im Rücken. Im Frühjahr 1276 erhob sich der Markgraf von Baden, vermutlich durch böhmische Bestechungsgelder verlockt. Einen Monat lang hatte Rudolf hart zu kämpfen, um den Aufrührer zur Räson zu bringen. Er bricht auch den Trotz der Städte Friedberg, Frankfurt und Oppenheim. Die Friedensbedingungen waren insofern milde, als dass der König von den Empörern lediglich Geld erwartete. Das brauchte er dringend. Nach seiner eigenen Aussage brauchte der König keinen Schatzmeister, habe er doch keinen Schatz und kein Geld als nur fünf schlechte Schillinge. Den Reichskrieg gegen Ottokar trieb Rudolf dennoch unbeirrt voran. Ottokar beschränkte sich zu dieser Zeit darauf, möglichst alle Boten abzufangen, die in seinen Ländern von seiner Ächtung Kunde tun wollten. Die Böhmen und Österreicher sollten davon nichts erfahren, immerhin waren die österreichischen Adeligen Ottokar überdrüssig und würden auf dumme Gedanken kommen. Die heimlichen Sendboten Rudolfs baumelten bald als Gehenkte an den Stadttoren, sofern Ottokar ihnen habhaft wurde.

Man konnte nicht sagen, dass Rudolf eine gewaltige Streitmacht versammeln konnte. Die Anzahl seiner Männer war geringer als die des Böhmen, dafür konnte Rudolf etwa 2.000 verdeckte Rosse, schwere Kavallerie, aufbieten. Und die galt als schlachtentscheidend. Am 1. September 1276 erhob sich Rudolfs versammeltes Heer von Nürnberg aus. Doch nicht nach Nordosten gen Eger, sondern nach Süden, der Donau entgegen, ging der Zug. Überraschend für Freund und Feind hatte der Habsburger den mit seinen Verbündeten besprochenen Angriffsplan in letzter Minute umgestoßen. Nicht nach Böhmen, in die Höhle des Löwen, marschierte er, sondern nach Österreich, um dort den Adel als Befreier auf seine Seite zu ziehen. Das Eintreffen von Rudolfs Heer in Regensburg tat dann noch sein Übriges, dass der Herzog Heinrich von Niederbaiern - angesichts der Militärmacht vor seinen Toren - seine Sympathien für Ottokar rasch vergaß und sich auf Rudolfs Seite schlug. Zur Untermauerung seiner Treue erhielt Heinrich bei dieser Gelegenheit Rudolfs Tochter Katharina an die Hand. Ob seine Tochter das wollte, dürfte Rudolf kaum Kopfzerbrechen bereitet haben. Eher schon die 40.000 Mark Mitgift, die der geschäftstüchtige Baier nun fordern konnte. Das wichtigste kurzfristige Ziel war aber erreicht, Herzog Heinrich räumte freiwillig seine Donausperren, die bei Straubing und Passau den Kriegsschiffen im Weg gewesen waren.

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In Passau angelangt, geriet der Heerzug jedoch noch einmal ins Stocken. Herzog Heinrich hatte sich mittlerweile ein Bild machen können von den leeren Kassen, den desolaten Finanzen des Habsburgers. Er bangte um die 40.000 Mark Mitgift und verlangte vom König, Oberösterreich als Pfand übereignet zu bekommen. Rudolf war in der Zweckmühle, konnte aber nicht auf die Hilfe des Wittelsbachers verzichten. Die Zeit würde zeigen, was aus dieser Geschichte werden würde, erst einmal musste Österreich ja erobert werden! In Passau gab es auch gute Neuigkeiten für den König, Verstärkungen aus Salzburg stießen zum Heer hinzu und aus Kärnten und Steiermark erhielt Rudolf Kunde von einem Aufstand des Adels gegen Ottokar. Dort war im August 1276 des Königs Freund Graf Meinhard von Görz (dessen Tochter mit Rudolfs ältesten Sohn Albrecht verheiratet war) in Kärnten und Krain einmarschiert und auf nur wenigen Widerstand gestoßen. Der Adel von Steiermark nutzte die Gunst der Stunde und schlug seinerseits gegen Ottokars Herrschaft los. Es waren die Städte, wie Graz und Judenburg, die zu Ottokar hielten und ihre Tore vor seinen Gegnern schlossen. Doch sie fielen – Steiermark, Kärnten und Krain waren auf einen Streich für Böhmen verloren gegangen.

Hilflos musste Ottokar von seinem Lager bei Tepl aus zusehen, wie sein Reich auseinanderfiel. Sein fester Stützpunkt, von dem aus er Rudolf in der Flanke zu fassen gedachte, war nun nutzlos geworden. Er musste sich nach Süden wenden, dem Habsburger den Weg nach Österreich abschneiden, bevor auch dort der Adel rebellieren würde. Jetzt machte sich Rudolfs ungehinderte Donaufahrt bezahlt, sein Heer erreichte am 6. Oktober 1276 Linz, nur einen Tag, bevor Ottokar es hätte erreichen können. Für Ottokar war guter Rat teuer. Sollte er die Donau forcieren, den Übergang erzwingen, obwohl die Flottille des Gegners den Fluss beherrschte? Oder sollte er versuchen, der ungünstigen Schlacht auszuweichen und die Entscheidung anderswo suchen? Ottokar entschloss sich für letzteres, er wollte nach Wien ziehen, wo ihm die Bürger wohlgesonnen waren und die Stadtmauern eine starke Verteidigung. Dort sollte die Entscheidung fallen.

Um Wien zu erreichen, musste Ottokars Heer einen großen Umweg nehmen, weil der direkte Weg von Rudolfs Streitmacht bereits versperrt war. Er musste durch die dichten Wälder Südböhmens und das Marchfeld ziehen, während die Reichstruppen auf Straßen Richtung Österreich weitermarschieren konnten. Im Weg stand Rudolf aber ein gewaltiges Hindernis, kurz vor Wien stand die Stadt Klosterneuburg, mit einer auf einem Hügel thronenden Festung. Rudolf konnte sie nicht umgehen und griff zu einer List. Eine kleine Reiterschar des Pfalzgrafen Ludwig gab sich als Vorhut des mit Böhmen verbündeten Bischofs Bruno von Olmütz aus und erlangte freien Zutritt in die Burg. Augenblicklich überwältigten sie die verdutzten Wächter und öffneten der Hauptmacht des Pfalzgrafen die Tore. Klosterneuburg, der Schlüssel Wiens, war in den Händen Rudolfs! Wien selbst lag schon in Sichtweite des Reichsheeres.

Rasch bereitete sich Wien auf die Belagerung vor, und die Stadt war gut gerüstet zur Verteidigung. Den Wienern war es ja gut gegangen unter Ottokar und sie hatten keinen Grund, eine Änderung der Regierung herbeizuwünschen. Nicht mehr lange, dann würde das böhmische Heer eintreffen und sie entsetzen. Rudolf von Habsburg wusste keinen Rat, wie er die widerspenstige Stadt bezwingen sollte. Seine Streitkräfte reichten nicht einmal aus, um Wien vollständig einzuschließen und wirkungsvoll vom Nachschub abzuschneiden. So kurz vor dem Winter war eine Belagerung bis zum Aushungern der Stadt aussichtslos. Es zeugte von Rudolfs Ratlosigkeit, dass er die Verwüstung des Wiener Umlands befahl, was nur die Versorgungslage seiner eigenen Truppen verschlechterte.

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Ein Monat verging ereignislos, Ottokar ließ auf sich warten. Der Böhme lagerte auf der weiten Ebene des Marchfeldes, keinen halben Tagesmarsch entfernt von Wien, und half nicht, konnte nicht helfen. Sein Heer war in Auflösung begriffen, seine Soldaten desertierten zur Gegenseite oder kehrten schlicht heim. Verrat ging um in Ottokars Lager, das mächtige böhmische Geschlecht der Witigonen nahm geheime Verhandlungen mit Rudolf auf. Die Witigonen waren alte Rivalen der Przemysliden, ihr Anführer war Zawisch von Falkenstein, ein Mann mit einem hohem Intrige-Wert.

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Zawisch sah die Chance gekommen, sich selber auf den böhmischen Königsthron zu schwingen und trat in Südböhmen, im Rücken von Ottokars Heer, einen Aufstand los. Und dann traten auch noch die Ungarn auf den Plan – sie kamen, wenn auch spät. Der Krieg zwischen Ottokar und Rudolf hatte sich in eine Pattsituation festgefahren: Der Böhme war stärker, der Habsburger hatte die taktisch günstigere Position einnehmen können.

Wo Waffen keine Entscheidung zu bringen vermochten, eröffnete sich ein Spielraum für Verhandlungen, mochten die beiden Gegner einander noch so hassen. Boten wechselten zwischen den beiden Lagern, um die Bedingungen eines Waffenstillstands zu sondieren. Auch in der Umgebung des deutschen Königs machte sich Kriegsmüdigkeit breit: Die Fürsten hatten an einer totalen Niederlage Ottokars kein Interesse, das hätte nur den Habsburger gefährlich stark werden lassen. Am 21. November 1276 war der Waffenstillstand zu Papier gebracht – recht zügig, alle wollten nach Hause. Stark vereinfacht lautete er so: Ottokar verzichtete auf Österreich, Steiermark, Kärnten und Krain, auf die Reichsstadt Eger und Pordenone in Italien. Dafür erhielt er vom König die Belehnung mit Böhmen und Mähren. De facto behielt Ottokar auch die Kontrolle über Niederösterreich, nur die reiche Doppelstadt Krems/Stein blieb als Brückenkopf und ergiebige Einnahmequelle in Rudolfs Händen. Eine Wechselheirat wurde vereinbart zwischen einer Tochter Rudolfs und Ottokars Sohn Wenzel, umgekehrt sollte des Habsburgers Sohn Hartmann die Tochter des Böhmen, Kunigunde, heiraten. Der Name der Habsburgertochter war in dem Vertragstext ausgelassen, diese Nebensächlichkeit war noch zu klären. Und Ungarn erhielt seinen Teil zurück, jene Ländereien, die ihnen Ottokar abgenommen hatte.

Am 25. November 1276 tat der Böhmenkönig seinen wohl schwersten Gang. Angetan mit kostbaren Gewändern und prunkvollem Schmuck, erschien er vertragsgemäß in Rudolfs Lager, um dort den König um Verzeihung zu bitten und seine Reichslehen zu empfangen. Der Habsburger empfing Ottokar in betont schlichter Kleidung, nämlich jenem grauen Wams, den er alltäglich zu tragen pflegte. „Wie oft“, sagte Rudolf zu seinem Gefolge, „hat der Böhme mein graues Wams verspottet, nun wird dieses graue Wams ihn verspotten.“

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Am nächsten Tag trennten sich ihre Wege wieder. Beide waren sie entschlossen, den Waffenstillstand bei nächster Gelegenheit zu ihren Gunsten zu revidieren. Der Geschlagene zog an Wien vorbei heimwärts nach Böhmen, um sich den abtrünnigen Zawisch vorzuknöpfen. Ottokar durfte bei seiner Abreise den Wienern nicht einmal Dank sagen für die erwiesene Treue. Es war der Sieger, der Einzug hielt in Wien, das ihm mehr als einen Monat widerstanden hatte.

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Dass die Wiener dem Habsburger feindselig gegenüberstanden, kümmerte Rudolf nicht. Mit der Feindschaft der Städte hatte er in den letzten Jahren zu leben gelernt. Für ihn zählte der Erfolg, und der war in der Tat überwältigend. Die Hauptstadt Österreichs war sein, dazu noch der größere Teil des Herzogtums und Steiermark, Kärnten und Krain. Der Erzfeind war aus dem Felde geschlagen, sein Reich zerstört und dies in einem Feldzug, der nur vier Monate gedauert und kaum Blutopfer gefordert hatte.


Der Zweikampf

Der brüchige Frieden hatte ungefähr ein Jahr lang Bestand. In dieser Zeit war Rudolf damit beschäftigt, sein Österreich zu konsolidieren, 1277 tobte nach einer Missernte eine Hungersnot in dem Land, die anti-schwäbische Ressentiments entzündete. Okay, es waren nicht alleine Hunger, erhöhte Steuerlasten und allgemeiner Unmut über die Fremdherrschaft, die die Wiener erzürnten. Der fromme Rudolf hatte auch noch angeordnet, die Hübschlerinnen (Prostituierte) als Verfemte einzustufen. Die Damen mussten fortan nicht nur eine Steuer bezahlen, sie mussten sich Sonntags und während der gesamten 40tägigen Fastenzeit vor Ostern aus der Stadt entfernen. Da ging so manchen lebenslustigen Wiener Handwerksburschen die Galle über!

Und Ottokar führte in Böhmen Krieg gegen Zawisch und sein Haus der Witigonen, um die volle Kontrolle über sein Königreich zurückzuerlangen. Konkreten Ärger zwischen den beiden Königen gab es wegen dieser Familie ab Herbst 1277, weil Ottokar dem Habsburger vorwarf, diesen innenpolitischen Gegner zu unterstützen. Darauf hatte Rudolf geantwortet, dass es gemäß des Waffenstillstands sein Recht sei, „seine Diener“ zu unterstützen: Die Witigonen unter Zawisch seien in dem Wiener Frieden nicht eingeschlossen gewesen, denn sie seien Landangehörige und ihm durch den Lehnseid verpflichtet. Damit revanchierte Rudolf sich offenbar für die Interventionen Ottokars zugunsten einiger österreichischer Adeliger, die dem Habsburger nicht folgsam genug entgegentraten. Das war aber etwas anderes als die Gewalt, die die Witigonen in Böhmen gegen Ottokars Besitz an den Tag legten. Über diese Feinheit des Waffenstillstands, wer denn nun mehr wessen Gefolgsmann sei - ließ sich vortrefflich streiten. Formal war Rudolf wohl im Recht, doch er überspannte den Bogen: Ottokar brach nach dieser Antwort nämlich die Verhandlungen mit dem König ab.

Im November 1277 verhandelte der Habsburger mit dem ungarischen König Ladislaus über ein neues Bündnis, er brauchte wieder eine Koalition gegen den Böhmen. Damit kam er Ottokar zuvor, der seinerseits diplomatische Fühler zu dem Kumanen ausgestreckt hatte. Der Böhme musste sich andere Freunde suchen. Zum einen spielte er bei den slawischen Nachbarn die antideutsche Karte aus und appellierte an ihre Solidarität. Zum anderen schmierte er den niederbairischen Herzog Heinrich von Wittelsbach, der ja schon 1276 in seiner Parteinahme schwankend gewesen war. Heinrichs Haltung zeigte sich, als er den aus Österreich geflohenen Ritter und Handelsherr Paltram bei sich Schutz gewährte, nachdem er wegen eines aufgeflogenen Umsturzplanes vor Rudolfs Häschern hatte fliehen müssen (Rudolf rächte sich an Herzog Heinrich, indem er sich 1279 das 1276 an Heinrich verpfändete Oberösterreich unter Androhung von Waffengewalt zurückholte). Nicht alleine Heinrich, auch andere deutsche Fürsten hatten kein Interesse an einer neuerlichen Niederlage Ottokars und ein Ausgreifen der Habsburger Macht bis nach Prag. Durch den Frieden von 1276 war ein Machtgleichgewicht entstanden, das die Fürsten so beibehalten wollten. Finanzielle Unterstützung durfte Rudolf aus dem Reich nicht erwarten: „Sie scheuen eine Obermacht und wollen nichts wissen von einem machtvollen Kaiser.“ Diese Wahrheit, die einst Ottokar die deutsche Königskrone gekostet hatte, begann sich jetzt gegen Rudolf zu kehren.

Ottokar war 1278 entschlossen, die Schlappe von 1276 auszuwetzen. Ist ja kein Wunder, bei dem Meinungsmalus, den der Entzug der Titel mit sich führte. Die Umstände waren nicht schlecht für ihn: Der römische König war erst dabei, in Österreich Fuß zu fassen und erfreute sich wegen hoher Steuern wenig Beliebtheit bei seinen neuen Untertanen. Die Verschwörung des Paltram hatte Ottokar gezeigt, dass Rudolf in Österreich Feinde hatte. Überdies verfügte der Habsburger über keine nennenswerte militärische Macht. Das Reichsheer, mit dem er 1276 den Böhmen meisterhaft und beinahe ohne Schwertstreich ausmanövriert hatte, war längst aufgelöst. Mit den eigenen Rittern konnte Rudolf gerade einmal die österreichischen Bürger in Schach halten. Den Kurfürsten, die ein neues Reichsheer aufstellen könnten, war Rudolf inzwischen zu mächtig geworden. Da halfen auch die Heiratsverbindungen, die er zu den Fürsten hergestellt hatte, wenig. Er war nicht mehr die gekrönte Marionette, die sich die Großen wünschten. Die deutschen Fürsten hielten sich bei dem anstehenden Konflikt abseits, und jene, die auf der Seite des Habsburgers einzugreifen bereit gewesen wären, wurden durch Herzog Heinrich Blockade in Niederbaiern am Durchzug gehindert. Selbst Rudolfs eigener Sohn Albrecht ließ sich für sein Fernbleiben entschuldigen. Nur die Ungarn und Teile des österreichische Adels würden tatsächlich in Rudolfs klar unterlegenem Lager stehen, wenn es zur Schlacht kommt.

Ende Juni 1278 verließ Ottokar seine Hauptstadt Prag, Klerus und Volk geleiteten ihn unter lautem Wehklagen, so, als ahnten sie, dass er nie mehr wiederkehren würde. Er selbst strotzte aber vor Zuversicht. In Brünn hatte Ottokar sein Heer sammeln lassen, es kamen Truppen aus Böhmen und Mähren, aus Meißen und Thüringen, Brandenburg und Baiern, aus Polen und Schlesien. Die meisten wollten nicht aus Idealismus oder purer Begeisterung für die Sache Ottokars ihr Leben wagen, sie waren Söldner, vom Böhmenkönig gekauft für die Dauer der Heerfahrt. Oberflächlich war seine Zuversicht berechtigt, doch Rudolf war ein von 40jährigem Kriegerdasein gestählter Mann von Format. Es gelingt ihm immerhin, unter anderem bei dem Nürnberger Hohenzollern Friedrich, dem neuen Basler Bischof Heinrich von Isny (ein loyaler Mann einfacher Herkunft, den Rudolf auf diesem Posten installiert hat), auch aus dem Elsass kommen Truppen. Sie alle nehmen teils abenteuerliche Umwege über Tirol, um an Niederbaiern vorbei nach Österreich zu gelangen. Am 6. August lagern auch die ungarischen Truppen des Ladislaus bei Pressburg, er ist gekommen. Rudolf hat zumindest die akute Krise überstanden, denn mit den paar Soldaten, die ihm noch im Juni lediglich zur Verfügung gestanden hatten, wäre er in Wien einfach vom böhmischen Heer überrannt und gefangen genommen worden. Auch im August 1278 war der Habsburger noch deutlich unterlegen, aber er hatte jetzt immerhin eine Streitmacht bei sich. Wo war Ottokar in diesen entscheidenden Wochen geblieben?

Der Böhme war am 15. Juli von Brünn aufgebrochen. Doch nicht südwärts wandte er sich, zum Handstreich gegen das nur schwach verteidigte Wien, sondern nach Südwesten, und belagerte die kleine Stadt Drosendorf drei Wochen lang, so als wäre diese unbedeutende Festung der Nabel der Welt. Für spätere Militärhistoriker blieb Ottokars Vorgehen ein Rätsel. Er verplemperte wertvolle Zeit und gestattete seinem Gegner, sich zu wappnen. Vielleicht wollte der Böhme ganz sicher gehen und wartete während der Belagerung weitere Verstärkungen ab. Möglicherweise hielt ihn auch ein ungünstiges Horoskop von einem schnellen Einmarsch nach Österreich ab. Den abergläubischen Faktor darf man nicht unterschätzen, auch Rudolf kämpfte aus diesem Grund mit Vorliebe an Freitagen. Der römische König saß nicht mehr lange in Wien, er zog Mitte August dem ungarischen Heer entgegen und vereinigte seine Truppen mit den magyarischen. Von Pressburg zog Rudolf dann zur strategisch günstigen Festung Marchegg, um den Feind zu erwarten. Ironischerweise hatte Ottokar diese Burg errichten lassen, jetzt diente sie seinem Widersacher als Stützpunkt.

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Man müsste meinen, dass Ottokar nach der Eroberung von Drosendorf (4. August 1276) rasch zur Entscheidungsschlacht eilen würde, bevor Rudolf sich in eine taktisch gute Lage aufstellen würde. Doch der Böhme zauderte weiterhin, er verschwendete noch mehr Zeit, dieses Mal mit der Belagerung der kleinen Festung Laa. Vielleicht wollte Ottokar seinen erfolgreichen Feldzug von 1260 kopieren, bei dem er ebenfalls nach der Einnahme von Drosendorf und Laa ins Marchfeld gezogen war und dort den ungarischen Heerbann König Belas vernichtend geschlagen hatte. Dank Ottokars Zögern konnte der neuerliche Aufmarsch der ungarischen Armee bei Marchegg ungestört vonstatten gehen. Die Ungarn stellten im Heer hauptsächlich leichte Reiterei, für das eigentliche Schlachtgetümmel nicht zu gebrauchen, aber mit dem weitreichenden Reflexbogen bewaffnet und auf flinken Pferden unterwegs, wertvoll als Aufklärer und Plänkler. Nur die hohen Adeligen waren besser ausgerüstet, doch hatten auch sie keine „verdeckten Rosse“, die einem Zusammenprall in Kampf wohl standhalten konnten. Die schwere Reiterei wurde von den deutschen und österreichischen Rittern gestellt. Alleine der Erzbischof von Salzburg schickte ein Kontingent von angeblich 300 Berittenen, eine respektable Streitmacht. Trotzdem war Rudolfs Heer in der Unterzahl, die Moral wurde oben gehalten durch die Lüge, des Königs Sohn Albrecht sei bereits mit 500 Rittern Verstärkung im Anmarsch (was nicht stimmte).

Wie stark Ottokars Heer war und was es tat, wusste der Habsburger dank der ungarischen Aufklärer recht gut. Diese leichten Reiter verzichteten entgegen ihrer Gewohnheit auf das Beutemachen und begnügten sich damit, einige böhmische Soldaten zu töten und ihnen in aller Eile die Hälse durchzuschneiden, bevor sie sich zurückzogen. Die Köpfe der Getöteten nahmen sie mit in ihr Lager und legten die Trophäen dem römischen König zu Füßen. Wie Rudolf von Habsburg diese grausigen Geschenke aufnahm, ist nicht überliefert. Dank der Aufklärung der Kumanen und der Passivität des Gegners konnte Rudolf mit seinem Heer am Abend des 23. August 1278 ungestört den beherrschenden Höhenrücken bei Dürnkrut in Besitz nehmen, eine taktisch gute Position. Von dieser Anhöhe aus konnte der Habsburger, wenn er hinab nach Norden blickte, in der Ebene die Wachtfeuer des böhmischen Lagers erblicken. Berücksichtigte man sowohl die militärischen Kräfte und die Geländevorteile, waren beide Seiten nunmehr wohl gleichstark.

In der Ebene erstreckte sich das fruchtbare Kruterfeld, es glich in seiner Topographie einem Turnierplatz oder einer Arena, ideal für eine Schlacht. Hier sollten die beiden Könige ihre Kräfte messen, hier sollte die Entscheidung fallen. Endlich würden die Waffen entscheiden über diesen jahrelangen Zwist, dem Kampf kann jetzt keiner mehr ausweichen. Zwei volle Tage, Mittwoch, den 24., und Donnerstag, den 25. August, standen die Heere einander in Sichtweite gegenüber, ohne dass es zum Waffengang kam. Wie gesagt, der Habsburger bevorzugte das Kämpfen an Freitagen und ließ seinem Kontrahenten den 26. August als Termin für die Schlacht vorschlagen. Ottokar, ganz Ritter, akzeptierte dies offenbar. Die Zeit nutzte der erfahrene Feldherr Rudolf, um seine Leute noch ein wenig vorrücken zu lassen, und zwar über den sumpfigen Weidenbach. Den hatte er nun im Rücken und nicht mehr vor sich, der tiefe Boden wäre sonst ein ernstes Hindernis für die schwere Reiterei geworden. Rudolf hätte sich auch in der Defensive halten können, hinter dem Weidenbach bleiben und abwarten, bis der Feind angreift. Doch Defensive war seine Sache nicht, zielstrebig wollte Rudolf die Entscheidung.

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Den Schlachtplan hatte sich der Habsburger schon zurecht gelegt. Er wollte seine Streitmacht in drei Treffen teilen, die nacheinander in den Kampf geworfen werden. Die Ehre des Vorstreites überließ er den Ungarn im ersten Treffen. Die flinken Kumanen sollten Ottokars Schlachtordnung mit einem Hagel von Pfeilen überschütten und Verwirrung stiften. Ins zweite Treffen stellte er die Österreicher, das dritte führte Rudolf selber an, um sich herum die verlässlichsten Gefolgsleute aus der Steiermark, aus Schwaben und dem Elsass, auch die Kärntner und Krainer sollten in diesem dritten Treffen kämpfen. Ähnliche Dispositionen waren üblich in dieser Zeit, auch Ottokar teilte sein Heer in drei Treffen ein. Die Schlacht sollte ja gewöhnlich nicht der physischen Vernichtung des Gegners dienen, sondern eine Art letztes Beweismittel sein, wer von den Kontrahenten denn wirklich im Recht war. Ein festes Ritual hatte sich da eingebürgert, das im allgemeinen von beiden Parteien beachtet wurde. Wie beim Turnier ritten die Ritter auf ihren verdeckten Rossen in langer Reihe gegeneinander und versuchten, mit der Lanze ihren Gegner aus dem Sattel zu stechen. Wer herunterfiel, wurde zertrampelt oder erschlagen, sofern er Pech hatte. Hatte er aber Glück und bat den Sieger um Gnade, erhielt diese im allgemeinen gewährt. Der Besiegte musste sich verpflichten, nicht mehr ins Kampfgeschehen einzugreifen, er galt als Gefangener. Von ferne schaute er dann dem Hauen und Stechen zu und wartete ab, wie die Dinge sich entwickelten. Der ritterliche Ehrenkodex verbot ihm, etwa zu flüchten oder gar sich neuerlich ins Schlachtgetümmel zu stürzen. Nach einem Kampf, der selten länger als ein paar Stunden währte, war jene Partei Sieger, die das Schlachtfeld behauptete.

Ottokar ging zuversichtlich in die Schlacht, seine Überlegenheit an schwerer Reiterei war sein Trumpf, denn sie war der entscheidende Truppenteil. Rudolf freilich konnte sich nicht an starre Regeln halten, wenn er seine Siegchancen wahren wollte: Er war bereit, sich über ritterliche Regeln hinwegzusetzen. Dass dabei die Gesetze der Fairness auf der Strecke bleiben würden, nahm er in Kauf. Ein Kontingent von 60 Rittern sollte nicht in der Schlachtreihe fechten, sondern heimlich in die Hügel des Hochfeldes reiten, wo es den feindlichen Blicken entzogen war, und dort als Reserve abwarten, bis sie Befehl zum Angriff in die feindliche Flanke erhielten. Den Grafen Heinrich von Pfannberg wählte Rudolf am Vorabend der Schlacht als Führer dieser Gruppe aus, doch der sonst treue Diener weigerte sich, solch einen feigen und unritterlichen Auftrag zu übernehmen. Der Habsburger war klug genug, den Ehrbegriff des steirischen Grafen zu respektieren und wählte schließlich den Österreicher Konrad von Summerau sowie den Steirer Ulrich von Kapellen aus - wobei die beiden über die zweifelhafte Ehre auch nicht glücklich waren. Verdrossen zogen sie im Lager umher und entschuldigten sich bei ihren Standesgenossen wegen dieser Verletzung des ritterlichen Ethos.

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Der Sonnenaufgang des 26. August 1278. Gottesdienste wurden gehalten, Beichten abgenommen. Der König verlieh einigen Recken den Ritterstand, damit sie im Falle einer Gefangennahme eine Chance auf bevorzugte Behandlung hatten. Dann war es Zeit für die Schlachtordnung, die drei Treffen gingen in Position. Um neun Uhr eröffneten die ungarischen Reiter den Kampf. Deren junger König Ladislaus hielt sich im Hintergrund, bei der Geistlichkeit. Nur Bischof Heinrich von Basel ritt mit in das Getümmel, um die Streiter anzuspornen. Selber zum Schwert zu greifen verbot ihm die geistliche Würde. Ottokar schickte mit dem ersten Treffen seine böhmischen und mährischen Ritter, die deutschen Truppen bildeten sein zweites Treffen, zuletzt sollten die schwächeren polnischen und schlesischen Kontingente in den Kampf eingreifen. Ottokar setzte also auf eine frühe Entscheidung. Aber die misslang: Die Ungarn schlugen sich wacker gegen die überlegenen Böhmen und zwangen sie mit ihrem Beschuss zum Zurückweichen Richtung Nordwesten. Die Kumanen, im Rausch ihres Sieges, setzten ihnen nach und dachten nur noch ans Beutemachen – sie schieden damit ebenfalls auf dem Schlachtfeld aus, zumindest vorläufig.

Ottokar warf nun sein zweites Treffen hinein, die deutsche Elite. Auf ihren schweren Pferden stürmten sie den Österreichern entgegen, es begann die eigentliche Schlacht mit dem Kampf Mann gegen Mann. Hier erwiesen sich Rudolfs Truppen als unterlegen. Sie flohen zwar nicht vom Feld, wurden aber unter schweren Verlusten zurückgedrängt bis zu den Truppen des dritten Treffens, das daher zu früh in den Kampf eingreifen musste. Die Entscheidung nahte. Wankte auch Rudolfs drittes Treffen (es waren wohl nur 300 Mann) unter dem doppelt überlegenen Ansturm der Feinde, wäre die Schlacht für Rudolf verloren. Erbittert war dieses Ringen nun: Deutsche schlugen auf Deutsche, Schwaben auf Baiern, Baiern auf Elsässer, Elsässer auf Thüringer. Und auch Rudolfs drittes Treffen musste langsam zurückweichen, bis hin zum Weidenbach, dort entfesselte sich ein blutiges Handgemenge, in dem auf Ritterlichkeit und Gefangene nicht mehr geachtet wurde. Auf des Messers Schneide stand nun dieses Ringen. Die einen, den Sieg knapp vor Augen, hauten und stachen mit furchtbarer Wut, die anderen, wissend, dass alles verloren sein würde, wenn sie nun nicht standhielten, wehrten sich verbissen und mit dem Mut der Verzweiflung.

König Rudolf war mitten unter den seinen, trotz seiner 60 Jahre. Mitten im Kampfgetümmel erkannte ihn einer von seinen Gegnern. Es heißt, Ottokar habe einen Mann gedungen, den Habsburger zu töten. Der Unbekannte drängte sich durch das Gewühl und begann auf ihn einzuschlagen. Der König, ein erfahrener Kämpfer, wehrte sich erfolgreich, sein Pferd wurde jedoch durch einen Lanzenstich getötet. Kopfüber fiel Rudolf aus dem Sattel hinein in den Weidenbach, niedergedrückt und hilflos wegen seiner schweren Rüstung. Mit dem Schild deckte sich der Verunglückte, so gut er eben vermochte, gegen die Hiebe des Angreifers und die Hufe der Schlachtrosse, die über ihn hinweg galoppierten. Verzweifelter hätte seine Lage nicht sein können: Sein Heer in höchster Bedrängnis, er selber in akuter Gefahr, entweder erschlagen oder zu Tode getrampelt zu werden. Sein Glück war, dass Walther von Ramswag, ein Ritter aus dem Thurgau, den König wehrlos im Bach liegen sah. Er kämpfte sich zu ihm durch und es gelang ihm, ihn aus der Gefahrenzone herauszuzerren und ihn auf ein frisches, ausgeruhtes Pferd zu setzen. Rudolf konnte wieder zurück in den Kampf und dem Ramswager vergaß er diese Heldentat nie.

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Die Schlacht jedoch war durch dieses Heldenstück längst nicht gewonnen. Immer noch fochten die ermattenden Soldaten Rudolfs gegen Ottokars Männer an, und wenn der Böhme die Lage rasch erfasst hätte und sein ausgeruhtes drittes Treffen nun in die Schlacht geworfen hätte, dann wäre es um den Habsburger geschehen gewesen. Doch wieder zögerte Ottokar. Die Polen und Schlesier kamen den deutschen Rittern, die nach Stunden nun selber ermüdeten, nicht zu Hilfe. Das war der Augenblick für Rudolfs Reserve, die 60 versteckten Ritter sowie der wohl vierfachen Zahl an Leichtbewaffneten. Eine verhältnismäßig kleine Schar nur, aber frisch und ausgeruht. Wie es Rudolf ihnen befohlen hatte, stellten sie sich nicht frontal zum Kampf, sondern fielen Ottokars Rittern in die rechte Flanke und stifteten große Verwirrung unter ihnen. Die Angegriffenen waren es gewohnt, mit dem Gegner Auge in Auge zu kämpfen, nicht hinterrücks überfallen zu werden. Durch die schmalen Sehschlitze ihrer unförmigen Topfhelme hatten sie nur ein sehr eingeschränktes Sichtfeld nach vorne und konnten nicht erkennen, wie schwach diese letzten Reserven Rudolfs waren. Wie ein Tuch mit einer Schere spalteten sie mit lautem Geschrei Ottokars Reihen, die alsbald in Panik gerieten ob des unvermuteten Gegners von der Seite. Sie konnten sich nicht einfach umdrehen, da sie ja nach vorn im Nahkampf mit Rudolfs drittem Treffen standen. Inmitten des Tumultes erklang – vielleicht eine List – der Ruf: „Sie fliehen, sie fliehen!“ Und tatsächlich, die Verunsicherung unter Ottokars Rittern wuchs sich jetzt zur allgemeinen Flucht aus. Jeder glaubte sich von seinen Mitstreitern verraten, viel zu erkennen war in dem aufgewirbelten Staub schließlich nicht. Aus der Kriegslist wurde blutige Realität, Ottokars Reihen lösten sich auf, in Flucht Richtung Norden begriffen.

Und von dort näherten sich die leichten Reiter der Ungarn, die auf das Schlachtfeld zurückkehrten. Jetzt machte sich blanke Panik in Ottokars Truppen breit, Pferde warfen ihre Reiter ab, Männer in Rüstungen ertranken im flachen Wasser. Die Ungarn sahen, dass sie leichtes Spiel haben würden und machten sich über die Flüchtenden her. Einige machten Gefangene und misshandelten sie, andere hatten Ottokars Lager, wo weitere Beute lockte, im Blick. Ottokar fanden sie dort nicht, der König persönlich widerstand der Auflösung seines Heeres und kämpfte mit einigen Getreuen weiter. Das mutige Fechten machte keinen Sinn mehr, die Schlacht war für ihn verloren. Warum brachte er sich nicht in Sicherheit? Bedachte er nicht, dass er unter Rudolfs Anhängern Feinde hatte, die ihm nach dem Leben trachteten und vor einem Königsmord nicht zurückschreckten? Hatte er in seiner Verzweiflung über die unvermutete Niederlage den Freitod gesucht? Es war jedenfalls zu spät, als Ottokar sich doch noch zum Rückzug entschloss: Er kam nicht weit und wurde von steirischen Rittern eingeholt.

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Man erzählte, er habe sich bereits in Sicherheit gewähnt, bei einer Quelle habe er Rast gemacht und den Helm abgesetzt, um sich mit Wasser zu kühlen. So war er leicht zu erkennen, zudem trug Ottokar eine prächtige, auffällige Rüstung mit dem Wappen Böhmens. Die Steirer stellten ihn und warfen ihn in den Staub, wehrlos ihrer Rache preisgegeben. Ob er verzweifelt um sein Leben bat oder trotzig den Todesstreich erwartete, oder gar sich wehrte bis zum letzten Atemzug, ist nicht bekannt. Auch wer genau dem König den Todesstoß verpasste, weiß man nicht: Einer stach dem Böhmenkönig die Lanze durch den Hals, die anderen hieben mit Schwertern auf ihn ein, bis nur noch ein blutiger Klumpen Fleisch übrig war. So ließen sie ihn liegen. Ottokar, König von Böhmen, Markgraf von Mähren und lange Zeit auch Herzog von Österreich und Steiermark, Herzog von Kärnten und Herr von Krain, war tot. Umherstreifende Trossbuben plünderten den geschundenen Leichnam, zogen ihn aus bis auf das letzte Hemd. Nackt und enstellt lag der Tote auf der bloßen Erde, umringt von gaffenden Schaulustigen, verspottet und verhöhnt von denen, die einst auf Knien vor ihm gekrochen waren.

Die Schlacht war geschlagen. Was noch kam, war nur noch ein Schlachten, Plündern, Morden und Niederhauen. Allein das böhmische Heer soll 12.000 Tote und Gefangene gezählt haben, die Verwundeten und Verstümmelten nicht mitgezählt. Der Sieger blieb nicht, wie es Brauch war, auf dem Kampfplatz stehen, es war noch zu früh am Tag, um auf die Verfolgung der versprengten Reste des böhmischen Heeres zu verzichten. Dreißig Kilometer weit bis zum mährischen Feldsberg (heute Valtice) währte die blutige Hatz bis zum Sonnenuntergang.

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Dass Rudolf dem gefallenen König noch auf dem Schlachtfeld die letzte Ehre erwiesen hat oder ihn sogar beweinte, ist freilich eine Legende des 19. Jahrhunderts. Die wahren Vorgänge waren profaner: In der Morgenfrühe des nächsten Tages führte man Ottokars geschändeten Leichnam zu den Minoriten, wo er ohne Glockengeläut und geistliche Gesänge – Ottokar war ein Gebannter gewesen – im Kreuzgang öffentlich zur Schau gestellt wurde. Niemand sollte je behaupten können, er sei gar nicht tot und werde später einmal wiederkehren, so wie es das Volk von Kaiser Friedrich II. glaubte, dem Staufer, der 1250 im fernen Apulien gestorben war und dessen Wiederkunft viele sehnsüchtig erhofften. Ottokar wurde ein Begräbnis in geweihter Erde verweigert. Seinem Leichnam entnahm man die Eingeweide und füllte die Bauchöhle mit Asche, balsamierte den Körper mit Spezereien ein und ließ den Toten dann 30 Wochen lang liegen, ein unerhörter Vorgang in jener abergläubischen Zeit, der Entsetzen hervorrief. Pietät und Mitleid zeigte nur die Königin Anna, die den toten König in Leinwand und eine purpurne Decke hüllen ließ, damit er nicht länger den respektlosen Blicken neugieriger Gaffer ausgesetzt war. Nach den 30 Wochen durften die Böhmen endlich ihren gefallenen Herrscher heimholen, und weil ihm die Geistlichen auch dort ein anständiges Begräbnis verweigerten, deponierte man die Leiche jahrelang unbestattet in einem Kloster, wo Ottokar vor sich hin faulte und verweste. Erst 18 Jahre später fand er seine würdige Ruhe im Hradschin. Sic transit gloria mundi.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 9. Dezember 2017 23:50

6. Hausmacht

In Deutschland wurde Rudolfs Sieg zwar gewürdigt, aber nicht gefeiert. Niemand außer dem Habsburger selbst hatte durch Ottokars Tod gewonnen. In Österreich konnte der König nun nach eigenem Gutdünken schalten und walten, von dem faulen Kompromissfrieden des Jahres 1276 war er befreit. Die Voraussetzung war geschaffen, dass Österreich zum Sitz der Habsburger und nicht zu einem Nebenland des böhmischen Reiches wurde. Mehr noch: Der Sieger machte sich daran, vom Nachlass des Besiegten Besitz zu ergreifen.

Vier Tage Rast gönnte Rudolf von Habsburg sich und seinen erschöpften Mannen, dann drang er in Mähren vor mit Richtung auf Böhmen und die Hauptstadt Prag. Seinen Adoptivsohn und Verbündeten Ladislaus und seine wilden Ungarn wollte er bei diesem Feldzug nicht mehr dabei haben. Die unbändigen Kumanen hatten sich nämlich nicht nur im Lager der Besiegten nach Beute umgesehen, sondern auch im Lager der Sieger. Nur mit Mühe konnten die deutschen Ritter davon abgehalten werden, mit Waffen auf die Puszta-Bewohner loszugehen. Besser also, sie gingen jetzt heim, für den Marsch auf Prag fühlte sich Rudolf alleine stark genug. Zahlreiche Gefangene würden dank des zu erwartenden Lösegelds schon für die nötigen Mittel sorgen. Der Weg nach Prag verlief problemlos, nach dem entscheidenden Sieg über Ottokar arrangierten sich die Städte und Fürsten, die auf dem Weg von Rudolfs Heer lagen, mit dem Sieger. Der einstige Gegner Bischof Bruno von Olmütz wurde zum Statthalter des nördlichen Mähren bestellt, ein tüchtiger Mann. Auch der umtriebige Basler Bischof Heinrich (in jeder Hinsicht umtriebig, er zeugte 50 oder 60 Kinder, wie ich irgendwo mal gelesen hatte) wurde zum Statthalter ernannt, nämlich vom südlichen Mähren. Auch in Böhmen schlug Rudolf kaum Widerstand entgegen. Wie auch, nach Ottokars Tod folgte gemäß dem Erbrecht dessen Sohn Wenzel II. auf den Thron – und der Junge war gerade einmal sieben Jahre alt. Wehe dem Land, dessen König ein Knabe ist! In Böhmen herrschte seit einigen Wochen Anarchie, Söldner und Räuberbanden marodierten im Land. Konnte Rudolf nur recht sein, er würde es sein, der den Böhmen den Frieden zurückbringen würde.

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Das Schicksal der Przemysliden ruhte nun auf den Schultern von Ottokars Witwe, Kunigunde von Machov. Vormals war sie eine energische Frau gewesen, die ihren Ottokar in seinen Schritten angetrieben hatte, doch sein Tod hatte ihren Stolz gebrochen. Zwar hatte sie sich hilfesuchend an ihren Schwager gewandt, den Brandenburger Markgrafen Otto, doch dessen Unterstützung ließ auf sich warten. Um das Erbe ihres kleinen Sohnes zu retten, entschloss sich Kundigunde, ihrem Feind Rudolf entgegen zu reisen. Die Bedingungen des Habsburger waren klar und blieben unwidersprochen: Der minderjährige Wenzel II. durfte formell König von Böhmen bleiben, aber Rudolf beanspruchte Regentschaft und Regierung des Landes für sich.

Das brachte den böhmischen Adel auf die Barrikaden. Ottokar hatten sie zuvor bei der Wiedergewinnung von Österreich nur mäßig unterstützt, doch jetzt ging es um die Zerschlagung von Böhmen. Warum die Herrschaft der Przemysliden gegen die der Habsburger eintauschen? Und in diesem Fall war es Rudolf, der zu zögerlich agierte, nicht weiter nach Prag marschierte und es dem Brandenburger Otto ermöglichte, sich mit 400 Rittern dort einzufinden. Der günstige Augenblick war verpasst. Nachvollziehbar war Rudolfs Handeln trotzdem, er wollte nicht alles auf eine Karte setzen und womöglich alles wieder verlieren. Böhmen zu kontrollieren war ein anderes Kaliber als Österreich. Klar war, dass der Habsburger aus dem Reich keine Unterstützung zu erwarten hatte, wenn er nach Wien auch Prag einkassieren wollte. Ein Aufstand in Böhmen konnte dann leicht auch zum Untergang der Habsburger in Österreich führen, dort war Rudolf ja nun mal auch nicht allseits beliebt. Der König begnügte sich mit dem Machbaren: Mähren durfte er fünf Jahre als Pfand für die entstandenen Kriegskosten behalten, in Böhmen blieb es bei Wenzel II. auf dem Thron. Abgesichert wurde das Ganze mal wieder mit einer gegenseitigen Verheiratung. Der jüngste Sohn des Habsburgers, der achtjährige Rudolf, wurde eilig aus Wien herbeigeschafft und mit Agnes von Böhmen verheiratet. Wenzel II. musste Guda heiraten.

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Seine Kinder, also auch Guda, nahm Rudolf I. aber wieder mit sich, zu unsicher erschien ihm ihr Verbleib in Prag an Wenzels Seite. Im Dezember 1278 zog der König in Wien ein und ließ eine feierliche Messe im St. Stephan zelebrieren, anlässlich seines Triumphs über Ottokar, dessen Leiche im Kreuzgang immer noch unbestattet verrottete. Der Wiener Klerus arrangierte sich nun auch mit dem Sieger und schmeichelte dem Habsburger. Rudolf I. war zu einem Machtfaktor im Reich aufgestiegen und schmiedete große Pläne, um seiner Dynastie auch über seinen Tod hinaus die Macht zu sichern. Schließlich war er schon 60 Jahre alt und musste an die Sicherheit seiner Nachkommen denken.

Der Plan war so verwegen, dass er nicht realisierbar war: Rudolf I. verhandelte mit dem Papst und dem französischen König. Vom Papst begehrte er die Kaiserkrone, um seinem Lieblingssohn frühzeitig die Nachfolge auf dem deutschen Thron zu sichern. Einem Kaiser stand es nämlich zu, zu Lebzeiten die deutschen Fürsten zur Wahl eines designierten Nachfolgers aufzufordern. So weit, so normal. Rudolf bot Papst Nikolaus III. darüber hinaus aber den Verzicht auf Reichsitalien an, also auf die Hoheit über die norditalienischen Städte, für die Rudolfs Vorgänger so vehement gestritten hatten. Der Habsburger hatte de facto sowieso keine Kontrolle mehr über Norditalien, das war bei nüchterner Betrachtung seiner Möglichkeiten auch nicht in Aussicht. Im Gegenzug sollte der Papst dem Habsburger die Einführung der Erbmonarchie für die deutsche Krone zugestehen, natürlich zugunsten des Habsburger Geschlechts.

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Dem französischen König bot Rudolf für sein Wohlwollen in dieser Angelegenheit die Abtretung des Königreichs Arelat an der Rhone an. Treten wir einen Schritt zurück und betrachten wir das Vorhaben: Die Krone war zum Handelsobjekt herabgesunken, ein Schatten einstiger Macht. Der italienische Dichter Dante tadelte Rudolf später dafür, er habe „des Reiches Garten“ Italien verwildern lassen. Doch was kümmerte ihn der Garten, wenn er alle Hände voll zu tun hatte, sein Haus, das Haus Habsburg, auf ein festes Fundament zu stellen.

Bemerkenswert war, dass Rudolf nicht seinen ältesten Sohn Albrecht für seine Thronfolge aussuchte. Der Grund dafür war, dass Österreich dem König als Fundament eigener Hausmacht bedeutender erschien als die Krone des Reiches. Der energische Albrecht sollte Herzog von Österreich werden, und mit dieser persönlichen Hausmacht würden ihm die Kurfürsten kaum auch noch die deutsche Krone zugestehen. Sie wünschten keinen mächtigen Mann auf dem Thron. Dem jugendlichen Hartmann würden die misstrauischen Fürsten vielleicht eher ihre Zustimmung geben.

In Deutschland warnten die Kleriker vor dem verwegenen Plan: Mögen die Päpste, mögen die Römer und die Deutschen samt ihren Kurfürsten wohl bedenken, welch unsägliches Unheil hereinbrechen würde, wenn es das Imperium nicht mehr gäbe. Dann nämlich, so lauteten alte Weissagungen, würde der Antichrist auf Erden erscheinen. An der alten, von Gott gesetzten Ordnung, durfte man demnach nicht rütteln. Das Papsttum war den Römern vorbehalten, das Studium und die Wissenschaft den Franzosen, das Imperium aber war Vorrecht der Deutschen seit den Tagen Karls des Großen, von dem die Satzung stammen würde, dass die römischen Kaiser und Könige von den Fürsten zu wählen seien. Kein erbliches Kaisertum also, wollte man schreckliches Unheil verhüten.

Die Realität war freilich anders als die Wünsche der Geistlichen. Die Franzosen zeigten keine Lust, sich auf das Studium zu beschränken, das Papsttum war weit davon entfernt, von seiner Höhe zu stürzen, und um das Imperium zu altem Glanz zu verhelfen, fehlte es Rudolf an Macht und Mittel. Die alte, universale Kaiseridee schien nicht mehr zeitgemäß, und Rudolf erkannte das. Dass das Tauschgeschäft nicht zustande kam, war nicht Rudolfs Schuld. In Österreich erschien 1279 mit Bischof Paulus von Tripolis ein päpstlicher Legat von kühler Arroganz und unnachsichtiger Strenge. Das bewies er in Österreich schnell, als er den gesamten Klerus exkommunizierte, weil dieser ihm die Zahlung der Reisespesen verweigert hatte. Der Legat stellte Rudolf die Bedingung, dass er erst einmal Karl von Anjou als König von Sizilien anerkennen und sich mit ihm verbünden müsse. Der Anjou war DER Reichsfeind, der gut zwanzig Jahre zuvor das Ende der Staufer besiegelt hatte. Mit ihm machte Rudolf nun gemeinsame Sache. Hatte der Habsburger nicht kürzlich noch Krieg geführt, weil ihm einer die persönliche Huldigung verweigert und seine Pflichten als Reichsfürst vernachlässigt hatte? Karl von Anjou durfte in Sizilien ungestraft das tun, was Ottokar von Böhmen wegen Österreich mit dem Leben gebüßt hatte, und erhielt zur Belohnung noch ein Königreich bestätigt. Rudolfs Opportunismus fragte nicht nach Gerechtigkeit.

Dann aber schlug das Schicksal zu und riss Rudolfs Verhandlungspartner, Papst Nikolaus III., plötzlich aus dem Leben. In der Nacht zum 22. August 1280 erlitt der Heilige Vater einen Schlaganfall und starb wenige Stunden darauf. Und das, obwohl ihm die Wahrsager ein langes Leben prophezeit hatten!

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Rudolf musste einsehen, dass mit einem neuen Papst alle Verhandlungen von Neuem würden beginnen müssen. Er widmete sich jetzt daher seinem anderen Ziel: Es galt, Österreich, das Erbe der Babenberger, das er Ottokar entrissen hatte, in habsburgischen Besitz zu bringen, in Besitz seiner Familie, nicht in die Botmäßigkeit des Reiches, als dessen Repräsentant Rudolf das Land zur Zeit (noch) verwaltete. Das Herzogtum Österreich einem jungen schwäbischen Grafen zu übertragen, so dass niemand die Rechtsgültigkeit dieser Transaktion anfechten kann, ging nicht von heute auf morgen, wenn dessen Vater der König war und das Land militärisch besetzt hielt. Zu viele wollten sich mit den Tatsachen nicht abfinden, die Rudolf im Südosten des Reiches geschaffen hatte. Nicht die Steirer und Österreicher hinderten ihn, die Belehnung seines Sohnes zu vollziehen. Er brauchte die Willensbriefe der Kurfürsten, der geistlichen vor allem, die sich jedoch hinter dem Kölner Erzbischof Siegfried gegen den König sammelten. Selbst der Mainzer Erzbischof Werner, der dem König einst zu seiner Krone verholfen hatte, stand inzwischen im Lager der Skeptiker.

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Rudolf von Habsburg ging zunächst die leichteren Hindernisse an. So gab es noch eine lebende Nachfahrin der Babenberger, jenem Geschlecht, dass bis zu Ottokars Herrschaft so lange über Österreich geherrscht hatte, bis es im Mannesstamm ausgestorben war. Agnes hieß die Babenbergerin, eine Großnichte des letzten Babenberger Herzogs Friedrich der Streitbare, sowie Tochter jener Gertrud, die einst zu Verona sich mit Kaiser Friedrich II. hätte vermählen sollen. Agnes hatte offenbar den Trotzkopf ihrer Mutter geerbt. Starrsinnig machte sie ihre Rechte geltend auf den Babenberger Besitz, der ja nach allgemeiner Ansicht ein „Weiberlehen“ war. Auch dem König Ottokar hatte sie einst mit ihren Forderungen in den Ohren gelegen, doch der hatte diese lästige Problem auf seine Weise gelöst: Er zwang damals Agnes zu einer nicht standesgemäßen Ehe mit dem Grafen von Heunburg und ließ dann das jungvermählte Paar auf dessen vermeintliche oder wirkliche Rechte verzichten. Nun, da der Böhmenkönig tot war, erhoben der Heunburger und seine Frau neuerlich Ansprüche auf Teile des Babenberger Erbes.

Einfach abschmettern konnte Rudolf den vorgetragenen Anspruch nicht: Der Habsburger hatte selbst erklärt, dass die Zwangsmaßnahmen, die Ottokar zu seiner Zeit ergriffen hatte, null und nicht seien. Nach einigem Handel musste sich Rudolf bereit erklären, Agnes für den Verzicht auf ihre Ansprüche mit satten 6.000 Mark abzufinden. Und da der König das Geld schlicht nicht zur Verfügung hatte, verpfändete er ihr die südliche Steiermark. Das war eine schmerzliche Entscheidung, doch Rudolf handelte sich damit den Respekt der Steirer ein. Der König achtete das Gesetz. Sie waren eine andere Rechtsprechung gewohnt. Um die Höhe der Abfindung einordnen zu können – nachdem das Eintreiben der königlichen Einkünfte bis 1282 „optimiert“ worden war, betrugen diese jährlich:

18.000 Mark aus dem Herzogtum Österreich,
6.000 Mark aus den steirischen Ländereien,
7.000 Mark aus den Habsburger Hausgütern,
7.000 Mark aus den Reichssteuern.

An der Aufstellung wird deutlich, wie unverzichtbar für Rudolf das Territorium war, das er Ottokar abgenommen hatte. Rudolfs Finanzen verbesserten sich übrigens nicht nur durch das konsequente Auspressen seiner Untertanen, er führte zudem einen bescheidenen Hof ohne Prunk und interessierte sich nicht für kostspielige Bauprojekte. Eine Kathedrale zu errichten, wie es die Salier getan hatten, kam dem Habsburger gar nicht in den Sinn. Er war ein Geizhals.

Lieber denn als Bauherr betätigte sich Rudolf I. als Machtpolitiker. Im Herbst 1280 marschierte er wieder einmal in Böhmen ein. Dort meinte er, eine Rebellion Ottos des Langen niederschlagen zu müssen, der das Land in der Tat so regierte, als sei er der König selber. Zu spät hatten da die Böhmen begriffen, dass sie den Habsburger Teufel mit dem Brandenburgischen Beelzebub ausgetrieben hatten. Nicht wie ein Vormund des minderjährigen Wenzel II. benahm sich Otto der Lange, sondern wie ein tyrannischer Landesherr, grausam hauste die brandenburgische Besatzungsmacht. Königin Kunigunde wurde verhaftet, der kleine Wenzel nach Brandenburg entführt. Die Verträge von 1278 waren verletzt. Als Schwiegervater Wenzels hatte Rudolf I. lebhaftes Interesse, dass sie bestehen blieben. Er sammelte ein Heer und marschierte im Oktober 1280 in Böhmen ein. Diesmal schien die Kampagne nicht so gefährlich wie zwei Jahre zuvor, so dass zahlreiche deutsche Fürsten sich dem Heerbann anschlossen. Trotz der respektablen Streitmacht begnügte sich der Habsburger aber mit Säbelrasseln und Drohgebärden. Wenig entschlossen verhandelte er mit dem Brandenburger Otto und erreichte die Rückkehr Wenzels II. nach Prag. Die Königin Kunigunde erhielt eine Rente von 1.600 Mark, für sich selbst forderte Rudolf I. stattliche 15.000 Mark. Im Gegenzug durfte Otto der Lange die Regentschaft für Wenzel II. weiter ausüben. So lief das.

Das Weihnachtsfest 1280 in Wien sollte das letzte sein, das König Rudolf mit seiner Frau Anna gemeinsam feierten. Denn sieben Wochen später starb Anna mit etwa 40 Jahren, entkräftet von den fast einem Dutzend Kinder, die sie zur Welt gebracht hatte. Brav hatte sie also ihre Pflichten als Frau und Mutter erfüllt. Nicht lange nach seiner Gattin starb auch der jüngste Sohn des Königs (dessen Name unbekannt ist), außerdem war im Februar 1281 der Olmützer Bischof Bruno gestorben, ein wichtiger Vertrauensmann des Königs und sein Statthalter in Mähren. Der schwerste Schlag aber folgte im Dezember 1281: Da ertrank kurz vor Weihachten sein Lieblingssohn Hartmann, den Rudolf I. gerne als seinen Nachfolger auf dem Thron gesehen hätte, bei einem Bootsunglück auf dem Rhein. Binnen eines Jahres hatte der König seine Frau sowie zwei seiner vier Söhne verloren. Depressiv verkroch sich Rudolf I. den Winter über, erst im Frühjahr 1282 kehrte seine alte Spannkraft zurück. Offenbar machten die Todesfälle dem König bewusst, dass auch seine Zeit nur noch begrenzt war. Österreich musste unbedingt zum nicht anfechtbaren Besitz der Habsburger werden, und der Schlüssel dazu lag bei den Kurfürsten im Reich. Denn im Augenblick behielt Rudolf I. das Herzogtum Österreich nur, weil er den so genannten Leihezwang missachtete, der ihn eigentlich verpflichtete, ein heimgefallenes Reichslehen binnen Jahr und Tag neu zu vergeben.

Die Erzbischöfe von Mainz und Trier konnte Rudolf I. diplomatisch für sich gewinnen, gegen Erzbischof Siegfried von Köln schaffte es der König, militärisch vorzugehen und ihm einige empfindliche Nadelstiche beizubringen, die den Kirchenfürsten in einige Schwierigkeiten mit seinen übrigen Gegnern brachten. Im Dezember 1282 war es soweit, Rudolf I. lud zu einem großen Hoftag nach Augsburg, um seine Nachfolge zu regeln. Einen glänzenden Reichstag hatte der Habsburger wohl im Sinn, es geriet aber eher zu einem großen Familienfest. Es gab allzu viele, denen ein weiterer Machtzuwachs der Habsburger Macht ein Dorn im Auge war. So kamen nur die engsten Freunde, als einziger Kurfürst Pfalzgraf Ludwig, Rudolfs Schwiegersohn. Die anderen blieben fern. Ihre Willenbriefe hatten sie wohl oder übel geben müssen, sie mochten durch ihre Anwesenheit die Bedeutung eines Ereignisses nicht noch unterstreichen, das keineswegs in ihrem Sinn war. Es war einer der bedeutendsten Tage im Leben Rudolfs von Habsburg, einer der an Folgen schwersten für Österreich.

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Es war um den 20. Dezember 1282, als der König seinen Söhnen Albrecht und Rudolf die Banner von Österreich, der Steiermark, der Krain und der Windischen Mark übergeben konnte. Kärnten mag auch dabei gewesen sein, doch auf diesem Herzogtum lastete die schwere Hand Meinhards von Görz (und niemals, solange dieser Mann lebte, sollten die Habsburger in die Lage kommen, in dem Land die herzoglichen Rechte auszuüben). Mochten Rudolfs Feinde die Fäuste im Sack ballen, die Belehnung konnten sie nicht verhindern, und sie war auf rechtlich einwandfreie Weise zustande gekommen. Nicht nur Albrecht, sondern auch der erst zwölfjährige Rudolf sollte sich fortan Herzog von Österreich nennen dürfen mit allen Rechten, die mit der Führung dieses Titels verbunden waren. Erstaunlich weit hatte es dieser Knabe dank väterlicher Protektion gebracht, um zarten Alter von acht Jahren bereits eine Königstochter zum Traualtar geführt, jetzt war er gar Reichsfürst geworden.

Die Belehnung des habsburgischen Brüderpaars „zur gesamten Hand“ war alemannischer Rechtsbrauch, doch für die Österreicher und Steirer war dieses Verfahren neu, und bald regten sich dort bei Adel und Bürgern Widerstände. Der König dagegen glaubte sein Haus damit gut abgesichert: Sollte einem seiner beiden Söhne etwas zustoßen, konnte der andere auf seine gültige Belehnung hinweisen. Und in der Tat, der Tag von Augsburg im Dezember 1282 verband Habsburg und Österreich zu einer mehr als 600 Jahre währenden Symbiose. Die Untertanen waren wie gesagt nicht froh über die doppelte Belehnung, denn wie sollte man denn zwei Herren zugleich dienen können? Der König ging im Juni 1283 auf die Kritik ein und verfügte in der Rheinfeldener Hausordnung, dass fortan Albrecht allein in jenen Ländern der Herr sein solle, die ihm und seinen Nachkommen als erbliche Lehen zustanden. Für den jüngeren Sohn Rudolf und seine Nachkommen war die „Eventualsukzession“ vorgesehen, sie sollten erst zum Zuge kommen, wenn Albrechts Linie im Mannesstamm erlosch. Damit waren die Untertanen zufriedengestellt, sie freuten sich darauf, fortan unter Herzog Albrechts „sanftem Joch“ alleine dienen zu können. Dieses vermeintlich so sanfte Joch sollten sie bald kennenlernen.

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Energie und Tatkraft hatte der 27jährige Albrecht von seinem Vater geerbt, nicht aber dessen freundliches und umgängliches Wesen. Der Herzog war ein aufbrausender Charakter mit offenbar recht groben Manieren und düsterem, abstoßendem Gesichtsausdruck. Mit seiner Gemahlin Elisabeth, der Tochter Meinhards von Görz, lebte der junge Habsburger in glücklicher Ehe, das Verhältnis zu seinen neuen Untertanen war dagegen weniger harmonisch. Rücksichtslos ging Albrecht daran, die von seinem Vater einst allzu freigebig verteilten Privilegien wieder einzukassieren und die herzogliche Macht auf Kosten des Adels zu festigen. Vom sanften Joch war nicht mehr die Rede, statt dessen häuften sich die Klagen über die Bevormundung der landfremden Schwaben, von denen es einige in den Diensten des Herzogs rasch zu Macht und Ansehen gebracht hatten. Sie spielten sich in Österreich als Herren auf, die das Gehör des Herzogs besaßen. Der aus Einheimischen zusammengesetzte Rat dagegen war zu Untätigkeit und Ohnmacht verurteilt. Dieser ihm lästigen Institution entledigte sich Albrecht, indem er sie erst gar nicht zusammentreten ließ. Kein Wunder, dass man in Österreich und Steiermark die Habsburger Herrschaft bald als Fremdherrschaft empfand, und Herzog Albrecht trug nichts dazu bei, diesen bösen Eindruck zu mildern. Er war ohne Zweifel ein tüchtiger Habsburger, vielleicht der tüchtigste, sympathisch aber war er nicht. Rücksichtslos setzte er seine Interessen durch, die meist den Interessen des Landes diametral entgegenstanden. Österreich hatte ihm nur die Mittel zu liefern, die er zur Durchsetzung Habsburger Machtansprüche benötigte.

Der jüngere der beiden Brüder, Rudolf, erhielt für seinen Verzicht auf die Herrschaft über Österreich vom König ein weitreichendes Versprechen: Binnen vier Jahre wollte der ihm ein Königreich oder ein anderes Herzogtum verschaffen. Gelänge dies nicht, würde dem Sohn eine stattliche Abfindung in Geld zustehen.

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Welchen Eindruck das auf die anderen Fürsten im Reich machen musste, kann man leicht erahnen. Rudolf I. war durch den Erwerb Österreichs in den Stand versetzt worden, sich den Angelegenheiten des Reichs zu widmen. Das tat er offensichtlich nicht, ihn interessierte nur noch Hausmachtpolitik, die Stärkung seiner eigenen Dynastie.

Nach den entscheidenden Weichenstellungen von 1282 blieben König Rudolf I. noch fast neun Jahre Zeit zum Regieren, ehe er 1291 starb. Und während dieser Zeit unternahm er tatsächlich kaum etwas, das dem Führen großer Politik entsprochen hätte. Statt dessen führte der 65jährige kleinliche Feldzüge wie zu den alten Zeiten, in denen der Graf Rudolf von Habsburg gegen seine Nachbarn (Bern, Savoyen, usw.) auszog. Gewonnen hatte er mit den Fehden nur wenig, nur die Zahl seiner Feinde war dadurch gewachsen. Offenbar befriedigte das alles den König selber nicht mehr. Vier Jahre nach dem Tod seiner Gemahlin Anna nahm Rudolf sich im Februar 1284 die gerade einmal 14 Jahre alte Isabella/Elisabeth zur Frau, eine Schwester des burgundischen Herzogs Robert. Sie linderte die Melancholie des Königs, aber nur eine Weile.

Einige Monate verbrachte der König damit, die ihm unterstehenden Städte mit hohen Steuerforderungen zu quälen, bis er abrupt daran erinnert wurde, dass er sich lange nicht mehr mit Böhmen befasst hatte. Denn die Böhmen hatten 1283 im Triumphzug ihren König Wenzel II. nach Prag geholt, als der mit zwölf Jahren aus der Vormundschaft Ottos des Langen entlassen worden war. Der wahre Regent Böhmens hieß aber nicht Wenzel, sondern Zawisch von Falkenstein, sein Stiefvater. Einst war der Witigone ein Rivale von König Ottokar, Wenzels Vater, gewesen. Inzwischen hatte Zawisch das Herz von Wenzels Mutter Kunigunde erobert und sie im Geheimen geheiratet. Was der Witigone zu Ottokars Zeiten mit Waffengewalt nicht erreicht hatte, fiel ihm jetzt durch die Leidenschaft einer Witwe gleichsam in den Schoß. Er war der wahre Herr über Böhmen, während Wenzel II. ein Schattendasein als nomineller König zugedacht war.

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Wenzel II. sollte seine Zeit mit Jagen und Falknerei verbringen, meinetwegen von seiner Gemahlin Guda träumen, die er seit der Hochzeit sechs Jahre zuvor nicht mehr gesehen hatte. Im Januar 1285 kam Rudolf mit seiner Tochter Guda nach Eger, der großen Stadt an der Westgrenze Böhmens. Hier sollte endlich das Beilager gefeiert werden. Am nächsten Morgen musste er von seiner Frau bereits wieder Abschied nehmen, sein königlicher Schwiegervater zog es vor, Guda nicht in Böhmen zu lassen. Offenbar war Rudolf bewusst, dass nicht Wenzel, sondern Zawisch hier das Sagen hatte. Der Habsburger war schlau genug, um Guda nicht gleichsam als Faustpfand in den Händen des verschlagenen Witigonen zu lassen.

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Ansonsten gibt es zu Rudolfs letzten Regierungsjahren noch von einer Posse zu erzählen: Die vom falschen Friedrich. Im Jahre 1284 erschien in Köln ein Mann und behauptete, er sei Kaiser Friedrich II., jener Staufer, der 1250 im fernen Apulien gestorben war und dessen Gebeine im Dom zu Palermo ruhten. Die Kölner wussten dies und lachten über den wunderlichen Unbekannten. Der aber hörte nicht auf mit seinem törichten Gerede. Man legte ihn in Ketten, doch auch noch im Kerker blieb der Mann dabei, er sei der Kaiser. Buße habe er getan und im Verborgenen gelebt, nun kehre er zurück in die Welt, die er wie einst regieren wolle. Die Kölner Justiz zeigte Menschlichkeit und jagte den Hochstapler aus der Stadt, nachdem er öffentlich gedemütigt worden war. Bald darauf tauchte der Mann in Neuss auf, wo er bei der provinziellen Bevölkerung mehr Gehör fand. Wann hatte man hier je schon einen Kaiser in den Stadtmauern begrüßen dürfen? Es kam den Menschen offenbar nicht in den Sinn, nachzurechnen, dass der wirkliche Kaiser Friedrich ein Greis von 90 Jahren hätte sein müssen. Keiner in Neuss hatte den Kaiser je gesehen. Sie wussten auch ungefähr, das es in Schwaben einen König Rudolf gab, aber was war schon ein ferner König gegen einen leibhaftigen Kaiser! Der Erfolg des Betrügers war ein beredetes Zeichen dafür, dass die Kaiseridee im einfachen Volk fortlebte, während die Herrschenden sie längst über Bord geworfen hatten. Mit Wehmut erinnerten sich die Alten der Zeiten, da noch Kaiser Friedrich geherrscht hatte, an die Schattenseiten dieser Zeit gedachte man nicht mehr. Wie glanzvoll erschien der Staufer und seine Zeit, wie armselig und machtlos dagegen der jetzige König, der sich mit den Städten herumschlug, um ein paar lumpige Steuern zu ergattern.

In Neuss begann das Possenspiel allmählich Ernst zu werden, als der Pseudofriedrich begann, Hof zu halten und eine Kanzlei zu beschäftigen. Bald kamen Menschen, sogar Bedeutende, von nah und fern, um zu erfahren, ob an der Sache was dran sei. Anfang 1285 beschloss der Kölner Erzbischof Siegfried, dem sonderbaren Spuk ein Ende zu machen. Er sammelte ein Heer und marschierte vor Neuss, fand jedoch die Stadttore fest verrammelt. Um keinen Preis wollten die Neusser ihren Kaiser Friedrich hergeben, der die Stadt weit und breit berühmt machte. Auf eine langwierige Belagerung aber mochte sich der Erzbischof nicht einlassen. Unverrichteter Dinge zog er ab und eilte nach Nürnberg, um König Rudolf zu berichten. Dem erschienen die Ereignisse in Neuss nicht gefährlich, außerdem belagerte er gerade (wie in alten Zeiten) Colmar. Rudolf I. ließ den Erzbischof wissen, dass der Pseudokaiser sein Problem sei.

Dem waren in Neuss seine Erfolge zu Kopf gestiegen, nun wurde er auch in bedeutenderen Städten wie Frankfurt, Gelnhausen, Friedberg und Wetzlar anerkannt. Diese Städte gedachte Pseudofriedrich nun aufzusuchen, in Wetzlar schlug er seine Residenz auf (wobei den Bürgern von Wetzlar dabei etwas mulmig zumute war). Weitere Städte, die unter dem König zu leiden hatten, fielen ebenfalls ab und interessierten sich für den Täuscher. Mitte 1285 ging der Mann so weit, dem König ein Schreiben zu senden, worin er den Habsburger aufforderte, nach Wetzlar zu kommen und seine Lehen vom wahren Kaiser zu empfangen. Rudolf I. tobte angesichts dieser Frechheit. Oft genug, rief er erzürnt, habe er den Kaiser Friedrich mit eigenen Augen gesehen und mit ihm gesprochen, da wolle er nun nachsehen, ob der Mann in Wetzlar wirklich der Kaiser sei oder nicht.

Rudolf I. sah sich gezwungen, mit Basel und Colmar einen Frieden zu schließen und sich des wachsenden Problems anzunehmen, das bereits seien Autorität im Reich ins Wanken brachte. Am 26. Juni 1285 sammelte der Habsburger in Mainz sein Heer, sogar Erzbischof Siegfried erschien mit Truppen (die der Kölner dem König sonst immer verweigert hatte). Vereint marschierten König und Erzbischof gegen Wetzlar. Jetzt zeigte sich, dass die etablierten Mächte allemal noch stärker waren, dass die Macht des falschen Friedrich nur auf tönernen Füßen stand. Niemand wagte es, eine Hand für ihn zu rühren, doch er floh nicht aus der Stadt. Bald war er nur noch ein armseliges Häuflein Elend, die Wetzlarer nahmen ihn gefangen und lieferten ihn seinen Feinden aus. An den Sattelriemen eines Pferdes gebunden, wurde der Mann in das Lager Rudolfs geschleppt und einer grausamen Folter unterzogen. Unter Schmerzen gestand der Mann seinen wahren Namen, Dietrich Holzschuh. Auf einen Wagen gefesselt wurde er den Flammen überantwortet.

Die Affäre warf ein übles Licht auf die zerbröselnde Macht des Königs. Er war noch stark genug gewesen, den falschen Friedrich physisch zu vernichten, die Ursachen für den Aufstieg dieses rätselhaften Mannes konnte er nicht beseitigen. Im Glauben des Volkes lebte der Hingerichtete fort. Die verschmorten Knochen bargen sie und verehrten sie als Zeichen des Himmels. Es gab dann sogar weitere Personen, die von sich behaupteten, Friedrich zu sein. In den Niederlanden tauchte ein Mann auf, der steif und fest für sich in Anspruch nahm, er sei aus der Asche des zu Wetzlar Verbrannten nach drei Tagen wiederauferstanden, und noch im Jahr 1295 wurde ein weiterer Pseudofriedrich in Esslingen verbrannt. Da wäre der, für den er sich ausgab, bereits 101 Jahre alt gewesen.

Im Jahre 1285 drohte die Vierjahresfrist der eigenen Hausordnung abzulaufen, nach der Rudolf I. seinem Sohn ein Herzogtum, besser noch ein Königreich, zu beschaffen hatte. Tatsächlich kam noch ein wenig Bewegung in die Sache. Am 29. März 1285 starb Papst Martin IV. (1281-1285) in Perugia, jener Mann, der seine Politik so stark an Frankreich ausgerichtet hatte und den Habsburger niemals zum Kaiser gekrönt hätte. Hinzu kam noch, dass gut zwei Monate zuvor bereits Martins geliebter wie gefürchteter Vasall, König Karl von Anjou, am 7. Januar 1285 gestorben war. Mit dem neuen Papst Honorius IV. (1285-1287) gestalteten sich die Beziehungen für den Habsburger freundlicher als mit dessen widerwärtigem Vorgänger. Rudolf machte sich noch einmal Hoffnungen auf die Kaiserkrone, damit er seinen Sohn Albrecht die Nachfolge als deutscher König ebnen konnte. Ende 1285 schickte Rudolf seinen Vertrauten Heinrich von Isny zu den Verhandlungen nach Rom. Der hatte inzwischen, und zur Überraschung aller, den Posten des Erzbischofs von Mainz abgreifen können. Heinrich von Isny war der Sohn eines Handwerkers, Gottesgelehrter und Schwarzkünstler in einer Person, der, wie man munkelte, mit dem Leibhaftigen um Bunde sei, der ihm in Gestalt einer schwarzen Katze des öfteren erschiene. Ein sonderbarer Mann, ein freier, wendiger Geist, der es wagte, sich öffentlich über das kirchliche Fastengebot hinwegzusetzen und, was noch auffälliger war, einen weißgekleideten Mohren mit sich führte und einen Zwerg, mit dem er seine derben Späße trieb. Es war offenkundig, dass Rudolf I. diesen Emporkömmling eben deshalb so sehr schätzte, weil dieser sich ebenfalls aus niederen Verhältnissen mit Ehrgeiz und Klugheit nach oben gearbeitet hatte.

Die Verhandlungen mit Honorius IV. um die Kaiserkrönung liefen das Jahr 1286 über. Der Papst schien geneigt, mit Rudolf einig zu werden. Doch der Habsburger unterschätzte den Einfluss seiner Gegner in Deutschland, die an einem Nachfolger Albrecht auf dem Thron kein Interesse hatten, und folglich die Kaiserkrönung skeptisch sahen. Einen Hebel, die Verhandlungen zu torpedieren, fand der Kopf der Skeptiker, der Kölner Erzbischof Siegfried von Köln, in dem päpstlichen Legaten, der 1286 in Deutschland aufgetaucht war. Dieser Mann war Johannes Boccamazzi, ein Verwandter des Papstes und Kardinalbischof von Tusculum. Man konnte nicht sagen, dass dieser Legat ein guter Diplomat war: Er war geradezu die Inkarnation all des Hochmutes, der an der Kurie angesichts der Erfolge der letzten Jahrzehnte sich angesammelt hatte. Johannes wurde schnell beschrieben als „der große Drache, der die italienischen Berge überstieg, seinen giftigen Schwanz über ganz Deutschland ausbreitete und mit dem Pesthauch der Simonie die Menschen vergiftete“. Der Legat erpresste von den Städten exorbitante Forderungen, Prokurationsgelder genannt. Wer nicht spurte, wurde von dem Legaten exkommuniziert. Es war also ein leichtes für den Kölner Erzbischof, den König dafür zu kritisieren, dass er diesen Legaten für die Verhandlungen nach Deutschland geholt hatte. Die Stimmung unter der deutschen Fürsten war jedenfalls gegen Rudolf I. geneigt, als am 26. März 1287 das entscheidende Nationalkonzil bezüglich der Kaiserkrönung in Würzburg zusammentrat.

Das Konzil war gut besucht, die deutschen Kleriker waren in aufgebrachter Stimmung. Es dauerte nicht lange, dass es beinahe zu Handgreiflichkeiten gegen den arroganten Legaten Johannes kam und das Konzil abgebrochen werden musste. In Johannes hatte sich Rudolf den denkbar schlechtesten Anwalt ausgesucht. Schleunigst reiste der Legat Richtung Frankreich ab, bevor ihm Schlimmeres auf deutschem Boden widerfahren konnte. Die aufgebrachte Stimmung in Deutschland im Jahre 1287 entsprach in etwa jener späteren von 1517, da Martin Luther seine anklagenden Thesen gegen die römisch-katholische Kirche formulierte. Und dennoch fand sich 1287 noch kein Vergleichbarer, der die himmelschreienden Missstände ausgenützt hätte zu historischer Tat. Der Legat wurde davongejagt, die Ausschreibung eines neuen Zehnt verhindert, mehr nicht. Die Zeit war noch nicht reif für eine epochale Umwälzung, denn es fehlten Faktoren wie der Buchdruck, mit dem sich die revolutionären Stimmen hätten verbreiten können. Rudolfs Hoffnungen auf die Kaiserkrone waren spätestens da wieder einmal zunichte gemacht, als am 3. April 1287 der wohlgesonnene Papst Honorius IV. starb. Sein Nachfolger wurde Nikolaus IV., dessen Beziehung zu Rudolf korrekt, aber kühl blieben. Als am 18. März 1288 Heinrich von Isny starb (die Nachrufe waren teils wenig charmant: einen Hurenbock, Schwarzmagier und Lügner nannte man ihn), setzte der Papst in Mainz den Eppsteiner Gerhard II. als neuen Erzbischof ein, und der war kein Kandidat des Königs. Nikolaus IV. ließ den Habsburger wissen, dass in der Frage der Kaiserkrönung keine übergroße Eile angebracht sei. Niemals würde der Habsburger „über das Gebirge zur Krone fahren“, diese Trauben hingen zu hoch für den wenig mächtigen König.

Rudolf verlor sich in der ihm verbleibenden Zeit in lokalen Fehden und Polizeiaktionen gegen Basel, Bern und Colmar, während in Italien, in Burgund und in Flandern die Rechte des Reiches mit Füßen getreten wurden. Der Papst, die italienischen Städte sowie der französische König waren eine ganz andere Liga als er: Im Grunde war Rudolf zeit seines Lebens der kleine Graf geblieben, der er am Anfang gewesen war. Eine bedeutende Sache jedoch geschah noch zu Lebzeiten des greisen Königs: Am 10. Mai 1290 starb überraschend Sohn Rudolf im Alter von zwanzig Jahren in Prag, als er dort zu Besuch weilte. Der Sohn, dem der König ein Herzogtum, gar eine Königskrone binnen vier Jahren versprochen hatte, sollte niemals ein König werden. Er hinterließ seine hochschwangere Gattin Agnes, die Tochter Ottokars. Bald darauf brachte sie einen gesunden Sohn zur Welt, der auf den Namen Johann getauft wurde. Dieser Junge würde später noch auf die Erfüllung des Versprechens, das seinem Vater einst gegeben worden war, vehement pochen!

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Ende 1290 war es soweit, der König fühlte allmählich sein Ende nahen. Im Frühjahr 1291 brach Rudolf auf zu so etwas wie eine Abschiedstournee, die ihn durch seine geliebten Städte wie Straßburg führte. Mit letzter Kraft, als es mit ihm zu Ende ging, begab er sich nach Speyer, wo er neben seinen großen salischen Vorgängern im Dom begraben werden wollte. Dort in Speyer tat Rudolf I. am 15. Juli 1291 seinen letzten Atemzug. An der Seite Philipps von Schwaben, des letzten Staufers, der in deutscher Erde ruhte, fand der Habsburger seine Grabstätte. Seine Grabplatte ist noch heute dort aufgestellt.

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Adolf von Nassau

Als Rudolf I. im Jahre 1291 starb, da hatte er fünf seiner zehn Kinder überlebt. Von den Söhnen lebte nur noch Albrecht, der finstere Herzog von Österreich.

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1. Mathilde (*1253) – verheiratet mit dem Kurfürst Ludwig II. von der Pfalz
2. Albrecht (*1255) – Herzog von Österreich, verheiratet mit Elisabeth von Görz
3. Katharina (1256-1282) – war verheiratet mit Herzog Otto III. von Niederbaiern
4. Gertrud (*1257) – verheiratet mit Herzog Albrecht II. von Sachsen
5. Heilwig (1259-1286) – war verheiratet mit Markgraf Otto IV. von Brandenburg
6. Klementia (*1262) – verheiratet mit Charles Martell von Ungarn
7. Hartmann (1263-1281) – im Rhein ertrunken
8. Rudolf (1270–1290) – in Prag gestorben, hinterließ den Sohn Johann
9. Guta (*1271) – verheiratet mit dem böhmischen König Wenzel II.
10. Karl (1276-1276) – als Kind gestorben

Das Erbkönigtum hatte Rudolf für seinen Sohn nicht einführen können, es war nun also an den Kurfürsten, einen Nachfolger auf dem Thron zu bestimmen. Die Krone wurde fast ein Jahr lang nicht neu vergeben, so lange dauerte es, bis man sich auf einen Kandidaten einigte. Albrecht hatte in dieser Zeit alle Hände voll zu tun: Nach dem Tod seines Vater zeigte sich, welche Kräfte der König zu seinen Lebzeiten in Österreich gebändigt hatte. Anfang August 1291 nämlich brachen in Österreich, der Steiermark und in der Schweiz Aufstände gegen Albrecht los, die er mühsam niederringen musste.

Für die Kurfürsten war jedenfalls klar, dass sie keinesfalls den rigorosen und unbeliebten Machtpolitiker Albrecht zum König wählen würden. Lediglich der Kurfürst Ludwig II. von Pfalz, Albrechts Schwager, unterstützte eine Kandidatur Albrechts. Der Kölner Erzbischof Siegfried war seit jeher ein Gegner der Habsburger und argumentierte nun sogar, dass es nicht rechtens sei, dass ein Sohn seinem Vater unmittelbar im Reich nachfolge. Eine eigenwillige Meinung, wenn man sich die Praxis der vorherigen Jahrhunderte anschaute. Mit der Wahlstimme des jungen Böhmen Wenzel II., auch er ein Schwager von Albrecht, konnte der Habsburger ebenfalls nicht rechnen. Denn Wenzel II. strebte danach, die Babenberger Ländereien aus dem Erbe seines Vaters Ottokar zu erlangen, und das machte ihn natürlich zu einem Gegner Albrechts. Wenzels Stimme hatte umso mehr Gewicht, weil er bereits die Stimmen der beiden Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg für sich eingekauft hatte: Sie würden sich seiner Stimmabgabe anschließen. Ähnliches hatte der Kölner Erzbischof zuwege gebracht, er hatte sich mit seinen Kollegen aus Mainz und Trier auf eine gemeinsame Stimmabgabe verständigt. An der Stimme aus Mainz wieder hing die des böhmischen Königs, Wenzel hatte sie an Gebhard verkauft. Da fiel die einzige „unabhängige“ Stimme des Pfalzgrafen Ludwig II. also auch nicht mehr ins Gewicht.

Ein Blick auf die Kurfürsten des Reiches, zum einen jene, die 1273 Albrechts Vater zum König wählten, bis hin zu denen, die 1291 nun über die Nachfolge bestimmten.

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König von Böhmen
(1253-1278) Ottokar II. *1232 +1278 (Przemysliden)
Kam im Kampf um Österreich in der Schlacht gegen Rudolf von Habsburg ums Leben.
(seit 1278) Wenzel II. *1271 (Przemysliden)
Sohn des Vorgängers, erhebt Anspruch auf das Herzogtum Österreich gegen Albrecht von Habsburg, obgleich er mit Schwester Albrechts verheiratet ist.

Pfalzgraf bei Rhein
(seit 1253) Ludwig II. der Strenge *1229 (Wittelsbacher)
Das war der, der aus Eifersucht seine erste Ehefrau hatte hinrichten lassen. Seit 1255 war er zugleich Herzog von Oberbaiern, sein Bruder Heinrich XIII. erhielt Niederbaiern. Ludwig der Strenge ist ebenfalls ein Schwager Albrechts von Habsburg und steht diesem politisch nahe.

Erzbischof von Mainz
(1259-1284) Werner *1225 +1284 (von Eppstein)
Werner war jener Kurfürst, der sich damals für die Königswahl des unbedeutenden Rudolf von Habsburg ausgesprochen hatte.
(1284-1288) Heinrich II. *1222 +1288 (von Isny)
Aus gewöhnlichen Verhältnissen stammend, brachte es dieser ebenso kluge wie zwielichtige Mann bis in das Erzbistum von Mainz. Er war ein enger Vertrauter der Habsburger.
(seit 1288) Gebhard II. *1230 (von Eppstein)
Gebhard war ein Schwager des früheren Erzbischofs Werner, stand den Habsburgern, insbesondere Albrecht, aber kritischer gegenüber.

Erzbischof von Köln
(1261-1274) Engelbert II. *1220 +1274 (von Falkenburg)
Er war damals jener Kurfürst, der Rudolf von Habsburg die Krone auf das Haupt setzte. Ansonsten war er eher wenig erfolgreich.
(seit 1275) Siegfried *1260 (von Westerburg)
Ein energischer Strippenzieher und einer der Großen im Reich. Meistens steckte er dahinter, wenn eine Koalition gegen die aufstrebenden Habsburger geschmiedet wurde. Bei der Schlacht von Worringen erhielt Siegfried zwar einen empfindlichen Dämpfer, er war bei der neu anstehenden Königswahl aber wieder ganz in seinem Element.

Erzbischof von Trier
(1260-1286) Heinrich II. *unbekannt +1286 (von Finstingen)
Die meiste Zeit seiner Amtszeit führte er Krieg gegen Koblenz.
(seit 1286) Boemund I. *unbekannt (von Warsberg)
Er war die ersten drei Jahre nicht unangefochtener Erzbischof von Mainz, erst dann war der erste der beiden Konkurrenten gestorben und der zweite, Gebhard von Eppstein, anderweitig Erzbischof geworden, nämlich in Mainz.

Markgraf von Brandenburg
(seit 1267) Otto IV. der Lange *1238 (Askanier)
Ein Ururenkel von Albrecht dem Bären. Otto war derjenige, der in Böhmen die tyrannische Regentschaft für den damals noch minderjährigen Wenzel II. geführt hatte.

Herzog von Sachsen
(seit 1260) Albrecht II. *1250 (Askanier)
Albrecht regierte über den sächsischen Teil Wittenberg, während sein Bruder Johann den Teil Sachsen-Lauenburg beherrschte. Zum Dank dafür, dass Albrecht 1273 seine Kurfürstenstimme dem Habsburger gegeben hatte, erhielt er eine Tochter Rudolfs zur Frau. Albrecht II. ist damit ein weiterer Schwager des Habsburgers Albrecht von Österreich.

Auch die Kandidatur des französischen Königs schlugen die Kurfürsten aus, mochte er auch noch so viel Geld dafür bieten. Die Kurfürsten waren sich einig, dass ein mächtiger Mann auf dem deutschen Thron unerwünscht war. Als Kompromisskandidat im Gespräch war zunächst der schwäbische Herzog Konrad von Teck, ein Zähringer, der jedoch am 1. Mai 1292 eines möglicherweise gewaltsamen Todes starb. In dieser unentschiedenen Situation gewann der Kölner Erzbischof Siegfried die Oberhand. Siegfried hatte im jüngst vergangenen Limburger Erbfolgekrieg als Folge der verlorenen Schlacht von Worringen (1288) erhebliche politische und territoriale Einbußen hinnehmen müssen. Um so mehr war er entschlossen, sein Wahlrecht zum Vorteil seiner Kirche zu nutzen: Dass deren Verluste wettgemacht werden mussten, war in seinen Augen nämlich ein legitimes Ziel seines Handelns. So verwundert es nicht, dass er mit Adolf von Nassau einen seiner Mitstreiter im Limburger Erbfolgekrieg als seinen Kandidaten für die Königswürde ins Spiel brachte. Graf Adolf war zudem entfernt verwandt mit dem Kölner Erzbischof Siegfried (von Westerburg) sowie dem Mainzer Erzbischof Gerhard (von Eppstein). Graf Adolf war ein machtloser Fürst, er beherrschte nicht einmal die gesamte Grafschaft Nassau. Ihm unterstanden nur verstreute Güter um Wiesbaden, im Taunus und an der Lahn mit knapp 100 Dörfern.

Für den Fall seiner Wahl schloss Erzbischof Siegfried mit Adolf einen Vertrag, der den Grafen in vielfältiger Weise an die Interessen des Kölner band. So sollte er keinen Feind des Erzbischofs in seinen Rat aufnehmen oder zu seinem Vertrauten machen, besonders nicht die Gegner des Erzbischofs während des Limburger Erbfolgekriegs: den Herzog von Brabant und die Grafen von Berg und von der Mark. Um seine Wahl abzusichern, hatte Adolf zahlreiche Sicherheiten zu stellen, das waren Verpfändungen von Reichsstädten und -burgen. Die Interessen Gebhards von Mainz, des Pfalzgrafen Ludwig sowie Wenzels von Böhmen hatte Adolf ebenfalls schriftlich zu garantieren. Wenzel II. erhielt dabei am meisten zugesagt: Hinsichtlich seiner Ansprüche auf Österreich, Steiermark und Kärnten ein wohlwollendes Urteil in Aussicht gestellt. Bei der Mark Meißen wurde Wenzel II. der Vorrang bei einer eventuellen neuen Belehnung eingeräumt.

Als es am 5. Mai 1292 zur Wahl kam, waren Adolf also - politisch gesehen – bereits die Zähne gezogen worden. Für Herzog Albrecht von Habsburg war allerdings keine Entwarnung angesagt, der schwache Adolf war eine Marionette in den Händen der Kurfürsten, die mittels des Schattenkönigs durchaus Albrechts Position in Österreich gefährlich werden konnten. Albrecht war aber so klug, Adolf von Nassau als seinen König anzuerkennen. Er wollte nicht so enden wie Ottokar von Böhmen, der sich damals geweigert hatte, seine Vater als König anzuerkennen, obwohl dies der Wille der mächtigen Kurfürsten gewesen war.

Wie mit dem Kölner Erzbischof vereinbart, blieb Adolf nach seiner Wahl vier Monate in dessen Herrschaftsgebiet. Der Erzbischof erwartete vom König eine Revision der Ergebnisse der Schlacht von Worringen 1288. Er hatte die Hoffnung, wieder größeren Einfluss in der Stadt Köln zu gewinnen. Trotz der engen Vorgaben emanzipierte sich Adolf rasch von seinen Wählern und schloss Bündnisse mit ihren Gegnern. So bestätigte er beispielsweise die Rechte von Adligen und der Stadt Köln, die sich gegen ihren Landesherrn gewandt hatten, und erweiterte diese Rechte sogar.

Auch die Versprechungen hinsichtlich der Herzogtümer Österreich und Steiermark brach Adolf sehr schnell. Albrecht von Habsburg vermied, wie erwähnt, als kluger Diplomat eine Auseinandersetzung mit dem neuen König und erhielt gegen Herausgabe der Reichskleinodien, die er von seinem Vater her noch in Besitz hatte, im November 1292 eine förmliche Belehnung mit Österreich, der Steiermark und der Windischen Mark. Ein Affront Adolfs gegen den Böhmen Wenzel, dem Adolf schließlich seine Unterstützung beim Erlangen eben jener Titel Hilfe versprochen hatte!

Die Marionette Adolf machte sich daran, seine eigene Hausmacht herzustellen. Mit jeder neuen Urkundenausfertigung rückte Adolf von seinen Versprechungen ein Stück weiter ab, ohne dass man ihn des offenen Vertragsbruchs bezichtigen konnte. Sein Hof wurde Anziehungspunkt für alle, die Schutz vor den mächtiger werdenden Territorialherren des Reiches suchten. Er hielt zahlreiche Hoftage ab, erneuerte bereits zu Beginn seiner Herrschaft den allgemeinen Landfrieden Rudolfs I. für weitere zehn Jahre und stiftete mindestens zwei regionale Landfrieden. Provokant daran war, dass Adolf mit der Wahrung des Landfriedens ausgerechnet den Herzog von Brabant beauftragte, den Sieger von Worringen. Im Gegenzug erhielt Adolf von diesem ein großzügiges Darlehen. Die Erzbischöfe, vorneweg der Kölner Siegfried, wurden damit (und weiteren Missachtungen früherer Versprechen) regelrecht düpiert.

Das Lehnswesen nutzte König Adolf als eines seiner wichtigsten Herrschaftsinstrumente. Er verlangte von den geistlichen Reichsfürsten für die Belehnung mit Regalien eine Zahlung, die sogenannte Lehnsware, und steigerte dieses Verlangen bis zum Ärgernis. Zeitgenossen sahen in diesem Vorgehen simonistische Tendenzen. Man konnte es auch als innovative Möglichkeit ansehen, neue Staatseinnahmequellen zu erschließen, wie dies auch andere westeuropäische Könige taten.

Adolf gelang es durch geschickte Heiratspolitik, ehemaliges Reichsgut wieder in die Verfügungsmacht des Reiches zu bringen. Ähnlich wie es damals Rudolf I. gemacht hatte, verheiratete Adolf seine Tochter mit einem Kurfürst, nämlich Mechthild mit Rudolf dem Stammler, dem Sohn und Erben des Pfalzgrafen Ludwig dem Strengen. Der Erbfall trat bereits 1294 ein, als der Strenge starb und der Stammler neuer Pfalzgraf wurde. Und den hatte Adolf ganz gut im Griff, der Schwiegersohn wurde politisch regelrecht entmündigt. Das fand der jüngere Bruder des Stammlers vermutlich gar nicht witzig - von diesem Wittelsbacher namens Ludwig der Baier wird später noch zu hören sein.

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Das Verhältnis zwischen dem Habsburger Albrecht und König Adolf wurde 1295 ebenfalls hart belastet. Da erkrankte Albrecht nämlich schwer an einer Vergiftung, deren Ursache unbekannt war.

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Vielleicht hatte Albrecht nur schlechte Lebensmittel verzehrt, vielleicht steckte auch ein Giftanschlag dahinter. Jedenfalls brach der Herzog unter Krämpfen zusammen und rang mit dem Tod.

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Als die gewöhnlichen Heilmittel nicht anschlugen und Albrecht das Bewusstsein verlor, entschieden sich seine Ärzte für eine ungewöhnliche Behandlungsmethode: Sie hängten Albrecht kopfüber an den Beinen auf, damit das Gift aus seinem Körper fließen konnte. Der Patient überlebte die Prozedur, durch den massiven Blutdruck in seinem Kopf verlor er aber ein Auge. Das machte Albrechts finsteres Antlitz noch einmal unheimlicher. König Adolf nutzte den Todeskampf des Habsburgers sogleich, um die Lehen, die er Albrecht zuvor noch bestätigt hatte, für die Krone zurückzufordern. Das verzieh ihm der Habsburger nicht, nachdem er sich wieder erholt hatte.

Auch in Thüringen versuchte Adolf, Vorteile für sich herauszuschlagen. Dort herrschte der Wettiner Albrecht der Entartete, ein verschwenderischer Mann ohne Verantwortungsgefühl für den Fortbestand seiner Dynastie, der seine beiden legitimen Söhne zugunsten eines nachträglich legitimierten Bastards beim Erbe leer ausgehen lassen wollte. Die beiden Söhne wehrten sich: Der eine erzwang beim Vater sein Erbrecht auf Thüringen, der zweite besetzte Meißen. 1294 ergriff Adolf die Initiative, indem er dem Entarteten einfach Thüringen abkaufte und Meißen für die Krone einzog. Damit stach der König in ein Wespennest, denn auf Meißen erhob auch Wenzel II. Anspruch, während die Erzbischöfe von Köln und Mainz ihren Besitz in Thüringen verletzt sahen. Die beiden Söhne des Entarteten kämpften weiter um ihren Anspruch, nun nicht mehr gegen ihren Vater, sondern gegen Adolf. Der König brauchte dringend Geld, um seinen Feldzug in Thüringen finanzieren zu können. Er versuchte sich daher in der internationalen Politik.

Im Krieg zwischen dem englischen König Edward I. und dem französischen König Philipp IV. verbündete sich Adolf mit dem Plantagenet und kassierte dafür eine stattliche Summe aus England. Das blieb den deutschen Fürsten nicht verborgen, ihr König hatte sich wie ein Söldner verkauft. Die Peinlichkeit wurde grenzenlos, als Adolf sich 1297 auch noch vom französischen König dafür bezahlen ließ, seine militärische Bündnispflicht gegenüber England NICHT einzuhalten. Das Ergebnis war, dass Adolf zwar wieder über Geld verfügte, sein Prestige aber gründlich im Eimer war.

Den Kurfürsten reichte es jetzt, ihre königliche Marionette tat ganz und gar nicht das, was sie von ihr erwarteten. Sie verabredeten sich, gemeinsam gegen ihn vorzugehen und ihn abzusetzen. Inzwischen hatte jeder von ihnen seine eigenen Gründe dafür. Eine Alternative zum König fanden sie in dem Habsburger Albrecht, den sie sechs Jahre zuvor noch als Thronfolger verhindert hatten. Es lag wohl auch an der ausgreifenden Politik Wenzels II., dass sie den österreichischen Herzog jetzt bevorzugten, um diesen dem Böhmen als Gegenpart vor die Nase zu setzen.

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Gegen König Adolf wurde ein Absetzungsverfahren eröffnet, in dem dieser zahlreicher Verbrechen beschuldigt wurde: Hostienfrevel, Kirchenraub, Landfriedensbruch (in Thüringen), Bruch der bei der Krönung eingegangenen Verpflichtungen, Simonie und andere Delikte. Das Verfahren war ohne Beispiel, denn Adolf war bisher nicht einmal exkommuniziert worden. Auch der Papst war bei der Absetzung nicht involviert worden, obwohl er die Absetzungskompetenz für sich beanspruchte. Die Kurfürsten sahen sowohl das Recht zur Wahl wie zur Absetzung ihres Königs offensichtlich bei sich liegen.

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Doch ihr Votum alleine genügte natürlich nicht, um einen Machtwechsel herbeizuführen. Die Entscheidung musste vielmehr auch in die Tat umgesetzt werden. Nahe Göllheim in der Pfalz suchten die Kontrahenten am 2. Juli 1298 die Entscheidung in einer Schlacht. Sie kostete Adolf das Leben.

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Albrecht I.

Was der Vater bis 1291 nicht hatte bewerkstelligen können – den Habsburgern sowohl die Krone als auch das Herzogtum Österreich zu sichern – fiel Albrecht jetzt dank seiner Geduld nun doch zu. Er konnte sich einige Wochen nach dem Tod Adolfs noch einmal ganz offiziell zum neuen König wählen lassen. Nur die Stimme von Böhmen fehlte, Wenzel II. blieb wie erwartet dem Wahlakt fern. Neben Wenzel dürfte auch der seit 1294 amtierende Papst Bonifaz VIII. nicht über den Vorgang erfreut gewesen sein, hatten die deutschen Kurfürsten ihn bei ihrer Entscheidung nicht einbezogen. Albrecht vermied es konsequenterweise, beim Papst um die Bestätigung seiner Wahl nachzusuchen (Approbation). Es war nicht erstaunlich, dass der Heilige Vater diese Wahl als unrechtmäßig anprangerte. Er war gerne bereit, darüber hinwegzusehen und die Approbation zu erteilen, wenn der König ihm die Toskana abtreten würde.

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Albrecht I. konnte verhältnismäßig gut in seine Regierung starten, er hatte den Kurfürsten kaum zusätzliche Zugeständnisse machen müssen. Wobei das relativ war, die Privilegien der Kurfürsten waren auch so schon gewaltig. Mit Wenzel fand der Habsburger eine diplomatische Lösung: Er erlaubte Wenzel, seinen Machtbereich Richtung Polen zu erweitern und erreichte nachträglich auch dessen Anerkennung seiner Wahl. Apropos: Wenzel II. hatte sich von dem Einfluss seines Stiefvaters Zwaisch befreien können – er ließ ihn 1290 nämlich hinrichten.

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Um den Papst einzufangen, suchte Albrecht die Verständigung mit dem französischen König, der konnte Einfluss auf die Kurie nehmen. Ende 1299 war sich Albrecht (in Absprache mit den Kurfürsten) mit Philipp IV. soweit einig, dass Albrechts ältester Sohn Rudolf III. die Schwester des Kapetinger heiratet und der Dame das Oberelsass sowie die schweizerische Grafschaft Fribourg als Mitgift erhält. Darüber hinaus akzeptierte der Habsburger größeren französischen Einfluss in Burgund und Bar. Über all dem schwebte erneut der Verdacht, die Habsburger würden die Reichsinteressen an der Westgrenze zugunsten einer Chance auf die Einführung einer deutschen Erbmonarchie verschleudern.

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Der Vertrag wurde ratifiziert und wie vereinbart sprachen französische Delegierte 1300 bei Papst Bonifaz vor, um für Albrecht Partei zu ergreifen. Der ließ sie zunächst einmal kühl abblitzen, erst 1303 – als sein Verhältnis zu Frankreich allzu sehr abgekühlt war, lenkte Bonifaz gegenüber Philipp IV. ein. Für umsonst sollte es die Anerkennung für Albrecht natürlich trotzdem nicht geben. Bonifaz verlangte die Aufkündigung des deutsch-französischen Bündnisses sowie eine befristete, teilweise Kontrolle über Oberitalien. Und natürlich die üblichen Treue- und Schutzversprechen, wie sie ein deutscher Monarch der römischen Kirche zu leisten hatte. Albrecht ging 1303 darauf ein, die weiterreichenden Forderungen, die der Papst für eine Kaiserkrönung formulierte, wies er aber zurück. So wichtig war ihm der Romzug dann doch nicht.

In der Zwischenzeit wiederholten sich unter Albrecht im Grunde die Ereignisse, wie sie unter Adolf stattgefunden hatten. Der mäßig einflussreiche König versuchte, seine Macht zu vergrößern. Dabei achtete er nicht die Interessen der Kurfürsten, die ihn zur Krone verholfen hatten. Albrecht gab zum Beispiel das ledig gewordene Lehen Holland-Seeland-Friesland nicht neu aus, er behielt es einfach für sich. Auch in Thüringen setzte Albrecht die Politik seines Vorgängers geradewegs fort. Als der Habsburger dann auch noch das Erzbistum Trier ausgerechnet mit Dieter von Nassau, dem Bruder des getöteten Adolf, besetzte, war für die Kurfürsten das Maß wieder einmal voll. Es hatte gerade einmal zwei Jahre gedauert, bis ihnen Albrecht zu eigenwillig wurde und sie seine Absetzung betrieben. Kennen wir alles schon.

Mit Albrecht hatten sie allerdings einen Gegner von anderem Kaliber als Adolf. Denn der Habsburger stützte sich nicht nur auf sein Hausgut, er konnte sich auch auf die mittelrheinischen Landvögte und die Städte verlassen. Auf Seiten der Kurfürsten war die Macht insbesondere der beiden Erzbischöfe von Mainz und Köln nicht mehr auf alter Höhe. Sie hatten ihre Ressourcen im Krieg gegen Adolf bzw. um Limburg überfordert. Albrecht ging politisch unbeschädigt aus dieser Krise hervor.

In den folgenden Jahren konnte Albrecht seine persönliche Position und die seines Hauses in Ruhe absichern und ausbauen. Die Habsburger waren jetzt eine feste Säule im Reichsgefüge. Im Jahre 1306 kam Bewegung in die große Politik: Nachdem Wenzel II. die Krone von Polen errungen hatte, streckte der böhmische König seine Hans nach Ungarn aus. Dort war mit dem Tod von Andreas III. die Dynastie der Arpaden im Mannesstamm ausgestorben, es ging also mal wieder um einen Erbfolgekrieg. Einen böhmischen Einfluss auf Ungarn mochte der Habsburger aus Gründen der Machtbalance nicht dulden, zumal die Witwe des verstorbenen Andreas eine Tochter Albrechts war. Albrecht hatte zwar keine Chance, einen eigenen Kandidaten in Ungarn zu platzieren, aber den böhmischen Königssohn Wenzel III. wollte er zumindest verhindern. Albrecht unterstützte daher den päpstlichen Kandidaten Charles von Anjou, der sich 1304 auch durchsetzen konnte.

Der Habsburger lag also eh im Krieg mit Böhmen – und dann verstarb am 21. Juni 1305 König Wenzel II. mit nur 33 Jahren. Sein Sohn und Nachfolger Wenzel III. war da lediglich 15 Jahre alt und mit der nun auf ihm lastenden Verantwortung überfordert. Albrecht brauchte nur noch mit den Waffen zu klirren und bekam einen günstigen Frieden: Das Eger- und Pleißnerland fielen zurück an den Habsburger, der böhmische Anspruch auf Ungarn wurde vom Tisch genommen. Albrecht eröffneten sich noch mehr Möglichkeiten: Wenig später versetzte ihn die Ermordung des jungen Wenzels III. (war eine innerböhmische Intrige) sogar in die Lage, das Königreich Böhmen als heimgefallenes Reichslehen zu reklamieren und die Wahl seines Sohnes Rudolf III. zum böhmischen König zu betreiben. Mit Wenzel III. waren die Przemysliden nämlich auch im Mannesstamm ausgestorben.

Es gab ein Problem: Der Meinhardiner Heinrich, Herzog von Kärnten, hatte rechtzeitig die Schwester des letzten Przemysliden geheiratet und machte ebenfalls Anspruch auf den böhmischen Thron geltend. Der böhmische Adel zog es vor, den Meinhardiner anstelle des Habsburgers als Herrn zu haben. Albrecht wusste Rat, seinem Sohn eine ebenso gute Legitimierung zu verschaffen. Die französische Prinzessin, mit der Albrecht seinen Sohn 1300 verheiratet hatte, war praktischerweise bereits 1305 gestorben und Rudolf III. Witwer. Und da Wenzel III. tot war, gab es auch in Prag eine Witwe, nämlich die Polin Elisabeth. Flugs wurden Rudolf und Elisabeth im Oktober 1306 verheiratet. Unter dem Eindruck der drohenden Reichsacht machte der Kärntner Heinrich einen Rückzieher und verzichtete auf Böhmen.

Albrecht Sohn Rudolf konnte sich in Prag zum böhmischen König krönen lassen, das Königreich wurde allen Söhnen Albrecht zu gesamter Hand belehnt. Die Habsburger hatten endlich auch hier den Fuß in der Tür. Die deutschen Fürsten konnten lediglich durchsetzen, dass Rudolf dafür auf die Herrschaft über Österreich verzichten musste. Albrechts Nachfolger in Wien sollte statt dessen der zweite Sohn Friedrich (der Schöne) werden. Das war für den König eine akzeptable Bedingung. Den Widerstand des böhmischen Adels brach Albrecht mit Gewalt.

Eine politische Einigung Mitteleuropas unter der Führung der Habsburger schien zum Greifen nahe. Kaum war Böhmen gesichert, nahm Albrecht wieder Thüringen ins Visier, wo die Wettiner mittlerweile ihre internen Streitigkeiten beigelegt hatten. Die beiden Söhne „des Entarteten“ standen gemeinsam gegen das königliche Heer, das Albrecht im Mai 1307 nach Thüringen schickte. Bei dieser Schlacht erhielt Albrecht den wohl ersten harten Dämpfer seiner sonst erfolgreichen Regierung: Seine Truppen wurden von den Wettinern klar geschlagen.

Den zweiten Schlag erhielt Albrecht durch den Tod seines Sohnes Rudolfs am 4. Juli 1307. Der junge Mann starb mit etwa 25 Jahren wohl an einem durchgebrochenen Magengeschwür (nicht umsonst hatten die Böhmen ihm den Spottnamen „König Brei“ verpasst, der Habsburger vertrug nur leichte Kost). Der böhmische Adel fackelte nicht lange und bot erneut dem Kärtner Heinrich die Krone an. Albrecht I. rüstete zu einem neuerlichen Böhmenfeldzug, um das in Ordnung zu bringen.

Da schlug das Schicksal gegen Albrecht I. aus einer unerwarteten Richtung zu: Im April 1308 erschien wieder einmal sein Neffe Johann bei ihm und verlangte von ihm seinen immer wieder verweigerten Erbteil. Johann war der Sohn von Albrechts älterem Bruder Rudolf. Wir erinnern uns: Dieser Rudolf war damals in der Hausordnung beim Erbe des Herzogtums Österreich ausgeklammert worden und hatte vom Vater ein anderweitiges Herzogtum, gar ein eigenes Königreich, binnen vier Jahren versprochen bekommen. Aus der Sache wurde bekanntlich nichts, weil Rudolf 1290 überraschend in Prag gestorben war. Johann hatte zwar bereits das Herzogtum Schwaben geerbt, aber das reichte ihm nicht. Für den Verzicht seines Vaters auf Österreich verlangte er mehr – vielleicht brachte er sich bei Albrecht wegen des vakanten Throns in Böhmen ins Spiel? Wie auch immer, Albrecht vertröstete seinen Neffen abermals. Das war über die Jahre so häufig geschehen, dass Johann bereits der Spottname „Herzog ohne Land“ anhing. Wir kennen das aus CK2 ja mit den lästigen Meldungen landloser Söhne! Bei einem gemeinsamen Abendessen in Winterthur ließ der König jedem seiner Gäste einen Blumenkranz überreichen, den Johann seinem Onkel zornig ins Gesicht warf, wobei er ausrief, er sei zu alt, um weiterhin mit Blumen abgespeist zu werden, und er wolle das, was ihm zusteht. Das Fest war nach diesem Eklat vorzeitig zu Ende. Jetzt hatte der enttäuschte Johann endgültig genug: Er lauerte seinem Onkel am 1. Mai 1308 auf und erstach ihn, unterstützt von zwei Attentätern.

Vermutlich hätte es Albrecht I. geschafft, die Habsburger fest an der Spitze des Reiches zu etablieren. Sein plötzlicher Tod sollte die politische Dominanz seines Hauses auf dem Thron um 130 Jahre verzögern.


… und wie ging es weiter?

Johann, genannt Parricida (Verwandtenmörder) floh nach dieser Tat und tauchte unter. Vermutlich starb er fünf Jahre später, getarnt als Mönch, in Pisa. Die deutschen Kurfürsten wählten nach Albrechts Tod natürlich keinen weiteren Habsburger zum König, sie suchten erneut nach einem eher machtlosen Nachfolger. Sie wurden fündig mit dem Luxemburger Grafen Heinrich VII. aus dem Haus Limburg-Luxemburg. Im Herzogtum Österreich folgte Albrechts Sohn Friedrich der Schöne nach, dem bei der Regierung sein tatkräftiger Bruder Leopold an der Seite stand. Von den Genannten werden wir im nächsten Kapitel, das sich mit Deutschland beschäftigt, noch hören.


Literatur:
Johann Franzl – Rudolf der Erste
GEO Epoche – Die Macht der Habsburger
Thomas Zotz/Christine Reinle – Die deutschen Könige des Mittelalters

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Benedek » 12. Dezember 2017 09:18

Hallo Mark,
immer wieder schön zu lesen wie es hier weitergeht.
Jetzt ist es gerade für mich als Österreicher spannend zu lesen was die Habsburger noch so alles vor haben. Natürlich AEIOU:)
Danke für die Mühen die man auf sich nimmt um so einen AAR hinzubekommen.

Mfg Benedek

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 16. Dezember 2017 10:02

Danke für das freundliche Feedback. Inzwischen bin ich gespannt, ob diese laufende Story vom Umfang her noch an die erste "Krone"-Geschichte hier im Forum heranreichen wird.

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Drei Familien: Wittelsbach
Ludwig IV.
Startdatum: 1. Mai 1308


Am 1. Mai 1308 war König Albrecht unweit der Habsburg den Dolchen seiner Mörder zum Opfer gefallen. Die Nachricht von dieser unerhörten Bluttat muss sich in Windeseile verbreitet haben. Bereits am 11. Mai trafen sich bei Brüssel einige niederrheinische Fürsten, darunter Herzog Johann von Brabant, Graf Wilhelm von Holland und Graf Heinrich von Luxemburg. Sie versprachen sich vertraglich gegenseitige Hilfe gegen jedermann und im Fall einer möglichen Wahl eines der Bündnispartner zum König die Bestätigung ihrer Lehen.

Auch die Kurfürsten selber machten sich natürlich Gedanken, wie sie sich bei der anstehenden Wahl positionieren sollten. Nach einer Reihe von Vorverträgen – das nahm fast ein halbes Jahr in Anspruch – kamen die weltlichen Kurfürsten von Brandenburg, Baiern und der Pfalz überein, ihr Votum demjenigen zu geben, der die Mehrheit der drei geistlichen Kurstimmen (Köln, Mainz, Trier) auf sich vereinigen könne. Dabei gingen sie davon aus, dass die Wahl auf einen aus ihrem Kreis fallen würde. Die Bündnispartner von Brüssel zogen sie dabei als Konkurrenten gar nicht in Betracht.

Einer von den „Brüsselern“ aber, nämlich Heinrich von Luxemburg, war bereits in eigener Sache aktiv: Mit Unterstützung seines in Trier einflussreichen Bruders Balduin formulierte Heinrich gegenüber den drei Erzbischöfen großzügige territoriale und finanzielle Versprechungen auf Kosten des Reiches. Und so wurde der Luxemburger Graf am 27. November 1308 einstimmig zum neuen König gewählt. Okay, es waren nur sechs der sieben Stimmen, der böhmische König Heinrich (der Meinhardiner mit dem Herzogtum Kärnten) fehlte bei der Wahl. Damit gelangte ein neues Geschlecht auf den Königsthron: Die Luxemburger. Sie waren neben den Habsburgern und den Wittelsbachern eine der drei Familien, die das Reich auf lange Zeit prägen würden.

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Die Habsburger sind bereits ausführlich dargestellt worden, von den beiden anderen soll jetzt die Rede sein, ich beginne mit den Bayern:


Die Wittelsbacher

Woher die Wittelsbacher ursprünglich stammen, ist nicht klar, die Herkunft von Karl dem Großen oder gar den Trojaner gehören in das übliche Reich der Legenden. Seriöser ist die Annahme, dass sie eine Seitenlinie der Luitpoldinger waren. Die wiederum haben ihren Namen von dem Markgrafen Liutpold von Baiern, der 907 starb. Dessen Sohn Arnulf der Böse kam im Kapitel „Die ersten deutschen Könige“ vor, er war der Gegenkönig zu Heinrich I. - wer sich daran erinnert, Arnulf hatte ich erwähnt, weil er gemeinsame Sache mit den ungarischen Todfeinden machte und deshalb bei den deutschen Fürsten unten durch war. Arnulfs jüngerer Sohn erbaute 940 die Burg Scheyern, erst der dort sitzende Graf Otto II. von Scheyern, der 1078 starb, ist er erste gesicherte Vorfahr der Wittelsbacher. Dessen Enkel Otto V. verlegte seinen Sitz auf die Burg Wittelsbach.

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Der aktuelle Vertreter des Hauses Wittelsbach war im Jahre 1308 Ludwig der Baier. Er war wohl im Jahre 1282 in München zur Welt gekommen. Bei seiner Geburt war es fast genau hundert Jahre her, dass man Heinrich dem Löwen seine Herzogtümer Sachsen und Baiern abgesprochen hatte und der oben erwähnte Graf Otto V. von Wittelsbach im Jahre 1180 von Kaiser Barbarossa mit Baiern belehnt worden war. Der einzige Sohn des frischgebackenen Herzogs Otto war der Urgroßvater Ludwigs des Baiern, der Herzog Ludwig der Kehlheimer genannt wurde, weil er in Kehlheim zur Welt gekommen und sechzig Jahre später, 1231, dort vor aller Augen ermordet worden war. Als Drahtzieher des Mordes betrachteten die Zeitgenossen Barbarossas Enkel, Kaiser Friedrich II., weil der Kehlheimer in Verdacht geriet, zum Papst übergegangen zu sein, als der gewaltige Kampf des Staufers mit der Kirche begann. Angesichts der Rachsucht Friedrichs II. war das nicht von der Hand zu weisen. Da der Mörder zudem fremdländisch aussah, wurde er natürlich mit dem „Alten vom Berge“, dem Haupt der Assassinensekte im Libanon, der man Morde auf Bestellung nachsagte, und Friedrichs Bekanntschaft mit dieser geheimnisvollen Gestalt in Zusammenhang gebracht. Aufgeklärt werden konnte das nicht, da der Mörder noch an Ort und Stelle von den aufgebrachten Zeugen des Mordes erschlagen wurde.

Ansonsten blieb Ludwig I. durch die rücksichtslose Territorialpolitik in Erinnerung, mit der er die wittelsbachische Herzogsmacht ausbaute. Dabei kam ihm der Umstand zugute, dass in Baiern mit nirgends sonst zu beobachtender Häufigkeit ein Adelsgeschlecht nach dem anderen ausstarb. Der Kehlheimer zog den Besitz als heimgefallenes Lehen jedesmal unverzüglich ein, selbst wenn noch nahe Verwandte lebten, oder er stritt sich mit den Eigentümern bereits zu ihren Lebzeiten um das Erbe. Als sein Vetter, Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, den deutschen König Philipp von Schwaben aus gekränkter Ehre ermordete – König Philipp hatte Otto seine Tochter zur Gemahlin versprochen und die Zusage wieder zurückgezogen – gelang es dem Kehlheimer sogar, die Güter des mörderischen Vetters an sich zu bringen.

Der einzige Sohn des Kehlheimers, Herzog Otto II. (1206-1253), an dessen Hof der bekannte Minnesänger Tannhäuser seine Lieder sang, erhielt den Beinamen „der Erlauchte“. Der Großvater Ludwigs des Baiern knüpfte nahtlos an die Territorialpolitik seines Vaters an. Einen stolzen Macht- und Landgewinn brachte ihm seine Heirat mit der Welfin Agnes von der Pfalz, einer gemeinsamen Enkelin der beiden Erzfeinde Friedrich Barbarossa und Heinrich dem Löwen – zwei streitbare Ahnen, die sicher auch ihre Spuren im Charakter Ludwig des Baiern hinterlassen haben. Durch Agnes kam die Rheinpfalz mit der Kurfürstenstimme an das Haus Wittelsbach.

In der Reichspolitik tobte damals der Vernichtungskampf des Papsttums gegen die Staufer. Otto der Erlauchte stand erst auf der Seite des Papstes und ging dann zur Gegenseite über. Er verheiratete seine Tochter Elisabeth mit dem Stauferkönig Konrad IV. und führte während Konrads Italienzug die Reichsregierung. Otto erlebte es nicht mehr, dass sein Enkel aus dieser Verbindung, der unglückliche Konradin, 1268 in Neapel enthauptet wurde. Verwandtschaftlich gesehen war Konradin ein Cousin von Ludwig dem Baiern.

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Nach dem Tod des Erlauchten teilten seine beiden Söhne den Besitz unter sich auf. Die Primogenitur gab es im Hause Wittelsbach nicht. Ludwig II. der Strenge (1229-1294) erhielt Oberbaiern und die Rheinpfalz, Heinrich XIII. (1235-1290) Niederbaiern. Es war die erste der verhängnisvollen wittelsbachischen Landesteilungen, die Baiern so oft mit Krieg und Unfrieden überziehen sollten. Der Beiname von Herzog Ludwig „dem Strengen“ ist uns im Habsburger-Kapitel bereits begegnet: Der junge Herzog hatte seine schöne, junge Frau, Maria von Brabant, in einem Anfall jähzorniger Eifersucht enthaupten lassen, weil er wegen eines Missverständnisses an ihrer Treue zweifelte. Es ging um zwei vertauschte Briefe. Maria hatte dem Herzog liebevoll in die Rheinpfalz geschrieben, er möge von seiner Reise bald zurückkommen. Gleichzeitig bat sie seinen Feldhauptmann, ihre Bitte zu unterstützen, „in welchem Fall sie ihm gewähren wolle, worum er sie schon öfters gebeten“. Es ging lediglich darum, den Feldhauptmann zu duzen wie andere bevorzugte Vasallen, aber die Formulierung war unglücklich gewählt, die Briefe wurden vertauscht und Ludwig der Strenge nahm das Schlimmste an. Seine Reue über die unbeherrschte Handlung war tief und machte ihm sein Leben lang zu schaffen. Als Buße für die Tat gründete er später das Kloster Fürstenfeld.

Ludwig der Strenge sollte nicht nach der unbeherrschten Tat in den Tagen seiner Jugend beurteilt werden. Er erreichte im Laufe seines Lebens ein hohes Ansehen als Persönlichkeit und als Herrscher. Im Privatleben blieb ihm jedoch das Unglück treu. Seine zweite Frau, die schlesische Prinzessin Anna von Glogau, starb früh, und der Sohn aus dieser Ehe, auch ein Ludwig, ein brillanter und außerordentlich liebenswürdiger junger Mann, kam im Jahre 1290 als 23jähriger bei einem Turnier ums Leben. In seiner dritten Ehe mit Mathilde von Habsburg, einer Tochter König Rudolfs I., wurden vier Kinder geboren, darunter die beiden Söhne Rudolf, der den unfreundlichen Beinamen „der Stammler“ erhielt, und Ludwig der Baier.

Als 1292 der unbedeutende Graf Adolf von Nassau von den Kurfürsten zum König gewählt wurde, fand sich der Oberbaier Ludwig der Strenge bald mit dessen Regierung ab. Der ausgeprägte Familiensinn seiner Frau, einer Habsburgerin, konnte es dem Nassauer aber nicht verzeihen, dass er ihrem weit würdigeren Bruder Albrecht von Österreich vorgezogen worden war. Kurz nach dem Tode Ludwigs des Strengen 1294 musste seine Witwe nun erleben, dass ihr Sohn Rudolf sich mit Mechthild von Nassau, einer Tochter König Adolfs, verheiratete. Auch hatte Rudolf der Stammler dem Nassauer im Heiratsvertrag erstaunliche Zugeständnisse gemacht und außerdem pfälzische Besitzungen seiner Mutter, die ihr von ihrem verstorbenen Gatten als Lehen übertragen worden waren, als Morgengabe an Mechthild von Nassau weitergegeben. Die Reaktion der Herzoginwitwe ist nicht überliefert, lässt sich aber lebhaft vorstellen.

Im Dezember 1294 wurde der junge Herzog Ludwig der Baier an den Hof seines Onkels Albrecht nach Wien geschickt. Es ist durchaus möglich, dass dies ein schon lange geplantes Unternehmen war, um dem jungen Fürsten die Chance zu geben, die Luft eines anderen Hofes zu schnuppern und seinen Horizont zu erweitern. Denkbar ist allerdings auch, dass die Herzoginwitwe den jüngeren Sohn unbedingt dem Habsburger Lager erhalten und deshalb Rudolfs Einfluss entziehen wollte. Das Verhältnis zwischen König Adolf und Herzog Albrecht war zwar nach außen hin noch korrekt, aber wann die auf beiden Seiten bisher mühsam verdeckte Feindschaft offen ausbrechen würde, konnte nur eine Frage der Zeit sein. Rudolf der Stammler würde dann auf der Seite seines Schwiegervaters Adolf stehen. Ausgerechnet Albrechts Neffe war also ein Hindernis für Albrechts Ziel, auf legitime Weise auf den Thron zu gelangen. Es war wichtig, dass die Kurfürsten ihn wählten und damit sozusagen das Mandat zum Krieg gegen König Adolf gaben. Und Rudolf der Stammler war einer der Kurfürsten. Dafür musste wenigstens dessen Bruder Ludwig der Baier zu einem gleich wichtigen und zuverlässigen Bündnispartner für Herzog Albrecht heranwachsen.

Es dauerte vier Jahre und erforderte Geld und Überredungskunst, aber am 23. Juni 1298 sprach die große Mehrzahl der Kurfürsten die Absetzung Adolfs aus und wählte unter tumultartigen Umständen Albrecht I. zum König. Der Wittelsbacher Ludwig stimmte bei dieser Wahl für den Onkel, und es war seltsam, dass sein Bruder Rudolf als sein Vormund keinen Einspruch dagegen erhob. Der Tod von Adolf auf dem Schlachtfeld besiegelte Albrechts Griff nach der Krone. Er verhielt sich anfangs milde gegenüber dem Neffen, der treu zu seinem Schwiegervater gehalten und auf dessen Seite gekämpft hatte. Rudolf war in Ludwigs Begleitung auch bei der Krönung des Onkels in Aachen anwesend. Allerdings dauerte es nur ein Jahr, und Rudolf von Oberbaiern war mit König Albrecht gründlich zerfallen, als dieser Reichsgüter zurückforderte, die Adolf großzügig als Mitgift seiner Tochter an Rudolf vergeben hatte. Es war also kein Wunder, dass sich Rudolf im Oktober 1300 den Kurfürsten seine Unterstützung gegen den Habsburger zusagte, als die Kurfürsten selber mit dem neuen König unzufrieden geworden waren.

Es war eine unglückliche Entscheidung, aber es war Rudolfs Tragik zeit seines Lebens, dass er immer auf das falsche Pferd setzte. König Albrecht war nicht so leicht abzusetzen wie sein Vorgänger. Er wandte sich als erstes mit militärischer Macht gegen den Neffen und brachte ihm schwere Verluste bei. Als im Sommer 1301 auch Heidelberg belagert und eingenommen wurde, hielt es Rudolf für besser, sich zu unterwerfen. Er hatte es dem Eingreifen seiner Mutter zu verdanken, die auf ihren Bruder einwirkte, dass er mit finanziellen Strafen davonkam, und nicht seine Lehen eingezogen wurden. Danach ging es den anderen Kurfürsten an den Kragen.

Ludwig der Baier dagegen hatte den Feldzug gegen die rheinischen Kurfürsten an der Seite des Habsburgers mitgemacht. Die Bestrafung seines Bruders Rudolf hatte trotzdem auch negative Konsequenzen für ihn, denn die Lasten wurden aus der gemeinsamen Schatztruhe der Wittelsbacher beglichen. Ludwig hielt es offenbar für klüger, seinem Onkel deswegen keine Vorwürfe zu machen. Der König tat dem jungen Mann dafür aber den Gefallen, ihn aus der Vormundschaft seines Bruders zu entbinden – immerhin war Ludwig schon 19 Jahre alt. Man kann sich aber vorstellen, dass das Verhältnis der Brüder untereinander (und zu ihrer Mutter) nach diesen Vorgängen nicht mehr das Beste war.

Im Juni 1302 beschwerten sich die beiden Brüder in München bei ihrer Mutter und beklagten sich über ihre ständigen Einmischungen. Rudolf ging dabei so weit, seine Mutter zu inhaftieren und ihren Berater hinrichten zu lassen. Zum Schein erklärte sich die Herzoginwitwe bereit, auf die Forderungen Rudolfs einzugehen. Doch kaum war sie außerhalb von Oberbaiern – angeblich, um die Zustimmung des zweiten Bruders einzuholen – erklärte sie alle Zugeständnisse für erzwungen und deshalb ungültig. Albrecht griff ein, zitierte seinen Neffen zu sich und nötigte Rudolf, seiner Mutter die abgepressten Besitzungen zurückzugeben. Nach dieser Affäre söhnten sich Mechthild und ihr Sohn Rudolf aus. Lange konnte sie sich der neu gewonnenen Selbstständigkeit nicht erfreuen: Sie starb im Jahre 1304 – ihre Söhne ließ sie als Feinde zurück. Bis zu König Albrechts Tod herrschte aber zumindest nach außen Friede zwischen ihnen. Und der Mord an Albrecht ereignete sich wie erwähnt am 1. Mai 1308.


Heinrich VII. von Luxemburg

Über die Herkunft dieses Grafenhauses wurde in der Forschung viel gerätselt. Ein festes Eckdatum ist der Palmsonntag des Jahres 963, an dem Graf Siegfried durch Gebietstausch die Lucilinburg über dem Tal Alzette erhielt. Doch erst 120 Jahre später nannte sich die Familie nach diesem Stammsitz Luxemburg. Siegfried war Graf an der Mittelmosel und im Saargau, doch die Machtbasis war die Stadt Trier, das schon damals ein wichtiges Klosterzentrum im Reich war. Der älteste unter Siegfrieds Söhnen war ein enger Vertrauter von Otto III. und ermöglichte seiner jüngsten Schwester Kunigunde die Heirat mit Ottos Großcousin, dem Baiernherzog Heinrich. Nach dem Tod des jungen, kinderlosen Ottos III. errang dieser Heinrich die Königskrone (Heinrich II.). Die Brüder der unerwartet zur Königin aufgestiegenen Kunigunde wollten allzu dreist auf Kosten ihrer Schwester Karriere machen. Daran entzündete sich die so genannte Moselfehde zwischen Heinrich II. und den Luxemburgern, die fast dessen halbe Regierungszeit andauerte. Kurzzeitig wirkten die Luxemburger unter Heinrich II. und dem Salier Heinrich III. als Herzöge in Baiern und Niederlothringen. Eine letzte Fußnote in der Geschichte hinterließ das Gegenkönigtum Hermanns von Salm, ebenfalls ein Luxemburger, gegen König Heinrich IV.

Nachdem die Grafenfamilie 1136 im Mannesstamm ausgestorben war, sicherte sich eine Tante des letzten Luxemburgers, die mit dem Grafen von Namur verheiratet war, dank der Unterstützung des neuen Stauferkönigs Konrad III. ihrem Sohn Heinrich IV. beide Grafschaften. Der hinterließ bei seinem Tod nur eine minderjährige Tochter Ermesinde, so dass Luxemburg als Lehen an einen Sohn Barbarossas fiel. Erst nach ihrer Volljährigkeit gelang es Ermesinde unter Ausnutzung der Wirren um staufisch-welfischen Thronstreits Luxemburg 1199 zurückzuerobern. Als Regentin für ihren Sohn Heinrich V. gelang es ihr bis zu ihrem Tod 1247, die Ländermasse zwischen Trier, Metz, Namur und Lüttich durch Stadtgründungen und dem Aufbau einer Zentralverwaltung zu einem festen Territorialstaat zu formen.

Unter ihrem Enkel Graf Heinrich VI. rückte die Erbschaft des reichen Herzogtums Limburg – und damit der Aufstieg in den Reichsfürstenstand – sowie die Vereinigung zum bedeutendsten Territorium im Nordwesten des Reichs in greifbare Nähe. Sein härtester Konkurrent erwuchs dem Grafen in Herzog Johann I. von Brabant. Dieser besaß zwar keinerlei persönlichen Anrechte auf Limburg, hatte aber zwei Verwandten Heinrichs VI. deren Erbansprüche gegen viel Geld abgekauft.

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Am 5. Juni 1288 kam es bei Worringen nördlich von Köln zur Entscheidungsschlacht, an der auf beiden Seiten fast alle niederrheinischen Territorialherren beteiligt waren. Siegreich war Johann I. von Brabant zusammen mit den Grafen von Berg, Holland, Jülich, Loon, Kleve und Mark sowie der Stadt Köln. Heinrich VI. von Luxemburg unterlag mit seinen Verbündeten, den Grafen von Geldern, Flandern und Nassau sowie dem Kölner Erzbischof. Dabei verlor nicht nur Graf Heinrich VI. sein Leben, sondern mit seinem Bruder Walram und zwei illegitimen Halbbrüdern starben auf dem Schlachtfeld zugleich alle erwachsenen männlichen Luxemburger und viele Ritter des Landes. In der rheinischen Geschichte blieb die Schlacht von Worringen aber nicht durch die völlige Niederlage Luxemburgs oder die Vereinigung von Brabant mit Limburg in Erinnerung, sondern als weitgehender Zusammenbruch der Vorherrschaft des Kölner Erzbischofs am Niederrhein, der endgültig auch die Herrschaft über Köln, die größte Stadt des Reiches, verlor.

Die Witwe Heinrichs VI., Beatrix von Avesnes, blieb mit fünf kleinen Kindern zurück. Dank der gefestigten Verwaltungsstrukturen Luxemburgs, der Unterstützung ihres Vaters und des mit ihr verschwägerten Grafen von Flandern und Namur konnte Beatrix die Herrschaft als Regentin stabilisieren. Doch der Friedensschluss mit Brabant war ziemlich schwierig, bis sich die französische Königinmutter Maria, die Schwester Herzogs Johann I. von Brabant, einschaltete. Denn der heldenhafte Schlachtentod Heinrichs VI. hatte an den europäischen Höfen Aufsehen und Mitleid erregt. Sie vermittelte als Zeichen dauerhafter Aussöhnung 1292 eine Ehe ihrer Nicht Margarethe, Tochter des Siegers von Worringen, mit dem 1278 in Valenciennes geborenen ältesten Sohn Heinrichs VI. Nach der Heirat holte die Königinmutter ihn nach Paris an den Hof ihres Sohnes Philipp IV., wo er eine umfassende Ausbildung zum Ritter erhielt. 1294 wurde der junge Heinrich VII. gegen eine einträgliche Jahresrente sogar Vasall des französischen Königs und verpflichtete sich zur Verteidigung der Landesgrenzen. Auch sein 1285 geborener Bruder Balduin ging 1298 für einige Jahre in die französische Hauptstadt, um an der Sorbonne Theologie zu studieren. Für ihn war eine kirchliche Karriere vorgesehen. Die am prachtverliebten französischen Hof und in der Weltstadt Paris gewonnenen Eindrücke sollten beide entscheidend prägen.

Die Nähe zum französischen Hof, wo sich Heinrich VII. und Balduin zunächst immer wieder aufhielten, leitete den kometenhaften Aufstieg der Luxemburger ein. Im November 1305 begleiteten beide König Philipp IV. von Frankreich nach Lyon, um an den Krönungsfeierlichkeiten des neuen Papstes Clemens V. teilzunehmen. Dieser persönliche Kontakt mit dem Oberhaupt der Christenheit zahlte sich bald aus. Mit Unterstützung des französischen Königs sprachen beide bei Clemens vor, um Balduin das 1305 gerade frei gewordene Mainzer Erzbistum zu verschaffen. Doch mit nicht einmal 20 Jahren war Balduin nach Kirchenrecht dafür zu jung, weshalb sich der Papst für Peter von Aspelt entschied, der aus einer Luxemburger Ministerialenfamilie stammte und als Kanzler des böhmischen Königs Wenzel II. lange Jahre Verwaltungserfahrung gesammelt hatte. Drei Jahre später war es für Balduin soweit: Das Trierer Domkapitel sprach sich mehrheitlich für den seit 1304 als Dompropst wirkenden Luxemburger als neuen Erzbischof aus. Am 11. März 1308 erhielt er in Poitiers von Clemens V. persönlich die Weihe und gab Philipp IV. dankbar ein Treueversprechen.

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Es war kein Zufall, dass Papst Clemens V. dem französischen König Philipp IV. eng verbunden war. Frankreich war in den vergangenen Jahrzehnten zur stärksten Macht Europas aufgestiegen. Der Kapetinger Philipp nutzte seinen Einfluss, immer mehr französische Kardinäle an der römischen Kurie zu installieren und seinen Gegner, Papst Bonifaz VIII., politisch in die Ecke zu drängen. Mit Clemens V. wurde 1305 dann ein Franzose zum Papst gewählt, der sich gar nicht erst in Rom krönen ließ, sondern dafür eigens nach Lyon reiste. Zwei Jahre später ließ König Philipp dann den mächtigen Templerorden zerschlagen, bei dem er hoch verschuldet war. Die landesweiten Verhaftungen der Templer erfolgten an einem Freitag, den 13. - daher der Aberglaube vom Unglückstag. Die Templer wurden der Ketzerei angeklagt und verurteilt, ihre Führer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Vor seinem Tod verfluchte der Templer-Großmeister Jaques de Molay den Papst und den König auf Generationen.

Clemens stand völlig unter dem Einfluss der französischen Krone und siedelte 1309 schließlich ganz nach Avignon über. Zahlreiche Päpste hatten energisch gegen jede Art der Abhängigkeit von weltlichen Herrschern gekämpft, jetzt war der Heilige Vater ein Spielball französischer Machtinteressen – und büßte seine Autorität als überparteilicher Macht in Europa ein. In Avignon uferte der Nepotismus und die Prunksucht der Kurie erst recht aus, eine fatale Entwicklung, an die sich bald der sogenannte „Armutsstreit“ (die Franziskaner kritisierten die Abkehr der Kirche vom Armutsideal) anschließen sollte.

Auf der Rückreise erreichte die beiden Luxemburger die Nachricht von der Ermordung König Albrechts I. von Habsburg. Nun war die Stunde für Heinrich VII. gekommen, dem die Stimmen der Erzbischöfe von Trier und Mainz schon sicher waren. Denn an einer Nachfolge des Königssohns, Herzog Friedrich der Schöne von Österreich, bestand unter den Kurfürsten wenig Interesse. Auch andere Kandidaten wie der Bruder König Philipps IV. von Frankreich wurden durch das geschickte Taktieren des erfahrenen Diplomaten Peter von Aspelt ausmanövriert. Die entscheidende Tagung der Königsmacher fand Ende November 1308 in Rhens statt. Heinrich VII. machte ihnen weitreichende Zugeständnisse, zum Beispiel die Wiedererrichtung der von Albrecht abgeschafften Rheinzölle und zusätzlich große Geldsummen.

Schließlich fand am 27. November 1308 im Dominikanerkloster in Frankfurt die einmütige Wahl der sechs Kurfürsten statt, da ihnen der Luxemburger zwar würdig, aber aus Eigeninteresse nicht zu mächtig erschien. Nur der böhmische König Heinrich von Kärnten war der Wahl fern geblieben, da er aus Angst vor einem Aufstand sein Land nicht verlassen wollte. Am 6. Januar 1309, dem Festtag der Heiligen Drei Könige, fand die Krönung des Luxemburgers in Aachen statt. Nach der Schlacht von Worringen zwanzig Jahre zuvor hatte die Luxemburger Dynastie Heinrichs VII. vor ihrem Aus gestanden, jetzt hatten sie dank zäher Vorarbeit und durch Begünstigung des Schicksals einen unerwarteten Gipfel ihrer Macht erreicht.

Der neue König stand vor dem gleichen Problem wie seine Vorgänger: Er musste die Interessen der Kurfürsten respektieren, wenn er Ärger vermeiden wollte, musste mangels eigener Hausmacht aber zusehen, die königliche Machtbasis im Reich zu erweitern, um so etwas wie Politik überhaupt betreiben zu können. Und Heinrich VII. hatte durchaus eine politische Agenda, wie sich zeigen sollte. Bei seinem traditionellen Umritt, der hauptsächlich in Süddeutschland stattfand, wurde ihm als erstes von böhmischen Adeligen Mitte 1309 die Frage vorgelegt, wer denn in Prag herrschen solle. Seit 1306 waren die männlichen Przemysliden ausgestorben und der Habsburger Friedrich der Schöne stritt mit dem Meinhardiner Heinrich von Kärnten um den Zugriff auf die böhmische Krone. Die Entscheidung des neuen Königs in dieser Frage war bestechend: Weder der eine noch der andere.

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Heinrich VII. erklärte den Meinhardiner kurzerhand für abgesetzt, zog das Königreich Böhmen – begründet mit dem Aussterben der Przemysliden – als erledigtes Reichslehen ein und vergab es: Seinem 14jährigen Sohn Johann von Luxemburg. Zur Absicherung wurde rasch noch die böhmische Prinzessin Elisabeth herbeigeschafft, die Johann heiratete.

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Damit hatte der Luxemburger nicht nur ein bedeutendes Reichsterritorium, sondern auch noch eine Kurstimme, für sein Haus gesichert. Um die enttäuschten Habsburger zu besänftigen, hielt Heinrich VII. Ende August 1309 einen Hoftag in Speyer ab, wo er ihnen zur Kompensation faktisch die Markgrafschaft Mähren überließ, indem er sie an die Habsburger verpfändete. Die Beute Böhmen wurde sozusagen geteilt. Ähnlich löste der Luxemburger auch das Problem mit Thüringen, an dem sich König Adolf so folgenreich verbissen hatte: Heinrich VII. gab den Wettinern einen Teil (Meißen) des strittigen Gebiets ab. Damit waren auf dem Hoftag die dringendsten Probleme innerhalb des Reichs schon mal geregelt. Heinrich VII. konnte sein eigentliches Anliegen auf die Tagesordnung bringen: Er wollte im Herbst 1310 zum Zug nach Rom aufbrechen.

Mit dem Luxemburger Heinrich VII. saß tatsächlich noch einmal ein König auf dem deutschen Thron, der in traditioneller Weise die Interessen der Krone in Oberitalien und Rom zur Geltung bringen wollte. An solchen Anstrengungen war beispielsweise Rudolf I. von Habsburg ja gar nicht interessiert gewesen. Heinrich VII. war es damit ernst. Er sicherte sein kommendes Erscheinen in Norditalien zunächst diplomatisch ab, Gesandte wurden nach Mantua, Padua, in die Toskana, der Lombardei und nach Piemont geschickt, wo sie den König ankündigten und die miteinander streitenden Städte aufforderten, allen inneren Hader beizulegen, den König respektvoll zu empfangen und ihm auf Verlangen Bewaffnete zuzuführen. Auch in Richtung Frankreich sicherte sich Heinrich ab, denn eine Kaiserkrönung in Rom berührte die Interessen des Hauses Anjou in Neapel. Heinrich VII. verabredete mit König Philipp IV. dem Schönen (1285-1314) die Unverletzlichkeit ihrer Länder sowie eine Heirat einer Tochter des deutschen mit dem Sohn des neapolitanischen Königs. Zu der Ehe kam es letztlich nicht, aber egal, die laufenden Verhandlungen unter Moderation des Papstes Clemens V. sorgten für angemessen gute Stimmung. Wichtig für Heinrich VII. war, dass seine Kaiserkrönung in Rom nicht für allzu viel Skepsis in Paris und Neapel sorgte. Ohne Frage wäre Philipp IV. in der Lage gewesen, den Papst von der Kaiserkrönung abzuhalten.

Im Herbst 1310 hatte Heinrich VII. seine Vorbereitungen wie geplant abgeschlossen. Es gab in Süddeutschland noch einen Krieg mit dem renitenten Grafen Eberhard von Württemberg zu führen, aber das überließ der König den schwäbischen Reichsstädten. Böhmen tatsächlich in Besitz zu nehmen, war die Aufgabe seines Sohnes Johann, dem er dafür den Mainzer Erzbischof Peter samt eines Heeresaufgebots zur Seite stellte. In Begleitung seiner Gemahlin Margarete und seiner beiden Brüder Walram und Erzbischof Balduin sowie einiger Fürsten und Heeren aus dem Westen des Reiches überquerte der König im Oktober 1310 die Alpen. Die erste Station des fünftausend Mann zählenden königlichen Heeres waren Susa und Turin.

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Zum ersten Mal seit dem Ende der Staufer stand erstmals wieder ein römisch-deutscher König auf italienischem Boden. Seither hatte sich die Lage des Landes aber beträchtlich verändert: Der mit den französischen Kapetingern verwandten und verbündeten Anjou trugen die Krone von Neapel-Sizilien vom Papst zu Lehen. Die Insel Sizilien befand sich in der Hand des mit den Staufern verwandten Aragonesen Friedrich III., der mit den Anjou tödlich verfeindet war. Die Macht und Unabhängigkeit der im Norden und in der Mitte Italiens gelegenen Städte, die schon Friedrich Barbarossas und Friedrich II. die Stirn geboten hatten, war in den vergangenen Jahrzehnten noch beträchtlich gewachsen. An die Stelle des einstigen republikanischen Regiments war allerdings vielerorts die Signorie getreten, eine monarchisch-autokratische Herrschaftsform. Häufig waren diese Kommunen, die an Wirtschaftskraft und Steueraufkommen so gut wie alle Städte nördlich der Alpen weit übertrafen, nicht nur von heftigen inneren Parteikämpfen zwischen Guelfen und Ghibellinen gebeutelt, sondern mehr oder weniger in einem Kampf aller gegen alle verstrickt.

Die Ghibellinen, benannt nach dem Kampfruf „Waiblingen“ der Staufer, waren dabei die Parteigänger des Kaisers. Die ghibellinischen Städte waren also diejenigen, die Heinrich VII. freundlich aufnahmen und die Autorität seiner Krone akzeptierten. Der Name Guelfen leitete sich vom Namen der stauferfeindlichen Welfen ab, unter ihnen verstand man diejenigen, die die Politik des Papstes unterstützten und sich gegen den König stellten. Unversöhnlich standen sich etwa das traditionell kaiserlich gesinnte Pisa sowie Florenz gegenüber, das um seine Macht und Unabhängigkeit fürchtete und daher von Anfang an gegen König Heinrich VII. Stimmung machte. Viele Menschen mochten denn auch von einem überparteilichen, die höchste weltliche Autorität verkörpernden römischen König und zukünftigen Kaiser Frieden und Sicherheit erhoffen. Die parteilichen Grenzen waren selbst innerhalb der Guelfen fließend, so gab es in Florenz seit 1300 noch die Unterteilung in Weiße und Schwarze Guelfen. Die Weißen waren bereit, mit der kaiserlichen Partei einen Kompromiss zu schließen, während die Schwarzen Guelfen sozusagen die Hardliner darstellten. Je nach aktueller Regierung in den Kommunen wurden Anhänger der einen oder der anderen Partei der Stadt verwiesen und ins Exil geschickt. Opfer dieser Machtpolitik wurde in Florenz beispielsweise auch der berühmte Dichter Dante.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 7. Januar 2018 14:37

Exkurs: Dante und sein Inferno

Dante Alighieri war 1265 geboren worden, eigentlich hieß er wohl Durante Alighiero III. Sein Leben war von dem Kampf der Ghibellinen und Guelfen um die Macht in Florenz geprägt. Nach seiner Teilnahme an der Schlacht von Campaldino 1290, bei der auf der Seite der guelfischen Bürgerwehr stand, arbeitete er sich politisch hoch und war ab 1296 wiederholt Mitglied im Rat der Hundert ,sowie in diplomatischen Missionen unterwegs. Im Sommer 1300 kam es in Florenz bei dem Besuch eines päpstlichen Legaten zu Unruhen, worauf der Papst die Stadt mit dem Kirchenbann belegte und Karl von Valois als „Friedensstifter“ herbeirief. Die Schwarzen Guelfen bekamen die Oberhand und verbannten ihre politischen Gegner aus Florenz, zu den Vertriebenen gehörte auch Dante. Im Exil betätigte er sich unter anderem als Schriftsteller, und zu seinen Werken gehörte unter anderem die „Monarchia“, in der er die göttliche Bestimmung des römischen Kaisertums zur Weltherrschaft und dessen Unabhängigkeit in weltlichen Dingen von der auf das Geistliche zu beschränkenden Herrschaft des Papstes beweisen will. Dante gab sich darin als Anhänger des Kaisers Heinrich VII. bzw. dessen Nachfolger Ludwig dem Baiern.

Das bekannteste Werk von Dante ist aber seine Commedia, die Göttliche Komödie. Es schildert seine Reise durch die Hölle (Inferno) zum Läuterungsberg (Purgatorio) bis hin ins Paradies (Paradiso). Sie sind jeweils in Schichten, neun konzentrischen Kreisen, unterteilt. Je näher man den engeren Kreisen kommt, desto sündiger bzw. heiliger sind die gestorbenen Seelen derer, denen Dante dort begegnet.

Dante wird von dem antiken römischen Dichter Vergil an die Hand genommen und zum Tor der Hölle geführt, auf dem der bekannte Spruch steht: „Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr eintretet“. Und dann steigen sie den trichterförmigen Abgrund hinab, den Satan bei seinem Sturz aus dem Himmel in die Erde gebohrt hat. Die neun Kreise der Hölle ordnen die Verdammten nach der Art ihrer Vergehen ein, im Grunde gemäß der sieben Todsünden.

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Zunächst durchquert Dante den „neutralen“ Ort der Vorhölle, wo sich diejenigen befinden, die weder Gut noch Böse waren: „Himmel und Hölle nicht wollen sich mit ihnen beflecken“. Am Ufer des Flusses Acheron sammeln sich die verdammten Seelen, damit der Fährmann Charon sie übersetzt.

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Auf der anderen Seite des Flusses befindet sich der erste Höllenkreis, auch er eine Art Vorhölle, der Limbo. Hier sind die Ungetauften und gerechten Heiden, die ruhelos umhergehen. Dante sieht die großen Denker der Antike, Plato, Euklid und so weiter, außerdem Personen wie Saladin.

Jenseits des Limbo erfolgt das Sündengericht, die Seelen müssen Minos ihre Sünden beichten und werden von ihm dem passenden Höllenkreis zugewiesen. Runter zum zweiten Kreis der Hölle, zu den Lüsternen, die von einem Sturm durch die Lüfte geschleudert werden und deshalb keinen festen Boden unter ihren Füßen bekommen. Dort trifft Dante unter anderem auf Semiramis, Kleopatra und Achilles, oder dem ehebrecherischem Liebespaar Paolo und Francesca da Rimini, die von ihrem Gatten (Paolos Bruder) ertappt und erschlagen worden waren. Eine traurige Geschichte.

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Im dritten Höllenkreis trifft Dante auf die Seelen der Gefräßigen, die im eisigen Regen im Schlamm liegen und vom Höllenhund Zerberus bewacht werden. Im vierten Höllenkreis befinden sich gemeinsam die Verschwender und Geizhälse. Sie sind dazu verdammt, gegeneinander schwere Felsblöcke zusammenzuschieben, wobei sie sich beschimpfen: „Was hältst Du fest?“ - „Was lässt Du los?“

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Der fünfte Kreis der Hölle, hier ist der Sumpf Styx der Choleriker und Phlegmatiker. Obenauf zerreißen sich die Zornigen einander in den Fluten, während die Trägen untergetaucht bleiben.

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Am jenseitigen Ufer des Styx bleiben Dante und Vergil zunächst an den Mauern der Höllenstadt Dis hängen, die von den Gorgonen um Medusa bewacht wird. Erst ein herbeieilender Engel ermöglicht den Wanderern den weiteren Weg. Im sechsten Kreis büßen die Ketzer in flammenden Särgen. Im Schatten des Grabmals des Papstes Anastasius II. rasten die Dichter, um sich an den aus der Tiefe emporsteigenden Gestank zu gewöhnen.

Vergil nutzt die Rast, um Dante den Aufbau der unteren Hölle zu erklären: Der siebte Kreis der Hölle gehört den Gewalttätigen, der achte und der neunte Kreis gehören der Bosheit– voneinander geschieden als allgemeiner Betrug, der im achten Kreis Vergeltung findet, und als Betrug in einem besonderen Vertrauensverhältnis (Verrat), der im neunten Kreis auf dem Grunde der Hölle bestraft wird. Dante fragt, warum die Bewohner des zweiten bis fünften Kreises separat bestraft werden, worauf Vergil auf die Differenzierung von Unmaß, verwirrtem tierischen Trieb und Bosheit durch die aristotelische Ethik verweist.

Der siebente, achte und neunte Kreis bilden die innere Hölle, deren Eingang von dem Minotauros von Kreta bewacht wird. Hier werden die schlimmsten Sünden bestraft: Gewaltverbrechen, Betrug und Verrat. Der siebte Kreis wiederum ist in drei Ringe unterteilt: Im ersten Ring werden die Gewalttaten an den Nächsten gebüßt. Mörder, Räuber und Verwüster kochen in einem Blutstrom, in den sie immer wieder von Kentauren zurückgetrieben werden, wenn sie versuchen, ihm mehr zu entsteigen, als ihre Schuld es zulässt.

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Je nach Schwere ihrer Tat sind sie unterschiedlich tief in dem Blutstrom eingetaucht. Alexander der Große und der Tyrann Dionysios stecken bis zu ihren Brauen im Strom, während Attila am tiefsten Grund gepeinigt wird. Einer der Kentauren, Nessos, trägt auf Geheiß seines Gefährten Cheiron Dante über den Blutstrom. Selbstmörder (darunter Pier delle Vigne, der Kanzler Friedrichs II.) büßen im zweiten Ring ihre Schuld. Sie müssen als Sträucher und Bäume ihr Dasein fristen, die immer wieder von den Harpyien zerzaust werden, da sie sich mit ihrem Selbstmord selbst von ihrem Körper losgerissen haben – „denn was man selbst sich nahm, darf man nicht haben“.

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Auf ihrem Weg durch das Selbstmörderbuschwerk begegnen die beiden Dichter zwei Seelen, die in ihrem Leben ihren Besitz stückweise verprasst haben und dafür von schwarzen Höllenhunden durchs Dickicht gehetzt und stückweise zerrissen werden. Diejenigen, die Gewalt gegen Gott (Blasphemie), gegen die Natur (Sodomie) und gegen die Kunst (Wucher) verübt haben, büßen im dritten Ring, dessen Boden aus Sand besteht. Die Gotteslästerer liegen ausgestreckt und schreiend auf dem Boden, die Sodomiten laufen ohne Rast und Ruh umher, die Wucherer hocken am Abgrund, wo der dritte Höllenfluss Phlegethon sich in den achten Kreis hinab ergießt, untätig bei ihren Geldsäcken, und auf alle rieseln ständig Feuerflocken herab. Hier begegnet Dante dem Gotteslästerer Kapaneus, aber auch seinem einstigen Lehrer Brunetto Latini sowie drei Florentiner Offizieren.

Weiter geht es in den achten Höllenkreis, den mit den Betrügern. Er ist in zehn unterschiedliche Gräben unterteilt, jeweils einen für: 1) Kuppler und Verführer wie Iason, die von gehörnten Teufeln ausgepeitscht werden.

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2) Im Gegengraben die Dirnen und Schmeichler, die sich in Kot wälzen. 3) Hier sind die Simonisten (benannt nach Simon Magnus, der den Heiligen Geist kaufen wollte) kopfüber in brennenden Felslöcher gesteckt. Wie ein Beichtvater spricht Dante mit der Seele des Papstes Nikolaus III. (1277-1280), der glaubt, dass sein Nachfolger Bonifatius VIII. (1294-1303) schon in der Hölle angekommen sei. Außerdem prophezeit er die Ankunft Clemens V. (1305-1314) als Sünder. Dante geißelt den Handel mit Kirchenämtern, der die Verweltlichung der Kirche vorantreibt, mit scharfen Worten. 4) Im vierten Graben beobachten Vergil und Dante die Zauberer und Wahrsager, deren Körper so verrenkt wurden, dass ihre Gesichter nach hinten gewendet sind. 5) Der fünfte Graben ist mit kochendem Pech gefüllt, in dem die Bestechlichen büßen. Eine besondere Gruppe von Teufeln holt ihre Seelen und bewacht sie: Wer den Kopf aus der Pechflut steckt, wird mit Gabeln an Land gezogen und dort gefoltert. Dante und sein Begleiter schaffen es, den Teufeln zu entkommen, und gelangen in den sechsten Graben. 6) Dort müssen die Heuchler in schweren vergoldeten Bleimänteln einherschreiten.

Unter ihren Tritten leidend liegen die gekreuzigten Ratsmitglieder der Pharisäer am Boden, darunter Kajaphas, der vor der Jerusalemer Ratsitzung heuchlerisch dazu geraten hatte, Jesus Christus zum Wohle des Staates zu töten. 7) Im siebten Graben werden Diebe und Räuber unablässig von Schlangen angegriffen, durch deren Bisse sie zu Asche zerfallen, um bald darauf wieder auferstehen zu müssen– die ewige Strafe der Diebe. Nicht alle Sünder werden von den Schlangen lediglich gebissen, andere verschmelzen mit ihnen (oder einem Drachen) zu einem ungeheuerlichen Ungetüm. 8) Hinterlistige Berater und betrügerische Räuber büßen, indem sie wie Glühwürmchen in Flammen gehüllt durch den achten Graben schweben. Hier spricht Dante mit Odysseus, der mit Diomedes für die List, durch welche Troja zu Fall gebracht wurde, büßen muss. 9) Im neunten Graben begegnet Dante den Glaubensspaltern und Zwietrachtstiftern, zu denen er auch den Stifter des Islam, Mohammed, und seinen Schwiegersohn Ali zählt. Ein Teufel schlägt ihnen unablässig Gliedmaßen ab und tiefe Wunden.

10) Im letzten Graben des achten Höllenkreises leiden die Fälscher, Alchemisten und falschen Zeugen unter ekelhaften Krankheiten und fallen in blinder Raserei übereinander her.

Wie Türme ragen Riesen (Vergil nennt u.a. Nimrod, den König, der den Turmbau zu Babel befahl) am Rande des neunten Höllenkreises empor. Auf Bitten Vergils setzt der griechische Riese Antaeus die beiden Wanderer auf dem Grund des letzten Höllenkreises ab. Dort büßen die Verräter, bis zum Kopf in einen See aus Eis eingefroren: in der Kaina die Verräter an Verwandten und in der Antenora die politischen Verräter. Die Verräter an Tischgenossen sind rücklings in der Tolomea eingefroren, sodass ihre gefrorenen Tränen ihre Augen für immer verschließen.

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Den Sündern in dieser Zone können schon zu Lebzeiten die Seelen vom Körper geschieden werden. In die leblose Hülle schlüpft dann ein Dämon, der sein Unwesen auf der Welt treibt. In der untersten Höllentiefe, der Judecca, liegen vom Eis völlig bedeckt diejenigen Sünder, die ihren Herrn und Wohltäter verraten haben. Und in ihrer Mitte steckt der gestürzte Luzifer im Eis, in seinen drei Mäulern die Erzverräter Judas, Brutus und Cassius zermalmend.

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Vergil nimmt Dante und greift sich das zottige Fell Satans, an dem er zwischen Satan und der Eiswand erst nach unten und, da sie sich ja im Erdmittelpunkt befinden, damit auch nach oben klettert: Nur über Satan selbst sei der Ausweg möglich. Vergil findet in der Wand ein Felsloch, in das sie treten können, und sie kommen über einen Gang in eine neue Hemisphäre. Dante ist verunsichert und erhält von Vergil zur Antwort: An Satans Fell seien sie durch den Erdmittelpunkt gekrochen, das Eis sei weg, Ost und West, Oben und Unten seien nun vertauscht. Über einen Pfad gelangen sie entlang einem Bach zurück zur Lichtwelt, „zu den Sternen“.

Das Buch möchte ich Euch besonders ans Herz legen, wenn Euch Dichtung nicht völlig abschreckt (ich bin sonst auch nicht Leser von Gedichten). Besorgt Euch aber eine kommentierte Ausgabe, darin werden die erwähnten Personen und Hintergründe direkt bei den Kapiteln erläutert. Steigt ja sonst keiner durch bei den ganzen Personen des Mittelalters. Und nehmt im Zweifel die Ausgabe, in der sich auch die Illustrationen von Gustave Doré befinden, die sind wirklich klasse (neben jenen, die er zu Miltons „Das verlorene Paradies“ gemacht hat).

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 7. Januar 2018 14:45

Weiter mit der eigentlichen Story -

Heinrich VII. war über die politische Lage in Italien gut informiert und hatte bereits im deutschen Reichsteil klug auf Ausgleich gesetzt. In Italien präsentierte er sich bewusst als unparteiischer Herrscher und Richter, der vertriebene Guelfen ebenso in ihre Städte zurückführte wie umgekehrt Ghibellinen. Gleichzeitig machte er deutlich, dass er (übrigens als letzter deutscher Monarch) gewillt war, tatsächliche Herrschaft in Italien auszuüben. Dazu gehörte etwa, dass er königliche Stellvertreter (Vikare) einsetzte und diesen das Stadtregiment übertrug. Oder er achtete darauf, dass adelige Territorialherren bei ihm um ihre Belehnung und damit Anerkennung nachsuchten. Außerdem war Heinrich VII. entschlossen, sich die reichen Finanzmittel der italienischen Städte nutzbar zu machen und ihren Reichtum abzuschöpfen. Die von einzelnen italienischen Städten wie Mailand oder Genua für ein Jahr geforderten Leistungen übertrafen bei weitem das gesamte jährliche Steueraufkommen aller deutschen Reichsstädte zusammen!

Zur Jahreswende 1310-1311 hielt sich Heinrich VII. in Mailand auf, wo er mit der Eisernen Krone der Lombarden gekrönt wurde. Ganz überparteilich, repatriierte er die zuvor verbannten Visconti, womit er natürlich die aktuellen Stadtherren unter Guido della Torre verprellte. Sie zogen es vor, die Stadt nach einem (durch hohe Steuerforderungen ausgelösten) Aufstand zu verlassen und von außen die Stimmung gegen den König zu schüren. Heinrich VII. war gezwungen, teilweise Gewalt gegen die Städte auszuüben, die sich gegen ihn stellten. Cremona und Brescia wurden belagert, erobert und bestraft.

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Ende 1311 hatte Heinrich die gesamte Lombardei unterworfen. Sein eigentlicher Gegner war die Stadt Florenz, doch Heinrichs Heer war bedenklich durch Seuchen und Verluste zusammengeschmolzen. Für die Winterzeit zog sich der König mit gerade einmal 600 Rittern nach Genua zurück, um seine Militärkraft zu reorganisieren.

Im April 1312 konnte Heinrich VII. wieder aufbrechen, von Pisa ging es südwärts mit dem Ziel Rom (Florenz ließ der König beiseite). Der Einzug in die Stadt musste sich der König mit dem Schwert erkämpfen, denn Rom war in zwei Lager gespalten: Zum einen die königstreuen Colonna, zum anderen die Orsini, die es mit den in Rom eingerückten Truppen des Anjou aus Neapel hielten. Trotz heftiger Kämpfe gelang es dem Luxemburger aber nicht, bis zur Peterskirche vorzudringen. Schließlich wurde Heinrich VII. am 29. Juni 1312 von dem von Clemens V. damit beauftragten Kardinal im Lateran zum Kaiser geweiht. Nach 92 Jahren hatte damit erstmals wieder ein römischer König die Kaiserkrone erlangt!

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Der frisch gekrönte Kaiser kehrte danach nicht nach Deutschland zurück, sondern nahm den Kampf gegen das aufrührerische Florenz und König Robert von Sizilien auf, gegen dessen Truppen Heinrich in Rom im Kampf stand. So rückte der Kaiser im Spätsommer 1312 mit etwa zweitausend Rittern und rund 15.000 Mann Fußvolk in florentinisches Gebiet vor. Dank der finanziellen Unterstützung anderer italienischer Städte, die Florenz scheitern sehen wollten, gelang es Heinrich, deren Truppen im September 1312 in einer Feldschlacht zu besiegen. Trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit zogen es die Florentiner danach vor, sich hinter ihren Stadtmauern zu verschanzen. Heinrich VII. versuchte gar nicht ernsthaft, Florenz zu belagern. Stattdessen eröffnete er gegen den ausdrücklichen Willen des Papstes im Sommer 1313 die Feindseligkeiten gegen den Anjou König Robert, nachdem er diesen zuvor in einem Prozess für seine Feindseligkeiten gegen Kaiser und Reich wegen Majestätsverbrechen abgesetzt und zum Tode verurteilen hatte lassen – natürlich in Abwesenheit von König Robert. Zudem ging Heinrich VII. ein Bündnis mit Roberts Todfeind ein, dem sizilischen König Friedrich III.

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Der Kaiser war entschlossen, Robert von Anjou militärisch auszuschalten. Eine pisanisch-sizilianische Flotte unter dem Kommando Friedrichs, der zum Reichsadmiral ernannt worden war, sollte das Königreich Neapel von See her angreifen, während der Kaiser sich im August 1313 mit rund 4.000 Rittern auf dem Landweg nach Süden aufmachte und Verstärkungen aus Deutschland anforderte. Kurfürst Balduin war bereits im März 1313 nach Deutschland aufgebrochen, um im Sommer zusätzliche Truppen nach Süden zu führen. Der Papst war anscheinend über die bevorstehende Invasion besorgt; er drohte im Juni 1313 jedem, der das Königreich Neapel angreife, mit Exkommunikation. Heinrich zeigte sich davon jedoch unbeeindruckt und setzte die Vorbereitungen fort; dem Papst teilte er mit, der Angriff sei nicht gegen die Interessen der Kirche gerichtet, sondern diene nur der Aburteilung eines Majestätsverbrechers und Reichsfeindes. Vor Beginn der Invasion kam es noch zur Belagerung von Siena, wobei der Kaiser wieder schwer an Malaria erkrankte. Kurz darauf verstarb er am 24. August 1313 in dem kleinen Ort Buonconvento.

Es kamen bald falsche Gerüchte auf, der Kaiser sei von seinem Beichtvater vergiftet worden, vielleicht sogar im päpstlichen Auftrag. Sein Tod war eine große Erleichterung für Robert von Neapel, der eine Invasion seines Reiches zu befürchten hatte; daher wurde Robert ebenfalls mit den Mordgerüchten in Verbindung gebracht. Hinzu kam, dass im Königreich Neapel durchaus Sympathien für den Kaiser vorhanden waren. Papst Clemens V. machte bald darauf noch einmal deutlich, dass er Heinrichs Vorgehen gegen Robert von Anjou offen missbilligte. Das kaiserliche Urteil gegen Robert wurde vom Papst für ungültig erklärt und das Verbot eines Angriffs auf das Königreich Neapel bekräftigt. Der Kaiser wurde in päpstlichen Gutachten sogar zu einem Vasallen des Papstes degradiert; bezeichnenderweise geschah dies aber erst nach dem Tod Heinrichs.

Für die Anhänger des Kaisers in Italien war sein unerwarteter Tod eine Katastrophe, wenngleich die Ghibellinen immer noch ein militärisch ernstzunehmender Faktor in Reichsitalien waren. Die politische Lage in Reichsitalien blieb verworren und die Kämpfe zwischen den Kommunen gingen weiter; einige betrieben in der Folgezeit weiterhin eine aggressive Expansionspolitik. Die von vielen erhoffte Stabilisierung der Lage in Italien wurde durch den frühen Tod des Kaisers, der den damaligen Geschichtsschreibern als ein menschlich sympathischer Charakter erschien, zunichtegemacht. Stattdessen gewann die Signorie als Herrschaftsform in den Kommunen Reichsitaliens weiter an Auftrieb. Der Tod Heinrichs bedeutete das faktische Ende der traditionellen kaiserlichen Italienpolitik: Die nachfolgenden Kaiser sollten sich mit deutlich niedriger gesteckten Zielen begnügen und waren damit zufrieden, Gelder in Reichsitalien einzutreiben. Der kaiserliche Herrschaftsanspruch blieb aber bis weit in die Frühe Neuzeit zumindest formal bestehen.

In Deutschland herrschte nach dem überraschenden Tod des Kaisers zunächst Verwirrung. Die Großen des Reiches hatten mit der Wahl des Luxemburgers keine schlechten Erfahrungen gemacht, ganz im Gegenteil: Heinrich hatte die Rechte der Fürsten geachtet und im Konsens regiert; umgekehrt hatten die Fürsten die kaiserliche Italienpolitik sowie die Erneuerung des Kaisertum aktiv unterstützt. Nun stellte sich die Frage, welcher Kandidat ähnlich handeln und nicht primär eigene Hausmachtinteressen verfolgen würde.


Doppelpack: Ludwig von Wittelsbach und Friedrich von Habsburg

Wie erwähnt kam Ludwig etwa 1282 in München als Sohn des oberbairischen Herzogspaares Ludwig II. der Strenge und Mechthild von Habsburg zur Welt. Nach dem Tod des Vater 1294 folgten er und sein älterer Bruder Rudolf jenem in der Herzogswürde nach. Unter brüderlicher Vormundschaft absolvierte Ludwig zunächst eine standesgemäße Erziehung in Wien zusammen mit dem österreichischen Prinzen Friedrich dem Schönen. Friedrich war sieben Jahre jünger, 1289 als Sohn des künftigen Königs Albrecht I. und Elisabeths von Görz-Tirol geboren. Da Ludwigs Mutter und Friedrichs Vater Geschwister waren, bestand eine enge verwandtschaftliche Beziehung, die beiden Jungs waren Cousins. Ludwigs und Friedrichs Werdegang entwickelte sich auch recht parallel weiter. Ludwig konnte 1301 seinen Anspruch auf die Mitregierung in Oberbaiern durchsetzen, in den Folgejahren seinen Bruder Rudolf immer mehr verdrängen und die Herrschaft in Oberbaiern an sich ziehen.

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Friedrich kam 1306 zur Leitung des Herzogtums Österreich und führte nach dem Mord an seinem Vater 1308 das Haus Habsburg uneingeschränkt. 1313 gerieten Ludwig und Friedrich erstmals aneinander, als es um die Vormundschaft über die drei unmündigen Herzöge in Niederbaiern ging. Nach einem militärischen Gefecht gingen die zwei früheren Spielkameraden getrennte Wege. Ludwig siegte im Kampf um die Vormundschaft und gab nun sowohl in Ober- wie in Niederbaiern den Ton an, während Friedrich sich zurückziehen musste und den Einfluss der Habsburger nicht erweitern konnte.

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In der landesherrschaftlichen Macht war der Wittelsbacher Ludwig damit vom einstmals kleinen Oberbaiern zu den Habsburgern aufgerückt, und einigermaßen gleichwertig steuerten beide 1314 auf die römisch-deutsche Königswahl zu, die seit dem Tod Kaiser Heinrichs VII. im August 1313 anstand.

Die Wahlverhandlungen hatten sich hingezogen, weil sich die Habsburger Partei um Friedrich den Schönen zunächst mit einer Gegenpartei um König Johann von Böhmen (später Johann der Blinde genannt), dem Sohn des verstorbenen Kaisers aus dem Hause Luxemburg, auseinandergesetzt hatte. Aufgrund von Johanns mangelnder Integrationskraft waren seine Anhänger 1314 auf Ludwig als antihabsburgischen Kandidaten umgeschwenkt.

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Baiern und Österreich standen als Konkurrenten gegenüber. Vor den Toren Frankfurts kam es am 19. und 20. Oktober 1314 zur verhängnisvollen Doppelwahl: Sachsen und Böhmen votierten jeweils zwiespältig und konnten nichts entscheiden. Unstrittig waren dagegen die Kölner und Pfälzer Kurstimmen für Friedrich, die letztere pikanterweise von Ludwigs eigenem Bruder Rudolf als Pfalzgraf. Ebenso unstrittig waren Ludwigs Kurstimmen aus Mainz, Trier und Brandenburg. Mit ihnen besaß er die Mehrheit, doch das Mehrheitsprinzip galt 1314 noch nicht.

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Die beiden Gewählten fühlten sich gleichermaßen legitimiert. Mit unterschiedlichen Kronen wurden Ludwig am 25. November in Aachen, Friedrich am gleichen Tag in Bonn gekrönt. Nur eine militärische Entscheidung konnte das Problem lösen. Der Kampf als Gottesurteil musste die Frage nach dem wahren König beantworten.

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Gekämpft, belagert, bedroht und taktiert wurde in der Folgezeit zur Genüge, ganze acht Jahre lang. In mehr oder minder blutigen Aktionen standen sich die Kontrahenten zwischen 1315 und 1320 wiederholt gegenüber, ohne dass es zu einem Ergebnis kam. Friedrich war entschlossener und aggressiver, Ludwig in der Defensive, einen Durchbruch gab es aber nicht. Erst 1322 wurde die Entscheidung unausweichlich. Friedrich, sein militärisch begabter Bruder Leopold und der verbündete Erzbischof von Salzburg stießen von Osten, Westen und Süden her in einem Zangenangriff auf Baiern vor. Ludwigs strategische Lage war prekär, er musste alles auf eine Karte setzen, und das tat er auch. Er stellte sich den Österreichern am Inn mit seinen Truppen entgegen und bot am 28. September 1322 die Schlacht an. Obwohl Leopold noch im Anmarsch war, nahmen die Österreicher den Kampf auf und begingen damit einen kapitalen Fehler. Das aufreibende Gefecht verlief nicht zu ihren Gunsten, Friedrich der Schöne wurde gefangen genommen. Ludwig soll ihn mit den Worten begrüßt haben: „Herr Vetter, wie gern sehen wir Euch hier.“

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Jetzt war der Habsburger das wichtigste Faustpfand in der Hand des Siegers, und wurde in der Oberpfalz festgesetzt. Der Thronkampf war schlagartig erledigt, nicht jedoch die Konkurrenz zwischen Wittelsbachern und Habsburgern. Ludwig IV. musste seinen militärischen Sieg noch in einen politischen ummünzen. Kurz nach seinem Sieg griff er in der gerade freigewordenen Mark Brandenburg zu. Dort war die männliche Linie der Askanier ausgestorben, Ludwig setzte seinen kleinen Sohn Ludwig zum neuen Markgrafen ein. Die gleiche Geschichte also, wie es die Habsburger mit Österreich und die Luxemburger mit Böhmen praktiziert hatten, eine Erschütterung der empfindlichen Machtbalance unter den deutschen Fürsten. Aber er kam damit bei den misstrauischen Fürsten durch.

Als nächstes heftete Ludwig IV. seinen Blick nach Italien, ganz traditionell also. Dort lagen seit Jahren die Reichsinteressen brach: Sie wiederzubeleben brachte ihm Zustimmung unter den deutschen Fürsten. Aber der König musste mit der Gegenwehr des Papstes rechnen, und der war seit 1316 der energische Johannes XXII. (1316-1334).

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Von Avignon aus maßte sich Johannes an, das Reich in Oberitalien zu vertreten, wer hatte ihm während des jahrelangen Thronstreits dabei auch in den Arm fallen sollen? In Deutschland wohl niemand, aber in Italien widersetzten sich die Visconti (Mailand), die della Scala (Verona) und die Este (Ferrara) dem Papst, der sie natürlich allesamt mit dem Kirchenbann belegte. Als Ludwig sich nun anschickte, in Italien mitzureden, reagierte Johannes XXII. prompt und sprach dem Wittelsbacher die Legitimität ab: Schließlich war seine Herrschaft mit dem Makel der Doppelwahl von 1314 behaftet. Wegen Ludwigs Zusammenarbeit mit den gebannten Italienern forderte der Papst den Wittelsbacher sogar zum Rücktritt auf und sprach 1324 den Kirchenbann auch über ihn aus.

Der Bann entfaltete seinen beabsichtigten Zweck: In Deutschland hatten Ludwigs Kritiker unter den Fürsten nun ein Druckmittel in der Hand, den König in der Brandenburger Affäre anzugehen. Natürlich verfolgten auch die Habsburger gespannt die Entwicklung. Friedrich der Schöne war zwar noch immer in der Hand Ludwigs, doch offenbar war doch noch nicht alles entschieden. Ludwig erkannte das und ging ihnen entgegen: Das Jahr 1325 galt umfangreichen Verhandlungen innerhalb der deutschen Fürstenhäuser, die der König mit einer ganzen Anzahl ausgleichender Verträge diplomatisch krönte. Inhaltlich hatten sie es in sich, man betrat mit ihnen politisches Neuland: Mit den Habsburgern einigte sich Ludwig IV. auf ein friedliches Doppelkönigtum!

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Die beiden Cousins hatten sich in der Zeit, in der Friedrich der Gefangene des Königs gewesen war, persönlich wieder ausgesöhnt und sich auf diesen ungewöhnlichen und bisher einmaligen Schritt verständigt. Ludwig ließ Friedrich unter der Maßgabe, seine Familie von dem Friedensvertrag zu überzeugen, nach Wien zurückkehren. Seinen Bruder Leopold konnte Friedrich der Schöne jedoch nicht dazu bewegen, Ludwig als König anzuerkennen. So entschied sich Friedrich, sich gemäß seinem Versprechen zurück in die Haft seines Cousins zu begeben (auch die Einlassung des Papstes, der Friedrich von seinem Versprechen gegenüber dem Wittelsbacher entband, änderte nichts daran).

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Der Vertrag, der am 7. Januar 1326 zu Ulm geschlossen wurde, beinhaltete die Anerkennung Ludwigs als König durch die Habsburger. Friedrich der Schöne sollte ebenfalls König werden und die Geschäfte in Deutschland führen, während Ludwig sich in Rom zum Kaiser krönen lassen würde – durch wen auch immer, denn der Papst saß ja in Avignon.

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Wie oft schon hatte es Könige und Gegenkönige gegeben, aber auf die Idee, ein legales Doppelkönigtum einzurichten, war noch niemand gekommen. Und daran, den Gleichklang mit dem Papst vielleicht gar nicht nötig zu haben, hatte auch noch niemand gedacht. Friedrich kam aus der Haft frei und versprach Hilfe bei der Verteidigung der Reichsrechte gegen den Papst. Das gemeinsame Königtum war in allen Einzelheiten der protokollarischen Fragen geregelt. Listig verkündete Ludwig IV. zudem, er sei zum Verzicht auf die Krone bereit, wenn der Papst an seiner Stelle Friedrich als König anerkenne. Das machte der natürlich nicht, schließlich war der Habsburger jetzt ein Verbündeter des gebannten Wittelsbacher. Ludwig IV. war es gelungen, alle Reichsfürsten gegen Johannes XXII. zusammenzubringen.

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Zum Jahreswechsel 1326/27 brach Ludwig in den Süden auf, um nach Mailand zu ziehen, wo er zusammen mit seiner Gemahlin Margarete am 31. Mai 1327 die lombardische Krone empfing.

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Im Spätsommer ging es weiter über Pisa, das zunächst Widerstand leistete, nach Lucca und Viterbo. Anfang 1328 erreichte Ludwig IV. Rom. Sein Aufenthalt in der Ewigen Stadt wurde zum nächsten Meilenstein in der turbulenten Verfassungsentwicklung dieser Jahre. Bei der am 17. Januar 1328 vollzogenen Kaiserkrönung verzichtete Ludwig nicht nur gezwungenermaßen auf die Mitwirkung des feindlichen Papstes aus Avignon, sondern er drehte den Spieß um. Als der von den Fürsten gewählte und gekrönte König nahm er die Kaiserkrönung als rein säkulare Rangerhöhung entgegen. Schon seine Königswahl hatte er nicht vom Papst bestätigen lassen, bei der Kaiserkrone räumte er ihm praktisch gar keine Kompetenzen ein. Die zeremonielle Krönung sollte zwar traditionell von Geistlichen vorgenommen werden, am besten vom Papst. Aber wenn es mit dem nicht ging, konnten das auch andere tun, wie jetzt die Bischöfe von Castello und Aleria. Wichtig war nur, dass die Kirche nicht als substanzielle Quelle des Kaisertums zum Zuge kam, sondern lediglich die litugische Dekoration lieferte. Die Bürger von Rom jubelten über ihre gestiegene Bedeutung bei der Kaisererhebung, und schworen Ludwig feierlich ewige Treue. Neben dieser geradezu revolutionären Neubestimmung versuchte Ludwig IV. auch Fakten zu schaffen, welche die Entwicklung unumkehrbar machten. Am 18. April 1328 setzte er Johannes XXII. ab, wobei das Argument der Einmischung in die vom Fürstenvotum konstituierte Königs- und Kaiserherrschaft den Papst ins Unrecht setzen sollte. Am 12. Mai veranlasste der Kaiser die Wahl des Franziskaners Petrus von Corvaro zum neuen Papst Nikolaus V., von dem er zu Pfingsten 1328 das kaiserliche Weihezeremoniell noch einmal wiederholen ließ.

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Als der Wittelsbacher 1329 über Pisa, Pavia und Parma den Rückzug nach Deutschland antrat, zerfiel die italienische Gefolgschaft, die er zuvor geschmiedet hatte, rasch wieder. Der freundliche Nikolaus konnte sich gegen den energischen Johannes nicht lange halten, die Römer schwenkten angesichts der neuen Machtverhältnisse rasch um zum Papst nach Avignon. Auch in den norditalienischen Städten kehrten die Machthaber rasch zu den alten Verhältnissen zurück, kaum dass Ludwig über die Alpen abgezogen war. Ende 1329 war Reichsitalien für Ludwig IV. wieder ebenso wenig unter Kontrolle wie vor seinem Romzug. Aber er hatte von dort die Kaiserkrone mitgebracht.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 7. Januar 2018 14:53

Der Papst wird ausgesperrt

Wie vom Schicksal begünstigt, holte ihn die Situation des Doppelkönigtums nach seiner Rückkehr nach Deutschland nicht wieder ein, denn schon am 13. Januar 1330 verstarb Friedrich der Schöne und ließ dem Wittelsbacher die ungeschmälerte Alleinherrschaft. Vermutlich hätte Friedrich auch so keinen Ärger bereitet, denn er war in den letzten Jahren kaum am Regieren interessiert gewesen. Und sein Bruder Leopold, den sie das Schwert Habsburgs nannten, war bereits 1326 gestorben. Das Doppelkönigtum war erledigt und wurde als Herrschaftsform nicht wiederbelebt, Ludwig hatte erstmals die gesamte Regierungsgewalt in seiner Hand. Er nutzte die folgenden Jahre, um den erreichten Status mit einer Ausgleichspolitik nach innen wie nach außen zu konsolidieren.

Mit den Habsburgern suchte er ein Auskommen, um den Frieden im Reich zu sichern. Er machte sie zwar nicht mehr zu Mitkönigen, aber zu Reichsvikaren, also zu Stellvertretern der Krongewalt, und stellte sie damit zufrieden. Die Habsburger wurden ab 1330 übrigens gemeinsam durch die Brüder Albrecht (der Lahme) und Otto (der Fröhliche), beide Söhne des Königs Albrecht I., vertreten:

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    Albrecht I. (1255-1308) – war römisch-deutscher König
    Rudolf III. (1281-1307) – war König in Böhmen
    Friedrich I. der Schöne (1289-1330) – war römisch-deutscher Mitkönig
    Leopold I. das Schwert Habsburg (1290-1326)
    Albrecht II. der Lahme (1298) – jetzt Herzog von Österreich
    Heinrich (1299-1327) – war Herzog von Österreich
    Otto der Fröhliche (1301) – jetzt Herzog von Österreich

In die gleiche Richtung von Ausgleich und Sicherung zielten die Schlichtungsmaßnahmen zwischen den niederbairischen Herzögen, Ludwigs erwachsen gewordenen ehemaligen Mündeln. Die Beilegung ihrer Streitigkeiten führte in den Jahren 1331/32 zur Teilung Niederbaierns, das erst nach dem Tod der jüngeren Herzöge unter Heinrich XIV. wieder in einer Hand zusammenkam. Nur mit dem Sohn des früheren Kaisers Heinrich VII., dem böhmischen König und Oberhaupt der Luxemburger Johann (der Blinde) kam Ludwig nicht wirklich zurecht. Trotzdem: Es war Ludwig IV. ernst mit seinem Vorhaben, einen umfassenden Frieden im Reich zu stiften, und das gelang ihm auch.

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Auch gegenüber dem Papsttum in Avignon wollte Ludwig IV. die Konfrontation beenden. Da zog er aber eine klare Trennlinie zwischen seinen Positionen bei den Reichsrechten (nicht verhandelbar) und der persönlichen Ebene, wo er zu Zugeständnissen bereit war, um die Lösung des Kirchenbanns zu erreichen. Die Exkommunikation hielt er gleichwohl für unberechtigt, und daraus machte er kein Geheimnis. Ungeniert gründete Ludwig IV. Klöster und ließ sich die Messe lesen, was den Papst natürlich wütend machte – ein Gebannter durfte das nicht. Zwischen Kaiser und Papst gingen die Verhandlungsdelegationen hin und her, aber eines wurde dabei klar: Mit Johannes XXII. war ein Kompromiss nicht zu erzielen, dafür war der alte Mann zu verbissen und machtbewusst. Als Ludwig das einsehen musste, ging er zu einer pragmatischen Taktik über: Er wartete einfach ab, bis dem alten Papst das Zeitliche segnete und hoffte auf einen weniger feindseligen Nachfolger.

Dieser Moment kam nach dem Tod Johannes XXII., der am 4. Dezember 1334 im Alter von wohl 89 Jahren in Avignon starb. Wenige Wochen später wurde der französische Bischof und Inquisitor Jacques Fournier zu Papst Benedikt XII. (1334-1342) gewählt.

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Der neue Pontifex war tatsächlich konzilianter und Ludwigs Bevollmächtigte standen zwischen 1335 und 1337 mehrfach vor einem Durchbruch bei den Verhandlungen. Aber jedes Mal wurde die Absolution aufgrund geheimer Intervention verhindert: Diese Interventionen kamen vom französischen König. Hinter ihnen stand das Interesse Philipps VI. von Frankreich, Ludwig im Vorfeld des sich abzeichnenden Hundertjährigen Krieges als möglichen Verbündeten des englischen Gegners Edward III. zu diskreditieren. Das Reich sollte unter einem Kirchenbann nicht zur Ruhe kommen, seine politische Handlungsfähigkeit zusammen mit England sollte beeinträchtigt bleiben. Die französischen Einflussnahmen an der Kurie in Avignon hatten Erfolg, Ludwig kam auch unter Benedikt XII. nicht vom Kirchenbann frei.

Ludwig IV. reagierte verbittert auf diese Instrumentalisierung seines persönlichen Konflikts mit dem Papsttum und konzentrierte Ende der 1330er Jahre seine Kräfte darauf, das Reich verfassungsrechtlich und in seiner Legitimität von der Kirche abzugrenzen. Die bisherigen Geschehnisse – Ludwigs Wahl durch die Kurfürsten ohne Approbation des Papstes, das Doppelkönigtum, die säkulare Kaiserkrönung – wurden gesetzlich formuliert und in unangreifbare Politik umgesetzt. Die Stimmung unter den wichtigen Fürsten im Reich war dafür, keiner der Kurfürsten wollte sich von einem Papst bei seinem Stimmrecht reinreden lassen, zumal dessen Ansehen erheblichen Schaden erlitten hatte: Die Kurie in Avignon war durch Vetternwirtschaft und Prunksucht sowie durch die Abhängigkeit vom französischen König schwer korrumpiert. Die deutschen Bischöfe, die Städte und der Adel verwahrten sich gegenüber Benedikt XII. gegen die unzulässigen Angriffe auf ihren gewählten Kaiser. Die Legitimität des Herrschers sei allein im fürstlichen Votum begründet, die Approbation und Vergabe der Kaiserkrone stehe dem Papst nicht zu, das Imperium stamme unmittelbar von Gott.

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Diese Punkte schrieben die wichtigen Fürsten bei ihrem Treffen in Rhens am 16. Juli 1338 nieder, und zwar in genereller Formulierung, der Name Ludwigs wurde der Grundsätzlichkeit halber in den Dokumenten nicht erwähnt. Die Fürsten bekräftigten ihren alleinig gültigen Wahlakt und den daraus ableitenden Herrschaftsanspruch des Gewählten. Als Lehre aus der Doppelwahl von 1314 setzten sie den Mehrheitsentscheid bei der Königswahl fest. Ein Doppelkönigtum, auch als verabredete Herrschaftsform, sollte es nicht mehr geben. Der zentrale Satz war: „Der mehrheitlich Gewählte ist und heißt wahrer König und Kaiser“. Damit konstituierte sich das Reich in der Hierarchie seiner Herrschaft vollständig selbst, der Papst wurde als Kaisermacher verfassungsrechtlich vor die Tür gesetzt.

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Nun waren die Fronten wohl endgültig geklärt. Ludwig IV. ging das von Philipp VI. gefürchtete Bündnis mit Englands Edward III. ein. Der Plantagenet ließ sich von Ludwigs Exkommunikation nicht schrecken, nach den dezidierten Darlegungen über den Status des Reiches war das kein Thema mehr. Er kam Ende August 1338 nach Koblenz zu Verhandlungen und wurde pro forma von Ludwig zum Generalvikar des Reiches in den Gebietes beiderseits des Rheines ernannt. Damit gab er Edward das Recht zum militärischen Aufgebot gegen Frankreich (die rheinischen Fürsten waren für Teile ihrer Besitzungen häufig auch Vasallen des französischen Königs und benötigten einen casus belli, um gegen diesen marschieren zu können). Gegen englischen Sold konnten Truppen aus dem Reich zusammengezogen werden, das Bündnis hatte wegen der meist ausbleibenden englischen Zahlungen dann aber kaum Auswirkungen. Edward III. konnte aus Geldmangel die Allianz nicht aktivieren. Das führte 1341 sogar zu einem abrupten Seitenwechsel des Kaisers und einer Bündnisumkehr zugunsten Frankreichs – der in der Praxis aber ebenso folgenlos blieb wie die Allianz mit England. Ludwig IV. entwickelte keine eigene Haltung im beginnenden Hundertjährigen Krieg.

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Als Benedikt XII. 1342 starb, war klar, dass erneut ein Franzose zum Papst gewählt werden würde. Fast alle Kardinäle waren nämlich Franzosen, das Kollegium fest unter der Kontrolle des König Philipp. Der neue Papst nannte sich Clemens VI. (1342-1352) und führte eine wieder härtere Gangart gegenüber Ludwig IV. und das Reich, die deutschen Geistlichen wurden von ihm unter Druck gesetzt. Jeden Sonntag ließ Clemens den Kaiser bannen und Prozesse gegen ihn führen. Die deutschen Fürsten, auch die Bischöfe, beeindruckte das inzwischen wenig, sie verwiesen den Papst einfach auf die Beschlüsse von Rhens. Die Vertreter des Reiches hielten die Reihen um ihren gewählten Kaiser geschlossen. Ludwig IV. war auf dem Höhepunkt seiner Macht.

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Erstaunlicherweise war es Ludwig IV. selbst, der jetzt auf seine alten Tage den Konsens im Reich aufkündigte. Er schwenkte zu der bekannten Hausmachtpolitik um, was ihm viel an Rückhalt im Reich kosten sollte. Es begann im Frühjahr 1339 in Niederbaiern. Ludwig gelang es, mit dem wegen der früheren Teilungen bislang eher abgeneigten Heinrich XIV. ein Abkommen zustande zu bringen. Heinrichs einziger Sohn Johann sollte Ludwigs Tochter Anna heiraten. Als Heinrich am 1. September 1339 an Aussatz starb, übernahm Ludwig zusammen mit dessen Witwe Margarete, der Tochter Johanns von Böhmen, die Vormundschaft für ihren kleinen Sohn Johann. Doch der Prinz starb ebenfalls schon im darauffolgenden Jahr, mit ihm erlosch die niederbairische Linie. Ludwig IV. zögerte nicht, das heimgefallene Herzogtum als Vormund und naher oberbairischer Verwandter an sich zu ziehen. Die unglückliche Margarete wurde mit böhmischen Besitzungen abgefunden und fortgeschickt. Ludwig vereinigte umgehend Ober- und Niederbaiern zu einem einheitlichen Herzogtum unter seiner Herrschaft.

Dem rechtlich einwandfreien, aber menschlich hartem Vorgehen gegenüber Margarete folgte Ende 1341, Anfang 1342 der nächste Coup gegen die Luxemburger Dynastie. Er betraf Margaretes Bruder Johann Heinrich, der jüngste Sohn des böhmischen Königs. Johann Heinrich war seit 1330 mit Margarete Maultasch, der Erbtochter von Kärnten und Tirol, verheiratet. 1335 hatte sie nach dem Tod ihres Vaters nur Tirol für sich halten können, Kärnten war an die Habsburger gefallen.

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Ludwig hatte das in der Phase seiner Ausgleichspolitik mit den Fürsten hingenommen, griff nun aber bei Tirol zu. Das Gebiet war strategisch wichtig, denn hier lagen die Pässe, über die man mit einem Heer nach Italien gelangen konnte. Ludwig IV. nutzte den inzwischen bekannten Ehekonflikt zwischen Margarete Maultasch und Johann Heinrich zu einer skandalösen Erwerbspolitik. Margarete wollte sich von ihrem wohl gewalttätigen Mann, der sie von der Regierung ihres eigenen Landes fernhielt, trennen. Offenbar in Absprache mit dem Kaiser sperrte sie ihn im November 1341 aus Schloss Tirol bei Meran aus und ließ auch alle anderen Burgen in der Grafschaft von ihr gegenüber loyalen Gefolgsleuten verriegeln. Der Tiroler Adel erhob sich gegen die Luxemburger Herrschaft und Johann Heinrich musst unter internationalem Gelächter das Land verlassen.

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Was die glücklose Eheverbindung betraf, überging Ludwig dreist die Kompetenz des Papstes und ließ sie kraft seiner kaiserlichen Autorität scheiden. Und im Februar 1342 arrangierte er die Vermählung von Margarete Maultasch mit seinem verwitweten Sohn Ludwig, dem Markgrafen von Brandenburg.

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Damit kam Tirol in die Hände der Wittelsbacher. Der Spott des europäischen Adels über die Luxemburger Blamage wich jetzt der Empörung vor allem der Reichsfürsten über Ludwigs Vorgehen. Von den Luxemburgern schlug dem Kaiser offener Hass entgegen, das war wenig überraschend.

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Bei den anderen wuchs die Sorge, bei nächster Gelegenheit selber ein Opfer solch zweifelhaften Umgangs mit der Macht zu werden. Man war sich einig, dass der Wittelsbacher hier zu weit gegangen war. Die Luxemburger, allen voran Böhmens Johann der Blinde, suchten den Kaiser nun vom Thron zu verdrängen. Sie schürten Zweifel an ihm und konnten viele der Fürsten auf ihre Seite bringen. Ludwigs Position im Reich geriet ins Wanken, seine Macht bröckelte.

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Selbst bei den Gegnern von der Habsburger Dynastie sprach Johann der Blinde vor. Zu dem Gespräch zwischen ihm und Albrecht dem Lahmen in Wien gibt es die Anekdote, wie Johann das Verhandlungszimmer verlassen will: Ohne sein Augenlicht war der böhmische König nicht in der Lage, die Tür zu finden, während der gelähmte Herzog Albrecht II. nicht aufstehen konnte, um seinem Gast den Weg zu weisen. Die beiden lachten herzlich über die skurrile Situation.

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Papst Clemens VI. in Avignon sah die Chance, die Mehrheit der Fürsten von Ludwig zu trennen, und steuerte seit 1344 auf eine Neuwahl im Reich zu. In engem Zusammengehen mit den Luxemburgern protegierte er Karl, den ältesten Sohn Johanns von Böhmen, als Kandidaten für die Krone. Ludwig IV. raffte nun alles zusammen, um mit einer weiteren Steigerung der wittelsbachischen Hausmacht die Wende zu erzwingen. Nach dem Tod seines Schwagers Graf Wilhelm IV. von Holland im September 1345 übertrug er dessen Reichslehen Holland, Hennegau, Seeland und Friesland im Januar 1346 seiner Gemahlin Margarete, einer Schwester des Verstorbenen. Die Erbansprüche der beiden anderen Schwestern, immerhin der Königin von England und der Markgräfin von Jülich, wurden einfach übergangen.

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Das Haus Wittelsbach sollte mit Baiern, der Pfalz, Tirol und Holland zur mächtigsten Dynastie im Reich werden. Doch das änderte nichts mehr daran, dass sich die Dinge gegen Ludwig IV. kehrten. Am 13. April 1346 sprach Clemens VI. die endgültige Verfluchung gegen ihn aus, er wollte den Kaiser wie das antichristliche Biest von der Erde vertilgt sehen. Damit gab er den Fürsten nachdrücklich die Hände frei für eine Neuwahl. Drei Monate später, am 11. Juli 1346, erhoben die drei rheinischen Erzbischöfe (Walram von Köln, Gerlach von Mainz, Balduin von Trier) sowie zwei der weltlichen Wähler (Johann von Böhmen, Rudolf von Sachsen) Johanns Sohn Karl zum neuen römisch-deutschen König (Karl IV.).

Hinweis: Im Spiel heißt Karl an dieser Stelle noch Wenzel (Wentscheslaw), das war sein ursprünglicher Taufname. Diesen legte er während seiner Zeit in Paris ab und ließ sich auf den Namen Karl firmen, eine Ehrenbezeugung für seinen Mentor, den französischen König Charles IV. de Valois.

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In gewisser Weise schloss sich der Kreis für Ludwig, er fiel wieder in die Zeiten des Gegenkönigtums zurück. Es folgten allerdings keine großen militärischen Auseinandersetzungen, Ludwig und Karl traten nicht gegeneinander an. Die Luxemburger hatten sich mit der Wahl den Königsrang gesichert, um die Nachfolge im Reich brauchten sie sich nicht zu fürchten. Das Ende der Situation konnten sie bei Ludwigs Alter von 64 Jahren abwarten. Nach seinem Tod würden die Wittelsbacher wieder auf den Rang von Landesfürsten zurückfallen, den Luxemburgern unter Karl IV. gehörte die Zukunft. So kam es. Am 11. Oktober 1347 starb Ludwig IV. auf einer in der Nähe des Klosters Fürstenfeld veranstalteten Hofjagd. Vermutlich ein Herzinfarkt ließ ihn vom Pferd stürzen, er war nach wenigen Augenblicken tot.


… und wie ging es weiter?

Die riesige Hausmacht, die er vor allem in seinen letzten Jahren aufgebaut hatte, löste sich relativ schnell wieder auf. Bereits zwei Jahre nach seinem Tod begann mit den bairischen Teilungen die Zersplitterung der Stammlande. 1363 ging Tirol an die Habsburger verloren, 1373 Brandenburg an die Luxemburger. Nur in den holländischen Besitzungen konnten sich die Wittelsbacher außerhalb ihrer Stammlande bis 1425 halten. Den großen Ertrag in Ludwigs Herrschaft stellten dagegen die reichsrechtlichen Konzepte dar, die er hinterließ. Die Erprobung eines Doppelkönigtums, die Aufrichtung eines säkularen Kaisertums, die Emanzipation des Reiches von der päpstlichen Gewalt, die Selbstkonstituierung der Konsensherrschaft zwischen Fürsten und König. Das waren absolut bemerkenswerte Positionen, die die Welt vorher noch nicht gesehen hatte. Ludwigs Nachfolger Karl IV. verstand es, daran anzuknüpfen und dafür zu sorgen, dass der Ruhm hierfür nicht mit dem Namen des Wittelsbachers verbunden wurde.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 27. Januar 2018 17:28

6. Spätmittelalter

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Drei Familien: Luxemburg

Karl IV. von Luxemburg
Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, lebte 1316-1378
Startdatum: 1. Januar 1337


Es war im Herbst des Jahres 1346, irgendwo in Deutschland. Einsam, umgeben von nur wenigen Getreuen, sitzt der Luxemburger Karl in der Herberge eines gewöhnlichen Kaufmanns. Karl darf hier nicht auffallen und ist deshalb als gewöhnlicher reisender Händler verkleidet. Es ist das Gebiet, in dem sein Gegner, Kaiser Ludwig der Baier, das Sagen hat. Und Karl hatte sich einige Jahre zuvor von einigen Kurfürsten und mit Unterstützung des Papstes zum Gegenkönig wählen lassen. Doch die Herrschaft des Wittelsbachers Ludwig war seitdem nicht gerade ins Wanken geraten, Karl war in der schwächeren Position. Schlimmer noch: Er hatte seinen Vater Johann von Böhmen nach Frankreich begleitet, um die böhmische Bündnistreue mit König Philippe VI. unter Beweis zu stellen. Die entscheidende Schlacht bei Crecy im August 1346 war für Frankreich und seine Verbündeten zu einem Desaster geworden, der englische Thronfolger Edward hatte überraschend gesiegt. Auf dem Schlachtfeld war nicht nur ein großer Teil des französischen Adels gefallen, auch Karls Vater hatte hier auf heroische Weise den Tod gefunden. Jetzt musste Karl zusehen, schnell nach Prag zu gelangen, um die böhmische Krone seines Vaters für sich und sein Haus Luxemburg zu beanspruchen. Sicher, er war gemäß der Primogenitur der legitime Nachfolger, doch die Herrschaft der Luxemburger in Prag bestand noch nicht lange. Es war also möglich, dass andere Geschlechter nach der böhmischen Krone greifen würden. Eile war also geboten, doch Karl musste ohne militärische Unterstützung von Crecy nach Prag gelangen – und dabei das Gebiet seines Gegners Ludwig durchqueren. Die Aussichten für Karl waren düster in diesen Tagen, es drohte das Ende der Luxemburger Herrschaft nach nur wenigen Jahrzehnten des steilen Aufstiegs.


1. Der Kronprinz


Die Vorväter Karls, die Grafen von Luxemburg, zählten zum deutschen Hochadel, in Westdeutschland und Frankreich mannigfach versippt. Karl konnte seine Ahnenreihe stolz bis auf die Karolinger zurückführen, auf jene Gründungsdynastie des Abendlandes, die um 800 aus Frankreich und dem westlichen Deutschland eine Einheit geschaffen hatte. Karls Mutter - im folgenden Bild (1) - war eine Przemysliden-Prinzessin, durch sie reicht die Reihe der Vorfahren Karls bis in das Dunkel der böhmischen Sagenzeit. Der böhmische Großvater Karls, Wenzel II. (2), regierte in Böhmen und Mähren, wurde zum König von Polen gekrönt, und stellte seinem unmündigem Sohn auch noch die ungarische Krone in Aussicht. Das wäre eine Herrschaft über das ganze östliche Mitteleuropa gewesen, die größte Landfläche des christlichen Europa. Karls zweiter Großvater hingegen, Graf Heinrich VII. von Luxemburg (3), war aufgestiegen zur kaiserlichen Würde. So wie der Großvater mütterlichseits nach der größten Landmacht gestrebt hatte, erreichte der andere den höchsten Rang, welchen die Christenheit einem Herrscher verleihen konnte. Nur, gemeinsam haben diese beiden Großväter ihre Kronen nie getragen: als man den Grafen Heinrich von Luxemburg 1308 fast unerwartet zu seinem hohen Amt berief, lag der Przemysliden-König Wenzel II., obwohl beinahe gleich alt, schon mehr als drei Jahre im Grab. Erst mit Karl selbst sollten sich die böhmische Vision von einem östlichen Großreich mit der Kaiserwürde vereinen.

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Freilich wurzeln solche Pläne tiefer. Auch zwei Urgroßväter Karls trugen Kronen und berühmte Namen. Przemyslid Ottokar II. (4), der als goldener König in die Geschichte einging; und Rudolf I. (5), der erste Habsburger auf dem deutschen Thron. Diese beiden waren echte Rivalen zu Lebzeiten, und der Sieger dieses Ringens war durchaus schuld geworden am Tode des Besiegten. Das war im Sommer 1278 gewesen, Ottokar II. verlor nördlich von Wien die Schlacht und sein Leben. Die danach geschlossene Ehe der Kinder sollte diesen tragischen Konflikt überwinden. Gewiss keine problemlose Verbindung, als der Bräutigam Wenzel (2 - Ottokars verwaister Sohn) Jutta (6 - die Tochter Rudolfs von Habsburg) nach Hause führte. In jener Zeit schien das nicht so ungewöhnlich, eine vergleichbare Vorgeschichte vereinigte auch Karls Großeltern von der Vaterseite: Den Grafen Heinrich von Luxemburg (3), der später Kaiser wurde, und Margarete von Brabant (7). Sie war die Tochter Herzogs Johann I. (8), dem Sieger der Schlacht von Worringen nördlich von Köln, zehn Jahre nach der Schlacht zwischen Ottokar und Rudolf, also im Jahre 1288. Der unmündige Sohn des besiegten Luxemburgers (9) sollte danach auch hier durch seine Ehe mit der Tochter des Siegers die Wunden heilen. Alle vier Großeltern Karls wurden nicht besonders alt. Jutta von Habsburg (6) starb nach zehnjähriger Ehe mit 26 Jahren im Kindbett, König Wenzel (2) folgte ihr acht Jahre später. Der Kaiser Heinrich VII. (3) und die Kaiserin Margarete (7) erlagen in Italien 1311 und 1313 den Strapazen eines kriegerischen Romzugs. Sie hatten beide kaum das vierzigste Lebensjahr erreicht.

Vor seinem Tod legte Kaiser Heinrich VII. aber den Grundstein für die Herrschaft der Luxemburger über Böhmen. Dort waren Wenzel II. und sein einziger Sohn Wenzel III. kurz hintereinander gestorben, so dass die Przemysliden 1306 im Mannesstamm ausgestorben waren. Kaiser Heinrich verheiratete seinen Sohn Johann mit der Schwester des letzten Przmysliden-Königs Wenzel III., sie hieß Elisabeth, und verhalf Johann damit auf den Thron in Prag, zumindest ab 1311.

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Die Böhmen hatten nach der zwischenzeitlichen Herrschaft eines Habsburgers sowie eines Meinhardiners keine Lust, wieder unter die Habsburger zu geraten. Die Böhmen boten lieber den Luxemburgern an, die Prinzessin Elisabeth zu verheiraten und damit die böhmische Krone zu beanspruchen. Heinrich VII. hatte zunächst überlegt, ob er statt des unmündigen Johann lieber seinen Bruder nach Prag schicken sollte. Wer wusste schon, ob sich ein Junge auf den Thron würde halten können? Aber der Kaiser legte vermutlich wert darauf, dass sein persönliches, ganz eigenes Blut, die Herrschaft antritt. Wichtig war, dass die böhmische Krone späteren Nachkommen per Erbrecht, nicht als Reichslehen aus den Händen späterer Kaiser, zufiel. Damit war die Luxemburger Herrschaft besser gesichert.

Die Böhmen begrüßten es, dass Johann ihr König werden sollte, denn der Junge war zu dieser Zeit erst 14 Jahre alt und damit vermutlich leichter zu lenken – erst recht, als zwei Jahre später sein Vater, der Kaiser, starb. Überhaupt starben zahlreiche Luxemburger zu dieser Zeit, es blieb neben Johann eigentlich nur ein Bruder des Kaisers über, der Trierer Erzbischof Balduin. Alle Hoffnungen der Luxemburger Dynastie ruhten nun also auf den Schultern des jungen Johann. Johann war während seiner Kindheit in Paris aufgewachsen und hatte die französische Hofkultur verinnerlicht, das erklärt seine feste Bündnistreue zu den französischen Königen. Der böhmische Adel ließ sich diese Frankreichpolitik wohl gefallen.

Als Nachfolger auf dem deutschen Thron kam Johann dagegen nicht in Betracht: Die Kurfürsten wollten die frisch verheilten Wunden zwischen Habsburgern und Luxemburgern, zwischen Wien und Prag, nicht neu aufreißen. Außerdem erschien ihnen der kleine Johann für ihre Interessen zu schwach, der Habsburger Friedrich dagegen zu stark. Man einigte sich auf einen Kompromisskandidaten aus dem Hause Wittelsbach, nämlich auf Ludwig IV. der Baier – jener Mann, dem Johanns Sohn später als Gegenkönig Ärger machen sollte. Im Jahre 1314 aber war der Habsburger Friedrich der Gegenkönig zu Ludwig. Daher standen Luxemburger und Wittelsbacher zusammen gegen das Habsburger Gewinnstreben, das war eine Konstante der deutschen Politik bis in die 1330er Jahre.

Karl IV. kam am 16. Mai 1316 zur Welt und erhielt ursprünglich den Namen Wenzel. In der Namenswahl lag bereits ein Politikum, es war der Name des böhmischen Przemysliden und Nationalheiligen Wenzel. Er war das dritte Kind von sieben Geschwistern, der erste unter drei Söhnen. Auf dem erstgeborenen Sohn ruhten die großen Erwartungen der Dynastie, die vor allem durch seinen Vater Johann sowie durch dessen Bruder Erzbischof Balduin von Trier in politische Planungen umgesetzt wurden. Das Schicksal des Kronprinzen bestimmte sein Leben schon in den ersten Wochen, als ihn der Vater Johann vom unsicheren Prag weg auf die Feste Bürglitz bringen ließ. Getrennt von seiner Mutter, sträubte sich der kleine Karl gegen die fremde Umgebung. Der Vater brach den Kindstrotz so brutal wie sinnlos: „...aber der Erstgeborene, im vierten Jahr seines Lebens, wurde dort durch zwei Monate in harter Haft im Keller gehalten, so dass er das Licht nur durch eine Öffnung erblickte.“ Karl hat seine Mutter danach wohl nie wieder gesehen, sie lebte wie eine Verbannte im Exil. Ihre Kinder, ihre Trümpfe im politischen Spiel, hatte ihr Gatte Johann ihr eines nach dem anderen entrissen. Karls Verhältnis zum Vater blieb immer kühl, von gegenseitigem Misstrauen geprägt, wen wundert es.

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Mit sieben Jahren wurde Karl 1323 von seinem Vater nach Frankreich geschickt, zur Erziehung in demselben Milieu, das schon die letzten beiden Generationen der Luxemburger zu Herrschern herangebildet hatte. Dort lernte der Junge den französischen König Charles IV. kennen, den er sehr als väterliche Figur schätzte, und zwar so sehr, dass er seinen Taufnamen Wenzel ablegte und sich mit dem Namen Karl firmen ließ. In den böhmischen Chroniken führte man noch einige Zeit den Doppelnamen „Carolus qui et Wenzislaus“, aber der Name Karl setzte sich dann durch.

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Der Junge erhielt als Patenkind des französischen Königs eine hervorragende Ausbildung in Paris und wurde noch 1323 mit Blanca, einer Tochter des französischen Königs verlobt. Als der Kapetinger Charles IV. 1328 starb, erlosch diese Dynastie, der Cousin des Verstorbenen, der Valois Philippe VI., bestieg den französischen Thron (der war übrigens ein Halbbruder von Blanca).

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Da war Karl zwölf Jahre alt. In den folgenden Jahren sollte sich zeigen, dass er sich mit dem neuen König nicht besonders gut verstand. Zwar unterstützte Karl den Anspruch des Valois auf den französischen Thron gegen die englischen Ansprüche - König Edward III. war ein Sohn der Schwester (Isabella) des letzten Kapetingers und zumindest in weiblicher Linie ein näherer Verwandter. In männlicher Linie, das bejahte auch Karl, war aber eben Philippe VI. näher mit den Kapetingern verwandt.

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Persönlich verstanden sich der kleine Karl und der 35jährige Philippe jedoch nicht. Philippe war nicht der Vaterersatz für Karl, wie der alte König es gewesen war, der Valois war ein habgieriger Mann, der mit dem böhmischen Kronprinzen nichts persönliches am Hut hatte.

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Karl fand in dem Abt Petrus von Rogerii (Pierre Roger) eine neue Vaterfigur, die ihn mit seinen Fastenpredigten beeindruckte. Dieser Abt Petrus sollte noch eine kirchliche Karriere hinlegen und später Erzbischof, Kardinal, ja schließlich sogar Papst werden. Diesem Papst verdankte Karl später seine deutsche Königswahl. 1328 aber hörte er zunächst als Zwölfjähriger seine Predigt. Eine zweite enge Beziehung in Paris fand Karl zu Jean, dem Sohn und Thronfolger des Valois Philippe. Die beiden Thronfolger von Böhmen und Frankreich wurden Freunde.

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Die Pariser Kinderzeit ging zu Ende mit der Reise Karls und seiner Gemahlin Blanca 1330 nach Luxemburg. Ein Jahr später ging es auf Geheiß des Vaters nach Italien, wo der 15jährige Karl seinen ersten politischen Auftrag ausführen sollte. Es ging um das Etablieren eines luxemburgischen Herrschaftskomplexes in Oberitalien, den sich die Stadtstaaten sowie Neapel jedoch nicht aufsetzen lassen wollten. Gleich in Pavia erlebte der jugendliche Karl das erste gefährliche Abenteuer, sein Gefolge wurde vergiftet. Nur weil Karl seinen Gottesdienst überzog und das Frühstück zunächst ausfallen ließ, blieb er verschont. Als er nach dem Gottesdienst zur Tafel kam, wurde ihm gemeldet, dass sein Gefolge, besonders jene, die zuvor gegessen hatten, plötzlich ein Unwohlsein befallen habe. Karl blickte umher und ihm fiel einen unbekannten Mann an der Tafel vorbeigehen, der vorgab, taub zu sein. Darüber fasste er Argwohn und ließ ihn festnehmen und foltern. Am dritten Tag gestand der Unbekannte unter der Folter, dass er in der Küche den Speisen Gift beigemischt hatte und nannte den Mailänder Azzo Visconti als seinen Auftraggeber. Was für ein Empfang - zumal wenn man bedenkt, dass Mailand zu dieser Zeit noch zu den italienischen Verbündeten der Luxemburger gehörte!

Aus den italienischen Ambitionen der Luxemburger wurde nichts, aber Karl nahm neben ersten politischen wie militärischen Erfahrungen ein weiteres prägendes Erlebnis aus dieser Zeit mit. In der Nacht zum 16. August 1333 hatte er einen merkwürdigen Traum. Ein Engel entführte ihn darin und schleppte ihn an den Haaren in der Luft über eine Schlachtenszene. So musste er mit ansehen, wie ein zweiter Engel mit einem Flammenschwert niederfuhr und einen der Gepanzerten aus der ersten Reihe in der Mitte verstümmelte. Der Engel erklärte, das sei der Graf von Vienne, der solchermaßen für seine Ausschweifungen bestraft würde, und auch Karl möge sich hüten. Auch seinem Vater möge er sagen, sich zu hüten vor ähnlichen Sünden, weil ihnen dann noch Schlimmeres bevorstünde. Es war bezeichnend für das Unterlegenheitsgefühl des jungen Karl, dass er am nächsten Morgen dem Kammerherrn seines Vaters und damit auch diesem selbst von der Vision des sterbenden Grafen von Vienne berichtete, aber die Warnung vor dem Ausschweifungen unterließ. Seine eigene Lebensführung aber beeinflusste der Traum sehr wohl, Karl wurde sehr fromm und lebte keusch- - ganz im Gegensatz zu seinem Vater, der wohl ein Lüstling war. Die Bestätigung für den Traum war bald die Nachricht vom Tode des Grafen von Vienne.

Karl IV. war zweifellos abergläubisch, wie wohl fast alle in seiner Zeit. Unkritisch war aber nicht, wie ein weiteres Ereignis aus dem Jahr 1335 belegt. In Prag wohnte er da noch im Burggrafenhaus, weil der Palastbau noch nicht fertig war. Als er dort mit seinem Kammerherrn gemeinsam in einem Zimmer nächtigte, hörte die beiden zugleich Schritte, ohne jemanden sehen oder aufspüren zu können. Und das trotz eines großen Feuers im Kamin und vieler Kerzen im Raum. Schließlich sei einer der bereitgestellten Weinkrüge auf unerklärliche Weise durch das Zimmer geflogen, gegen eine Wand geprallt und dann mitten im Raum liegengeblieben. Karl IV. berichtete selbst, er habe sich nach längerer Erwartung weiterer Ereignisse schlicht mit dem Kreuzzeichen und dem Vertrauen auf Gott wieder zur Ruhe gelegt. Mutmaßungen über Teufel oder Trolle stellte Karl nicht an.

Noch deutlicher wurde sein nüchterner Sinn an seinem Bericht von einem Heuschreckenschwarm. Auch darin distanzierte sich Karl von der Furcht seiner Zeit vor dem Geheimnisvollen. Eines Morgens nämlich weckte ihn ein Ritter aus dem Schlaf mit den Worten: „Herr, steht auf, der Jüngste Tag ist angebrochen, weil die ganze Welt voller Heuschrecken ist.“ Das Naturereignis alt als Zeichen der biblischen Apokalypse. Karl selber war augenscheinlich frei von Angst, sofort bestieg er sein Pferd und ritt los, um die Größe des Schwarms abzuschätzen. Er kam auf sieben Meilen Länge und vermochte die Breite des Heuschreckenschwarms gar nicht zu überblicken. Detailliert hielt Karl die Beschreibung fest, wie den Lärm, den die Tiere verursachten, die Farbe und Dichte des Schwarms, der die Sonne verdunkelte, und vergaß nicht, den üblen Geruch zu erwähnen. Auch die Teilung des Schwarms hielt Karl schriftlich fest und machte sich Gedanken über die Vermehrungsfähigkeit der Heuschrecken. Das war eine exakte Naturbeobachtung anstelle von Aberglauben.

In der Zeit nach seinem zwanzigsten Geburtstag wurde bei Karl die wachsende Selbständigkeit vom Vater erkennbar, dem er sich bald moralisch aber auch politisch überlegen fühlte. Karl machte langsam selber Politik. Die war geleitet durch sein Wohlwollen gegenüber Frankreich, seine Kooperationsbereitschaft mit den Päpsten sowie der kompromisslosen Ablehnung aller antipäpstlichen Aktionen. Der letzte Punkt richtete sich konkret gegen die Person von des Kaisers Ludwig, aber auch gegen Karls Großonkel Balduin von Trier. Seine Politik stützte Karl auf Böhmen, wo er beim Adel früh Hoffnungen weckte. Okay, dem böhmischen Adel war daran gelegen, den Sohn gegen den Vater auszuspielen, da war er schlicht ein Faktor der Ständefronde. Karl durchschaute die Situation offenbar rasch und wusste bei den Adeligen zwischen den Tyrannen und den Guten zu unterscheiden. Indem es Karl gelang, den widerstrebenden Adel durch sein Engagement für Böhmen schrittweise auf seine Seite zu ziehen, weckte er das Misstrauen Johanns, der darin eine Gefährdung für seine eigene Stellung sah.

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Überraschend und vorübergehend enthob er Karl 1335 und 1338 sämtlicher Zuständigkeiten und Ansprüche, nachdem er ihm noch im Vorjahr den Titel eines Markgrafen von Mähren verliehen hatte. Seit 1342 durch die unheilbare, vollständige Erblindung Johann bedingt, war Karl faktischer Regent in Böhmen geworden. Karls Aufstieg aber vom Erstgeborenen des böhmischen Königs zum römischen König, zum deutschen Herrscher, war im weiteren Zusammenhang nur möglich auf der Grundlage der väterlichen Erfolge, auf der Basis der Länder Böhmen, Mähren und Schlesien mit ihren reichen Steuerleistungen und Silberschätze. Dann gab es ja noch die Gebiete um Luxemburg, die eine Brücke in die französische Bündnispolitik darstellten. Und dann gab es ab 1342 noch den Papst Clemens VI., der Karl in seiner Entwicklung förderte.

Zwei Jahre zuvor traf Karl, bei einem gemeinsamen Besuch mit dem Vater am päpstlichen Hof einen alten Bekannten und Freund wieder. Es war sein Pariser Mentor Petrus Rogerii, inzwischen aufgestiegen zum Kardinal und einer der einflussreichsten päpstlichen Politiker. Zwischen den beiden gab es ein vertrauliches Gespräch, bei dem sie eine Verabredung trafen. Kardinal Petrus prophezeite: „Du wirst noch König der Römer werden.“ Karl gab zurück: „Du wirst vorher Papst.“ Das war von beiden Seiten keine Vision, sondern politisches Programm. Petrus wurde 1342 zu Papst Clemens VI. gewählt, 1346 wurde auch die Vorhersage über Karl erfüllt. Aber zuvor fehlte noch ein wichtiges Stück für den Aufstieg auf den deutschen Thron, nämlich das Votum der Kurfürsten. Und unter denen war Karls Großonkel Balduin von Trier einer der einflussreichsten, aber keinesfalls ein unvoreingenommener Protektor.

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Balduin, ganz Reichsfürst und Landesherr, war zeit seines Lebens eine Säule der Kaiserpartei gegen päpstliche Ansprüche. Als Bundesgenosse an der Kurie war er wegen seines Einsatzes für die Rechte von Kaiser Ludwig – der mit dem Papst über Kreuz lag – also nicht zu gebrauchen. Das änderte sich ab 1342 nach der Affäre um Margarete Maultasch, der Erbin von Kärnten und Tirol.

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Deren Ehe (mit Karls jüngstem Bruder Johann-Heinrich, im Bild sind sie noch miteinander verheiratet) hatte Kaiser Ludwig für nichtig erklärt, um Margarete mit seinem eigenen Sohn zu vermählen. Natürlich ging es nicht um Margarete selbst, sondern um ihre strategisch wichtigen Ländereien. Die Affäre war nicht nur machtpolitisch schwerwiegend, es war auch kirchenrechtlich ein klarer Verstoß des Kaisers. Für Balduin von Trier war das der Anlass, sich von Ludwig zu distanzieren und auf eine ähnliche politische Linie umzuschwenken wie Karl sie vertrat. Nachdem Kaiser Ludwig so bedenkenlos nach Tirol und Kärnten gegriffen hatte, nütze er 1345 einen neuen Erbfall in Holland-Hennegau ebenfalls für die Hausmacht der Wittelsbacher. Das war so manchem Fürsten in Deutschland zu viel.

Karl verhandelte - gemeinsam mit seinem Vater - mit Balduin von Trier, und bezahlte gut für dessen Unterstützung. Danach ging es weiter nach Avignon, an den päpstlichen Hof zu Karls Mentor Clemens. Auch hier machte Karl eine Anzahl von Zusagen, sich als König wohlwollend zu verhalten und eine kirchenfreundliche Politik zu betreiben. Interessanterweise musste König Johann die öffentliche Erklärung abgeben, dass das Gerücht vom Giftmord an seinem Vater, dem Kaiser Heinrich VII., durch einen Dominikaner, eine Lüge sei. Karl kehrte allein aus Avignon nach Trier zurück, um mit Balduin eine zweite Verhandlungsrunde zu führen. Johann war da schon nicht mehr dabei, der inzwischen erblindete Böhmenkönig war im Vergleich zu seinem Sohn schon zur Nebenfigur geworden. Mit dem Erzbischof von Trier wurde Karl sich einig: Balduin schickte zwei Tage später, am 24. Mai 1346, an Kaiser Ludwig einen Brief, in dem er ihm in dürren Worten so etwas wie eine ritterliche Absage erteilte. Er forderte ihn auf, die zu Unrecht eingezogenen Lande Tirol und Kärnten zurückzugeben (ein kaum glaubhafter Vorwand, nachdem sich Balduin vier Jahre lang darüber nicht beschwert hatte). Außerdem teilte Balduin dem Kaiser mit, er sei vom Papst ernsthaft ermahnt worden, von ihm als exkommunizierten Ketzer abzustehen, und daran wolle er sich halten. Die Adresse des Schreibens nannte Ludwig konsequenterweise weder Kaiser noch Fürst, sondern nur einen hochgeborenen Herren. Damit hatte sich ein bedeutender Kurfürst von dem Kaiser in München abgewandt.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 27. Januar 2018 17:35

2. Der Gegenkönig

Bereits vier Tage vorher, am 20. Mai 1346, lud der Mainzer Erzbischof Gerlach die Kurfürsten für den 7. Juli nach Rhens zur Wahl. Eine große Wahlversammlung fand dann eigentlich nicht statt: Fünf Kurfürsten waren anwesend, die drei geistlichen vom Rhein, dazu Herzog Rudolf von Sachsen und natürlich König Johann von Böhmen. Es fehlten die beiden Wittelsbacher Kurfürsten, nämlich der Pfalzgraf bei Rhein und natürlich Ludwig der Brandenburger, der Sohn des Kaisers. Die Wahl war eher ein stilles Ereignis. Außer den Kurfürsten waren keine Reichsfürsten anwesend, nur Ritter aus der näheren Umgebung. Es fehlte dem Vorgang so ziemlich jeder Glanz, er entfaltete nicht mal politische Wucht. Denn Kaiser Ludwig tat nichts, um die Wahl zu verhindern oder sofort den Gewählten anzugreifen, der Wittelsbacher ignorierte den Gegenkönig.

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Immerhin: Karl war mit dreißig Jahren gewählter römischer König, die luxemburgische Dynastie erneut auf dem Weg zur höchsten Würde der Christenheit. Dazu musste Karl aber die Wahl zur politischen Wirklichkeit ummünzen. Davon war freilich noch lange keine Rede. Zunächst sandte Karl umgehend, im Sinne seiner Versprechungen von Avignon, eine Botschaft an den Papst. In diffiziler Formulierung vermied es aber Karl darin, Clemens VI. um Approbation zu bitten: Er schrieb lediglich, der Papst möge den Gewählten für den römischen König halten und ihn so benennen. Wer Karl noch schneller als der Papst als rechtmäßigen König anerkannte, war der französische Thronfolger Jean, der Jugendfreund und Schwager aus Karls Pariser Zeiten. Das erinnert an die zweite Bindung, der die Luxemburger Tribut schuldig waren: an das französische Königshaus, gerade damals bedroht durch eine überraschende Landung Edwards III. von England im französischen Norden.

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Diese Landung war für den englischen König zunächst eine ganz unglückliche Expedition. Fast fühlte er sich in einer Falle zwischen dem für seine Streitkräfte uneinnehmbaren Paris, der unüberschreitbaren Seine und einem wachsenden französischen Aufgebot. Edward zog sich eilends zurück und erreichte schließlich Crecy, in der Nähe der Küste. Das war die Endstation wochenlanger taktischer Operationen, die auf der anderen Seite König Philippe VI. von Frankreich leitete. Eben war auch König Johann von Böhmen zu ihm gestoßen, getreu seiner Lehnspflichten.

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Bei ihm befand sich auch Karl, der erwählte römische König, den zwar kein Lehnseid, aber offenbar die menschliche Bindung und die politische Räson nach Frankreich trieb, hinter sich die ungeklärte deutsche Thronfolgefrage. 500 Ritter hatten die Luxemburger im Gefolge, ein ansehnliches Kontingent.

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Die Schlacht von Crecy wurde zum Desaster für Frankreich und seine Verbündeten. Zwar hatten die Engländer, geführt von dem jungen englischen Thronfolger Edward, weniger schwere Reiterei als die Franzosen, aber eine schlagkräftige Infanterie in Gestalt ihrer Langbogenschützen. Diese fegten die Söldner-Armbrustschützen, die Philippe VI. eingekauft hatte, vom Feld und brachten anschließend jede Attacke der französischen Ritter im Pfeilhagel zum Erliegen. Als sich bereits die Niederlage der Franzosen abzeichnete, strebte König Johann nach vorn.

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Trotz seiner Erblindung forderte Johann seine Ritter auf: „Ich bitte Euch in aller Dringlichkeit, führt mich soweit nach vorn, dass ich einen Schwerthieb tun kann.“ Da wurde der Blinde von seinen Gefährten nach vorn geführt. Johann tat einen Schwerthieb oder drei oder vier, es war ihm ernst mit dem heldenhaften Sterben. Niemand sollte sagen können, der König von Böhmen sei vom Schlachtfeld geflohen. Zwar hatte sich Karls Vater bei früheren Kämpfen durchaus auch zurückgezogen, aber vielleicht trieb den stolzen Johann hier eine gewisse Todessehnsucht. Der französische König Philippe VI. jedenfalls, zog es vor, dem Drängen seiner Ritter nachzugeben und das Weite zu suchen. Und Karl? Er, der schon den deutschen Königsadler führte – ohne die päpstliche Approbation seiner Wahl und auch noch ohne Krönung – war ohne großes Aufsehen mit seinen Leuten vom Schlachtfeld gegangen. Dieses Verhalten fand – im Kontrast zum bündnistreuen Heldentod Johanns – nur Geringschätzung.

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Der blinde Johann war gerade einmal fünfzig Jahre alt geworden. Zum dritten Mal, nach der Schlacht von Worringen und dem Ende von Kaiser Heinrichs Romzug, hatte mit ihm das Haupt der Luxemburger den Tod in einer militärischen Niederlage gefunden. Am 27. August 1346, dem Festtag des heiligen Rufus, wollte Karl eigentlich in Deutschland seine Krönung feiern. Die Katastrophe von Crecy ereignete sich einen Tag vorher, am 26. August. An diesem Tag des Rufus war auch Karls Urahn König Ottokar in der Schlacht gefallen, 1278 gegen den Habsburger Rudolf, fast siebzig Jahre zuvor.

Man vergleicht die Schlacht von Crecy manchmal mit der von Bouvines, wo 130 Jahre zuvor – ebenfalls zwischen Frankreich und England – gleichzeitig über die deutsche Thronfolge entschieden worden war. Der Vergleich passt aber nicht, denn in Bouvines siegten die Franzosen. Dadurch war ihr Parteigänger, der Staufer Friedrich II., seines Rivalen Otto IV. aus dem Haus der Welfen, der auf der englischen Seite stand, entledigt. Bei Crecy sollen dagegen gerade einmal sechs deutsche Ritter auf englischer Seite gefochten haben. Kaiser Ludwig war zwar gerade mit England verbündet, sein Verhältnis zu Edward III. blieb aber kühl. Sprich: Die Deutschen waren nur auf dem Papier Partner, die für ihr Bündnis Geld kassierten, im Ernstfall aber keine Truppen schickten. So konnte Ludwig den Sieg von Crecy auch nicht als seinen Erfolg betrachten, wohl aber als eine Niederlage seines Rivalen Karl.

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Der kehrte von Crecy mit großen, aber schwierigen Aussichten zurück. Das ist die Situation, die zu Beginn dieses Kapitels geschildert ist. Statt einer Entscheidung über die deutsche Krone war ihm wegen des Tods seines Vaters unverhofft zunächst die böhmische zugefallen. Zugleich aber war er der französischen Hilfe beraubt, der einzig sicheren im internationalen Spiel, die ihm allerdings, angesichts seiner eigenen Distanz zum französischen König, nur durch seinen Vater hätte vermittelt werden können. Jetzt musste Karl zusehen, auf eigene Faust und unter Gefahr durch die deutschen Landen zu kommen, um sich in Prag sein Erbe zu sichern, die böhmische Krone. Nüchtern betrachtet musste Karl beide Kronen, die er sein eigen nennen wollte, erst noch erwerben: Von der deutschen Krone trennte ihn die scheinbar unerschütterliche Macht seines Gegenspielers Ludwig, in dessen Lager sich die deutschen Fürsten nach der französischen Niederlage vielleicht wieder versammeln würden. Von der böhmischen Krone trennte Karl ein Weg von 1.500 Kilometern. Von Frankreich zog sich Karl zunächst nach Luxemburg zurück und wartete auf die Hilfe des Papstes.

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Und der half ihm: Karl erhielt die päpstliche Approbation, ohne darum gebeten zu haben. Clemens VI. war so freundlich, sich eine Exegese des Prager Erzbischofs zu eigen zu machen. Der hatte bei einer Predigt im Beisein des Papstes in Avignon nämlich das Motto gewählt: „Auf Dich blicken die Augen ganz Israels, dass Du ihnen kundtust, wer auf Deinem Throne sitzen soll.“ Der biblische Text richtet sich an einen König mit der Frage nach dem Nachfolger.

1. Könige Kapitel 1, 20: „Und du bist es, mein Herr und König, auf den die Augen ganz Israels gerichtet sind, dass du ihnen kundtust, wer nach meinem Herrn, dem König, auf seinem Thron sitzen soll.“

Ohne Rücksicht auf diesen Zusammenhang konnte man das Zitat auch als Frage an den Papst nach der Approbation verwenden. Und da fiel allen Zuhörern auf, auch dem Papst, weil er selber ein gelehrter Theologe war, dass der Prager Erzbischof dieses Zitat ohne Besitzpronomen verwendete. Nicht über seinen, sondern nur über den Thron sollte der Papst entscheiden. Deswegen habe am nächsten Tag der Papst in Anwesenheit seiner Prälaten das Thema wieder aufgegriffen und das Zitat ergänzt und dargelegt, dass der Papst in der Nachfolgefrage der römischen Könige und Kaiser zu Recht über seinen Thron entscheide, denn dem apostolischen Stuhl sei dabei ein Eid über Ehrerbietung, Gehorsam und Treue zu leisten. Karl bat über den Papst auf diesem Weg um die Kaiserkrönung, ohne dessen Urteil über die Rechtmäßigkeit der Wahl oder eine Entscheidung über seine Qualifikation zum römischen König zu erfragen. Ein Sieg für Karls überlegene Diplomatie.

Jetzt konnte Karl sich in Bonn zum deutschen König krönen lassen. Es war eher eine Notkrönung, weder der Ort noch die Umstände entsprachen der Tradition. Verkleidet schlug er sich nach Prag durch und konnte sich am 2. September 1347 auch zum König von Böhmen krönen zu lassen. Diese Lande waren, inklusive Mähren, freilich die einzigen, über die er verfügen konnte. Noch immer war er ein Gegenkönig von Papstes Gnaden, ein Pfaffenkönig, wie ihn seine Gegner schimpften. Vergeblich versuchte Karl, einen schwachen Punkt in der gegnerischen Front zu finden.

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Herzog Albrecht der Lahme, das Haupt der Habsburger, war standfest genug, weder Ludwig noch Karl feste Zusagen zu machen. Allein den Durchzug nach Tirol gestattete er, und dort inszenierte Karl im Einverständnis mit dem unzufriedenen Landadel einen (erfolglosen) Aufstand gegen die wittelsbachische Herrschaft. Ludwig der Baier war für Karl nicht zu besiegen, er musste wohl einfach abwarten, bis sich was tun würde. Und es geschah bald etwas: Am 11. Oktober 1347 erlitt der 65jährige Kaiser einen tödlichen Herzanfall, den Karls Propaganda natürlich als Gottesurteil verklärte.

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Die Bahn war frei für den verbliebenen König Karl, beinahe zumindest. Karl musste verhindern, dass Ludwig der Brandenburger, Sohn des verstorbenen Konkurrenten, als neues Haupt der Wittelsbacher nach der Krone greift. Oder dass der Habsburger Albrecht II. von Österreich ähnliches tun würde. Karl griff dazu tief in seine Schatztruhen: Er kaufte sich die Loyalität des Pommern-Herzogs Barnim und erhob die Fürsten von Mecklenburg zu reichsunmittelbaren Herzogen. Damit gewann Karl im Norden des wittelsbachischen Brandenburg zwei wichtige Parteigänger. Dem Habsburger Albrecht II. gab Karl Pfandgüter im Umfang von 20.000 Gulden sowie die Verlobung seiner sechsjährigen Tochter Katharina mit Albrecht ältestem Sohn.

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Der Brandenburger Ludwig musste sich seinerseits neue Freunde suchen und näherte sich dem Wettiner Landgrafen Friedrich von Thüringen an. Nachdem es der englische König Edward III. ausgeschlagen hatte, sich zum neuen Gegenkönig wählen zu lassen, sollte diese Rolle nun Friedrich zufallen. Ludwig selber mochte sich offenbar nicht zur Wahl stellen, weil er einer der Kurfürsten war und er auf seine eigene Stimme angewiesen gewesen wäre. Die Wahl durch die eigene Stimme galt zu dieser Zeit jedoch noch als Schmälerung der Legitimität einer Wahl. Also ließ Ludwig sich selbst aus dem Spiel und schmiedete zwischen Brandenburg und Thüringen einen Machtblock an der Grenze zu Böhmen, der für Karl gefährlich wurde.

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Karl IV. nutzte einen merkwürdigen Vorfall, um seinen Gegenspieler Ludwig unter Druck zu setzen: Es trat nämlich ein rätselhafter Mann auf in Brandenburg, der behauptete, der alte Markgraf Waldemar zu sein. Der war 28 Jahre zuvor zu Grabe getragen worden und mit ihm war das Geschlecht der Askanier ausgestorben. Das hatten die Wittelsbacher damals genutzt und das Lehen Brandenburg für sich einkassiert. Mit einem Schlag gewann nun dieser geheimnisvolle Waldemar Anhänger mitten in der wittelsbachischen Zitadelle Ostdeutschlands, denn er vertrat das angestammte Fürstenhaus gegen die landfremden Baiern, er versprach Gerechtigkeit, wo man dem jungen Ludwig manche Willkür nachsagte, rücksichtslose Affären mit den Damen des Landes, illegitime Kinder und Steuerbedrückung. Mit Waldemar war es eine ähnliche Geschichte wie mit dem falschen Friedrich gut fünfzig Jahre vorher. Er gewann die öffentliche Meinung – und besaß die Unterstützung Karls, der mit Waldemar ein Werkzeug hatte, den Brandenburger Ludwig und die Wittelsbacher unter Druck zu setzen. Das zeigte Wirkung: Ludwig verzichtete auf eine Thronkandidatur, der dafür im Gegenzug Waldemar fallen ließ.

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Die Opposition musste sich einen neuen Thronprätendenten suchen und stellte den thüringischen Grafen Günther von Schwarzburg als Gegenkönig auf. Freilich war ihre Lage viel schlechter geworden. Brandenburg war aus der Fraktion ausgestiegen, die ostelbischen Lande zu Karl übergetreten, und im Westen war die Position des Luxemburgers sowieso kaum anzufechten. Dort sicherten Erzbischof Balduin und das Ehebündnis mit den Habsburgern Karls Macht.

Als im Sommer 1348 Karls erste Frau Blanca von Valois starb, warb der König um die 20jährige Tochter des Pfalzgrafen Rudolf, und es gelang ihm, nicht nur die wittelsbachische Dynastie zu spalten, sondern auch ihren pfälzischen Zweig auseinanderzubringen. Ein Blitzbesuch in Seeland musste zunächst noch englische Gesandte beruhigen, bei denen Karl ursprünglich um die Tochter Edwards III. werben wollte (die Kurie hatte Karl IV. diese Heirat untersagt). Dann aber, und es war ein gelungener Coup, feierte er schon am 4. März 1349 Hochzeit mit Anna von der Pfalz. Diese Ehe war es letztlich, die Günther von Schwarzburg entwaffnete. Denn der Pfalzgraf Rudolf, selber ohne Söhne, versprach für seinen erbenlosen Tod eine Eventualhuldigung aller seiner Amtsleute, ja er räumte Karl selbst bei der Neubesetzung von Ämtern ein Veto ein, so dass die pfälzische Personalpolitik fortan vom Prager Hof mitbestimmt werden sollte. Die Mitgift, die Anna von der Pfalz in die Ehe einbrachte, waren Ländereien in der oberen Pfalz – Karl sollte sie später den Grundstock seines „Baiern jenseits des Böhmerwalds“ nennen.

Zwar zogen noch die Heere von König und Gegenkönig auf, so dass man für eine Zeit einen Bürgerkrieg am Rhein befürchtete. Aber der kleine Graf von Schwarzburg war nun einmal nicht der „kleine Graf von Habsburg“, der Karls Urgroßvater vom böhmischen Thron gestoßen hatte. Von vornherein hielt er sich den Rückzug offen, und als Karl ihm schließlich 20. 000 Gulden bot, nutzte er, selbst bereits erkrankt, die Situation zu einem bescheidenen, aber sicheren Gewinn. Zwei Monate später war er tot, Günther von Schwarzburg blieb nur eine Episode. Viele Leute konnten sich den Ausgang dieses stillen Ringens nur durch ein Giftattentat erklären. Und was mag durch Karls Kopf gegangen sein, als nun auch der zweite Widersacher seines Königtums zu Grabe getragen wurde? Für ihn war es ein Wunder göttlicher Milde. Nun hatte Karl IV. keine offenen politischen Gegner mehr in Deutschland. Die Parteigänger und Wähler Günthers von Schwarzburg, voran Ludwig der Brandenburger, das Haupt der Wittelsbacher, hatten sich schon rechtzeitig mit Karl arrangiert. Und Karl zeigte sich großmütig und damit als weitsichtiger Sieger, die Wunden von 20 Jahren Thronstreit in Deutschland mussten geheilt werden. Er stellte den Wittelsbachern die Neubelehnung mit der Mark Brandenburg in Aussicht (die er dann erst im Frühjahr 1350 vollzog).

Karl suchte auf manche Weise Popularität. Er tanzte mit den Baslerinnen und ritt auch ins Turnier, sehr gegen seine Neigungen und dies zumindest auch mit vollem Misserfolg. Seine neuen deutschen Untertanen ließen sich freilich nicht über die Dürftigkeit seiner finanziellen Mittel täuschen. Von Böhmen offenbar sehr zögernd unterstützt, befand sich Karl IV. in ziemlicher Geldnot. Deshalb hatte ihm auch schon 1348 ein misstrauischer Wormser Metzger wegen unbezahlter Rechnungen den Abzug aus der Stadt verwehren wollen und ohne weiteres Unterstützung bei der Volksmenge gefunden. Auch das war eine Folge der Wahlpolitik, die Geld nicht schonte: Karl IV. hatte seine Feinde gekauft.

Einige Monate darauf tauchte wie aus dem Nichts ein ganz anderes Problem auf als unbezahlter Fleischerrechnungen. Eine Seuche verheerte das Reich und brachte beinahe die Zivilisation zum Einstürzen.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 27. Januar 2018 17:40

3. Der Schwarze Tod

Die Pest - sie war die größte Katastrophe des Mittelalters, eine Pandemie, wie es sie in Europa nie zuvor gegeben hatte. Binnen weniger Jahre starben im Abendland ab 1347 mehr als 25 Millionen Menschen an der Pest, jeder Dritte erlag der Seuche. Tausende Dörfer verschwanden für immer von den Landkarten. Der Schwarze Tod erschütterte die Gewissheiten der ganzen Epoche und prägte den Kontinent bis weit über das Ende der Plage hinaus. Die Symptome der Erkrankten begannen mit Gliederschmerzen, Frösteln und Fieber, dann schwollen die Lymphknoten an, sie füllten sich mit Blut und Eiter. Schwärzende Beulen entstellten die Leidenden, bald darauf vernebelten Halluzinationen und Schwindel ihren Verstand – bis nach wenigen Tagen die geschwächten Körper kollabierten und alle Organe versagten.

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Der Ursprung der Pest lag vermutlich um 1340 in China oder Kirgisien, das ist bis heute nicht klar. Sicher ist nur, dass die Seuche 1346 im Mongolenreich wütete. Krieger und Kaufleute trugen sie weiter, sie brach auch in dem mongolischen Heer aus, das 1346 die Hafenstadt Kaffa auf der Krim belagerte. Die Stadt gehörte zum Reich der Mongolen, wurde aber aufgrund eines Abkommens von italienischen Kaufleuten verwaltet. Als die sich zu viel herausnahmen, befahl der Khan den Angriff. Diejenigen unter den Belagerten, denen die Flucht aus Kaffa gelang, segelten auf Schiffen nach Italien zurück – und brachten die Krankheit mit sich.

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Dort überfiel die Seuche eine geschwächte Bevölkerung. Im Januar 1348 bebte die Erde in Norditalien, zerstörte Häuser und tötete Menschen. Viele hielten dies später für ein göttliches Omen, einen Vorboten der Pest. Die Krankheit traf auf eine verwundbare Zivilisation: Europa war durch wirtschaftliche Krisen und Hungersnöte ermattet. Besonders in Venedig wütete der Schwarze Tod. Mailand dagegen blieb verschont, weil die Stadt konsequent ihre Tore schloss und die Außenwelt aussperrte.

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Die Pest breitete sich im Februar 1348 weiter aus, erreichte Süddeutschland und Frankreich. In Avignon, damals Sitz des Papsttums, folgte Karls einstiger Mentor Clemens VI. den Ratschlägen seiner Mediziner. Um sich die Krankheit fernzuhalten, ließen sie Clemens zur Ader, hielten ihn an, Gewürznelken zu kauen, und – da der Papst nicht auf das Land fliehen wollte – seine Residenz gegen die Außenwelt abzuriegeln. Dort hielt sich der Papst ständig zwischen zwei Becken voller glühender Kohlen auf, die Fenster dabei geschlossen, inmitten beißend rauchiger Luft. Der Rauch sollte die faulen Gerüche fernhalten, die die Seuche trügen. Unbewusst war es eine richtige Maßnahme, denn sie hielt die Ratten samt ihrer Flöhe, die die Krankheit übertrugen, vom Papst fern.

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Clemens VI. war für seine Dekadenz berüchtigt, das Haupt einer durch und durch korrupten Kirche. Aber er stemmte sich gegen die kursierenden Gerüchte, die Juden seien schuld an dem Unglück. An vielen Orten kam es zu Pogromen, bei denen die angeblichen Brunnenvergifter massenhaft gelyncht wurden.

Der französische König Philippe VI. gab bei der renommierten Universität von Paris ein Gutachten in Auftrag, um die Ursache der Pest rasch klären und Therapien entwickeln zu lassen. Nicht nur, dass die Seuche in seinem Reich wütete, sie hatte sich sogar in seinen Palast eingeschlichen.

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Am 12. September 1348 erlag seine Gattin Jeanne dem Schwarzen Tod. Nur wenige Wochen später lag die Studie vor. Sie fand große Verbreitung, doch sie half niemandem. Denn die Ärzte mussten etwas erklären, für das es bis in die Antike zurück kein Beispiel gab. Außerdem suchten sie die Antworten nicht in der Beschau der Kranken und ihrer Lebensumstände, sondern in der Bibel. Die Antwort der Gelehrten war schließlich: Die Gestirne sind schuld! Es galt den Astrologen als unheilvoll, wenn sich am Himmel das seltene optische Beisammenstehen von Mars, Saturn und Jupiter ereignete.

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„Im Jahre des Herrn 1345 war nämlich eine maximale Konjunktion der drei oberen Planeten, das heißt am zwanzigsten Tag des Monats März, im Wassermann, zur Stunde nach Mittag. Denn Jupiter, ein warmer und feuchter Planet, hat von der Erde und dem Wasser üble Dämpfe aufsteigen lassen. Mars aber, weil er unmäßig warm und trocken ist, hat die aufgestiegenen Dämpfe angezündet. Deshalb gab es vielfach Blitze durch die Luft, Funkenregen, pestbringende Dämpfe und Feuerstürme. Diese so korrupte Luft, durch die Atmung angezogen, dringt notwendigerweise zum Herzen vor und korrumpirt die Substanz des Spiritus, der in ihm ist, und sie lässt faulen, was das Herz an Feuchtigkeit umgibt. Daraus entsteht Wärme, hervorgegangen aus der Natur, und korrumpiert die Lebensgrundlage. Und dies ist die unmittelbare Ursache der jetzt herrschenden Epidemie.“

Na ja. Der Wahrheit ein wenig näher kamen die Gelehrten mit dieser Einschätzung: „Der vergangene Winter war nämlich weniger kalt, als er sollte, und regenreicher, der Frühling windiger und am Ende regenreicher, auch der Sommer bei Weitem weniger warm, als er sollte, und feuchter.“ Tatsächlich fällt der Floh, der die Pest überträgt, an kalten Tagen in eine Starre, er springt nicht zum Menschen, und kann den Erreger nicht übertragen. Die Seuche schien in diesen Phasen stillzustehen. An warmen und feuchten Tagen hingegen schritt die Ansteckung fort. Den besonders augenscheinlichen Aspekt, dass Pestkanke für ihre Mitmenschen in hohem Maße ansteckend waren, erwähnten die Mediziner jedoch nicht einmal. Ihr Buchwissen, dass die Luft, die alle Menschen atmen, von Miasmen vergiftet sei, machte es letztlich gleichgültig, wo man sich aufhielt und wie nahe man den Erkrankten kam. Auch die schmerzhaften Pestbeulen kamen in ihrer Analyse nicht vor. Kein Wort davon, dass sie aufbrachen, kein Wort von der stinkenden Nässe, die ihnen entströmte. Und die empfohlenen Therapien? Kein Sex, es sei denn, man war ihn gewohnt. Nur in Ausnahmen warme Bäder, lieber Fisch aus kalten Gewässern sowie saures Obst essen. Dazu Aderlass, Lüften durch das Nordfenster des Hauses und zehn Jahre altes Vipernfleisch.

Wie Philippe VI. reagiert hat, als ihm das Kompendium überreicht wurde, ist nicht überliefert.

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Auch in Deutschland wütete die Pest. Die Stadt Prag, in der Karl IV. residierte, hatte Glück, hier brach die Seuche nicht aus. Doch in den anderen Teilen des Reichs, besonders am Rhein, war die Not so groß, dass unbedingt ein Sündenbock benannt werden musste. Die Juden würden die Brunnen und die Heringe, die gerade während der Fastenzeit verzehrt wurden, vergiften. Die Juden waren in den Städten immer die Fremden geblieben: Andere Religion, andere Bräuche, eigene Wohnviertel. Die Christen sahen zugleich auf sie herab und fürchteten sie, angeblich verfügten die Juden über geheime magische Kräfte (die sie zum Beispiel beim Würfelspiel einzusetzen wussten). Weil sie in den üblichen Handwerksberufen nicht tätig werden durften, arbeiteten die Juden oft als Kaufleute und Geldverleiher.Oder hast Du Dir in CK2 nicht auch gelegentlich schon mal 300 Gold von ihnen geliehen? Es gab also eine ganze Anzahl von Leuten, die jüdischen Geldverleihern etwas schuldeten – und somit auch ein finanzielles Interesse daran hatten, wenn diese Leute verschwinden würden.

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Der nominelle Schutzherr der Juden war seit Zeiten Friedrichs II. der König. Dafür hatten sie ihm eine besondere Schutzsteuer zu zahlen. Der König war nun Karl IV., aber er war zu schwach, um die Juden im ganzen Reich zu schützen. Mehr noch: Er verdiente an den Morden, die an ihnen verübt wurden. Denn diejenigen, die das Lynchen planten oder bereits verübt hatten, fragten bei Karl IV. nach, was sie denn der Übergriff auf die königlichen Schutzbefohlenen kosten würde. Und Karl ließ es sich bezahlen, beteiligte sich sogar an der Verteilung jüdischen Vermögens zu eigenem Vorteil. Gewiss günstig für seinen Rückhalt bei den Städten, doch eine beträchtliche Vernachlässigung herrscherlicher Pflichten und der Rechtswahrung. Standhafter war da der österreichische Herzog Albrecht II., der sich mit all seiner Machtfülle erfolgreich vor die Juden stellte und unzähligen Vertriebenen Zuflucht in Wien gewährte. Aber gerade in Deutschland herrschte zumeist der Mob, manchmal spontan, manchmal von gewissen Leuten gegen die Juden gelenkt. Ihr vorgebliches Ziel, ihre jeweilige Stadt vor dem Schwarzen Tod zu bewahren, erreichten die Mörder indes nicht. Die Seuche wütete auch bei ihnen, und auch die noch lebenden Juden starben genauso daran.

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Erst im Jahr 1353 ebbte die Pest wieder ab in Europa. Wie sollte man damit fertig werden, dass mehr als 20 Millionen Menschen tot waren? Im kleinen waren es Hygienevorschriften in den Städten: Straßen, Kanäle und Flüsse waren nun sauber zu halten von Müll und Unrat. Die traumatisierten Menschen gaben sich ungezügelter Lebensfreude hin, ein bunter, körperbetonter Kleidungsstil kam auf. Im Großen waren die Probleme gewaltiger: Allerorten fehlten Arbeitskräfte zum Bestellen der Felder der kirchlichen und weltlichen Grundherren. Die Überlebenden erkannten den Wert ihrer Arbeit und forderten höhere Löhne und bessere Bedingungen. Das und weiteres waren erhebliche soziale und gesellschaftliche Auswirkungen, die sich direkt an die Jahre nach der Pest anschlossen. Die Oberen reagierten mit neuen Gesetzen, schrieben Löhne und Preise fest, verhängten Arbeitszwang und Abwanderungsverbote. Aber die Nachfrage nach Arbeitskräften stärkte das Selbstbewusstsein gerade der Stadtbürger ungemein. Ihr Stand sollte in den kommenden Jahren mehr Mitspracherechte von dem durch die Seuche geschwächten Adel einfordern. Aber das ist schon ein Ausblick in die Zukunft, wir sind noch im Jahre 1350.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 27. Januar 2018 17:52

4. Die Goldene Bulle

Am 17. Januar 1350 wurde Karl IV. endlich der ersehnte Nachfolger geboren, als drittes Kind aus der Ehe mit seiner zweiten Frau Anna aus der pfälzischen Linie der Wittelsbacher. Er wurde auf den böhmischen Traditionsnamen Wenzel getauft, wie einst der Vater, und geriet bald in politische Spekulationen.

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Denn ganz so einfach stellte sich die böhmische Erbfolge doch nicht dar als Primogenitur, weil Karl IV. während seiner Söhnelosigkeit seinen jüngeren Bruder Johann Heinrich zum Nachfolger bestimmt hatte, den glücklosen einstigen Gemahl der Margarete Maultasch von Tirol, nun Markgraf von Mähren. Jetzt galt es, die Änderung dieser Erbfolge zugunsten seines eigenen Sohnes zu demonstrieren. Es ist bezeichnend für Karls rechtspolitisches Denken, dass er dazu eine eigens schriftlich festgehaltene Huldigungsakte für nötig ansah.

Eigentlich war es nicht üblich, einem Säugling zu Lebzeiten des Vaters schon zu huldigen. So konnte Karl IV. auch kaum die entscheidenden Träger einer solchen Huldigung für das Unternehmen gewinnen, nämlich den böhmischen Adel, und so musste er sich mit den Huldigungsakten von Seiten derer begnügen, die sich ohne Bedenken seinem Wink zu fügen hatten.: mit den Städten in Böhmen. Also huldigten in der zweiten Jahreshälfte 1350 nicht weniger als zwölf Städte dem erst wenige Monate alten Prinzen Wenzel als künftigen König, und Karl IV. sorgte für die nötigen Urkundentexte, in denen auf die Erbfolge zugunsten der Erstgeborenen in der männlichen Linie hingewiesen wurde. Durch diese urkundliche Demonstration der Primogenitur wollte Karl ausschließen, dass bei seinem jähen Tode an der Stelle seines minderjährigen Sohnes etwa sein Bruder die Nachfolge angetreten hätte, ein Wechsel in den dynastischen Linien, wie er immer wieder, selbst unter dem Recht der Erstgeborenen, und namentlich in der böhmischen Geschichte zu finden war.

Ein Vierteljahr später, im März 1351, musste deshalb der jüngere, stets willige Bruder noch einmal die Lehensnahme der Markgrafschaft Mähren wiederholen, mit demselben Text wie kaum ein Jahr zuvor, nämlich auf der ausdrücklichen Versicherung der Lehensabhängigkeit seiner Markgrafschaft von Böhmen für alle Zeiten. Die konsequente Absicherung und Eile hatte seinen Grund: Seit dem Oktober 1350 war Karl IV. nämlich von einer rätselhaften und hartnäckigen Krankheit befallen. Es blieb unsicher, was eigentlich den 34jährigen König für viele Monate ans Krankenbett fesselte. Karl war von einer Paralyse befallen, so dass sich ihm Hände und Füße zusammenkrümmten. Wenn es ein Gichtanfall war, hätten die Zeitgenossen diesen auch beim Namen genannt, die Gicht war eine ihnen wohlbekannte Krankheit. Die Pest konnte es auch nicht gewesen sein, denn der König litt weder an den berüchtigten Beulen, noch sprach die lange Krankheitsdauer für diese Diagnose. So brachte man die Rede auf Gift und erklärte sich so die Vehemenz, mit der Karl seinen Bruder – den man als Drahtzieher dieser Sache verdächtigte - zur wiederholten Huldigung aufforderte. Aus heutiger Sicht könnte es sich bei der Krankheit um ein bakterielles Nervenleiden gehandelt haben, die den König ein Jahr lang in seiner Handlungsfähigkeit einschränkte.

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Karl IV. erholte sich, doch der Tod schlug in seiner Familie zu. Um diese Zeit erlag seine Schwester Guta, die Herzogin der Normandie, der Pest. Sie starb wenige Monate, bevor ihr Gemahl König von Frankreich wurde. Zur selben Zeit, vielleicht ebenfalls als Pestopfer, starb Karls Tochter Margareta, Königin von Ungarn. Und überdies griff der Tod nach dem kleinen Kronprinzen Wenzel, noch keine zwei Jahre alt. Damit war aufs Neue die Nachfolgefrage offen.

Im Sommer 1350 war Karl IV. ein unerwarteter Todesfall zu Hilfe gekommen. Der Patriarch von Aquileia war einer Rebellion zum Opfer gefallen. Karl übernahm den Schutz seiner Lande, die er schon als Kronprinz gegen die Grafen von Görz, gegen die Habsburger und gegen Venedig verteidigt hatte, und tatsächlich erreichte er bald danach, dass sein Halbbruder Nikolaus, bislang Bischof von Naumburg, vom Papst als Nachfolger im Patriarchat von Aquileia investiert wurde. Damit war das Friaul in der Hand der Luxemburger, ein nicht unbedeutender Stein auf dem italienischen Schachbrett.

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Schon ein Jahrhundert lang waren die Kraftfelder italienischer Politik ungleich verteilt. Seit der Stauferstaat in Sizilien und Unteritalien zerbrochen, seit danach auch die Herrschaft der französischen Anjou geschwächt war, gegen deren Macht noch Karls Großvater vergeblich anzukämpfen versucht hatte, seit gar in Neapel die Königinwitwe Johanna regierte, angeklagt des Gattenmords und von ihrem Schwager, dem ungarischen König Ludwig, bekämpft wie vom Papst geschützt, und seit zu all dem der päpstliche Kirchenstaat in Mittelitalien in jahrzehntelanger Anarchie eher von außen regiert und von Söldnerbanden terrorisiert wurde, war das politische Kraftfeld Italiens weitgehend auf den Norden reduziert. Das galt für den Bereich der alten wirtschaftsstarken und bevölkerungsmächtigen Stadtstaaten zwischen Mailand und Florenz, Genua und Venedig. Als die markanteste politische Persönlichkeit in diesem Raum trat Giovanni Visconti hervor, der Mailänder Erzbischof, zunächst Parteigänger Kaiser Ludwigs und seines Gegenpapstes, dann mit Avignon versöhnt, seit 1349 auch politisch der Herr seiner Residenzstadt, schließlich gar im Besitz Genuas und, zum Unwillen Avignons, des päpstlichen Bologna. Dieser geistige Herr begründete eigentlich die Herrschaft der Visconti für die nächsten hundert Jahre. Florenz und später Venedig suchten vor seinem Ausgreifen Kontakte bei Karl IV. Und Karl fasste gern nach dieser Gelegenheit, sandte seinen Kanzler Heinrich von Zderaz nach Florenz, belehnte und bevollmächtigte Raimond de Lupi, den Markgrafen von Soragna, zu weiteren Verhandlungen und schloss schließlich Verteidigungsbündnisse gegen den Mailänder Erzbischof mit Venedig, den Fürsten von Padua, Verona, Mantua und Ferrara, mit Florenz und anderen lombardischen Städten.

Dieser Bund verpflichtete ihn zur Teilnahme an einer bewaffneten Auseinandersetzung. Und doch verging die Zeit, ohne dass Karl diesen Verpflichtungen nachkam. Er ließ sich mahnen. Er wartete auf die beste Gelegenheit zum Eingriff in Italien und sah gleichzeitig auch seine Position nördlich der Alpen noch nicht recht gefestigt. Wichtig war da schließlich wieder nur, dass ein neuer Todesfall dieser Politik den rechten Spielraum bot. Im Dezember 1352 war der Papst gestorben, Clemens VI., einst sein Mentor und politischer Partner, in den letzten drei Jahren beinahe sein Widersacher. Der neue Papst, Innozenz VI., schon nach zwei Tagen gewählt, der erste Papst, der die Rechte der Kardinäle in einer eigenen Wahlkapitulation garantierte, war weit weniger ein Diplomat als Clemens VI. Der größte Erfolg seines zehnjährigen Pontifikats war die Wiederherstellung der päpstlichen Herrschaft im Kirchenstaat durch seinen Legaten. Eine legale Kaiserkrönung in Rom, nach mehr als 40jähriger Unterbrechung, schien ihm in diesem Zusammenhang womöglich als eine Rückkehr zur Stabilität, zumal unter den Bedingungen, die Karl dafür beschworen hatte und jederzeit aufs neue zu garantieren bereit war.

Immerhin brauchte Karl für den Romzug noch einige andere Rückendeckungen. Dies sollte ein großer Fürstenkongress in Wien ihm liefern, wie er dergleichen in der Folge noch mehrfach inszenierte, Gipfeltreffen als Kennzeichen einer beweglicheren Diplomatie, besonders interessant im Zusammenhang mit dem Aufstieg der Mächte in Ostmitteleuropa. Diesmal traf man sich am 10. März 1353 in Wien. Ludwig der Brandenburger war zugegen, die Erzbischöfe von Köln, Trier, Mainz und Prag, Gesandte des polnischen Königs und des Dogen von Venedig. Die wichtigsten Gesprächspartner für Karl waren aber König Ludwig von Ungarn und Herzog Albrecht von Österreich. Ihnen gegenüber gerieten die Verhandlungen auch zu festen Formen, zu zeitgemäßen, zu Verlöbnissen. Karls elfjährige Tochter Katharina wurde dem künftigen österreichischen Herzog Rudolf IV. („dem Stifter“) verlobt, später einer der originellsten Köpfe im deutschen Fürstenkreis, in mancher Hinsicht ein getreuer, wenn auch rivalisierender Schüler seines künftigen Schwiegervaters.

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Das besondere Verhältnis zwischen Habsburg und Luxemburg wurzelt aus dieser Verlobung, ein Erb- und Nachfolgeverhältnis, 1364 in einem dezidierten wechselseitigen Erbvertrag gefasst, 1438 durch die Ehe der letzten Luxemburgerin mit einem Habsburger neuerlich beschworen, aber durch die Ungunst des Schicksals erst wiederum fast hundert Jahre später wirklich geschichtsmächtig geworden. Fortan, wenn wir diesen zeitraffenden Prospekt einmal betrachten, plante, sparte, sammelte und organisierte Karl die luxemburgische Herrschaft eigentlich als die Grundlage eines halbtausendjährigen Reiches, eines mitteleuropäischen Imperiums unter der Führung der Habsburger. Vieles von der Architektur dieses Habsburgerreiches und seiner politischen Idee hatte er ersonnen: Karl, auf dessen Regierungswerk schon geradewegs der bekannte Spruch zu münzen war, den im 15. Jahrhundert ein ungarischer König den Habsburgern zudachte: Bella garant alii, tu felix Austria nube!

Einstweilen aber war es noch Karl selber, der heiratete. Am 2. Februar 1353 war Königin Anna gestorben, Karls zweite Ehefrau, so dass ihm der Tod gerade nur noch, von zwei Ehen und drei Kindern, eine einzige Tochter hinterlassen hatte, eben jene Katharina, die soeben mit Rudolf von Habsburg verlobt worden war. Nun bereitete auch Karl, knapp einen Monat Witwer, eine neue Ehe vor, die ihn eigentlich mit der jüngeren Generation verband. 1350 hatte er nämlich die damals elfjährige Herzogstochter Anna von Schweidnitz seinem eigenen Sohn Wenzel verlobt, der zu dieser Zeit elf Monate zählte. Aber nun war ja Wenzel 1351 gestorben, und so trat Karl selber in diese Bindung ein. Schon im Juni 1353 heiratete er die 14jährige Schlesierin.

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Der politische Ertrag dieser Ehe lag einmal in dem Erbanspruch auf das Herzogtum Schweidnitz, dem bis dahin letzten weißen Fleck im luxemburgischen Herrschaftsraum zwischen Böhmen und Polen. Zum anderen brachte diese Verbindung Karl in enge Beziehung zum ungarischen Hof, wo die Prinzessin als Vollwaise erzogen worden war. So wurde auch die Vermählung als Doppelhochzeit in der ungarischen Residenz gefeiert. Der König selbst, Ludwig von Anjou, heiratete die Prinzessin Elisabeth von Bosnien, die, auch das ein Zeichen politischer Bindungen, gemeinsam mit Anna am ungarischen Hof erzogen worden war.

So war offenbar in Karls Augen der Romzug auch durch seine Ungarnpolitik gesichert, als er ein Jahr danach über den luxemburgischen Hausbesitz wichtige Dispositionen traf. Er übertrug im März 1354 seinem Halbbruder Wenzel, dem einzigen Kind aus der zweiten Ehe König Johanns, das Herzogtum Luxemburg. Wenzel war damals 17 Jahre alt, seit zwei Jahren verheiratet mit Johanna von Brabant, der Erbin des Nachbarlandes, und auf diesem Weg wurde nun auch eine alte Rivalität getilgt, die Scharte von Worringen ausgewetzt, ein beachtlicher Herrschaftskomplex im Westen unter einem luxemburgischen Fürsten vereinigt. Das war auch staatspolitisch von Belang. Denn gleichzeitig erhob Karl die Lande Wenzels, nämlich die Grafschaft Luxemburg, die Markgrafschaft Arlon, die Grafschaft Laroche und die Grafschaft Durbuy zum Herzogtum und schuf so aus diesem Länderkomplex eine staatspolitische Einheit. Vergleichbare Akte haben immer wieder bedeutende Territorialherrschaften konstituiert. Im Sommer schließlich zog Karl tatsächlich mit einem Reichsaufgebot gegen die Züricher, gemeinsam mit Herzog Albrecht von Österreich, aber seine militärische Anstrengung war offenbar nicht so ganz ernst gemeint. Die Züricher erklärten sich grundsätzlich dem König gegenüber dienstbereit, mit Ausnahme ihrer unerledigten Streitsache mit den Habsburgern, und so wandte sich Karl am 13. September 1354, nach wenigen Belagerungstagen nur, in einem jener unvorhergesehenen Entschlüsse, die er offenbar dennoch sorgfältig erwogen hatte, von der Stadt ab, und zog über Ulm und Nürnberg nach Sulzbach. Von da ritt er mit nur einer kleinen Schar von 300 Helmen nach Süden. Am 5. Oktober war er in Salzburg, am 13. in Gemona. Da war neun Tage zuvor, etwa gleichzeitig mit seinem Zug durchs Gebirge, der Mann gestorben, mit dem er eigentlich um seine kaiserlichen Ansprüche in Oberitalien hätte kämpfen müssen; dessentwegen ihn auch seine italienischen Bundesgenossen überhaupt ins Spiel gezogen hatten: Giovanni Visconti, der streitbare Erzbischof von Mailand.

Die Erben der Visconti-Dynastie verhandelten doch lieber, als dass sie eine Kraftprobe mit der Liga wagten. Und dieses Beispiel machte in Italien Schule. Kaiserzüge hatte man seit Barbarossas Zeiten in den vielfältigen Machtgebilden Oberitaliens traditionell entweder bejubelt oder verflucht. Karl IV. mit seiner kleinen Schar war offenbar nicht gekommen, um die Geister auf diese Art zu scheiden, nach den alten Parteiungen der Guelfen und Ghibellinen, sondern um zu verhandeln. Nachdem er erst einmal geschickt bei den Visconti an Boden gewonnen hatte, bestätigte er sie als Reichsvikare, um dafür die Krönung zum König der Lombardei in der Kirche des heiligen Ambrosius zu Mailand entgegenzunehmen. Sowohl seine Krönung am Dreikönigstag 1355 als auch sein Umgang mit den Visconti zeigte gleich Früchte im diplomatishcen Bereich. Die Krönung meldete er dem Kardinalbischof von Ostia nach Avignon als die zweite Station, zur dreifachen Krönung eines Imperators aufzusteigen, also gleichsam als eine pflichtmäßige und jetzt absolvierte Bedingung zur römischen Kaiserkrönung. Dabei konnte er sich zwar auf die Geschichte vieler deutscher Romzüge stützen, aber dennoch hatte er ein solches Gewohnheitsrecht überzogen. Nicht jeder deutsche Herrscher hatte vor der römischen Kaiserkrönung die „eiserne Krönung“ in Mailand erworben, von der „dreifachen Krone“ des Heiligen Römischen Reiches war schon mal gar nicht die Rede gewesen. Zudem gab es, wenn man zählen wollte, eine vierte Krone, nämlich die von Burgund.

Karl zog zunächst in Pisa, anschließend in Florenz, ein. Die großbürgerlichen Stadtherren erfuhren, dass Karl bereit war, ihre alte Ordnung zu bestätigen, sie nicht anzutasten, und zu Reichsvikaren zu ernennen. Gegen ein Entgelt, versteht sich. Mailand zahlte 150.000 Gulden, Pisa immerhin 60.000, und Florenz ließ es sich 100.000 Gulden kosten. Die Florentiner waren zudem willig, als Ersatz für die jahrzehntelang ausgefallenen Reichssteuern künftig 4.000 Gulden jährlich zu entrichten. Das war weit mehr, als jede deutsche Reichsstadt aufbrachte. Karl IV. verstand es geschickt, den Argwohn der Guelfen zu zerstreuen.

Von Lucca ging sein Zug weiter über Siena, Buonconvento, wo der Großvater Heinrich VII. mitten im Kampf um seine Kaiserrechte gestorben war, weiter nach Sutri. Am 2. April stand Karl IV. vor Rom, das er drei Tage lang inkognito besuchte, ehe er am 5. April mit etwa zehntausend Begleitern in die Ewige Stadt einritt. Die Kaiserkrönung verlief nach Protokoll, Karl wurde durch einen zur Vertretung befugten Kardinal (der Papst war ja in Avignon) gekrönt und gesalbt, ebenso die Königin. Dann ritt das Paar durch die jubelnde Stadt, nicht selbstverständlich in der Reihe römischer Krönungstage, wo man zuletzt noch den Großvater Heinrich beim Krönungsmahl mit Pfeilen beschossen hatte. Von Feindseligkeiten war heute, Ostersonntag 1355, nichts zu bemerken. Der Zug stockte nur lange im Jubel, weil Karl an die 1500 junge Männer mit seinem Szepter zu Rittern schlug. Pünktlich vor Sonnenuntergang legte er den Purpur ab und verließ, treulich nach seinem Eid, den Burgfrieden der Stadt. Er übernachtete in einem Kloster vor den Mauern.

Die Heimreise geschah ziemlich zügig. Schon am 5. Mai 1355 war Karl IV. an Florenz vorbei Richtung Norden. In Pisa blieb er aber drei Wochen, wo er bei einem Aufstand in Lebensgefahr kam. Die Rebellion endete mit dem Sieg der Adelspartei, deren Unterstützer Karl während der Kämpfe zu gewinnen gewusst hat. Sieben Häupter der bisherigen bürgerlichen Stadtführung fielen unter dem Beil. Mitte Juni überschritt Karl bei Cremona den Po und erreichte über Zürich am 3. Juli Augsburg. Seine deutsche Herrschaft hatte durch den Italienzug nicht sonderlich gelitten.

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Karl IV. betätigte sich in der Folge intensiv als Gesetzgeber, seine Leidenschaft. Erste Vorschriften, die er herausgab, waren der Ketzerbekämpfung gewidmet. Besonders Böhmen war in den Sog solcher Bewegungen geraten, vornehmlich der Waldenser. Hier häuften sich Aufruhr bis hin zu tätlichen Angriffen, gar Ermordungen gegen Inquisitoren. Weitere Vorschriften galten der Festigung der Landesmacht. So durften gewisse Städte und Burgen des Kronguts, die Karl auflistete, niemals vom König verpfändet oder verkauft werden. Königinwitwen sollten enteignet werden, wenn sie noch einmal heiraten. Aber nicht nur der königliche, auch der adelige Besitz sollte stabil bleiben zum Wohle des Landes. Deshalb durfte er nicht ohne weiteres der Kirche vererbt und auch nicht im Würfelspiel versetzt werden.

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Dann beschäftigte sich Karl IV. mit der Landesverwaltung, man würde heute sagen mit Polizei und Justiz. Die niedere Gerichtsbarkeit blieb zwar beim Adel, aber der Kaiser ordnete an, die Grunduntertanen nicht an Leib und Leben zu strafen, sie zu blenden, oder ihnen Nase, Hände und Füße zu amputieren. In Gesetzten wurde der Wald geschont, Witwen geschützt, die Erbfähigkeit der Bürger und die Duellberechtigung des Adels, die alten Gottesurteile oder der Schutz der Juden abgehandelt. Das waren Punkte, die dem Adel kaum gefallen konnten. Ein Landtag in Böhmen geriet zu einer so massiven Demonstration des Widerstands seitens des Adels, dass Karl IV. sich genötigt sah, sein Gesetzeswerk für verbrannt, untergegangen, vernichtet zu erklären mitsamt der bisher darauf gesammelten Unterschriften und Siegeln, ohne dass noch eine Abschrift erhalten wäre. Man könnte mit heutigen Worten sagen: Das Gesetz kam nicht durch den Rat hindurch. Mutmaßlich war der Adel ein geschworener Feind allen geschriebenen Rechtes überhaupt. Die Fürsten bevorzugten es, bei Versammlungen unter ihresgleichen das Recht zu weisen: Das bedeutete, dass sie es in jedem einzelnen Fall „neu fanden“. Ein nachlesbares Gesetzeswerk bedeutete eine Entmachtung des Adels, auch weil die Rechtsfindung in die Hände von Richtern, ausgebildeten Beamten des Königs, überzugehen drohten.

Die Spannungen waren mit der Vernichtung des Gesetzeswerks nicht aus der Welt geschaffen. Binnen Jahresfrist, im Mai und Juni 1356, wurden sie bewaffnet ausgetragen. Karls Widersacher waren vornehmlich vier Brüder aus dem Hause der Witigonen. Diesen Herren von Rosenberg hatten in Südböhmen seit langem ein ansehnliches Territorium arrondiert, ihre Ahnen zählten bereits zu den Widersachern Ottokars II., suchten ihn dann sogar in einer Ehe mit der Königinwitwe zu beerben und distanzierten sich auffälligerweise von jedem Königsdienst. Das Amt des Oberkämmerers, das die Stände vergaben und das die Aufsicht über die Adelsbesitzungen einschloss, war dagegen lange in ihren Händen. Der Streit, vermutlich an Vormundschaftsrechten entzündet, zeigte die Rosenberger sehr unbekümmert gegenüber königlichen Geboten. Auch beklagten sie sich über Karls Fehdeführung im Reich, nicht weil sie dort etwa einen Richter suchten, sondern Bundesgenossen. Im Hintergrund stand hier womöglich eine Konspiration, die Karls Absetzung zum Ziel hatte. Karl war erfolgreich – nicht mit einem Feldzug, sondern eher mit einer Polizeiaktion. Zur Beilegung dieser Auseinandersetzung mussten die Brüder von Rosenberg ihre Briefe an Fürsten und Städte in Deutschland widerrufen. Ansonsten gab es keine besonderen Auflagen. Mehr durfte Karl offenbar gegen die mächtigsten unter seinen Baronen nicht wagen, ohne sie zu einer gefährlichen Solidarität mit ihren Standesgenossen zu reizen. Die nächsten zwanzig Jahre wollten die böhmischen Fürsten auch nichts mehr hören von solchen Gesetzen, wie sie Karl 1355 zurückgenommen und für verloren gegangen erklärt hatte.

Besser fuhr Karl mit dem zweiten großen legislatorischen Unternehmen, das er 1355 zu Nürnberg ins Werk setzte. Es handelte sich um die Goldene Bulle, benannt nach ihrem Siegel, das fünf Punkte umfasste: die Festlegung der weltlichen Kurwürde, die im Gegensatz zur geistlichen, durch Erbfolgefragen immer wieder strittig war; eine Münzordnung; Minderung der Rheinzölle und der Geleitsabgaben auf dem Lande; Landfriedensprobleme und schließlich Regelung der Königswahl nach den Mehrheitsverhältnissen. Am wichtigsten davon war die Definition des deutschen Königswahlrechts. Ähnlich wie es schon Ludwig der Baier formuliert hatte, wurde fortan der päpstliche Approbationsanspruch annuliert. Die Kurfürsten, die Königswähler, wurden klar definiert. Wobei: nur der König von Böhmen durfte seine Kurwürde auch mit seiner Machtstellung in Verbindung bringen. Weder Brandenburg, noch Sachsen, noch die Kurpfalz dagegen konnten gleichwertig neben die Lande der bairischen Wittelsbacher oder gar neben den habsburgischen Machtkomplex treten. Bei den drei geistlichen Kurfürstentümern sah es im deutschen Vergleich zwar unterschiedlich, im ganzen aber doch ähnlich aus.

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Die Kurfürsten erhielten Königsrechte, die sie bei unklarer Rechtslage faktisch mehr oder weniger bereits hatten. In Fragen des Burgenbaus, der Zoll- und Geleitsrechte, des Judenschutzes und der Judensteuern, des unbeschränkten Gebietserwerbs reichte die kurfürstliche Landeshoheit fortan weiter als in anderen Reichsfürstentümern, und im Schlusskapitel des Gesetzes wurden sie „die Säulen und Flanken des Imperiums“, mit Worten aus dem spätantiken Kaiserrecht unter Majestätsschutz gestellt, „denn auch sie sind ein Teil unseres Leibes“. Sie sollten sich fortan auf mindestens jährlichen Zusammenkünften an der Reichsregierung beteiligen. Bei der Königswahl nach dem Mehrheitsprinzip konnten sie sich auch selber wählen, für die Nachfolge der Kurfürsten wurde das Recht der Erstgeborenen festgesetzt, wie es bislang nur in Böhmen galt und in den übrigen Fürstentümern sich erst im Laufe der nächsten drei Jahrhunderte durchsetzte. Danach wurden auch die kurfürstlichen Lande fortan unteilbar, und insgesamt ergab sich aus dieser Festigung des Gremiums der Königswähler ein neuer Bezug zur Festigung der deutschen Monarchie: als Wahlreich aus Erbmonarchien. Die Goldene Bulle von 1356 blieb kein Pillepalle-Gesetz, es galt fortan tatsächlich als eine Art Reichsgrundgesetz und war bis zum Ende des Alten Reichs 1806 in Kraft.

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Das Vermächtnis von Karl IV.: Ein neuer Screen für die Kaiserwahl!

Zwischen den Kurfürsten des Jahres 1356 gab es noch eine andere Bindung, nämlich eine verwandtschaftliche. Pfalzgraf Ruprecht der Jüngere, Markgraf Ludwig der Römer, Herzog Rudolf von Sachsen und Karl IV. selber waren alle miteinander „Cousins“ als Enkel oder Urenkel des Königs Rudolf I. von Habsburg. Alle diese Fürsten führte ein weibliches Mittelglied, Groß- oder Urgroßmutter, zum ersten Habsburgerkönig. Zwar kann man von daher die Zugehörigkeit zum Kreis der Kurfürsten nicht definieren, doch darf man das Bewusstsein gemeinsamer königlicher Abstammung wohl in Rechnung stellen. Nur – es schloss die Habsburger selber aus.

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Diesen Umstand „heilte“ der österreichische Herzog Rudolf IV. „der Stifter“, der 1358 nach dem Tod seines Vaters Albrecht II. die Regierung in Wien übernahm. Durch seine Ehe mit Katharina von Luxemburg war Rudolf 1356 zwar zum Schwiegersohn Karls IV. geworden, das hielt ihn aber nicht von einer Politik ab, die immer die Mehrung des Habsburger Einflusses zum Ziel hatte. Im Jahre 1359 ließ der Stifte die Urkunde Privilegium Maius fälschen, das seine Dynastie faktisch den Kurfürsten im Reich hinsichtlich Unteilbarkeit, Primogenitur und Gerichtsbarkeit gleichstellte. Karl IV. ließ die Urkunde durch den Gelehrten Petrarca überprüfen, der die ganz dreisten Fälschungen daraus hervorhob, z.B. wonach bereits Caesar der Region Noricum (Österreich) besondere Privilegien ausgestellt habe. Petrarca spottete über diese Urkunde: „Sie stammt nicht gerade von Meisterhand, sondern ist eher schülerhaft zu nennen. Denn Caesar sprach nie von sich im Plural Majestatis. Das wusste jener Ochs nicht. Wenn er es gewusst hätte, hätte er vorsichtiger geblökt.“ Karl IV. verhielt sich 1360, als er über die Urkunde zu befinden hatte, differenziert. Einige Teile des Privilegium Maius verwarf er als Fälschungen, einige Sachen darin verhandelte er in veränderter Form neu aus, andere erkannte er gegenüber den Habsburgern an. Man einigte sich mit ihnen auf das politisch machbare.

Kein anderes Kurfürstentum erhielt übrigens eine vornehmere Position in der Goldenen Bulle als Karls Königreich Böhmen. Das war keine völlige Neuerung, schon vorher war der böhmische Herrscher der einzige König unter den Kurfürsten gewesen.

Den übrigen Reichsfürsten hatte die Goldene Bulle weniger zu sagen. Die von Karl ursprünglich beabsichtigte Förderung stadtbürgerlicher Interessen hatte er sich wieder abhandeln lassen. Zölle und Geleitsgebühren wurden durch die Bulle nicht gesenkt, kein neues Münzrecht eingeführt. Dafür aber verbot die Goldene Bulle Städtebünde, wenngleich man die Städte trotzdem nicht auf der Seite der Verlierer suchen darf. Soweit sie unter fürstlichem, zumal kurfürstlichem Schutz standen, gewannen auch sie durch die Sicherungen des Fürstentums. Soweit sie aber freie Reichsstädte waren, war der König und Kaiser ihr Herr. Eine Stärkung des Königtums musste auch ihre Anliegen mittelbar fördern. Drei Städte hob das neue Reichsgesetz dabei hervor: Frankfurt, wo künftig der König zu wählen sei, Aachen, wo er gekrönt werden und Nürnberg, wo er seinen ersten Hoftag halten müsse.

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Zu Nürnberg hatte Karl IV. eine besondere Beziehung, die Handelsstadt war für ihn die strategische Brücke zwischen den luxemburgischen Landen im Westen und in Böhmen. Das war die Erklärung für die Verbindung, die Karl zu den dortigen burggräflichen Hohenzollern suchte. Burggraf Friedrich war ohne Söhne geblieben. Als Karl IV. im Jahre 1361 endlich wieder über einen Erben verfügte, verlobte er den Säugling stracks schon nach vier Monaten mit der Erbtochter Elisabeth von Hohenzollern. Natürlich war das keine standesgemäße Verbindung, aber sie schon doch Karl wegen seiner für die deutsche Königsmacht unerlässlichen Zentrallage in Franken und der Oberpfalz, mit der er gerade im Hinblick auf das Erbe der Hohenzollern tatsächlich große Pläne hegen konnte, wichtig genug. Burggraf Friedrich wurde konsequenterweise in den Reichsfürstenstand erhoben und zum Landvogt im reichen Elsass ernannt. Auch der 1368 geborene zweite Sohn des Kaisers, mit Namen Sigmund, wurde mit einer Tochter des Burggrafen verlobt: da war der Säugling gerade einmal vier Tage (!) alt. Die auf Nürnberg gerichtete Politik des Kaisers änderte sich, als dem Burggrafen in den folgenden Jahren doch noch zwei Söhne geboren wurden. Für Karl IV. schwanden damit alle Erbaussichten, und er richtete seine Landpolitik grundlegend neu aus.

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Mitte der 1360er gebrauchte Karl IV. die Heiratspolitik, um ein erhebliches Problem aus der Welt zu schaffen. In Ungarn regierte der Anjou Ludwig I., der trotz seines Alters von 50 Jahren noch immer keinen Sohn, dafür aber zwei Töchter hatte. Karl bekam nun mit, dass der ungarische König mit den benachbarten Habsburgern über die Ehe seiner Erbprinzessin Maria mit dem künftigen Herzog von Österreich verhandelte! Kinder, Erbaussichten und andere Folgen aus dieser Verbindung waren für die Luxemburger da gar nicht abzusehen. Karl IV. drängte den Papst zu strengsten Drohungen im Hinblick auf die enge Verwandtschaft des Brautpaars und erreichte damit auch eine Sprengung der geplanten Verbindung. Wenig später (1366) nahm der Habsburgerherzog Albrecht III. die Luxemburgerin Elisabeth zur Frau; und die ungarische Prinzessin wurde zunächst einmal mit Wenzel verlobt (später aber mit Sigmund verheiratet).

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Zuversichtlich konnte Karl den Blick auch auf Brandenburg richten, hier hatten sich die Verhältnisse günstig verändert. Erinnern wir uns: Karl IV. hatte 1350 den falschen Waldemar fallengelassen, dann mit dem Herzog Ludwig dem Brandenburger, dem ältesten Sohn des Wittelsbacher-Kaisers Ludwig IV. der Baier, Frieden geschlossen und ihn unter anderem auch mit der Mark Brandenburg belehnt. Weitere Hilfe gewährte Karl seinem Lehensmann aber nicht, der sollte sich ruhig jahrelang damit beschäftigen, die Kontrolle über sein Herzogtum zu gewinnen. Als Ludwig der Brandenburger 1361 starb und zwei Jahre nach ihm auch sein Sohn Meinrad, gab der stets lauernde wittelsbachische Familienzwist Karl IV. die Gelegenheit zum Eingreifen. Er zog Herzog Otto, den jüngsten der sechs Söhne Kaiser Ludwigs, für längere Zeit an seinen Prager Hof, verlobte ihn mit seiner fünfjährigen Tochter Elisabeth und setzte dafür den zweijährigen böhmischen Kronprinzen Wenzel in eine Erbanwartschaft auf die Mark Brandenburg ein, die damals Otto und sein älterer Bruder Ludwig „der Römer“ gemeinsam innehatten. Außer Wenzel wurden auch alle männlichen Luxemburger erbberechtigt, namentlich der mährische Markgraf Johann Heinrich und seine Söhne, während diese Erbverbrüderung die anderen Wittelsbacher ausschloss. Tatsächlich blieben auch Ludwig (+1365) und Otto (+1379) ohne Söhne, und Karl gelang es auf Grundlage dieser Erbeinung, die Mark zu kaufen:

In einem Vertrag im Dezember 1373 erwarb Karl IV. durch die Zahlung einer unerhörten Summe an Herzog Otto von Wittelsbach das Kurfürstentum Brandenburg. Auch damit folgte er einer alten böhmischen Expansionsrichtung, nach Norden, elbabwärts, die bereits sein Vater 1316 mit Erwerbungen in der Oberlausitz eröffnet hatte und die sich in der Zwischenzeit zu einem größeren Streubesitz in der Mark Meißen und zur Niederlausitz vorgeschoben hatten. Die Erwerbung der Mark Brandenburg zählt offenbar zu seinen alten Zielen, Karl zügelte im Gegenzug seinen Landerwerb in Richtung Baiern, die Wittelsbacher wollten es so. Es war eine Umorientierung: Gegen Verkauf der „neuböhmischen“ Gebiete im Süden erwarb Karl IV. Brandenburg im Norden.

Brandenburg erwarb Karl, nachdem er die Wittelsbacher auch durch militärische Maßnahmen verkaufswillig gemacht hatte, für die ungeheure Summe einer halben Million Gulden. Zweihunderttausend davon zahlte er in bar, Zeugnis von Karls rigoroser Finanzpolitik gegenüber den Reichsstädten. Für 100.000 Gulden verkaufte Karl den Süden seines neubairischen Territoriums, für weitere 100.000 setzte er schwäbische Reichsstädte zum Pfand. Den Rest, noch einmal 100.000 Gulden, wollte er jährlich von böhmischen Einkünften abzahlen. Man sieht an den runden Summen, dass die zeitgenössischen Finanziers verhältnismäßig mit der großen Schere arbeiteten. Man erkennt an den hohen Zahlen aber auch Karls Entschlossenheit. Unmittelbar nach dem Vertrag vom Dezember 1373 folgte eine Flut von Privilegienbestätigungen für Städte und Stifte, auch für einzelne adelige Herren.

An der Bindung zu den Hohenzollern, die Karl vorher so wichtig gewesen war, hatte er jetzt kein Interesse mehr. Das Verlöbnis zwischen seinem zweiten Sohn Sigmund und der Nürnberger Burggrafentochter löste Karl nach achtjähriger Dauer Ende 1375. Aber er präsentierte dafür die 1373 geborene Margaretha, die dann später den Burggrafensohn Johann heiratete. Sie war die Entschädigung für den Affront, Sigmunds Verlöbnis gelöst zu haben. Die Luxemburgerin Margaretha machte offenbar Eindruck in Baiern, „die was ein saubers Weib“, hieß es später.

Kurz danach heiratete auch der Kaiser selbst ein weiteres Mal. Seine vierte und letzte Ehe wurde mit Elisabeth von Pommern geschlossen, die Auswahl der Gattin war erneut auch politisches Programm. Karls Absicht war offenbar, Elbe und Oder in ihrem gesamten Lauf in seinem Bereich zu vereinigen.

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Das weiter gefasste Ziel war dürfte es gewesen sein, eine große Fernhandelsstraße von Prag bis zur Ost- und Nordsee, ja von Venedig über Prag bis dorthin zu erschaffen. Für den König von Polen waren das nicht hinnehmbare Aussichten. Ein Machtblock von Böhmen, Brandenburg, der Lausitz, Schlesien und nun auch Pommern bedeutete auf längere Sicht das Ende polnischer Unabhängigkeit, das wusste König Kasimir. Prompt trat das unheimliche Schicksal wieder auf Karls Seite: Kasimir III. (genannt der Große) starb im November 1370, Karls brandenburgische Politik war nicht mehr zu erschüttern.

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Weil mit Kasimir III. die Piasten in königlicher Linie ausstarben, fiel Polen gemäß älterer Vereinbarungen an den Anjou Ludwig I. von Ungarn, einem Sohn von Kasimirs Schwester. Mit Ludwig war einst eine Tochter von Karl IV. verheiratet gewesen, nämlich Margarete. Die war allerdings schon 1349 im Alter von 14 Jahren gestorben und Ludwig hatte neu geheiratet. Um es vorweg zu nehmen: Der Anjou hinterließ bei seinem Tod 1382 zwei Töchter, von denen eine (Hedwig) die Krone von Polen erbte, und die zweite (Maria) Ungarn erhielt. Diese Maria heiratete Karls zweiter Sohn Sigmund 1385, Sigmund wurde so selber zum König von Ungarn.

Wenn wir schon bei der Nachfolge des Kaisers sind, ich muss mal die ganzen Ehen und Kinder sortieren, um den Überblick zu behalten.

Erste Ehe: Blanca von Valois
    Margarete (*1335 +1349), war verheiratet mit dem Valois Ludwig I. von Polen
    Katharina (*1342), zunächst mit dem Habsburger Rudolf IV. dem Stifter verheiratet, nach dessen Tod 1366 verheiratet mit dem Wittelsbacher Otto V. von Brandenburg

Zweite Ehe: Anna von der Pfalz
    Wenzel (*1350 +1351), der erstgeborene Sohn starb im Alter von nur einem Jahr


Dritte Ehe: Anna von Schweidnitz
    Elisabeth (*1358 +1373), heiratete 1366 den österreichischen Herzog Albrecht III. von Habsburg, den Bruder und Nachfolger des Stifters
    Wenzel (*1361), der neue Erstgeborene und designierte Nachfolger, zumindest in Böhmen


Vierte Ehe: Elisabeth von Pommern
    Anne (*1366), sie sollte später den englischen König Richard II. heiraten
    Sigmund (*1368), wie erwähnt wurde er später König von Ungarn – und mehr...
    Johann (*1370), wird später der Markgraf von Brandenburg
    Karl (*1372 +1373), stirbt noch als Kind
    Margarete (*1373), wird dem Nürnberger Burggrafen Johann zur Frau gegeben, nachdem das Verlöbnis von Sigmund mit der Hohenzollern-Tochter aufgelöst wird
    Heinrich (*1377 +1378), stirbt noch als Kind

Für die Nachfolge von Bedeutung waren die hervorgehobenen Söhne Wenzel und Sigmund. Der erstere war am 24. Februar 1361 in Nürnberg zur Welt gekommen, der Geburtsort war bewusst gewählt: Auf dem Hradschin in Prag wäre er - mit Blick auf die böhmische Krone - besser zur Welt gekommen, auf der Kaiserburg zu Nürnberg aber sollte der künftige Kaiser geboren werden. Karl IV. war so erfreut über die Geburt seines Thronfolgers, dass er das Gewicht des Säuglings in Gold aufwiegen ließ und dieses nach Aachen sandte. Der Kaiser ließ die Reichskleinodien von Prag nach Nürnberg bringen und stellte sie eine Woche lang aus, zum Zeichen der engen Bindung des Imperiums mit dem Neugeborenen. Die Taufe von Wenzel begleiteten fünf Kurfürsten und 18 Bischöfe, ein prominentes Publikum. Zu diesem Ereignis ergab sich eine Legende, die einen Schatten auf das Kind warf: Wenzel verunreinigte demnach nämlich das Taufwasser und beschmutzte anschließend auch den Altar. Das waren Vorzeichen, dass unter seiner Regierung alles Heilige von den Ketzern verdorben würde. In der Tat: Wenzel ging später als „der Faule“ und, schlimmer noch, als Freund der Ketzer und Hussiten in das Andenken ein.

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Kaum konnte der Kronprinz laufen, ließ ihn Karl IV. am 15. Juni 1363 in Prag zum böhmischen König krönen, eine ungewöhnliche Vorwegnahme seines Nachfolgeanspruchs, die Karl auch gegen den Rat seines vertrauten Erzbischofs durchsetzte. Denn ein gekröntes Kind, so gab der Erzbischof unter anderem zu bedenken, werde sich schwer in der rechten Weise erziehen lassen. So kam es dann auch: Seine Erzieher machten aus ihm einen zwar gebildeten, aber auch unschlüssigen und unselbstständigen Menschen. Der Vater hatte großes mit Wenzel vor und verheiratete ihn im Alter von neun Jahren mit der Wittelsbacherin Johanna (es galt wieder einmal, die rivalisierenden Dynastien einzubinden bzw. zu spalten). Und mit nur zwölf Jahren wurde Wenzel 1373 Kurfürst, als der Vater ihn mit der Mark Brandenburg belehnte.

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Das Ziel war deutlich erkennbar – Karl IV. wollte möglichst rasch seinen Sohn zum Nachfolger auf dem deutschen Thron wählen lassen. Zu diesem Zweck nahm der Kaiser wieder reichlich Geld in die Hand. So zahlte er 50.000 Gulden an den Pfalzgrafen Ruprecht im Hinblick auf „künftige Dienste“. Karl konnte sich das leisten, weil er nach dem großen Adelass seiner ersten fünf Regierungsjahre (eine sagenhafte Summe von 1,5 Millionen Gulden, weit mehr als die maximal 300 Gold, die man sich in CK2 leihen kann), in der folgenden 20jährigen Spanne wirtschaftete er erheblich sparsamer mit dem Reichsgut. Aber eben Wenzels Wahl ist dann der Anlass, dass in Karls vier letzten Regierungsjahren noch einmal eine Pfandschuld von mehr als 250.000 Gulden anwächst. Das zeitweise Verpfänden von Einkünften fehlt übrigens als Mechanik im Spiel grundsätzlich.

Die Reichsstädte reagierten verbittert auf ihre eigene Verpfändung durch den Kaiser (ein Hinweis darauf, wie die Mechanik des Verpfändens im Spiel laufen könnte: Meinungsabzug bei den Bürgermeistern, so wie die Geldleihe bei den Juden die Meinung der Kirchenvasallen mindert) und lehnten wenig überraschend die Königswahl von Wenzel grundsätzlich ab. Diese Wahl fand am 10. Juni 1376 in Frankfurt statt, der jugendliche Wenzel wurde von den Kurfürsten einstimmig zum deutschen König gewählt. Selbst die Wittelsbacher hatte der Kaiser dafür auf seine Seite bringen können, für Karl IV. war das noch einmal ein besonderer Triumph.

Das feierliche Gepränge in Frankfurt und die Krönung in Aachen konnten den Zwist mit den 18 verpfändeten Reichsstädten nicht aus der Welt schaffen. Unter der Führung von Ulm weigerten sie sich, dem jungen König zu huldigen. Karl IV. zögerte nicht vor der härtesten Konsequenz, er verkündete einen Reichskrieg. Den schwäbischen Adeligen konnte es nur recht sein, wenn der Kaiser hier gegen die allzu selbstbewussten Städte vorging. Aber an der Belagerung von Ulm biss sich Karl die Zähne aus, er musste einlenken und - auch im Namen seines Sohnes - versprechen, dass er künftig eine beständig wohlwollende Politik gegenüber den Städten führen würde. Die Erklärung des Kaisers, es sei ihm nie in den Sinn gekommen, getreue Städte zu verpfänden, klang nach der unmittelbaren Vorgeschichte allerdings nicht glaubhaft. Eine Garantie, dass es künftig keine Verpfändungen mehr geben würde, war die Erklärung ebenfalls nicht.

Am 22. Februar 1377 bestellte Karl dann seinen Sohn Wenzel zum Statthalter, ehe er nach Brandenburg aufbrach. Im Sinn dieser Vollmacht hob Wenzel einige Tage später die kaiserliche Acht gegen die Kölner und Regensburger auf. Der schwäbische Städtebund hingegen war inzwischen auf 28 Mitglieder angewachsen, und hatte Kontakte zu anderen Städten wie Frankfurt aufgenommen, ja sogar zu Adeligen wie dem Grafen von Württemberg oder den Habsburgern, deren Einfluss Karl IV. zu fürchten hatte. Erst jetzt nahm er den Unmut des Städtebundes ernst und schloss mit Nürnberger Hilfe einen Landfrieden, der ihm die Huldigung der schwäbischen Städte für Wenzel einbrachte. Die Städte hatten erreicht, was sie haben wollten: Die Garantie ihrer Unverpfändbarkeit. Bemerkenswert, was der bürgerliche Stand inzwischen durch sein gemeinschaftliches Auftreten gegenüber Adel und Klerus durchzusetzen vermochte.

Mit seinen 60 Jahren machte sich Karl IV. nun noch einmal auf den Weg nach Avignon, zum Papst. Es ging unter anderem um das Eindämmen der Söldnerbanden im Westen des Reiches, die einem kaiserlichen Feldzug auswichen und lange die elsässischen Städte bedrohten. Und es wurde etwas besprochen, dass in der Story von nun an noch einige Male erwähnt werden wird: Vom Türkenplan war schon die Rede. Man muss sich das mal vorstellen: 1369 bereits war der byzantinische Kaiser in Avignon erschienen und hatte seinen Übertritt zum Katholizismus und das Ende des morgenländischen Schismas angeboten, wenn ihm dafür Hilfe zuteil würde gegen die Einkreisung seines Reiches durch die islamischen Truppen der Türken. Jedoch, Kaiser Johannes V. sprach nicht für den byzantinischen Klerus, der das Aufgeben der Orthodoxie glatt ablehnte. Der Kaiser nahm ein beschämendes Ende: Er landete zunächst in einem venezianischen Schuldturm und musste später Militärdienst im Gefolge von Sultan Murad I. leisten.

Eigentlich wollte Karl IV. bei seinem Besuch in Avignon mit dem Papst besprechen, wie er sich die personelle Besetzung einiger wichtiger Bistümer im Reich vorstellte. An den Kaiser aber richtete Papst Urban stattdessen den dringenden Wunsch, von Avignon endlich nach Rom zurückkehren zu können. Für Karl bedeutete das, einen neuerlichen Romzug auf sich zu nehmen. Zum Thema der personellen Besetzung der Bistümer meinte Urban lediglich: „Wir können nur sagen, Herr Kaiser, dass wir alles gern nach Eurem Belieben tun wollen“. Was eine glatte Lüge war.

Was den zweiten Romzug Karls IV. angeht, kann man es kurz ausdrücken: Am Ende der Unternehmung hatte er kaum etwas gewonnen. Der finanzielle Gewinn war zweifelhaft, denn den erzielten Steuerleistungen italienischer Städte standen ansehnliche Ausgaben für Söldner, Diplomaten und Geschenke gegenüber. So musste Karl unterwegs sogar seine Krone versetzen. Der Gewinn an Ehre und Ansehen kam dem des ersten Romzugs nicht gleich, auch wenn Karl noch einmal eine feierliche Zeremonie in Rom veranstaltete, bei der seine vierte Gemahlin Elisabeth die Kaiserkrone empfing. Es blieb aber auch kein politischer Gewinn. Zwar erzielte Karl in den italienischen Städten ordentliche Anerkennung, aber die hatte nur solange Bestand, wie er sich in Italien aufhielt. Kaum hatte er das Land verlassen, war alles wieder beim Alten. Das galt auch für die Rückkehr des Papstes nach Rom. Der Franzose Gregor IX. war so unbeliebt in Rom, dass er bald seine Rückkehr nach Avignon ins Auge fasste. Nur sein Tod am 26. März 1378 in Rom dürfte verhindert haben, dass es dazu kam.

Die Wahl des Nachfolgers auf dem Stuhl Petri wurde mal richtig schwierig. Die Römer erwarteten, dass einer der ihren das Amt erhält und drückten ihren Favoriten Bartolomeo Prignano (Urban VI.) durch. Die Franzosen waren natürlich dagegen, sie zogen ihre Kardinäle im Protest aus Rom zurück und erklärten (nicht ohne Grund), die Wahl Urbans sei unter Druck zustande gekommen. Am 20. September wählten die Franzosen im nahen Fondi Clemens VII. zu „ihrem“ Papst. Die Christenheit war gespalten! Fast vierzig Jahre, für die Zeitgenossen eine schier unerträgliche Zeit, sollte dieses sogenannte Abendländische Schisma andauern. Die Lösung des Problems scheiterte auch wegen der französisch-deutschen Rivalität. Karl IV. sah in Urban den rechtmäßigen Papst, was durchaus gegen seine vordergründigen Interessen sprach: Denn anders als der römische war der neugewählte Papst Clemens von vornherein zur Anerkennung der deutschen Königswahl von Karls Sohn Wenzel bereits. So schürzten sich in den letzten Lebenswochen des Kaisers noch einmal die Probleme aus der Wahl seines Sohnes und der Wahl des Papstes, aus den französischen Interessen und seinem kaiserlichen Anspruch auf die Schutzherrschaft in der Christenheit zu einem bedrohlichen Knoten. Karl hat ihn nicht mehr lösen können.

Gegenüber Frankreich war Karl seit langem in der Defensive. 1378 erfüllte er etwas, das die französische Diplomatie schon seit über zwanzig Jahren von ihm wollte, die Abtretung des Arelat an den Dauphine, dem Thronfolger der Valois. Der Kaiser richtete seinen Blick zuletzt nämlich auf Ungarn und dem Wettbewerb um die Nachfolge des söhnelosen Königs Ludwig dort.

Die Vorgeschichte: Vor gut hundert Jahren (1265) hatte Karl von Anjou, seit 1246 Graf der Provence, ein Bruder des französischen Königs, mit Hilfe des Papstes die Nachfolge der staufischen Dynastie in Unteritalien und Sizilien angetreten. In Unteritalien hatte sich die Anjou-Herrschaft dann auch behauptet und vierzig Jahre später auch jenseits der Adria Fuß gefasst, im Königreich Ungarn. Dort war 1301 die einheimische Dynastie erloschen, ein Karl Robert von Anjou beerbte sie schließlich. Ungarn reichte damals über Kroatien bis an die nördliche Adria. Im Lauf des Jahrhunderts dehnte das Königreich Ungarn unter den Anjou seine Macht immer weiter in Südosteuropa aus. Aber auch den Norden band es in seine Politik. Neben lebhaften Beziehungen zu Österreich und Böhmen, zu Habsburgern und Luxemburgern also, auch durch Eheschlüsse, näherten sich die ungarischen Ambitionen besonders dem Königreich Polen, das zur selben Zeit wie das ungarische Reich seine Grenzen nachhaltig nach dem Osten ausgeweitet hatte. 1370 war Kasimir der Große von Polen ohne männliche Erben gestorben. Da wurde nun Ludwig der Große von Ungarn sein Nachfolger, weil er der Sohn von Kasimirs Schwester Elisabeth war, einer der bemerkenswertesten Frauen unter den Königinnen des Mittelalters, die am ungarischen Hof in Buda jahrzehntelang mitgewoben hatte an den Fäden der ungarischen Politik, besonders an den Bindungen an ihr Heimatland Polen. Nun hatte auch König Ludwig von Ungarn und Polen keinen Sohn. Und gleichzeitig fehlte ein Erbe für das Anjou-Reich in Unteritalien. Deshalb ließ sich das kühne Projekt erdenken, die aus Frankreich stammende Anjou-Dynastie eben auch aus Frankreich, wieder durch einen Prinzen aus dem Königshaus, zu beerben, vor dem sich im weiten Halbkreis vom Mutterland aus die Provence, Unteritalien, Ungarn und womöglich gar Polen ausgebreitet hätte. Deshalb jedenfalls hatte Frankreichs König Karl V. auch seinen Zweitgeborenen Ludwig mit Katharina, der ältesten Tochter König Ludwigs von Ungarn und Polen verlobt.

Eine solche Entwicklung konnte Karl IV. nicht unberührt lassen. Den Übergang der Provence und Unteritaliens aus den Händen der Königin Johanna von Neapel an die nächste französische Sekondugenitur hätte er zwar durchaus hinnehmen können, aber eine ungarische, gar eine polnische Erbschaft der Franzosen musste ihn alarmieren. Immerhin hatte er in Buda seine Ansprüche rechtzeitig angemeldet. 1365 schon war der damals vierjährige Wenzel mit einer Nichte des damals noch kinderlosen Königs Ludwig verlobt worden. Dieses Verhältnis löste man zwar bald wieder, denn es schien vordringlich, den inzwischen neunjährigen Thronfolger Wenzel mit Johanna von Wittelsbach zu verheiraten, einer Enkelin Ludwigs des Baiern. Aber der zweite Sohn Karls, Sigmund, der 1368 zur Welt gekommen war, rückte bald in die ungarische Position ein, nachdem eine Verlobung mit einer Tochter des Nürnberger Burggrafen, die man auf seinen Namen eingegangen war, wieder gelöst worden war. Er wurde also mit Maria von Ungarn verlobt, der zweiten Tochter König Ludwigs, und dieses Verlöbnis führte ihn auch, nach dem Eheschluss 1385, schließlich und endlich zum ungarischen Thron.

Ursprünglich hatte Karl IV. bei Sigmunds Ehebund eigentlich nicht an Ungarn gedacht, sondern an die Nachfolge in Polen, als Krönung seiner ganzen Ostpolitik. So erscheint sein hartnäckiger Kampf um die Mark Brandenburg als Teilstück eines großen Konzeptes: Er galt nicht, wie oft vermutet, einem imaginären panslawischen Staatsgebilde, sondern dem sehr handfesten Projekt, von Böhmen aus elb- und oderabwärts bis zur Ostseeküste und von Schlesien und Brandenburg aus jenseits der Oder über die Weichsel bis zum Bug ein Großreich der luxemburgischen Macht zu errichten.

Nun hatten aber, im Herbst 1377, die Dinge eine für Karls Pläne dramatische Wende genommen. Karl V. von Frankreich suchte die Verhandlungen mit König Ludwig von Ungarn zu einem Abschluss zu bringen und das große Anjou-Erbe für den kleinen Prinzen Ludwig zu sichern. Er sandte eine Delegation von Paris nach Buda, eine Gegengesandtschaft Ende 1377 wurde in Paris reich beschenkt. Gerade zu dieser Zeit traf Kaiser Karl am Ort der Verhandlungen ein.

Zum einen wollte er wohl seinen Sohn Wenzel, inzwischen zum böhmischen und deutschen König gekrönt, in Paris einführen, um die traditionellen luxemburgisch-französischen Beziehungen zu sichern. Womöglich galten Karls Gespräche auch dem Schicksal des Papsttums, das zwischen Rom und Avignon zerrissen zu werden drohte. Vielleicht hatte der alte Kaiser, den die Gicht stark plagte, auch einfach den Wunsch, den Ort und die Menschen seiner Jugendjahre wiederzusehen. Als er der Schwester seiner ersten Frau begegnete, brach er in Tränen aus. Mit Sicherheit aber hatte der Staatsbesuch, der den französischen Etat nicht weniger als 50.000 Goldfranken kostete, den Zweck, die dringende Absprache über das Anjou-Erbe zu führen. Das Gipfeltreffen der beiden Monarchen, der nur die beiden Kanzler beiwohnten, fand am 5. Januar 1378 statt. Es gibt keinen Bericht von dem dreistündigen Gespräch.

Was aber geschah danach? Am selben Tag noch wurde der zehnjährige Thronfolger vom Kaiser für mündig erklärt. Das war ein Rechtsakt, der einer Majestät zustand. Sogleich wurde der Dauphin von Karl IV. mit Vienne und dem Arelat ausgestattet, der Knabe wurde auf Lebenszeit offiziell Reichsstatthalter und Generalvikar dieses Gebiets. So weit, so klar. Und worin bestand die französische Gegenleistung? In der Zurückhaltung beim Vorantreiben der französisch-ungarischen Vermählung. Der französische König beschränkte sich darauf, sich in Buda Zusicherungen bezüglich der Zukunft der Provence und der anderen Anjou-Gebiete einzuholen. Aber nicht zu Ungarn. Wirklich offenbar wurde das, als am 8. Mai 1378 die für die Heirat vorgesehene Tochter Ludwigs starb und Frankreich keine neue Braut benannte. Es gab ja noch eine dritte Tochter, Hedwig, aber die hat später, als Erbin der polnischen Krone, auf ganz andere Weise große Geschichte in Civ6 gemacht.

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War also, muss man nach dieser Entwicklung der Dinge fragen, das Arelat-Angebot des Kaisers der Spatz in der Hand, den der französische König der ungarischen Taube auf dem Dach vorzog? Offenbar hatte der Kaiser eine geschickte Geheimdiplomatie betrieben. Und das Thema Arelat war nicht endgültig, eine regelrechte Gebietsabtretung von Reichsgebiet an Frankreich war das nicht. Die Zusage galt auf Lebenszeit des Thronfolgers – und war nicht vererbbar. Kein schlechter Deal also, trotzdem hat Karl IV. wegen der Sache mit dem Arelat in der Historie einige Schläge bezogen und erhielt auch dafür den Beinamen „Stiefvater des Reiches“.

Karl starb am 28. November 1378. Zwei Wochen lang wurde er in Prager Kirchen aufgebahrt. Seine Nachrufe nannten ihn einen zweiten Konstantin, einen Heiligen, einen Friedenskaiser. Mit ihm ging eine Epoche der europäischen Monarchie ins Grab, eine Generation begabter Herrscher: 1370 starb Kasimir der Große, 1375 Waldemar von Dänemark, 1377 Englands Eduard III., 1380 Karl V. von Frankreich, 1382 Ludwig der Große von Ungarn und im selben Jahr der Hochmeister Winrich von Kniprode im preußischen Ordensstaat. Sie alle waren bedeutende Herrscher mindestens in diesem Jahrhundert in ihren Landen, sie alle fanden schwache Nachfolger. Und nicht anders war die Situation auf dem päpstlichen Thron, seit Karls Todesjahr gelähmt durch den Streit um die Rechtmäßigkeit zwischen Rom und Avignon.

Gleichzeitig erlebten die Städte des Abendlandes das Zeitalter größter innerer Auseinandersetzungen zwischen den alten Stadtregimentern und bisher Minderberechtigten, in Florenz wie in Siena, in Lucca wie in Pisa, in Köln wie in Lübeck oder München, in Frankreich wie in Spanien. In England erhoben sich 1381, wie andernorts, Bauern und Kleinbürger zu einem bedrohlichen Zug zur Hauptstadt London: „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“ Jäh schienen alle Bande der alten Ordnung gelöst. Während die Schweizer sich im Südwesten behaupteten und die Hanse für längere Zeit noch im Norden, während auch Nürnberg ihre Position zu halten wusste, begann sich in Deutschland das Blatt schon zu wenden zugunsten des fürstlichen Standes, König und Städte verloren an Einfluss.

Karl hatte im Lauf von 42 Jahren elf Kinder gezeugt, die ihm vier Frauen geboren hatten. Als sein erstes zur Welt kam, war er 19 Jahre. Mit 61 Jahren, kaum ein Jahr vor seinem Tod, wurde er zum letzten Mal Vater. Ende 1376 suchte er die luxemburgische Erbfolge testamentarisch zu regeln. Er bedachte darin einen jeden seiner vier lebenden Söhne, auch den gerade geborenen Heinrich. Er vermied eine Teilung der Hauptmasse seines luxemburgischen Hausbesitzes, was ihm das böhmsiche Thronrecht ohnedies verwehrt hätte. Aber Görlitz löste er aus dem Gesamtbesitz zugunsten des 1370 geborenen Johann, und das Stammland Luxemburg bestimmte er, bei der Kinderlosigkeit seines noch regierenden Halbbruders Wenzel, seinem Jüngsten, Heinrich. Der zehnjährige Sigmund sollte die Mark Brandenburg erben und mit seiner Braut die Krone Polens. Sigmund aber wurde auf diesem Weg, Jahre danach, König von Ungarn. So reifte anstelle von Karls nordöstlichen Ambitionen eine starke Position im Südosten. Vorher aber regierte Wenzel, der älteste lebende Sohn, nach seinem Vater 22 Jahre als böhmischer und römischer König. Man kann es nicht anders sagen: Der Sohn, dem Karl IV. alle Hindernisse auf dem Weg zu diesen Kronen beiseite geräumt hatte, erwies sich als spektakulärer Versager: Wenzel war ein Alkoholiker auf dem Thron und erhielt den Beinamen „der Faule“.

Literatur
    Ferdinand Seibt – Karl IV. Ein Kaiser in Europa
    GEO Epoche – Die Pest


Video
Karl IV. und der Schwarze Tod

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 3. Februar 2018 18:11

Der Hundertjährige Krieg, Teil 1 – Edward III.

Edward III. Plantagent, lebte 1312-1377
König von England 1327-1377
Start: 1: Januar 1327


Schon seit mehreren Kapiteln schildere ich immer wieder, wie die Könige von England und Frankreich miteinander im Streit lagen. Dieser Konflikt sollte im Jahre 1337 in den Ausbruch des Hundertjährigen Kriegs münden, als nämlich der englische König Anspruch auf sein größtmögliches Ziel, den französischen Thron erhob. Er hatte in Frankreich natürlich Gegner und musste zu den Waffen greifen, wenn er diese Krone haben wollte. Dieser nun ausbrechende Krieg überdauerte seine Protagonisten um Längen, denn er endete erst nach 116 Jahren im Jahre 1453 – da sind wir schon im Bereich von Europa Universalis 4.

Um die Ursachen für den Hundertjährigen Krieg zu benennen, muss man im Grunde bis zum Jahr 1066 zurückgehen: Da starb der englische König Eduard der Bekenner, ohne eigene Nachkommen zu hinterlassen. Er bestimmte vor seinem Tod, dass der Sohn seines Cousins die englische Krone bekommen solle. Und das war William, der zu dieser Zeit bereits der Herzog der Normandie war.

Im dem Kapitel zu William dem Eroberer beschrieb ich ausführlich, wie es ihm gelang, sich den englischen Thron zu sichern und eine Dynastie zu begründen. Der springende Punkt war von nun an, dass der englische König zugleich der Herzog der Normandie, dank kluger Heiratspolitik später auch der Herzog von Aquitanien, war. Und das waren Gebiete, die vom französischen König als Lehen ausgegeben wurden.

Seitdem erinnerten die französischen Könige aus dem Geschlecht der Kapetinger die Plantagenet auf dem englischen Thron beharrlich an diesen Umstand, und forderten regelmäßig den Lehnseid für diese Ländereien ein. Natürlich mochten sich die englischen Könige nicht unterordnen, die Folge waren diverse diplomatische und militärische Rangeleien. Die englischen Besitzungen auf dem Kontinent waren Frankreich stets ein Stachel im Fleisch und bildeten einen ganzen Strauß an De-jure-Kriegsgründen.

Zuletzt gab es 1259 zwischen Henry III. und Louis IX. einen umfassenden Vertrag, der die Verhältnisse klären sollte. Der Plantagenet erhielt von dem Kapetinger das Herzogtum Guyenne mit Bordeaux als Hauptstadt zu Lehen. Dafür verzichtete Henry auf Anjou, Maine und die Tourraine, gab seinen Titel als Herzog der Normandie ebenso auf wie den des Grafen von Anjou. Was als dauerhaftes Friedensabkommen gedacht war, führte jedoch im Laufe der Zeit weiterhin zu unvereinbar gegensätzlichen Positionen. Denn die englischen Könige wollten ihr französisches Lehnsgut wie Eigentum behandeln und behalten, während die Könige von Frankreich ihren mächtigen Vasallen gänzlich vom Kontinent zu vertreiben suchten. Unter Edward I. (dem Hammer der Schotten) und seinem Sohn Edward II. (dem mit dem Günstling Gaveston) steigerten sich die Spannungen bis zur Entladung in den 1330ern. Das war die Zeit, in der Edward III. in England ans Ruder kam. Mit dem Tod des „Schottenhammers“ Edward I. schloss 1307 das letzte englische Kapitel in dieser Story. Bevor es mit Edward III. losgeht, soll zunächst die zwanzigjährige Lücke geschlossen werden. In dieser Zeit saß sein Vater Edward II. auf dem Thron.


Der Vater: Edward II. (1307-1327)

Manche Historiker halten Edward II. für den jämmerlichsten Versager, der je auf Englands Thron gesessen hat. Und seine Zeitgenossen waren so fassungslos darüber, dass ein Löwe wie Edward I. einen so spektakulären Versager gezeugt haben sollte, dass es bald Gerüchte gab, der junge Edward sei in der Wiege vertauscht worden. Aber diese einfache, wenn auch wenig originelle Erklärung konnte kaum zutreffen, war der neue König seinem Vater doch wie aus dem Gesicht geschnitten, wenn auch kein solcher Hüne.

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Edward II. war ein wankelmütiger, weinerlicher, unschlüssiger und feiger König, was womöglich daran lag, dass er als Kind im Schatten des imposanten, autoritären Vaters stand. Der junge Prinz hat eine wohl eher einsame Kindheit erlebt und klammerte sich später mit fanatischer Treue an seine Freunde. Eigentlich eine schöne Eigenschaft. Edward II. besaß jedoch ein erstaunliches Talent dafür, sich immer wieder die falschen Freunde auszusuchen, und das riss England dann ins Verhängnis.

Kaum auf dem Thron, gestaltete Edward II. den königlichen Hof nach seinen Vorstellungen und tauschte so manchen Berater aus, darunter den einflussreichen Schatzmeister Walter Langton. Mit dem war Edward II. zwei Jahre zuvor – da noch in seiner Eigenschaft als Thronfolger - aneinandergeraten, vermutlich wegen der hohen Kosten seines aufwendigen Lebensstils. Damals ergriff Edwards Vater für den mächtigen, jedoch unbeliebten Schatzmeister Partei und verbannte Edward II. vom königlichen Hof. Damit wollte Vater Edward seinen Sohn vermutlich auch von einigen seiner Freunde trennen, deren Einfluss er missbilligte. Jetzt, da der alte König tot war, entband Edward II. zügig den alten Schatzmeister Walter Langton unter entwürdigen Umständen seines Amtes, tauschte auch andere altgediente Berater seines Vaters aus und setzte seine eigenen Leute in die Ratsämter Kanzler, Marschall und Kämmerer ein. Zudem rief Edward II. einflussreiche Gegner seines Vorgängers aus dem Exil ins Inselreich zurück, darunter Erzbischof Robert von Canterbury.

Schnell zeigte sich, dass der neue König die Rechte des Parlaments, die sich die Barone jahrzehntelang erkämpft hatten, nicht sonderlich respektieren wollte. Das erzeugte großen Unmut bei den Lords, der sich vordergründig in ihrem Streit mit dem König wegen dessen Berater und Günstlinge entlud. Zu denen gehörte der junge, aus Aquitanien stammende Piers (Peter) Gaveston, den der frühere König Edward I. selbst im Jahre 1300 in den Haushalt des Thronfolgers aufgenommen hatte. Gaveston war der engste Freund Edwards II. geworden und hatte großen Einfluss auf ihn. Schon die Zeitgenossen argwöhnten, dass zwischen den beiden auch ein sexuelles Verhältnis bestand, was aber nicht sicher ist. Jedenfalls fühlten sich die Barone durch das parvenuhafte Verhalten provoziert. In den Augen der Lords war Gaveston ein Niemand, aber noch 1307 erhob Edward II. ihn zum Grafen von Cornwall. Standesmäßig zusätzlich abgesichert wurde Gaveston, indem er die Nichte des Königs heiraten durfte. Die Lords murrten.

Edward II. selber heiratete im Januar 1308 seine bisherige Verlobte Isabella, die Tochter des französischen Königs Philippe. Zum Entsetzen der englischen Barone ernannte Edward seinen Günstling Gaveston zum Regenten über England, solange er wegen der Hochzeit außer Landes weilte. Einen Monat später fand dann in London die Krönung Edwards statt, die zwölfjährige Isabella an seiner Seite wurde zur Königin von England gekrönt. Dabei fühlte sich Isabella durch rangmäßig zurückgesetzt, weil der als Träger der Sankt-Eduard-Krone auftrat, was umgehend zu Verstimmungen am französischen Hof führte.

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Die Barone sorgten vor, dass der neue König ihre Rechte nicht missachten würde und legten ihm einen veränderten Krönungseid vor, in dem er nicht nur wie seine Vorgänger die bisherigen Gesetze und Verfügungen zu achten versprach, sondern auch diejenigen Gesetze zur „Gemeinschaft des Reiches“, die noch zukünftig erlassen werden würden. Das schränkte den politischen Handlungsspielraum des Königs weiter ein. Im März 1308 ging es in einer Parlamentssitzung einen Schritt weiter, wo die Barone eine klare Trennung zwischen der Person des Monarchen und der Institution des Königtums betonten. Damit versetzten sich die Magnaten in das Recht, in einer Konfliktsituation, die zur Schmälerung der Kronrechte führen würde, einzugreifen. Und damit nahmen sie aktuell und ganz konkret den königlichen Berater Gaveston ins Visier. Tatsächlich gelang es den Baronen, so viel politischen Druck auf Edward II. aufzubauen, dass sie ihn nötigen konnten, Gaveston von der Insel wegzuschicken, Richtung Irland. Das war übrigens nicht die erste Verbannung vom Hof: Edwards Vater hatte Gaveston seinerzeit bereits zweimal vom königlichen Hof fortgeschickt, aber damals hatte Edward II. seinem energischen Vater die Stirn geboten und seinen Favoriten beide Male zurückgeholt. Es war zwischen Vater, Sohn und Günstling also nicht so harsch abgelaufen, wie das hier dargestellt wird.

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Aber okay, im Sommer 1308 waren es nun die Barone, die Gavestons dritte Verbannung durchsetzten. Vordergründig lief der Streit zwischen König und Parlament um die „schlechten Berater“, also Gaveston, mit denen sich Edward II. umgeben würde (der König holte sich Gaveston auch ein drittes Mal an seinen Hof zurück). Im Kern ging es aber um die königliche Herrschaftspraxis, die das Parlament als übergriffig empfand. Ultimativ forderten die Barone eine „Regierungsreform“, die von einer Kommission ausgearbeitet und im August 1311 dann auch vorgelegt wurde. Gemäß der „Ordinances“ wurde der König der Kontrolle des Parlaments unterstellt. So musste er etwa seine personellen Entscheidungen von den Baronen absegnen lassen und brauchte die Zustimmung des Parlaments, um Kriege erklären zu können sowie um das Land zum Zweck der Kriegsführung zu verlassen. Nicht zuletzt musste das Parlament zweimal jährlich vom König einberufen werden.

Die Barone waren mit dem Stil des Königs aus mehreren Gründen nicht einverstanden: Erstens interessierte sich Edward II. im Gegensatz zu seinem Vater nicht für außenpolitische Aktivitäten, was meistens gleichbedeutend mit Kriegsführung war. Kein Krieg – kein Ruhm (für die gewöhnlichen Untertanen war das – das muss man mal erwähnen – eine gute Sache, denn England erlebte endlich einmal eine längere Friedensperiode). Edward II. bevorzugte die Diplomatie und knüpfte auf dem Kontinent Kontakte zu den deutschen Monarchen Albrecht I. bzw. Heinrich VII. sowie zum französischen Königshof. Einen Feldzug unternahm er immerhin einmal im September 1310 gegen Schottlands König Robert I. Bruce, den er jedoch ergebnislos abbrechen musste. Die Schotten hatten wieder einmal ihre Guerillataktik eingesetzt.

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Zweitens sanierte der Plantagenet eben dadurch, dass er keine kostspieligen Kriege führte, seine Finanzen. Das machte ihn unabhängiger vom Parlament, wo er ansonsten für jede Steuererhebung nach der Erlaubnis der Barone hätte fragen müssen. Statt sich bei ihnen das nötige Geld zu holen, verschuldete sich der König bei dem Bankier Amerigo Frescobaldi, einem Italiener. Gefiel den Fürsten entsprechend auch nicht.

Drittens widmete sich Edward II. nicht den üblichen Hobbys eines Monarchen, von dem man Jagden, Turniere und Hoffeste oder sonstigen ritterlichen Zeitvertreib erwartete. Edward mochte bäuerliche Sportarten wie Rudern und Angeln, er versuchte sich in verschiedenen Handwerken und interessierte sich sogar für Landwirtschaft. Ein volksnaher König, würde man heute wohlwollend sagen. Aber Edwards Zeitgenossen – Lords wie Bauern – war dieser schrullige König so unendlich peinlich, dass sie vom Zuschauen feuchte Hände und Bauchschmerzen bekamen. Erinnert mich an jemanden...

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Es ist nicht verwunderlich, dass Edward II. um eine baldige Revision der „Ordonances“ bemüht war, die aus England quasi eine parlamentarische Monarchie machten. Die stärkste Gegenwehr hatte der König dabei von seinem eigenen Cousin zu erwarten, Thomas von Lancaster. Der gebot über nicht weniger als fünf Grafschaften im Norden Englands, war also ein echter Magnat. Edward II. hatte vielleicht noch die Vertreibung seines italienischen Geldgebers Frecobaldi hingenommen, der - unter Verlust seiner ausstehenden Forderungen gegenüber dem König, so ein Pech – das Land fluchtartig verlassen musste. Aber am Schicksal seines Günstlings Gaveston zeigte sich Edward interessierter. Der war 1311 als Exilant am Hof des französischen Königs gelandet, wo er bald Repressionen ausgesetzt war. Zur Erinnerung: Philippe IV. war der Vater von Edwards Frau Isabella, die durch Gavestons Verhalten während ihrer Hochzeit provoziert worden war. Das hatte Philippe offenbar nicht vergessen. Gaveston sah zu, dass er aus Paris wegkam und kehrte über Flandern im Dezember 1311 nach England zurück. Dass Gaveston trotz jeder Verbannung schon wieder beim König war, erzürnte die Barone endgültig. Sie schlossen sich unter Thomas von Lancaster zusammen und vereinbarten, nun auch militärisch gegen den König vorzugehen.

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Während einige Barone die wichtigen Regionen Englands zu sichern hatten, marschierten andere mit einem gemeinsamen Heer gegen Edward, der sich in Newcastle befand. Am 4. Mai 1312 türmte der königliche Hof fluchtartig vor den anrückenden Soldaten, wobei Edward II. einen mitgeführten Schatz und zahlreiche Juwelen zurücklassen musste. Während der König sich nach York zurückzog, floh Gaveston nach Scarborough, wo er bald von den Grafen von Pembroke und Surrey belagert wurde.

Die beiden brachten Gaveston dazu, aufzugeben, indem sie ihm eidlich die persönliche Unversehrtheit und eine parlamentarische Prüfung seines Falles zusicherten. Beim Abtransport brachen die Grafen aber ihren Eid und ließen Gaveston des Verrats anklagen und verurteilen. Die Hinrichtung fand sogleich am 19. Juni 1312 statt, Gaveston wurde von zwei walisischen Soldaten aus Thomas Lancasters Truppe exekutiert. Die enthauptete Leiche übergab man den Dominikanern, die wegen der fortbestehenden Exkommunikation des Hingerichteten eine Beisetzung auf unbestimmte Zeit verschieben mussten.

Die Tötung Gavestons, der immerhin der Graf von Cornwall gewesen war, erwies sich bald für Lancaster als Fehlschlag, da zahlreiche andere Barone die Hinrichtung als widerrechtlich betrachteten, so dass sich Lancaster nach einem Schuldeingeständnis im Oktober 1313 dem König unterwerfen musste. Zugleich hatte Edwards Diplomatie auf dem Festland inzwischen einige Ergebnisse zustande gebracht, der König war innen- wie außenpolitisch endlich mal im Aufwind. Das gab ihm die Möglichkeit, endlich gegen die Schotten vorzugehen, die während Edwards „Schwächephase“ immer frecher geworden waren und unter Führung des Robert I. Bruce wiederholt nordenglische Landstriche geplündert hatten. Ja, sie hatten sogar die Festungen Perth und Dumfries genommen. Innerhalb von Schottland hielten die Engländer quasi nur noch die Festung von Stirling. Roberts Bruder (Eduard Bruce) verhandelte mit der Garnison von Stirling und vereinbarte die Übergabe der Festung, sofern sie nicht bis zum Johannistag (24. Juni) 1314 vom englischen Heer entsetzt werden würde. König Edward II. konnte nicht nur, er musste also auch handeln. Er schaffte es auf den Tag genau, mit seinem Heer termingerecht vor Ort aufzumarschieren und den Schotten bei Bannockburn in der offenen Feldschlacht zu begegnen.

Die Schotten unter Robert Bruce waren zahlenmäßig klar unterlegen, aber Robert focht mit großem persönlichem Mut und der besseren Taktik. So gelang es den Schotten erstmals, die Engländer in einer offenen Feldschlacht zu besiegen. Edward musste schwere personelle und materielle Verluste hinnehmen und zurück nach England fliehen. Bis auf die Knochen blamiert kehrte der Plantagenet nach London zurück und erlebte in der Folge drei richtig schwierige Jahre. Nicht nur, dass die Schotten ungehemmt immer weiter nach Nordengland vordrangen: Mehrere aufeinanderfolgende Missernten führten zur grauenvollsten Hungersnot in der Geschichte des Landes, und wegen der andauernden Konflikte zwischen König und Barone herrschte Anarchie im Land. Die Missernten trafen ganz Europa und waren nicht Edwards Schuld, aber seinen schwer geprüften Untertanen kam es so vor.

Edward II. stellte das Regieren in dieser Phase praktisch ein, und das nutzte Lancaster. In der Parlamentssitzung vom 9. November 1314 wurden fast alle wichtigen Führungspositionen im Lande, darunter das Personal des Kanzlers, Marschalls und des Kämmerers, sowie die Sheriffs, ausgetauscht und gegen Kandidaten ersetzt, die Lancaster genehm waren. Die Macht lag jetzt de facto in der Hand von Lancaster. Doch der setzte sie nicht ein! Er tat nichts, um die Hungersnot im Land zu mindern und die Ordnung wiederherzustellen. Thomas von Lancaster blieb in den folgenden zwei Jahren den Parlamentssitzungen fern und ließ den Kontakt zu den anderen Baronen einschlafen. Ende 1316 war er politisch isoliert. In England wüteten Hungersnöte, Seuchen, Inflation und Fehden.

Zwischendurch fiel sogar Irland unter die Kontrolle der Schotten: Im Mai 1316 akzeptierten die wichtigen irischen Clans den schottischen König Robert I. Bruce als ihren Hochkönig. Man muss dazu aber sagen, dass dies nicht von langer Dauer war. Robert übergab seinem Bruder Eduard die Regierung über Irland, wo die Hungersnot nicht minder schrecklich wütete. Der neue englische Leutnant Roger Mortimer (den Namen sollten wir uns jetzt schon mal merken) erzielte ab 1317 wachsende Erfolge gegen die vom Hunger geschwächten Anhänger von Bruce und zerschlug im Oktober 1318 die Allianz zwischen Schotten und Iren militärisch. Das war ein Erfolg, die Aufmerksamkeit richtete sich aber auf eine weitere spektakuläre Niederlage im Norden, wo den Schotten im April 1318 die Eroberung von Berwick gelungen war. Dieser Misserfolg wurde vor allem Thomas von Lancaster angelastet. Eine recht große Gruppe von Baronen, die sowohl mit König Edward II. als auch mit Thomas von Lancaster unzufrieden war, bildete nun eine dritte politische Fraktion innerhalb von England. Diese Fürsten schlossen sich unter dem Grafen von Pembroke zusammen und sorgten im Zusammenspiel mit dem König dafür, dass die Schlüsselpositionen in England erneut neu besetzt wurden. Thomas von Lancaster verlor seinen Einfluss wieder zu einem guten Teil, und nun gab es drei politische Fraktionen in England.

Die Zusammenarbeit zwischen der Pembroke-Fraktion und dem König hieß noch lange nicht, dass sie sich miteinander wieder verstanden. Schon bald entwickelte sich die nächste innenpolitische Krise, wie zu Zeiten Gavestons ging es um die Rolle königlicher Günstlinge. Die Kritik richtete sich jetzt gegen Hugo Despenser, der einen beherrschenden Einfluss auf den König erlangt hatte und wie Gaveston homosexueller Beziehungen zu Edward II. verdächtigt wurde. Zu seiner Absicherung heiratete Despenser Eleanor, die Nichte des Königs.

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Noch unkluger als sein Vorgänger in der Position eines Günstlings begann Despenser (gemeinsam mit seinem gleichnamigen Vater), konsequent und rücksichtslos seinen Besitz zu vergrößern. Das führte dazu, dass sich die „mittlere“ Fraktion der „Pembroke-Barone“ an Thomas Lancaster wendete, um gemeinsam mit ihm gegen die Despenser vorzugehen. Es war das gleiche Spiel wie zuvor: In der Parlamentssitzung vom 15. Juli 1321 wurde die Verbannung von Despenser samt seiner Entourage durchgesetzt, die allesamt als „üble Ratgeber“ angeprangert wurden.

Der König war geschwächt. Das eröffnete der Pembroke-Fraktion die Möglichkeit, mit ihm gemeinsam gegen Lancaster vorzugehen, mit dem Ziel, ihn zu entmachten. Während Lancaster den Vormarsch der gegen ihn gerichteten Koalition militärisch erstaunlich widerstandslos hinnahm, suchte er in seiner Not ausgerechnet die Unterstützung der Schotten. Damit verrechnete sich Lancaster entscheidend: Ein Bündnis mit den Schotten, das gegen den englischen König gerichtet war! Das war ein so schändlicher Verrat an England selbst, dass niemand mehr etwas mit Lancaster zu tun haben wollte, selbst viele seiner Gefolgsleute fielen von ihm ab. Politisch völlig isoliert wurde Lancaster mit seinem verbliebenen Heer am 16. März 1322 geschlagen, er selbst gefangen genommen und sechs Tage später als Verräter enthauptet. Als einer der wenigen, die bis zuletzt an der Seite von Lancaster gestanden hatten, landete Roger Mortimer im Tower von London.

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Edwards erste Amtshandlung nach seinem Sieg bestand natürlich darin, Despenser aus dem Exil zurückzuholen. In York verkündete der König am 2. Mai 1322 ein Statut, das die Ordinances außer Kraft setzte und die Macht der Krone wiederherstellte. Dann kehrte er mit Despenser und dessen parasitärer Entourage nach London zurück, um alle Fehler der Vergangenheit zu wiederholen: Eine große Zahl von Königsgegnern wurde verurteilt und enteignet, so dass der König beachtlichen Landbesitz neu vergeben und zu Patronage-Maßnahmen nutzen konnte. Edward II. selbst war finanziell vom Parlament unabhängig und Despenser wurde zu einem mächtigen Lord. Der König verfügte nun über umfangreiche Krongüter, nahm gutes Geld aus dem zunehmend florierenden Wollhandel ein und hatte in dem Florentiner Bankier Bardi einen neuen Kreditgeber gefunden. Edward II. war wieder stark genug für Außenpolitik.

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Zum einen wies er Robert I. Bruce hinter die englisch-schottische Grenze zurück und beendete vorläufig die Verwüstung Nordenglands durch die Schotten. Es wurde 1323 ein Waffenstillstand geschlossen, der auf dreizehn Jahre angelegt war. Gelöst wurde der Konflikt dadurch natürlich nicht. Robert erreichte trotz aller Anstrengungen nicht seine politische Anerkennung durch Edward, der wiederum den Schotten militärisch nicht besiegen konnte. Zum zweiten musste Edward seinen Blick nach Paris richten.

Frankreich steckte in einer veritablen Thronfolgekrise, seitdem König Philippe IV. nach 29 Jahren auf dem Thron am 29. November 1314 gestorben war (der ist übrigens dafür bekannt geworden, dass er am Freitag, den 13. Oktober 1307 den mächtigen Templerorden zerschlug, ihre Anführer landesweit verhaften und als Ketzer verbrennen ließ. Jetzt ratet mal, woher der sprichwörtliche „Freitag der Dreizehnte“ herkommt). Philippe IV. hinterließ drei Söhne (Louis, Philippe und Charles) und eine Tochter (das war Edwards Gattin, Isabella). Zunächst übernahm der älteste der drei Brüder den Thron, doch Louis X. starb 1316 überraschend mit nur 26 Jahren an einer „Fiebererkrankung“. Na ja, angeblich war er nach einem Ballspiel erhitzt in den kühlen Keller des Schlosses gegangen, um dort eine große Menge Wein zu trinken.

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Sein Tod hinterließ jedenfalls eine problematische Erbfolgesituation, denn Louis X. hinterließ lediglich eine Tochter und eine schwangere Ehefrau. Sein jüngerer Bruder Philippe erklärte sich daraufhin zum Regenten des Landes, bis zur Geburt des Kindes. Tatsächlich war dies ein Junge, der als König Jean aber nur fünf Tage - vom 15. bis 19. November 1316 - lebte. Dadurch entstand für die Kapetingerdynastie erstmals seit ihrem Bestehen die Situation eines fehlenden männlichen Nachkommen eines Königs. Nun rückte die Tochter Jeanne in die Position einer potentiellen Nachfolgerin, doch ihr Onkel Philippe sollte deren Legitimation wegen zu naher Verwandtschaft ihrer Eltern in Frage stellen und ließ sich am 9. Januar 1317 als Philippe V. zum König krönen. Um Jeanne jegliche weitere Möglichkeiten auf den französischen Thron zu nehmen, ließ der neue König unmittelbar darauf die rein agnatische „Lex Salica“ als alleingültiges Erbfolgerecht für die französische Krone anerkennen, was Frauen in der Erbfolge ausschloss und für die weitere Geschichte Frankreichs große Bedeutung erlangen sollte.

Philippe V. sollte jedoch auch nicht lange leben, er starb am 3. Januar 1322 an einer Ruhrerkrankung. Zwar hatte er vier Töchter und zwei Söhne, doch die beiden waren schon im Knabenalter gestorben. Die Mädchen waren nach Philipps eigener Lex Salica nicht erbfolgeberechtigt. Damit war Philipps jüngerer Bruder an der Reihe, nämlich Charles, der letzte der drei Brüder. Er bestieg als Charles IV. den Thron. Das war also der vierte französische König innerhalb von acht Jahren. Und wozu war der englische König gegenüber jedem neuen französischen König verpflichtet? Richtig, er musste ihm für die Lehen auf dem Kontinent den Eid leisten. Charles forderte Edward natürlich direkt dazu auf. Zunächst konnte Edward ihn 1322 abwimmeln und sich mit dem laufenden Feldzug in Schottland entschuldigen, den ich vorhin erwähnte. Aber nachdem der Waffenstillstand mit Robert I. Bruce geschlossen war, pochte Charles wieder auf die Huldigung. Edward II. weigerte sich, was bei dem französischen König den Verdacht erregte, der Plantagenet könne Drahtzieher einiger Konflikte innerhalb von Frankreich sein, die das Land destabilisierten.

Charles IV. ging lehnsrechtlich gegen Edward II. vor und drängte diesen diplomatisch wie militärisch in die Ecke. Es musste eine Einigung her, aber Edward traute sich aus Furcht vor einem Umsturz nicht, die Insel zu verlassen. Als päpstliche Gesandte 1324 die englische Königin Isabella als Vermittlerin vorschlugen, stimmte Despenser dem erstaunlicherweise zu. Immerhin war das persönliche Verhältnis zwischen den beiden total zerrüttet, und Isabella als Familienmitglied der Kapetinger galt als Sicherheitsrisiko für den Fall einer drohenden französischen Invasion. Das ließ sich aber lösen: Isabella wurden vorsorglich ihre englischen Besitzungen abgenommen und ihre französischen Bediensteten inhaftiert. Trotzdem übernahm sie die diplomatische Mission nach Paris, wo sie mit ihrem Bruder die Verhandlungen führte. Und sie war erfolgreich, auf ihr Betreiben hin unterzeichneten die beiden Könige Mitte 1325 einen Kompromiss. Der französische König rückte die besetzten Lehen des Plantagenet wieder heraus – unter der Voraussetzung, dass Edward II. zuvor seinen zwölfjährigen Sohn Edward mit diesen Ländereien (Aquitanien, Gascogne) investierte. Auf diese Weise war es nämlich der kleine Edward, der anstelle des Vaters in Paris den Lehnseid zu leisten hatte.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 17. Februar 2018 08:58

Isabella verschaffte sich durch diesen diplomatischen Erfolg so viel Aufmerksamkeit, dass ihr kleiner Hof in Frankreich jetzt zur Anlaufstelle für alle Engländer, die ihrer Heimat nach und nach schaudernd den Rücken kehrten und nichts sehnlicher wünschten, als die Macht von Despenser zu brechen. Zu denen, die sich Isabella anschlossen, gehörte auch Roger Mortimer, dem die Flucht aus dem Tower geglückt war. Und es dauerte nicht lange, bis Isabella den schneidigen Mortimer zu ihrem Liebhaber erwählte. Nun geschah, was passieren musste: Als ihr Sohn Edward III. wie vereinbart für den Lehnseid nach Paris kam, fiel er seiner Mutter Isabella in die Hände. Der englische Thronfolger, was für ein wertvolles Pfand! Die Entscheidung des englischen Königs, nach seiner Frau auch seinen Nachfolger nach Paris zu schicken, war erstaunlich kurzsichtig – zumal Edward II. von Bischof Walter von Exeter, der aus Paris nach London zurückgereist war, gewarnt worden war, dass die Königin mitsamt ihrem Liebhaber nicht beabsichtige, nach England zurückzukehren, solange Despenser dort das Sagen habe.

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Nun hielt sie nichts mehr. Weil ihr Bruder Charles IV. ihre skandalöse Affäre mit Roger Mortimer nicht ignorieren wollte, verließen sie seinen Hof und reisten zu ihrem Cousin Graf Wilhelm III. von Holland. Der versprach ihnen Truppen, wenn der englische Thronfolger seine Tochter Philippa heiratet.

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Abgemacht, entschied Isabella, und am 23. September 1326 segelten die Wölfin, der Liebhaber, der Thronfolger und die holländischen Truppen nach England, um den König zu entmachten und seine Günstlinge unschädlich zu machen. Ihre Truppe war mit 1.500 Mann nur klein, aber ihr Zulauf, sobald sie in England landeten, war gewaltig. Die Barone waren die Selbstherrlichkeit von Edward II. und Despenser leid, die fünf zurückliegenden Jahre seit 1321 nannten sie bereits „the tyranny“. Isabella nahm England ein, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Nach und nach wurden die Despensers Anhänger aufgespürt und unter entwürdigenden Umständen hingerichtet. Der König selbst flüchtete nach Wales und geriet zusammen mit Despenser am 16. November 1326 in Gefangenschaft.

Während der König nach Kenilworth Castle zur Verwahrung gebracht wurde, verhängte man über seine gefangenen Anhänger schwere Strafen, einige wurden sofort hingerichtet. Despenser wurde acht Tage nach seiner Gefangennahme der Prozess gemacht. Erwartungsgemäß endete das Verfahren mit der Verurteilung als Verräter und der grausamen Hinrichtung. Isabella und ihr Mortimer hatten auf ganzer Linie über ihren Gatten gesiegt!

Ursprünglich war die Invasion nur dazu gedacht gewesen, Despenser zu beseitigen. Aber nach der Inhaftierung von Edward II. erhielt das Unternehmen eine neue Dynamik. Der vierzehnjährige Kronprinz Edward III. wurde zum Regenten Englands ernannt und ein Parlament in seinem Namen einberufen. Rechtlich war das völlig abwegig: Ein minderjähriger Regent, während es noch einen König gab. Also lud das Parlament Edward II. vor, um in einer Sitzung seine Absetzung beschließen zu können. Da spielte der König jedoch nicht mit, er weigerte sich zu erscheinen. Gut, also setzte das Parlament Ende 1326 Edward II. ohne dessen Zutun als König ab. Aber selbst der Thronfolger weigerte sich, unter diesen rechtlich fragwürdigen Umständen die Krone von England zu übernehmen. Also reiste im Januar 1327 eine Delegation nach Kenilworth, um den König zu „überreden“, abzudanken und die Krone an seinen Sohn weiterzureichen. Erst unter massivem Druck und der Drohung, einen neuen Monarchen aus einem anderen Geschlecht zu wählen, erklärte sich der Plantagenet zum Thronverzicht zugunsten seines Sohnes bereit, woraufhin die anwesenden Fürsten aus der Delegation ihren Lehnseid gegenüber Edward II. widerriefen und ihm die Herrschaftsinsignien abnahmen. Ihm blieb nur noch der itel des Grafen von Shrewsbury. So konnte Edward III. am 1. Februar 1327 in Westminster gekrönt werden. Um den Bürgerkrieg möglichst rasch zu beenden, wurde für den unmündigen König ein Regentschaftsrat unter Leitung des Grafen von Leicester eingesetzt, während Mortimer der Strippenzieher im Hintergrund blieb und Königin Isabella sich weitgehend aus dem politischen Geschehen zurückzog.

Trotzdem blieb die bloße Existenz des abgesetzten Monarchen für die neuen Machthaber ein gravierendes Problem, da Edward II. und die wenigen ihm verbliebenen Anhänger eine potentielle Gefahr darstellten. Denn die neue Regierung, die Mortimer und Isabella im Namen des jungen Edward führten, war mindestens genauso schlecht wie die des alten Königs. Tatsächlich gelang es im Juli 1327 einem Trupp, den inhaftierten König zu befreien. Doch Edward II. wurde rasch in Dorset gefasst und unter verschärften Bedingungen erneut inhaftiert. Nachdem ein zweiter Befreiungsversuch fehlgeschlagen war, entschied Mortimer, das Problem endgültig zu lösen. Der Mord an einem König durfte keinesfalls offenbar werden, also musste sich Mortimer etwas einfallen lassen. Man versuchte zunächst, den Herrscher durch schlechte Behandlung und Ernährung zu vernichten. Diese Bemühungen scheiterten aber an der körperlichen Robustheit des Monarchen. Also verwendete man eine effizientere Methode, Edward II. vom Leben zum Tode zu befördern.

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Einige Meuchelmörder drangen am 21. September 1327 in die Zelle ein, um das zu erledigen. Um keine äußerlichen Spuren am Körper Edwards zu hinterlassen – und möglicherweise in Anspielung auf seine angeblichen homosexuellen Praktiken – zwangen sie ihn zu Boden, um danach dem Opfer ein Kuhhorn in den Anus einzuführen und anschließend durch das Horn einen glühenden Eisenstab in den Leib zu stoßen.

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Nach Verkündung des angeblich natürlichen Todes stellte man Edwards äußerlich unversehrte Leiche einen Monat lang aus, bevor man sie nach Gloucester brachte und sie dort zwei weitere Monate präsentierte. Erst Ende 1327 wurde Edward II. schließlich in der dortigen Kathedrale bestattet.

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Video zu Edward II.



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Familienangelegenheiten

Zunächst war Edward III. nur ein Faustpfand im Kampf seiner Eltern gewesen. Wir erinnern und an das Kapitel, in dem Isabella die Wölfin und ihr Lover Mortimer in Paris den Prinzen in ihre Gewalt bekommen und 1326 mit einer kleinen Flotte nach England zurückkehrten, um dem unbeliebten Regime von Edward II. ein Ende zu bereiten. Der König wurde gestürzt und kurz darauf im Kerker ermordet. Da war der junge Edward III. vierzehn Jahre alt. Zum ersten Mal seit 1066, seit ein normannischer Vorfahr den englischen Thron erobert hatte, war ein König von diesem Thron verjagt worden.

Am 1. Februar 1327 wurde er mit Zustimmung des Parlaments und unter dem Jubel der Londoner zu Edward III. von England gekrönt. Die mächtige Krone, die der Erzbischof von Canterbury ihm aufsetzte, war eigens ausgepolstert worden, damit sie nicht verrutscht. Edward leistete seinen Krönungseid mit feierlichem Ernst - und wurde anschließend hinter irgendwelche Burgmauern abgeschoben, wo er seine schulische und ritterliche Ausbildung fortführen und in Vergessenheit geraten sollte, während Mutter Isabella und ihr Mortimer die wahre Macht ausübten. Sie bereicherten sich schamlos, verfolgten und drangsalierten ihre Widersacher unter Missachtung aller Gesetze und schlossen einen Friedensvertrag mit Schottland, den jeder Engländer als faul und schändlich empfand. Edwards kleine Schwester Johanna hatte zur Bekräftigung des Vertrags den vierjährigen schottischen Thronfolger David zu heiraten. Und all das taten sie in Edwards Namen.

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Auch mit Frankreich schlossen Isabella und Mortimer einen Friedensvertrag, der England nur einen schmalen Gebietsstreifen in Guyenne übrig ließ. Okay, die Kriege waren für England schon länger nicht gut gelaufen, aber das alles war für die Engländer schlicht Verzichtspolitik. Unter den Baronen wuchs der Groll über den Emporkömmling Mortimer, und man erinnerte sich daran, dass Isabella eine Angehörige des feindlichen Königshauses der Kapetinger war.

Gut drei Jahre waren so ins Land gegangen. Edward III. war inzwischen 17 Jahre alt geworden und bewies jetzt, dass er aus anderem Holz geschnitzt war als sein Vater. Seine Ausbildung hatte aus Etikette, Tanzen und Musizieren, Kampf mit dem Schwert und der Lanze bestanden. Der junge Edward III. beherrschte Englisch ebenso wie das Französisch der adeligen Elite, las wohl einige politisch Standardwerke und kannte sich aus in Militärtheorie. Von Herzen aber begeisterte er sich für anderes: etwa den Helm, den sein Vorfahr Richard Löwenherz einst im Kampf gegen Sultan Saladin erbeutet haben soll. Für die Legenden um den heiligen Georg, den Patron aller Ritter. Ritter sein, das wurde für den Heranwachsenden zum großen Leitbild. Zu seinem Traum von Ruhm und ehrbarem Königtum in einer Welt voll Gier, Furcht und Rachsucht.

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Im Januar 1328 hatte er Philippa geheiratet, die Tochter des Grafen von Hainault (Hennegau), wie es seine Mutter ausgehandelt hatte, und im Juni 1330 brachte Philippa den neuen Thronfolger zur Welt: Auch er erhielt den Namen Edward, bekannt wurde er noch als der „Schwarze Prinz“.

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Die Geburt des Prinzen gab dem jungen König Selbstvertrauen, seine kluge Frau stärkte ihm den Rücken, und obwohl Mortimer ihn Tag und Nacht bespitzeln ließ, gelang es Edward, sich mit ein paar guten Freunden zu verbünden und den päpstlichen Segen für seinen Plan einzuholen: Denn Edwards Wut richtete sich gegen seine Mutter und deren Liebhaber.

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Am 19. Oktober 1330 drang Edward mit einer Handvoll Getreuer durch einen unterirdischen Geheimgang in Nottingham Castle ein, wo seine Mutter und Roger Mortimer gerade residierten. Sie fanden sie im Schlafgemach, und als Edward seinem Stiefvater erklärte, dass er verhaftet sei und der König fortan selber das Land regieren werde, bat Isabella die Wölfin um Gnade für ihren Liebsten. Aber daraus wurde nichts. Roger Mortimer, inzwischen nicht weniger als der Earl of March, wurde wegen einer Vielzahl von Verbrechen verurteilt und im November in London hingerichtet – aufgehängt am öffentlichen Galgen wie ein gewöhnlicher Dieb. Seiner Mutter gestattete Edward, sich auf ein verschwiegenes Landgut zurückzuziehen. Dort blieb sie auch bis zu ihrem Tod im Jahre 1358.

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Der junge König war knapp 18 Jahre alt, als er die Macht an sich riss. Mit dem Überfall hatte er Mut und Entschlossenheit bewiesen. Nun. beim eigenständigen Regieren bewies der junge Monarch mehr Geschick als seine Vorfahren. Er verfiel weder in die kompromisslose Brutalität seines Großvaters, noch in die Günstlingswirtschaft seines Vaters. Edward III. schlug einen Mittelweg ein, innenpolitisch hatte er die Barone so bald hinter sich versammelt. Es gab offenbar große Zustimmung dafür, endlich wieder einen durchgreifenden, aber gerechten Herrscher zu haben. Nicht, dass es Edward an Selbstbewusstsein mangelte, an Sinn für seinen von Gott verliehenen Rang und dessen Privilegien. Er leistete sich luxuriöse Mode, feierte extravagante Feste, verlor Unsummen am Spieltisch. Seine Jagdleidenschaft grenzte ans Manische. Doch bei den Paraden vor den beliebten Reiterturnieren trat der König manchmal auch mit geschlossenem Visier an, inkognito, um die Gleichheit aller Ritter herauszustreichen. Edward hielt auf Freundschaft und Treue, Großzügigkeit gegen jedermann. Prunk und Freigebigkeit, Wagemut und Zuhören: Edward III. erfüllte alles, was von einem guten König erwartet wurde.

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Außenpolitisch jedoch sah es in den ersten Jahren danach aus, dass Edward bezüglich Schottland die alten Fehler wiederholt. Der Tod von Robert I. und die Thronbesteigung des fünfjährigen David II. eröffneten England die Möglichkeit, die Hand auf Schottland zu legen. Edward III. hatte dafür ein gutes Werkzeug zur Hand: Edward Balliol, den Sohn des früheren Königs und Thronprätendenten John Balliol.

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Die Engländer marschierten also mit Balliol im Gepäck in Schottland ein, schlugen die Schotten in der Schlacht bei Halidon Hill und installierten ihren Mann 1332 auf dem schottischen Thron. Der militärische Sieg über die Schotten auf dem offenen Feld ließ Edwards taktisches Können bereits erkennen: Er setzte auf den Einsatz einer neuen Waffe in den Händen gut ausgebildeter Fußsoldaten, den Langbogen. Das funktionierte so hervorragend, weil die Schotten auf diese Waffe keine Antwort wussten.

Kaum gekrönt, erkannte Balliol die englische Oberhoheit über Schottland an, so wie 40 Jahre zuvor schon gewesen war. Die Reaktion der Schotten war dieselbe wie früher: Sie bekämpften die Preisgabe ihrer Unabhängigkeit und führten einen Guerillakrieg gegen Balliol und seine englischen Beschützer. Edward III. wusste keine Antwort auf diese Taktik – und verstrickte sich immer tiefer in die schottischen Wirren: Schon 1333 musste Balliol nach England fliehen und ein Jahr später ein zweites Mal mit Hilfe eines englischen Heeres zurück auf den schottischen Thron gebracht werden. Noch einmal hatte Balliol für diesen Dienst beträchtliche Konzessionen an die Engländer hinzunehmen. Tja, im Jahre 1336 kam es zur zweiten Entmachtung von Balliol, der erneut nach England fliehen musste. Dieses Mal blieb es bei seinem Exil, bis zu seinem Tod 1364. Auf der anderen Seite gelang es dem Konkurrenten David II. im Jahre 1341, aus seinem Exil nach Schottland zurückzukehren. Schottland blieb für Edward III. ein kostspieliges Unternehmen ohne nachhaltige Ergebnisse. So hatte es bereits sein Großvater erfahren müssen. Das Problem mit Schottland war für Edward auch deshalb nicht zu lösen, weil Frankreich hier seine Finger im Spiel hatte. Das hieß: Wenn Frankreich aus dem Konflikt herausgedrängt werden könnte, wäre auch der Norden leichter zu beherrschen. Und es gab eine ideale Gelegenheit, die Franzosen zu packen:

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Am 1. Februar 1328 war der französische König Charles IV. ohne männlichen Erben gestorben, er hinterließ nur eine schwangere Witwe. Das war zu der Zeit, in der der spätere deutsche Kaiser Karl IV. als junger Mann in Paris erzogen wurde (siehe voriges Kapitel). Das Dumme war, dass erst einige Jahre zuvor die weibliche Thronfolge ausgeschlossen worden war. Mit dem Aussterben der Kapetinger stellte sich jetzt die dringende Frage, ob der Ausschluss von Frauen aus der Thronfolge auch für deren Nachkommen Gültigkeit besitzen sollte.

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Hört sich an wie juristische Feinschmeckerei, die Antwort hatte aber größte Konsequenzen. Denn wenn man die Frage verneinte, hatte der englische König Edward III. einen Thronfolgeanspruch, nämlich über seine Mutter Isabella, die eine Schwester des verstorbenen Charles war. Zugleich war Edward über diese Linie ein Enkel des früheren Königs Philippe IV. (1285-1314).

Dem trat der Anspruch des Valois Philippe gegenüber, der zwar ein agnatischer Nachfahre, vom Verwandtschaftsgrad her aber ferner stand. Aber Philippe schuf 1328 in Paris vollendete Tatsachen, als die Witwe des verstorbenen Königs eine Tochter, Blanca (Blanche), zur Welt brachte. Das Mädchen kam aufgrund ihres Geschlechts für die Thronfolge nicht in Frage, also griff der Valois nach der französischen Krone und bestieg als Philippe VI. den Thron.

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Wenn man die Söhne weiblicher Kapetinger als mögliche Thronfolger mit einbezog, gab es neben Edward noch weitere Kandidaten. Aber die meisten hatten nicht die Macht, ihren Hut in den Ring zu werfen. Eine Ausnahme gab es: Philippe IV. hatte noch einen Halbbruder gehabt, dessen Sohn (Philippe von Evreux) die Nichte (Jeanne) des verstorbenen Königs geheiratet hatte. Dieser Philippe von Evreux kam für den Thron auch noch in Betracht.

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Eigentlich hatte Edward III. den französischen König Philippe VI. bereits anerkannt, weil er ihm gegenüber einen Lehnseid für einige englische Gebiete auf dem Kontinent geleistet hatte. Nun verlangte der Valois schon wieder einen Lehnseid von Edward, nämlich für Aquitanien. Zur Untermauerung seiner Aufforderung zog Philippe VI. seine Flotte von Marseille an die Küste der Normandie und bedrohte damit die englische Südküste. Die angespannte politische Situation eskalierte jetzt, denn Edward weigerte sich, den Lehnseid zu leisten. Die Reaktion aus Paris war vorhersehbar: Der französische König erklärte den Plantagenet kurzerhand für enteignet und Aquitanien an die Krone heimgefallen. Edward III. nahm den Fehdehandschuh auf und setzte noch einen drauf: Er erhob aufgrund seiner Verwandtschaft zu den Kapetingern selber Anspruch auf die französische Krone und drohte Philippe mit Krieg.

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Dieses Abenteuer war vielleicht als eine Art „ritterliche Freizeitbeschäftigung“ für ein, maximal zwei Sommer gedacht gewesen. Es wurde die längste militärische Auseinandersetzung in der Geschichte Europas, der Hundertjährige Krieg von 1337 bis 1453. Nominell also sogar mehr als hundert Jahre, es gab zwischendurch aber mehrere Ruhephasen.

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Zu Nebenschauplätzen dieses Krieges wurden die Bretagne und Flandern, hier wollte Edward III. auf dem Kontinent den Fuß in die Tür bekommen – und Philippe VI. eben dies verhindern. Zunächst Flandern: Hier befand sich Graf Ludwig von Nevers in einem schweren Kampf gegen rebellierende Bauern sowie die Brügger Stadtbevölkerung. Die missbilligten die enge Bindung ihres Landesherrn an den französischen König und die Wirtschaftspolitik. Philippe marschierte in Flandern ein und schlug ein Bauernheer. Graf Ludwig beschlagnahmte die Waren englischer Kaufleute, was London 1336 mit einem Wirtschaftsembargo beantwortete. Edward untersagte sowohl den Export englischer Wolle nach Flandern als auch später den Import ausländischer Tuche in sein Reich. Die Sanktionen ließen den Grafen eher unberührt, trafen die Kaufleute Flanderns hingegen empfindlich. Sie verstärkten ihren Widerstand gegen Ludwig und wählten Jakob van Artevelde im Januar 1338 zum Leiter der kommunalen Opposition. Ludwig wurde zur Flucht nach Paris gezwungen und Artevelde übernahm die Macht in Flandern. Umgehend schloss er einen Ausgleich mit Brabant, Holland und vor allem England: Das Wollembargo wurde aufgehoben und Flandern versprach Neutralität im Ringen zwischen England und Frankreich.

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Zwischen den beiden Königen lief jetzt eine Art Wettlauf um die besten Bündnispartner auf dem Kontinent. Edward schloss Heiratsverträge mit den Herren von Geldern, Hennegau, Brabant, Köln, Jülich und Berg. Philippe hatte die Nase vorn in der Freigrafschaft Burgund, Lüttich und Böhmen. Ein Sonderfall war der deutsche König Ludwig, der erst im Dezember 1336 mit Philippe einen Vertrag schloss, dann im Juli 1337 einen weiteren mit Edward. Von beiden ließ er sich dafür bezahlen und hielt sich letztlich aus der Sache raus. Ludwig IV. hatte genug mit dem Papst zu tun, er brauchte nur das Geld.

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Nachdem im Sommer 1337 das kontinentale Bündnissystem Edwards konstituiert schien, stand einem Beginn der militärischen Aktivitäten auf dem Kontinent nichts mehr im Wege. Erst jetzt allerdings warf Edward einen Blick in seine Schatztruhen – die waren dummerweise leer. Vor allem, weil der Plantagenet dem deutschen König so viel Geld versprochen hatte. Edward III. musste in den folgenden Monaten seine Verbündeten bei der Stange halten, sie bezüglich des Geldes vertrösten und ging dazu über, ihnen einen Anteil an der erhofften französischen Beute in Form von Land in Aussicht zu stellen. Im Juli 1338 landete Edward zum Zwecke solcher Bündnisgespräche in Antwerpen und tourte den Rhein entlang. Dabei traf er sich im September auch mit dem deutschen Kaiser Ludwig.

Solange blieb es in dem Krieg auf gelegentliche Plünderungen der Franzosen in küstennahen Städten Englands sowie auf Angriffe französischer Schiffe gegen englische Boote beschränkt. Lebhafter wurden die Schotten im Norden, die natürlich mitbekommen hatten, dass die Engländer im Süden beschäftigt waren.

Erst im September 1339 ging der militärische Feldzug los. Das englisch-niederländische Heer rückte von Valenciennes in die Grafschaft Hennegau ein und begann mit der Belagerung der Stadt Cambrai. Bereits im Oktober brach Edward die aber ab, um Richtung Westen auf französisches Gebiet vorzudringen und dort das Heer des Valois zur Schlacht zu stellen. Nur: Zahlreiche Soldritter im englischen Heer verweigerten den direkten Kampf gegen ihren französischen Lehnsherrn. Und Philippe hatte kein Interesse an einer Entscheidungsschlacht, er wollte lieber abwarten, bis Edward das Geld für den Feldzug ausgehen würde.

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Kampflos zog Edward III. ab: Das ganze Unternehmen hatte – außer den üblichen Plünderungen und Zerstörungen – rein gar nichts eingebracht. Bevor der Plantagenet im Januar 1340 nach England zurückkehren durfte, musste er seinen Bündnispartnern auf dem Kontinent neue Zugeständnisse und Sicherheiten machen. Die flämischen Städte Gent, Brügge und Ypern erhielten von ihm die volle Handelsfreiheit – und Edward musste seine Königin mit ihren Kindern faktisch als Geiseln für die vollständige Bezahlung seiner finanziellen Verpflichtungen auf dem Kontinent zurücklassen. Aus diesem Grund brachte die Königin Philippa ihren vierten Sohn in Gent zur Welt, so wurde dieser Junge später „John of Gaunt“ genannt. Von dem wird später noch die Rede sein.

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Edward III. musste nach England zurück, um das Parlament (und die Hanse) nach mehr Geld zu fragen. Das blieb natürlich Philippe VI. nicht verborgen und er zog eine Flotte von vierhundert französischen und kastilischen Schiffen im Ärmelkanal zusammen. Edward war gezwungen, auf die Schnelle alle verfügbaren Handelskoggen und Fischerboote zusammenzukratzen. Trotzdem konnte er nur halb so viele Schiffe aufbieten wie sein Gegner. Das machten die Engländer mit einer guten Taktik wett: Sie überraschten die französische Flotte bei Gent und versenkten so viele ihrer Schiffe, dass man sich in Brügge erzählte, die Fische des Meeres hätten an diesem Tag Französisch gelernt, wenn sie hätten sprechen können. Und am französischen Hof machte die Geschichte Runde, wie der Hofnarr dem König die schlechte Nachricht überbracht habe: „Wisst Ihr, mein König, warum die Engländer solche Feiglinge sind? Ich will es Euch sagen, mein König, weil sie es nicht wagen, wie die Franzosen, ins Meer zu springen und zu schwimmen.“

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Das war ein großer Triumph Edwards, der den Krieg in England populär machte, aber außer ein paar erbeuteten Schiffen brachte er nichts ein, und Edward III. hatte immer noch 400.000 Pfund Schulden.

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Letztlich löste Edward III. seine finanziellen Probleme dadurch, dass er bei verschiedenen Bankhäusern gigantische Kredite aufnahm – und diese schlicht nicht zurückzahlte. Es waren italienische Banken, die da auf ihren Forderungen sitzengelassen wurden, und sie gingen daran pleite. Die niederländischen Verbündeten gingen Edward von der Stange, aber da sie sowieso kaum einen Finger für ihn gerührt hatten, erschütterte ihn das nicht. Vorsichtiger war er nur bei den englischen Kaufleuten, die er zwar auch kräftig schröpfte. Doch er wusste, dass er hier nicht übertreiben durfte – man schlachtet nicht die Gans, die goldene Eier legt. Fortan hofierte der König die Kaufleute, eröffnete ihnen Möglichkeiten zu einem sozialen Aufstieg, bescherte ihnen ein neues Selbstbewusstsein. Die englischen Kaufleute finanzierten Edwards ambitioniertes militärisches Abenteuer und wurden mit der Erkenntnis belohnt, dass sie Englands Zukunft waren.

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Im Juni 1340 konnte Edward den zweiten Feldzug auf dem Kontinent wagen. Dass die Schotten im Norden Probleme machten, ignorierte er vorläufig. Eins nach dem anderen. Dieses Mal machte Edward den Fehler, seine Kräfte aufzuspalten, er marschierte gleichzeitig gegen St. Omer und Tournai. Philippe hielt es (zu Recht) wie im Jahr zuvor und wich einer Entscheidungsschlacht aus. Im September war klar, dass die Pattsituation eines Waffenstillstands bedurfte. Die beiden Parteien unterschrieben, dass es beim Status quo bleiben sollte. Für Edward war das eine Schlappe, denn wie sollte er seine Schulden je zurückzahlen? Der Plantagenet musste handeln, es lag außerdem in seiner Natur, nach Ruhm zu streben.

Wirklich voran kam er zunächst aber nicht. Ein Winterfeldzug Ende 1341 gegen die Schotten unter David II. blieb ergebnislos. Aber es eröffnete sich der zuvor erwähnte zweite Nebenschauplatz des Krieges: Die Bretagne, eine mögliche neue Front im Krieg gegen Frankreich.

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Da gab es nämlich Erbfolgestreitigkeiten – was sonst. Nachdem Herzog Johann III. im April 1341 kinderlos gestorben war, erhoben Johann de Montfort, ein Sohn Arthurs II. aus dessen Ehe mit Jolande de Dreux, und Karl von Blois, der mit Johanna de Penthieve – einer Nichte des verstorbenen Herzogs – verheiratet war, gleichermaßen Ansprüche auf die bretonische Nachfolge. Da Karl die Unterstützung des Valois erhielt und Montfort in Nantes gefangen genommen wurde, intervenierte Edward aufgrund strategischer Überlegungen mit Truppenkontingenten, die im Juni 1342 zur Unterstützung der bedrängten Johanna entsendet wurden. Damit erreichte Edward immerhin eine Pattsituation zwischen den beiden Prätendenten. Unter Vermittlung des Papstes kam es im Januar 1343 zum Waffenstillstand, der die Teilung der Bretagne praktisch einfror.

Danach kehrte erst einmal Ruhe ein in dem Konflikt, es liefen ja die beiden Friedensverträge. Erst im Sommer 1346 durfte Edward III. wieder losschlagen, und Philippe VI. erwartete seinen Angriff.