[CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

AAR u.a. zu Spielen der Total War Reihe

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 17. Februar 2018 09:07

Edward III. ritt die Front seines Heeres ab. Der Tag war noch jung, aber für die englischen Soldaten hatte er bereits vor dem Morgengrauen begonnen. Der König hatte in aller Frühe gemeinsam mit seinem Sohn die heilige Messe besucht und dann sein Heer für die Schlacht geordnet. Auch die Krieger des Königs hatten das Sakrament empfangen und waren voller Kampfeslust bereit, dem Feind zu trotzen. Edward III. hatte den Ort für das bevorstehende Treffen mit Bedacht gewählt. Er positionierte das Heer am oberen Ende eines flachen Hanges mit dem Rücken zu einem Wald, auch an den Flanken vor Angriffen geschützt. Die Männer standen etwa 35 Höhenmeter über der Talsohle, aus der die Franzosen bei ihrem Angriff bergauf würden kommen müssen.

Die rechte Flanke des Heeres stand unter dem Befehl des Schwarzen Prinzen, dem der König erfahrene Veteranen zur Seite stellte. An der linken Flanke stand der Graf von Northampton und im etwas zurückgesetzten Zentrum der König selbst samt der Reserve. Die Engländer erwarteten ihren Feind zu Fuß, alles in allem rund 2.700 Schwertträger, 2.300 Spießknechte und 9.000 Bogenschützen. Die Späher hatten gemeldet, dass König Philippe mit seinem Heer seit den frühen Morgenstunden auf dem Weg hierher war. Edward wusste, über welche Straße die Franzosen eintreffen würden: Sobald sie den Wald von Crecy umrundet haben, würden sie die englischen Truppen auf dem flachen Hügel über sich sehen. Ihnen am nächsten wird die Abteilung des Schwarzen Prinzen stehen. Jedem im englischen Heer war klar, dass er damit die Hauptlast des Kampfes tragen musste. Wenn die französischen Ritter den Feind sehen, würden sie nicht zu halten sein, es entsprach ihrem Verständnis von Ehre, den verhassten Feind sofort anzugreifen. König Edward kalkulierte genau das ein. Die nacheinander eintreffenden Franzosen würden von den Marsch erschöpft sein und ihr Heer für den Angriff links umschwenken lassen müssen, was einige Unordnung verursachen würde. Gut für die Verteidiger. Die defensive Stellung auf dem Hügel war verstärkt worden. Soldaten hatten entlang der gesamten Front ein Stück hangabwärts Löcher gegraben und mit Gras verdeckt. Die erwartete Reiterattacke sollte eine böse Überraschung erleben. Die Ritter mussten nur den Köder schlucken.

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Im französischen Heer, das morgens aufgebrochen war nach Crecy, marschierten die fünftausend Armbrustschützen aus Genua vorneweg. Sie waren professionelle Soldaten, die mit ihren Waffen umzugehen wussten, kannten aber auch die Vorzüge der Langbögen in den Händen ihrer Gegner. Für den Marsch packten die Armbrustschützen ihre großen Schilde, die Pavisen, auf die Wagen im Tross des Heeres. Die Söldner würden ihre Ausrüstung ausgeteilt bekommen, wenn das französische Heer gegenüber dem der Engländer ihr Nachtlager aufschlagen würde, bevor es am nächsten Morgen zum Kampf kommen sollte. So dachten sie jedenfalls. Immerhin war es schon Nachmittag geworden und damit zu spät für eine Schlacht.

Als das französische Heer das Ende des Waldes zu ihrer Linken erreichten, lag vor ihnen das offene Feld bei Crecy. Und auf dem Hang zu ihrer Flanke erblickten die Männer gut sichtbar und herausfordernd das englische Heer. Dunkle Wolken ballten sich am Sommerhimmel zusammen, als sich unten in der Talsohle immer mehr französische Ritter sammelten. Ihre Banner flatterten im aufziehenden Wind, angesichts des verhassten Feindes gerieten sie in entschlossene Unruhe. Das Sonnenlicht nahm diese eigentümliche Färbung an, die ein Unwetter erwarten ließ. Immer wieder drängten Gruppen der französischen Ritter nach vorne, um ihre Pferde zum Angriff zu spornen. Aber die Heißsporne wurden von den erfahreneren Adeligen vorerst davon abgehalten. Den Angriff sollten die Genueser Armbrustschützen eröffnen. Langsam formierten sie sich zu einer langen Reihe, hinter ihnen eine große Zahl von Rittern.

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Spätestens jetzt merkte auch der letzte der Söldner, dass hier etwas gehörig schief ging. Sie waren es gewohnt, hinter ihren Pavesen den Kern einer Schlachtreihe zu bilden, ihre Stellung zu halten, abwechselnd mit den Kameraden aus der Deckung der Pavesen auf den Gegner zu schießen, zurückzutreten, die Armbrust zu spannen, einen neuen Bolzen aufzulegen und dann wieder vorzutreten und zu schießen. Sie waren es gewohnt, von professioneller, gut geschulter und disziplinierter Kavallerie unterstützt zu werden. In Italien war Krieg die Sache von gut bezahlten Profis, in deren Ausbildung und Ausrüstung viel Zeit und Geld investiert worden war. Die kampfbegierigen französischen Ritter hinter ihnen mit ihren bunten Wappenröcken über den schimmernden Rüstungen, ihren Lanzen mit den flatternden Wimpeln und ihren unruhigen, stampfenden und schnaubenden Schlachtrössern flößten ihnen wenig Vertrauen ein. Die Männer waren wie vom Schlag gerührt: Die Pavisen waren mit den schweren Rüstungen und der Munition auf den Wagen geblieben – und die befanden sich irgendwo hinten in dem langen Heerwurm, der sich über die Straße nach Crecy wälzte. Jetzt wurde ihnen klar, dass sie den Angriff ohne Deckung führen sollten, schutzlos den feindlichen Geschossen ausgesetzt.

Den französischen Kommandeuren war das egal, sie kannten sich nicht mit der Kampfweise dieser Söldner aus und sahen in ihnen sowieso nur niederes Fußvolk, das bestenfalls zur Unterstützung der Ritter, der eigentlichen Träger des Kampfes, zu dienen hatte. Genau diese Aufgabe sollten die Söldner nun erfüllen: Mit einigen gut gezielten Salven die Reihen der Engländer aufreißen, damit die Kavallerie hinein preschen konnte. Einige Kommandeure warnten den König, mit dem Angriff lieber bis zum nächsten Tag zu warten. Von hinten drängten immer mehr Soldaten auf das Feld, das französische Heer war in ziemlicher Unordnung. Doch die heißblütigen Adeligen setzten sich mit ihrer Auffassung durch: Angriff auf den verhassten Feind, sofort! König Philippe, dem angesichts der Engländer selbst die Schläfen vor Hass pochten, gab dem Drängen nach und befahl den Angriff. Wer wollte jetzt auch als Zauderer vor dem Feind dastehen?

Trommeln und Trompeten hallten über das Schlachtfeld, Befehle wurden gebrüllt und die Schlachtreihe entlang wiederholt. Mit martialischem Kriegsgeschrei setzten sich die genuesischen Armbrustschützen in Bewegung, hinter ihnen drängten die Ritter. Da zerriss ein Blitz die unheimliche Szenerie, sofort darauf ließ ein furchtbarer Donner die Erde erzittern. Alle Schleusen des Himmels öffneten sich, der erste Regen seit sechs Wochen peitschte den Soldaten ins Gesicht. In Strömen ergoss sich das Wasser, durchtränkte die Rüstungen der Männer, und ihre Stofflagen und die Sehnen ihrer Armbrüste saugten sich voll. Innerhalb weniger Minuten fand sich auf dem Schlachtfeld kein Stück Stoff mehr, das nicht an seinem Träger klebte, keine Fahne, die nicht schlaff an ihrer Stange hing, der Ackerboden unter den Füßen der Männer und den Hufen der Pferde verwandelte sich in schmierigen Schlamm. Die Langbogenschützen hingegen hatten ihre Pfeile und Sehnen in einer leinernen Hülle eingewickelt und geschützt.

Das Unwetter endete so abrupt, wie es begonnen hatte. Die Strahlen der Abendsonne lösten die Reste der Gewitterwolken auf und bohrten sich in die Augen der Franzosen und ihrer Verbündeten. Gegen die tiefstehende Sonne und durch den vom Boden aufsteigenden Wasserdampf konnten die Angreifer ihre Gegner nur schemenhaft erkennen. Dreimal stoppten die vorrückenden Armbrustschützen, um sich zu justieren und dann mit gellendem Kriegsschrei weiterzumarschieren. Doch die Engländer rührten sich nicht. Als die Genueser auf 250 Meter am Feind waren, hatten sie sichere Schussweite erreicht. Befehle gellten, die Söldner stoppten und erhoben ihre Waffen. Eine Salve von Tausenden Bolzen schwirrten durch die Luft, um den Feind zu zerreißen. Und dann geschah das Undenkbare.

Die Salve war zu kurz, die Geschosse verfehlten ihr Ziel! Die durchweichten Sehnen hatten an Spannkraft verloren, vielleicht hatten die Schützen auch den leichten Anstieg des Geländes falsch eingeschätzt und nicht hoch genug gehalten. Die zweite Salve würde nicht mehr daneben gehen. Mit geübten Fuß stellte ein jeder Söldner seinen Fuß in den Steigbügel der Armbrust, hakte die Sehne ein und machte sich ans Nachladen der Waffe. In diesem Moment erhielten sie stechende Schläge auf ihre Köpfe, Rücken, auf ihre Arme und Beine. Die Engländer schossen zurück. Von einem Moment auf den anderen brach Chaos in den Reihen der Genuesen aus. Pfeile bohrten sich in das ungeschützte Fleisch der Männer. Schon folgte die zweite Salve vom Hügel, die trainierten Langbogenschützen konnten innerhalb von sechs Sekunden den nächsten Pfeil losschicken. Unter diesem Hagel konnten die Armbrustschützen nicht nachladen, nicht zurückfeuern. Ihre Formation brach zusammen, die Männer strömten nach hinten in Sicherheit, außerhalb der Reichweite der Langbogenschützen.

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Hinter ihnen standen aber die französischen Ritter, die sie genau daran hinderten. Empört über die Feigheit der Söldner - vielleicht waren sie ja sogar Verräter – gaben die Ritter ihren Pferden die Sporen und stürmten in und durch das Knäuel von Armbrustschützen, ohne Rücksicht auf Verluste. Jetzt war das Chaos perfekt. Die Ritter wollten so schnell wie möglich an den Feind kommen und trampelten die Armbrustschützen einfach nieder. Manche versuchten sich zu wehren und feuerten auf die Franzosen. Getroffene Pferde gingen durch und begruben Fußsoldaten unter sich.

Oben auf dem Hügel beobachteten die Engländer, wie die Reihen der Armbrustschützen sich auflösten und welche Unordnung in der Schlachtreihe herrschte. Aber das würde nur vorläufig sein, der Angriff der schweren Reiterei stand bevor. Vor dem Zentrum, in dem sich der König befand, stand der Waffenmeister mit seinen Männern. Er fühlte die neugierigen Blicke im Nacken, die ihm und seiner Waffe galten. Unter großer Geheimhaltung war vom Waffenmeister hierher transportiert worden. Eine solche Waffe war nach seinem Wissen noch nie zuvor in einer Schlacht auf dem offenen Feld eingesetzt worden. Der Waffenmeister warf einen letzten Blick auf die feindliche Schlachtreihe, dann hielt er die Lunte an das Loch an der Oberseite des Metallrohres, das auf einem kräftigen Gestell aus Holz montiert war. Das Rohr bäumte sich auf, und ein hallender Donnerschlag übertönte jedes andere Geräusch. Es war vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte Europas, dass der Donner einer Kanone auf einem Schlachtfeld ertönte. Ein neue Ära der Kriegsführung war angebrochen.

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Nach dem Schuss hieß es warten, der Feuertopf war glühend heiß. Das schwarze Donnerkraut hatte bei der Verbrennung gewaltige Temperaturen entwickelt. Bis zum Nachladen für den nächsten Schuss mussten der Waffenmeister und seine Männer abwarten, bis der Feuertopf sich wieder abgekühlt hatte. Zeit, in der die französischen Ritter voller Angriffslust auf die Reihen der Engländer hinauf galoppierten. Diszipliniert warteten die Langbogenschützen ab, bis die Reiter nahe genug waren und gaben ihre Salven in direkter Schussbahn auf sie ab. Sie verwendeten jetzt anders geformte Pfeilspitzen, extra geeignet zum Durchschlagen von Panzerungen. Viele der Pferde und Ritter stürzten tödlich getroffen zu Boden. Andere ritten in die getarnten Gruben, die sich vor den Reihen der Engländer befanden, und kamen in ihren schweren Rüstungen zu Fall. Wieder erfasste ein Pfeilhagel diese Männer, die Attacke brach endgültig zusammen. Später erzählte man, der Graf von Alcenon, der diese erste Attacke angeführt hatte, sei noch in die Reihen der Engländer eingebrochen und habe das Banner des Prince of Wales berührt, bevor er niedergehauen wurde. Wahrscheinlich nur ein heldenhafter Mythos, der seine Ehre und die Frankreichs bewahren sollte.

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Eine zweite, dritte, und weitere Wellen von Ritterangriffen folgten. Die Franzosen attackierten unverdrossen, ihre Ehre stand auf dem Spiel. Unter großen Verlusten erreichten sie endlich die Reihen der Engländer und trieben die Langbogenschützen nach hinten, wo diese Schutz hinter den Spießknechten und Schwertträgern suchten. Der Nahkampf war nicht die Aufgabe der Bogenschützen. Gleichwohl feuerten sie von hinten weiter, im Bogen über die Köpfe ihrer Kameraden hinweg, in die Masse der angreifenden Franzosen hinein.

Der Mann im Gefolge des böhmischen Königs konnte von seiner Position aus gegen das Licht der tiefstehenden Sonne nicht erkennen, ob es die Abteilung des Grafen von Alcencon bis in den Nahkampf geschafft hatte oder ob der Pfeilsturm zu heftig für die französischen Ritter war. Dass der Graf in Schwierigkeiten steckte, war jedoch offensichtlich, denn seine Leute zogen sich zurück. Viele der Reiter, die den Hang herunterkamen, waren verwundet. Mit seinen fast blinden Augen konnte König Johann nicht erkennen, was vor sich ging, aber die Berichte seines Gefolgsmanns ließen ihn den für einen Ritter einzig möglichen Entschluss fassen: Nachsetzen, den Angriff zu Ende bringen, die Feinde vernichten. Einige Berater bedrängten Johann, das Schlachtfeld zu verlassen, aber für den Veteranen zahlreicher Kämpfe kam das nicht in Frage. Und vielleicht trieb den alten König der Gedanke an einen heldenhaften Tod. Er sagte zu seinen Begleitern: „Ich ersuche Euch ganz besonders, mich so weit nach vorne zu führen, dass ich einen Schwertstreich führen kann.“ Sie folgten dem Wunsch ihres Königs und verbanden die Zügel ihrer Pferde mit dem seinen. So führten sie den alten, fast blinden Krieger in die Schlacht, während über ihm die Löwenbanner von Böhmen und von Luxemburg in der Abendsonne flatterten. Der Schlachtruf „Prag!“ ertönte, und die Reiter setzten sich gemeinsam mit ihrer Abteilung in Bewegung, zum Angriff. Der König wurde nicht mehr lebend gesehen.

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Auf der rechten Flanke der englischen Aufstellung war inzwischen ein harter Nahkampf ausgebrochen, die Franzosen hatten endlich unter riesigen Verlusten die gegnerischen Reihen erreicht. Dort, wo der Schwarze Prinz kämpfte, war das Getümmel am größten. Minutenlang war das Banner des Prinzen nicht zu sehen und man musste schon das schlimmste befürchten. Denn mit dem Thronfolger stand und fiel das Schicksal der Flanke, vielleicht sogar des ganzen englischen Heeres. Er war das wichtigste Ziel für jeden Angreifer. Ihn gefangen zu nehmen, würde Ehre und Ruhm und viel Lösegeld bringen. König Edward hatte seinem 16jährigen Sohn viel Verantwortung übertragen und ihn so auf den militärischen Prüfstand gestellt. Die Stellung des Prinzen war so hart umkämpft, dass ein Bote von dieser Flanke zum König kam und ihm keuchend den Hilferuf nach Verstärkung überbrachte. Aber der König wusste, dass die militärische Führerschaft des Prinzen auch in Zukunft in Frage gestellt werden würde, wenn er heute versagt: „Bote, kehrt zurück zu ihm und jenen, die Euch her gesandt haben. Sagt ihnen, sie sollen nicht nach mir schicken, bis nicht alle Gefahr vorüber ist, so lange mein Sohn am Leben ist. Und sagt ihnen auch, dass sie erlauben sollen, dass er sich heute seine Sporen verdient. Denn wenn es Gott gefällt, soll dies sein Weg sein, und er und die, die bei ihm sind, sollen den Ruhm haben.“ Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht im Heer, dass der König das Leben seines eigenen Sohnes ebenso in Waagschale warf wie die der geringen Krieger. Der Kampfgeist der Männer schwoll ins Unermessliche.

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Eine Weile noch ließ König Edward seinen Sohn noch „gewähren“. Als sich die französischen Ritter müde gekämpft hatten und im andauernden Pfeilhagel der Langbögen nur wenig Verstärkung den Hügel hinauf nachfolgen konnte, befahl der Edward III. den Angriff seiner Reserve, die die Gegner von der Seite attackierten. Das war die Entscheidung.

Der Mond, der schon bei Sonnenuntergang am Himmel stand, beleuchtete mit seinem gespenstisch fahlen Licht den flachen Hang, der vom Heer König Philipps zu den Schlachtreihen der Engländer hinaufführte. Von da, wo die äußerste Reichweite der englischen Bogen begann, bis unmittelbar vor die Füße der Feinde war der Boden mit den Körpern von Menschen und Pferden übersät. Die Pfeile und die Geschosse der Feuertöpfe hatten die Blüte des französischen Adels niedergestreckt. Fünfzehn, sechzehn Mal hatten sich die Ritter und Fußtruppen gesammelt und den Hang aufwärts angegriffen. Jedes Mal waren sie von einem Pfeilsturm empfangen worden. Die wenigen, die es geschafft hatten, hier durchzukommen, waren von den Schwertern und Spießen der Engländer blutig zurückgewiesen worden. Jede Angriffswelle hatte Tote und Verwundete auf dem Feld zurückgelassen, durch die sich die nächste Angriffswelle ihren Weg bahnen musste. Zuletzt war kein nachhaltiger Angriff mehr möglich. Die Überlebenden, denen das Entkommen aus diesem Gemetzel gelungen war, brachten furchtbare Nachrichten. Der Graf von Alencon, der Bruder des Königs, und der Graf von Flandern waren in der ersten Angriffswelle gefallen. König Johann von Böhmen hatte sein Leben bei dem zweiten Angriff gelassen. Die Grafen von Harcourt, von Auxerre und viele andere der Edelsten Frankreichs waren tot. Tot waren auch ungezählte Reisige und Söldner, deren Schilde kein eigenes Wappen trugen.

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Der nächtliche Winde strich über das Schlachtfeld und trug den Geruch von Tod mit sich. Edward III. ließ jetzt die Windmühle, die während des Tages in seinem Rücken gestanden hatte, anzünden. Im Feuerschein setzte sich das englische Heer, das über Stunden den Hügel gegen jeden Angriff gehalten hatte, in Bewegung. Edwards Ritter, die bisher zu Fuß gekämpft hatten, saßen auf und griffen an. Denn weiter unten trafen noch immer (!) weitere Soldaten des langgezogenen französischen Heeres am Schauplatz ein. Und im französischen Heer befand sich immerhin kein Geringerer als König Philippe. Wer sich noch auf dem Hang befand, wurde von den Engländern niedergeritten. Augenblicke später entbrannte ein wilder Kampf um die Stellung des französischen Königs, das Lilienbanner fiel in die Hände der Engländer, der Bannerträger wurde getötet. Zwei Pferde wurden unter König Philippe getötet, ein Pfeil verletzte seine Wange. Graf Johann von Hennegau, der lebend von seinem Angriff mit König Johann zurückgekehrt war, ergriff die Zügel des Königs und rief ihm zu: „Mein König, zieht Euch zurück, denn es ist Zeit. Gebt Euch nicht vorsätzlich auf, denn wenn Ihr dieses Mal verliert, werdet Ihr ein anderes Mal siegen.“ Dann führte er den König vom Schlachtfeld. Der Tag gehörte den Engländern.

Die Schlacht von Crecy in Medieval II Total War gespielt

Es war am übernächsten Tag, da Edward III. eine Messe zum Dank für den großen Sieg lesen ließ und seinen Sohn stolz in die Arme nahm. Der Folgetag der Schlacht hatte noch dem Niedermachen der versprengten Reste des französischen Heeres gegolten, dabei waren noch einmal tausende von französischen Fußsoldaten getötet worden, mehr noch als in der eigentlichen Schlacht. Wie viele Tote es unter den Franzosen gegeben hatte, konnte man nicht mehr zählen. Nur die Leichen der über 1.500 Vornehmen, die ein Wappen trugen, wurden identifiziert und begraben. Die Engländer hatten dagegen nur geringe Verluste, einige Hundert. Zwischen den Massen von Toten auf dem Hang entdeckten die königlichen Beamten auch den Leichnam Johanns von Böhmen, neben denen seiner Begleiter. Ihre Pferde waren noch immer zusammengebunden. Der Körper des toten Königs wurde gewaschen und aufgebahrt, damit er in seine Heimat zurückgebracht werden konnte. Der junge Prince of Wales zeigte sich so tief beeindruckt vom Heldenmut des alten Blinden, dass er dessen Motto „Ich diene“ seinem eigenen Abzeichen hinzufügte. Bewegt hob der Schwarze Prinz den geflügelten Helm Johanns und sprach: „Hier liegt der Fürst der Ritterlichkeit, aber er stirbt nicht.“

Im französischen Heer hatte das Sterben noch kein Ende. Philippe VI. war durch die Niederlage so sehr in seiner Ehre getroffen, dass er nach seinem Eintreffen im sicheren Amiens zornig nach einem Sündenbock suchte. Für ihn waren die Genueser Söldner schuld an seinem Misserfolg und Philippe war überzeugt, dass sie von seinem Feind Edward bestochen worden waren, absichtlich daneben zu schießen. Die Verräter sollten gefangengesetzt und hingerichtet werden. Viele Genueser wurden getötet, bis sich der Zorn des Königs abgekühlt hatte.

Nach dem Sieg bei Crécy führte Edward III. sein Heer nach Calais, um durch die Eroberung dieser wichtigen Hafenstadt einen festen Punkt an der französischen Küste zu erlangen. Am 4. September 1346 begann er die Belagerung. Die Stadt wurde stark verteidigt und der Kommandant, Jean de Vienne, ein tapferer Ritter aus Burgund, wusste die Bürger zu kräftiger Verteidigung anzufeuern. Edward III. umgab die Stadt von der Landseite mit starken Verschanzungen, während eine zahlreiche Flotte den Hafen blockierte. Er glaubte, einen so festen und durch eine starke Besatzung verteidigten Ort nicht im Sturm nehmen zu können und wollte deshalb dessen Übergabe durch Aushungern der Einwohner erzwingen. Am 15. September entfernte der Kommandant von Calais daher 1700 Bürger aus Mangel an Lebensmitteln aus der Stadt; großmütig speiste Edward III. diese Personen und erlaubte ihnen den Durchgang durch das englische Lager. Nicht so gut erging es 500 Einwohnern, die bald darauf vertrieben wurden; sie kamen elend zwischen dem englischen Lager und der Stadt um.

Im Mai 1347 sammelte Philippe VI. ein starkes Heer, dem sich die gesamte Ritterschaft Frankreichs angeschlossen hatte. Auf 100.000 Mann wurde die numerische Stärke dieser Streitmacht angegeben, die sich in langsamen Märschen Calais näherte und dabei am 27. Juli Wissant erreichte. Allerdings machte das sumpfige Gelände der Umgebung direkte Angriffe auf die Belagerer schwierig. Philippe VI. konnte sich aber nur auf zwei Wegen den Engländern nähern, längs der Küste, die durch die gegnerische Flotte bedroht wurde, oder durch die Sümpfe über eine Brücke, wo die Engländer sich stark verschanzt hatten. Beides schien den Franzosen unmöglich, und es erging daher die Aufforderung an die Engländer, aus ihren Verschanzungen herauszukommen und in der Ebene in einer offenen Feldschlacht die Entscheidung zu suchen. Dieser Vorschlag wurde nicht angenommen, und Kardinäle, die daraufhin im Auftrag von Papst Clemens VI. zu vermitteln suchten, blieben bei ihren Bemühungen erfolglos. So zog Philippe VI. am 2. August 1347 unverrichteter Dinge von Wissant ab und entließ sein Heer. Mit dem Abmarsch der Armee verschwand auch die letzte Hoffnung der Belagerten, die schon elf Monate alle Beschwerden der Einschließung ihrer Stadt hatten ertragen müssen. Bei den englischen Belagerern hingegen flammte der Kampfgeist neu auf, als sie die Nachricht erhielten, dass der schottische König David II. bei Kämpfen in Nordengland gefangen genommen worden und im Tower von London eingekerkert worden war.

Jean de Vienne verlangte eine ehrenvolle Kapitulation; Edward III. bestand auf bedingungsloser Ergebung. Eine solche Einnahme der Stadt hätte Plünderungen und Zerstörung nach sich gezogen. Schließlich akzeptierte Edward III. die Kapitulation unter der Bedingung, dass sich die sechs vornehmsten Bürger der Stadt nur in einem Hemd bekleidet, den Strick um den Hals und die Schlüssel der Stadt und der Festung in der Hand ihm auslieferten. Am 4. August 1347 sollen diese Bürger freiwillig unter den genannten Bedingungen dem englischen König gegenübergetreten sein.

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Die sechs fielen vor Edward auf die Knie und baten ihn flehentlich um ihr Leben. Selbst die hartgesottenen Krieger im englischen Gefolge weinten bei diesem elenden Anblick. Trotz der demütigenden Kapitulation konnte nur die Bitte der schwangeren Königin Philippa von Hennegau Edward III. dazu bewegen, Gnade walten zu lassen. Er übergab ihr die sechs Geiseln, die wiederum von ihr freigelassen wurden. Sodann hielt er seinen Einzug in Calais mit der Härte eines Eroberers. Den Kommandanten und die Ritter behielt er in Gefangenschaft zurück, und alle Einwohner von Calais mussten die Stadt verlassen, in der sich daraufhin im Lauf der Zeit englische Handwerker und Kaufleute ansiedelten. Calais sollte ein fester Stützpunkt der Engländer auf dem Kontinent werden, und so kam es auch. Der Fall von Calais, die Zerstörung der normannischen Kanalhäfen und die Wegnahme oder Zerstörung von zahllosen französischen Schiffen schaltete für längere Zeit die Konkurrenz der englischen Kaufleute aus.

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Die englischen Truppen hatten auf dem Feldzug riesige Beute gemacht und heim geschleppt. Auch Edward III. hatte nun auf Jahre keine finanziellen Sorgen mehr. Zwar waren die Landgewinne überschaubar – außer Calais konnte sich keine englische Garnison auf Dauer halten – trotzdem war der Sieg für ihn großartig.

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Für Philippe VI. war der Waffenstillstand von September 1347 dagegen ein Desaster. Die Normandie war verwüstet, Armut und Hunger griffen um sich, der französische Handel war hart geschwächt. Für den König bedeutete das einen erheblichen Einschnitt bei den Steuereinnahmen. Philippe und seine Ritter waren ihrer heiligen Pflicht, das Land vor Feinden zu schützen, nicht nachgekommen. Erschwerend kam hinzu, dass die königlichen Ritter ausgerechnet von niedrig geborenen Bogenschützen besiegt worden waren. Wenn Adelige von Bauern besiegt werden konnten, blieb das nicht ohne Folgen für das soziale Gefüge, auf dem die mittelalterliche Gesellschaft ruhte. Es war Edward III. gewesen, der den Nutzen dieser vermeintlich minderwertigen Bogenschützen erkannt und bewusst eingesetzt hatte. Dem Valois Philippe hingegen galt der Spott der Engländer: „In den Zimmern bist Du ein Schmuck, in der Schlacht beinahe eine Jungfrau.“

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 22. Februar 2018 12:20

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Der Schwarze Tod

Anfang 1348 feierte König Edward seine Siege über die Franzosen mit einer beispiellosen Reihe festlicher Turniere in London und anderen Städten. Dabei ritten auch vornehme Gefangene auf, darunter der Herzog der Bretagne, der französische Oberbefehlshaber Graf von Eu, sowie König David II. von Schottland. Menschliche Kriegsbeute, die Edward durch die Vorführung zugleich ehrte und demütigte. Noch während der Feiern aber erreichten düstere Nachrichten vom Kontinent die Insel. Seeleute berichteten von einer rätselhaften Seuche, die sich von Italien über Südfrankreich nach Norden ausbreitete. Etliche Landstriche und Städte habe sie entvölkert.

Doch weder der König noch seine Berater begriffen das Ausmaß der heranziehenden Gefahr. Ihre Aufmerksamkeit galt dem nächsten, hoffentlich entscheidenden Feldzug gegen Paris. Um einen wertvollen Verbündeten zu gewinnen, sollte Edwards 14jährige Tochter Johanna den Thronfolger von Kastilien und Leon heiraten. Im Frühsommer 1348 schickte ihr Vater sie auf die Seereise nach Nordspanien.

Derweil kroch der Schwarze Tod auf das Reich zu: jener Feind, gegen den weder Langbögen noch Lanzen etwas auszurichten vermochten, kein Geld und kein Glaube. Mitte Juni 1348 machten an Englands Südküste zwei Schiffe aus Bordeaux fest, dem Zentrum von Edwards Besitz in Frankreich. Mehrere Matrosen waren krank und mussten von Bord getragen werden. Kurz darauf starben sie. Schon bald zeigten die ersten Einwohner der Hafenstadt ähnliche Symptome wie die betroffenen Seeleute: Dunkle Flecken bedeckten ihren Körper, an den Lenden und unter den Achseln wuchsen Geschwüre. Sie wurden von heftigem Fieber gequält, einige spuckten Blut. Nach wenigen Tagen starben sie.

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Etwa um die gleiche Zeit forderte die Seuche knapp 700 Kilometer entfernt weiter südlich ein Opfer von höchstem Rang: Prinzessin Johanna, die ihre beschwerliche Reise nach Kastilien kurzzeitig in Bordeaux unterbrochen hatte, starb auf einem Schloss außerhalb der Stadt. Edward III. war schockiert. War das eine Warnung von Gott? Auch einige seiner Bischöfe wurden unruhig, weil doch Gott den Engländern eben noch seine Gunst auf dem Schlachtfeld erwiesen hatte.

In den ersten Septembertagen 1348 tauchte die Krankheit auch außerhalb der südenglischen Hafenstadt auf und breitete sich in der Grafschaft Dorset aus. Über Land kam die Seuche im Durchschnitt mehrere Hundert Meter am Tag voran. Die Menschen begannen, die abgelegene Region lieber zu meiden. Entlang der Küste bewegte sich der Tod dagegen in größeren Sprüngen, denn Händler, Fischer und Schmuggler trugen ihn mit sich. Im August fand die Pest ein zweites Einfallstor, die Hafenstadt Bristol. Und von dort führte eine viel genutzte Straße direkt nach London.

Rund 80.000 Menschen lebten in der Stadt, kein anderer Hafen schlug so viel Rohstoffe und Fertigwaren um, keine Bürgerschaft genoss ähnliche Macht und Privilegien. Das kombinierte Vermögen der Londoner Kaufleute übertraf die Ressourcen der königlichen Schatzkammer bei weitem. Ihre Kredite hatten Edwards Siege ermöglicht, London war die Herzkammer Englands. Auf welchem Weg die Krankheit sich in die Metropole hereinstiehlt, ob über die Landstraße von Bristol oder über den Themsehafen, blieb ungewiss. Ohnehin ahnten ihre Übermittler nicht, dass sie den Tod in sich trugen – und die Flöhe in ihrer Kleidung ihn weitergaben, etwa wenn sich die Infizierten an einem Passanten vorbeischoben, einen Geschäftsfreund trafen, mit einer Prostituierten von der London Bridge schliefen. Die Ersten starben noch im Verborgenen, von verängstigten Angehörigen und Pensionsbetreibern verheimlicht. So kam es, dass der offene Ausbruch der Pest in der Hauptstadt im Herbst 1348 einer Explosion glich. Binnen Tagen zeigten Hunderte Menschen die schwarzen Male und starben elendig.

Der König hielt sich zu dieser Zeit in London auf, sondern in Sandwich an der Südostspitze Englands. Ungeachtet der Katastrophe beharrte er darauf, eine Armee gegen Frankreich zu führen. Erst Mitte November akzeptierte er, dass die auf beiden Seiten des Ärmelkanals grassierende Seuche keinen Heerzug zuließ. Widerwillig entließ der Monarch die Truppen und kehrte Anfang Dezember 1348 kurz nach London zurück, in den vergleichsweise abgeschirmten Tower. Zu Weihnachten reiste der Herrscher auf das Anwesen des Erzbischofs von Canterbury, um dort ein ausgelassenes Fest zu feiern. Nur langsam wurde Edward III. klar, dass die Pest mehr war als eine kurzfristige, ärgerliche Störung seiner Pläne. Am 1. Januar 1349 vertagte er das nach London einberufene Parlament auf April, denn nun ließ sich die Gefahr nicht mehr verdrängen. Edward zog sich mit seiner Familie auf ein Gut nördlich der Hauptstadt zurück, weg von dem Schwarzen Tod.

Wie Edward wusste kein Herrscher Europas Rat gegen die Epidemie. Der deutsche König Karl IV. musste seine Krönung in Aachen verschieben, weil sich ein Zug der Geißler in der Stadt befand. In Avignon schloss sich Papst Clemens VI. in seinem Palast ein, um zu überleben. Und in Frankreich kollabierte in der Folge der Pest die Verwaltung.

Im Frühjahr 1349 gewann Edward III. den Eindruck, dass die Pest abklingt. Zumindest fühlte er sich nun sicher henug, eine Anzahl Vasallen nach Schloss Windsor einzuladen und mit ihnen ein Turnier zu feiern, am Tag des heiligen Georg (23. April). Auf dem Turnier versammelte er erstmals die Mitglieder eines neuen, von ihm gestifteten Ritterordens zu Ehren des Kriegerpatrons. Bei der Zusammenkunft trug jeder Kämpfer um das gepanzerte Bein ein Hosenband, ein unter Adeligen verbreitetes modisches Accessoire, mit dem Motto des Ordens: „Schande über den, der übel davon denkt“ - vermutlich war damit Edwards Anspruch auf den französischen Thron gemeint. Immer noch behandelte der König die Pest wie eine lästige Unterbrechung seiner eigentlichen Bestimmung: auf dem Kontinent zurückzugewinnen, was seinen Vorfahren genommen wurde. Der Schwarze Tod wütete aber weiter. Wenige Tage nach dem Georgsfest erfasste sie auch den Palast von Westminster, vielleicht über einen Gerichtsboten, der aus einer vermeintlich noch nicht betroffenen Gegend kam und unbedacht vorgelassen wurde. Etliche Schreiber erkrankten und starben. Auch Edwards Leibarzt erlag der Pest. Anschließend holte sich der Tod Revisoren, Juristen und Räte, am 20. Mai sogar den Kanzler John Ufford. Die Verwaltung in Westminster begann zu wanken, und mit ihm das Fundament des Staates.

Doch andere rückten nach. Jüngere erhielten Verantwortung, Veteranen wurden aus dem Ruhestand geholt. Zuweilen endeten in einem Kontenbuch die Einträge abrupt, nur um von einer anderen Handschrift fortgeführt zu werden. Wie viele auch starben: Die Überlebenden machten weiter mit Mut und Pflichtbewusstsein. Kanzlei, Schatzamt und der königliche Hof blieben in Betrieb. Das war wichtig für England, im Gegensatz zu Frankreich flossen die Steuereinnahmen weiter in die Kasse des Königs.

Derweil zog sich der Monarch erneut für mehrere Monate auf ein isoliertes Landgut zurück, nach Woodstock in der Grafschaft Oxford. Trieb Feigheit Edward aus London oder war es das Verantwortungsgefühl, sich als König nicht der Gefahr auszusetzen? Auf die politischen und sozialen Folgen des Massensterbens musste er aber reagieren. Millionen seiner Untertanen waren gestorben oder sollten noch umkommen, vermutlich jeder zweite (!) Engländer. Das beispiellose Drama eröffnete andererseits den Überlebenden unverhoffte Möglichkeiten, sich Land, Geld und Ämter der Verstorbenen anzueignen. Die verknappten Arbeitskräfte erkannten den plötzlich ihren gestiegenen Wert, sie verlangten bessere Löhne.

Gerade bei diesen Forderungen der einfachen Leute ging es für den König und seinen Fürsten um mehr als nur Geld. Wo kam man denn hin, wenn dem gemeinen Mann Forderungen zugestanden wurden? Derlei Anmaßung verletzte die göttliche Ordnung. Kirchenobere verurteilten die Lohnforderungen als Sünde: Denn zählten die Gier und der Stolz nicht zu den Ursachen, die eben erst das große Strafgericht der Pest heraufbeschworen hatten? Mitte 1349 stellte sich Edward III. hinter diese Auffassung der Besitzenden und ließ Arbeitszwang und Festlöhne gesetzlich vorschreiben. Diese Arbeitsordnung namens „Ordinance of labours“ charakterisierte den Herrscher: devot vor Gott, hart gegen das gemeine Volk, im Einklang mit den Besitzenden. Die Fürsten wussten ihren König dafür noch mehr zu schätzen.

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Und er machte damit offenbar alles richtig: Der Staat erholte sich schnell von der Katastrophe, der Adel war seit Edwards Thronbesteigung mit der Krone versöhnt, das Vertrauen des Parlaments gewonnen, ein ehrgeiziger Krieg glücklich geführt, ein robuster Staatsapparat geschaffen. Und die gottgefällige Ordnung wiederhergestellt. Binnen weniger Jahre waren die meisten Bauernhöfe neu besetzt, Handel und Gewerbe blühten wieder auf. Dazu trug wohl auch bei, dass die Pest England in einer Zeit getroffen hatte, in der das Land die Zahl seiner Einwohner kaum ernähren konnte, in der Hungernöte und Unterbeschäftigung um sich gegriffen hatten: Das große Sterben hatte diese Situation nun entschärft.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 1. März 2018 20:04

Die Schlacht von Poitiers

Nach dem Abklingen der Pest konnte sich Edward III. wieder seinem eigentlichen Projekt widmen, seinem Anspruch auf die französische Krone. Der Waffenstillstand von Crecy, der im September 1347 geschlossen worden war, sollte 1355 auslaufen. Zumindest in Paris war die Bereitschaft zu einer baldigen Wiederaufnahme des Kampfes nicht allzu ausgeprägt, denn am 22. August 1350 starb der König Philippe VI. im Alter von 57 Jahren.

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Sein 31jähriger Sohn Jean II. konnte ohne Schwierigkeiten die Nachfolge antreten und sich am 26. September in Reims zum König salben lassen.

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Er musste zusehen, sein nach den militärischen Niederlagen und durch die Pest darniederliegendes Land in seinem Sinne zu restrukturieren. Für einige in Frankreich hatte das zur Folge, dass ihr Kopf rollte, sobald Jean II. ihre Intrigen auffliegen ließ. Zur politischen Festigung gehörte aber auch, dass Jean seine Tochter Jeanne mit dem König von Navarra, Charles II., verheiratete, um diesen als Verbündeten zu gewinnen. Das war keine kluge Entscheidung.

Charles II. hatte von seinem Vater nicht nur das kleine Königreich Navarra in den Pyrenäen im Süden von Aquitanien geerbt, sondern auch die Grafschaft Evreux und andere wichtige ausgedehnte Gebiete in der Normandie. Er konnte damit ein wichtiger Verbündeter für Jean II. sein. Das Problem war, dass Charles sowohl über seinen Vater wie über seine Mutter mit dem französischen Königshaus verwandt war. Charles war davon überzeugt, dass er als Enkel Königs Louis X. auf dem Thron sitzen sollte und seine Hochzeit mit der zehnjährigen Jeanne Ende 1353 bestärkte ihn noch in dieser Meinung. Charles war absolut skrupellos, was die Wahl seiner Mittel anging. Von Ehrgeiz zerfressen, verfolgte er seine Ziele mit Verschlagenheit und schreckte vor keiner Grausamkeit zurück. Es war also kein Wunder, dass man ihn „le Mauvais“, den Bösen, nannte.

Immer wieder entbrannten Streitigkeiten zwischen Charles und Jean, bis dieser ihn schließlich im April 1356 wegen des Vorwurfs des Hochverrats festnehmen ließ. Der englische König blieb vor Ablauf des Waffenstillstands natürlich auch nicht untätig: Er schickte seinen Sohn John of Gaunt (der in Gent geborene) nach Avignon, wo dieser Verhandlungen mit Philip von Navarra führte, dem Bruder des inhaftierten Charles. Es ging um einen gemeinsamen Zangenangriff auf Frankreich in der Normandie sowie in Guyenne, wobei sogar eine Aufteilung Frankreichs geplant wurde.

Der Waffenstillstand zwischen England und Frankreich war bereits zum 1. Juni 1355 abgelaufen, und im Anschluss hatte Edward III. die Kampfhandlungen wiederaufgenommen. In jenem Sommer waren er und der Herzog von Lancaster in die Normandie eingedrungen, während der englische Thronfolger Edward von Aquitanien aus zum Plündern in südfranzösisches Gebiet marschierte. Da war der Aktionsradius noch eingeschränkt gewesen, denn von Navarra aus hätte Charles II. ja in Aquitanien einfallen können. Durch das Bündnis zwischen Edward III. und dem skrupellosen Schwiegersohn des französischen Königs hatte der Plantagenet jetzt, im Sommer 1356, den Rücken frei. Von Navarra aus drohte dem Prince of Wales keine Gefahr mehr für Aquitanien.

Edward, der Schwarze Prinz, war inzwischen groß gewachsen, kräftig, und hatte große Ähnlichkeit mit seinem königlichen Vater. Er war am 15. Juni 1330 auf Woodstock Palace in der Grafschaft Oxford geboren worden. Bereits im Alter von drei Jahren hatte ihn der König zum Grafen von Chester ernannt. Mit sechs machte ihn der König zum Duke of Cornwall, zum Herzog. Damit war Prinz Edward der erste englische Adelige überhaupt, dem dieser Titel eines Herzogs verliehen worden war. Im Jahr 1343 folgte seine Einsetzung als Prince of Wales und im Jahr 1346 schlug ihn König Edward bei der Landung in der Normandie zum Ritter.

Für manch einen Waliser in Edwards Heer hatte die Tatsache, dass ein englischer Prinz den Titel „Prince of Wales“ trägt, einen bitteren Beigeschmack. Diesen Titel hatte der walisische Fürst Llywelyn im Jahre 1267 anlässlich eines Friedensvertrages vom englischen König Henry III. verliehen bekommen. Die walisischen Fürstentümer waren unabhängig geblieben, bis Henrys Sohn Edward I. sich die Streitigkeiten ihrer Fürsten zu Nutze gemacht hatte und sie der englischen Krone unterwarf. Die Waliser leisteten jahrelang erbitterten Widerstand. Ihre Taktik der Hinterhalte und ihre langen Bögen lehrten die Engländer das Fürchten. Edward I. war ein pragmatischer Mann und warb daraufhin selbst walisische Bogenschützen für seine Heere an.

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Llywelyn fiel im Jahr 1282 in einer Schlacht. Um endlich Frieden zu bekommen, versprach Edward I. den Walisern, nur einen Fürsten zum Prince of Wales zu erheben, der in Wales geboren war und kein Wort Englisch sprach. Der Plantagenet hatte offenbar einen besonderen Sinn für Humor. Als neuen Prince of Wales präsentierte er den Walisern nämlich seinen Sohn Edward (II.), der auf Caernarfon Castle in Wales geboren war, und – da er noch in der Wiege lag – kein Wort Englisch sprach.

Im Jahre 1356 trug der Schwarze Prinz als Thronfolger Englands nun diesen Titel. Trotz seines Alters von inzwischen 26 Jahren war er immer noch unverheiratet, das war ungewöhnlich. In den großen Adelshäusern war es üblich, Ehen aus dynastischen und machtpolitischen Erwägungen schon im Kindesalter zu arrangieren. Es hieß, Prinz Edward sei seiner jungen Tante Joan von Kent zugetan gewesen, eine schöne, jedoch schon zweimal verheiratete Frau. Am Königshof fürchtete man um den Ruf des Thronfolgers, falls er sich mit ihr verbinden sollte. Das wäre nur nach dem Tod ihres derzeitigen Gatten Thomas Holland möglich gewesen. Der war aber ein wichtiger Gefolgsmann des Königs. Außerdem hätte die Ehe mit einer Engländerin den Verzicht auf ein Bündnis mit einem ausländischen Fürstenhaus bedeutet. Weil der Prinz ein starrsinniger Mann mit heftigem Gemüt war – typisch für einen Plantagenet – war es kaum denkbar, ihn gegen seinen Willen zu verheiraten.

1346 hatte der Schwarze Prinz sich in der Schlacht von Crecy seine Sporen verdient und sich als tapferer Kämpfer und Heerführer erwiesen. Crecy war auch dank seines Einsatzes zu einer Katastrophe für den französischen Adel und ihrem König Philippe VI. geworden. Mit dem Schwarzen Prinzen sollte es nun Philipps Sohn und Nachfolger Jean II. zu tun bekommen.

Wichtig war sicherlich, was die französischen Ritter aus dem Debakel von Crecy lernen sollten. Sie hatten sich in den Jahren danach, was ihre Strategie betraf, den veränderten Gegebenheiten noch nicht so weit angepasst wie ihre englischen Gegner. Ihr Verhalten war von einem romantischen Ritterideal geprägt, dem sie durch ihr zum Teil ungestümes und undiszipliniertes Verhalten gerecht zu werden trachteten. Kein Ritter durfte Furcht zeigen oder im Kampf hinter einem anderen zurück stehen. Oft genug sahen sie den frontalen Angriff als einzig wahre Möglichkeit für einen Ritter, einem Gegner zu begegnen. Taktieren oder auch nur das Abwägen taktischer Möglichkeiten sahen sie für gewöhnlich als Feigheit an.

Im Jahr 1351 gründete Jean II. nach dem Vorbild des englischen Hosenbandordens einen eigenen Ritterorden, den „Orden vom Stern“ mit einem weißen Stern auf rotem Grund als Zeichen ihrer Mitgliedschaft. Anders als der viel exklusivere englische Hosenbandorden hatte der Sternorden zahlreiche Mitglieder. Das war zum einen der größeren Zahl an Rittern in Frankreich geschuldet. Jean II. beabsichtigte aber auch, mittels des Ordens die militärische Kraft Frankreichs zu stärken und die Wiederholung des Desasters von Crecy zu verhindern. Den Mitgliedern des Ordens wurden nur Erfolge auf dem Schlachtfeld als Verdienst angerechnet, nicht jedoch solche auf Turnieren. Bei ihrer Aufnahme in den Orden schworen die Mitglieder, nie einem Feind aus Furcht den Rücken zu zeigen oder mehr als vier Schritte zurückzuweichen. Auch Jean II. selbst legte diesen Schwur ab.

Das hörte sich erst einmal nicht so an, als ob man was aus der Niederlage von 1346 gelernt hatte. Damals war ein um die andere Frontalattacke der berittenen Adeligen im Pfeilhagel der englischen Langbogenschützen niedergemacht worden. Diese hatten sich defensiv gut aufgestellt und wurden von Fußtruppen geschützt. In Frankreich betrachtete man insbesondere den Einsatz niedrig geborener Fußtruppen als Kerntruppe als würdelos. Der entscheidende Kampf musste den Adeligen vorbehalten bleiben. Andererseits hatte man die tödliche Effizienz der Bogenschützen kennengelernt. Man musste sie als Faktor auf dem Schlachtfeld also ausschalten. Dies sollten künftig Abteilungen übernehmen, die sich aus Armbrustschützen und Eliterittern zusammensetzten. Die Schützen sollten mit den Pavesen, großen Schildern, vorrücken. Die Pferde der Ritter erhielten einen besonders starken Kopf- und Brustpanzer, durch den die Pfeilspitzen der Engländer nicht durchdringen konnten. Diese Abteilungen sollten auf dem Schlachtfeld die Aufgabe übernehmen, die Langbogenschützen zu vertreiben, bevor der eigentliche Angriff beginnt. Bestimmt war es für die französischen Elite-Ritter eine wenig attraktive Aufgabe. Der Kampf gegen andere noble Ritter war es, der Ehre brachte, und den sie anstrebten. Aber sie wussten um die Notwendigkeit, sich um die gefährlichen Fußtruppen zu kümmern.

Die Engländer wollten den Sommer 1356 nun dazu nutzen, sogenannte Chevauchées in Frankreich durchzuführen. Das waren im Grunde nichts anderes als Raubzüge. Mit zügigem Tempo, damit das feindliche Heer einen nicht stellen konnte, zog man durch die Lande des Gegners und verwüstete alles, was greifbar war.

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Was man nicht mitnehmen konnte, zerstörte man. Befestigte Städte und Burgen ließ man dabei links liegen. Denn man zog ohne schweres Belagerungsgerät, das einen nur ausgebremst hätte, los und verzichtete auf lange Belagerungen. Der Schwarze Prinz sollte von Aquitanien aus starten, im Norden sollten zugleich König Edward von Calais aus, und der Herzog von Lancaster von der Bretagne aus in die Normandie einfallen.

Jean II. wusste, dass die Engländer die Jahreszeit wieder nutzen würden, sein Land zu überfallen. Er berief die Vertreter der drei Stände – Klerus, Adel und Bürger – zur Generalversammlung ein und ließ sich die nötigen Mittel bewilligen, um eine Armee von 30.000 Mann aufzustellen. Es war übrigens das erste Mal, dass Frankreichs König dem bürgerlichen Stand politische Zugeständnisse machen musste, ein Zeichen für die ernste Lage. Mit dieser Heeresmacht von 30.000 Mann war Jean seinem Gegner mindestens ebenbürtig. Mehr noch: Die englischen Heere marschierten auf ihren Raubzügen zunächst getrennt, es bestand also die Chance, ihre Vereinigung zu unterbinden und sie getrennt zu schlagen. Jean II. machte sich auf die Fersen des Schwarzen Prinzen, der es in Südfrankreich arg trieb mit seinem Raubzug. Um das notwendige Marschtempo zu erzielen, teilte der französische König die Berittenen von den Fußtruppen ab und nahm die Verfolgung auf. Es folgte ein wochenlanges Katz- und Maus-Spiel, denn Prinz Edward musste sich zuerst mit dem Heer von Lancaster vereinen, bevor er den Franzosen gegenübertreten konnte. Doch Lancaster hing mit seinen Männern im Norden fest und konnte nicht zu ihm vorstoßen. Bei Poitiers klemmte sich das französische Heer im September 1356 zwischen Lancaster und den Prinzen und nahm Edward in die Zange. Bald war klar, dass Edwards Heer es nicht bis zum sicheren Bordeaux zurück schaffen würde. Er musste sich ohne die Verstärkungen aus dem Norden zur Schlacht stellen.

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Edward wählte den Ort des Zusammentreffens mit Bedacht aus, das Gelände sollte taktisch genutzt sein. Das englische Heer stellte sich nahe Poitiers bei einer alten Römerstraße namens Maupertius auf. Die Männer besetzten ein Plateau, mit einem Wald in ihrem Rücken. Vor sich befanden sich Hecken, eine Linie aus ineinander verschränkten Büschen und Unterholz, durch das es nur zwei Durchgänge gab, die ansonsten Bauern für ihre Karren nutzten. Das bot einen gewissen Schutz vor einem frontalen Reiterangriff der Franzosen. Edward stellte seine Truppen in einer Linie auf, im Zentrum die Schwert- und Spießträger, vor ihnen sowie an den Flanken die Bogenschützen. Die rechte Flanke wurde durch zusammengeschobene Wagen des Trosses geschützt, an der linken Flanke postierten sich die Bogenschützen im sumpfigen Boden eines nahen Baches. Der weiche Grund stellte sicher, dass schwere Reiter hier keine schnelle Attacke führen konnten. Edward selbst stand im Zentrum, bei sich eine Reserve zu Fuß sowie eine berittene Reserve. Alles in allem hatte der Prinz etwa acht- oder zehntausend Mann bei sich.

Es war der 18. September 1356, als sich aus dem gegenüberliegenden Wäldchen das Heer der Franzosen näherte. Die Engländer hielten bei dem Aufmarsch der Feinde den Atem an, ihre Zahl war doppelt so groß wie die der eigenen Reihen. Zahllose Ritter, Fußknechte und Schützen bezogen ihre Stellung auf dem Hügelkamm im Norden. Über den feindlichen Linien wehte ein unübersehbarer Wald von Bannern, darunter das des Königs Jean II. selbst. Für jedermann in diesem Tal deutlich erkennbar aber wehte über allen das blutrote Tuch der Oriflamme, die heilige Kriegsflagge Frankreichs. Unter ihr marschierte das Heer dann, wenn Frankreich oder die Christenheit in Gefahr schwebten. Der Kampf unter der Oriflamme bedeutete auch, dass keinem Feind Pardon gegeben wird.

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So nahmen die Heere ihre Aufstellungen ein. Einen Tag lang noch pendelte der Kardinal von Perigord zwischen den beiden Königen hin und her, um im letzten Augenblick einen Waffenstillstand zu vermitteln, aber er hatte damit keinen Erfolg. Anschließend schloss er sich mit seinen Truppen dem Heer der Franzosen an – was bei den Engländern für einiges Stirnrunzeln sorgte. Den Tag hatte das französische Heer genutzt, um sich geordnet aufzustellen. Nun waren die Männer bereit zum Zuschlagen. Mit dem Sonnenaufgang des nächsten Tages, dem 19. September 1356, endete der Waffenstillstand. Dann sollte das Töten beginnen und Jean II. wollte den Schwarzen Prinzen für alles büßen lassen, was dieser seinem Königreich angetan hatte.

Edward unternahm noch einen letzten Versuch, sein Heer kampflos vom Feld zu entfernen, der Tross sollte, hinter dem linken Flügel seiner Linie, heimlich die Straße nach Süden zum Abziehen verwenden. Doch in dem morastigen Grund steckten die beladenen Wagen rasch fest. Es blieb nur noch, zu Stehen und zu Kämpfen. Die Franzosen sahen die entstandene Lücke im linken englischen Flügel und eröffneten auf dieser Seite ihren Angriff. Ritter zu Pferde, vor sich Fußtruppen mit Armbrüsten bewaffnet, marschierten auf die Engländer zu. Ihre Aufgabe lag auf der Hand: Die Reiter sollten die Bogenschützen vom Schlachtfeld vertreiben. Zu diesem Zweck waren die Pferde, wie erwähnt, nach vorne hin besonders gut gepanzert. Auch die Armbrustschützen rückten umsichtiger als in Crecy vor, immer abgeschirmt von den Pavesenträgern, die mit Spieß und Schild die eigentlichen Schützen deckten. Die Reiter gewannen zunehmend an Geschwindigkeit und ließen die Armbrustschützen, die dem Tempo nicht folgen konnten, bald hinter sich zurück. Als die Ritter in die Reichweite der Bogenschützen kamen, feuerten diese ihre todbringenden Salven ab. Doch es lief anders als in Crecy: Dank der Panzerungen und dank der Schilde, die die Ritter zu ihrem Schutz vor sich hielten, prallten die Pfeile wirkungslos ab!

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Eine Schrecksekunde durchfuhr die Schützen, die die Reiter auf sich zu galoppieren sehen. Geistesgegenwärtig befahl der Graf von Oxford den Bogenschützen nach Westen auszuschwärmen, damit sie ein besseres Schussfeld hatten. Die Ritter passierten nun die Reihen der Schützen – und gaben die weniger gut gedeckten Flanken ihrer Rösser preis. Jetzt fanden die Pfeile ihre Opfer, getroffene Pferde gingen durch oder blieben wie erstarrt einfach stehen. Der Bann war gebrochen, die Ordnung wieder hergestellt – die Bogen beherrschten wieder das Geschehen. An dieser Flanke brach der Nahkampf aus zwischen den französischen Rittern und den englischen Fußtruppen. Von der Seite beharkten die Bogenschützen den Feind, selbst unter dem Feuer der Armbrustschützen.

Nun eröffnete Jean II. den Angriff in der Mitte. Hier konnten die englischen Bogenschützen nur frontal auf ihre Gegner feuern. Dafür mussten sich die französischen Truppen durch die engen Heckendurchgänge kämpfen, die natürlich von Edwards Soldaten verteidigt wurden. Ein blutiges Gemetzel um die Durchgänge entbrannte, über den Köpfen der Kombattanten flogen die Pfeile und Bolzen der Plänkler hin und her und trafen viele Männer. Zwei Stunden lang dauerte das Fechten schon an, es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis die in Unterzahl kämpfenden Engländer ermüden und den Durchgang freigeben mussten. Doch dann fiel ihnen das Banner des französischen Thronfolgers in die Hände, ein schwerer Schlag für die Moral seiner Soldaten. Sie drohten den Zusammenhalt zu verlieren und zogen sich geordnet zurück. Diszipliniert hielten sich die Engländer im Zentrum zurück und verzichteten auf eine Verfolgung. Ihre Schlachtreihe blieb geschlossen. Das war wichtig, die Engländer würden die Stellung an der Hecke auch so nicht mehr lange halten können.

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Dann aber geschah etwas Merkwürdiges: Eine ganze Abteilung des französischen Heeres zog vom Schlachtfeld ab, unter ihnen, erkennbar an den Bannern, der Dauphin Charles und ein weiterer Sohn des Königs. Offenbar wollte Jean II. sicherstellen, dass die beiden nicht in die Gefangenschaft der Feinde geraten, und schickte sie vom Feld. In den eigenen Reihen sorgte das für Verwirrung: Gab der König die Schlacht verloren? Jean II. selbst jedenfalls blieb, bei sich sein dritter Sohn Philipp. Die Hauptstreitmacht des Königs rückte nun ebenfalls im Zentrum vor und versuchte die Hecke zu überwinden. Die war ob der heftigen Kämpfe bereits so zerhauen, dass sie immer weniger ein Hindernis darstellte. Die Schlacht kam nun zu ihrem Höhepunkt, die Reihen der Engländer drohten zu wanken. Die Pfeile drohten allmählich auszugehen. Die müden und abgekämpften Soldaten wurden unruhig und drohten angesichts der überlegenen französischen Streitmacht die Nerven zu verlieren. Einer schrie in seiner Verzweiflung laut: „Wehe, wir sind geschlagen!“ Der Prince of Wales hörte das und rief zurück: „Du lügst, du Schurke, wenn du sagst, dass wir besiegt werden können, solange ich lebe!“ Edward hatte noch einen Trumpf im Ärmel.

Der englische Prinz hatte nämlich die kurze Pause, die die seltsamen Vorgänge bei den Franzosen seinem Heer gewährt hatten, genutzt. Er befahl seiner Reserve, auf die Pferde aufzusitzen und einen Gegenangriff vorzubereiten. Zweihundert Mann ritten um den rechten englischen Flügel (den mit den Wagensperren) herum und - durch eine Senke hinter einem Hügel vor Blicken geschützt – in den Rücken des französischen Heeres.

Im Zentrum des Schlachtfeldes brachen die Franzosen allmählich durch die Hecke durch und strebten das Plateau aufwärts. Hinter den ersten Reihen, in denen sich der hohe Adel des französischen Königreichs drängte, folgten die weniger noblen Kämpfer, die Reisigen und Spießknechte. Die Oriflamme und das Lilienbanner des französischen Königs zeigten, dass dessen Ziel der Prince of Wales war. Der Standort des Prinzen war durch dessen eigenes Banner für jedermann weithin kenntlich. Nur noch wenige Augenblicke, und die Elite der französischen Ritterschaft würde die letzten Reihen erreichen, die Edward noch schützten.

Doch dann kam das Zeichen! Auf dem nördlichen Hügel, der den Franzosen als Sammelplatz und Ausgangspunkt für ihren Angriff gedient hatte, wurde die Fahne des Heiligen Georg geschwenkt. Die zweihundert Reiter hatten das Schlachtfeld umrundet und waren so unbemerkt hinter die linke Flanke der Franzosen gelangt. Sie sahen die ernste Bedrängnis, in der sich der Schwarze Prinz befand und gaben rasch ihren Pferden die Sporen, drängten von hinten durch die Hecke und fielen über die Franzosen her. Die wurden von der Wucht des Angriff förmlich überrollt. Viele fielen, noch mehr flohen. Nun warf Edward von seiner Seite aus den Rest seiner Truppen in den Kampf und ließ seine Männer den Hügel hinabstürmen. Der Zeitpunkt des hinterrücks geführten Angriffs war absolut zum richtigen, zum rechtzeitigen Augenblick erfolgt!

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Viele französische Adelige fielen in dem Gedränge, andere flohen mit ihren Männern vom Feld. Das durch die vielen Verluste zusammengeschmolzene Bataille Jeans II. konnte dem Druck der Angreifer nicht mehr standhalten und wich zurück – in das Feuer der Bogenschützen, die nun von der linken Flanke aus dem Sumpf heraus vorrücken konnten. Damit war das Schicksal der mit dem König unter den Bannern der Lilie und der Oriflamme kämpfenden Männer besiegelt. Es gab kein Entkommen mehr. Am härtesten tobte der Kampf um die Position des Königs selbst, er war das begehrteste Ziel auf diesem Schlachtfeld. Die Feinde bedrängten ihn hart. Dann fiel Geoffroi de Charny, der Träger der heiligen Oriflamme. Mit ihm fiel das Kriegsbanner Frankreichs und die Moral und die Widerstandskraft der verbliebenen Krieger. Wer konnte, der floh.

Im Zentrum, um den von Feinden umringten König, kam Flucht nicht in Frage, sie mussten mit ihrem Herrscher stehen und untergehen. Kein französischer Ritter konnte es mit seiner Ehre vereinbaren, sich im Angesicht ihres noch immer kämpfenden Königs zu ergeben. Hier zeigte sich unmittelbar die Folge des Schwurs, den Jean II. als Mitglied des Sternordens geleistet hatte: Unter keinen Umständen vor dem Feind zu weichen und vom Schlachtfeld zu fliehen. Englische Soldaten drängten sich um Jean II. und seine immer weniger werdenden Getreuen. Jeder von ihnen wollte als derjenige in die Geschichte eingehen, der den französischen König gefangen genommen hat. Denn es war nicht üblich, einen adeligen Gegner niederzumachen, dafür war das Lösegeld, das ein solcher Gefangener einbrachte, zu wertvoll. Für den gemeinen Kämpfer, den kein Wappenrock als eine lohnenswerte Geisel auswies, bedeutete das andererseits, dass er nicht auf Schonung hoffen durfte. Der König hingegen versprach ein unermessliches Lösegeld, das wusste jeder Engländer, und sie riefen Jean II. zu: „Sire, ergebt Euch, sonst seid Ihr tot.“

Ein junger Ritter namens Denis de Morbeke drängte sich zum König vor und versprach ihm, ihn zu König Edward III. zu führen, wenn er sich ihm ergeben würde. Da reichte Jean ihm zum Zeichen seiner Aufgabe seinen rechten Handschuh. Um den Glücklichen herum entbrannte zwischen zehn Engländern ein derart bedrohlicher Streit um die Person des Valois, dass dieser seine Feinde beschwichtigen musste: „Ihr Herren, streitet nicht, führt mich höflich – und meinen Sohn – zu meinem Cousin, dem Prinzen, und streitet nicht über meine Gefangennahme, denn ich bin ein so großer Her, dass ich Euch alle reich machen kann.“ Zwei hohe Herren aus dem Gefolge des Prinzen kamen angeritten und nahmen Jean mit sich, um ihn zu Edward zu bringen.

Die Schlacht war damit endgültig zu Ende, überall ertönte das Siegesgeschrei der Engländer und ihrer Verbündeten aus Aquitanien. Sie konnten jetzt losziehen, um Jagd auf Fliehende zu machen: Um die wertvollen Adeligen gefangen zu nehmen und die Einfachen zu töten und auszuplündern. Kein Wunder, dass die gewöhnlichen Fußtruppen bei einer sich abzeichnenden Niederlage das Weite suchten. Die Gefangenen waren verpflichtet, nicht zu fliehen, sondern den Anordnungen des Siegers zu folgen und ihn zu unterstützen. Ein adeliger Herr, der sich ergab, konnte erwarten, standesgemäß behandelt zu werden und nach der Schlacht freigelassen zu werden, wenn er sein Ehrenwort gab, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort zu erscheinen. Für einen Ritter war es undenkbar, das einem anderen Ritter gegebene Wort zu brechen.

Jean II. wurde in das Zelt des Prinzen, zu Edward, gebracht. Der Prinz grüßte den französischen König untertänig und ließ ihm Wein und Essen bringen, das er seinem Gefangenen selbst aufwartete. Dem Anführer der entscheidenden Reitertruppe, Sir James Audley, umarmte Edward herzlich und belohnte ihn mit einer lebenslangen Rente von 500 Goldstücken jährlich aus seinem persönlichen Erbgut. Später erfuhr Edward davon, dass Audley sein Einkommen an vier Knappen weitergegeben hatte, die in Poitiers mit ihm gekämpft hatten. Der Schwarze Prinz war von dieser noblen Geste so beeindruckt, dass er Sir Audley eine weitere Rente von 600 Goldstücken zukommen ließ.

Am Abend nach der Schlacht beleuchteten Fackeln das englische Lager. Das Schlachtfeld war „geräumt“, es drohte keine Gefahr mehr für die Engländer. In seinem Zelt bewirtete Edward den französischen König, dessen jüngsten Sohn und die vornehmsten unter den gefangenen Adeligen. Aus dem Zelt drangen gedämpfte Stimmen. Die Gäste hatten keinen Grund zum Jubeln und der Gastgeber war höflich genug, sie seinen Triumph nicht fühlen zu lassen. Der Prinz wartete dem König eigenhändig auf und weigerte sich, selbst an dessen Tafel Platz zu nehmen, sooft dieser auch dazu aufforderte. Er erklärte, er sei nicht würdig, mit einem so großen Fürsten wie dem König am selben Tisch zu sitzen. Er würdigte die Tapferkeit des französischen Königs, der alle Krieger seines Heeres an Mut übertroffen habe. Das Festgelage kam dem Prince of Wales billig, denn alles, was er seinen Gästen bot, stammte aus deren eigenem Lager. Seine Männer hatten es mittlerweile besetzt und geplündert.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 18. März 2018 07:54

Ein König in Ketten

Der Sieg der Engländer war großartig. Bei geringen eigenen Verlusten hatten sie den Gegner klar geschlagen und ihren König in ihre Gewalt gebracht. Jean II. wurde zunächst nach Bordeaux gebracht, im April 1357 nach London, wo ihn Edward III. ehrenvoll behandelte und mit höfischen Vergnügungen unterhielt. Militärisch war Frankreich geschlagen, sein König ein wertvoller Faustpfand für die nun anstehenden Friedensverhandlungen. Neben Jean hatte Edward III. ja auch noch den schottischen König David in seiner Hand.

Anders die Lage beim Gegner: Die erneute Niederlage blieb in Frankreich nicht ohne Folgen, wieder hatte der Adel bei der Verteidigung des Landes versagt. Der Vorwurf der Unfähigkeit und vor allem der Feigheit führte zu einer schweren Krise. In Paris musste Jeans Sohn Charles (V.) die Regierung übernehmen und sah sich argen Problemen gegenüber: Der eigene Adel sammelte sich um den hinterlistigen Charles von Navarra, die Bürger um den Prevot (Vorsteher der Kaufmannsgilde) Etienne Marcel. Im Frühjahr 1358 griffen dann auch noch die Bauern zu den Waffen, verbündeten sich mit den Bürgern, und der Dauphin musste aus Paris fliehen. Der Bauernaufstand wurde für ihn zum unverhofften Glücksfall, denn die Bauern richteten ihren Zorn nicht gegen die Krone, sondern gegen den Adel. Der bedrängte Adel suchte rasch den Schulterschluss zum Dauphin, mit vereinten Kräften vernichtete man die Bauernrevolte. Ihr Untergang drehte auch in Paris die Stimmung, und Etienne Marcel wurde bei Unruhen in der Stadt erschlagen. Charles V. ging letztlich gestärkt aus dieser Krise hervor.

Edward III. konnte seinen Sieg von 1356 nun politisch ummünzen. Der Schotte David II. durfte gegen ein enormes Lösegeld und Gestellung von Geiseln nach Hause zurückkehren. Zu zahlen hatte er 100.000 Mark binnen zehn Jahren, was noch seine finanziellen Kräfte übersteigen sollte. David II. griff zum bewährten Mittel der Steuererhöhungen, was die Clanführer auf die Barrikaden rief und 1371 schließlich zum Ende seiner Dynastie führte: Mit David II. starb der letzte Bruce auf dem schottischen Thron, und mit Robert II. Steward (=Stuart) folgte eine neues Geschlecht, das Schottland bis 1702 beherrschen sollte.

Komplizierter waren die Verhandlungen Edwards mit Frankreich. Jean selbst war bereit, für seine Freilassung so ziemlich jeden Preis zu bezahlen. In Paris sah man das anders. Sollte man wirklich auf ganz Aquitanien, Poitou und weitere Gebiete förmlich verzichten und für den König auch noch vier Millionen Ecus Lösegeld bezahlen? Die zwischenzeitlichen Unruhen in Frankreich nutzte Edward, um auf seine Weise Druck auszuüben und den Preis weiter hochzutreiben. Er zog mit einem Heer nach Frankreich bis vor die alte Krönungsstadt Reims, wo er sich wohl die französische Krone aufsetzen lassen wollte. Charles V. igelte sich in den Städten ein und überließ den Engländern das offene Land. Wegen des Winters musste Edward sowohl von Reims als auch von Paris ergebnislos abziehen, aber die Machtdemonstration zeigte Wirkung. Am Ende stand der Friedensvertrag vom Mai 1360: Für seinen förmlichen Verzicht auf den französischen Thron bekam er eine ansehnliche Gegenleistung.

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Edward musste für Aquitanien (auch Guyenne genannt) keinen Lehnseid mehr leisten, es gehörte ihm. Frankreich verzichtete sozusagen auf ihren „Core“ in diesen Provinzen, Dazu bekam Edward III. die Souveränität über die Gascogne und Poitou, Tourraine, Anjou, Maine, Ponthieu, Guines und die Normandie. Auch die Hoheit über das bereits 1347 eroberte Calais bekam er zugesprochen.

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Für die Freilassung von Jean II. wurden drei Millionen Ecus fällig, nach Zahlung der ersten Rate durfte der Valois nach Hause zurückkehren. Kurioserweise war Jean II. bald darauf gezwungen, sich wieder als Geisel in London einzufinden. Sein zweitältester Sohn Louis von Anjou brach nämlich sein ritterliches Ehrenwort, das er als Geisel der Engländer geleistet hatte und entzog sich der Gefangenschaft – angeblich musste er dringend zu einer Pilgerreise aufbrechen. Was für ein Eklat und ein Ehrverlust für das Haus Valois! König Jean II. konnte diese Schande nur heilen, indem er anstelle seines pflichtvergessenen Sohnes freiwillig zur neuerlichen Haft in London antrat. Jean kehrte nicht mehr in seine Heimat zurück: Er starb überraschend am 8. April 1364. Sein Rivale Edward übergab den Leichnam, damit Jean in würdiger Form in Saint-Denis bei Paris beigesetzt werden konnte. Tragisch, auch für den englischen König: Das schöne Lösegeld war hinfällig geworden.

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Ohne Probleme konnte nun der bisherige Dauphine Charles V. den französischen Thron besteigen. Beide Parteien waren zunächst darauf bedacht, ihre Position zu konsolidieren. Dass ein weiterer Waffengang kommen würde, war allen klar, vorerst war aber der Waffenstillstand einzuhalten und die Kräfte neu zu bündeln. Was also machen zwei Großmächte in solch einer Situation? Sie suchen sich einen Stellvertreterkonflikt. Der ergab sich in Kastilien, wegen seiner Flotte ein potentiell wichtiger Bündnispartner. In Kastilien stritten sich der junge König Peter I. (der Grausame) und sein illegitimer Halbbruder Heinrich von Trastamara um die Macht. Genau genommen gab es sogar sieben Halbbrüder, aber machen wir es hier nicht zu kompliziert. Dieser Peter war übrigens derjenige gewesen, den Edward III. 1348 als Gemahl für seine Tochter Joan ausgesucht hatte, die junge Dame war während der Reise nach Spanien, wie erwähnt, an der Pest gestorben.

Peter I. hatte 1353 einen folgenreichen Skandal verursacht, der ebenfalls mit einer Eheschließung zu tun hatte. Erst hatte er die Tochter des bourbonischen Herzogs Peter (der 1356 in der Schlacht bei Poitiers fiel) geheiratet – nur um diese wenige Tage später zu verstoßen und seine Geliebte zu heiraten. Das war Bigamie und erzürnte Papst, Klerus und einen guten Teil des Adels! Im Jahre 1356 erklärte ihm der König des benachbarten Aragon den Krieg – der hieß übrigens Peter IV., weshalb dieser Konflikt nicht nur hier in EU4 der „Krieg der Peter“ genannt wird. Mit Hilfe von Aragon konnte der Halbbruder Heinrich von Trastamara nach Kastilien zurückkehren, es entbrannte eine Art Bürgerkrieg. Als 1361 die verstoßene Braut, noch immer in Peters Haft, mit nur 22 Jahren starb, war der Vorwurf des Meuchelmordes natürlich schnell zur Hand. Man sprach davon, dass Peter I. seiner 22jährigen (Ex-) Frau einen Bogenschützen gesandt habe, es war auch von Gift die Rede. Kann auch sein, dass die Dame einfach an der Schwindsucht gestorben war. Die Empörung bei Peters Gegnern war jedenfalls riesig, Heinrichs Unterstützer wurden immer mehr. Schließlich musste sich Peter I. im Jahre 1366 aus Kastilien absetzen – und suchte Schutz beim Schwarzen Prinzen in Aquitanien.

Der Trastamara ließ sich in Burgos zu Heinrich II. von Kastilien krönen. Ein Bundesgenosse der Franzosen auf dem kastilischen Thron? Das war für England nicht gut. Prinz Edward marschierte Anfang 1367, gemeinsam mit seinem Bruder John of Gaunt, über Navarra nach Kastilien vor, die Truppen von Peter I. im Schlepptau. Bei einer Schlacht bewies der Plantagenet mal wieder seine militärischen Fähigkeiten, Heinrich II. wurde geschlagen und floh nach Frankreich. Nun saß der englandfreundliche Peter I. wieder auf dem Thron. Auf Dauer konnte Prinz Edward aber nicht als Schutzmacht dort bleiben, er erkrankte schwer und kehrte im September 1367 wieder nach Bordeaux zurück. Kaum waren die Engländer abgezogen, sah der Trastamara seine Chance für gekommen. Mit Unterstützung von Frankreich, Aragon und dem Segen des Papstes marschierte er wieder in Kastilien ein. Der Bürgerkrieg ging in die nächste Runde. In wechselvollen Kämpfen konnte Heinrich II. seinen Halbbruder nicht nur besiegen, er lockte ihn am 23. März 1369 in eine Falle und ermordete ihn eigenhändig.

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Der Kampf war entschieden – und damit kam es in Kastilien zu einem dauerhaften Dynastiewechsel, die Trastamara sind in EU4 die herrschende Familie in Kastilien. Die beiden Töchter des getöteten Peters flohen übrigens nach Aquitanien und wurden mit den jüngeren Brüdern (John of Gaunt und Edmund) des Schwarzen Prinzen verheiratet.

Für Prinz Edward war das Eingreifen in Kastilien letztlich ein ebenso teures wie erfolgloses Unternehmen geworden. Er musste – auch wegen seiner kostspieligen Hofhaltung in Bordeaux – zu ordentlichen Steuererhöhungen greifen, die seine Vasallen verbitterten. Die Wassersucht, unter der der Schwarze Prinz vermutlich litt, hatten ihn zu einem übellaunigen Despoten werden lassen. Die aquitanischen Adeligen erinnerten sich daran, dass sie doch irgendwie auch Gefolgsleute des französischen Königs waren und wandten sich mit ihren Beschwerden an Charles V. - und der betonte, dass er gegenüber den Engländern nicht so leutselig war wie sein Vater Jean. Charles holte sich bei französischen und italienischen Universitäten Auskunft ein, ob der Plantagenet mit seinem Verhalten gegen das Feudalrecht verstoßen habe. Die Gelehrten bejahten dies und bestärkten den französischen König in seiner Meinung, dass er für die entsprechende Anklage zuständig und berechtigt sei. Charles V. entschied sich für den Konflikt und lud den Schwarzen Prinzen vor ein Pariser Gericht. Wie erwartet wies Prinz Edward die Vorladung zurück, was dem Valois die Handhabe gab, Aquitanien für die französische Krone einzuziehen. Die unmittelbare Folge war, dass König Edward III. ihm 1369 den Krieg erklärte und wieder einmal seinen Anspruch auf den französischen Thron erhob. Es konnte also in die nächste Runde gehen.

Dieses Mal waren die Voraussetzungen für England ungleich schlechter als bei den früheren Waffengängen. Weder Edward III. noch sein Sohn waren auf diesen Krieg vorbereitet, sie beide waren aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht mehr zu einem guten Feldzug in der Lage. Die Strahlkraft des ritterlichen Königs bzw. Prinzen waren am Verblassen, in England hatte sich die Korruption vor allem der Ratsmitglieder zu einem ernsthaften Problem entwickelt. Ganz schlimm traf 1369 Edward III. der Tod seiner Ehefrau Philippa von Hennegau, im Jahr zuvor war bereits sein Sohn Lionel gestorben. Von da an war der König nur noch ein Schatten seiner selbst, er wandelte sich zu einem senilen Greis. Obwohl er seine Königin ständig betrogen hatte, schien Edward unfähig, ohne sie zu funktionieren. Weil auch Prinz Edward zu krank war, musste/konnte der 30jährige John of Gaunt das Ruder für die Plantagenet übernommen. Seit 1362 war John of Gaunt übrigens der Herzog von Lancaster. Er begründete damit das Haus Lancaster, ich nenne ihn ab hier auch schlicht „Lancaster“. Das wird später noch eine Rolle spielen, also gewöhnen wir uns an den Namen.

Der Krieg ab 1369 lief nicht nur wegen der englischen Probleme schlecht, die Franzosen stellten sich unter Charles V. endlich auf die Kampfweise ihres Gegners ein. Offene Feldschlachten, bei denen sie den Langbogenschützen entgegentreten mussten, mieden sie. Stattdessen wählte man eine wirksame Mischtaktik aus Defensive – die Städte und Burgen wurden gut verteidigt – und stoßartigen Attacken in die Normandie und Aquitanien. Darauf hatten die Engländer keine rechte Antwort. Als 1372 eine Flotte des mit Frankreich verbündeten Kastilien die Transportschiffe eines englischen Heeres vernichtete, blieb Edward III. nur noch der Rückzug nach England.

Sohn Lancaster übernahm von nun an das Kriegsgeschäft und versuchte sich dabei an einem eigenen Unternehmen. Er war ja mit der Tochter des getöteten Peter verheiratet, also beanspruchte er für sich – also, natürlich für seine Frau – die Krone von Kastilien. Von der Führung des Titels alleine konnte sich Lancaster nichts kaufen, er musste Trastamaras Schutzmacht Frankreich schlagen, wenn er seine Thronansprüche auf Kastilien verwirklichen wollte. Lancaster unternahm 1373 einen strapaziösen Marsch durch die Champagne, Burgund und Auvergne, der nur leider nichts einbrachte. Es war mal wieder Zeit für Waffenstillstandsverhandlungen, die 1375 abgeschlossen waren: England blieben auf dem Festland danach nur noch schmale Gebiete um Calais im Norden und Bordeaux im Süden.

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Im Juni 1376 starb der englische Thronfolger Edward, der Schwarze Prinz, mit nur 46 Jahren an der Ruhr. Weil sein älterer Sohn (Edward 1365-1372) bereits im Kindesalter gestorben war, war nun der zweite Sohn Richard (1367) ...

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… der neue Thronfolger von Edward III. - und der betagte König war selbst hinfällig. Es dauerte nach dem Tod des Schwarzen Prinzen tatsächlich nur ein Jahr, bis Edward III. am 21. Juni 1377 auch starb. Er hatte einen Schlaganfall erlitten. Es liest sich nach den ausführlich geschilderten früheren Jahren merkwürdig knapp, was sich in den späteren Lebensjahren des Königs ereignete. Aber es war einfach so, dass sich Edward III. nicht mehr für die Politik oder seinen Krieg in Frankreich interessierte. Sein Charisma war verflogen, in seiner Umgebung machte sich eine Selbstbedienungsmentalität breit. Ein trauriges Ende für diesen König - und seinen Sohn – die in ihren besseren Jahren große Persönlichkeiten, Heerführer und Idealbilder des Rittertums waren.


… und was passierte danach?

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Lancaster hatte das undankbare Los, von seinem Bruder einen Krieg und von seinem Vater eine Regierung zu übernehmen, die beide im Begriff waren, völlig aus dem Ruder zu laufen. Als mit König Edward III. und dem Schwarzen Prinzen der Glamour-Faktor aus der Gleichung genommen wurde, merkten mit einem Mal alle, dass der Krieg so gut wie verloren und England völlig pleite war. Lancaster sei an allem schuld, befanden die Londoner, die Bürger und eine Handvoll Adeliger unter der Führung des Bischofs von Winchester, und im so genannten „good parliament“ von 1376 präsentierten sie ihm die Rechnung und setzten alle Regierungsbeamten, die er berufen hatte, in einem neuartigen Misstrauensverfahren namens „impeachment“ ab.

Aber Lancaster ließ sich nicht so leicht entmachten. Nach Beendigung des Parlaments machte er dessen Beschlüsse nach und nach rückgängig. Das stabilisierte die Regierung, nährte aber auch den Argwohn seiner Widersacher. Als König Edward III. 1377 starb, rechneten sie alle damit, dass Lancaster die Macht an sich reißen werde, aber sie täuschten sich. Persönlich organisierte und überwachte er die Krönung seines elfjährigen Neffen Richard, der ein Sohn des Schwarzen Prinzen war und am 16. Juli 1377 zu Richard II. von England gekrönt wurde. In den kommenden zwanzig Jahren sollte so mancher Engländer zu der Erkenntnis gelangen, dass es besser gewesen wäre, Lancaster hätte sich die Krone genommen...

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 18. März 2018 08:06

Das Konzil – Sigismund
Kaiser des Heiligen Römischen Reiches von 1411 bis 1437
Startdatum: 1. Januar 1374


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Konstanz, am 24. Dezember 1414. In der Stadt, die ansonsten sechstausend Einwohner zählte, versammelte sich die geistliche und politische Elite des Kontinents zu einem Konzil, einem europäischen Gipfeltreffen. An diesem Tag traf der deutsche König Sigismund im Fackelschein in Konstanz ein, um den Vorsitz über das Konzil anzutreten. Auf diese Versammlung, die Weltgeschichte schreiben sollte, hatte er lange hingearbeitet. Da war er, der Mann, dessen Tatkraft man es verdankte, dass dieses Konzil stattfand, auf dem enorme Probleme gelöst werden sollten. Mit Sigismund zogen die mächtigsten deutschen Fürsten ein, die Gesandten sämtlicher europäischer Könige, die Boten aller Reichsstädte, 29 Kardinäle, 300 Bischöfe und hohe Prälaten, über 300 Magister der Universitäten. In ihrem Schlepptau Krämer, Kaufleute, Bankiers, Diener, Knappen, Pagen, Knechte, Bettler, Vagabunden, Fahrende und Dirnen. In der Summe müssen es tausende gewesen sein, die sich zu Gast in Konstanz befanden. Der alten deutscher Kaiser Herrlichkeit schien wieder aufzuerstehen, ihre einstige Rolle als arbiter mundi – Schiedsrichter der Welt, Sigismund hatte sie wieder übernommen.

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1. Sigismund sucht sich einen Thron

Dabei war sein Weg auf den deutschen Thron überhaupt nicht vorgezeichnet gewesen. Er war zwar der Sohn des Kaisers Karl IV. aus dem Hause Luxemburg (der mit der Goldenen Bulle, siehe das vorherige Kapitel), aber nicht zum Nachfolger bestimmt. Sigismund stammte aus der vierten Ehe Karls IV. mit Elisabeth von Pommern-Wolgast, Tochter des polnischen Königs Kasimir des Großen. Und so hatte Karl IV. geplant, Sigismund einmal auf den polnischen Thron zu bringen. Geboren war Sigismund im Jahre 1367, in die Öffentlichkeit trat er zum ersten Mal mit fünf Jahren, als er von seinem Vater auf einem Hoftag in Prag mit der Mark Brandenburg belehnt wurde.

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Seine Erziehung lag in den Händen mehrerer Humanisten, die ihm vor allem Sprachen beibrachten. Sigismund beherrschte später nicht weniger als sieben Sprachen: Deutsch, Tschechisch, Französisch, Lateinisch, Ungarisch, Italienisch, Polnisch. Und im Gegensatz zu seinem Vater liebte Sigismund das Rittertum und den Gebrauch von Waffen. Ebenfalls mit fünf Jahren wurde Sigismund mit Maria, der zweiten Tochter Ludwigs von Anjou, verlobt.

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Der war König sowohl von Ungarn wie von Polen. Seinem künftigen Schwiegervater wurde Sigismund 1377 zur weiteren Erziehung übergeben. Dabei zog er sich die Abneigung sowohl seiner Schwiegermutter – der ungarischen Königin Elisabeth – als auch deren polnischen Mutter Elzbieta zu. Diese scheinen ihre Abneigung auch auf die junge Maria übertragen zu haben. König Ludwig aber ließ 1382 bereits die polnischen Großen einen Treueid gegenüber seinem von ihm bestimmten Nachfolger ablegen. So weit lief also alles wie geplant bei dem Vorhaben, Sigismund auf den polnischen Thron zu bringen.

Ludwig hatte drei Töchter, die er unterschiedlich verheiratet hatte, um ein breites Bündnis in Europa zu flechten. Katharina, die erste Tochter, wurde mit einem Franzosen verlobt, und sollte Ungarn in die Ehe einbringen. Die erwähnte Maria war die Braut für den Deutschen Sigismund, ihre Mitgift Polen. Und Hedwig als dritte war sozusagen die Reserve. König Ludwig musste sich 1377 tatsächlich überlegen, wie er sie im Heiratspoker einsetzen wollte, denn da starb die älteste Tochter Katharina, die mit der französischen Ehe. Allerdings war Hedwig zu dieser Zeit erst vier Jahre alt, etwas jung für eine Verlobung. Man musste also schauen, wie es mit Ungarn und Polen einmal weitergehen sollte.

Im September 1382 war es soweit, da starb der Anjou Ludwig. Der polnische Adel war seit Jahren unzufrieden über die ständige Abwesenheit des Monarchen gewesen und stellte deshalb sofort an Sigismund die Bedingung, dass er seinen ständigen Aufenthalt in Polen nehmen sollte. Als dieser hörte, dass die elfjährige Maria als erste Frau König geworden und die Nachfolge in Ungarn angetreten hatte, lehnte er die Bedingung ab. Ein Teil des Adels wollte daraufhin einen polnischen Kandidaten, ein anderer Teil plädierte für die Einhaltung der Vereinbarung, dass eine Tochter Ludwigs das Königtum übernehmen sollte. Die ungarische Königinwitwe Elisabeth verpflichtete den polnischen Adel auf diese Abmachung. Schließlich wurde Hedwig nach Polen geschickt und dort zur Königin gekrönt. Sigismund sah sich gezwungen, seinen Plan vom Doppelkönigtum aufzugeben und nach Ungarn zurückzukehren.

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Dort war die Situation verworren, der ungarische Adel in drei Lager gespalten: Einige stützten Maria und ihre Mutter/Regentin Elisabeth, die Frankreich zuneigten und die Luxemburger ablehnten. Andere wollten im Gegenteil mit den Deutschen und mit Sigismund zusammenarbeiten, weil sie die Gefahr durch die Türken sahen. Und die dritte Gruppe votierte für König Karl III. von Neapel (wie der verstorbene Ludwig ein Anjou), der über Kroatien und Slawonien amtiert hatte. Die ungarische Königinmutter tat den ersten Schachzug, löste die Verlobung ihrer Tochter mit Sigismund und versprach sie dem Franzosen Ludwig von Orleans. Sigismund stand vor dem politischen Aus, da wurde sein Konkurrent Karl III. zum unfreiwilligen Helfer. Er machte soviel Druck, dass sich sein Weg auf den ungarischen Thron abzeichnete. In ihrer Not brauchte die Königinmutter nun doch die Unterstützung des Sigismund-Lagers, und so wurde die Ehe zwischen Maria und Sigismund im Jahre 1385 eilig über die Bühne gebracht. Das beeindruckte Karl III. wenig, er ließ sich trotzdem zum König von Ungarn krönen, noch bevor Sigismund in Böhmen ein Heer aufstellen konnte. Also alles verloren? Nein – Anhänger der Königinmutter Elisabeth verübten im Februar 1386 einen Mordanschlag auf Karl und brachten ihn kurz darauf im Kerker endgültig um.

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Dies machte den Weg frei für Sigismund, der mit seinem Heer in den ausgebrochenen Bürgerkrieg in Ungarn eingriff. Elisabeth und Maria wollten nach Karl jetzt auch Sigismund bremsen. Es ging nicht um einen Mord, sie riefen statt dessen Sigismunds älteren (Halb-) Bruder Wenzel als Schiedsrichter an. Ausgerechnet den. Sigismund hatte kein besonders gutes Verhältnis zu seinem Bruder, auch nicht zu seinen Cousins Jobst und Prokop.

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Nach dem Tod von Karl IV. war dessen Erbe auf diese vier Luxemburger übergegangen: Wenzel war deutscher sowie böhmischer König geworden, Jobst und Prokop hatten Mähren bekommen, und Sigismund war wie erwähnt mit Brandenburg belehnt worden. Und an dieser Stelle griffen die lieben Verwandten zu: Für die Vermittlung forderten sie von Sigismund die Preisgabe seiner Mark Brandenburg. Man kann sich denken, dass Sigismund nicht begeistert war von dieser „Hilfe“ seiner Familie.

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Das Blatt wendete sich abermals zugunsten von Sigismund, als Elisabeth und Maria von Aufständischen gefangen wurden. Sigismund wurde in Ungarn die Macht zum Handeln übertragen. Angesichts seiner hohen Schulden und leerer Staatskasse wurde die Rekrutierung von Truppen ein Problem.

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Mit nur wenigen Soldaten belagerte er die Festung, in der die Königinnen gefangen lagen. Währenddessen wurde Elisabeth erdrosselt und über die Mauer geworfen. Sigismund zog sich zurück und erreichte endlich nach langen Verhandlungen unter Zustimmung zu einer einschneidenden Wahlkapitulation, dass er am 31. März 1387 zum König von Ungarn gekrönt wurde.

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Seine Gemahlin Maria saß weiterhin in Haft. Ihre Befreiung war eine der dringlichsten Aufgaben für Sigismund, er suchte sich Hilfe in Venedig und besiegte mit ihnen die ungarischen Rebellen. Maria kam frei, eine glückliche Ehe mit Sigismund wurde das nach dieser Vorgeschichte aber nicht mehr. Sie erinnerte sich wohl daran, dass Mord ein probates Mittel sein konnte, das Ende von Karl III. hatte das ja gezeigt. Es gab da anscheinend entsprechende Gespräche mit ungarischen Baronen, wie man Sigismund loswerden könnte. Doch aus den Plänen wurde nichts mehr. Das Ehedrama fand sein Ende, als Maria 1395 einen tödlichen Jagdunfall erlitt. So etwas trifft also nicht nur die fähigen 6-6-6 Thronfolger.

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Das Ergebnis in aller Kürze war: Sigismund war nach jahrelangem Ringen endlich König von Ungarn. Nicht von Polen wohlgemerkt, wie es geplant gewesen war. Dort regierte ja Marias Schwester Hedwig, die 1386 den litauischen Großfürsten Jogaila heiratete – der Startpunkt der späteren Union aus Polen und Litauen, wie sie in EU4 zu sehen ist.

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Sigismund saß noch nicht fest auf dem Thron und musste sich mit seinen Verwandten Wenzel und Jost, dem Kampf zwischen Polen und dem Deutschen Orden, sowie dem ungarischen Adel herumschlagen. Sorgen machte ihm aber vor allem aber die Türken, die im Südosten von Sieg zu Sieg eilten. Zwar klopfte Sigismund beim Papst an, um einen Kreuzzug gegen die Türken auf die Beine zu stellen. Aber das Papsttum lag seit 1378 gespalten im Schisma. Von dort war keine Resonanz zu erwarten. Es gab einen anderen, der sich für den Kreuzzug gegen die Türken begeisterte: Herzog Philipp der Kühne von Burgund.

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Hilfreich war ein Waffenstillstand im Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich im März 1396. Die Söldner waren ohne Arbeit und ließen sich gewinnen. Dem türkischen Sultan Bayezid blieben die Rüstungen nicht verborgen, er kündigte den Februar 1396 als Termin für seinen Einmarsch in Ungarn an, hielt ihn aber nicht ein. Das bunt zusammengewürfelte Heer der Kreuzfahrer konnte sich im ungarischen Ofen sammeln. Sigismund war zwar der hiesige König, das Kommando über das Heer erhielt er aber nicht, die Party bezahlten schließlich andere. So setzte er sich nicht durch mit seiner Mahnung, die Türken nicht überstürzt anzugreifen.

Am 25. September 1396 standen sich die ebenbürtigen Armeen mit jeweils ca. 15.000 Mann beim bulgarischen Nikopolis gegenüber. In den Reihen der Türken dienten serbische Truppen, sie waren seit dem heroischen Debakel auf dem Amselfeld (1389) tributpflichtig geworden. Die französischen Ritter im Kreuzfahrerheer gingen wie üblich zum Frontalangriff über, ganz wie es die Ehre verlangte – und wurden von den disziplinierten Sipahi und Janitscharen der Türken zu Hackfleisch gemacht. Beide Seiten erlitten hohe Verluste, aber die der Christen waren schlicht verheerend, ihre Truppen wurden zum großen Teil aufgerieben.

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Für Bayezid war der Weg in den Balkan und nach Ungarn jetzt komplett offen. Aus dem Westen konnte sich wegen des neu aufflammenden Hundertjährigen Krieges kein erneuter Kreuzzug bilden. Sigismund hatte jedoch unerwartetes Glück: Die Türken konnten ihren Sieg nicht nutzen, denn sie erlitten 1402 bei Ankara eine üble Niederlage gegen Timur Lenk (die Timuriden), wobei Bayezid in Gefangenschaft geriet. Der Sultan wurde am Hofe Timurs in Ketten gehalten und musste mit ansehen, wie Timur seine Frau als Sklavin hielt. Einige Monate lang jedenfalls, denn dann starb Bayezid in der Haft. Im Osmanischen Reich brach daraufhin Anarchie aus, einer der bekannten Erbfolgekriege. Für Sigismund eine dringend benötigte Atempause!

Zunächst einmal musste er einen Anspruch seiner Schwägerin Hedwig auf Ungarn unterbinden. Immerhin war er für die Ungarn nur ein angeheirateter König aus dem Ausland. Sigismund hatte wieder Glück, Hedwig starb nämlich im Juli 1399. Die ungarischen Barone verlangten aber, dass Sigismund langsam mal wieder heiraten sollte. Er entschied sich für Margaretha, die zwölfjährige Tochter des Herzogs Heinrich von Brieg. Das junge Alter der Braut erlaubte es Sigismund, weiter das angenehme Leben eines Junggesellen fortzusetzen. Um es vorweg zu nehmen: Aus dieser Verlobung wurde nichts, Sigismund wurde später gezwungen, die Tochter eines ungarischen Oppositionellen zu heiraten.

Soweit in seiner Position gefestigt, konnte er endlich in das Geschehen in Deutschland eingreifen. Sein Bruder Wenzel dort war nämlich ein erschreckend schwacher König, an dessen Herrschaft das Erstaunliche war, dass sie überhaupt so lange hielt. Wenzel war ein Alkoholiker auf dem Thron, dessen Phlegma nur von seinen gelegentlichen Zornesausbrüchen unterbrochen wurde. Anfangs mögen sich die Kurfürsten noch gefreut haben, dass sie einen schwachen König haben. Mit der Zeit wurde die Inaktivität von Wenzel, der den Beinamen „der Faule“ erhielt, aber zu einem echten Problem für das Reich. In den 1390ern begann man schon darüber nachzudenken, Wenzel zum Rücktritt zu zwingen. Bei diesen Plänen durften Sigismund und sein mährischer Cousin Jobst natürlich nicht fehlen! Das komplizierte Ränkespielen brachte Sigismund an die Seite des Habsburgers Albrecht IV. von Österreich, mit dem er einen umfassenden Beistandsvertrag schloss. Dieser beinhaltete die Bestätigung, die schon Karl IV. mit den Habsburgern geschlossen hatte, nämlich dass sich der Habsburger und der Luxemburger für den Fall der Fälle (den kinderlosen Tod eines Vertragspartners) als gegenseitige Erben bestimmten.

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Wenzel wurde 1400 zum Rücktritt gezwungen und legte die deutsche Krone nieder, er blieb aber König von Böhmen. Dort hatte er genug zu tun, die Anhänger des Predigers Jan Hus machten ihm mit ihren radikalen Forderungen nach einer Reform der Kirche allerhand Probleme. Im Grunde war Jan Hus ein Vorgänger von Martin Luther, der gut einhundert Jahre später ähnliche Ansichten und Forderungen verkündete. Im Reich wurde der Pfalzgraf Ruprecht III. zum Nachfolger gewählt, jedoch nur von einem Teil der Kurfürsten – einige erkannten Wenzel weiterhin als König an. Eine paralysierende Situation: Beide Könige hatten kein Geld, um die Frage militärisch zu klären, einen allseits anerkannten Papst, der als Schiedsrichter hätte fungieren können, gab es auch nicht.

Wenzels Kräfte reichten zumindest, um sich in Böhmen seine Verwandten Sigismund und Jobst vom Leibe zu halten. Weil Sigismunds Verbündeter Albrecht IV. im Jahre 1405 vermutlich einem Giftanschlag zum Opfer fiel (auch Sigismund erkrankte, überstand die Sache aber), musste Sigismund von Böhmen ablassen. Für die Ungarn war das gut, endlich investierte ihr König seine Aufmerksamkeit in ihr Land. Sigismund kümmerte sich um die Infrastruktur im Land, förderte Handel und Wirtschaft und gründete 1408 den Drachenorden. Das mit den Orden war zu dieser Zeit ja eine regelrechte Mode. Dem Orden trat übrigens auch der walachische Fürst Vlad bei, stolz trug er fortan den Titel des Dracul, des Drachen.

Im Jahre 1410 kam die große Chance für Sigismund: Zugleich starben der Papst Alexander V. sowie der deutsche König Ruprecht. Dieses Mal wollte sich Sigismund nicht in die zweite Reihe schieben lassen und sprach beim neuen Papst Johannes XXIII. (der residierte in Bologna, es gab ja noch zwei weitere Päpste) wegen eines umfassenden Konzils vor, das die großen Probleme der Zeit anpacken sollte. Dem Papst gefiel es, er sprach sich bei den deutschen Kurfürsten für die Wahl von Sigismund zum König aus. Von Böhmen aus beanspruchte zwar immer noch Wenzel, der wahre deutsche König zu sein, aber das war nicht so wichtig. Bedeutender war, dass Sigismund Cousin - und Konkurrent um die Krone - Jobst zufällig einem Giftanschlag zum Opfer fiel. Da war eine Einigung mit Wenzel plötzlich auch möglich, Sigismund teilte mit ihm einvernehmlich das mährische Erbe von Jobst auf, Brandenburg ging an Sigismund zurück. Da war dann auch Wenzel damit einverstanden, dass Sigismund die Krone des Reiches bekommt. Die Wahl der Kurfürsten fand im Juli 1411 statt, Sigismund wurde der neue deutsche König!

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Zuvor hatte Sigismund bereits den Titel „König von Ungarn, Dalmatien, Kroatien, Serbien etc.“ geführt, dazu war er Markgraf von Brandenburg und Erbe des Königreichs Böhmen und des Herzogtums Luxemburg.

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Jetzt war er römisch-deutscher König und hatte noch mehr Probleme als vorher. Seine politische und ökonomische Basis im Reich war gering. Die größte Gefahr sah er als Betroffener in den Türken. Nur mit den vereinten Kräften der christlichen Reiche aus West und Ost konnte man nach seiner Ansicht diese Gefahr beseitigen. Eine Einigung Europas war aber nur über eine Beseitigung des Schismas zwischen West- und Ostkirche und zwischen den Päpsten zu erreichen. Dies musste also die vordringlichste Aufgabe sein. Deshalb also das große Konzil, auf dem all diese Probleme angepackt werden sollten.

Es gab da noch einen Punkt im Vorfeld zu erledigen. Sigismund musste im Nordosten Stellung beziehen. Dort war sein Verbündeter, der Deutsche Orden, am 15. Juli 1410 bei Tannenberg vom polnischen König Jagiello vernichtend geschlagen worden. Trotzdem verhielt sich Sigismund zurückhaltend und lavierte zwischen den Parteien herum. Immerhin brauchte er auch die Polen, wenn er das päpstliche Schisma überwinden wollte. Und auch mit Venedig musste sich Sigismund eine Weile beharken, dabei ging es um die Vorherrschaft über Dalmatien. Venedig war gut vernetzt in Italien, Mailand und Neapel hielten zu der Handelsstadt. Auch hier musste schließlich ein Waffenstillstand her, um das große Konzil realisieren zu können. Günstig für Sigismund war zumindest, dass Frankreich nach dem aufsehenerregenden Mord an Herzog Ludwig von Orleans in zwei Lager gespalten war. Unter dem König Charles VI. (genannt der Wahnsinnige) rangen Armagnacs und Bourgugnons blutig um die Macht. Frankreich war als dominierende Ordnungsmacht zeitweise aus dem Spiel, das konnte Sigismund nutzen – übrigens auch England, aber das ist eine separate Geschichte.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 18. März 2018 08:14

Die Reform an Haupt und Gliedern

Ende 1414 war es also endlich soweit. Nachdem Sigismund sich - mit ordentlicher Verspätung von über drei Jahren – endlich am 5. November 1414 offiziell zum deutschen König krönen ließ, ging es weiter nach Konstanz. Alleine dass das Konzil an diesem Ort und unter seiner Leitung stattfinden konnte, war ein politischer Sieg für den Luxemburger. Zum Weihnachtsfest also zog Sigismund nun im Fackelschein in Konstanz ein. Er hatte eine Liste mit den großen Problemen parat, die auf dieser internationalen Konferenz abgearbeitet werden sollten. Starker Tobak:

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Das Konzil begann eigentlich schon am 28. Oktober 1414 mit dem Einzug des Papstes. Johannes XXIII. war gebürtig aus Neapel, in seiner Jugend mit seinen Brüdern an den Raubzügen einer Piratenbande beteiligt, dann Landsknecht, liederlicher Student, Kämmerer am Vatikan in Rom, ein Amt, das er zu Wucher, Korruption, Ämterhandel missbrauchte. Als Kardinal war er gewalttätig, gelangte durch Drohung und Bestechung 1410 auf den Stuhl Petri. Und der Verdacht schien greifbar, dass er der Mörder zweier Vorgänger gewesen war. Trotzdem: Die Präsenz des Heiligen Vaters ließ die Menschen in Konstanz jubeln. Man konnte sich schwerlich vorstellen, dass sein Name Johannes XXIII. Bald aus den Kirchenannalen gestrichen werden würde – so dass es in neuerer Zeit einen neuen 23. Johannes geben konnte.

Die große Spaltung der Kirche, das Schisma, währte nun bereits 36 Jahre und war der Zwietracht zwischen dem Papsttum und den Kardinälen entsprossen, auch dem Interessengegensatz zwischen den Italienern und Franzosen. Für die Kirche und die Päpste hatte mit der „Babylonischen Gefangenschaft“ in Avignon eine Zeit des Machtverfalls eingesetzt. Frankreich bestimmte den Kurs in Avignon. Seit 1378, als die Römer einen Nachfolger wählten und die französischen Kardinäle dies mit der Wahl eines eigenen Nachfolgers in Avignon beantworteten, schieden sich die Geister. Nach über dreißig Jahren Spaltung sollte ein Konzil in Pisa die Einheit wiederherstellen, man ernannte einen gänzlich neuen Papst. Das führte dummerweise dazu, dass es fortan sogar drei Päpste zugleich gab. Die drei exkommunizierten sich natürlich munter gegenseitig, im Grunde war inzwischen ganz Europa unter dem Kirchenbann. Für Sigismund war damit klar, was in Konstanz passieren musste, wenn er Erfolg haben wollte: Die drei Päpste mussten zunächst mit breiter Zustimmung abgesetzt werden. Besser noch, sie traten alle drei von sich aus zurück. Erst dann konnte die Wahl eines neuen, allseits anerkannten Papstes erfolgen. Das Dumme daran war, dass die anderen beiden Päpste nicht persönlich in Konstanz erschienen. Sowohl der römische Gregor XII. als auch der avignonesische Benedikt XIII. schickten lediglich Vertreter.

Das erste wichtige Etappenziel erreichte Sigismund mit diplomatischem Geschick: Jede in Konstanz vertretene Nation sollte mit jeweils einer Stimme gewertet werden, unabhängig von der Zahl der anwesenden Landsleute. Italien, England, Frankreich, Deutschland, Dänemark, Polen, Ungarn, Skandinavien, Böhmen und das Kardinalskollegium – alle hatten eine gleichberechtigte Stimme. Das brach die Dominanz der in großer Zahl erschienen italienischen Bischöfe. Eine Art Völkerbund war entstanden, in dem die Geistlichen aller Ränge nicht mehr die führende Rolle spielten, sondern zusammen mit den anderen Konzilteilnehmern lediglich den Beschlüssen der Nationen zuzustimmen hatten. Eine Neuerung, die sie mit verschrecktem Staunen zur Kenntnis nahmen.

Die Nationen brachten mit scharfem Druck den Papst soweit, das er seine Abdankung verkündete – unter der Bedingung allerdings, dass die beiden anderen Heiligen Väter seinem Beispiel folgen würden. Aufregung kam auf in Konstanz, als eines Morgens der Papst verschwunden war: Mit Hilfe des Herzogs Friedrich von Österreich hatte sich Johannes XXIII. abgesetzt. In dem allgemeinen Tumult, der bei dieser Nachricht ausbrach, bestand die Gefahr, dass das Konzil auseinanderlaufen würde wie eine Schar Hühner. Sigismund griff durch, belegte den Herzog mit der Reichsacht und ritt dem geflohenen Papst hinterher, um ihn „am Rockkragen zurückzuholen“. Und das gelang Sigismund auch, es hatte sogar weitreichende Konsequenzen. Denn unter dem Eindruck dieser Ereignisse erklärte die Synode, die nun in Konstanz zusammentrat, ihre Gewalt als unmittelbar von Christus gegeben. Und dieser habe sich jeder Stand, auch der Papst, zu fügen habe. Ein Konzil, das über dem Papst steht! Das war ein Dekret, das einhundert Jahre zuvor noch eine Anklage wegen Ketzerei zur Folge gehabt hätte. Doch die Zeiten hatten sich geändert, so sehr hatte der gewaltige Bau des Papsttums Risse bekommen.

Dem zurückgebrachten Johannes machte das Konzil sogleich den Prozess und breitete all seine Verfehlungen aus. Bei so vielen Zeugenaussagen war es folgerichtig, dass der Papst seines Amtes enthoben wurde. Herzog Friedrich, der Johannes gern für seine eigenen Ziele eingespannt hätte, ließ ihn augenblicklich fallen und kroch in Konstanz buchstäblich zu Kreuze. Triumphierend wies Sigismund auf den vor ihm Knienden und sprach zu der Versammlung: „Seht, meine Herren, was ein deutscher König vermag!“ Der erste Papst war damit weg vom Fenster.

Der zweite Papst, der in Rimini mehr vegetierte als residierte, war Gregor XII. Er zeigte mehr Verständnis für die Nöte der Kirche und trat, beflügelt von einer in Aussicht gestellten großzügigen Abfindung, freiwillig zurück. Blieb noch der Dritte im Bunde, und der erwies sich als der halsstarrigste Gegner. Benedikt XIII. saß in Spanien auf der weltfernen Felsenburg Peniscola. Auf den Stuhl Petri erhoben, weil bereits steinalt und deshalb ein idealer Übergangskandidat, hatte er seine Wähler enttäuscht, weil er einfach nicht ans Sterben dachte. Nach dem Rücktritt seiner beiden Brüder in Christo, argumentierte er nicht ohne Logik, sei er nun der einzige und damit rechtmäßige Papst. Einen Grund für seinen Rücktritt sehe er nicht.

König Sigismund war nicht gewillt, sich kurz vor dem Ziel den Weg durch einen starrsinnigen Greis verlegen zu lassen. In einem Gewaltritt drang er durch das vom Bürgerkrieg zerrissene Frankreich bis nach Spanien vor. Dort war er also, der 90jährige, der sich mit einem „Hofstaat“ aus Kardinälen, Bischöfen, französischen Adeligen und spanischen Granden umgab. Die wichtigsten Verhandlungspartner für Sigismund waren die Spanier, unter ihrem Schutz stand der Gegenpapst. Sigismund bot den Spaniern die Beteiligung am Konzil als fünfte stimmberechtigte Nation an, und hatte Erfolg damit. Benedikt durfte auf seiner Felsenfestung weiterhin Vatikan spielen, was er mit Ausdauer bis 1423 tat. Offiziell aber galt er als abgesetzt. Damit waren die „verruchten Drei“ beseitigt, und nichts stand mehr der Wahl eines neuen Papstes im Wege. Haken dran am ersten Punkt der Konzilliste!

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Hatte das Konzil dieses Problem auf zwar langwierige, aber gewaltlose Weise gelöst, so endete das zweite Problem mit Schrecken, Schrecklicheres noch gebärend. Jener Turm bei Konstanz, in dem Johannes XXIII. Einige Tage lang eingesperrt gewesen war, umschloss noch einen anderen Häftling. „Vergangenheit und Zukunft der Kirche begegneten einander in Fesseln: Der eine dieser Gefangenen war der verbrecherische Steuerer der schiffbrüchigen Kirche des Mittelalters, der andere ein erster Kolumbus der Reformation, und doch wie ein Pirat zum Tode verurteilt.“

Es begann in Prag, der Stadt, die unter Karl IV. zur goldenen Stadt geworden war. Ein Sohn einfacher Leute kam dorthin aus dem böhmischen Flecken Husnitz – daher sein Name Jan Hus. Priester war er geworden, Magister an der Karlsuniversität, weit bekannt für seine wortgewaltigen Predigten. Er wetterte gegen Pomp, Macht und Luxus des hohen Klerus wie gegen die schmierige Bettelei der einfachen Mönche, die Schamlosigkeit der Kirche, die Armut und Keuschheit verrieten, gegen den heidnisch anmutenden Glauben an die Wunderkraft heiliger Knochen, heiligen Blutes, heiliger Kreuzsplitter, heiliger Textilien, der zum bloßen Reliquienschwindel verkommen war. „Wer Wunder braucht, ist schwach im Glauben“, predigte Jan Hus in tschechischer Sprache vor den einfachen Leuten. Nun gut, es war durchaus populär, gegen den Verfall der Kirche zu wettern. Aber Hus führte die Gedanken radikaler Theologen weiter, die die Ohrenbeichte und das Zölibat ablehnten, und das beim Abendmahl gereichte Brot nicht als Leib des Herrn, sondern nur als Repräsentation des Herrn ansahen. Hus stellte nicht die Kirche in Frage, er verlangte aber die Läuterung ihrer Diener. Denn wie konnte ein sündiger Priester das Sakrament spenden? Die Konsequent seiner Predigten war, dass die Gnade nur aus der Heiligen Schrift selbst kommen könne, und daher müsse jeder Mensch Zugang zur Bibel haben. Das war etwas viel für den katholischen Klerus, milde formuliert. Immerhin beanspruchten sie für sich, das Bindeglied zwischen Christus und den Menschen zu sein, das den Segen vermittelt.

Die Anhänger von Hus in Böhmen waren bald so zahlreich, dass weder kirchliche noch militärische Strafaktionen sie zähmen konnten. Schon gar nicht bekam der betrunkene König Wenzel die Lage unter Kontrolle. Mehr und mehr geriet das Land in Verruf, es hieß „Böhmerland – Ketzerland“. Niemand konnte an einem solchen Ruf weniger Interesse haben als Sigismund. Einst würde ihm das Königreich Böhmen als Erbe zufallen. Er wollte über kein Land herrschen, dessen Bewohner keine braven Untertanen abgeben würden. Also sollte Magister Hus nach Konstanz kommen und seine vom Kirchendogma abweichende Lehre vor dem Konzil verantworten. Sigismund sicherte ihm dafür sicheres Geleit zu. Als Hus in Konstanz eintraf, wurde er sogleich in die erwähnte Turmfestung geworfen, der Gerichtsprozess gegen ihn eingeleitet. Vor dem Konzil weigerte sich Hus, abzuschwören und bestand darauf, aus der Heiligen Schrift widerlegt zu werden. Frechheit! Das Urteil folgte rasch und hart: Degradation aus dem Priesterstand und der Tod eines verstockten Ketzers durch Verbrennen. Am 6. Juli 1415 musste Jan Hus seinen letzten Weg zur Richtstätte antreten.

Der Tod des Reformators beendete nicht die religiösen Unruhen in Böhmen, im Gegenteil. Vorerst betrachtete Sigismund das Problem aber als gelöst. Denn wenn die Kirche erst einmal durch Reformen erneuert sein würde, dann würden auch diese Ketzerei an Boden verlieren. Wenn – dann. Haken dran beim zweiten Punkt.

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So, dann also ging es an die Kirchenreform, mit der die Missstände im Klerus beendet werden sollten. Diese Aufgabe hatte ein Papst zu übernehmen, und den gedachte man jetzt zu wählen. Ende 1417 setzten die Kardinäle der Konklave aber durch, dass einem noch gar nicht gewähltem Papst keine bindenden Bestimmungen im Voraus auferlegt werden dürften. Reform ja, argumentierten die um ihre Pfründe besorgten Geistlichen, aber nur im Einvernehmen mit dem Heiligen Vater. Sigismund protestierte vergeblich. Er kannte seine Kardinäle und wusste, dass sie wie alle Politiker nach der Wahl anders sprechen würden als vor der Wahl. Am 11. November 1417 endlich ging es an die Wahl und Kardinal Oddo aus dem römischen Geschlecht der Colonna ging aus ihr als Papst Martin V. hervor. Er orientierte sich bei seiner Namenswahl an dem Tag dieses Ereignisses. Die Kirche hatte endlich wieder einen einzigen, anerkannten Papst! Martin ging gleich daran, die Befürchtungen des Königs zu bestätigen. Die einzelnen Reformvorschläge, die man in Konstanz mühsam ausgearbeitet hatte, verwies Martin an Kardinalsausschüsse. Dort erlitten sie jenes Schicksal, das ihnen heute noch in solchen Ausschüssen bereitet wird. Statt zu einer Reform „an Haupt und Gliedern“ kam es zu unverbindlichen Dekreten und Konkordaten mit den einzelnen Staaten, deren Inhalt sich fast ausschließlich auf Verwaltungsfragen bezog. Solche Details interessierten die meisten Menschen eh nicht, viel wichtiger war ihnen, dass die Kirche wieder geeint worden war. Das Konzil ging auseinander, jeder wollte nach drei Jahren heimkehren. Punkt Drei also nur vordergründig abgehakt.

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Was war mit den beiden restlichen Problemen? Sigismund hatte es versucht. Während seiner Mission nach Spanien hatte er einen Abstecher nach Paris und London gemacht, um in dem Krieg dieser beiden Mächte zu vermitteln. Die Engländer hatten den Franzosen im Oktober 1415 bei Azincourt eine deutliche Niederlage beigebracht. Als Sigismund mit Englands Henry V. im Dialog stand, hintertrieb die französische Orleans-Partei die Friedensinitiative. Verärgert blieb Sigismund am Ende nur die Rückreise in die Heimat. Er war ziemlich pleite und musste sich um langsam um die Angelegenheiten in Deutschland und Ungarn kümmern. Über die Gefahr durch die Türken war auf dem Konzil nur am Rande gesprochen worden. Punkt Vier und Fünf blieben also ungelöst.

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Bei seinem Aufenthalt in Deutschland ging Sigismund daran, jene Fürsten zu belohnen, die sich im Zusammenhang mit Sigismunds Königswahl und dem Konstanzer Konzil nützlich verhalten hatten. Es war Zahltag – vor allem für den Hohenzollern Friedrich VI. von Nürnberg, den Sigismund mit der Mark Brandenburg belehnte. Zwar behielt der König die Kurfürstenstimme bei sich, Friedrich konnte sich aber der Vererbbarkeit des Lehens erfreuen. Damit begann die lange Karriere der Hohenzollern in Brandenburg, aus der einmal Preußen und das Zweite Deutsche Kaiserreich hervorgehen sollten.

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Die Bedrohung durch die Türken empfand man in Ungarn sehr viel deutlicher, das stellte Sigismund nach seiner sechsjährigen Abwesenheit rasch fest. Und Venedig hatte in der Zwischenzeit Dalmatien nebst Friaul und Aquileia einkassiert. Dagegen konnte Sigismund nicht einmal etwas unternehmen, er hatte kein Geld für ein Heer. Und es gab plötzlich Dringenderes zu tun: In Prag starb 1419 Sigismunds Bruder Wenzel. Also musste er rasch sehen, dass er sich den Zugriff auf die Krone, sein Erbe, sicherte.

Spätestens jetzt wurde das Problem, das Wenzel in Böhmen mit den Hussiten gehabt hatte, zu Sigismunds eigenem Problem. Kriegsglück hatte er weder gegen die Hussiten wie gegen die Türken. Militärisch ließen sich die wild entschlossenen Hussiten nicht besiegen, selbst fünf (!) eigens auf sie angesetzte Kreuzzüge besiegten sie dank ihrer Wagenburg-Taktik. Der Niedergang der Hussiten wurde durch eine innere Spaltung eingeläutet: Die Unterfraktionen der Kalixtiner und der radikaleren Taboriten machten sich gegenseitig so gründlich nieder, wie es äußere Feinde nicht vermocht hatten. Die Reste konnte Sigismund bis 1434 aufwischen.

Hatte Sigismund danach Zeit, sich um die Türken zu kümmern? Nein, wieder nicht. Bei einem Konzil in Basel kam es zum Eklat. Eugen IV., der Nachfolger von Martin V. auf dem Heiligen Stuhl, stritt sich mit dem Gremium über die Entscheidungshoheit in verschiedenen Kirchenfragen. War ja zu erwarten gewesen, dass sich die Päpste nicht auf Dauer den Rang ablaufen lassen wollten. Nach harten Debatten und Intrigen waren Teile der Konzilteilnehmer so satt, dass sie sich nach Avignon absetzen wollten. Was dann geschehen wäre, lag für jeden auf der Hand: Ein erneuter Gegenpapst unter französischer Fuchtel. Auch Sigismund war über Eugen IV. erbost, aber eine Spaltung durfte es nicht wieder geben. Zähneknirschend besänftigte er mit seiner Autorität das Konzil und den Papst.

Mitte der 1430er musste Sigismund erkennen, dass sein Leben sich dem Ende näherte. Jahrelang war er schon von der Gicht geplagt, nun ging es rapide bergab mit ihm. Über seine Nachfolge wurde schon offen spekuliert, in Böhmen hatte man genug von der deutschen Bevormundung und favorisierte den polnischen König für den Thron. Sigismund hatte nur noch ein Ziel: Seinen loyalen Schwiegersohn, den Habsburger Albrecht von Österreich die Kronen des Reiches, von Böhmen und Ungarn zu sichern. Bis auf die Knochen abgemagert ließ sich Sigismund in einer Sänfte nach Böhmen transportieren, um sich dort mit Albrecht zu treffen und schnell eine Amtsübergabe hinzubekommen, bevor seine Gegner handelten.

Am 9. Dezember 1437 hörte Sigismund am Morgen in kaiserlichem Ornat die Messe, legte den Ablauf der Totenfeier fest und starb am Nachmittag auf seinem Thron. Am nächsten Morgen symbolisierte das Zerstören aller Siegel das Ende seiner Herrschaft. Der Leichnam wurde drei Tage aufgebahrt und dann nach Rumänien überführt. Dort hatte sich Sigismund zu Füßen des Nationalheiligen Ladislaus seine Grablege vorbereitet. In Brokat gekleidet, mit einer silbernen Krone auf dem Kopf, den Reichsapfel und das Zeichen des Drachenordens auf der Brust wurde er beigesetzt.

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Fünfzig Jahre lang hatte Sigismund insgesamt geherrscht. Aus dem Prinzen mit der Ambition auf den polnischen Thron war ein König über Ungarn, das Reich und über Böhmen geworden. Seine Ziele verfolgte er zeitlebens mit einer Politik der kleinen Schritte: die Beseitigung des päpstlichen Schismas, die Einigung der europäischen Herrscher und die Konzentration auf die Türken. Falsch eingeschätzt hatte er die Wirkung von Jan Hus, was ihm beinahe zum Verhängnis wurde und die Krone von Böhmen hätte kosten können. Und mit seiner Mittlerrolle zwischen England und Frankreich hatte er sich überhoben, Sigismund unternahm später keine weiteren derartigen Versuche. Dasselbe galt auch für den Konflikt zwischen dem Deutschen Orden und Polen. Vor lauter Taktieren zwischen den Parteien fand er keine Lösung. Im Reich hatte er sowieso keine eigene Hausmacht, hier gaben die Kurfürsten den Ton an. Am meisten lag ihm Ungarn am Herzen, das er vor den Türken beschützen wollte. Ein schlagkräftiges Bündnis, zu dem auch das mit Ungarn konkurrierende Venedig hätte zählen müssen (ally venice, build galleys), brachte Sigismund aber nicht zusammen. Es war reines Glück, dass die Osmanen genug andere Probleme hatten, die sie vom Vordringen auf dem Balkan ablenkten - noch. Ohne Geld war Sigismund ständig damit beschäftigt, einen Brand nach dem anderen löschen zu müssen. Seine Königreiche waren wohl einfach zu groß, um sie alleine beherrschen zu können.

Das letzte große Anliegen gelang ihm aber: Sein Schwiegersohn Albrecht konnte 1438 seine Nachfolge antreten. Die große Zeit der Habsburger begann jetzt erst so richtig.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 29. April 2018 10:07

Der Hundertjährige Krieg Teil 2

Das Jahr 1377/78 bedeutete in verschiedenen Königreichen Westeuropas einen gleichzeitigen Wechsel der Generationen. Mehrere ebenso bedeutende wie fähige Herrscher wie Edward III. von England, Charles V. von Frankreich , sowie Kaiser Karl IV., starben und vererbten ihre Kronen an ihre Nachfolger. Bei diesen jungen Thronfolgern handelte es sich um ebenso junge wie unerfahrene Monarchen, die beim Regieren keine glückliche Hand haben sollten. Weniger elegant formuliert: Es kam eine Generation unfähiger Männer ans Ruder. Im Heiligen Römischen Reich war das der geschilderte Wechsel von Karl IV. auf seinen Sohn, Wenzel der Faule. In Frankreich bestieg Charles VI. den Thron, dem man den Beinamen „der Wahnsinnige“ gab – auch nicht gerade schmeichelhaft. England erlebte das Ende der Plantagenet-Dynastie, die das Land seit über zweihundert Jahren mit teils energischen, teils unfähigen Königen gelenkt hatte. Begonnen hatte das ganze im Grunde mit der Invasion Englands durch den normannischen Herzog William der Eroberer, dem ich ja ein ausführliches Kapitel gewidmet hatte.

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Edward III. war im Jahre 1377 bereits hochbetagt und nur noch ein Schatten früherer Tage. Das Drama daran war, dass sein berühmter Sohn und Erbe Edward, der Schwarze Prinz, im Jahr zuvor bereits gestorben war. Die Thronfolge ging daher auf dessen kleinen Sohn Richard über, also auf den Enkel des greisen Königs. Er gilt als der letzte der Plantagenet auf dem englischen Thron. Zwar wechselt die Krone anschließend auf weitere mehr oder weniger nahe Verwandte, die Historiker zählen diese Könige angesichts der bevorstehenden Rosenkriege zu den Dynastien der Lancaster bzw. der York, den Namen der beiden späteren Kriegsparteien. Wer die Serie Game of thrones schaut (ich kenne nur einige der frühen Folgen), darf sich bei dem Namen Lannister gerne an die Lancaster erinnert fühlen, bei Stark darf man an York denken.

Um es vorneweg zu nehmen: Die Beziehungen der Protagonisten untereinander sind nicht besonders übersichtlich. Ich habe mich dazu entschieden, in diesem Kapitel mit einem entsprechenden Schaukasten zu arbeiten. Und damit dieser nicht gleich voll einschlägt, füge ich die Personen, sobald sie auf die Bühne der Geschehnisse treten, jeweils mit einer roten Umrandung hinzu. Also dann, es wird von den Plantagenet über die Rosenkriege bis hin zu den Tudors gehen.


Richard II. (1377-1399)

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Am 21. Juni 1377 starb der große englische König Edward III. nach fünfzig Jahren auf dem Thron. Ein ganzer Ritter, hatte er (gemeinsam mit seinem Sohn und Thronfolger Edward, dem Schwarzen Prinzen) in der erste Phase des Hundertjährigen Kriegs bedeutende Siege gegen die Franzosen errungen. Die militärischen Triumphe von 1346 und 1356 waren in den letzten Jahren von Edwards III. Herrschaft jedoch weitgehend wieder verspielt worden, allzu sehr drückten Schulden und Korruption das englische Königreich. Noch vor Edward III. war im Jahr zuvor der Schwarze Prinz ins Grab gesunken, die Thronfolge auf dessen Sohn Richard übergegangen. Obwohl Richard beim Tod seines Großvaters erst zehn Jahre alt war und drei mächtige Söhne Edwards III. (John, Edmund und Thomas) für die Herrschaftsübernahme zur Verfügung standen, verlief die Krönung Richards am 16. Juli 1377 bemerkenswert unproblematisch.

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Insbesondere Richards Onkel John of Gaunt, wegen seines Herzogstitels auch schlicht Lancaster genannt, hätte die Macht gehabt, bei der Thronfolge selber zuzugreifen. Dieser „von Gaunt“ hieß so, weil er seinerzeit in Gent geboren worden war. Wir erinnern uns: Seinerzeit hatte König Edward III. zu Beginn des Hundertjährigen Krieges seine schwangere Frau sozusagen zur Absicherung eines Kredites in Gent/Gaunt zurückgelassen.

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Lancaster war im März 1340 also in Gent geboren und schon früh von seinem älteren Bruder, dem Schwarzen Prinzen (den er sehr bewunderte) zum Ritter ausgebildet worden. Es war der Krieg, der Johns Jugend prägte. Mit zehn Jahren erlebte er die Seeschlacht von Winchelsea, erhielt mit fünfzehn seinen Ritterschlag, mit neunzehn befehligte er erstmals eine eigene Truppe während eines zermürbenden Kriegswinters in der Normandie. Den Titel des Herzogs von Lancaster erlangte er, weil sein Vater ihn mit der einzigen Erbin seines Cousins, Henry of Lancaster, verheiratete. Als Herzog von Lancaster wurde John der größte Landeigner in England nach dem König und der reichste der englischen Lords. Das war auch gut so, denn seine Prunksucht und seine Vorliebe für alles, was schön und teuer war, übertrafen die seines Vaters und Bruders. Lancaster war ein typischer Vertreter seiner Klasse und seiner Zeit: Er strebte nach den Idealen des ritterlichen Ehrenkodex, war ein Förderer der Künste, in hohem Maße arrogant gegenüber jenen, die gesellschaftlich unter ihm standen, und er hatte einen enormen Verschleiß an Frauen.

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Dieser Herzog von Lancaster war es also, der während der Minderjährigkeit seines königlichen Neffen die Geschicke Englands lenkte und sich der Herkulesaufgabe stellte, den festgefahrenen Krieg mit Frankreich fortzuführen und die Folgen der Pest und der Schuldenpolitik seines Vaters in England zu bewältigen. Er machte einen hervorragenden Job, aber die Sache war einfach völlig aussichtslos.

Angesichts völlig leerer Staatskassen war Lancaster gezwungen, sich neue und immer höhere Steuern auszudenken. Mit der beabsichtigten Einführung einer Kopfsteuer brachte er den Volkszorn zum Überkochen:

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In Essex begann eine Revolte der Bauern und einfachen Handwerker, weil die königlichen Geldeintreiber es nicht nur auf das Vermögen der Untertanen einen Blick werfen wollten, sondern nebenher auch auf die Tochter des Kriegsveteranen Wat Tyler. Dieser erschlug einen der Beamten, die seine Tochter vergewaltigen wollten, floh, und wurde zum Anführer der aufständischen Bauern, die sich überall in Südengland zusammenrotteten. Sie alle verlangten eine Abschaffung der Leibeigenschaft, des Frondienstes und der Gerichtsgewalt der Lords. Und das war nicht nur die Meinung der Unterschicht, auch verschiedene Denker des 14. Jahrhunderts stellten die alten Autoritäten in Frage. Vorneweg: Der Oxford-Professor John Wycliff, der den korrupten Papst kritisierte, die Notwendigkeit der Beichte vor dem Priester in Frage stellte und in Abrede stellte, dass sich Brot und Wein beim Abendmahl wahrhaftig in Leib und Blut Christi verwandeln. Die englische Bischofssynode lud Wycliff zu einer kritischen Anhörung und entzog ihm die Lehrerlaubnis, aber sonst passierte ihm nichts. So viel liberaler war das 14. Jahrhundert gegenüber dem 15. Jahrhundert, wo Menschen mit solchen kirchenkritischen Meinungen klar die Hinrichtung drohte.

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Die aufständischen Bauern zogen durch Essex und Kent und vergossen viel Blut. Im Juni 1381 stürmten sie ohne Gegenwehr in London rein und veranstalteten ein Massaker an den dort lebenden Ausländern. Der Hass des Mobs richtete sich in erster Linie aber gegen Lancaster, den Kanzler sowie den Schatzmeister. Lancaster befand sich nahe der schottischen Grenze, doch die beiden letzteren erwischten die Aufrührer, als sie den Tower stürmten.

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Mit ihnen machten sie kurzen Prozess und köpften die zwei. Im Tower von London befand sich auch Lancasters Sohn und Erbe Henry Bolingbroke (geboren auf Castle Bolingbroke, daher der Name), der zu diesem Zeitpunkt vierzehn Jahre alt war und nur deswegen mit dem Leben davonkam, weil er sich im Tower verstecken konnte.

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Frustriert, dass sie den verhassten Herzog nicht gefunden hatten, zogen die Rebellen zu Lancasters Londoner Residenz und machten sie dem Erdboden gleich. Jetzt schlug die große Stunde des jungen König Richard. Ganze vierzehn Jahre alt, genau wie sein Cousin Henry, traf er sich mit Wat Tyler, um mit ihm über die Forderungen der Rebellen zu verhandeln. Damit bewies Richard II. großen persönlichen Mut. Sein Glück war, dass die Aufständischen nicht den König, sondern Lancaster mit allem Übel der letzten Jahre in Verbindung brachten. Die Rebellen glaubten daher, König Richard sei ein Freund der kleinen Leute, ein fataler Irrtum. Der junge Plantagenet ging nur zum Schein auf ihre Forderungen ein, ließ Tyler bei einem Treffen vor der Stadt niedermachen und die Rebellen durch die Londoner Miliz auseinandertreiben.

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Die große Bauernrevolte war danach ebenso tot wie ihre Rädelsführer, und London feierte König Richard II. als seinen Befreier. Einer der Rädelsführer wagte es vor seiner Hinrichtung, Richard an seine gegebenen Versprechen zu erinnern, doch der erwiderte nur kühl: „Leibeigene seid ihr, und Leibeigene sollt ihr bleiben.“ Ende der Debatte.

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Offenbar sollte es Richard II. prägen, wie weit er mit der Aura des Königtums sowie mit falschen Versprechungen und Hinterhältigkeit kommen konnte. Selbstbewusst schüttelte er die Gängelung durch den Kronrat ab und führte eine Günstlingswirtschaft an seinem Hofe ein. Der Unmut der Adeligen steigerte sich 1387 hin bis zu einem versuchten Amtsenthebungsverfahren gegen Richard, das dieser mit Waffengewalt unterbinden lassen wollte. Die Truppen des Königs verloren die Schlacht und das war die Stunde der Lords. Die ungeliebten Berater und Günstlinge des Königs wurden hingerichtet, lediglich Richard II. blieb unangetastet und durfte seine Krone behalten. Die Bedingung dafür war aber, dass der König einen Rat von fünf mächtigen Adeligen um sich akzeptierte (unter ihnen war Lancaster). Vermutlich war es lediglich die Furcht vor einem englischen Bürgerkrieg, der die Adeligen davon abhielt, Richard II. einfach abzusetzen. Der Plantagenet musste angesichts seiner Lage einlenken und sich 1389 vordergründig mit seinem Rat versöhnen bzw. arrangieren.

Richard II. durfte auf dem Thron bleiben. Man könnte vermuten, dass die Nachsicht der Lords ihn nachdenklich oder gar demütig stimmen würde, aber so war der König nicht gestrickt. Er würde diese Schmach niemals vergessen oder verzeihen. Einige Jahre blieb es ruhig und stabil, selbst ein Waffenstillstand mit Frankreich kam in dieser Zeit zustande. Aber nach dem Tod seiner Frau Anna im Jahre 1394 kam endgültig das verschlagene Wesen Richards II. wieder zum Vorschein. Er baute sich eine Privatarmee unter dem Zeichen des Weißen Hirsch auf und holte 1397 zum Gegenschlag gegen die fünf Ratsherren aus:

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Richards Onkel Gloucester wurde verhaftet und in aller Stille ermordet, um einen Prozess gegen ihn zu vermeiden. Den eröffnete Richard II. aber gegen Arundel und Warwick, zwei weitere von den fünf Lords. Arundel wurde hingerichtet, Warwick bat um Gnade und kam mit der Verbannung davon.

Blieben vom Rat noch Richards Cousin Henry Bolingbroke und Richards einstiger Freunde Mowbray. Erst einmal passierte nichts, was die beiden ziemlich nervös gemacht haben dürfte. Dann zerstritten sich Henry und Mowbray, und Richard II. entschied, der Streit solle nach guter alter Sitte im ritterlichen Zweikampf, also per Gottesurteil, entschieden werden. Der Zweikampf wurde auf den 16. September 1398 festgelegt, und als die beiden Kontrahenten auf das Trefflichste gerüstet vor einer großen Zuschauermenge antraten, blies Richard den Turnierkampf auf Leben und Tod ab, ehe er begonnen hatte, und verbannte alle beide aus England – Mowbray lebenslänglich, Henry für sechs Jahre.

Das war ein ziemlicher Paukenschlag, ein Staatsstreich von Seiten des Thrones. Henry fügte sich notgedrungen in die Verbannung und ging nach Paris zu seinem greisen Vater Lancaster. Der bemühte sich, für Henry ein gutes Wort einzulegen, aber er starb im Februar 1399. Offenbar bestärkte das König Richard, seinen nächsten Schachzug zur Entmachtung seines Cousins zu machen: Er zog Henrys Vermögen und Grundbesitz für die englische Krone ein. Henry Bolingbroke hatte nicht die Absicht, sich das gefallen zu lassen: Er kehrte mit einigen Freunden nach England zurück, eigentlich, um sich nur sein Erbe zu sichern. Aber dann bekamen die Ereignisse eine Eigendynamik: Während Henry zunehmend Unterstützer fand, sah sich Richard II. von so gut wie allen allein gelassen. Kampflos fiel der König in Henrys Hände und wurde in den Tower von London verfrachtet.

Im September 1399 trat in Westminster ein Parlament zusammen, das dem König die freiwillige Abdankung nahelegte. Dem besiegten Richard II. hatte keine andere Wahl, er musste dem nachkommen. Dann trug das Parlament Henry Bolingbroke die Krone an, und am 13. Oktober 1399 wurde er zu Henry IV. von England gekrönt. Sicher war der Thron für Henry aber ganz und gar nicht: Wenn er König werden konnte, warum nicht auch ein anderer, der die Ambition und die Macht dazu hatte? Zumal Richard II. auch in seiner Zelle eine stetige Gefahr für Henrys Herrschaft darstellte, einfach durch seine Existenz. Das war keine Paranoia: Am Weihnachtstag wurde ein Anschlag auf König Henry und seine Familie verübt. Henry IV. zog seine Konsequenzen daraus und ließ Richard II. in ein weiter abgelegenes Schloss bringen, wo er ihn in aller Ruhe ermorden ließ – vermutlich durch Verhungern, damit die Tat nicht offenbar wurde. Ein unrühmliches Ende für das Geschlecht der Plantagenet, die fast 250 Jahre lang Englands Könige gestellt und spektakuläre Nieten wie Lichtgestalten hervorgebracht hatten.

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Video zu Richard II.

Richard II.

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Beitragvon Mark » 29. April 2018 10:11

Henry IV. (1399-1413)

Mit Henry IV. begann nicht nur eine neue Dynastie, er wurde auch ein König in einer neuen Zeit mit einer selbstbewussten Mittelschicht aus Kaufleuten und Handwerkern, mit Theologen und Denkern, die andere Pfade, solche aus dem Mittelalter hinaus, beschreiten wollten. Das sollte der König bald bemerken. Bis zu seiner Thronbesteigung war er als Hoffnungsträger gesehen worden, man hatte ja genug von Richards Tyrannei und Günstlingswirtschaft gehabt. Aber kaum trug Henry IV. die Krone, schlug die Stimmung um. Das lag vor allem an Richards Ermordung. Sicher, Richard II. war ein Scheusal gewesen und ein Versager auf dem Thron. Aber einen gesalbten König ins Jenseits zu befördern, das gehörte sich einfach nicht.

Es dauerte nicht lange, da begann man zu kritisieren, dass Henry gar nicht für die Thronfolge legitimiert sei. Richard II. war zwar kinderlos gestorben und Henry sein Cousin ersten Grades. Aber zwischen ihren Vätern hatte es noch einen weiteren Bruder gegeben, Herzog Lionel von Clarence. Und der hatte einen Urenkel (Edmund Mortimer), der nach dem Erstgeborenenrecht vor Henry an der Reihe gewesen wäre. Dieser Graf von March war 1399 allerdings erst acht Jahre alt. Ein Kind mochten viele in diesen Zeiten lieber nicht auf dem englischen Thron probieren, deshalb schob man es auf eine verlassene Burg ab und hoffte, dass es in Vergessenheit geraten würde. Das klappte aber nicht: Jedes Mal, wenn Henry IV. eine unpopuläre Entscheidung traf, erinnerte ihn jemand daran, dass sein Thron auf wackeligen Füßen stand.

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Werfen wir noch einen zweiten Blick auf die Mortimer. Es ist kein Zufall, dass der Sohn aus der Ehe von Philippa und dem Grafen Mortimer den Namen Roger Mortimer erhielt. Wir erinnern uns, das war auch der Name des Liebhabers von Isabella der Wölfin. In der Tat war Philippa mit einem Urenkel dieses bekannten Mortimer verheiratet, der Name also eine bewusste Wahl. Philippas Sohn Roger erbte 1381 die Grafschaften March und Ulster seiner Eltern. Wie erwähnt ging die Grafschaft March an seinen Sohn Edmund Mortimer (das geschah 1398), dem Ur-Urenkel von Edward III. von England. Und dessen Schwester Anne Mortimer heiratete 1406 den Grafen Richard von Cambridge, den Bruder des Herzogs Edward von York. Weil dieser Edward von York im Jahre 1415 in Azincourt fiel (dazu später mehr) und keine eigenen Kinder hinterließ, erbte sein Neffe Richard – der Sprössling aus Anne Mortimers Ehe mit Richard von Cambridge – das Herzogtum York. Hier ist der Ausgangspunkt der Linie York zu finden.

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Henry IV. verdankte seinen Thron dem Parlament, das als Gegenleistung größere Mitbestimmungsrechte verlangte und auch bekam. Wer ärgert sich in einer Partie CK2 nicht über die ständigen Forderungen seiner Ratsmitglieder nach mehr Mitsprache...? Immerhin, Henry bewies in dieser Hinsicht mehr Geduld als unsereins bei CK2 und verhandelte immer wieder ausdauernd Kompromisse mit dem Parlament aus. England stabilisierte sich. In dem Rat waren vor allem zwei Familien tonangebend, die Nevilles und die Percys. Mit den Nevilles bekam Henry nie Schwierigkeiten, denn seine Halbschwester Joan Beaufort war mit einem Neville verheiratet. Mit den Percys war es schwieriger, sie waren neidisch auf die Nevilles. Sie drohten Henry IV. besonders gerne damit, den jungen Graf Edmund aus dem Hut zu zaubern.

Im Jahre 1403 gedachte Henry IV. (gemeinsam mit seinem Sohn, dem späteren Henry V.), dem ein Ende zu machen und besiegte die Percy in einer Schlacht. Einige Familienmitglieder wurden hingerichtet, einzig der Graf von Northumberland wurde verschont, nachdem er einen Eid auf den König geleistet hatte. Der hielt natürlich nicht lange. Der Neville verbündete sich mit dem Erzbischof von York – und wurde 1405 erneut geschlagen.

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Während der Neville sich nach Schottland absetzen konnte (wo er drei Jahre später starb), bekam man den Erzbischof zu fassen und richtete ihn ohne Umschweife hin. Das hatte arge Folgen! Zum einen verstieß es gegen das Gesetz, einen Priester hinzurichten, denn Geistliche standen ohne Ausnahme außerhalb der weltlichen Gerichtsbarkeit. Noch schlimmer war, dass es als furchtbares Sakrileg galt, Hand an einen Mann Gottes zu legen. Der erzbischöfliche Kopf lag längst im Gras, als König Henry am Ort der Hinrichtung eintraf, aber natürlich war er es, der die Verantwortung für den Bischofsmord zu tragen hatte. Niemand war davon so überzeugt wie er selbst, und als Henry IV. 1405 krank wurde, glaubte er wie viele andere, dass es eine Strafe Gottes für dieses furchtbare Vergehen sei. Eventuell hatte sich Henry IV. bei einer früheren Pilgerfahrt nach Jerusalem mit der Lepra infiziert, die jetzt ausbrach. Jedenfalls war der König so krank, dass er zeitweise nicht regieren konnte. An seinen Tod mochte der König trotzdem nicht glauben, denn ihm war geweissagt worden, er werde in Jerusalem sterben. Solange Henry in London blieb, war also alles gut. Amtsunfähig krank, hin oder her.

Zum Glück übernahm sein ältester Sohn Henry V. die Führung, denn in Wales galt es 1409 mal wieder einen Aufstand niederzuschlagen. Prinz Henry war ein hervorragender Heerführer, ebenso charismatisch wie erbarmungslos. Trotzdem erhielt er den Respekt der besiegten Waliser. Offenbar ging der Prinz im Kriege hart, aber niemals hinterhältig gegen seine Feinde vor. Und die Waliser konnten sich nicht erinnern, dass die Engländer sie mal ritterlich besiegt hätten.

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Die Geschicke in der Politik wurden Prinz Henry (als Vorsitzender des Kronrats) sowie Bischof Henry Beaufort (als Kanzler) in die Hände gelegt. Dieser Beaufort war ein Halbbruder des Königs, er stammte aus einer Affäre zwischen Lancaster und Katherine Swynford.

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Prinz Henry und Beaufort machten gemeinsam eine gute Arbeit, bis jemand dem König 1411 einflüsterte, der Prinz würde hinterrücks die eigene Thronbesteigung vorbereiten. Henry IV. enthob seinen Sohn des Amtes, ihr persönliches Verhältnis war danach natürlich im Eimer. Ob die Gerüchte wahr waren oder nicht, der Familienkrach endete am 20. März 1413, als König Henry IV. starb. Übrigens im sogenannten Jerusalem-Zimmer der Abtei zu Westminster, womit sich die Prophezeiung dann doch irgendwie erfüllte. Der Prinz war an der Seite seines Vaters und empfing dessen Segen, ehe Henry IV. starb. Die 13 Jahre seiner Herrschaft waren von Verrat, Aufständen und Krankheit überschattet gewesen. Aber er hinterließ seinem Sohn ein weitaus mehr gefestigtes England, als er selbst von Richard II. übernommen hatte. Die Staatsfinanzen waren halbwegs saniert, auch weil Henry IV. auf kostspielige Kriegszüge in Schottland und Frankreich verzichtet hatte. Er hatte sich in dieser Hinsicht auf die Politik verlegt gehabt, und das mit Erfolg: Henry IV. war es gelungen, die innerfranzösischen Konflikte zwischen Burgund und der Partei des Herzogs von Orleans nach Kräften zu schüren. In Frankreich zeichnete sich ein Bürgerkrieg ab, der England nur nutzen konnte.

Die Bühne war bereitet für den größten Heldenkönig, der England je beschert wurde: Henry V.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 1. Mai 2018 10:03

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Henry V. (1413-1422) und Charles VI.

In vieler Hinsicht kam König Henry V. dem Ideal des mittelalterlich-christlichen Königs näher als alle anderen Monarchen seiner Zeit. Er galt als gerecht und war der Kirche als gläubiger Christ zugetan. Henry war ein athletischer Mann, von frühester Jugend an in den Disziplinen des Rittertums erzogen und trainiert. Er war ein tapferer, ritterlicher Kämpfer, begierig auf Schlachtenruhm und Ehre. Als Sohn von Henry IV. und Enkel des Lancasters John of Gaunt war er der Spross einer ganzen Reihe von Männern, deren Heldentaten in Geschichten und Liedern besungen wurden. Vieles an Henry V. erinnerte an seinen Urgroßvater Edward III. und an dessen Großvater Edward I. (dem Schottenhammer), die beide große Kriegerkönige gewesen waren.

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Shakespeare setzte ihm später mit seinem Theaterstück ein kulturelles Denkmal. Henrys Jugend verlief allerdings ganz anders als Shakespeare es darstellt. Geboren wurde Henry am 16. September 1387 im südlichen Wales und wuchs unter der Obhut seines Onkels Henry Baufort auf. Als Henry zwölf Jahre alt war, setzte sein Vater den König Richard II. ab und bestieg selber den Thron. Es schadete dem Knaben nicht, dass er zuvor Richards Geisel gewesen war. Nach der gelungenen Machtübernahme schlug ihn der Vater vor seiner Krönung zum Ritter.

Shakespeare schildert den jungen Thronfolger als Tunichtgut, der mit seinen Saufkumpanen eher zweifelhafte Streiche, ja sogar Verbrechen verübt. Im wirklichen Leben hatte Prinz Henry wohl kaum Zeit für derartige Umtriebe. Seine Jugend war eine einzige Abfolge von Feldzügen. Bereits im Jahr 1400 kämpfte er gegen die Schotten, Zwei Jahre später, im Alter von fünfzehn, war er nomineller Befehlshaber des Heeres, das einen Aufstand in Wales niederschlagen sollte. Dieser Feldzug lehrte Henry die Härten des Krieges. Nacht für Nacht verbrachte er das Heer im Freien, in Nässe und Kälte, hungrig, auf der Spur eines Feindes, dessen Strategie der überraschenden Überfälle und schnellen Rückzüge kaum beizukommen war. Henry lernte schnell.

Im Jahr 1403 wechselte das Haus Percy, das bisher den König unterstützt hatte, die Seiten. Die Percys hatten Lancaster auf den Thron geholfen, jetzt wollten sie die ganze Macht und verbündeten mit dem walisischen Aufrührer Owen Glendower, und ihre Streitkräfte zogen im Sommer 1403 los, um sich ihm anzuschließen. König Henry IV. führte ihnen sein Heer entgegen, um sie abzufangen, bevor ihnen eine Vereinigung mit den Walisern gelingen konnte. Am 21. Juli 1403 standen sich die beiden Heere gegenüber, knapp vor der Grenze zu Wales. Die Königlichen mussten den Hügel stürmen, auf dem die Truppen des Hauses Percy Stellung bezogen hatten. Sie kämpften sich durch einen Pfeilhagel bergauf. Der 16jährige Prinz Henry, der den linken Flügel befehligte, wurde dabei von einem Pfeil im Gesicht getroffen und verletzt. Er wich nicht zurück und ertrug den Schmerz, bis zum Sieg.

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Für Henry war diese Schlacht eine Feuertaufe. Zum ersten Mal konnte er seinen Mut in einer offenen Schlacht unter Beweis stellen. Und zum ersten Mal hatte er am eigenen Leib die gefährliche Macht des Langbogens erfahren müssen, jener dominanten Waffe, die er später selbst so erfolgreich gegen die Franzosen einsetzen sollte. Darüber hinaus machte ihn die Erfahrung dieser Schlacht zu einem der wenigen Befehlshaber, die im Hundertjährigen Krieg an einer offenen Feldschlacht teilgenommen hatten, da zu jener Zeit die Kriege hauptsächlich in Form von kleinen Scharmützeln und langen Belagerungen ausgefochten wurden. Die nächsten Jahre brachten weitere Feldzüge gegen die Percys, ihre Allianz mit den Walisern war noch lange nicht geschlagen. Prinz Henry reifte in diesen Jahren zum erfahrenen Feldherrn.

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Vom Januar 1410 an war er Mitglied des Kronrats, der wegen des schlechten Gesundheitszustandes des Königs die Regierungsgeschäfte übernehmen musste. Prinz Henry dominierte diesen gemeinsam mit seinen beiden Onkeln, Henry Beaufort, dem Bischof von Winchester, und Thomas Beaufort, dem Herzog von Exeter. So übte Henry bereits weitreichende Regierungsgewalt in England aus, wenn auch nur kurz: Da es wegen der Außenpolitik zu Meinungsverschiedenheiten kam – Henry wollte die Partei der Burgunder in Frankreich unterstützen, während sein Vater die Armangnacs bevorzugte – entließ ihn dieser im November 1411 aus dem Rat.

Wie erwähnt schlug die Stunde des jungen Thronfolgers im März 1413, als Henry IV. starb. Bei der Krönung Henrys V. am 9. April 1413 gab es heftige Gewitter mit Hagel, Sturmböen und sogar Schneegestöber. Niemand war überrascht. Dieser König war ein äußerst ungestümer Prinz gewesen, das extreme Wetter bei seiner Krönung galt den Menschen wohl als Vorgeschmack auf die stürmischen Regierungsjahre, die ihnen bevorstehen sollten. Doch Henry überraschte seine Untertanen, indem er seinen Lebenswandel seinem Amt entsprechend anpasste. Er wurde ernst und fleißig und angeblich sogar enthaltsam, um sich für die französische Prinzessin aufzusparen, die er zweifellos bald heiraten würde.

Henry V. ernannte seinen Onkel, Bischof Beaufort von Winchester, wieder zum Lord Chancellor und pumpte ihn an, weil der Bischof der reichste Mann in England war und König Henry Geld für sein ehrgeiziges Projekt brauchte: Er wollte den Krieg gegen Frankreich wieder beleben und vor allem gewinnen. Er wollte die französische Krone. Bevor er allerdings aufbrechen konnte, um sie sich zu holen, galt es erst einmal, der Welt zu beweisen, dass er überhaupt die englische Krone zu Recht trug. Dass er selbst zutiefst von der Rechtmäßigkeit seiner Herrschaft überzeugt war und deswegen keine Konkurrenz fürchtete, weder tote noch lebendige. Also schockierte er seine Brüder und seinen Kronrat, indem er den ermordeten König Richard II. aus dem verschwiegenen Grab holen ließ, und ihn mit allem angemessenen Pomp in Westminster Abbey beisetzen ließ. Auch seinen Cousin, den Grafen von March, der ja streng genommen einen besseren Thronanspruch hatte als er, ließ er aus einer irischen Festung zu seinem Hof bringen. Offenbar war Edmund dankbar für seine Freilassung und von dem Charisma des Königs überwältigt, dass er seine untergeordnete Rolle akzeptierte. Aber nicht alle in England dachten so wie Edmund.

Während Henry V. immer schärfere Botschaften mit dem König von Frankreich und vor allem dessen Sohn, dem Dauphin, um einen Casus Belli zu konstruieren, fiel ihm ein alter Freund in den Rücken: Sir John Oldcastle war ein Lollarde. Obwohl der junge König entschlossen und ziemlich unbarmherzig gegen diese Ketzer vorging, hatte er Oldcastles Gesinnung immer toleriert, weil der seit Jugendzeiten zu seinen Gefährten gezählt hatte. Aber Anfang 1414 zettelte Oldcastle einen Aufstand der Lollarden an. Während der Weihnachtsfeierlichkeiten am Hof in Eltham sollten der König und seine Brüder gefangen genommen und ermordet werden. Gleichzeitig sollten sich bis zu 20.000 Lollarden außerhalb Londons sammeln, um das Land im Handstreich zu nehmen. Aber der Plan wurde aufgedeckt und vereitelt. Das Heer der Lollarden löste sich rasch wieder auf, einige Rädelsführer, darunter Oldcastle, wurden hingerichtet.

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Die Vorbereitungen für den Feldzug konnten weitergehen. Im ganzen Land wurden Truppen ausgehoben, Schiffe wurden gebaut, Zimmerleute und Bogenbauer in Scharen angeheuert. Dass es so viele gute Bogenschützen in England gab, war kein Zufall: Schon seit Jahrzehnten wurde es dem einfachen Volk auferlegt, am Sonntag nach dem Gottesdienst am Bogen zu trainieren. Anderer Zeitvertreib wie das Fußballspielen wurde verboten, damit sich die Leute darauf konzentrierten. So wuchs über die Jahre immer wieder eine Generation guter Schützen heran, die sowohl die technische Fertigkeit als auch die körperliche Robustheit mitbrachte, die man für die Zugkraft und Genauigkeit am Langbogen benötigte.

Diplomatisch waren die Voraussetzungen für den Krieg gegen Frankreich ebenfalls herangereift. Wie erwähnt, Henry V. leitete seinen Anspruch auf die französische Krone über die Ehe seines Ur-Urgroßvaters Edward II. mit Isabella, der Tochter des Königs Philippe IV. von Frankreich, ab. Aus dieser Ehe ging Edward III. hervor, der erstmals den Anspruch auf die französische Krone erhoben hatte. Allerdings hatte dieser Anspruch einen Schönheitsfehler: In Frankreich galt das Salische Recht. Dieses um 486 entstandene Gesetzeswerk der Salfranken verbot die Weitergabe der Königswürde durch Frauen: „Auf Weiber soll nicht erben Salisch Land“. Nach englischem Recht konnten Frauen jedoch Titel erben. Henry V. und seine Kronjuristen wiesen die französische Rechtsauffassung natürlich ab: „Dies Sal'sche Land nun deuten die Franzosen als Frankreich fälschlich aus. Doch treu bezogen ihrer Schreiber, dass dieses Sal'sche Land in Deutschland liegt, zwischen der Sala und der Elbe Strömen, so zeigt sich klar: das Salische Gesetz ward nicht ersonnen für der Franken Reich.“

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Im Frühjahr 1415 waren die Verhandlungen mit den Abgesandten des französischen Hofes endgültig gescheitert. Henry V. hatte Forderungen gestellt, von denen er wusste, dass sie für die Gegenseite unannehmbar waren. So forderte er das immense Lösegeld nach, dass Edward III. seinerzeit für seinen Gefangenen König Jean erhoben hatte, das aber wegen Jeans Tod nicht mehr zur Zahlung gekommen war. Die Geschichte lag immerhin 75 Jahre zurück, jetzt holte sie Henry wieder hervor und provozierte die Franzosen damit. Der Dauphin beantwortete die Forderung mit der Übersendung von Tennisbällen – dem Geschenk für ein verspieltes Kind.

Doch das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frankreich sich in einer schwierigen innenpolitischen Situation befand. In Paris saß seit 1380 Charles VI. auf dem Thron, den man spätestens ab 1392 als regierungsunfähig bezeichnen muss – wenn man sich vorsichtig ausdrückt. Deutlicher formuliert ist der Beiname, den man Charles VI. gab: Charles le fou, der Wahnsinnige.

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Zwar hatte Charles zwischendurch immer wieder auch klare Momente, aber es war eine großartige Zeit für Strippenzieher im Hintergrund. Das waren zum einen die beiden Onkel des Königs, aber auch sein jüngerer Bruder Louis, dem ehrgeizigen Herzog von Orleans. Um 1400 hatten sich zwei Parteien herausgebildet, die um die Macht im Land rangen: Die Partei um Louis von Orleans (die Orleanisten) sowie die Partei um Herzog Philippe von Burgund (die Bourguignons). Beide Fraktionsführer waren bald tot: Philippe starb im Jahre 1404, ihm folgte sein Sohn Johann Ohnefurcht in Burgund – und der ließ 1407 seinen Konkurrenten Louis erstechen. In Orleans folgte Louis' Sohn Charles nach. Die beiden jungen Männer waren sich verständlicherweise in herzlicher Feindschaft verbunden, es kam 1410 zum offenen Bürgerkrieg in Frankreich. Der Orleans verbündete sich dabei mit Louis von Anjou sowie Graf Bernhard VII. von Armagnac gegen die Burgunder. Im Jahre 1413 siegten die Armagnacs und übernahmen in Paris die Herrschaft. Vorläufig endeten die Kampfhandlungen, besiegt war Burgund deshalb aber noch lange nicht. Frankreich war durch diese Krise und unter dem geisteskranken König deutlich geschwächt, es war wie eine Einladung an den englischen König Henry, den Feldzug gegen Frankreich zu beginnen.

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Henry V. hatte sein Heer im Juli gemustert. Rund 2.500 Men-at-arms und 8.000 Bogenschützen waren aus allen Teilen Englands zum Einschiffen gekommen. Dazu gesellten sich noch Artilleristen, Belagerungsspezialisten, Handwerker, Pagen, Knechte und weit über 10.000 Pferde. An Ausrüstung waren Bögen, Pfeile, Kanonen und Belagerungsgerät gefertigt und verladen worden. Die für die Überfahrt nötigen 300 Schiffe hatte man auf Befehl des Königs angeheuert und manchmal zwangsweise in den Dienst gepresst. Zum Vergleich: Die englische „Marine“ dürfte zu dieser Zeit vielleicht 30 Schiffe umfasst haben.

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Am Morgen des 14. August 1415 war es soweit, das englische Invasionsheer betrat nahe der Seinemündung den französischen Boden und schlug sein Lager vor der Stadt Harfleur auf, die sogleich belagert wurde. Der König beabsichtigte von Beginn an, in seinem Heer strenge Disziplin zu halten. Plündern, Konfiszieren und Brandschatzen war dem englischen Soldaten bei Strafe untersagt, vor allem kirchliches Eigentum stand unter Schutz. Wer gegen diese Vorschriften verstieß, riskierte es, gehenkt zu werden. Henry V. betrachtete Frankreich als sein eigenes Land, nicht als Territorium des Feindes. Harfleur war für Henry ein wichtiges strategisches Ziel, die Stadt war ein wichtiger Handelshafen, unter anderem für die wichtige Weberei-Industrie. Von hier aus führte die Seine stromaufwärts direkt nach Paris.

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Doch die Belagerung lief nicht besonders günstig für die Engländer. Die Verteidiger wehrten sich geschickt und im englischen Heer brach zudem die Durchfallerkrankung Ruhr aus – was bei dem feuchtwarmen Wetter, dem morastigen Boden und den schlechten hygienischen Bedingungen im dicht gedrängten Heerlager kein Wunder war. Die französischen Verteidiger widerstanden Sturmangriffen und Kanonenbeschuss. Am Ende war es das Ausbleiben von Verstärkungen, Charles VI. schickte keinen Entsatz. Als Harfleur sich am 23. September 1415 ergab und Henry in die Stadt einziehen konnte, hatte er einen Großteil seiner Männer während der Belagerung verloren. Kämpfe, Desertionen und die Ruhr hatten die Reihen seines Heeres merklich ausgedünnt. Und der Rest war in angeschlagenem Zustand, die Essensrationen der Soldaten waren auf Dauer zu mickrig.

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Nachdem er Harfleur endlich eingenommen hatte, musste Henry überlegen, wie er weiter vorgehen wollte. Die Belagerung hatte länger gedauert als erwartet, die Verluste höher als gedacht. Zudem musste der König rund 1.200 Mann als Besatzungstruppen in der Stadt zurücklassen. Das Heer, das Henry V. jetzt noch zur Verfügung stand, war auf 1.000 men-at-arms und 5.000 Bogenschützen zusammengeschmolzen. Sollte Henry einen direkten Marsch auf Paris geplant haben, konnte er das nun vergessen. Zwar hemmten die vielen Regenfälle und Überschwemmungen in Frankreich auch die Gegner in ihren Operationsmöglichkeiten – aber Paris einnehmen? Unmöglich mit ein paar tausend Mann. Ein Rückzug nach England schien vernünftiger, doch das ging Henry gegen seine Ehre. Er musste dem Gegner zumindest eine offene Feldschlacht anbieten, das gebot die Ritterlichkeit. Henry beschloss, nach Calais zu marschieren, seiner zweiten stark befestigten Stadt am Ärmelkanal. Wenn es ihm gelang, sein Banner quer durch das Land zu tragen, ohne dass eine französische Armee ihn aufhielt, würde das einen schweren Schlag für die Reputation Charles VI. bedeuten. Die Zahl seiner Gegner war deutlich größer, Henrys Vorteil war die bessere Beweglichkeit seines kleinen Heeres.

Am 8. Oktober 1415 ging es los Richtung Calais, ein Weg von 160 Meilen, die Henry in nur acht Tagen zurückzulegen gedachte. Eine ehrgeizige Aufgabe für seine Männer, besonders bei dem schlechten Wetter! Für diese acht Tage war das Heer mit Proviant ausgestattet, mehr nicht. Nach fünf Tagen erreichten die Engländer wie geplant die Furt Blanchetaque, die schon Edward III. 1346 überquert hatte. Und wie damals wurde das englische Heer von den Franzosen auf der anderen Flussseite erwartet. Anders als damals wagten die Engländer jetzt nicht, den Übergang zu erkämpfen, ein anderer Übergang musste gefunden werden. Es begann ein Katz-und-Maus-Spiel, denn das französische Heer zog auf der gegenüberliegenden Flussseite mit. Neuen Proviant holte sich Henry von einigen kleinen französischen Festungen, die sich damit von einem angedrohten Sturmangriff loskauften. Trotzdem, die Lage wurde prekär, im englischen Heer sank mit jedem Tag die Moral. Erst am 19. Oktober gelang es Henry dank eines Nachtmarsches, das gegnerische Heer auszumanövrieren und über die Somme zu setzen. Es folgten einige Tage harten Marsches, in denen die Engländer stets das französische Heer im Nacken hatten. Inzwischen war allen Soldaten in Henrys Armee klargeworden, um wie viel stärker die französischen Truppen waren und dass sie des Todes sein würden, wenn sie einer Schlacht nicht würden ausweichen können.

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Am 24. Oktober 1415 war dieser Punkt erreicht, die beiden Heere lagen nur noch eine Meile auseinander, eine Schlacht war unausweichlich geworden. Henry V. ließ seine Männer bei Azincourt eine Anhöhe erklimmen, von der aus sie einen guten Blick über das Umland hatten. Der Anblick erschreckte sie: Der Gegner trat in mindestens doppelter Überzahl an (die Schätzungen schwanken hier, frühere Schätzungen gingen von einer noch deutlicheren, drei- oder vierfachen Übermacht aus). Die Engländer befestigten ihre Stellung, in der einer langen Reihe, die schweren Truppen im Zentrum, die Bogenschützen an den Flanken. Die Schützen trieben angespitzte Holzstangen in den Boden, um hinter ihnen vor Reiterattacken gesichert zu sein. Das Schlachtfeld vor ihnen hatte eine Schlauchform, an den Seiten von Wäldern begrenzt. Ihnen gegenüber marschierten derweil die Franzosen auf, doch sie griffen nicht an.

König Henry V. ritt seine Schlachtreihe entlang. Er saß auf einem kleinen grauen Pferd, trug seinen Tabard mit dem Wappen Englands über der glänzenden Rüstung, seine goldene Krone auf dem Helm. Die vergoldeten Sporen waren nicht an seinen Füßen: Er zeigte seinen Männern damit ganz deutlich, dass er in ihrer Reihe stehen wird, dass er Seite an Seite mit ihnen kämpfen wird und dass er sich ebenso wenig wie sie auf einem schnellen Pferd die Flucht ergreifen kann. Immer wieder hielt der König vor seiner Schlachtreihe an, rief seinen Männern aufmunternde Worte zu. Und versicherte ihnen, dass seine, dass ihre Sache gerecht sei. Großen Ruhm und Ansehen würden sie zu ihren Familien nach England zurückbringen, wenn sie gut kämpften. Darüber hinaus erinnerte Henry sie daran, dass die Franzosen geprahlt hätten, sie würden drei Finger von der rechten Hand eines jeden gefangenen Bogenschützen abschneiden, so dass sie ihre Waffe nie wieder würden abfeuern können. Die englischen Bogner reagierten auf die Drohung, indem sie die Franzosen mit erhobener Faust grüßten, von der die drei bedrohten Finger abgespreizt waren (daraus entwickelte sich später das Victory-Zeichen, wie es auch von Winston Churchill verwendet wurde).

Aus den von Chronisten überlieferten Ansprachen hat später Shakespeare dem König die berühmte Rede in den Mund gelegt: „Streift seine Ärmel auf und zeigt seine Narben und sagt: „Am Krispinstag empfing ich die.“ Die Alten sind vergesslich, doch wenn alles vergessen ist, wird er sich noch erinnern mit manchem Zusatz, was er an dem Tag für Stücke tat. Dann werden unsre Namen geläufig seinem Mund wie Alltagsworte. Und Edelleut' in England, jetzt im Bett verfluchen einst, dass sie nicht hier gewesen. Und werden kleinlaut, wenn nur jemand spricht, der mit uns focht am Sankt Crispinustag.“

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Stundenlang belauerten sich die Heere, doch keiner tat den Angriff. Warum eigentlich und was geschah in dieser Zeit? Sicher, die Engländer waren schlicht zu wenige, als dass sie es sich hätten erlauben können, ihre defensive Aufstellung verlassen zu können. Auf der anderen Seite hatten die französischen Schützen ordentlichen Respekt vor den englischen Langbögen, außerdem hatten sie auf den Befehl zum Vorrücken zu warten. Die Adeligen konnten es sich gut erlauben, noch ein wenig abzuwarten. Sie wussten, dass die Engländer nicht weg konnten und dass sie hungrig, krank und erschöpft waren. Ohne Vorräte würden sie nicht lange durchhalten. Was war bei den Franzosen passiert, dass sie nicht ihrerseits die Bogen- und Armbrustschützen ins Gefecht geschickt hatten? Immerhin waren die Soldaten des französischen Heeres begierig auf die Schlacht. Sie waren siegesgewiss, und im Gegensatz zu den Engländern weder hungrig noch erschöpft. In der Nacht hatten die Adeligen um die Lösegelder für die gefangenen Gegner gespielt, die sie zu nehmen gedachten. Der Sieg war den Franzosen gewiss, die Engländer waren um ein mehrfaches unterlegen. Die Masse des französischen Heeres war unüberschaubar groß, gedrängt in dem Raum zwischen den an beiden Seiten gelegenen Wäldern. Die Reihen der Franzosen waren in den Stunden vor der Schlacht in ständiger Bewegung gewesen. Immer wieder kamen neue Adelige aus den hinteren Reihen nach vorne und verdrängten die Männer geringen Ranges von ihrem Platz. Jeder wollte den Ruhm ernten, den der Sieg bringen wird. Jedem war klar, dass die Übermacht der ersten Division, die alleine dem englischen Heer bereits zahlenmäßig überlegen war, den Sieg erringen wird. Für die Angehörigen des französischen Hochadels war es untragbar, hinten zu stehen, während geringe Männer Ruhm und Ehre gewinnen.

Unzählige Fahnen, Banner und Pennons, jene langen, schwalbenschwänzigen Fahnen, die die persönlichen Symbole ihrer Besitzer trugen, wehten über den Reihen der Vorhut. Jeder Adelige, der es geschafft hat, sich in die erste Abteilung zu drängen, die auf den Feind treffen wird, demonstrierte stolz seine Anwesenheit. Der Wald der Fahnen war so dicht, dass die Männer von ihm behindert wurden und ihnen die Sicht genommen wurde. Die Feldzeichen der höchsten Adeligen, die zum Signalisieren von Befehlen dienen sollten, waren in der Masse nicht mehr zu erkennen. Unter dem lautstarken Protest ihrer Besitzer wurden die Fahnen der weniger bedeutenden Heeren eingerollt und nach hinten gebracht.

Nahezu der gesamte Hochadel Frankreichs war auf dem Schlachtfeld versammelt. Neben dem Herzog Charles von Orleans (dem ranghöchsten Adeligen nach den Angehörigen des Königshauses) und den Herzögen von Bourbon, Bar und Alencon standen zahllose Grafen, Barone und andere hohe Herren in der Schlachtreihe. Während der Herzog von Orleans unter seinem Banner stand, war sein größter Widersacher, Herzog Johann von Burgund, nicht bei den Truppen. Seitdem Johann wie erwähnt Charles' Vater hatte ermorden lassen, lebten die beiden Männer in Blutfehde. Der König hatte, im Bewusstsein der Rivalität der beiden Männer, darauf verzichtet, einem der beiden den Oberbefehl über das Heer zu geben. Der Herzog von Burgund hatte es daraufhin abgelehnt, an dem Feldzug teilzunehmen, und dies auch seinem Sohn Philippe verboten. Seinen Untertanen aber hatte er die Teilnahme freigestellt.

Die nominellen Kommandanten des Heeres in Azincourt waren daher erfahrene Heerführer, jedoch nicht von so hohem Rang. Charles d'Albret war seit 1402 als Connétable von Frankreich im Amt, Marschall Jean le Maingre ein Mann von internationalem Ruf. Er hatte eine führende Rolle im gescheiterten Kreuzzug von 1396 gespielt, war bei Nicopolis in die Gefangenschaft von Sultan Bayezid geraten und gegen Lösegeld freigekommen. Bereits im Jahre 1399 hatte Jean wieder mitgeholfen, Konstantinopel gegen osmanische Angriffe zu verteidigen und sich damit schon zu Lebzeiten zu einer Legende gemacht. Nur: Den Herzögen und Grafen galten die Verdienste der beiden Heerführer wenig. Für sie waren sie Männer geringeren Standes, denen ihr eigener Adel weit überlegen war. Sie dachten nicht daran, sich der Befehlsgewalt zu beugen, die der König beiden übertragen hatte (der König selbst war in Azincourt nicht anwesend). Das bedeutete, dass im Heer, vor allem in seiner Spitze, Anarchie herrschte. Jeder wollte befehlen, niemand die Befehle eines anderen ausführen, schon gar nicht von einem, der geringerer Herkunft war. Die im Vorfeld geplante Taktik der beiden Befehlshaber, die einen kombinierten Angriff der eigenen Schützen und Reiter vorsah, um die englischen Bogner auszuschalten, um danach mit den Schützen und schweren Fußtruppen den Kern der englischen Armee zu vernichten, kam in Azincourt also gar nicht zur Anwendung. Der Plan war gut, und mit einer disziplinierteren Armee als der französischen wäre er ziemlich sicher erfolgreich gewesen. Die geistige Welt, in der das französische Rittertum lebte, verhinderte jedoch seine Umsetzung.

Für den Adel, der sein Leben lang für den Kampf auf dem Schlachtfeld trainiert und vorbereitet worden war, galt das Ideal des ritterlichen Duells, ähnlich dem bei einem Turnier. Das Fußvolk der geringeren Männer hatte in Augen der Ritter allenfalls eine zweitrangige Rolle, nämlich ihnen als eine Art mobiles Schutzschild zu dienen. Die Realität sah inzwischen anders aus. Im Laufe des Mittelalters gewannen die Fußtruppen eine wachsende Bedeutung auf dem Schlachtfeld. Söldner, die wie die Ritter ebenfalls professionell für den Kampf ausgebildet waren, lösten die Scharen von Bauern ab. Die französischen Ritter verachteten Fußvolk wie Söldner, und verachteten die Engländer, die der Infanterie so viel Bedeutung einräumten. Klar, nachdem die Franzosen bei Crecy und Poitiers die beiden schweren Niederlagen hatten hinnehmen müssen, wäre es nur natürlich gewesen, die Taktik der Engländer zu kopieren und ihre eigenen Langbogenschützen einzusetzen. Das taten die Franzosen trotz aller sozialen Bedenken auch – eigentlich sollten bei Azincourt nicht weniger als 4.500 Bogenschützen nebst 1.500 Armbrustschützen und einigen Männern mit Feuerwaffen die feindlichen Langbögen niederhalten. Der Hochmut und die Ruhmsucht der französischen Adeligen verhinderten dies jedoch. Immer mehr von den Schützen wurden von ihnen nach hinten geschickt. In der Zeit, in der die Heere sich gegenüberstanden, blieb bald kein einziger französischer Schütze in den vorderen Reihen. Die Ritter beanspruchten die Vorhut für sich, um mit den gegnerischen Rittern die Sache auszufechten. Nur wer sich in ihr befand, würde Ruhm und Ehre ernten. Angesichts der geringen Größe des englischen Heeres sollte schon für die zweite französische Division nichts mehr zum Kampfe übrig bleiben.

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Einzelne Reiter überquerten das Feld und hielten auf den englischen König zu. Keine Hand hob sich, kein Bogen wurde gespannt. Es waren Herolde, die dem König eine Botschaft der französischen Kommandanten brachten. Sie waren von den Gesetzen der ritterlichen Gesellschaft geschützt, niemand durfte sie verletzen oder töten. Henry V. kam ihnen mit einigen wenigen Begleitern entgegen. Er wusste, dass nun das Feilschen um seine Ansprüche, um die Früchte seines Feldzuges und um das Leben jedes Einzelnen hier auf diesem Acker beginnen sollte. Die Herolde boten ihm freien Abzug an, wenn er auf seinen Anspruch auf die französische Krone und auf das eben erst eroberte Harfleur verzichtet. Die Guienne, Henrys Lehen im Südwesten Frankreichs, sollte er behalten dürfen. Der König erwiderte, den Anspruch auf die französische Krone sowie auf Harfleur nur dann fallen zu lassen, wenn ihm die Guienne um fünf Städte sowie um die Grafschaft Ponthieu erweitert werden würde. Darüber hinaus forderte Henry die Hand Katharinas, der Tochter König Charles, mitsamt einer Mitgift von 300.000 Gold. Das waren unerhörte Forderungen, aber nachdem Henry V. jahrelang so laut für diesen Feldzug getrommelt hatte, konnte er jetzt nicht nur mit einem Trostpreis nach England zurückkehren. Immerhin gab Henry dafür ja seinen Anspruch auf die Krone auf. Im französischen Lager gab es durchaus viele mit der Meinung, eine Schlacht wäre unnötig. Politisch betrachtet war das wohl so, angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse dieses Tages war die Schlacht trotzdem wahrscheinlicher. Der französische Adel wollte die günstige Gelegenheit nutzen, den Gegner vernichten und so die Schlappen von Crecy und Poitiers ausmerzen.

Stunden vergingen ereignislos, die Franzosen ließen sich Zeit mit dem Angriff. Da erteilte Henry V. den Befehl, seine Leute auf Schussweite vorrücken zu lassen. Eine riskante Entscheidung, die sein Heer sehr verletzlich machte. Doch er hatte das Glück, dass noch immer kein Angriff erfolgte. Langsam marschierte die englische Schlachtreihe über den Acker auf den Feind zu. Der Boden war weich und nass. Das Ackergetreide, das gerade erst aus dem Boden sprießte, machte die durchweichte Ackererde noch schlüpfriger. Leicht konnten die Soldaten darauf ausrutschen und hinfallen, für die Männer in den Rüstungen war das Marschieren Schwerstarbeit, die den Atem raubte. Für die Engländer war der Vormarsch eine Erlösung vom Warten. Endlich konnten sie was tun – und vor allem dem Gestank entgehen, den die Ausscheidungen der vielen Durchfallerkrankten verbreiteten. Es bleibt ein Rätsel, warum die Franzosen ihre Chance für den Kavallerieangriff nicht ergriffen, erkannt haben müssen sie die erfahrenen Militärführer auf jeden Fall. Doch sie ließen geschehen, dass die englischen Bogenschützen aufs Neue ihre Pflöcke einschlugen und hinter ihnen in Deckung gehen konnten. Dann war es soweit, die Heere standen nur noch 250 Meter weit auseinander, nah genug für die englischen Bogenschützen. Mit einem gewaltigen Rauschen verließ die erste Pfeilwolke ihre Schlachtreihe und raste in einer hohen Parabel auf die Feinde zu. Sie konnte die dicht gedrängte Formation der vorderen französischen Divisionen nicht verfehlen. Mit ohrenbetäubendem Klappern schlugen tausende Pfeile in die Reihen der Franzosen. Viel Schaden verursachten die Pfeile nicht. Sie waren auf äußerste Reichweite geschossen und glitten meist an den Panzerplatten der Männer ab. Nur wer Pech hatte, traf ein Pfeil durch das offene Visier ins Gesicht. Die Pferde waren schlechter dran, sie waren meist nur an Kopf und Brust geschützt. Die getroffenen Pferde scheuten, warfen sich wild herum oder stiegen auf die Hinterhand. Reiter kämpften darum, im Sattel zu bleiben, einige wurden abgeworfen.

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Die eröffnenden Salven erzielten genau den erwünschten Effekt. Die französischen Ritter konnten der Provokation nicht widerstehen. Ihre Disziplin reichte nicht, um sie an ihrem Platz zu halten. Die Befehle ihrer Kommandanten verhallten ungehört. Vom Standpunkt des englischen Heeres aus gesehen, schien eine silberne Welle über die Köpfe der französischen Ritter zu spülen, als diese ihre Lanzen zum Angriff senkten. Die Reiter gaben ihren ihren Pferden die Sporen und trieben sie zum Angriff an. Mehrere hundert von ihnen trugen die Attacke vor, ein Anblick wie dieser hatte zuvor schon oft das gegnerische Fußvolk vor Angst das Weite suchen lassen, so gefürchtet war der Schockangriff der schweren Kavallerie. Doch in Azincourt fehlte der Attacke jede Rasanz! Der Boden war viel zu weich. Die Pflüge der Bauern hatten ihn tief umgegraben, der monatelange Regen ihn durchtränkt. Zuletzt hatten die Pferdeknechte nächtens die Schlachtrösser auf und ab geführt, um sie warm zu halten. Ihre Hufe hatten den Ackerboden in Morast verwandelt. Nun gewann der Angriff keine Geschwindigkeit und blieb zu lange dem Beschuss der Langbögen ausgesetzt. Die Ritter waren dagegen gut gerüstet, die Pferde waren verwundbarer. Zu langsam und zu schwach ist der Angriff, als die Kavallerie die angespitzten Pfähle, mit denen sich die Engländer an den Flanken schützten, erreichte. Tapfer durchbrachen einige Ritter mit ihren Pferden die Barrieren, doch meist wurden sie dabei abgeworfen und blieben zu Füßen der Schützen liegen. Diese machten kurzen Prozess mit den Feinden. Die Fußtruppen hatten dank ihrer Defensive und ihrer Disziplin standgehalten. Ein weiteres Zeichen für den Niedergang der gepanzerten Reiter als Beherrscher des Schlachtfeldes.

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Während dieser Phase hatte sich die vordere Division der schweren französischen Fußtruppen in Marsch gesetzt, nun sahen sie sich mit den zurückweichenden Reitern konfrontiert. Die hatten auf dem Rückzug den Beschuss nun von hinten, wo sie nicht so gut gepanzert waren. Entsprechend eilig preschten sie auf ihre eigene Linie zu, wo die Menge nicht schnell genug eine Gasse für die panischen Rösser bilden konnte. Männer und Pferde rutschten aus, stürzten, wurden niedergetreten und blieben im Schlamm liegen. Es gab Tote und Verwundete, ganz so, als ob die Franzosen das Schicksal erlitten, das sie eigentlich den englischen Bogenschützen zugedacht hatten. Die Masse der Truppe konnte das aber nicht in Unordnung bringen, in zehn Reihen Tiefe marschierte der massive Block der französischen Infanterie weiter vorwärts. Aber was heißt Marschieren, es war ein Stapfen, der Boden war so schlammig geworden, dass die Männer nur unter größter Mühe überhaupt vorwärts kamen. Immerhin hatten sie eine Rüstung von dreißig Kilogramm Gewicht angelegt, und durch den Helm konnten sie nur schlecht Atem holen. Wer das Visier seines Helmes öffnete, um Luft holen zu können, war schlecht beraten: Ein Pfeil ins Gesicht konnte die Atempause schnell tödlich enden lassen. Denn jetzt konzentrierten die Langbogenschützen ihren Beschuss auf den kaum zu verfehlenden Block der herannahenden Gewappneten. Der permanente Pfeilhagel zwang die marschierenden Ritter, die Köpfe zu senken und sich beim Gehen vorzubeugen. Vor Anstrengung und Schwitzen begannen sie regelrecht zu dampfen.

Der Vormarsch formierte sich in einer Keilform, mit drei Spitzen im Zentrum. Das war keiner taktischen Entscheidung geschuldet, es ergab sich aus der Aufstellung der Engländer. Jeder Franzose hatte es auf die größtmögliche Trophäe abgesehen, König Henry V. in der Mitte seiner Linie. Sein Standort war leicht erkennbar an seinem Leoparden- und Lilien-Banner, mit dem er über das Schlachtfeld hinweg signalisierte: Hier stehe ich und erhebe Anspruch auf die Krone Frankreichs. Wem es gelingen würde, Henry oder einen seiner hochrangigen Begleiter gefangen zu nehmen, würde viel Ruhm und ein enormes Lösegeld einstreichen. Solche Gegner tötete man nicht, es sei denn versehentlich in der Hitze des Gefechts. An den Flügeln dagegen standen lediglich die niederen Bogenschützen, die Hilfstruppen. Hier war für einen standesbewussten Ritter nichts zu holen. Also konzentrierte sich der Angriff auf das Zentrum und entsprechend hart war hier der Zusammenstoß der Gegner.

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Derart zusammengedrängt konnte sich die Übermacht der Angreifer nicht entfalten, im Gegenteil: Die französischen Kämpfer behinderten sich gegenseitig und boten ein leichtes Ziel für die Bogenschützen, die nun von den Flanken aus auf kurze Distanz in den massierten Haufen hinein feuern konnten. Als dann zahlreiche Tote und Verwundete im Schlamm lagen, stolperten die nachfolgenden Angreifer über sie und wurden im Gedränge von ihren Mitkämpfern in den Morast gedrückt, wo so mancher in seiner schweren Rüstung kläglich erstickte.

Dort, wo sich englische und französische Ritter im Kampf Mann gegen Mann gegenüberstanden, tobte die Schlacht mit großer Härte. König Henry wurde mehrfach niedergeschlagen, stand wieder auf, kämpfte weiter und warf sich in das dichte Kampfgefühl. Seine Knappen neben ihn fielen reihenweise, dem König selber wurde durch einen Schwertstreich der Helm beschädigt, eine Lilie aus seiner goldenen Krone geschlagen. Viele französischen Ritter, auch hohe Adelige, gaben erschöpft den Kampf auf und ergaben sich einem Standesgenossen. Sie konnten darauf vertrauen, dass man ihnen wie bei einem Turnier Pardon gewährte, wenn sie als Zeichen der Aufgabe dem Sieger einen Handschuh überreichten. Sie wurden als Gefangene in den hinteren Bereich des Schlachtfeldes überführt, von wo aus sie nicht mehr in die Kämpfe eingreifen durften, das gebot der ritterliche Ehrenkodex.

Die Führer der zweiten französischen Division erkannten, dass die Schlacht anders verlief als geplant. Sie konnten kaum glauben, dass es den achttausend Rittern der ersten Division nicht gelang, den zahlenmäßig unterlegenen Gegner, der in so schlechter körperlicher Verfassung angetreten war, zu besiegen. Es war ihre Chance, doch noch Ruhm und Reichtum zu erwerben, die Schlacht zu entscheiden und den Sieg zu erringen. Ihre Reihen machten sich nun ebenfalls auf den Weg durch den Schlamm, um sich mit dem Gegner zu messen. Für sie war der Morast noch mühsamer, doch sie mussten nicht mehr den Pfeilhagel der Engländer fürchten, weil den Bogenschützen die Munition ausging. So erreichten die Männer der zweiten Division die hinteren Reihen der ersten Gruppe und stürzten sich sofort in den Kampf – was die Situation der ermatteten Kämpfer weiter vorne noch weiter verschärfte. Reihenweise machten die Engländer nun Gefangene und das für unmöglich Gehaltene geschah. Ihrer Führungspersonen beraubt, zerfiel der Zusammenhalt des französischen Heeres, der Rückzug setzte ein. Der Nahkampf kam zum Ende, die Engländer hatten ihre Stellung wahrhaftig behauptet!

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Obwohl die Franzosen am Rande der Niederlage standen, hielt Henry V. sein Heer zusammen. Noch war die dritte Division der Gegner, die Nachhut, intakt. Alleine die Anzahl ihrer Kämpfer stellte immer noch eine Übermacht gegenüber dem englischen Heer dar. Henry erkannte, dass ein Gegenangriff trotz der verlockenden Gelegenheit viel zu riskant war. Also verbot der König, so gut er konnte, seinen Soldaten das Ausschwärmen zum Plündern der Toten. Die Vorsicht war begründet, in der Mittagszeit formierte sich die dritte Division der Franzosen tatsächlich zum Angriff und rückte vor. Die Bogenschützen der Engländer hatten in der Zwischenzeit einen Teil ihrer Pfeile eingesammelt und konnten wieder mit dem Beschuss beginnen. Der Kampf war kurz, dieser Angriff brach rasch zusammen. Trotzdem überraschte Henry V. der Kampfeslärm in seinem Rücken: Der Tross wurde angegriffen! Hinten, nicht weit vom englischen Lager entfernt, befanden sich tausende französische Gefangene, alle noch in voller Rüstung (nur ohne ihre rechten Handschuhe, die sie übergeben hatten). Überall lagen weggeworfene Waffen herum. Die Zahl der Gefangenen war weit größer als die ihrer Bewacher. Die Situation war gefährlich. Sollten die Gefangenen in die Schlacht eingreifen, wäre das kleine englische Heer verloren gewesen. Henry sah nur einen Ausweg: Er befahl, die Gefangenen zu töten.

Es kam zu einem Tumult. Die englischen Ritter weigerten sich, Hand an die Gefangenen zu legen. Die Gefangenen brüllten durcheinander, versicherten ihren Bewachern, dass sie nichts gegen sie unternehmen würden. Die englischen Adeligen versuchten, ihren König von seinem Entschluss abzubringen. Doch Henry blieb hart und befahl zweihundert seiner Bogenschützen, die Tat auszuführen. Die warfen sich auf die Gefangenen und sortierten jene aus, die aufgrund ihrer Wappen als weniger wertvoll erschienen. Es entstand ein riesiges Durcheinander, englische Adelige stellten sich den Henkern entgegen, um ihre lukrativen Gefangenen zu schützen, diese liefen weg vom Schlachtfeld und den herumliegenden Waffen, um zu zeigen, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht. Die zweihundert Bogenschützen waren hartgesottene Krieger, die keine Veranlassung hatten, den Befehl ihres Königs zu missachten. Sie verfolgten die französischen Adeligen, ergriffen sie und töteten sie mit Axthieben und Messerstichen. Einer von ihnen war der Herzog von Brabant, dessen improvisierter Wappenrock ihn nicht als einen der reichsten Fürsten Europas auszuweisen vermochte.

Als der englische König erkannte, dass der Angriff auf den Tross nur ein Überfall von Bauern war, der schnell abgeschlagen wurde, und das französische Hauptheer keinen weiteren Angriff mehr wagte, sondern sich im Gegenteil vom Schlachtfeld zurückzog, befahl er den Bogenschützen, das Massaker abzubrechen. Für einige hundert Adelige kam Henrys Erkennen seiner Fehleinschätzung zu spät. Für die Zeitgenossen war Henrys Verhalten ein Skandal – wenn auch aufgrund des Mordbefehls an sich. Solche Massaker waren in Kriegszeiten an der Tagesordnung. Es war das akzeptierte Recht des Siegers, dem Unterlegenen das Leben zu nehmen. Das, was die Zeitgenossen störte, war die Tatsache, dass adelige Ritter getötet worden waren. Niemand hätte es auch nur der Erwähnung wert gefunden, wären einfache Soldaten abgeschlachtet worden. Von ihnen erwartete man, dass die in einer Schlacht getötet wurden. Ritter unterlagen einem eigenen Ehrenkodex, der sie über das einfache Volk erhob. Verlor ein Ritter sein Leben in einem fairen Kampf, gereichte das sowohl dem Getöteten als auch dem Sieger zur Ehre. Akzeptierte der Sieger das Aufgeben seines Gegners aber, ging dieser in die ehrenhafte Gefangenschaft. Und in dieser musste der Adelige seinem Stand entsprechend behandelt werden. Gefangene Ritter waren bei ihresgleichen daher gut aufgehoben. Solange sie ihr Versprechen hielten und nicht zu flüchten versuchten, konnten sie sich relativ frei bewegen. Das alles galt halt nicht für die einfachen Soldaten, die sowieso kein Lösegeld für ihre Freilassung aufbringen konnten.

Die Bogenschützen, die das Töten der Geiseln ausführten, waren diesem Ehrenkodex nicht verpflichtet. Sie wussten, dass es im umgekehrten Fall für sie keine Gnade gegeben hätte. Unter den Männern waren viele, die den Feldzug mitgemacht hatten, um der Verfolgung für zivile Verbrechen zu entgehen, unter ihnen Mörder und Totschläger. Für sie war das Abschlachten unbewaffneter Adeliger viel weniger ein Problem als für die hohen Herren, in deren Gefolge sie sich befanden. Warum also einen Befehl des Königs missachten?

Die Schlacht war geschlagen, die Engländer hatten das Feld behauptet. König Henry V. ging herum und sah nach seinen Männern (von denen nun viele ausschwärmten, um die Leichen auszuplündern), sprach mit ihnen und dankte für ihren Mut und ihre Treue. Englische und französische Herolde sammelten sich um den König und verkündeten: „Der Sieg ist Euer. Die Burg, die dicht hier steht, heißt Azincourt. So heiße dies die Schlacht von Azincourt, am Tag Crispinus-Krispians gefochten!“

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Die Folgen dieser Schlacht waren gravierend. Das zahlenmäßig weit überlegene Heer der Franzosen war geschlagen, die Zahl der Toten ist unklar. Natürlich kursierten immense Zahlen über die Opfer, aber das dürfte Propaganda sein. Fakt ist, dass – zumindest laut einer Reportage von 2013 – das eigentliche Schlachtfeld noch nicht entdeckt worden ist, die Toten in der Erde noch nicht entdeckt worden sind. Lediglich nach Napoleons Niederlage bei Waterloo hat ein englischer General wohl erfolgreiche Ausgrabungen bei Azincourt durchführen lassen, unter den misstrauischen Augen der französischen Bevölkerung vor Ort übrigens. Doch seine Aufzeichnungen und Fundstücke sind im 19. Jahrhundert bei einem Brand in einem Londoner Magazin vernichtet worden. Die genaue Stätte dieser bedeutenden Schlacht harrt bis heute seiner Entdeckung. Wie auch immer, für Frankreich war Azincourt eine Katastrophe. Wieder war ein erheblicher Teil der adeligen Elite des Landes mit einem Schlag ums Leben gekommen, es gab kaum noch Erben für die Titel und Ländereien. Das verschärfte die Spaltung zwischen den französischen Bürgerkriegsparteien unter dem schwachen König Charles VI. noch einmal mehr. Frankreich lag am Boden. Die Engländer dagegen, die in Azincourt gesiegt hatten, konnten über Calais heimkehren und waren dort hoch geachtete Veteranen. Shakespeare ließ Henry V. über sie formulieren: „We few, we happy few, we band of brothers. For he today that sheds his blood with me, shall be my brother.“

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England bejubelte seinen siegreichen König, als er heimkehrte, aber Henry V. ruhte sich nicht lange auf seinen Lorbeeren aus. 1417 kehrte er in die Normandie zurück, die er in den beiden folgenden Jahren komplett eroberte. Das war ein hartes Stück Arbeit, denn er wollte nicht, dass seine Truppen das Land ausplünderten. Henry wollte vielmehr, dass die Normannen ihn als ihren rechtmäßigen König anerkannten. Also belagerte er mühsam Stadt um Stadt, Burg um Burg, bis eine nach der anderen fiel. Unterdessen verhandelte sein Onkel Beaufort von Winchester mit Burgund und den Vertretern des Königs von Frankreich. Das war alles andere als einfach, den Charles VI. war ja regierungsunfähig. Zeitweise ging sein Wahn so weit, dass er überzeugt war, sein Körper sei aus zerbrechlichem Glas, das niemand berühren dürfe. Der Dauphin, der französische Thronfolger, musste die Verhandlungen übernehmen, mit ihm konkurrierte vor allem der Herzog von Burgund um Einfluss. Um diesen Zwiespalt zu kitten und vielleicht mit einer Stimme gegenüber den Engländern aufzutreten, trafen sich der Dauphin und der Herzog am 10. September 1419 auf einer Brücke bei Montereau. Ehe irgendwer die Verhandlungen eröffnen konnte, hob einer der Männer des Dauphin die Streitaxt und spaltete dem Burgunder den Schädel. Damit hatten die Verhandlungen sich erledigt. Man erkennt allmählich, warum Burgund in EU4 als eigenständiges Land, und nicht als Teil von Frankreich, startet.

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Der Sohn und Erbe des erschlagenen Herzogs war zutiefst erbittert über diesen feigen Mordanschlag auf seinen Vater. Allein konnte er ihn nicht rächen, und weil es sonst niemanden gab, an den er sich wenden konnte, bat er Henry V. um Hilfe gegen den Dauphin.

Selbst die französische Königin sagte sich von ihrem Sohn Charles los und enterbte ihn, der König wurde eh nicht gefragt. So kam es, dass Burgund und die Königin im Jahre 1420 mit Henry V. den Vertrag von Troyes schlossen: Der Dauphin sollte enterbt werden, König Henry sollte dessen Schwester Katherine heiraten. Der kranke Charles VI. sollte dem Titel nach bis an sein Lebensende König von Frankreich bleiben, aber Henry erst sein Regent, dann sein Nachfolger werden, die Krone an seine und Katherines Nachkommen übergehen. „Bei Tod des Monarchen: Frankreich in einer Personalunion unter England.“ Das war der Sieg für England im Hundertjährigen Krieg, es war das erreicht, wofür dieser Krieg begonnen worden war!

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Es bestand nur noch das kleine Problem, dass der Dauphin von all diesen Plänen auf seine Kosten nicht sonderlich begeistert war, und südlich der Loire hatte er die Macht. Henry V. war entschlossen, sie ihm zu entreißen. Der Dauphin wies zurück, dass seine Mutter oder der Herzog zum Abschluss des Vertrags von Troyes berechtigt gewesen waren. Ja, die beiden hatten eine Vollmacht durch den französischen König erhalten, aber der war geistig umnachtet. Und außerdem: Woher hatte Henry V. auf einmal die angebliche Legitimation, die französische Krone zu erhalten? Aus welchen Ansprüchen beziehungsweise Legitimationen heraus diese Machtübertragung zustande kam, wurde in dem Vertragswerk nämlich gar nicht aufgeführt. Der Vertrag bezeichnete Henry als „Erbe Frankreichs“. Wie er aber zum Erben Frankreichs geworden war, wurde nicht erwähnt. Eine Möglichkeit könnte die Anerkennung des seit Edward III. bestehenden Anspruches auf die französische Krone gewesen sein. Dem widerspricht aber, dass Henry im Vertrag selbst explizit auf seinen Titel als König von Frankreich verzichtete und damit implizit die Unrechtmäßigkeit ebendieses Anspruches zugab. Gleichzeitig mit dem Verzicht Henrys auf diesen Titel wurde Charles VI. als König von Frankreich durch Gottes Gnade bezeichnet und somit sein Anspruch auf die Krone verstärkt.

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Als zweite Möglichkeit für Henrys Bezeichnung als Erbe könnte eine Adoption (im römischen Stil) durch Charles VI. angesehen werden. Solch eine Adoption ist aber nicht nachgewiesen, was diese Variante sehr unwahrscheinlich macht. Eine häufig genannte, aber gänzlich abwegige Theorie sagt, dass Henry V. durch seine Heirat mit Katherine, der Tochter Charles VI., zum Erbe wurde. Frauen waren, wie bereits erwähnt, gemäß dem salischen Recht von der Thronfolge beziehungsweise als Übermittler des Thronanspruches ausgeschlossen. Die Hochzeit geschah also, wie auch in dem Vertrag von Troyes erwähnt, nur „zum Wohle des besagten Friedens“. Um dies zu unterstreichen, fand die Trauung auch erst mit einem zeitlichen Abstand von zwei Wochen nach dem Vertragsschluss statt. Bis heute lässt sich nicht sagen, was nun genau den Ausschlag gegeben hatte, dass Henry V. als Erbe Frankreichs angesehen wurde und somit Anspruch auf die Krone erheben konnte. Möglicherweise gab es auch vor dem Vertrag gar keine Legitimation für seinen Thronanspruch. In diesem Fall würde alleine der Vertrag die Legitimation für Henry darstellen.

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Erst einmal heirateten er und Katherine also am 2. Juni 1420 in der Kathedrale von Troyes, und am 1. Dezember zog der König mit seiner französischen Gemahlin im Triumph als Regent von Frankreich in Paris ein. Er hatte sein ehrgeiziges Ziel erreicht. Doch im Frühjahr 1421 zeigte der Dauphin, dass mit ihm noch zu rechnen war: In einem Gefecht besiegte er das Heer von Henrys Bruder Thomas und tötete diesen. Für den erfolgsverwöhnten Henry war das ein schwerer Schock, Thomas hatte ihm persönlich nahegestanden. Für den König war nun klar, dass er sich selber um den Dauphin kümmern musste. Im Sommer 1421 kehrte er mit seinem Heer nach Frankreich zurück. Er sollte England nicht wiedersehen.

Während Henry das stark befestigte Meaux belagerte und einen zermürbenden Winter im Feld verbrachte, gebar die Königin am Nikolaustag in Windsor einen Sohn, der auf den Namen Henry getauft wurde. Diesem Knabe war es bestimmt, eines Tages der Erbe der Kronen von England und Frankreich zu sein. Meaux fiel Anfang Mai 1422 und viele glaubten, dies sei der Durchbruch. Aber schon im Winter war König Henry krank geworden, vermutlich hatte er sich mit der Ruhr infiziert und sich keine Ruhe gegönnt, um sich auszukurieren. Auf dem Ritt nach Cosne Ende Juli fiel er bewusstlos vom Pferd. In einer Sänfte brachten seine Lords ihn nach Vincennes, wo er am 31. August 1422 mit 35 Jahren starb, ohne seinen Sohn ein einziges Mal gesehen zu haben. „Er war zu ruhmreich, um lange zu leben“, soll sein Bruder John am Totenbett gesagt haben.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 12. Mai 2018 15:04

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Henry VI. und Charles VII. (beide 1422-1461)

England trauerte um seinen Heldenkönig, aber das war nicht der einzige Grund zum Wehklagen. Das Land befand sich im Krieg, steckte wie üblich in bösen finanziellen Schwierigkeiten, und der Thronfolger war ganze neun Monate alt. Zweimal war es seit der normannischen Eroberung bislang vorgekommen, dass ein Kind auf den Thron gekommen war. Beide Male war es halbwegs gelungen, die Stabilität mit einem handlungsfähigen Thronrat zu wahren, aber Henry III. war neun Jahre alt gewesen, Richard II. elf Jahre. Ein König in Windeln war eine Katastrophe. Zumal sechs Wochen nach Henry V. auch der umnachtete Charles VI. von Frankreich starb, so dass nun zwei Kronen auf den winzigen Säuglingskopf warteten.

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Ich habe mir beim Schreiben dieser Zeilen die Frage gestellt, was eigentlich geschehen wäre, wenn Katherine eine Tochter geboren hätte. In England galt ja die agnatisch-kognatische Nachfolge, in Frankreich nach dem Salischen Recht die rein agnatische. Die Tochter wäre Königin von England geworden, aber was wäre dann mit der Krone von Frankreich geschehen? In Wikipedia habe ich nachgeschaut: Der Vertrag von Troyes betonte, dass es sich bei den Kronen von England und Frankreich weiterhin um zwei verschiedene handeln solle. Ob das eine Land das Erbrecht des anderen übernehmen sollte oder beide bisherigen Gesetze parallel fortbestehen sollten, ließ der Vertrag - zu meinem Erstaunen - offen. Diese Frage musste in der Realität nie erörtert werden, da Henry einen Sohn hinterließ. Damit sind übrigens die beiden Protagonisten des EU4-Startjahres 1444 auf der Bühne: Bei dem französischen Dauphin handelte es sich nämlich um den späteren König Charles VII. von Frankreich, der kleine Säugling bestieg später als Henry VI. den englischen Thron.

König Henry hatte mindestens einen Monat lang gewusst, dass er sterben würde. Reichlich Zeit also, um seine Angelegenheiten zu regeln. Seinem Onkel Bischof Beaufort und seinem Freund Graf Richard von Warwick übertrug er die Vormundschaft für seinen Sohn. Seinen Bruder John von Bedford setzte er bis zur Mündigkeit des kleinen Königs als Regenten in Frankreich ein und verpflichtete ihn, den zähen Krieg gegen den Dauphin weiterzuführen. Seinem letzten verbliebenen Bruder Humphrey von Gloucester übertrug er die Regentschaft über England, die Humphrey als Lord Protektor stellvertretend für seinen kleinen Neffen und in Abstimmung mit dem Kronrat verwalten sollte.

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Das war alles gut gemeint, aber es funktionierte vorne und hinten nicht. John machte seine Sache in Frankreich hervorragend, hielt das Bündnis mit dem Herzog von Burgund (dessen Schwester er geheiratet hatte) und nahm dem französischen Adel den Lehnseid ab, aber realistisch betrachtet hatte er keine echte Chance, die Macht des Dauphin südlich der Loire zu brechen. Das war wohl nie mehr als ein schöner Traum gewesen, aber solange der Erfolg gesegnete Henry V. noch lebte, hatte das niemanden sonderlich besorgt.

Für den Dauphin war die Situation allerdings auch nicht lustig. Ja, er beherrschte den Süden von Frankreich. In Paris und in Burgund jedoch erkannte man den kleinen Henry VI. als König von England und Frankreich an. Charles hingegen wurde als Enterbter der Valois von ihnen bekämpft. Natürlich beanspruchte der Dauphin die französische Thronfolge für sich, persönlich hatte er aber nicht viel mit der Kriegsführung oder auch nur dem standesgemäßen Jagen am Hut. Charles VII. interessierte sich für Kunst, rauschende Feste und Mätressen. Vorerst aber hielten all jene französischen Adeligen zu ihm, die sich mit einem Engländer als ihren König nicht abfinden wollten. Wer den Vertrag von Troyes nicht anerkennen wollte, der musste es mit Charles VII. halten, es gab keinen anderen legitimen Thronfolger.

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Die eigentlichen Probleme der englischen Partei aber lagen in England. Herzog Humphrey war ein eitler, machtgieriger und verantwortungsloser Lump, der von Anfang an versuchte, den Kronrat auszubooten und allein zu regieren. Sein Onkel Beaufort, der ihn aus tiefster Seele verabscheute, wusste das zu verhindern, aber bald drohte England im Streit zwischen Herzog und Bischof ins Chaos zu sinken. Um Humphreys Protektorat schnell ein Ende zu bereiten, wurde der kleine König am 5. November 1429 zu Henry VI. von England gekrönt.

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Obwohl er nicht einmal acht Jahre alt war, ahnte er wohl, was ihm blühte, denn er schaute sich „kummervoll und wehmütig um“, wie ein Chronist notierte, während sein Großonkel Beaufort (inzwischen zum Kardinal befördert) ihm die viel zu große Krone aufs Haupt setzte. Humphrey von Gloucester büßte durch die Krönung einiges von seinem Einfluss ein, das war der Zweck der Veranstaltung gewesen. Gloucester zog einen reichen und mächtigen – und gefährlichen – Mann auf seine Seite: Herzog Richard von York. Dieser Richard von York war übrigens ein Neffe des kinderlos verstorbenen Edmund, jenem Thronprätendenten, der sich seinerzeit willig unter die Herrschaft von Henry V. gefügt hatte. Richard war also nicht nur mächtig, er hatte auch einen Thronanspruch (siehe rot umrandet links im folgenden Bild).

Während der kleine König Henry VI. unter der Last seiner Krone fast zusammenbrach und seine Onkel um die Macht stritten, hatte sich seine Mutter Katherine heimlich einen Liebhaber genommen, den Waliser Owain ap Meredydd, der aufgrund eines urkundlichen Schreibfehlers als Owen Tudor bekannt wurde (siehe rot umrandet mittig im folgenden Bild). Dieser Owen Tudor hatte wahrscheinlich in Azincourt gekämpft und war in den Haushalt der Königin versetzt worden. Die Liebschaft war brisant, wenn eine Königinwitwe wieder heiratete, war das eine politische Angelegenheit. Darum hatte der Kronrat eine erneute Heirat grundsätzlich untersagt. Der Ehe mit einem Niemand aus Wales hätte er sowieso nicht zugestimmt. Also zog sich Katherine vom königlichen Hof zurück, damit sie und Tudor nicht aufflogen, und der kleine König stand ohne mütterlichen Zuspruch alleine zwischen seinen zankenden Onkeln (siehe Regentschaftsrat im folgenden Bild).

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Es sollte aber noch schlimmer für ihn kommen. Der Hader in England verschaffte Charles VII. zunächst einmal eine wichtige Atempause, um sich südlich der Loire zu behaupten und zu konsolidieren. Er hatte aber keine Idee, wie er die mit Burgund verbündeten Engländer aus Frankreich vertreiben sollte. Spötter nannten Charles bereits den „König von Bourges“, weil er meistens hier residierte. Zwischenzeitliche Annäherungen an Burgund und die Bretagne zerschlugen sich wieder. Charles VII. demonstrierte seine Skrupellosigkeit, indem er sich je nach politischer Wetterlage ohne Bedenken von seinen Beratern trennte. Die französischen Adeligen dachten allmählich darüber nach, Charles ins Exil zu schicken, zu schwierig wurde die Lage.

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Denn seit 1428 machten sich die Engländer wieder daran, ernsthaft eine militärische Entscheidung in Frankreich herbeizuführen. Sie begannen mit der Belagerung von Orleans, die Stadt war ein strategisch wichtiger Punkt auf dem Weg nach Süden. Die Sache lief gut für die Engländer, die Belagerten waren im Frühjahr 1429 bereit, ihre Stadttore zu öffnen. Allerdings wollten sie Orleans lediglich an den Burgunder Philippe dem Guten zu übergeben, nicht an die Engländer. Das Angebot wurde abgelehnt, die Engländer wollten noch ein wenig warten, bis Orleans ihnen wie eine reife Frucht in die Hände fallen würde. Eine Frage der Zeit, und Charles VII. schien erledigt.

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Im März 1429 aber wurde Charles eine sonderbare junge Frau vorgestellt. Das Empfehlungsschreiben eines Stadtkommandanten hatte die Audienz des Bauernmädchens Jeanne beim König möglich gemacht. Diese Jeanne behauptete, im Namen des Himmels gekommen zu sein, um Frankreich zu befreien und dass Charles in Reims zum König von Frankreich gekrönt werden würde. Niemand weiß genau, wie Jeanne ihn überzeugte. Es ist nur bekannt, dass sie sich mit ihm in ein Zimmer zurückzog und ihn angeblich an einer ihrer Visionen teilhaben ließ. In Poitiers ließ Charles diese Jeanne drei Wochen lang von Geistlichen und hochgestellten Persönlichkeiten auf ihre Glaubwürdigkeit prüfen und ihre Jungfräulichkeit von Hofdamen untersuchen. Nach erfolgreichem Bestehen beider Prüfungen beschloss der Kronrat, ihr eine Rüstung anfertigen zu lassen, und stellte ihr eine kleine militärische Einheit zur Seite.

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Ich habe gerade kein eigenes Bild zur Hand, auf dem in Crusader Kings 2 die Ereigniskette der geheimnisvollen Jungfrau zu sehen ist. Manchmal bekommt man sie angeboten und kann ihr eine Heerführung übertragen. Das gibt bei den übrigen Fürsten zwar einen Meinungsabzug, aber gewöhnlich lohnt der Kommando-Wert der Jungfrau diesen Malus.

Ihr erster Auftrag war es, einen Proviantzug nach Orleans durchzubringen. Am 29. April kam ihr Zug in der eingeschlossenen Stadt an. Die Truppen in Orleans wurden von dem Erfolg motiviert und ließen sich überzeugen, einen Ausfall zu wagen. Am 7. Mai ritt Jeanne vorneweg. Von einem Pfeil getroffen und vom Pferd geworfen, blieb sie dennoch auf dem Feld. Das beeindruckte ihre Mitkämpfer und steigerte die Kampfbereitschaft des Heeres. Die Engländer reagierten ungläubig. Ein 17jähriges Bauernmädchen in Männerkleidern zerschlug mit einer kleinen Truppe den Belagerungsring um die Stadt!

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Völlig verdattert musste der Herzog von Bedford mit seinen Kämpfern abziehen und das eben erst besetzte Gebiet südlich der Loire preisgeben. Jeanne fing an, nach und nach zurückzuerobern, was Bedford so mühevoll eingenommen hatte.

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Und schließlich führte sie Charles nach Reims, wo er zu Charles VII. von Frankreich gekrönt wurde. Frankreich staunte und jubelte. Jeanne staunte überhaupt nicht, denn sie tat nur, was ihr die Stimmen der Heiligen auftrugen, die sie täglich hörte und die ihr immer genau sagten, was als Nächstes passieren würde. In England war man fassungslos, und spätestens bei der Krönung in Reims zutiefst erschrocken. Die französische Krone sollte doch laut Vertrag von Troyes an die Könige von England übergehen! Also brach Kardinal Beaufort im Mai 1430 mit dem kleinen König und einem großen Gefolge nach Frankreich auf, um die Sache zu bereinigen. Auch im französischen Adel hatte Jeanne nicht nur Freunde, man neidete dem emporgekommenen Bauernmädchen seinen Einfluss auf Charles. Der Stern von Jeanne sank nach einem Jahr sensationeller Erfolge, als sie ihre Prophezeiung, das stark befestigte Paris einzunehmen, nicht halten konnte. Durch Verrat wurde sie im selben Mai 1430 festgenommen und den Burgundern ausgeliefert. Die Engländer beschlossen, Jeanne den Burgundern abzukaufen. Immerhin hatte das Mädchen um ein Haar Paris eingenommen und vor allem hatte sie Frankreich einen König zurückgegeben und zumindest teilweise hinter ihm geeint.

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Ende 1430 wurde Jeanne für 10.000 Franken an John Bedford verkauft, der sie der katholischen Gerichtsbarkeit in Rouen übergab. Sie wurde der Ketzerei und Hexerei angeklagt, an dieser Stelle war Jeanne angreifbar. Sie brüstete sich ja ständig damit, in Gottes Auftrag zu handeln und von Heiligen geführt zu werden. Eine Ketzerin, der Charles VII. sein Gehör und sein Vertrauen geschenkt hatte, die ihn auf den Thron gebracht hatte – was für ein Skandal. Die Engländer hofften, dass sich der französische Adel und Klerus von Charles abwenden und Henry VI. zuwenden würden. Also veranstalteten sie einen abgekarteten Prozess, vor dem sie Jeanne ein Jahr lang mit Haft, Verhören und Folter mürbe machten. Sie gestand ihre Verbrechen und ließ sich dazu verleiten, es anschließend zu widerrufen. Ein rechtlicher Schachzug: Ein zuvor reuiger Ketzer galt in diesem Fall als ein verstockter Ketzer – und das wurde mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen bestraft. Die Hinrichtung ereignete sich am 30.Mai 1431 auf dem Marktplatz von Rouen. Als es vorüber war, schickte Kardinal Beaufort seine Männer aus, die Asche einzusammeln und in die Seine zu streuen, auf dass nichts von der Jungfrau übrig bliebe, worauf man einen Heiligenkult hätte begründen können.

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Die Erwartung, Jeanne würde nun vergessen werden, war schon praktisch am am Tag ihrer Hinrichtung hinfällig. Der befürchtete Heiligenkult um sie setzte sofort ein und der gewünschte politische Effekt stellte sich nicht ein. Die Zeiten hatten sich geändert: England hatte seine Kräfte überdehnt, in Frankreich hatte sich ein neuartiges Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit im Widerstand gegen die Besatzer gebildet. Es war stattdessen der Mord an Herzog Johann, der langsam an Bedeutung verlor und eine Annäherung zwischen Frankreich und Burgund möglich machte. Ende 1431 gelang es Charles, mit Philippe einen Waffenstillstand zu schließen, Burgund stieg erst einmal aus dem Krieg aus. In London bewilligte das Parlament John von Bedfort keine weiteren Steuern, mit dem Argument, der Krieg müsse ja wohl mit den Einkünften aus den eroberten Gebieten zu bezahlen sein. Da die aber großteils verwüstet waren, war das nicht der Fall. Es gab auch nicht die Mittel, Burgund mit Geld zum Verbleib in dem Bündnis mit England zu bewegen. So war es keine Überraschung, dass Philippe nicht in Paris erschien, als Beaufort dem jungen Henry VI. am 16. Dezember 1431 in der Kathedrale von Notre Dame seine Zweitkrone auf das Haupt setzte. Das war mehr als nur ein schlechtes Zeichen, es war der Anfang vom Ende.

Erleichtert kehrte der verängstigte König nach England zurück und harrte der weiteren Entwicklungen. Die Initiative lag nun bei seinem Konkurrenten Charles. Im Jahre 1435 kam es durch Vermittlung des Papstes in Arras zu einer Friedenskonferenz, die den Krieg zwei Jahre vor seinem hundertsten Geburtstag ein für alle Mal beenden sollte. Doch die Gegensätze waren unüberbrückbar. Aus englischer Sicht war die Konferenz ein totaler Fehlschlag, aus französischer Sicht ein Triumph: Charles VII. schloss Frieden mit dem Herzog von Burgund. England hatte seinen wichtigsten Verbündeten auf dem Kontinent verloren. Und dann starb mit dem Herzog von Bedford auch noch der fähigste Kommandant der Engländer.

Humphrey von Gloucester und Richard von York sahen ihre Zeit gekommen. Sie waren überzeugt, man müsse sich nur mehr Mühe geben, noch etwas mehr Blut vergießen, um das Ruder wieder herumzureißen. Kardinal Beaufort und seine Anhänger hingegen befanden, es sei an der Zeit, Frieden zu schließen, aber ihr Hass auf ihre innenpolitischen Widersacher trieb sie zu einer unklugen, niederträchtigen Politik. 1437 - in dem Jahr, in dem Charles VII. in Paris einmarschieren konnte - erklärte der englische Kronrat den 14jährigen König für mündig, und Henry schickte sich an, zwischen den Streithähnen zu vermitteln. Aber dafür war er nicht gestrickt. Henry VI. war leicht zu beeinflussen und glaubte immer demjenigen, der gerade vor ihm stand und seine Argumente vortrug. Henry, das merkten seine Untertanen bald, war ein schwacher Charakter, seht Euch seine 0-0-0-Werte an. Die einzige Eigenschaft, die er besaß, war seine große Frömmigkeit. Aber damit ließen sich die brisanten innen- und außenpolitischen Probleme nicht lösen.

Den Franzosen blieb nicht verborgen, dass mit Henry VI. keine Löwe, sondern ein Lämmchen auf dem Thron saß. Charles VII. setzte nach und nach seine Rückeroberungen in Frankreich fort und eroberte bis 1442 Meaux, die Ile-de-France und Toulouse. Im Mai 1444 heiratete Henry VI. Margarete d'Anjou (diese Dynastie bekommt man hin und wieder, wenn man mit England eine EU4-Partie gestartet hat), eine Nichte des französischen Königs, was eigentlich mit einem Waffenstillstand einhergehen sollte. In einem geheimen Zusatzvertrag hatte Henry VI. seinem Onkel Charles sogar die Grafschaft Maine versprochen, um endlich Frieden zu haben. Aber der war wie alle Franzosen die englische Besatzung so satt, dass sie sich dauerhaft an keine Abkommen mehr halten wollten.

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Und das ist die Situation im Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich, wenn man eine Partie EU4 mit dem Datum des 11. November 1444 beginnt.

Literatur:
Gable: Von Ratlosen und Löwenherzen
Berg: Die Anjou-Plantagenet
Baier: Die Schlacht bei Azincourt

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 31. Mai 2018 08:39

Jetzt beginnt das sechste Kapitel "Das Zeitalter der Entdeckungen" und wir kommen endgültig bei Europa Universalis 4 an, im Jahre 1444.

Spoiler (Öffnen)
1. Frühmittelalter
Karl der Große
1. Wie man einen König macht
2. Bruderzwist
3. De bello saxonici
4. Eine Schlappe wird zum Heldenlied
5. Die Krönung zum Kaiser
6. Die Nachfolgeregelung
Das byzantinische Kaiserreich
1. Konstantin V. (769-780)
2. Leo IV. (780-797)
3. Romylia (797-801)
4. Konstantin VI. (801-810)

2. Das Zeitalter der Wikinger
Alfred der Große
1. Ethelred (867-884)
2. Alfred (884-918)
Die ersten deutschen Könige
1. Prolog: Was geschah von 814 bis 867?
2. Ludwig der Deutsche (840-873)
3. Karlmann von Baiern (873-886)
4. Arnulf von Kärnten (886-898)
5. Ludwig III. (898-937)
6. Heinrich I. (937-968)
7. Hundert Jahre: Von Otto II. zu Heinrich IV.

3. Das Hochmittelalter
Wilhelm der Eroberer
1. Vorgeschichte
2. Der Herzog in seinem Herzogtum – Williams Herkunft
3. Die Normandie und England
4. Der König und sein Königreich – Wilhelmus Rex
5. Williams letzte Jahre – die liebe Familie
Heinrich IV.
1. Wehe dem Lande, dessen König ein Kind ist!
2. De bello saxonico
3. Der unheimliche Mönch
4. Der Gegenkönig
5. Reges geminati, papae geminati
6. Deus lo vult!
7. Heinrichs letztes Gefecht
Der Erste Kreuzzug
1. Prolog – über das Leben Philipps I. von Frankreich
2. Der byzantinische Hilferuf
3. Der Zug durch das byzantinische Reich
4. Im Heiligen Land
Duell: Heinrich der Löwe und Barbarossa
1. Vorgeschichte der Welfen und Staufer
2. Die Zeit unter dem Salier Heinrich V. (1104-1125)
3. Die Staufer werden um die Krone gebracht - Lothar III. (1125-1137)
4. Der erste Staufer auf dem Thron - Konrad III. (1137-1152)
5. Duell: Friedrich I. Barbarossa (1152-1190)
[INDENT]1. Heinrich der Löwe verzichtet auf die Königskrone
2. Heinrichs Kämpfe gegen die Wenden
3. Krieg in Italien, Ärger in Sachsen
4. Heinrichs Pilgerfahrt
5. Die Unterredung von Chiavenna
6. Der Prozess gegen den Löwen
7. Nach dem Sturz
6. Das letzte Aufbäumen des Löwen - Heinrich VI. (1190-1197) [/INDENT]
Duell: Saladin und Richard Löwenherz
1. Saladin in Ägypten
2. Königreich der Himmel
3. Der Dritte Kreuzzug
4. Die Plantagenet: Richards Herkunft
5. König Richard auf dem Weg ins Heilige Land
6. Richard Löwenherz im Heiligen Land
Zwischenkapitel: Die Wehen der neuen Epoche
1. Die glühende Krone
2. Better to reign in hell, than serve in heaven
3. Ein Ausbund an Verderbtheit und das Werk der Hölle
4. Deutschland: Philipp von Schwaben gegen Otto IV.

4. Mongolensturm
Friedrich II.
1. Noch einmal Staufer gegen Welfen
2. Friedrichs ganz eigener Kreuzzug
3. Messias oder Antichrist
4. Der Untergang der Staufer
Edward I.
1. Prinz Edward
2. König Edward
3. Hammer der Schotten
Drei Familien: Habsburg - Rudolf I.
1. Bescheidene Herkunft
2. Das Interregnum
3. Königswahl
4. Marsch auf Wien
5. Der Zweikampf
6. Hausmacht
7. Adolf von Nassau
8. Albrecht I.
Drei Familien: Wittelsbach – Ludwig IV.
1. Die Wittelsbacher
2. Heinrich VII. von Luxemburg
3. Alighieri Dante
4. Doppelpack: Ludwig von Wittelsbach und Friedrich von Habsburg
5. Der Papst wird ausgesperrt

5. Spätmittelalter
Drei Familien: Luxemburg – Karl IV.
1. Der Kronprinz
2. Der Gegenkönig
3. Der Schwarze Tod
4. Die Goldene Bulle
Der Hundertjährige Krieg, Teil 1 – Edward III.
1. Der Vater: Edward II.
2. Familienangelegenheiten
3. Die Schlacht von Crecy
4. Der Schwarze Tod
5. Die Schlacht von Poitiers
6. Ein König in Ketten
Das Konzil – Sigismund
1. Sigismund sucht sich einen Thron
2. Die Reform an Haupt und Gliedern
Der Hundertjährige Krieg, Teil 2
1. Richard II.
2. Henry IV.
3. Henry V. und Charles VI.
4. Henry VI. und Charles VII.


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6. Das Zeitalter der Entdeckungen
1. Das Startdatum 11. November 1444
2. Das Osmanische Reich – Stadt der weltlichen Begierde
3. Portugal – Jenseits des Kap Bojador
4. Walachei – Der kleine Drachen
5. England – Die Rosenkriege
6. Heiliges Römisches Reich – Die Reichserzschlafmütze
7. Frankreich – Die universelle Spinne
8. Kastilien – Die iberische Hochzeit
9. Kirchenstaat – Der unheimliche Papst

Ich habe mir einen ausführlichen Rundumblick für diesen Zeitraum ab 1444 vorgenommen... immerhin beginnen hier quasi alle EU4-Partien.

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Das Startdatum 11. November 1444

Jeder Spieler von Europa Universalis 4 kennt dieses Datum, den 11. November 1444, denn es ist das Startdatum der Partie. Warum hatte sich Paradox für diesen Tag entschieden, war da etwas Besonderes geschehen? Es gibt ein Ereignis, das der Ausgangspunkt ist, und zwar am Vortag, den 10. November: Die Schlacht von Varna zwischen dem christlichen Heer der Polen und Ungarn gegen das Heer der Osmanen. Es war eine Art letzter Kreuzzug, um Konstantinopel zu stabilisieren, die ungarische Grenze zu sichern, und um vielleicht doch noch Jerusalem zu befreien. Eines Tages zumindest. Doch der Sieg der Türken besiegelte das Ende der Kreuzzüge, das Ende des byzantinischen Konstantinopels – und öffnete dem Osmanischen Reich den Weg auf den Balkan.

Schon Anfang des 15.Jahrhunderts hatten die Türken bereits einmal die Gelegenheit bekommen, den Balkan in Besitz zu nehmen, aber sie hatten sie damals noch nicht nutzen können. Im Osten ihres Reiches wurden sie nämlich von den Timuriden geschlagen, wobei ihr Sultan Bayezid I. in Gefangenschaft geriet und ums Leben kam. Die Thronfolgekämpfe unter seinen Söhnen lähmten das Osmanische Reich zusätzlich. Einmal noch hatte die christliche Welt eine Atempause vergönnt bekommen, das wusste auch Sigismund, ungarischer König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Nicht ohne Grund hatte er ab 1414 auf dem Konzil von Konstanz versucht, die Kirche zu einen und mit ihr die europäischen Mächte, auf dass sie eine Koalition gegen die Türken bilden mögen. Als Sigismund 1437 starb, war er zumindest bei der Bildung dieser Allianz erfolglos geblieben. Sein Nachfolger auf dem deutschen Thron, der Habsburger Albrecht II., regierte nur zwei Jahre lang, von 1438 bis 1439. Zu kurz, um etwas Nennenswertes auf die Beine stellen zu können.

Die Osmanen dagegen nutzten die Zeit, sich im Inneren zu konsolidieren. Nachdem Mehmed sich unter den Söhnen des Bayezid den Thron sichern konnte, regierte dieser bis zu seinem Tod im Jahre 1421 und hinterließ die Herrschaft wiederum seinem Sohn Murad II. - der räumte rasch unter den Thronprätendenten in seiner Familie auf, die in ihren Ambitionen - nicht uneigennützig - von Byzanz unterstützt wurden. Murad festigte die osmanische Herrschaft über Anatolien und besetzte 1430 Saloniki. Die von der türkischen Expansion betroffenen Staaten Bosnien, Ungarn und Albanien mussten sich überlegen, wie sie sich den Osmanen entgegenstellen konnten. Immerhin hatten sie mit Janos Hunyadi (auch: Johann bzw. Corvinus) und Gjergj Kastrioti (auch: Georg Skanderbeg) zwei fähige Heerführer in ihren Diensten. Skanderbeg sah 1443 seine Chance zum Widerstand gekommen, nachdem die Türken drei Jahre zuvor erfolglos Belgrad bzw. ein Jahr zuvor das rumänische Hermannstadt belagert hatten. Er trat einen albanischen Aufstand gegen die Türken los.

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Zugleich kam Bewegung in das Vorhaben, einen Kreuzzug gegen die Osmanen zu organisieren. Nominell war das natürlich ein Vorrecht des Papstes Eugen IV. (1431-1447), anvertraut wurde das Vorhaben aber dem König Wladyslaw III., der seit 1434 auf dem polnischen Thron saß und 1439 nach dem Tod des Habsburgers Albrecht II. auch die Krone von Ungarn erhalten hatte. Das hört sich mächtig an, doch Wladyslaw III. war erst 19 Jahre alt und benötigte die Erfahrung solcher bewährter Männer wie Hunyadi - der sich im Falle seines Erfolges Hoffnungen auf die Krone Bulgariens machte. Assistiert wurde Hunyadi von dem Serben Georg Brankovic, der eine Rückeroberung seiner Heimat zur Wiedererrichtung des serbischen Despotats nutzen wollte, natürlich mit ihm selber an der Spitze Serbiens.

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Die Gestellung venezianischer Schiffe fädelte der Papst ein, er stellte Venedig dafür die Inbesitznahme von Gallipoli in Aussicht.

Im Spätsommer 1443 sammelte sich in Südungarn eine Heeresmacht von etwa 25.000 Mann, bunt zusammengewürfelt aus adeligen und einfachen Kriegern verschiedener ost- und südosteuropäischer Ländern wie Ungarn, Polen, Serbien und der Walachei, und sogar aus türkischen Söldnern. Das ehrgeizige Ziel dieser Streitmacht, die so gar nicht einem klassischen Ritterheer ähnelte, war Edirne, das Zentrum des Osmanischen Reiches. Bis Sofia und Nis ging es recht zügig voran, dann wurde der türkische Widerstand aber stärker. Deren Defensive und der Winter 1443/44 erzwangen eine Pause der Kriegshandlungen, man sammelte sich Ende Januar 1444 bei Belgrad, um einen zweiten Anlauf zu wagen.

Das ganze Unternehmen und besonders die energischen Taten Hunyadis machten einigen Eindruck auf die Beteiligten. Die Walachen schlossen sich dem Kriegszug an, auch der byzantinische Kaiser griff voller Hoffnung zu den Waffen und erwartete ungeduldig das katholische Heer. Auch Sultan Mehmed II. erkannte die Gefahr, die ihm durch Hunyadi drohte und bot Friedensverhandlungen an. Darin sollte auch dem Fürsten der Walachei, Vlad Dracul, Befreiung von türkischer Botmäßigkeit zugestanden und den Ungarn ein zehnjähriger Waffenstillstand garantiert werden.

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Der polnische König ging auf die Sondierung ein, wenn auch nur zum Schein. Denn zugleich versprach er vor dem ungarischen Reichstag und dem päpstlichen Legaten die Fortsetzung des Kreuzzugs noch im Jahre 1444. Als der türkische Botschafter am 1. August im ungarischen Szeged (der Geburtsort meiner Mutter) von den christlichen Parteien den Eid zum Waffenstillstand erhielt, war das eine glatte Lüge, dieser Eid sollte binnen eines Monats gebrochen werden. Die Absolution des Papstes für dieses Vorgehen war gleich zur Hand: Mit Ungläubigen gab es keine bindenden Versprechen. Sultan Murad ahnte das nicht, verließ sich auf das Wort seiner Gegner und wendete sich mit seinen Truppen dem Osten seines Reiches zu. Die Chance für Wladyslaw, im Frühherbst 1444 eine erneute Offensive zu starten.

Eine Neuauflage der Kreuzzugs hatte Murad mit seinen Verhandlungen also nicht verhindern können, erreicht hatte er aber eine Spaltung des christlichen Lagers, denn der durch das Versprechen des Sultans zur Wiederherstellung seiner Herrschaft zufriedengestellte Despot Brankovic machte seinen Frieden mit Murad und scherte aus der Koalition aus. Damit fehlte Wladyslaw ein wichtiger Alliierter, auch konnte der Kreuzzug nicht mehr Serbien als Aufmarschgebiet benutzen. Die Alternative war der Weg entlang der bulgarischen Schwarzmeerküste. Mit 20.000 Mann marschierten die Kreuzfahrer dort im September 1444 in das türkische Gebiet ein. Die überraschten Türken verschanzten sich in ihren Burgen, während sie der Plünderung des offenen Landes zuschauen mussten. Die Walachen und Bulgaren waren von den Raub- und Mordtaten ihrer Verbündeten wenig begeistert und leisteten verdeckten Widerstand gegen die Polen und Ungarn. Vlad Dracul, Fürst der Walachei, der sich dem Kreuzzug zunächst mit 5.000 Bewaffneten angeschlossen hatte, kritisierte heftig den ganzen Kriegsplan und äußerte Zweifel daran, dass er mit weniger Leuten umgesetzt werden könne, als der türkische Sultan schon alleine bei seinen Jagdvergnügen um sich habe. Nach einem heftigen verbalen Zusammenstoß mit Hunyadi, der beinahe in Handgreiflichkeiten ausgeartet wäre, zog sich Vlad Dracul aus dem Kreuzzug zurück und überließ seinem Sohn Mircea das Kommando über das walachische Aufgebot. Trotz dieser Widrigkeiten und Hindernisse konnte das christliche Heer schließlich Anfang November 1444 auf der Höhe von Varna an der Schwarzmeerküste vorstoßen und damit einen wichtigen Teilsieg erringen.

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Der zweite Teil des Kreuzzugsplanes blieb jedoch schon im Ansatz stecken. Es kam zwar Verstärkung aus Venedig (mit seinen Galeeren) sowie aus Burgund, in Person von Herzog Philipp dem Guten (1419-1467). Der Herzog, Sohn und Nachfolger von Johann Ohnefurcht, sann Zeit seines Lebens auf Rache für die seinem Vater bei Nikopolis angetane Schmach von 1396. Damals war das burgundische Heeresaufgebot freilich größer gewesen als jetzt im Jahre 1444. Burgund legte seinen Schwerpunkt dieses Mal auf die Gestellung von Schiffen. Das hört sich merkwürdig an, wird aber klarer, wenn man bedenkt, dass Philipp mit der portugiesischen Isabella verheiratet war. Der kühne Plan, getrennt zu marschieren und vereint zu kämpfen, scheiterte an den organisatorischen Herausforderungen: Die christlichen Flotten kamen, aber sie waren zu spät dran, um den alarmierten Murad daran zu hindern, mit seinem Heer aus Kleinasien über den Bosporus überzusetzen. In Eilmärschen wandte sich Murad von Edirne nach Norden und erreichte in nur sieben Tagen das Gebiet von Varna, wo das Kreuzfahrerheer lagerte.

Am Morgen des 10. November 1444 (dem Martinstag) begann die Schlacht zwischen 25.000 Kreuzfahrern und mindestens 80.000 türkischen Kriegern. Gegen neun Uhr am Morgen eröffneten die türkischen Freischärler das Gefecht. Als sie von ungarischen Reitern über den Haufen geritten wurden, brachen türkische sipahi in die linke Flanke der Ungarn ein und richteten einen so großen Schaden an, dass nur noch 150 Reiter die Wagenburg der Kreuzfahrer halten konnten. Erst jetzt griffen die Kerntruppen Wladyslaws und Hunyadis in das Kampfgeschehen ein und vernichteten in kurzer Zeit etwa 3.000 berittene Krieger der Türken. Schließlich hielten nur noch die Janitscharen stand, während sich das restliche türkische Heer zur Flucht wandte. Hunyadi war mit dem Erreichten zufrieden und wollte die erkämpften Positionen sichern, Wladyslaw hingegen ließ sich zu einem neuen Angriff mit 500 seiner Reiter hinreißen, der zunächst auch Erfolg zu haben schien. Murad wollte sich schon selbst zur Flucht wenden, wurde aber von seinen Elitesoldaten daran gehindert, die seinem Pferd Fesseln anlegten und die Flucht unmöglich machten. Nur wenig später stürzte der tollkühne polnische König bei seiner Attacke vom Pferd, und ehe er sich wieder aufrichten konnte, hatte ihm ein griechischer Renegat den Kopf abgeschlagen, den der Sultan sofort auf einer Stange aufspießen und zur Schau stellen ließ. Das richtete eine ungeheure Demoralisierung unter den Kreuzfahrern aus, die sich in der beginnenden Dunkelheit zumindest zurückziehen konnten und bald ihr Heil in einer wilden Flucht suchten. Die Truppen des Sultans konnten da noch gar nicht recht glauben, dass sie gesiegt hatten, und erst sehr spät am folgenden Tag, dem 11. November 1444, besetzten sie das Heerlager der Geflohenen, wo sie in einer Burg von 150 Wagen reiche Beute machten.

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Janos Hunyadi konnte sich nur mit knapper Mühe retten. Er wurde auf der Flucht in der Walachei von Fürst Vlad Dracul aufgehalten und längere Zeit gefangengesetzt, ehe er in seine ungarische Heimat zurückkehren und neue Verteidigungsmaßnahmen gegen die Türken ergreifen konnte. Der päpstliche Legat war zunächst auch unter den Flüchtenden gewesen, verlor sein Leben aber doch noch auf dem Schlachtfeld. Der Kopf des toten Königs Wladyslaw wurde in einem mit Honig gefüllten Gefäß in die alte osmanische Hauptstadt Bursa geschickt und von den Einwohnern in feierlichem Zug an den Stadttoren entgegengenommen, gewaschen und auf eine Lanze gesteckt im Triumph durch die Straßen getragen. 25 gefangene Kürassiere wurden von Murad an den Sultan der Mameluken Gaqmaq als Geschenk übersandt, um den Sieg über die Kreuzfahrer in der ganzen muslimischen Welt bekannt zu machen und zu zeigen, gegen welche Eisenmänner die Osmanen erfolgreich gewesen waren.

Sultan Murad II. konnte sich nach dem Sieg von Varna von den Herrscherpflichten zurückziehen und das Regieren nun ganz in die Hände seines Sohnes Mehmed II. legen. Dieser Schritt war kurz vorher schon einmal gemacht worden, wegen der Bedrohung in Varna hatte Murad die Befehlsgewalt dann aber doch noch einmal an sich gezogen. Das ist der Grund, warum einerseits Vater Murad II. in meiner Story als Sultan bezeichnet wird, obwohl EU4 zum 11. November 1444 den Sohn Mehmed II. bereits als Sultan führt. Um die Sache vollständig zu machen: Vater Murad zog auch 1446 noch einmal die Regierung an sich, als seinem Sohn ein Aufstand der Janitscharen über den Kopf zu wachsen drohte. Mehmed II. sollte erst fünf Jahre später endgültig Sultan werden, nämlich als sein Vater 1451 starb.

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Stadt der weltlichen Begierde - Das Osmanische Reich 1444

Endlich konnte Mehmed II. das Sultanat ganz und gar übernehmen. Erfahrung hatte der junge Mann durchaus schon gesammelt, nicht nur, weil sein Vater ihm zwischendurch den Thron überlassen hatte. Schon als Kind war Mehmed, nach dem Tod von einem seiner (Halb-) Brüder, zum Gouverneur einer Provinz befördert worden. Vermutlich wäre unter gewöhnlichen Umständen hier schon Schluss gewesen, was Mehmeds Aufstieg anging. Der Junge war nur der vierte unter den Söhnen des Sultans und in frühen Jahren ein schwer erziehbarer, widerspenstiger Bengel. Sultan Murad setzte dem Knaben einen ägyptischen Gelehrten vor, dem er ausdrücklich das Züchtigungsrecht einräumte. Die erste Amtshandlung des Lehrers bestand darin, Mehmed zu verprügeln. Bald darauf war es offenbar vorbei mit Mehmeds Widerborstigkeit, der Junge war sehr intelligent und machte sich. Und als in den Jahren danach seine beiden weiteren Brüder unter ungeklärten Umständen starben, da war Mehmed plötzlich der Thronfolger. Murad II. holte ihn zu sich in die türkische Hauptstadt Edirne, unterrichtete ihn in der Staatsführung und überließ ihm 1444 zeitweise sogar seinen Thron.

Das war noch vor der Schlacht von Varna, als die Friedensverhandlungen mit den Kreuzfahrern auf einem guten Weg schienen. Mehmed II. war in religiösen Angelegenheiten nämlich ein ausgesprochen toleranter Mensch, er strebte gar eine Versöhnung und Verschmelzung von Christentum und Islam an. Das war dem Vater wohl suspekt, jedenfalls stellte er Mehmed bei dessen Thronbesteigung eine Reihe von Beratern an die Seite, die in religiösen wie militärischen Fragen erfahrener und traditioneller waren. Es überrascht wohl keinen, dass Mehmed II. ziemlich schnell mit diesen Beratern im Streit lag. Aber die Stunde der vor allzu großer Offenherzigkeit warnenden Berater schlug bald, denn die Christen brachen im August 1444 ihr Friedensversprechen und marschierten gegen den Sultan auf. Wie erwähnt trafen die Heere bei Varna aufeinander, die Schlacht endete mit einem bedeutenden Sieg der Türken.

Politisch ging danach ein Riss durch das christliche Lager, das der Papst doch hatte vereinen wollen: Die orthodoxen Christen misstrauten den Katholiken, dass es ihnen nicht um das gemeinsame Wohl, sondern um die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen ginge. Auf der Seite der Katholiken war es vor allem Burgund, das das Ideal des Kreuzzugs hochhielt, obwohl die Idee schon seit längerem im Niedergang begriffen war. Augenscheinlich war das bereits seit 1291, als die letzten christlichen Bastionen im Heiligen Land an die Muslime verloren gegangen waren. Byzanz war seit der Plünderung Konstantinopels und der darauf folgenden Zersplitterung seines Territoriums unter dem „Lateinischen Reich“, das sich rund fünfzig Jahre halten konnte, sowieso nur noch ein Schatten einstiger Größe. In diesem Schatten bildete sich seit 1300 das Osmanische Reich.

Sein Name leitete sich ab von seinem ersten Herrscher Osman, der sich 1299 aus der Vasallität der Rum-Seldschuken lösen und in der Folgezeit das westliche Kleinasien erobern konnte. Möglich geworden war das, weil die eigentlich mächtigeren Seldschuken maßgeblich durch die Invasion der Mongolen geschwächt worden waren – und Byzanz schon nicht mehr in der Lage war, das dadurch entstandene Machtvakuum in dieser Region zu füllen. Osmans Sohn Orhan weitete das Machtgebiet weiter aus bis nach Ankara und versechsfachte das Staatsgebiet. Byzanz war zwar ein Riese im Niedergang, seine Hauptstadt Konstantinopel war für die Türken aber eine uneinnehmbare Festung.

Es ist bezeichnend für die Schwäche des byzantinischen Kaisers, dass Orhan 1354 mit seinen Soldaten einfach quasi an Konstantinopel vorbei auf den europäischen Kontinent marschierte. Die Dardanellen waren die erste europäische Eroberung der Osmanen, und es blieb nicht die letzte. Orhans Sohn Murad I. konnte in Europa dauerhaft Fuß fassen, obwohl er an seiner östlichen Grenze mit dem Nachbarreich Karaman im Krieg lag. Begünstigt wurde der Vormarsch der Osmanen im Westen durch Bürgerkrieg und Anarchie, der weite Teile Zentraleuropas herrschte. Auch die Balkanstaaten lagen im Hader untereinander, eine verhältnismäßig leichte Beute für den entschlossenen Murad. Bis 1381 waren Serbien und Bulgarien quasi unterworfen worden, Ungarn in seine Schranken gewiesen.

Möglich wurde das auch durch die Heeresreform, die die Osmanen durchgeführt hatten. Aus versklavten christlichen Jungen suchte sich Murad I. die kräftigsten aus und formte eine neue Elite-Einheit und Leibwache, die Janitscharen. Die Knaben mussten zum Islam übertreten und türkisch lernen.

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Eingeschworen auf den Sultan wurden sie jahrelang trainiert im Handwerk des Krieges. Anders als andere türkische Kämpfer, die ausschließlich für Beute kämpften, erhielten die Janitscharen einen festen Sold. Damit waren sie seit den römischen Legionen die erste Berufsarmee in Europa. Auf den Feldzügen bildeten die Janitscharen, gut erkennbar an ihren weißen Filzhauben, das Zentrum des Heeres. In ihrer Zahl waren sie anfangs nur einige Tausend, zusammen mit den berittenen Sipahis und anderen Elite-Regimentern formten sie aber eine furchterregende Streitmacht, professionell und mit einem überlegenden Korpsgeist.Mithilfe dieser Truppen errang Murad I. auf dem Balkan Sieg um Sieg.

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Jetzt aber waren die christlichen Reiche durch die Erfolge der Türken aufgerüttelt und fanden unter dem serbischen Fürsten Lazar zu einer Allianz zusammen. Die Entscheidung fiel am 15. Juni 1389 auf dem Amselfeld im Kosovo: In dieser Schlacht, ein Nationalmythos der Serben, fielen die Anführer beider Seiten (Lazar und Murad). Militärisch war es wohl ein Unentschieden, zumindest kein Sieg der Türken, in der Konsequenz aber schon: Serbien und Bosnien konnten nach dem Aderlass auf dem Amselfeld nicht mehr gegen die überlegenen Türken standhalten. Der Tod des Murad auf dem Amselfeld brachte 1389 seinen Sohn Bayezid auf den Thron. Um sich gefährlicher Konkurrenz um die Herrschaft zu entledigen, ließ Bayezid unverzüglich seinen Bruder umbringen und begründete damit eine lange Tradition: Dem Brudermord bei Amtsantritt wurde unter den Sultanen auf Dauer gängige Praxis. Es galt einerseits die Unteilbarkeit des Erbes, der Vorrang des Erstgeborenen galt bei den Osmanen allerdings nicht.

Auch Bayezid führte die Expansion des Osmanischen Reiches fort, eroberte im Osten Konya und unterwarf im Westen weitere Gebiete Bosniens, Serbiens und der Walachei, die ihm tributpflichtig wurden. Gerne hätte sich Bayezid nun um Konstantinopel, dem Stachel im Fleisch seines Reiches, gekümmert. Aber er erlitt 1402 eine schwere Niederlage gegen die Timuriden und starb in Gefangenschaft seines Gegners Timur, der sich in die Nachkommenschaft des Mongolen Dschingis Khan eingeheiratet hatte. Sein Reich reichte von Indien bis Anatolien (bah, was habe ich die Timuriden in Medieval 2 immer gefürchtet, die fand ich in der Schlacht schwer zu packen). Der Untergang der Osmanen lag 1402 in den Händen Timurs, aber der entschied sich, gegen seinen eigentlichen Gegner zu ziehen: Er wollte China unterwerfen. Dazu kam es übrigens nicht mehr, Timur starb zwei Jahre später, kurz vor Beginn dieses Feldzugs, und sein Reich zerfiel nach seinem Tod.

Nach dem Untergang Bayezids brach im Osmanischen Reich 1402 ein Thronfolgekrieg aus, der den Christen eine dringend benötigte Atempause verschaffte. Wir haben aber bereits im Kapitel zu Kaiser Sigismund erfahren, dass sich der Westen nicht ernsthaft zu einer Koalition gegen die Osmanen zusammenfand. Zehn Jahre lang tobte in der Türkei das Interregnum, bis sich unter Bayezids Söhnen Mehmed I. im Jahre 1413 als Nachfolger auf dem Thron durchsetzen konnte. Seine acht Jahre Regierung galten vor allem der Rückeroberung der in der Zwischenzeit abgefallenen Gebiete sowie der Konsolidierung des Erreichten – wer kennt solche Spielphasen in EU4 nicht? Da müssen Unruhen abgebaut werden, Provinzen missioniert und gekernt werden. Das dauert halt ein paar Jahre. Nun, und im Jahre 1422 folgte Murad II. als Sultan auf den Thron, der spätere Sieger von Varna. Im Oktober 1448, vier Jahre nach Varna, kehrten Murad und sein Sohn Mehmed auf das Amselfeld zurück. Dieses Mal schlugen sie die Christen unter dem Truppenführer Hunyadi und stabilisierten die osmanische Herrschaft auf dem Balkan. Als Mehemd II. im Jahre 1451 seinem Vater auf den Thron folgte, war die Situation für den Sultan endlich wieder ähnlich gut wie um das Jahr 1400. Und wie damals lenkte der Sultan seine Aufmerksamkeit auf den Stachel im Fleisch des Osmanischen Reiches: Die byzantinische Hauptstadt und Festung Konstantinopel.

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Dieses Bollwerk war nur einmal, im Jahre 1204, überwunden worden: Ironischerweise durch die Katholiken des vierten Kreuzzugs (siehe das vorherige Kapitel „Die Wehen der neuen Epoche“), nicht durch die Muslime. Gewaltige Wälle und Gräben umfassten in drei Reihen gestaffelt die Metropole, geschützt von 80 Türmen. Tausend Jahre schon hatten sie allen Eroberern getrotzt, selbst Attila der Hunne war 447 bei ihrem Anblick entmutigt abgezogen. So konnte sich das byzantinische Reich bis in das 15. Jahrhundert behaupten, obwohl das einst so mächtige Oströmische Reich auf ein paar Vororte und Außenposten zusammengeschrumpft war. Denn inzwischen waren es die Osmanen, die über das fruchtbare Hochland Anatoliens, das bergige Thrakien sowie weite Teile des Balkan herrschten. Besonders aus Anatolien hatte Byzanz in früheren Zeiten seine Kornreserven und Truppen bezogen, ohne dieses Gebiet war der Kaiser auf das Anwerben von Söldnern angewiesen – nur, wie sollten die auf Dauer bezahlt werden? Mangels Sold rebellierten diese Söldner immer wieder und verwüsteten das byzantinische Territorium. Pest, Palastintrigen und Bürgerkriege taten ihr übriges zum Niedergang des byzantinischen Kaisertum.

Ja, auch die Osmanen hatten sich an der Belagerung der Metropole bereits versucht, hatten sich 1401 und 1422 aber geschlagen geben müssen. Doch 1453 begann der junge Sultan Mehmed II. den erneuten Angriff. Aus dem einst starrköpfigen Knaben war ein extrem scharfsinniger Mann geworden, der sich intensiv mit Geographie, Technik und Geschichte beschäftigte. Besonders Waffentechnik und Vorbilder wie Caesar und Alexander der Große hatten es ihm besonders angetan. Kein Wunder, dass er als derjenige in die Geschichte eingehen wollte, der Konstantinopel erobern konnte. Ein Anlass für den Angriff war schnell gefunden, Byzanz lieferte ihn selbst. Der bankrotte Kaiser (Konstantin XI.) erpresste von Mehmed Geld und drohte damit, den osmanischen Thronrivalen Orhan freizulassen. Der hatte zwar kaum Anhänger und wollte Konstantinopel gar nicht verlassen, aber egal. Mehmed II. reagierte entschlossen und stellte in monatelanger Arbeit ein Heer und eine Flotte von gewaltigem Ausmaß zusammen.

Militärisch gesehen musste der Bosporus mit Galeeren abgeriegelt werden, um Konstantinopel überhaupt in die Knie zwingen zu können. Zu Land errichtete Mehmed gegenüber der Metropole eine eigene Festung, die das „Messer an der Kehle“ genannt wurde. Konstantin XI. hatte sich verzockt, er reagierte mit einer Mischung aus Resignation und Trotz, bereit zum letzten Gefecht. Wahrlich das letzte Gefecht: Konstantinopel war das zweite Rom, Zentrum der orthodoxen Christen, die entscheidende Bastion gegen die Armee des leibhaftigen Antichristen, der nun vor den Mauern stand. Das lud die Stimmung natürlich richtig auf.

Nur: In Europa erhob sich trotzdem kaum Unterstützung für den bedrängten Kaiser. Die Niederlage von Varna steckte einigen noch in den Knochen, weitere Fürsten lagen mit ihren Nachbarn im Krieg, andere wollten ihre Handelsbeziehungen zu den Osmanen nicht gefährden. Und überhaupt: Solange der Streit mit den Orthodoxen nicht geklärt war, ob das Brot beim Abendmahl gesäuert oder ungesäuert sein soll, gab es grundsätzliche Vorbehalte bei den Katholiken. Kaiser Konstantin konnte sich bei der Verteidigung seiner Stadt daher nur auf wenige Freiwillige und Söldner stützen, etwa 8.000 Mann. Seine wichtigste Lebensversicherung waren die steinernen Bollwerke Konstantinopels. Und für deren Überwindung suchte sich Mehmed II. ein neuartiges Werkzeug.

Dieses Werkzeug bot ihm der ungarische Kanonengießer Urban an, der in Konstantinopel kein Gehalt mehr erhielt und völlig verarmt nach Edirne reiste, um eine Audienz bei Mehmed zu erbitten. Urban erklärte dem Sultan, er könne eine Kanone bauen, die selbst die Mauern Konstantinopels zerschmettern würde. Als Mehmed das hörte, vervierfachte er das geforderte Gehalt und nahm den Mann in seine Dienste. Großzügig gefördert, fertigte Urban Kupferkanonen von acht Metern Länge und einem Durchmesser von 75 Zentimetern. Sie waren so gewaltig, dass ein Mann in sie hineinkriechen konnte. Bei einem Probeschuss flog die Kanonenkugel anderthalb Kilometer weit, ehe sie sich zwei Meter in die Erde grub. Mehmed II. war von der Vorführung begeistert und befahl, die Kanonen vor Konstantinopel zu schaffen.

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Dort lagerten bereits 100.000 türkische Krieger in einer riesigen Zeltstadt, die Umkreisung von Konstantinopel zu Land und von der Seeseite begann am 6. April 1453. Vier Tage später begann der erste massive Artilleriebeschuss der Menschheitsgeschichte. Unter den Verteidigern machte sich Panik breit, aber sie konnten Gegenmaßnahmen entwickeln: Noch waren die Kanonen nicht ausgereift, mussten nach jedem Schuss abkühlen, wenn sie beim Abfeuern nicht gar rissen. Die Byzantiner häuften rasch tonnenweise Erde und Geröll vor ihren Mauern auf, ein probates Mittel gegen die Artillerie.

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Wochenlang zogen sich der Beschuss und gelegentliche Angriffe auf die Mauer, mit denen die Osmanen die verbliebene Kampfkraft der Byzantiner testeten. Tapfer leisteten die Widerstand gegen die Attacken, gingen gegen Tunnelbauer und Belagerungstürme vor, doch Ende Mai 1453 sind sie in jeder Hinsicht erschöpft. Ohne Verstärkungen, Reserven und bei schwindendem Proviant, erwarteten die 4.000 restlichen Kämpfer am 29. Mai den Großangriff der Osmanen.

Gegen die ausgedünnten Reihen der Byzantiner gelang der Sturmangriff auf die Mauern. Konstantinopel war gefallen! Tausende osmanische Soldaten strömten in die Stadt und verursachten eine Massenpanik unter der Bevölkerung. Einige Stunden des ungehemmten Plünderns und Mordens gewährte Mehmed II. seinen Leuten. Auch Kaiser Konstantin XI. kam in dem Chaos ums Leben, seine Leiche wurde nie gefunden. Am Morgen des 30. Mai 1453 wehte das osmanische Banner auf den Türmen von Konstantinopel. Nach 1123 Jahren war das einst so mächtige Oströmische Imperium endgültig erloschen.

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Am gleichen Tag hatte der letzte Gottesdienst in der Hagia Sophia stattgefunden, gemeinsam von orthodoxen und katholischen Priester gefeiert. Bei dem Fall der Stadt wurde auch die Kathedrale von den Stürmern geplündert und das hierhin geflüchtete Volk teils geschändet, teils getötet und größtenteils versklavt. Und bereits am Nachmittag wurde zum Gebet aufgerufen, das der Sultan auf dem Altar verrichtete. Kirchenglocken, Altar und die liturgische Ausstattung wurden zerstört oder verschleppt. Christliche Insignien wurden teilweise durch muslimische ersetzt, die Ikonen entfernt, Mosaike und Wandgemälde teilweise zerstört, übertüncht oder unter Putz gelegt, Kreuze gegen den Halbmond ausgetauscht. Im Inneren der Kirche wurden die für eine Nutzung als Moschee notwendigen Bauteile eingefügt sowie der Fußboden mit Teppichen ausgelegt.

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Mehmed II. schickte Siegesschreiben an die anderen Herrscher der muslimischen Welt und beanspruchte die Führerschaft des Heiligen Krieges für sich.

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Das eroberte Konstantinopel ließ der Sultan wieder aufbauen, machte sie zu seiner neuen Hauptstadt und ließ sie in Istanbul umbenennen. Der bereits damals umgangssprachlich gebräuchliche Name der Stadt ist wohl abgeleitet von der griechischen Redewendung „is tin polin“ (in die Stadt).

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Bedeutete das Ende des Byzantinischen Kaiserreichs zugleich auch das Ende des Orthodoxen Christentums in Konstantinopel, das ja all die Jahrhunderte der Sitz des Patriarchats gewesen war? Erst einmal war das nicht der Fall. Mehmed II. schaffte das geistliche Amt nicht ab, er besetzte es aber mit einem ihm genehmen Mann, nämlich mit Georgios Scholarios, einem führenden griechisch-orthodoxen Theologen aristotelischer Schule. Er wurde der erste orthodoxe Patriarch unter türkischer Herrschaft und nannte sich fortan Gennadios II. (1454-1473). Einst hatte er die Union der orthodoxen mit der katholischen Kirche befürwortet, war im Laufe der Jahre aber zu einem stramm antiwestlichen Kurs übergegangen. Das machte ihn in den Augen des Sultans zu einem guten Kandidaten für die Führung der orthodoxen Kirche.

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Die Nachricht vom Fall der Stadt gelangte über die Häfen des Mittelmeeres nach Westeuropa. Viele Christen wollten anfangs gar nicht glauben, dass die scheinbar uneinnehmbare Metropole den Osmanen in die Hände gefallen war. In Venedig brachen viele zusammen, der deutsche Kaiser Friedrich III. zog sich unter Tränen in seine Kammer zurück. In Dänemark verglich König Christian I. Mehmed mit dem Tier der Apokalypse, das aus dem Meer emporgestiegen sei. Nackte Angst machte sich breit in Europa: Die Türken würden nun mit einer gewaltigen Streitmacht in Italien einfallen. Für den Papst natürlich eine existenzielle Frage, er verfasste eine Bulle, in der er alle Fürsten zum Kreuzzug gegen die Ungläubigen aufrief. Nur: Es geschah nichts. Für die meisten europäischen Herrscher waren die Osmanen immer noch weit weg, einen Feldzug wollten sie nur wagen, wenn die Muslime sie unmittelbar bedrohten. Die Angst der Christen vor einer Invasion Italiens war wohl überhöht, aber auch nicht unbegründet. Mehmed nutzte Istanbul als Stützpunkt für weitere Eroberungszüge.

Vorab sollen die Krim-Tataren erwähnt werden, die sich bald den Schutz der Osmanen suchten, um gegen ihre anderen mächtigen Nachbarn bestehen zu können. Der tatarische Khan Menli war es, der 1478 nur dank der osmanischen Hilfe den Weg auf seinen Thron zurückfand. Jahrelang hatte ein Bruderkrieg um die Macht das Khanat erschüttert, das hatte durch das Eingreifen des Sultans ein Ende. Der Preis dafür war hoch: Menli musste die osmanische Oberhoheit anerkennen und erhebliche Eingriffe in seine Regierung dulden. Die Tataren waren, kaum dass sie unter Menlis Vater ihr eigenes Fürstentum begründet hatten, zu klassischen Vasallen eines mächtigeren Schutzherren geworden.

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Literatur:
Matschke: Das Kreuz und der Halbmond

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 9. Juni 2018 10:21

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Jenseits des Kap Bojador - Portugal 1444

Wer zum Startdatum 1444 Portugal wählt, der nimmt ein verhältnismäßig junges Königreich, das seine Interessen in Nordafrika durchsetzen will und die Segel hisst auf der Suche nach neuen Seewegen. Der zu Beginn amtierende (zwölfte) König von Portugal ist dann Alfons V. aus dem Hause Avis.

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Im Vergleich zu anderen Ländern war das Königreich Portugal noch ziemlich jung, es existierte erst seit 300 Jahren. Der Grund ist simpel, die Mauren hatten die Iberische Halbinsel zuvor ja lange im Griff gehabt, es gab also gar keinen Raum für ein christliches Königreich Portugal. Erst als die Reconquista, die Rückeroberung dieser Gebiete von den Mauren, Fortschritte machte, gab es ab 1093 (unter der Lehnsherrschaft von Asturien-Leon) überhaupt eine Grafschaft Portucalia. Mit dieser neuen Grafschaft wurde der Burgunder Heinrich belehnt. Burgund - hört sich ungewöhnlich an, war aber so.

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Heinrich war ein Enkel des Herzogs von Burgund und hatte keine Aussicht auf einen eigenen Landbesitz. Also wurde er mit einer Tante des kastilischen Königs verheiratet und ging an den Hof von Alfons VI. nach Kastilien. Der hatte gerade das Gebiet Portucalia von den Mauren zurückerobert und gab es seiner Tante als erbliches Lehen aus. Und schon war der Burgunder Heinrich der Graf von Portucalia. Heinrich band sein Haus einerseits an das des Königs, er verheiratete seinen Sohn bzw. Nachfolger Alfons mit einer unehelichen Tochter des kastilischen Königs. Andererseits betrieb er eine Politik des Absetzens und der Unabhängigkeit vom königlichen Lehnsherrn.

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Als Graf Heinrich im Jahre 1112 starb, da war sein Sohn Alfons erst drei Jahre alt. Die Mutter Theresia übernahm also die Regentschaft. Es entwickelte sich eine ähnliche Geschichte wie bei dem jungen Edward III. von England. Als Alfons volljährig wurde, musste er seine Mutter und deren Geliebten erst einmal in der Schlacht besiegen, um 1128 die Herrschaft antreten zu können. Theresia schickte er in ein Kloster. In den folgenden Jahren weitete Alfons dank mehrerer Siege über die Mauren sein Herrschaftsgebiet aus und wagte im Jahre 1139 den Bruch mit seinem Lehnsherrn, Alfons VII. von Leon und Kastilien. Der einstige Graf erklärte die Unabhängigkeit von Kastilien und ließ sich zum König von Portugal krönen. Keine einfache Konstellation: In Spanien belauerten sich die Konkurrenten Portugal, Kastilien und die Mauren nun gegenseitig. Die Kirche zögerte satte vierzig Jahre lang, bis sie Portugal 1179 als Königreich anerkannte.

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Verkompliziert wurde das Verhältnis zwischen Portugal und der Kirche noch einmal 1195, als Alfons' Sohn Sancho, seit 1185 Nachfolger auf dem portugiesischen Thron, seine Tochter mit dem König von Leon verheiratete. Das Brautpaar hatte einen gemeinsamen Großvater und der Papst erklärte die Eheschließung wegen des engen Verwandtschaftsgrades für ungültig. Es gab noch ein paar weitere Streitpunkte beim Lehnsrecht, jedenfalls war das Verhältnis zwischen den portugiesischen Königen und den Päpsten über zweihundert Jahre lang ziemlich vergiftet. Eine Exkommunikation jagte die nächste, in Portugal bildete sich gerne mal eine Adelsfraktion zum Sturz des Königs. Kennt man ja alles aus CK2.

Ein Eckstein der portugiesischen Geschichte dürfte das Jahr 1250 darstellen. Zwei Jahre zuvor hatte sich Alfons III. gegen seinen älteren Bruder Sancho II. durchgesetzt und selber den Thron bestiegen. Alfons gelang 1250 die Eroberung der Algarve, damit war die Reconquista in Portugal abgeschlossen, die Mauren waren aus dem Land vertrieben. Später konnte Alfons Sohn und Nachfolger Dionysius den Konflikt mit der Kirche entschärfen – er gab dem Klerus die Ländereien zurück, die sein Vater von der Kirche beschlagnahmt hatte. Immer diese Pflege der Stände-Loyalitäten... Und Dionysius schloss 1294 einen Handelsvertrag mit England, der erste einer langen Reihe von Pakten und Beistandsverträgen zwischen diesen beiden Ländern.

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Nach Dionysius bestieg 1325 dessen Sohn Alfons IV. den Thron von Portugal, ein ziemlich schlechter König. Zunächst war er so faul, dass ihm die Adeligen bereits mit dem Rauswurf drohen mussten. Die Beziehungen zu Kastilien ließ er verfallen, mit seinem Sohn Peter lag er wegen dessen Verbindung zu einer Dame namens Ines dauerhaft im Streit. Dieser Streit eskalierte zu blutigem Ernst, als Alfons IV. im Jahre 1355 Ines in die Finger bekam und prompt hinrichten ließ. Zack, da lag Portugal wieder einmal im Bürgerkrieg. Der endete nach zwei Jahren, nicht aufgrund einer Versöhnung zwischen Vater und Sohn, sondern weil Alfons IV. vernünftigerweise einfach starb.

Nun konnte Peter I. den portugiesischen Thron besteigen und Rache nehmen an den Mördern seiner Geliebten. Er fuhr einen diplomatischen Schmusekurs zu Kastilien und erreichte die Auslieferung dieser Männer, die sich nach dem Tod von Alfons IV. dorthin geflüchtet hatten. Peter ließ sie foltern, ihnen bei lebendigem Leibe das Herz herausreißen, um diese sodann zu verspeisen, was ihm den Beinamen „der Grausame“ einbrachte. Weiterhin wurde berichtet, dass er seine geliebte Ines exhumieren ließ und in einer feierlichen Zeremonie zur Königin krönen ließ. Von Rachegedanken getrieben, befahl er dem anwesenden Hofstaat, der Königin die verweste Hand zu küssen. Danach war Peters Drang nach Vergeltung offenbar befriedigt, er regierte nämlich zehn Jahre lang in einer stabilen und unspektakulären Weise.

Sein Sohn Ferdinand war ab 1367 der neunte König von Portugal und der letzte aus dem Hause Burgund. Das war die Zeit, in der im Nachbarland Kastilien der Bastard Heinrich von Trastamara den legitimen Thronerben ermordet und die kastilische Krone usurpiert hatte. Portugal erkannte Trastamara nicht an und erklärte (gemeinsam mit England und Aragon) Kastilien (das sich mit Frankreich verbündete) den Krieg. So kam es, dass auch Portugal zu einem Nebenschauplatz des Hundertjährigen Kriegs wurde. Allerdings lief der für Portugal nicht sonderlich gut, und dann zeichnete sich auch noch ab, dass Ferdinand ohne einen männlichen Erben sterben würde (was 1383 dann geschah).

Portugals Unabhängigkeit war akut in Gefahr, denn Kastilien war x-mal durch gemeinsame Ehen dynastisch an Portugal geflochten worden, zuletzt war Ferdinands Tochter Beatriz mit dem kastilischen König Johann I. verheiratet worden.


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Man einigte sich darauf, dass später einmal ein gemeinsamer Sohn von Beatriz und Johann die Krone Portugals tragen solle. Portugal also in einer PU unter Kastilien. Game over?

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Nein – Johann von Avis, ein illegitimer Halbbruder des verstorbenen Ferdinand, riss die Macht in Portugal an sich und stellte sich 1385 dem Einmarsch der Kastilier entgegen. Denn die wollten sich die portugiesische Krone natürlich nicht entgehen lassen, es kam also zum Kampf Johann gegen Johann. Dank englischer Unterstützung gelang es dem portugiesischen Johann, das kastilische Heer zu besiegen und die portugiesische Unabhängigkeit zu bewahren. Johann von Avis hatte sich die Krone dauerhaft gesichert und begründete die Dynastie der Avis auf dem portugiesischen Thron. Sie hielt sich immerhin zweihundert Jahre an der Macht.

Johann I. war darauf aus, das Bündnis mit England zu vertiefen und schloss mit Richard II. 1386 den Vertrag von Windsor, außerdem heiratete Johann im Jahr darauf Philippa von Lancaster, eine Tochter von John of Gaunt, dem Herzog von Lancaster. Mit ihr hatte Johann neun Kinder, und drei von ihnen sind von besonderem Interesse: Eduard (der Thronfolger), Peter (der Herzog von Coimbra) und Heinrich (den man später „den Seefahrer“ nennen sollte). Das Bündnis mit England sicherte in der Tat die Unabhängigkeit Portugals vor dem stärkeren Kastilien und schuf die wesentlichen politischen und ökonomischen Kräfte, die Portugal dann für seinen Aufstieg zur Handels- und Kolonialmacht nutzte.

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Portugal war endlich bereit zum Expandieren. Nur wohin? Auf der iberischen Halbinsel war kein Platz dafür, der mächtigere Nachbar Kastilien besetzte hier das Feld und beanspruchte natürlich auch die Gebiete, die dem muslimischen Granada auf der Halbinsel noch verblieben waren. Dafür wusste man zu dieser Zeit aber bereits, dass es noch mehr Land „da draußen“ geben muss, auch wenn es dafür keine praktischen Belege gab. Dabei existierten schon seit hundert Jahren die technischen und theoretischen Voraussetzungen dafür, diese zu finden. Der Schiffstyp der Karavelle mit seinem Mittelruder, die Astronomie, der Kompass und das Navigieren waren bereits entwickelt worden. Und mit der Eroberung der maurischen Gebiete auf der iberischen Halbinsel gelangte ihr Wissen in übersetzter Form auch zu den Portugiesen. Die Moslems hatten nämlich das alte griechische Wissen von der Kugelgestalt der Erde bewahrt und am Leben erhalten. Sie errechneten die Ausdehnung des Längengrads mit bemerkenswerter Genauigkeit, da sie den Erdumfang auf 33.000 Kilometer bestimmten, was den tatsächlichen 40.076 Kilometern schon recht nahe kommt.

Die geographischen Kenntnisse waren auf unterschiedliche Weise gemeinsamer Besitz von Wissenschaftlern, Seefahrern und Kaufleuten. Die afrikanische Küste war bis zum Kap Bojador (südlich der Kanarischen Inseln) bekannt. Sowohl die Kanarischen Inseln als auch Madeira wurden von Seefahrern aus dem Abendland besucht. Das Innere Nordafrikas war bis zum Süden der Sahara beschrieben, mit einer Fülle von Details über seine Oasen, die Karawanenwege und die afrikanischen Königreiche. All diese Informationen, die aus verschiedenen Quellen stammten, wurden vor allem innerhalb der islamischen Welt zusammengetragen und schließlich weitergegeben. Schon um 1350 beschrieb ein kastilisches Werk den Golf von Guinea, arabische Geographen erwähnen sogar schon die afrikanische Ostküste bis zum Kap der Guten Hoffnung. Die Mauren hatten auch Madeira, die Azoren und die Kanaren entdeckt, doch die Inselgruppen waren zu weit von der Küste entfernt und wirtschaftlich nicht interessant genug, um auf Dauer besiedelt zu werden.

All diese realen (und sagenhaften) Inseln und Länder hatten einen großen Einfluss auf die Reisen der Portugiesen im späten Mittelalter. Sie waren einer der wichtigsten Anreize und ein präzises Ziel für zahlreiche Entdeckungsreisen, das sowohl den Adel als auch den gemeinen Mann anlockte. Die Kehrseite waren die schrecklichen Geschichten, die über solche Länder und Meere erzählt wurden. Alle möglichen Ungeheuer, Gefahren und Hindernisse machten den Atlantischen Ozean im allgemeinen Volksglauben unsicher. Von den Arabern weitergegeben oder erfunden, beschrieb die Sage vom Finsteren Meer einen von seltsamen Wesen bevölkerten und in ewige Finsternis getauchten Ozean, auf dem alle Schiffe in den furchtbaren Fluten oder kochenden Wasser untergingen. Sämtliche Arten von Aberglauben ließen die Neugier abkühlen und lähmten die Beutegier. Lange Zeit waren die Portugiesen wie die Europäer hin und hergerissen zwischen dem Wunsch, nach Westen und nach Süden aufzubrechen, und der Furcht, nicht wieder zurückzukehren.

Eine andere Quelle der Verlockung war Asien mit seinen Geheimnissen. Aus Asien kamen begehrte Gewürze sowie Färbestoffe, Elfenbein, Edelsteine und alle Arten von erlesenen Waren. Die mittelalterliche Geographie vermutete Asien an der Mündung des Nils und nicht am Roten Meer und rechnete daher den größten Teil des heutigen Äthiopien dazu. Sie gebrauchte den Begriff Indien auch in einem erweiterten Sinn, der den Nordosten des heutigen Afrika mit einschloss. Es gab mehrere „Indien“ und in einem davon lebte ein großer christlicher Herrscher, der über ein ausgedehntes, dicht bevölkertes, unglaublich reiches und außerordentlich mächtiges Gebiet herrschte. Seit dem Fall von Edessa dreihundert Jahre zuvor erzählte man sich von diesem mächtigen christlichen Reich, das in Asien irgendwo östlich von Persien existieren sollte. Sein Herrscher war bekannt als Priester Johannes, da er zugleich Priester und König war. Zu seinem Reich gehörten alle möglichen Ungeheuer, sagenhafte Gestalten und paradiesische Landschaften. Dieser Mythos von Priester Johannes sollte sich als sehr wichtig für die Erhellung der Ziele der portugiesischen Expansion und ihrer Durchführung erweisen. Heute wissen wir, dass die Figur des Priesterkönigs Johannes sich zusammensetzte aus den Berichten über das christlich-monophysitische Königreich von Abessinien (Axum), die christlich-nestorianischen Gemeinschaften Zentralasiens und Indiens, sowie über die Gleichsetzung mit mongolischen Herrschern (weil diese die islamischen Königreiche in ganz Asien überfielen). Ein Bund der katholischen Reiche des Westens mit diesem Priesterkönig im Osten hätte die muslimische Welt gleichsam in die Zange nehmen können. Im 15. Jahrhundert verfügte man bereits über genauere Informationen über Priester Johannes, der mit dem Herrscher von Äthiopien gleichgesetzt wurde. Uneinig war man sich, auf welchem Weg man nach Äthiopien gelangen sollte, ob von Südwesten oder von Westen, und man wusste auch weiterhin wenig über die tatsächliche Macht und den tatsächlichen Reichtum des Priesterkönigs.

Dann gab es noch den wirtschaftlichen Druck, der die Portugiesen zu den Entdeckungsfahrten trieb. Europa brauchte Gold. Seit 1350 nahm die Goldproduktion beständig ab, während die Käufe aus dem Orient ebenso beständig zunahmen. Der Geldmangel verhinderte ein weiteres Gedeihen des Handels und trieb Händler und Kaufleute zu dem Versuch, die Minen außerhalb Europas in ihre Macht zu bekommen. Die Geldentwertungen erreichten ein ungekanntes Ausmaß. In Portugal wurde dieser Hunger nach Gold und Silber nach 1400 spürbar. Nun wusste man im Abendland sehr genau, dass es irgendwo in Afrika, im Süden der Sahara, Gold gab, da arabische oder von Arabern befehligte Karawanen es in die islamische Welt brachten. Um es zu bekommen, gab es zwei Möglichkeiten:

Zum ersten, einige portugiesische Handelszentren zu erobern, was den portugiesischen Angriff auf Marokko erklärt. Johann I. attackierte die Mauren daher auf der afrikanischen Seite und eroberte von ihnen im Jahre 1415 die Provinz Ceuta.

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Erwähnenswert waren weitere wirtschaftliche Anreize, wie die Weizenknappheit und die Anziehungskraft marokkanischer Getreidefelder, oder die Anlage von Zuckerrohrplantagen an der Algarve, die den Wunsch nach anderen, noch ertragreicheren in Marokko weckten, oder auch die Suche nach Sklaven, die im Spätmittelalter wieder „in Mode“ kamen. Marokko übte wie das gesamte islamische Gebiet eine große Anziehungskraft auf die Portugiesen und die Kastilier aus, allerdings wurden sein Reichtum und seine Fruchtbarkeit stark übertrieben. Verbrämt wurde die Expansion dann noch mit dem Gedanken des Kreuzzugs zur Rettung der Seelen – der eigenen Seele sowie die der Ungläubigen, die es zu missionieren galt. Dieses gottgefällige Werk rechtfertigte die Mittel: Piraterie, offener Krieg, Verrat, Plünderung, Versklavung. Es ist also kein Wunder, dass die Kirche die portugiesische Expansionspolitik billigte und ihr ihren Segen gab.

Die zweite Möglichkeit, an Gold zu gelangen, war der Versuch, in direkten Kontakt mit den Völkern im Süden der islamischen Welt zu treten, was die portugiesischen Entdeckungsreisen mit erklärt. Damit legte Johann I. schon die Stoßrichtung für die späteren Expeditionen seines jüngeren Sohnes Heinrich des Seefahrers fest. Diese Expeditionen bildeten die Basis für den Aufstieg Portugals zu einer der größten Kolonialmächte der Welt. Heinrich der Seefahrer begann 1419 mit dem Ausrüsten von Seeexpeditionen. Obwohl er selbst nie weiter als bis Tanger reiste, erhielt er den Beinamen „der Seefahrer“, denn nur seinem unermüdlichen Wirken verdankte Portugal seine großen Entdeckungen.

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Johann I. übertrug Heinrich die Verwaltung der Algarve sowie die Leitung des Christusordens, damit dem Sohn eine ständige Streitmacht und umfangreiche Einkünfte in Form von Geld und Waren garantiert waren. Eigentlich war Heinrich die Eroberung Marokkos zeit seines Lebens wichtiger gewesen, seinen Namen unsterblich machte aber sein Einfluss auf die Entdeckungsreisen Portugals.

Bereits bekannt waren die Kanarischen Inseln, die von wilden Stämmen bewohnt waren, die in einer Art neolithischer Kultur lebten. Die Inselgruppe bot reiche wirtschaftliche Möglichkeiten, die die Bemühungen der Portugiesen und der Kastilier, sie zu unterwerfen, erklären: sie lieferte Sklaven, Färbestoffe und Fisch in Hülle und Fülle. Der Kampf um die dauerhafte Beherrschung der Kanarischen Inseln dauerte mehr als hundert Jahre, denn die Eingeborenen kämpften erbittert um ihre Unabhängigkeit. Lange Jahre stritten sich Portugal und Kastilien darum, wem die Kanaren denn nun zustehen. Selbst die Franzosen schalteten sich ein, da der kastilische König französischen Rittern einige Inseln als Lehen geschenkt hatte. 1436 erkannte Papst Eugen IV. ausdrücklich die kastilischen Besitzrechte an den Kanarischen Inseln an – was die Portugiesen nicht hinnahmen, der Streit setzte sich bis 1480 fort. In EU4 haben die Portugiesen zu Spielbeginn jedoch keinen Anspruch auf die Kanaren.

Anders der Fall Madeira. Portugal hatte dieser Insel bislang keine Aufmerksamkeit zukommen lassen. Als die Kastilier im Jahre 1417 eine Flotte dorthin entsandten, reagierte Portugal entschieden und ohne Zögern. Madeira sollte selber besiedelt werden, bevor es die Konkurrenten taten. Weniger als hundert Personen, angeführt von Joao Goncaves Zarco aus dem niederen Adel, segelten 1419 von der Algarve aus in See und besetzten dauerhaft Madeira und das benachbarte Porto Santo. Das war der Beginn der eigentlichen überseeischen Expansion. Auf der Insel Madeira habe ich im September 2017 Urlaub gemacht, sie ist ziemlich interessant. Geologisch ist sie ein vulkanischer Hot Spot, sie ragt mit einer ordentlichen Steigung aus dem sonst tiefen Meer heraus. Die Insel erhebt sich bis schroff zur Wolkengrenze, was dafür sorgt, dass die Wolken an den Gipfeln hängenbleiben und abregnen. Deshalb ist die Insel im Gegensatz z.B. zu den Kanaren so grün. Bis zum Jahre 1420 war Madeira den Portugiesen auch schon bekannt gewesen, sie waren jedes Jahr einmalig zu der Insel gefahren, um den dort wachsenden Fenchel zu ernten und mitzunehmen. Jetzt bekam Zarco den Auftrag, die Insel dauerhaft zu besiedeln. Die hundert Begleiter waren einfache Leute aus dem Volk, darunter auch einige Verbannte, die sozial und wirtschaftlich von Zarco abhängig waren. Er durfte den Grund und Boden in Erbpacht oder als vollgültigen Besitz vergeben, vorausgesetzt, dass er das Land tatsächlich in Besitz nahm und innerhalb einer bestimmten Frist bestellte.

Die Insel unterstand vorrangig der Krone, 1433 schenkte der König sie als eine Art Lehen seinem Bruder Heinrich. Geistlich unterstand die Insel dem Christusorden, ein Schachzug, der Heinrich sämtliche kirchlichen Einkünfte aus Madeira sichern sollte. Die Infrastruktur ließ man wohl durch Sklaven aus Afrika und von den Kanaren aufbauen, darunter die Bewässerungskanäle, die das Regenwasser aus den Bergen bis zur Küste hinunterführten. Heute kann man an den Steilhängen, an denen sich diese Wasserrinnen entlangschlängeln, interessante Wandertouren machen. Vorausgesetzt, man ist halbwegs schwindelfrei. Als die Insel besiedelt wurde, gab es hier weder Vieh noch Haustiere. Fisch gab es in Hülle und Fülle, doch Fleisch war Mangelware. Das änderte sich erst, als das Bewässerungssystem von den Bergen hinunter zur Küste fertig war und die Land- und Viehwirtschaft an Fahrt aufnehmen konnte.

Der Hafen der errichteten Stadt Funchal musste natürlich gegen Piratenüberfälle gesichert werden. So entstand ein Stützpunkt der Portugiesen im Atlantik, der zudem wertvolles Zedern- und Eibenholz (gut geeignet für den Schiffsbau) und Zuckerrohr (das auf der Insel gut gedeihte) abwarf. Madeira warf von Anfang an Gewinn ab. Zu den ersten Exporten der Siedler gehörten Drachenblut, Indigoblau und andere Färbestoffe. Nach 1450 entwickelte sich Madeira zu einem bedeutenden Zentrum des Getreideexports, es gab reichlich Vieh, Wein und Zucker. Besonders der Zucker lief hervorragend, er wurde nach England exportiert und lockte auch von dort Kaufleute an.

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Der nächste Schritt war schwieriger. In den 1420ern kannten die Portugiesen die marokkanische Westküste sowie das Seegebiet um die Kanaren schon gut, hier gab es keine Überraschungen mehr. Sie kannten die Schwierigkeit, günstige Winde auf dem Atlantik zu finden, die sie zurück nach Hause brachten, sobald sie mehr als sonst weiter nach Westen segelten (es sei denn, sie nahmen Kurs nach Nordwesten und kamen dort in die Passatwinde, die aus Westen bliesen). Möglicherweise versuchten die Portugiesen auch, den kastilischen Piraten auszuweichen, die im Gebiet der Kanaren sehr aktiv waren. Auf einem dieser Ausweichkurse erblickte ein Steuermann aus der Algarve 1427 die Inseln der Azoren. Die Besiedlung der Azoren begann erst sehr viel später als es bei Madeira der Fall gewesen war. Als vorbereitende Maßnahme für eine dauerhafte Besetzung setzte man Schafböcke und andere Haustiere auf den Azoren aus. Los ging es mit der Besiedlung dann in den 1440ern, wie Madeira wurden auch die Azoren Heinrich und dem Christusorden unterstellt.

Nach diesen ersten Besiedlungen dehnte Heinrich der Seefahrer die Expeditionen entlang der westafrikanischen Küste immer weiter aus. Irgendwo im Süden lag der berühmte „Goldfluss“, mit Goldminen, die den gesamten islamischen Raum belieferten. Schon 1346 segelte ein katalanisches Schiff nach Süden auf der Suche nach dem Goldfluss, den man für einen der Arme des Nils hielt. Mehrere portugiesische Schiffe segelten nun in diese Richtung. Die Küstenlinie war ungefähr bis zum 26. Breitengrad bekannt. Ab dem Kap Nun kam man in einsames und gefährliches Gewässer, wo nichts zu sehen war außer abschüssige Felsen und Sanddünen. Das Gebrüll der Wellen, die gegen die Klippen brandeten, war meilenweit zu hören. Wenn die Westwinde bliesen, konnten die Wellen an der Küste eine Höhe bis zu fünfzehn Metern erreichen. Von Oktober bis April herrschte dichter Nebel. Für einen mittelalterlichen Seemann, der sein Leben lang sagenhafte Geschichten über das Finstere Meer und das Ende der Welt gehört hat, bedeutete diese tückische und verlassene Küstenlinie zweifellos die Grenze, ab der keine Schifffahrt mehr möglich war. Das lange Vorgebirge des Kap Bojador, das tief ins Meer vordrang, zeigte klar und deutlich, wo die Grenze lag. Wer würde es wagen, sie zu überschreiten?

Entsandt von Heinrich dem Seefahrer, war Gil Eanes kühn und erfahren genug, die Heldentat zu vollbringen. 1434 umsegelte er das berüchtigte Kap, segelte einige Meilen weiter und kehrte mit der guten Nachricht zurück, dass die Welt dort für die Schifffahrt noch nicht zu Ende war. Als überzeugenden Beweis brachte er einige wilde Rosen mit, die er jenseits des Vorgebirges vom Bojador gepflückt hatte. Ab 1434 wurde die Entdeckung der afrikanischen Westküste in einem sehr viel schnelleren Rhythmus vorangetrieben. Im Jahr darauf überquerten Gil Eanes und Alfonso Baldaia den Wendekreis des Krebses und gelangten zu einem Fluss, in dem sie den Goldfluss vermuteten und den sie daher Rio do Ouro nannten. Dort bekamen sie erste Proben dessen, was sie vor allem suchten: Gold. Die Reisen begannen sich auszuzahlen und zogen immer mehr Leute an.

Bis hierhin war an der afrikanischen Westküste der Sklavenhandel einträglicher als das Goldgeschäft gewesen, da Sklaven reichlicher vorhanden und leichter zu bekommen waren – und Madeira brauchte die Arbeitskraft der Sklaven. Die Einwohner der Kanaren und die Mauren waren zu kämpferisch, um sie ohne weiteres versklaven zu können. Am bequemsten war es, sich zu diesem Zweck an der schwarzen Bevölkerung Westafrikas zu bedienen, die auf maurisch und afrikanisch geführten Märkten zu haben waren.

Nun, nach der Entdeckung des Goldflusses, konnten die Portugiesen das begehrte Metall gegen Weizen tauschen, nach dem bei den Afrikanern eine große Nachfrage bestand. Dies erklärt, warum Madeira so viel von dem Weizen exportierte, der bei der Ernährung der Portugiesen doch keine große Rolle spielte. Jahr für Jahr sollten immer mehr Expeditionen von Portugal aus in See stechen. So entdeckten die Portugiesen im Jahre 1435 die Goldküste (heute: Ghana) oder im Jahre 1446 das Landesinnere des Senegal, als sie den Fluss Gambia hinauffuhren.

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Unter der Schirmherrschaft von Heinrich dem Seefahrer gelangten die Portugiesen mit der Überwindung des Kap Bojador im Jahre 1434 in Gewässer des Atlantik, deren Wind- und Strömungsverhältnisse keine einfache Rückreise vor dem Wind mehr gestatteten. Ein Problem, das einer neuartigen Lösung bedurfte. Wesentliche technische Erfindungen wie Kompass, Astrolabium und Jakobsstab oder schon sehr exakte Seekarten wurden bereits genutzt. Da jedoch die Entfernungen von den Heimathäfen immer größer wurden, benötigten die Portugiesen zunehmend Schiffe, die lange Strecken schnell und, wenn nötig, auch ohne Aufenthalt zurücklegen konnten. Dies erforderte nicht nur die Möglichkeit, hoch am Wind segeln zu können, sondern auch die Fähigkeit, ausreichend Proviant und Ersatzteile für eine längere Reise mitzuführen. Es wurden Schiffe benötigt, die auch ohne die technischen Möglichkeiten einer Werft, eine Überholung des Rumpfes und anderer Reparaturen selbst an ungünstigen Orten zuließen. Des Weiteren mussten diese Schiffe zur Weiterführung der portugiesischen Entdeckungen in der Lage sein, die Erforschung (auch widriger) Strömungs- und Windverhältnisse im Atlantik abzusichern sowie die Möglichkeit bieten, auch flache Küstengewässer und Flussläufe zu befahren. Die Antwort darauf war die Entwicklung des Schiffstyps der Karavelle durch die Portugiesen im Jahre 1441.

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Aber zurück von Heinrich dem Seefahrer zu seinem Vater, König Johann. Der verheiratete seine Tochter Isabel 1430 mit Herzog Philipp dem Guten von Burgund. Philipp war voller Hass auf den französischen König Karl VII., dessen Leute der elf Jahre zuvor seinen Vater ermordet hatten. Philipp hatte daraufhin mit Frankreichs Erzfeind, den Engländern, einen Bund geschlossen. Von da war es kein großer Schritt zu einem Vertrag mit Portugal, Englands anderem Bundesgenossen. Die Hochzeit zwischen Isabel und Philipp schuf für Portugal vorteilhafte Handelskontakte zu Flandern, zur damaligen Zeit die aufstrebende Wirtschaftsmacht in Europa.

1433 starb Johann I. von Portugal, sein Nachfolger wurde sein Sohn Eduard, der die Expeditionen seines jüngeren Bruders Heinrich des Seefahrers nachdrücklich förderte. Eduard war hochgebildet und ging als der Philosophen-König in die portugiesische Geschichte ein, ansonsten verlief seine kurze Regierungszeit (fünf Jahre bis 1438) glücklos. Sein Vorgänger Johann I. hatte große Ländereien an den Adel vergeben können, und sich so dessen Unterstützung im Kampf gegen Kastilien gesichert. Eduard versuchte nun zumindest einen Teil dieser Ländereien für die Krone zurückzugewinnen. Er erließ 1434 ein Dekret, gemäß dem die Krone automatisch alles Land erben sollte, sobald ein Landedelmann ohne männlichen Erben starb. Dieses Dekret brachte ihn in Konflikt mit dem Landadel. Der Versuch, 1437 Tanger in Marokko von den Mauren zu erobern, scheiterte. Heinrich der Seefahrer, der den Tanger-Feldzug befehligte, musste vor der arabischen Übermacht kapitulieren. Teil der Kapitulationsbestimmungen war es, dass Portugal Ceuta an die Mauren zurückgab. Um diese Bestimmung zu verbürgen, wurde Prinz Ferdinand, ein weiterer jüngerer Bruder des Königs, den Mauren als Geisel überlassen. Eduard stand nun vor der Frage, ob er seinen Bruder retten und damit die Stadt Ceuta aufgeben sollte oder nicht. Der König starb bereits 1438 an der Pest, und Prinz Ferdinand verblieb in maurischer Gefangenschaft, in der er schließlich 1443 starb.

Der Sohn und Thronerbe König Alfons V. (1438–1481), mit dem man in EU4 startet, war zum Zeitpunkt seiner Thronbesteigung erst sechs Jahre alt. Die Regentschaft fiel zunächst an seine Mutter Eleonore. Diese wurde aber nach einem Jahr von Peter, dem Herzog von Coimbra, verdrängt, einem jüngeren Bruder König Eduards und damit Onkel von König Alfons. Die Regentschaft des Herzogs von Coimbra entsprach nicht den testamentarischen Bestimmungen König Eduards. Trotzdem gelang es Peter, sie zweimal von den Cortes absegnen zu lassen.

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Auch nachdem Alfons 1446 für volljährig erklärt worden war, gab der Herzog von Coimbra die Regentschaft nicht auf und stärkte seine Position dadurch, dass er seine Tochter mit dem jungen König vermählte.

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Der König verbündete sich daraufhin mit dem Herzog von Braganza, der die Adelsopposition im Lande gegen Herzog Peter anführte. Auch seine Mutter unterstützte den jungen König und sicherte ihm die Unterstützung Aragons ein. So gelang es Alfons V., seinen Onkel und Schwiegervater in der Schlacht von Alfarrobeira 1449 zu besiegen, der Herzog von Coimbra fiel in der Schlacht.

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Alfons V. war danach unbestrittener Herrscher des Landes. Allerdings musste er diesen Sieg mit einer Stärkung der Stellung des Adels bezahlen, repräsentiert besonders durch den Herzog von Braganza. Der junge König stand vor der Aufgabe, zunächst einmal den verlorenen Einfluss für die Krone zurückzugewinnen.

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Während dieser Zeit gingen die Entdeckungen Heinrich des Seefahrers weiter. 1440 wurde auf der westafrikanischen Insel Arguim ein Handelsposten eröffnet, Portugal stieg in den Handel mit Sklaven ein. Ein gewisser Mendes aus Evora leitete den Bau einer Festung zu ihrem Schutz und die erste organisierte Gruppe von Siedlern, zu der auch ein Priester gehörte. Die Handelsniederlassung wurde fast sofort für zehn Jahre an eine portugiesische Gesellschaft verpachtet. In den 1450er Jahren wurde einige Meilen südlich von Arguim eine zweite Handelsniederlassung gegründet, die mit afrikanischem Pfeffer, Elfenbein, Moschus und Papageien handeln sollte.

1456 wurden die Kapverden entdeckt und dem Christusorden, den ehemaligen Templern, zur Besiedlung im Namen Portugals überlassen. Im Todesjahr von Heinrich dem Seefahrer (1460) erreichten die Portugiesen Guinea. Am Breitengrad des heutigen Monrovia bog die afrikanische Küstenlinie unzweifelhaft nach Osten ab. Im offenen Meer vor der Küste wurden die Kapverdischen Inseln entdeckt und erforscht. Die Ilha do Sal war bereits bekannt und auf den Karten verzeichnet gewesen, daher behielten die Portugiesen diesen Namen bei. Die übrigen Inseln wurden in der Regel nach dem Heiligen des Tages benannt, an dem sie entdeckt wurden. Inzwischen hatte man das bedeutende Potential erkannt, das Afrika vor allem für den Handel bot, und Portugal versuchte natürlich, Rivalen von der kolonialen Expansion nach Afrika auszuschließen. Dazu war Portugal auf den Papst angewiesen, mit dem man sich daher besonders gut stellen wollte und die Beziehungen eifrig auf über +100 anhob.

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Jawohl, der Papst wurde nach jahrhundertelangem Knatsch mit Portugal nun zum Buddy und am 13. März 1456 übertrug Papst Calixt III. dem portugiesischen Christusorden die gesamte geistliche Gewalt über „alle Gebiete südlich von Kap Bojador und Kap Nun, über Guinea bis zu den Indern sowie über die Inseln im Atlantik“. Bereits ein Jahr zuvor hatte Nikolaus V., der Vorgänger von Calixt, dem portugiesischen König Alfons V., dessen Onkel Heinrich dem Seefahrer sowie ihren Nachfolgern bereits die Länder, Häfen, Inseln und Meere Afrikas samt dem Patronat über die Kirchen, das Handelsmonopol (außer den Handel mit Kriegsmaterial), das ausschließliche Recht der Schifffahrt in diesen Gewässern sowie das Recht, Ungläubige in die Sklaverei zu führen, übertragen. Das alles galt übrigens auch für jene Gebiete, die Portugal erst noch erwerben würde. Ein ordentliches Privileg!

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Auch im Nordatlantik unternahmen die Portugiesen Entdeckungsreisen, auf der Suche nach den sagenhaften Ländern, die auf den Karten vermerkt waren oder von denen die Überlieferungen berichteten. Man denke nur einmal an Platon und seinen Bericht über Atlantis. Über diese Reisen nach Westen ist kaum etwas bekannt, weil es kaum Inseln gibt und daher nur wenige Zeugnisse von den Expeditionen angefertigt wurden. Das Meer an sich war ohne Bedeutung, man war nur an der Entdeckung von Land interessiert. Abseits von Spekulationen, ob die Küste Brasiliens bei diesen Fahrten bereits erreicht wurde, ist zweifellos sicher, dass die Portugiesen zu dieser Zeit bis zur Sargassosee kamen (das waren etwa zwei Drittel der Wegstrecke von Madeira bis Florida). Das reichte, um eine ziemlich vollständige und genaue Karte der Winde und Strömungen des Atlantiks zu zeichnen, die von allen künftigen Seefahrern benutzt werden sollte.

Nach dem Tod von Heinrich dem Seefahrer im Jahre 1460 gingen die Expeditionsfahrten deutlich zurück. Der neue, junge König Alfons V. interessierte sich mehr für den Ruhm, den die Eroberung Nordafrikas mit sich bringen sollte. Der König unternahm das alles, um an der Seite des Papstes einen europäischen gegen den Islam zu organisieren, vor allem gegen die Osmanen, die 1453 Konstantinopel erobert hatten. Der König von Portugal unterstützte die militärischen Träume des Papstes so gut er konnte und scheute keine Anstrengungen, um sie Wirklichkeit werden zu lassen. Alfons V. griff in Afrika an und errang mehrere Siege, die sowohl sein Selbstbewusstsein als auch sein internationales Ansehen mehrten, obwohl man die tatsächliche wirtschaftliche und politische Bedeutung der Eroberung von Tanger im Jahre 1471 in Zweifel ziehen kann. Na ja, hat seinen Grund, dass man für die Mission an Prestige nur lumpige +5 bekommt. Von wegen Mehrung des internationalen Ansehens.

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Nach dem Sieg erweiterte Alfons V. seinen Königstitel, um seinen Anspruch auch auf die nordafrikanischen Territorien zu bekräftigen. Er nannte sich nun rei de Portugal e do Algarve, Senhor de Septa, Senhor d’Alcacere em Africa; das brachte ihm den Beinamen „der Afrikaner“ ein. Wichtiger waren dem König wohl eher die handfesten 200 Administrativen Punkte, die er dafür einsacken konnte. Weitere Feldzüge mussten wegen der Spannungen mit Kastilien auf Jahre zurückgestellt werden.

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Um trotz begrenzter finanzieller Mittel die portugiesischen Erkundungen an der afrikanischen Küste fortzusetzen, verpachtete König Alfons 1469 das Recht, im Namen und Auftrag der portugiesischen Krone Afrikareisen durchzuführen. In diesem auf fünf Jahre terminierten Vertrag verpflichtete sich der wohlhabende portugiesische Kaufmann Fernão Gomes neben der Pachtzahlung, die afrikanische Küste jährlich weitere um 100 Legoas, also fast 620 km zu erkunden. Ausgangspunkt war dabei das heutige Sierra Leone.

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1474 starb der König Heinrich IV. von Kastilien. Alfons V. griff daraufhin aktiv in den Kampf um den kastilischen Thron ein. Einstmals hatte er um die Hand der Prinzessin Isabella, der späteren Regentin Isabella der Katholischen, einer Schwester des verstorbenen Heinrich IV., geworben, nachdem sich diese Pläne jedoch zerschlagen hatte, verlobte er sich mit Johanna, der Tochter Heinrichs IV., und unterstützte jetzt deren Thronansprüche gegen Isabella. In der Schlacht von Toro 1476 wurde Portugal von den katholischen Königen geschlagen, die portugiesischen Ansprüche auf den Thron von Kastilien waren damit abgewehrt. Im Frieden von Alcáçovas musste Alfons V. für sich und seine Frau alle Ansprüche auf den kastilischen Thron und die Kanarischen Inseln aufgeben, erhielt dafür jedoch von Spanien Handlungsfreiheit in Nordafrika zugesichert. In seinen letzten Lebensjahren war der König zunehmend depressiv und kränkelte, wollte sogar abdanken, starb aber vorher an der Pest.

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Nach dem Tode Alfons’ V. kam 1481 dessen Sohn, König Johann II. (João II.), „der Strenge“ oder „der Vollkommene“, an die Macht. Der neue König war ein typischer Renaissance-Herrscher. Johann II. begann einen gefährlichen Kampf gegen die großen Feudalherren, den er rasch und skrupellos zu einem triumphalen Sieg führte. Die Macht war fortan – wie in Frankreich und Kastilien – in der Person des Königs zentralisiert. Johann II. zwang die Adeligen zu einem in ihren Augen erniedrigenden Treueschwur, ihnen wurde das Recht genommen, in ihren Domänen selbst die Gerichtsbarkeit auszuüben. Gegner dieser Politik wie den Herzog von Braganca verfolgte der König mit großer Härte (sprich: Kopf ab) und zog große Ländereien zu Gunsten der Krone ein. Nach dem Herzog von Braganca nahm Johann den zweiten bedeutenden Feudalherren Portugals ins Visier, den Herzog von Viseu, Vetter und Schwager des Königs. Unvorsichtig genug, eine neue Verschwörung anzuzetteln, wurde der Herzog 1484 vom König erstochen, während seine Gefolgsleute auf dem Schafott starben oder nach Kastilien flohen. Drei Jahre, nachdem Johann II. den Thron bestiegen hatte, waren also die meisten Vertreter des Hochadels entweder tot oder ins Exil getrieben worden, und der König hatte seinem Besitz einen beträchtlichen Teil des Staatsgebietes hinzufügen können.

Außenpolitisch setzte der König den Expansionskurs fort. 1482 wurde die Festung São Jorge da Mina an der Goldküste (Ghana) gegründet und damit der Gold- und Sklavenhandel aus Westafrika – weg von den ungünstigen Routen der Karawanen quer durch die Sahara - abgelenkt. Die Einkünfte der Krone verdoppelten sich. Es folgten eine Expedition zum Kongo, im Jahre 1488 umrundete Bartolomeu Diaz das Kap der guten Hoffnung: Damit war der Seeweg nach Indien gefunden worden!

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Die Regierungszeit Johann II. markiert einen Meilenstein auf der Entwicklung Portugals zu einem zentralistischen, auf die Königsmacht ausgerichteten absolutistischen Staat. Während seiner ganzen Regierungszeit berief der König die Cortes nur vier Mal ein, regierte ansonsten vollkommen unabhängig. Die Regierungszeit Johann II. ist aber auch eine Zeit der verpassten Chancen für Portugal. Durch die Eheschließung seines Sohnes und Thronfolgers Johann mit Isabella, Tochter der katholischen Könige Spaniens, bestand die Aussicht auf ein iberisches Großreich unter portugiesischer Führung. Der Tod des Thronfolgers Alfons im Jahre 1491 (kein Scheiß: ein Reitunfall) verhinderte dann diese Pläne. Johann II. blieb nach dem Tode des Thronfolgers ohne legitime männliche Nachkommen und erwog deshalb, seinen Lieblingssohn aus einer illegitimen Verbindung zum Nachfolger zu machen. Testamentarisch bestimmte er dann aber doch den nächsten lebenden männlichen Angehörigen des Hauses Avís zu seinem Nachfolger, Emanuel, einen Bruder seiner Frau und Enkel des Königs Eduard.

Aber was wurde nun aus dem Vorhaben, einen eigenen Weg nach Asien zu finden, dort mit dem Priesterkönig in Kontakt zu treten und den gemeinsamen Kreuzzug gegen die islamische Welt zu organisieren? Sie mündete in mehr als das: In das umfassende Vorhaben der Eroberung der Welt im Namen Christi. Johanns kühne Seefahrer standen kurz davor, auf dem Seeweg nach Indien zu gelangen, als der König 1495 starb. Doch ist Johann II. auch der portugiesische König, der Christoph Kolumbus seine Hilfe bei der Suche nach dem Westweg nach Indien verweigerte, so dass dieser Amerika in spanischen Diensten entdeckte. Das aber ist bereits Stoff für das Kapitel über Kastilien.

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Literatur:
Marques: Geschichte Portugals und des portugiesischen Weltreichs

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 19. Juli 2018 07:21

Der kleine Drachen

Die Partie in EU4 beginnt mit der Niederlage des christlichen Koalitionsheeres bei Varna am 10. November des Jahres 1444. Obwohl die osmanische Armee der christlichen zahlenmäßig weit überlegen war, schien der ungarische Kommandoführer Hunyadi dank geschickter Taktik zunächst Erfolg zu haben. Dann aber fühlte sich der polnische König Wladislaw bemüht, eine heroische Ritterattacke auf das Zentrum der Feinde zu führen. Sie endete nicht nur mit seinem Tod, sondern mit einer vollständigen Niederlage der gesamten Streitmacht. Auch der walachische Fürst Mircea war an diesem Tag mit seinen Truppen gegen die Osmanen gezogen, hatte sie aber soweit wie möglich aus dem Kampf herausgehalten. So lag es nahe, ihn zum Sündenbock für die Niederlage zu machen. Die Beziehungen zwischen Ungarn und der Walachei waren jedenfalls zerrüttet. Dazu trug weiter bei, dass der in die Walachei geflohene Hunyadi gefangen gesetzt wurde, um ihn als politisches Pfand in den sich ändernden Machtkonstellationen in Osteuropa in der Hand zu haben. Als sich der osmanische Sultan uninteressiert zeigte und nach Griechenland wandte, ließ der Mann, der ihn festgehalten hatte, Hunyadi wieder frei und schickte ihn, mit Geschenken überhäuft, heim. Der Mann, der Hunyadi festgehalten hatte war: Vlad II. Dracul – der Vater von Dracula.

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Mir gefiel der Film, den ich 1992 im Kino gesehen hatte. Im Intro wird der historische Dracula, na ja, zumindest mal erwähnt, es geht ein paar Minuten darum, wie er zum Verdammten wurde.

https://www.youtube.com/watch?time_cont ... faOU1EbpoI

Dracula hat es wirklich gegeben. Sein Leben ist überdeckt von Legenden, Erfindungen und Klischees. Hier soll es um den historischen Dracula gehen, sein richtiger Name lautete Vlad III. Vermutlich wurde er 1431 in Siebenbürgen geboren, jedenfalls hielt sich sein Vater Vlad II. (der ca. 1395 bis 1447 gelebt hat) zur fraglichen Zeit dort auf. Die Mutter stammte aus einem moldauischen Fürstengeschlecht. Es war um die Zeit, als in Nürnberg am 9. Februar 1431 ein Reichstag eröffnet wurde, zu dem König Sigismund – den kennen wir bereits vom vorigen Kapitel – , drei Monate vor seiner Kaiserkrönung in Rom, geladen hatte. Das wichtigste Thema des Reichstages bildete der Kampf gegen die Hussiten in Böhmen. Sigismund wollte hier aber auch auf eine weitere Gefahr für das Reich hinweisen, die Expansion des Osmanischen Reiches. Zu diesem Zweck hatte er Vlad nach Nürnberg kommen lassen.

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Weil Sigismund den bisherigen Fürsten der Walachei für unzuverlässig hielt, erhob er in einer feierlichen Zeremonie Vlad zum neuen Fürsten und schlug ihn zum Ritter des Drachenordens. Diesen Orden hatte Sigismund 1408 gemeinsam mit seiner ungarischen Frau Barbara von Cilli zum Kampf gegen Heiden und Schismatiker, gemeint waren damit die Osmanen und die Hussiten, gegründet. Mit seinem Namen definierte der Drachenorden sein erklärtes Ziel: Stets gegen die Nachfolger des Teufels, des Urdrachens, zu kämpfen. Durch seine Aufnahme in den Orden erhielt Vlad II. den Beinamen Dracul, der Drache, und voller Stolz über diese Ehre machte er den Drachen zu seinem Zeichen auf Münzen und Siegeln. Sein neugeborener Sohn erhielt bald den Beinamen Draculea, der kleine Drache. Das erinnert mich gerade an Grisu, der kleine Drache.

Warum war Sigismund die Walachei überhaupt wichtig? Es war eine Landschaft von den schroffen Bergen, dichten Wäldern und tiefen Schluchten der Karpaten bis hin zu den Sümpfen und Auswäldern des Donau-Deltas.

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Ein Fürstentum hatte sich hier erst im 14. Jahrhundert gebildet, im Zuge der Ausdehnung des ungarischen Königreichs nach Osten. An der Spitze der Walachei stand ein Woiwode, was früher Kriegsherr und nun schlicht Fürst bedeutete.

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Das Fürstentum strebte danach, sich von Ungarn unabhängig zu machen. Dazu diente auch die kirchenpolitische Unterstellung unter den Patriarchen von Byzanz. Die Bevölkerung der Walachei bekannte sich damit zur griechisch-orthodoxen Kirche gegenüber dem katholischen Ungarn. Nun aber stand eine ungleich bedrohlichere Macht an den Grenzen, die Osmanen. Die Walachei hatte in den 1410ern deren Oberhoheit anerkennen müssen und zahlte ihnen kleinere Tribute. Im Inneren hatte der damalige Woiwode Mircea der Ältere immerhin die Gunst der Stunde genutzt, seine Macht ausgebaut und sich außenpolitisch Ungarn, Polen-Litauen sowie dem Fürstentum Moldau angenähert, um ein langfristiges Gegengewicht zu den Osmanen aufzubauen. Jetzt, 1431, wollte König Sigismund ein neues Bündnis gegen die Osmanen zustande bringen. Der Walachei kam dabei eine wichtige Rolle zu. Damals war das keineswegs ein fernes, unbekanntes Land. Deutsche Kaufleute handelten mit den Städten Siebenbürgens und bezogen von dort Erze für die Rüstungsproduktion. Dieses Land sollte nicht in die Hände der Türken fallen. Nach einer Zwischenperiode unter einem schwachen Fürsten und erbitterten inneren Kämpfen sollte Mirceas Sohn Vlad II. Dracul die Gewähr bieten, dass von der Walachei aus die Osmanen zurückgedrängt werden könnten.

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So ein Bündnis aufzustellen war schwieriger, als es scheint. Osteuropa war in kleine Fürstentümer zersplittert und/oder stand bereits unter der Oberhoheit des Osmanischen Reiches. England und Frankreich lagen noch im Hundertjährigen Krieg und brauchten ihre Zeit, um wieder handlungsfähig zu werden. Kastilien und Portugal standen im Kampf gegen die Mauren bzw. erkundeten die Küsten Afrikas. In Nordeuropa waren die Reiche durch innenpolitische Probleme gelähmt. Italien war politisch auf komplexe Weise zersplittert. Das Heilige Römische Reich hatte keine Zentralgewalt, die diesen Namen verdient gehabt hätte. Und die Autorität des Papstes hatte sich nach der Spaltung zwischen Rom und Avignon ebenfalls gemindert. Lediglich Burgund mit Philipp dem Guten stand als schlagkräftiger Bündnispartner gegen die Osmanen bereit. In diese unruhige Zeit wurde Vlad hineingeboren.

Der kleine Vlad wuchs bis zu seinem zehnten Lebensjahr am Hof seines Vaters in Targoviste auf. Allerdings konnte sein Vater nach seiner Rückkehr aus Nürnberg die Macht nicht sofort übernehmen. Nicht nur Sigismund, sondern auch der osmanische Sultan hatte den bisherigen Woiwoden als zu unzuverlässig ersetzen wollen. Und der Sultan war schneller gewesen: In der Walachei regierte nun Vlad Draculs Halbbruder Alexandru I. Aldea. Es wurde ein jahrelanger Kleinkrieg, bei dem Dracul aber die besseren Karten hatte. Erst Alexandrus Tod 1436 beendete den Streit.

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Dass der Fürstenthron umstritten war, lag nicht allein an den Osmanen, sondern auch an den einflussreichen walachischen Bojaren. Das waren Großadelige mit ordentlichem Grundbesitz, die die Bauern in Abhängigkeit hielten. An der Macht des Adels – und des Klerus – kam auch der Woiwode nicht vorbei. Sie behielten sich vor, den Woiwoden zu wählen. In der Praxis führte das dazu, dass die Bojaren gerne mal verschiedene Kandidaten gegeneinander ausspielten, um ihre eigene Macht in Ruhe erweitern zu können. Rücksicht nehmen musste der Woiwode auch auf die Autonomie der Handelsstädte, von Siebenbürgen aus handelte man wie erwähnt mit profitablen Waren wie Erz, Salz, Gold und modernen Waffen. Einer ähnlichen Autonomie erfreuten sich auch die Szekler, eine Art berittene Grenztruppe. Am unteren Rand der sozialen Skala waren die Bauern, und auch die waren schwierig zu regieren: Diese Untertanen waren Rumänen oder Ungarn, dementsprechend orthodox oder katholisch. Klar, dass die Ungarn den Katholizismus förderten, um in der Walachei Einfluss zu gewinnen. Vlad II. Dracul war von Sigismund auserkoren, diese Absichten in die Tat umzusetzen, dafür dürfte er eigens zum Katholizismus übergetreten sein. Es war also keine Beiläufigkeit, dass Vlad 1436 einen katholischen Bischof für die Walachei ernannte. Man kann sich jetzt schon denken, dass er sich damit nicht nur Freunde gemacht hat.

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Das bekam Vlad II. bald zu spüren. 1437 fielen osmanische Truppen von Serbien her in Siebenbürgen ein. Die dortigen Bauern nutzten das zum Aufstand, um ihre alten Freiheiten zurückzuerlangen. Das musste niedergeschlagen werden! Vlad II. zog dem Sultan entgegen und zahlte ihm Tribut, damit er sich aus dem Land zurückzog. Dann nahm das Heer aus Adel und Szekler grausame Rache an den Bauern. 1438 waren die Osmanen schon wieder im Land, dieses Mal wegen einer Operation, die sich (erfolgreich) gegen Serbien richtete. Vlad II. blieb nichts anderes übrig, als die Osmanen mit Truppen und Proviant zu unterstützen. Er konnte lediglich beim Sultan darum bitten, dass die Untertanen in Siebenbürgen nicht allzu hart von den osmanischen Truppen behandelt wurden. Nicht aus Menschenliebe, sondern weil Vlad sich Siebenbürgen nicht ganz zum Feind machen wollte.

Was blieb, war der Eindruck, dass man sich in der Walachei nicht auf Nachbarn wie Ungarn verlassen konnte, wenn es ernst wurde. Dort entbrannte 1439 sowieso ein heftiger innerer Streit verschiedener Adelsfraktionen, nachdem zunächst König Sigismund und bald danach dessen Schwiegersohn Albrecht II. gestorben war. Wer sollte nun auf den ungarischen Thron sitzen? Eine Partei wollte Albrechts neugeborenen Sohn Ladislaus (Postumus genannt, weil der nach Albrechts Tod auf die Welt gekommen war) haben, andere traten für eine Personalunion mit Polen-Litauen unter Wladislaw III. ein. Das war eine Großmacht, von der man sich in Ungarn Schutz vor den Osmanen versprach. Die Ungarn führten also einen netten Thronfolgekrieg, während die Walachei erneut von den Osmanen verwüstet wurde. Es war nicht zuletzt der Verdienst des Adeligen Hunyadi, dass die polenfreundliche Partei die Oberhand behielt. Hunyadi war ein exzellenter Kriegsherr, der auch den Osmanen offensiv Paroli bieten konnte. Das machte auch auf Vlad II. Eindruck, der sich deshalb an die Seite von Hunyadi stellte.

Irgendwie verständlich, dass Vlad je nach aktuellem Kräfteverhältnis zwischen den Mächten schwanken musste, um bestehen zu können. Es brachte ihm aber den Ruf der Unzuverlässigkeit ein – auch beim Sultan. Deshalb hatte er 1440 Vlad aufgefordert, ihm zwei seiner Söhne als Geisel zu übergeben. Vlad kannte die Situation, er war selbst viele Jahre Geisel am Hof Sigismunds gewesen, um für die Treue des Vaters zu bürgen. Jetzt entschied er, seinen ältesten Sohn Mircea bei sich zu behalten und die jüngeren Söhne Vlad Draculea und Radu an den Hof des Sultans zu schicken. Die beiden Söhne teilten das Schicksal vieler Kinder christlicher Herren, die der Sultan aufnahm, um sich des Einvernehmens mit seinen Vasallen zu versichern. Zugleich sollten die Geiseln sorgfältig erzogen werden, um später einmal im Geiste und Interesse des Sultans als Feldherrn oder hohe Amtsträger dem Osmanischen Reich zu dienen, vielleicht sogar in ihrem Heimatland als Gefolgsleute des Sultans zu herrschen. Eine der bekanntesten Geiseln war der Sohn des albanischen Adeligen Georg Kastriota. Er war inzwischen in osmanischen Diensten aufgestiegen, zum Islam übergetreten und hatte sich militärisch ausgezeichnet. In Albanien übernahm er Aufgaben und erhielt den Namen Iskender Beg = Skanderbeg. Ob sich Skanderbeg und Vlad Draculea nach 1440 am Hof des Sultans begegnet sind, ist nicht bekannt. Der Albaner sollte aber indirekt im Leben seines viel jüngeren Schicksalsgenossen eine wichtige Rolle spielen. Skanderbeg wurde 1442 als osmanischer Heerführer in Siebenbürgen besiegt und fiel vom Sultan ab – vermutlich, weil der Sultan ihm sein Erbe vorenthalten hatte oder weil der Sultan die Ermordung seines Vaters befohlen hatte. Um seine Ehre zu bewahren, musste Skanderbeg Rache üben. Gemeinsam mit Hunyadi führte er fortan den Krieg gegen das Osmanische Reich.

Der Zeitpunkt dafür war günstig, 1443 waren die Osmanen auf dem Balkan militärisch angeschlagen, auch wegen Hunyadis Erfolge. Die christliche Koalition, die nach Varna ziehen sollte, fügte sich zusammen. Die Walachei war daran nur mit einer kleinen Truppe beteiligt. Vlad II. wollte wohl lieber abwarten, wie sich die Dinge entwickeln würden. Und seine beiden Söhne nicht gefährden. Von Hunyadi musste sich Vlad II. harsche Kritik anhören, als er mit seiner kleinen Truppe auftauchte. Hunyadi ging soweit, dem Woiwoden Verrat und Zusammenarbeit mit den Türken vorzuwerfen. Vlad zog seinen Dolch und konnte nur mit Mühe von einem Zweikampf abgebracht werden. Nach diesem Eklat reiste Vlad II. heim und überließ seinem Sohn Mircea die Führung der paar Leute innerhalb des Koalitionsheeres. Wir wissen bereits, dass die Christen am 10. November 1444 bei Varna von den Osmanen geschlagen wurden. Aber nun verstehen wir auch, warum Vlad II. den auf der Flucht befindlichen Hunyadi vorläufig gefangen nahm.

Große Erfolge gegen die Türken waren jetzt nicht mehr zu erwarten. Einzig Skanderbeg in Albanien konnte dem Sultan militärisch die Stirn bieten. Vlad II. sah sich wieder einmal veranlasst, die Seiten zu wechseln und ging 1446 ein Bündnis mit der Hohen Pforte ein. Darauf reagierte Ungarn mit entschlossener Härte, und das war kein Wunder: Nach dem Tod des polnischen Königs in Varna hatten sich die Ungarn entschlossen, den kleinen Ladislaus zu ihren König zu machen. Und wer war der ungarische Reichsverweser, also Ladislaus' Regent? Jawohl: Johann Hunyadi. Der knüpfte Kontakt zu den walachischen Bojaren und fiel 1447 in die Walachei ein, um mit Vlad II. aufzuräumen. Vlads Einheiten wurden geschlagen, sein Sohn Mircea gefangen und hingerichtet, Vlad selber auf der Flucht getötet. Hunyadi ernannte Vladislav II. aus der Linie der Danesti zum neuen Woiwoden und setzte auch in der Moldau einen ihm ergebenen Fürsten ein. Die Gegenreaktion war vorhersehbar. Sultan Murad II. ernannte umgehend seine Geisel, den inzwischen 17jährigen Vlad Draculea, zum rechtmäßigen Thronanwärter der Walachei und sicherte ihm zu, ihn bei der Durchsetzung seiner Ansprüche zu unterstützen.

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Die Gelegenheit dazu bekam Dracula unverzüglich, er wurde mit einer kleinen osmanischen Streitmacht gegen den Ungarn Hunyadi geschickt und ergriff nebenher die Macht in der Walachei. Die Hauptstreitmacht der Türken marschierte direkt gegen Hunyadi und stellte diesen Mitte Oktober 1448 auf dem Amselfeld im Kosovo. Hier hatte schon 1389 einmal eine entscheidende Schlacht stattgefunden. Drei Tage dauerte der Kampf. Skanderbeg zog mit seinem Heer im Eilmarsch aus Albanien heran, konnte den Ausgang aber nicht mehr beeinflussen. Hunyadis Heer erlitt eine entscheidende Niederlage. Die Hoffnung, das Osmanische Reich zurückdrängen zu können, musste für viele Jahre begraben werden. Einer hatte sich rechtzeitig mit seinen Männern vom Amselfeld abgesetzt: Draculas Rivale Vladislav, der nun in die Walachei zurückkehrte und ihn vom Fürstenthron verjagte. Dracula hatte einfach keine Hausmacht, um das verhindern zu können. Schlimmer noch: Der Sultan erkannte die Realitäten und nahm den Tribut an, der ihm von Vladislav II. angeboten wurde. Das war eine schlimme Enttäuschung für Vlad Dracula, eine Rückkehr an den Hof des Sultans schien unter diesen Umständen nicht klug. Er bevorzugte es, sich in das Fürstentum Moldau abzusetzen.

Drei Jahre lang hockte Dracula dort herum, dann musste er sich erneut absetzen. Den politischen Wirren dort fiel der Woiwode Bogdan II. zum Opfer, der seine schützende Hand über Vlad gehalten hatte. Dracula musste nach Siebenbürgen fliehen. Es war sein Glück, dass es hier durchaus Unzufriedene mit Vladislavs Herrschaftsstil gab. Selbst als Hunyadi Kronstadt aufforderte, Vlad das Aufenthaltsrecht zu entziehen, geschah erst einmal nichts. Vlad war zu nützlich und Hunyadis Stern bereits im Sinken begriffen: 1452 wurde Ladislaus Postumus volljährig, und damit endete auch Hunyadis Zeit als Reichsverweser. Dracula hatte das Schlimmste für ihn abgewendet, aber für einige Jahre hörte man nichts weiter mehr von ihm – obwohl große Dinge geschahen. Im Osmanischen Reich folgte Mehmed II. auf den verstorbenen Murat und eroberte 1453 die Bastion Konstantinopel. Damit war das Kaiserreich Byzanz endgültig zerschlagen, der Weg auf den Balkan frei. 1454 und 1455 besetzte Mehmeds Heere weite Teile Serbiens. Auf den Vasallen Brankovic nahm der Sultan keine Rücksicht mehr, Anfang Juli 1456 stand er vor Belgrad. Mit der Eroberung dieser Stadt wäre das Zentrum Ungarns reif zur Eroberung gewesen. Hunyadi war erneut gefordert, aber er konnte auf keine Hilfe aus dem Ausland hoffen. Das war die Chance für Dracula.

Mehmed II. bereitete sein Reich gut auf diese Aufgabe vor. Innenpolitisch hatte er seine Position gefestigt, das Militärwesen modernisiert und eine Flotte aufgebaut. Ein neues Thronfolgegesetz sicherte die Unteilbarkeit der Herrschaft: Der Sultan bestimmte den fähigsten seiner Söhne zur Nachfolge, und wenn dieser den Thron bestieg, hatte er die Pflicht, seine Brüder töten zu lassen – so wie es Mehmed selbst praktiziert hatte.

Der ungarische König Ladislaus räumte den Siebenbürger Städten neue Rechte ein, namentlich die Zollerhebung an den Pässen zur Walachei. Dies missfiel Vladislav, weil die Handelswege zwischen den beiden Regionen dadurch unter die Kontrolle der Städte gerieten. Vladislav brach mit Hunyadi, und der stellte daraufhin Dracula dem ungarischen König vor. Dracula fiel nun der Schutz von Siebenbürgen zu, weil Hunyadi sich um die Verteidigung von Belgrad kümmern musste. Belgrad wurde ein Massaker: Militärisch waren die Christen klar unterlegen, aber sie wurden durch Glaubensfanatiker derart aufgestachelt, dass sie standhalten konnten. In Belgrad brach im Heer der professionellen Soldaten die Pest aus, an der auch Hunyadi starb. Die anderen Soldaten – christliche wie muslimische - wurden von den aufgebrachten Fanatikern erschlagen. Für Dracula hätte es nicht besser kommen können.

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Er hatte das Einverständnis Ungarns sicher und musste kein Eingreifen der Osmanen fürchten. Mit einem Heer marschierte er von Siebenbürgen in die Walachei ein, besiegte Vladislav und ließ ihn in Targoviste öffentlich hinrichten. Auf dem gleichen Platz, an dem Vladislav Draculas Bruder Mircea hatte hinrichten lassen. Vlad III. Dracula bestieg erneut den Fürstenthron der Walachei. Verständlich, dass er es beim zweiten Anlauf besser machen wollte. Oder besser gesagt: Seinen Thron wackelfester machen wollte. Viele Möglichkeiten hatte er nicht, er blieb ein Spielball der Mächte: Sowohl Ungarn als auch den Osmanen musste er den Treueid leisten, die Städte Siebenbürgern pochten ebenso auf ihre Rechte wie die Bojaren. Der einzige halbwegs verlässliche Bündnispartner war vielleicht Skanderbeg. Wenn Dracula eine Strategie vorschwebte, dann war es die, zunächst die Wirtschaftsmacht der Walachei zu stärken und damit die Voraussetzung für ein stehendes Heer zu schaffen. Mit diesem Heer würde er in der Lage sein, seinen Bojaren die Stirn zu bieten und die innere Ordnung aufrechtzuerhalten. Klingt theoretisch einleuchtend, war in der Praxis aber schwer umzusetzen. Die Gegenreaktion erfolgte bereits, als Dracula in einem ersten Schritt das Stapelrecht beim Handel verkündete. Das bedeutete, dass auswärtige Händler, die durch die Walachei ziehen wollten, ihre Waren für eine gewisse Zeit innerhalb des Landes lagern und zum Verkauf anbieten mussten. Die walachischen Kaufleute erhielten dabei ein Vorkaufsrecht und damit auch die Möglichkeit, ihrerseits mit den erworbenen Waren Handel zu treiben. In der damaligen Zeit war das Stapelrecht das entscheidende Mittel, um den Handel des eigenen Landes zu schützen und einen wirtschaftlichen Aufschwung zu fördern.

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Die Siebenbürger Städte waren angesickt, sie hatten von Dracula mehr Dankbarkeit erwartet, nachdem sie ihm jahrelang Asyl gewährt und ihm dann den Weg auf den Fürstenthron ermöglicht hatten. Das Mittel ihrer Wahl war ein neuer, eigener Prätendent für den walachischen Fürstenthron: Kronstadt wählte Dan, Hermannstadt einen Halbbruder Draculas, nämlich Vlad den Mönch. Das wollte sich Dracula nicht bieten lassen. Mit einem Heer marschierte er 1457 nach Siebenbürgen und verwüstete die Gegend um Kronstadt. Man einigte sich auf ein Unentschieden: Die Städte ließen ihren Prätendenten fallen, Dracula verzichtete auf das Stapelrecht. Also vorläufig zumindest.

Für Dracula gab es 1458 gute Neuigkeiten aus Ungarn. Ladislaus war am 10. November gestorben, den Thron bestieg nun Hunyadis Sohn, Matthias Corvinus. Der hatte an seiner westlichen Grenze Ärger mit dem Habsburger Friedrich III. und war Dracula aus diesem Grund bei dessen Clinch mit Siebenbürgen wohlgesonnen. Aber Dracula überzog es mit Corvinus' Nachsicht, als er sich bei der Gelegenheit gleich noch den moldauischen Schwarzmeerhafen Chilia des Woiwoden Stefan einsacken wollte.

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Konsequenterweise suchte dieser Stefan den Schulterschluss zu den Siebenbürger Städten und bot ihnen gute Handelskonditionen an. Da war es nur logisch, dass Dracula 1459 prompt das Stapelrecht wieder in Kraft setzte. Oh, mehr noch: Wer von den Siebenbürger Kaufleuten seine Walachei umging, um mit dem Fürstentum Moldau Handel zu treiben, war des Todes. Na ja, und prompt hatten Siebenbürgen auch den Thronprätendenten Dan wieder hervorgeholt. Also alles wie vorher.

Matthias Corvinus hatte nichts dagegen, wenn Dan in die Walachei einmarschierte. Also dann, er ließ sich von Siebenbürgen ausrüsten und fiel in Draculas Fürstentum ein. Pech für ihn, dass Dracula in den letzten Jahren sein Heer professionalisiert hatte und Dans Truppen besiegte. Das kostete Dan im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf. Dann folgte die Retourkutsche, wieder verwüstete Dracula Siebenbürgen und zwang sie 1460 an den Verhandlungstisch. Jetzt hatte er nicht nur den Rücken frei, in der Walachei hatte er sich inzwischen genügend Unterstützer gesichert, um sich einige der Bojaren vorzuknöpfen, die er als unsicher empfand.

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Gnadenlos und mit unerbittlicher Grausamkeit verfolgte und bestrafte er sie, lockte sie in Fallen und ließ sie samt ihren Familien hinrichten. Ihre Ländereien und Vermögen wurden beschlagnahmt und an Draculas Anhänger verteilt, soweit er nicht selbst Hand darauf legte. Ebenso brutal soll er Bettler, Zigeuner und andere Menschen, die sich nach seiner Meinung nicht in seine Ordnung eingliederten, beseitigt haben. So schaffte er sich einen ihm loyalen Rat, und auch der orthodoxen Kirche gefiel es, von ihm bedacht zu werden.

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Dracula saß jetzt fest im Sattel, Zeit für eine selbstbewusste Außenpolitik. 1460 schickte der osmanische Sultan Mehmed II. eine Gesandtschaft zu Dracula, um die überfälligen Tribute einzufordern. Die Antwort war eindeutig und erfreute Mehmed ganz sicher nicht: Als die Diplomaten vor Dracula ihre Turbane nicht abnahmen, weil dies bei ihnen nicht Sitte sei, bestärkte der sie darin, indem er ihnen die Turbane an den Köpfen festnageln ließ. Mehmed schickte noch einmal einen Sekretär, der Dracula aufforderte, in Istanbul zu erscheinen und sich zur Knabenlese zu verpflichten (das war die Sache mit dem Überlassen einer Zahl einheimischer Jungen zur Erziehung bei den Osmanen). Das lehnte Dracula auch ab, er wusste, was ihm bei einem Erscheinen in Istanbul vermutlich blühen würde. Die diplomatische Gepflogenheit gebot es, den Sekretär auf seiner Heimreise bis zur Grenze zu begleiten – auch wenn Dracula richtig vermutete, dass ihm dort ein Hinterhalt gestellt werden würde. Er sorgte vor, nahm Truppen mit, die das türkische Kommando überwältigten und samt ihres Anführers gefangen nahmen. Dracula ließ sie alle pfählen. Eindeutiger konnte eine Kriegserklärung an den Sultan nicht formuliert werden.

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Ein gewagter Schritt, den auf Hilfe von Außen konnte Dracula nicht hoffen. Europa war mit sich selber beschäftigt, ein Kreuzzug nicht zu erwarten. Skanderbeg hatte mit dem Sultan einen Waffenstillstand schließen müssen, weil Albanien am Ende seiner militärischen Kräfte war. Und Mehmed II. hatte Serbien und Griechenland besetzt. Selbst Bosnien neigte den Osmanen zu, weil der Sultan den dortigen Bogomilen ein Ende der Verfolgungen versprach. Dracula überlegte sich, die Osmanen mit einem Guerillakrieg zu begegnen, bei dem mit Überfällen der Nachschub des feindlichen Heeres lahmgelegt wurde. Das das funktionieren konnte, hatte er sich bei Skanderbeg abgeguckt. Und dann hatte er noch zwei Festungen in der Walachei errichten lassen, eine als „Frontburg“, die zweite als abgelegenen Rückzugsort. Ende 1461 schlug Dracula zu und überfiel die Osmanen in Bulgarien. Das Ziel war, möglichst viele von ihnen zu töten und das Land zu verwüsten, damit die Türken es nicht als Aufmarschgebiet für den Gegenschlag nutzen konnten. Und das gelang ihm so erfolgreich, dass der ungarische Corvinus ebenso beeindruckt war wie Sultan Mehmed – wenn auch in unterschiedlicher Weise. Dracula hatte sich vom unbedeutenden Woiwoden zu einem Kriegshelden gemausert, der die Osmanen das Fürchten lernen konnte.

Sultan Mehmed erklärte Dracula zur Chefsache und setzte sich im Frühjahr 1462 persönlich an die Spitze einer riesigen Armee, die dem Spuk in der Walachei ein Ende setzen sollte. Das Heer war zweigeteilt, die Masse rückte auf dem Landweg vor, eine zweite Abteilung wählte den Flussweg die Donau aufwärts. Bei dieser befand sich Mehmed. Bei sich im Gepäck hatte er Draculas Bruder Radu, der als künftiger Woiwode vorgesehen war. Bei Nikopolis vereinigten sich die beiden Armeeteile. Dracula wich einer offenen Schlacht aus und zog sich in die Wälder und Sümpfe zurück. Die Osmanen fanden nur menschenleere Gegenden, verbrannte Felder und Häuser sowie unbrauchbar gemachte Brunnen. Ständig wurden sie von den Walachen überfallen. Und eines nachts schlug Dracula mit seiner ganzen Streitmacht zu. Er überfiel das große Lager seiner Gegner und überraschte die Osmanen. Kaum hatten sie sich versehen, stand Dracula schon im Zentrum ihres Lagers, nur durch Zufall verfehlte er das Zelt des Sultans. Als die Osmanen endlich ihre Reihen gerichtet hatten, waren die Walachen ebenso schnell, wie sie gekommen waren, verschwunden.

Mehmed stieß nun nach Targoviste vor. Unterwegs soll er den „Wald der Gepfählten“ durchzogen haben, in dem Dracula seine hingerichteten Gegner zur Schau gestellt habe, um Schrecken zu verbreiten. Die Einnahme der Hauptstadt brachte keine Entscheidung: Die Einwohner waren geflüchtet, und es ließen sich keine Vorräte mehr finden. Der Sultan musste sich mit dem Gedanken befassen, sein Heer zurückzuziehen. In Schwierigkeiten kam Dracula in dieser Situation, weil Stefan von Moldau sie nutzte, um sich des Hafens Chilia zu bemächtigen. Vlad Dracula musste sein Heer teilen, um das zu verhindern und den Hafen zu halten. Dem Sultan gab das zumindest so viel Auftrieb, dass er eine Besatzungstruppe in Targoviste zurücklassen konnte, die den Gegen-Woiwoden Radu stützen sollte. Die Türken zogen sich zurück, die Walachei war komplett verwüstet.

Dracula kümmerte das Leid seiner Bevölkerung nicht sonderlich. Er reiste nach Ungarn, um mit König Matthias Corvinus den geplanten Feldzug für das Folgejahr 1463 zu besprechen. Der empfing ihn aber überraschend kühl: Vielleicht war er neidisch auf dessen Erfolge gegen die Osmanen, Corvinus sah sich selber als Anführer in diesem Kampf. Außerdem hielt Corvinus Briefe von Dracula in der Hand, in denen dieser dem Sultan und dem Fürsten Stefan einen Seitenwechsel anbot, um sich gemeinsam Siebenbürgen und Ungarn aufzuteilen sowie Corvinus nach Möglichkeit zu beseitigen. Bei Draculas Temperament ist nicht ausgeschlossen, dass er solche Pläne hegte. Sie wichen aber klar von seinem strategischen Ziel, der walachischen Unabhängigkeit von den Osmanen, ab. Gut möglich also, dass die Briefe Fälschungen waren.

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Jedenfalls handelte Corvinus sofort. Er ließ Vlad Dracula Anfang Dezember 1462 verhaften, erkannte Radu an und gab den Siebenbürger Städten nach. Außerdem informierte er den Papst über Draculas Verrat und teilte ihm mit, dass es unter diesen Umständen sinnvoller sei, den Feldzug gegen die Osmanen auf das nächste Jahr zu verschieben. Bei einem so schwerwiegenden Verrat wäre zu erwarten gewesen, dass dieser nur durch den Tod hätte gesühnt werden können. Doch dies geschah nicht. Vlad blieb für zwölf Jahre in einer eher milden königlichen Gefangenschaft, vermutlich unter Hausarrest. Innerhalb dieser Zeit ereignete sich etwas Unvermutetes: Matthias Corvinus kam seinem früheren Versprechen nach und gab Dracula seine Verwandte zur Frau (über das Schicksal von Vlads erster Frau, einer siebenbürgischen Adeligen, wissen wir nichts Näheres). Der genaue Zeitpunkt dieses Ereignisses ist nicht bekannt – 1467, 1473 oder 1475 werden genannt. Voraussetzung der Eheschließung war Vlads Übertritt vom orthodoxen zum römisch-katholischen Glauben. Das alles klingt so, als habe Corvinus den Vorwurf des Verrats selber nicht geglaubt und nur aus taktischen Gründen erhoben.

Mitte der 1470er Jahre hatte sich die weltpolitische Lage für Matthias Corvinus grundlegend geändert, und Vlad Dracula wurde wieder gebraucht. Obwohl sich die Osmanen seit Jahren darauf konzentrierten, Venedigs Einfluss zurückzudrängen, und Ungarn dementsprechend weniger Druck durch den Sultan verspürte, peinigten doch türkische Überfälle die ungarische Bevölkerung in den Grenzgebieten. Der Adel in Ungarn murrte, Corvinus solle nicht so viel Energie in die Zwistigkeiten um Böhmen und Polen hineinstecken, sondern etwas gegen die osmanischen Übergriffe unternehmen. Corvinus' zweites Problem im Osten war das Erstarken des moldauischen Fürsten Stefan, den wir schon kennengelernt haben. Er hatte in der Zwischenzeit die Hafenstadt Chilia erobert und sich so gut mit den Städten Siebenbürgens vernetzt, dass sein Fürstentum Moldau faktisch souverän geworden war. Lehnsrechtlich war Moldawien zwar immer noch ein Vasall Polens, aber na und?

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Selbst die Herrschaft über die Walachei nahm Stefan bereits ins Visier, im Jahre 1475 fiel nach jahrelangen Kämpfen Draculas Bruder, der von den Osmanen installierte Radu, einem Mordanschlag (oder dem Heldentod) zum Opfer. Mehrere Thronanwärter zankten sich anschließend um den Thron der Walachei und verwüsteten fortlaufend das Land.

Sultan Mehmed II. kam zu dem Entschluss, Stefan in die Schranken zu weisen, und schickte seinen Großwesir Suleiman mit einer großen Armee gegen Stefan. Dieser verfolgte dieselbe Taktik wie Dracula und wich einer offenen Schlacht aus. Das osmanische Heer zog durch die Walachei und die Moldau, litt unter Überfällen sowie Lebensmittelmangel und den den Nachschub nicht ausreichend sicherstellen. Schließlich wurde es von Stefan in die Falle gelockt und vernichtend geschlagen. Wutentbrannt beschloss Mehmed einen Rachefeldzug für 1476. Damit schlug die Stunde für Dracula. Mit Matthias offenbar ausgesöhnt, konnte dieser seine militärischen Fähigkeiten nun gut gebrauchen (Skanderbeg war bereits seit 1468 tot). Im Februar 1476 stieß Vlad mit ungarischen Truppen nach Bosnien vor, eroberte Srebrenica und drängte die Osmanen weit zurück. In der zweiten Jahreshälfte zog er unter dem Oberbefehl des Siebenbürger Woiwoden Stefan Báthory (auch ein Mitglied des Drachenordens) Richtung Moldau, um Stefan zu unterstützen.

Das osmanische Heer hatte sich rechtzeitig nach Süden in sicheres Gebiet zurückgezogen, im Fürstentum Moldau konnte Stefan aufatmen. Was also tun mit den ungarischen Truppen, die eh schon aufmarschierten? So wie die Situation war, stimmten die christlichen Anrainerstaaten nun alle dafür, Dracula die Herrschaft über die Walachei zu übertragen, damit die Osmanen diese Gegend nicht mehr ungestört als Aufmarschgebiet nutzen konnten. Gesagt, getan, am 26. November 1476 wurde Vlad zum dritten Mal zum Woiwoden der Walachei ausgerufen. Überraschend musste wenige Tage später Stefan Báthory mit seinen Einheiten die Walachei verlassen, weil Sultan Mehmed an der Donau vorgedrungen war und Ungarn bedrohte. Einer von Vlads Gegenkandidaten, Basarab Laiota, der ursprünglich von dem moldawischen Stefan favorisiert worden, dann aber auf die Seite der Osmanen umgeschwenkt war, nutzte die günstige Gelegenheit und fiel Ende 1476 in der Walachei ein. Dracula stellte sich zum Kampf.

Diesmal bezahlte Dracula seinen Einsatz mit dem Leben. Es ist strittig, ob er im Gefecht fiel oder ob ihn ein gedungener Mörder von hinten enthauptete. Jedenfalls soll sein Kopf, in Honig konserviert, Sultan Mehmed überbracht und dann auf einer Stange zur Schau gestellt worden sein. Der Körper des Woiwoden wurde wohl im Kloster Snagov bestattet. Als man in den 1980er Jahren das vermutete Grab öffnete, war es allerdings leer. So gehört sich das für Dracula!

Vlad Dracula hatte seine Kräfte und seinen Spielraum innerhalb des damaligen Mächtesystems überschätzt. Ermutigt durch die Erfolge Hunyadis und Skanderbegs sowie durch seine Kenntnis der osmanischen Herrschaft und ihrer militärischen Fähigkeiten glaubte er, deren Truppen bezwingen zu können. Als Sieger wollte er sich dann an die Spitze des vereinigten christlichen Heeres stellen. Auf diese Weise hoffte er, auch seine Unabhängigkeit vom ungarischen König gewinnen zu können. Im Inneren trat er entschlossen für eine Stärkung der Zentralmacht auf Kosten des Hochadels und für eine strenge Ordnung des Landes ein. Dabei schreckte er vor grausamen Strafen nicht zurück. Vielleicht ist ihm dieses despotische Verständnis einer uneingeschränkten Herrschaft bei seiner Erziehung am Hof des Sultans vermittelt worden. Er war ein typischer Renaissancefürst, von denen wir noch mehr kennenlernen werden: Souveränität und Zentralgewalt als Leitlinie der Politik, für die der Einsatz aller Mittel gerechtfertigt war.

… und wie ging es weiter?

Die Walachei geriet, ebenso wie später die Moldau, wieder unter osmanische Oberherrschaft, wenngleich sie nicht dem Reich eingegliedert, sondern durch einen meist willfährigen Woiwoden regiert wurde. Das Osmanische Reich dehnte sich weiter aus. 1526 fiel Ungarn, 1529 standen die Osmanen zum ersten Mal vor Wien, wurden jedoch zurückgeschlagen. Ende des 17. Jahrhunderts begann der Niedergang des Osmanischen Reichs, im Jahre 1859 schlossen sich die Fürstentümer Moldau und Walachei zu Rumänien zusammen, zwanzig Jahre später war der rumänische König unabhängig vom Osmanischen Reich.

Draculas Linie starb übrigens im 17. Jahrhundert aus, einige von seinen Nachkommen waren durchaus erfolgreich in der Walachei und sogar der Moldau. Seitenlinien sind bis in die Gegenwart zu verfolgen. Eine kinderlose Nachfahrin Vlad Draculas hielt die Linie aufrecht, indem sie 1987 einen Bäcker namens Ottmar Berbig adoptierte, der den Namen Dracula annahm. Seit dessen Tod im Jahre 2007 ist sein ein Jahr davor geborene Sohn Ottomar der einzige Vertreter des Dracula-Geschlechts. Oder so ähnlich.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 29. Juli 2018 09:40

Die Rosenkriege ab 1444 bis 1485

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Was für einen Absturz erlebte dieses Land in so kurzer Zeit! Würde EU4 bereits im Jahre 1420 starten, stünde England prächtig da. Der Vertrag von Troyes, den die Franzosen unterzeichnen mussten, war für Henry V. ein großartiger politischer Erfolg, nachdem er 1415 bereits den großartigen militärischen Sieg von Azincourt errungen hatte. In Troyes akzeptierten die Franzosen, dass nach dem Tod des amtierenden Charles VI. nicht dessen Sohn, sondern der englische König Henry V. bzw. dessen Sohn die Krone erben würde. Nun waren sowohl Henry V. als auch Charles VI. im Jahre 1422 gestorben, und der enterbte Dauphin Charles VII. sah seine Chance gekommen, den Vertrag von Troyes zu revidieren. Es war nicht allein das Auftauchen der charismatischen Jungfrau von Orleans, die Charles auf die Siegerstraße zurückbrachte. Es war auch das völlige Versagen des jungen englischen Königs Henry VI., einem Null-Null-Null-Monarchen.

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Bis 1444 war der englische Besitz auf dem Kontinent fast vollständig verloren. Wer in EU4 also eine Partie mit England startet, der muss zumindest anfänglich eine gewisse Portion Frusttoleranz mitbringen. Es beginnt nämlich mit weiteren Niederlagen gegen Frankreich – und dem aufziehenden Bürgerkrieg in England, den Rosenkriegen. Unter dem schwachen König Henry VI. zerriss es das Land zwischen den Fraktionen der Lancaster und der York, die sich beide auf ihre Abstammung von Edward III. berufen konnten.

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Vorerst konnte 1444 eine weitere Verschlechterung der Lage verhindert werden. Im Frieden von Tours wurde die Heirat von Henry VI. und Margarete von Anjou (eine Nichte des französischen Königs, die man in einer Partie als englische Königin bekommt, wenn Henry VI. früh stirbt) vereinbart, eine Geheimklausel sah zudem den englischen Verzicht auf die Grafschaft Maine vor. Das Bekanntwerden dieser Klausel am englischen Hof führte zum Ausbrechen der Spannungen, die sich zuvor aufgebaut hatten, ein eigenes Event in EU4. Henry VI. hatte eine Reihe von Günstlingen um sich gesammelt, die zunehmend in Konflikt mit den beiden ehemaligen Regenten, John von Bedford und Humphrey von Gloucester, gerieten. Als der in Adel und Volk beliebte Gloucester sich offen gegen die Geheimklausel des Friedensvertrags aussprach, ließ ihn Herzog William de la Pole, ein wichtiges Mitglied der Hofpartei, im Jahre 1447 inhaftieren. Gloucester starb wenige Tage später unter dubiosen Umständen. Auch das Leben von Bedford endete noch in jenem Jahr.

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Wenige Jahre später endete der Waffenstillstand mit den Franzosen, und Charles VII. griff dieses Mal nach der Normandie, das er sich 1450 aneignete. England sollte das Herkunftsland seines eigenen Erobererkönigs William I. niemals mehr zurückerlangen. In der Folge dieser demütigenden Niederlage für England musste sich Henry VI. von einem seiner Berater trennen, der kurz darauf unter mysteriösen Umständen starb. Dann brach auch noch ein Bauernaufstand in Kent aus, der von Teilen des Landadels unterstützt wurde. Der brach zwar im Juli 1450 zusammen, König Henry VI. litt aber psychisch schwer an den Niederlagen und dem Widerstand, der ihm entgegenschlug. Ein entfernter Cousin des Königs entschloss sich, die tatsächliche Regierungsgewalt zu übernehmen, und sammelte zu diesem Zweck Unterstützer um sich: Edmund Beaufort, der Herzog von Somerset. Er hatte eine besondere Unterstützerin, nämlich die Königin Margarete von Anjou. Da sie eine Frau war, konnte sie das bedeutende Regierungsamt nicht persönlich übernehmen, also brauchte sie einen männlichen Platzhalter, der als ihr verlängerter Arm in Parlament und Kronrat zu fungieren hatte. Wer nicht einverstanden war mit Somerset und seinen Kumpanen, der hielt es mit der Gegenpartei, die sich hinter Richard, dem Herzog von York, sammelten. Richards Thronanspruch war nicht weniger wert als der von Henry VI. selbst, wenn man sich das Schaubild anschaut. Die Abneigung zwischen den Richard York und Edmund Somerset war aber auch persönlicher Natur: Richard war früher Statthalter der Normandie gewesen und hatte hier viel Geld und Arbeit investiert, als er dann von Edmund in dieser Funktion abgelöst worden war (bis die Normandie dann ganz an Frankreich verloren ging).

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Drei Jahre lang belauerten sich die beiden Kontrahenten, bis es 1453 zu einer Verschiebung der Gesamtsituation kam. Richard von York gelang es nämlich, die Unterstützung der mächtigen und mit ihm verwandten Familie der Neville zu erlangen. Die ebneten ihm den Weg an die Spitze des Kronrats, der die Politik des Landes bestimmte. Richard war es nun, der anstelle des inzwischen regierungsunfähigen Henry VI. die Amtsgeschäfte wahrnahm. Dann ereignete sich 1453 die Schlacht von Castillon. Nach der Eroberung der Normandie hatte Charles VII. nämlich nach Süden geblickt und sich Aquitanien vorgenommen. Rund dreihundert Jahre, nachdem die berühmte Eleanor das Herzogtum quasi als Mitgift an die englische Krone eingebracht hatte, hauten die Franzosen den Engländern auch dieses Standbein im Süden weg. In Castillon kam es zu einer blut- und verlustreichen Schlacht. Dieses Mal machten nicht die englischen Bogenschützen Kleinholz aus den Franzosen, sondern die französische Artillerie Hackfleisch aus den Engländern. Das Zeitalter der Rüstungstechnik hatte nämlich begonnen.

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Als König Henry VI. die Nachricht erhielt, dass alle englischen Besitzungen in Frankreich bis auf Calais verloren waren, tat er das, was auch sein französischer Großvater Charles VI. in Krisensituationen häufig getan hatte: Er erlitt einen Nervenzusammenbruch und verlor den Verstand. Siebzehn Monate lang blieb Henry umnachtet, bettlägerig und teilweise überhaupt nicht ansprechbar. In diesem Zustand verpasste er im Oktober 1455 sogar die Geburt seines ersten und einzigen Kindes Edward. Der Konflikt zwischen York und Somerset, die ja beide einen gewissen Anspruch auf die Krone anmeldeten, hätte mit der Geburt des männlichen Thronfolgers normalerweise ein Ende gehabt. Die Zeiten waren nun aber andere, König Henry war so schwach wie die beiden Herzöge einflussreich waren.

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Es wurden Gerüchte verbreitet, dass der Herzog Somerset der wahre Vater des Prinzen Edward sei. Die Beliebtheit des Königs, um die es wegen seines mönchischen Gehabes, seiner Abneigung gegen das Reiten und Waffentragen sowie wegen seines Vertrauens in unpopuläre Berater bereits zuvor schlecht gestanden hatte, ging weiter in den Keller. Die please die, jedoch Henry VI. war gerade einmal 22 Jahre alt! Und da er kein Interesse am Reiten und am Jagen hatte, war selbst ein Jagdunfall unwahrscheinlich.

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Jemand musste das Amt des Lord Protektor übernehmen, als Regent für den unmündigen König. Richard von York schob sich selbstbewusst nach vorne und griff im März 1454 zu, sah sich dann aber mit dem Widerstand der Königin Margarete samt der Partei der Lancaster konfrontiert, die Richard prompt zum Niederlegen des Amtes zwingen ließ. Er zog sich grollend in den Norden nach York zurück.

Ein Chronist berichtete, damals seien sich Richard York und Edmund Somerset einmal in London zufällig in einem Garten über den Weg gelaufen. Nachdem sie sich ein paar Gehässigkeiten an den Kopf geworfen hatten, riss Somerset eine rote Rose von einem Busch ab (die Wappenblume des Hauses Lancaster) und sagte: „Lasset all jene, die treu zu Lancaster stehen, eine rote Rose tragen!“ Daraufhin riss York eine weiße Rose ab (die Wappenblume seines Hauses) und erklärte, sie solle fortan das Erkennungszeichen der Yorkisten sein.

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Um die Auseinandersetzung um das Amt des Lord Protektor zu lösen, wurde für den 21. Mai 1455 ein großer Rat nach Leicester einberufen. Richard York sammelte inzwischen im Norden seine Truppen. In der Schar seiner Anhänger gab es viele mit dem Namen Neville. Sie alle waren Nachkommen jenes Grafen Ralph Neville (1364-1425), der einst der Erzieher von Richard York gewesen war. Ralph hatte damals Joan Beaufort geheiratet, eine Tochter von John of Gaunt, und mit ihr fünfzehn Kinder bekommen. Der älteste Sohn aus dieser Ehe hatte seinerseits zwölf Kinder. Ach ja, mit einer weiteren Ehefrau hatte Graf Ralph übrigens weitere neun Kinder gehabt. Kein Wunder also, dass es in Nordengland vor lauter Nevilles wimmelte. Und Richard von York hatte eine von ihnen geheiratet. Nun marschierte er mit den Neville-Scharen und seinen sonstigen Anhängern gen Süden.

In dem kleinen Ort St. Albans nördlich von London trafen Richards Yorkisten auf die Lancaster unter Somerset. Die kurze Auseinandersetzung auf dem Marktplatz endete mit einem großartigen Sieg für Richard: Sein Rivale Edmund Somerset war zu Tode gekommen, ebenso Henry Percy, der Graf von Northumberland. Und dann war auch noch König Henry VI. in die Hände von Richard gefallen, was für ein wertvoller Gefangener! Keine Frage, nach diesem Triumph war Richard das Amt des Lord Protektor sicher, er war de facto Herrscher über England. Möglich machte das auch die Unterstützung der Neville, der wichtigste unter ihnen war Richard Neville, Graf von Warwick. Der ging in die Geschichte ein als „Königsmacher“, und das sicher nicht nur, weil er 1455 Richard in sein Amt verhalf.

Edmund Beaufort, der Herzog von Somerset, war nun tot. Und der König in Gewahrsam seines Lord Protektor Richard. Wer sollte nun die Partei der Lancaster anführen? Es war die Königin Margarete von Anjou, die kaum jemand auf der Rechnung gehabt hatte. Bis dahin war sie politisch eher passiv geblieben, und das hatte auch an Edmund Somerset gelegen. Er und sein Todfeind Richard York waren sich in diesem einen Punkt einig gewesen: Wenn man die Wahl hatte zwischen einer regierenden Königin und einem Bürgerkrieg, war der Bürgerkrieg allemal vorzuziehen. Doch nachdem Somerset tot war, übernahm Margarete die allmählich die Führung der Lancaster. Sie hasste Richard von York mit großer Leidenschaft, denn ihre Furcht war völlig berechtigt, dass Richard ihren kleinen Sohn aus der Thronfolge drängen wollte. Die rührenden, aber nutzlosen Friedensbemühungen König Henrys unterband sie und machte sich daran, das Geburtsrecht ihres Sohnes mit Klauen und Zähnen zu verteidigen.

Es war zu dieser Zeit, am 28. Januar 1457, dass in Pembroke Castle in Wales ein unbedeutender Junge namens Henry geboren wurde. Erinnert sich noch jemand daran, dass sich der ritterliche König Henry V. damals, nach dem Sieg von Azincourt, die französische Prinzessin Katherine von Valois zur Frau hatte geben lassen? Nun, nach dem Tod von Henry V. hatte Katherine in zweiter Ehe den unbedeutenden Owen Tudor aus dem walisischen Adel geheiratet und mit ihm drei Söhne bekommen. Die waren also Halbbrüder des Königs. Nachdem Katherine 1437 in geistiger Umnachtung (sie also auch, schien in der Familie zu liegen) gestorben war, hatte König Henry VI. seine drei kleinen Halbbrüder schützen und erziehen lassen. Inzwischen waren sie erwachsen, und der Älteste, Edmund Tudor, hatte eine Cousine des Königs geheiratet, die zwölfjährige Margaret Beaufort. Sie wurde kurz darauf schwanger. Drei Monate vor der Niederkunft starb ihr Mann Edmund Tudor in Gefangenschaft der York an der Pest. Die Geburt des kleinen Henry Tudor im Jahre 1457 hatte seinerzeit noch keine Bedeutung. Aber das würde sich später ändern.

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Unterdessen waren die Parteien York und Lancaster einige Male militärisch aufeinander getroffen. König Henrys Gesundheits- und Geisteszustand blieb labil. Er war noch keine vierzig, aber er wirkte greisenhaft, abwesend, vergesslich und den Belangen der Welt entrückt. Meistens hielt er sich in seiner dämmrigen Privatkapelle auf. Er wollte gar nicht mehr wissen, was jenseits ihrer Mauern vor sich ging, und überließ der Königin die Kriegsführung gegen York ebenso wie die Regierung – soweit Letztere überhaupt noch stattfand. Margarete von Anjou errang zeitweise die Oberhand über die Yorkisten, und Richard von York musste nach Irland fliehen. Sein ältester Sohn Edward von March suchte gemeinsam mit dem Königsmacher Richard Neville das Exil in Calais. Es dauerte nicht lange, bis die beiden ein Heer aufgestellt hatten, mit dem sie 1460 nach England zurückkehrten und am 10. Juli die Streitmacht der Lancaster bei Northampton besiegten. Wieder war es ein großer Triumph: Zahlreiche Adelige der Lancaster starben, und König Henry VI. war erneut in der Hand der Yorkisten geraten. Königin Margarete erkannte, dass sie es nun war, die zur Flucht gezwungen wurde. Sie wählte das Exil in Schottland.

Siegesgewiss kehrte Richard von York mit wehenden Bannern nach London zurück und trat vor das Parlament. Vor sich ließ Richard feierlich ein entblößtes Schwert hertragen, und York trat an den leeren Thron, und legte die Hand auf eine Lehne. Hätten die Lords angefangen zu klatschen, wären die Rosenkriege damit zu Ende und Richard von York König von England gewesen. Aber sie klatschten nicht. Diese Quasi-Usurpation des Throns war ein starkes Stück, und offenbar zweifelte die Mehrheit der Lords, ob der so selbstbewusste York ein guter König für England wäre. Sie bevorzugten es, ihm das Amt des Lord Protektor anzutragen. Aber Richard von York sollte nicht lange Freude an seinem Amt haben. Inzwischen waren die Söhne seines in St. Albans erschlagenen Feindes Somerset erwachsen geworden, und der neue Herzog von Somerset – Henry Beaufort – lauerte Richard Ende 1460 mit einigen Männern auf. Es war ein kleines Scharmützel, keine große Heerschlacht, bei dem Richard von York fiel. Mit ihm fielen einer seiner Söhne sowie der Graf von Salisbury, einer jener Yorkisten aus dem Kreis der Neville. Sie wurden auf der Flucht niedergemetzelt bzw. anschließend hingerichtet, was die Yorkisten auf das Äußerste verbitterte. Der Bürgerkrieg nahm eine neue Qualität an, niemand fühlte sich jetzt mehr so richtig an die Gepflogenheiten eines ehrenhaften Kampfes gebunden.

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Mit den Leichen des Lord Protektor Richard und dessen Sohn Edmund gingen die Lancaster nicht zimperlich um. Sie stellten die Köpfe der beiden auf den Zinnen des Stadttores von York zur Schau. Das blutige Haupt des Herzogs zierten sie zum Hohn mit einer Krone aus Papier und Stroh. Das war die Strafe dafür, dass Richard die Hand an den Thron gelegt hatte.

Video/Dokumentation: Von Henry VI. zu Richard of York

Richard von York hinterließ drei überlebende Söhne: Edward, George und Richard. Der Älteste Edward erbte den Titel des Herzogs von York und sollte fortan auch das neue Haupt der Yorkisten werden. George wurde später zum Herzog von Clarence ernannt, während die Zukunft des gerade einmal achtjährigen Richard vorläufig offen blieb.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 25. August 2018 17:40

Und Edward, der neue Anführer der Yorkisten, trat wahrhaft das Vermächtnis seines Vaters an. Der junge Mann war von athletischer Gestalt, hatte ein einnehmendes Wesen, war politisch ebenso wie militärisch versiert. In den beiden ersten Aufeinandertreffen der gegnerischen Parteien war das Kriegsglück noch schwankend geblieben: Einmal besiegte Edward von York den Tudor Jasper, das andere Mal unterlag der York und verlor bei dem Gefecht seine wertvolle Geisel, König Henry, den die Truppen der Lancaster befreiten. Aber am 29. März 1461 kam die entscheidende Schlacht von Towton, und in dieser siegte Edward von York dank der Unterstützung des Königsmachers Warwick über das Lancaster-Heer unter Somerset und der Königin.

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Es war eine der blutigsten Schlachten Englands, von den etwa 80.000 Soldaten kamen zwischen 20.000 und 30.000 ums Leben. Henry VI. und seine Frau Margarete mussten (wieder) nach Schottland fliehen. Während sich Margarete anschließend weiter nach Frankreich absetzte, geriet Henry bald in die erneute Gefangenschaft der York. Für Edward war der Weg nach London frei.

Wieder erschien der Herzog von York, dieses Mal Edward, vor dem Parlament und dem leeren Thron. Doch in diesem Fall ging es nicht um das Amt des Lord Protektors, denn Henry VI. war ja ins Exil geflohen. Nein, an diesem Tag, dem 28. Juni 1461, ließ sich der neunzehnjährige York mit Zustimmung des Parlaments zu König Edward IV. von England krönen. Der nächstjüngere Bruder George wurde zum Herzog von Clarence ernannt, der jüngste Bruder Richard trug bald den Titel Herzog von Gloucester. Das Haus der York hatte in dem blutigen Bürgerkrieg die Oberhand behalten.

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Was war das für ein Unterschied zwischen Henry VI. und dem strahlenden Edward. Der galt als außergewöhnlich schön, hochgewachsen, blond, gewinnend, lebenslustig und sehr modebewusst. Festlichkeiten reihten sich aneinander, Bankette folgten auf Jagdpartien. Edward IV. war der König der Hauptstadt, in die weiter entfernten Grafschaften unternahm er während seiner Herrschaft nur vier große Reisen. Edward wusste, dass er seinen Erfolg zu einem guten Teil dem Königsmacher Warwick zu verdanken hatte. Dementsprechend übertrug Edward ihm lukrative Posten und Ländereien, die Warwick zur größten Macht im Norden Englands machten. Doch offenbar sah Edward in Warwick vornehmlich den Königsmacher, der für die zurückliegenden Zeiten der richtige Verbündete gewesen war. Jetzt, da Edward die Krone trug, wollte er England befrieden – und für dieses Vorhaben schien ihm die Person Warwicks nicht mehr die richtige Person zu sein. Das Verhältnis zwischen König und Herzog geriet 1464 in eine Krise.

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Monatelang hatte Warwick mit König neuen Louis XI. von Frankreich verhandelt, um eine Ehe zwischen Edward IV. und einer französischen Prinzessin anzubahnen. Doch im September 1464 setzte Edward seinen Ratgeber überraschend davon in Kenntnis, dass er bereits sei viereinhalb Monaten verheiratet sei. Der König hatte heimlich Elisabeth Woodville geheiratet, die Witwe eines Lancaster-Ritters, deren Schönheit als legendär galt. Eine Ehe mit der Tochter eines kleinen Landedelmannes war ein Wagnis, das noch kein Monarch vor Edward IV. eingegangen war. Sein Ratgeber Warwick konnte darin nur ein für einen König unwürdiges Verhalten sehen. Ein Herrscher heiratete nicht in einer Dorfkirche! Königliche Hochzeiten waren Staatsangelegenheiten, die außenpolitischen Zwecken zu dienen hatten. Diese Ehe aber brachte keinen Gewinn, im Gegenteil. Elisabeth Woodville hatte eine große Verwandtschaft, die nun mit einflussreichen Posten am Hof, mit Ländereien, Kommandos und eigenen Adelstiteln versorgt werden musste, die der Würde der Angehörigen einer Königin entsprachen. Edwards einsamer Entschluss beschädigte Warwicks Ruf als starker Mann im Reich. Obendrein stand Warwick vor dem König von Frankreich da wie der letzte Trottel, hatte er dem doch schon praktisch die eheliche Verbindung mit dem Hause York versprochen. Der gedemütigte Herzog war bereit, alles dafür zu tun, um wieder an Einfluss zu gewinnen. Er suchte einen Verbündeten gegen die Woodville-Emporkömmlinge – und fand einen im mittleren York-Bruder George, dem Herzog von Clarence.

Der fünfzehnjährige George war vom König mit Ländereien und Posten ausgestattet worden, aber er neidete den Woodville ihren Aufstieg. Spätestens als die Königin 1466 zunächst eine Tochter, danach bald weitere Mädchen und später zwei Söhne (die Prinzen Edward und Richard) zur Welt brachte, hatte George keine Chance mehr, selber einmal König zu werden. Unzufrieden mit seiner Rolle, war er bereit, gegen den älteren Bruder zu revoltieren. Wenn Warwick schon Edward zum König gemacht hatte, warum dann nicht auch ihn? 1469 rebellierten die beiden gegen den König, ließen ein paar Widersachern und einigen der verhassten Woodville die Köpfe abschlagen, nahmen den König kurzzeitig gefangen und drohten ihm, ihn durch George zu ersetzen. Jedoch: In puncto öffentlicher Beliebtheit konnte es der verschlagene George bei weitem nicht mit Edward IV. aufnehmen, denn der war bei den Leuten äußerst geschätzt (ganz im Gegensatz zu seinen Woodville-Beratern). Schon im Herbst 1469 konnte Edward IV. deshalb seine Macht wieder festigen. Für den jüngsten der Brüder bedeutete dies einen frühen Aufstieg: Richard hatte sich gegenüber Edward IV. loyal gezeigt - obwohl er über Jahre durch Warwick unterrichtet worden war - und erhielt für seine Treue das Amt des Constable of England (eine Art Polizeiminister) sowie das des obersten Verwalters von Südwales. Dieses Amt hatte der König keinem anderen als Warwick entzogen, um es Richard zu geben. Der Schüler zog also an seinem Lehrmeister vorbei.

Und da tat Warwick das Unfassbare: Er wechselte die Seiten, nahm Kontakt zur abgesetzten Königin Margarete in Frankreich auf und fragte an, ob sie Interesse an einer Allianz habe, um ihren Gemahl wieder auf den Thron zu bringen.

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Für Margarete war das zunächst ein schlechter Witz. Wenn es auf der Welt jemanden gab, den sie leidenschaftlicher hasste als den toten Richard von York und seinen sehr lebendigen Sprössling auf dem englischen Thron, dann war es Warwick. Aber König Louis XI. vermittelte zwischen seiner unversöhnlichen Cousine und dem stolzen Warwick, denn er wollte, dass der burgundfreundliche Edward IV. vom englischen Thron verschwand und der zahme Henry VI. unter Führung des frankophilen Warwick wieder an die Macht kam. Schließlich brachte Louis fertig, was keiner für möglich gehalten hatte: Im Sommer 1470 schlossen Margarete und Warwick ein Bündnis. Beide mussten dafür Kreide fressen: Warwick musste sich der Königin förmlich unterwerfen und auf Knien um Verzeihung bitten. Margarete musste ihren geliebten Sohn Edward von Westminster mit Warwicks Tochter Anne verheiraten. Das war nämlich der Preis für Warwicks Seitenwechsel: Er wollte, dass seine Nachkommen die Krone tragen würden.

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Mit einer Armee, die größtenteils aus französischer Schatulle bezahlt wurde, setzte Warwick nach England über und jagte Edward IV. ins Exil nach Burgund. Im Oktober 1470 wurde der verdatterte Lancaster-König Henry VI. aus dem Tower geholt, wo er die letzten Jahre verwahrt worden war, und in Westminster wieder auf seinen Thron gesetzt. Wieder ein König von Warwicks Gnaden! Aber es ging nicht lange gut. Im Sommer hatte Warwick den Überraschungsvorteil auf seiner Seite gehabt, doch der tatkräftige König Edward IV. erwachte schnell aus seiner Schreckensstarre, lieh sich vom Herzog von Burgund zweitausend Soldaten und landete am 14. März 1471 an der englischen Küste in Northumberland. Dies war das Gebiet der Percy, die für überraschende Seitenwechsel bekannt waren, und kurzerhand zu Edward IV. überliefen.

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Edwards Bruder George überlegte sich, was unter diesen Umständen für ihn zu tun sei und versöhnte sich mit seinem königlichen Bruder. Der forderte als Zeichen seiner neuen Loyalität nichts anderes, als dass George gegen seinen ehemaligen Komplizen Warwick zu Felde zieht. Gemeinsam mit Richard und George stellte Edward IV. den abtrünnigen Herzog zu Ostern 1471 zur Schlacht. An diesem 14. April herrschte dichter Nebel über dem Schlachtfeld und verursachte einen folgenschweren Irrtum: Nachdem Warwicks Ritter einen Flügel der gegnerischen Aufstellung vom Schlachtfeld vertrieben hatten und zurückkehrten, hielten sie die eigenen Truppen versehentlich für die der Yorkisten und machten sie nieder. Als Warwick erkannte, dass seine Sache verloren war, ergriff er im Nebel die Flucht. Doch er wurde von einer Handvoll yorkistischer Ritter verfolgt und niedergemacht.

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Am Tag dieser Schlacht war die gestürzte Königin Margarete von Anjou mit ihrem Sohn in Südengland gelandet. Er, der 17jährige Lancaster-Prinz Edward, brannte darauf, seinen Anspruch durchzusetzen. In kürzester Zeit gelang es Margarete, in Wales und Lancashire eine Armee auszuheben. Doch im Mai 1471 unterlag sie in einer Schlacht, bei der ihr Sohn auf der Flucht eingeholt und gnadenlos getötet wurde, sie selbst wurde gefangen genommen. Die überlebenden Führer der Lancaster (darunter der letzte Beaufort namens Edward) wurden zwei Tage später in einem Hochverratsprozess unter Vorsitz Richards von Gloucester zum Tode verurteilt und enthauptet. Im Krieg gegen Frankreich hatte man die meisten Ritter der anderen Partei geschont, um sie gegen ein hohes Lösegeld einzutauschen. In den Rosenkriegen wurde es dagegen blutiger Brauch, die großen Lords und Ritter hinzurichten, oft noch auf dem Schlachtfeld.

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Am 21. Mai 1471 zog Edward IV. mit seinen beiden Brüdern in London ein. Die Parade wurde von Richard von Gloucester angeführt, den Abschluss bildete Margarete, die als Besiegte in einer Kutsche mitgeführt wurde. In dieser Nacht starb der unglückliche König Henry VI. im Tower, der Letzte seiner Linie. Gerüchte sagten, Edward IV. habe befohlen, seinen verwirrten Vorgänger ermorden zu lassen, um mit dem Haus Lancaster für immer Schluss zu machen. Andere Stimmen sahen in Richard den Urheber der Mordtat, der befand sich nämlich im Tower, als es passierte.

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Britain's bloody crown: Kingmaker must die

Einen Vertreter der Lancaster mit einem Thronanspruch gab es doch noch, nämlich den bis dahin unbedeutenden Tudor Henry, der 1457 in Wales zur Welt gekommen war. Rasch brachten einige Getreue den 14jährigen in Sicherheit vor den Häschern der York, und das bedeutete, dass Henry Tudor England verlassen musste. Die Bretagne wurde zu seinem Fluchtort.

Das Ende der Lancaster begünstigte Richards Aufstieg zur Macht. Der 18jährige Bruder des Königs nahm prompt Warwicks 16jährige Tochter Anna zur Frau, die ja eigentlich als Braut für den nunmehr getöteten Sohn Henrys VI. gedacht gewesen war. Natürlich war es nicht die Person Annas, die Richard Gloucester interessierte, es war das reiche Erbe in Nordengland, das dem Mädchen durch den Tod Warwicks zugefallen war. Richard lebte fortan auf jener Burg, auf der er einst Warwick als Page gedient hatte. Der König machte ihn zudem zum Erben eines großen Teils der Warwick-Besitztümer im Norden. Sie bildeten die Grundlage von Richards Macht, die bald über die von Warwick hinausging. Dort im Norden Englands wurde er zum Stellvertreter des Königs, immer gut zu tun mit Unruheherden, Verbrechen und Rechtsprechung, und Instandhaltung der Grenzverteidigungen gegen Schottland. Der Adel des Nordens akzeptierte Richard als seinen Lord, für seine Arbeit und nicht zuletzt wegen seiner Heirat mit Warwicks Tochter. Im Jahre 1473 brachte Anna einen Sohn zur Welt, der auf den Namen des königlichen Onkels Edward getauft wurde.

Alles in Butter also bei den Brüdern York? Nein. Obwohl der mittlere Bruder George durch seinen königlichen Bruder Verzeihung gewährt worden war und George größtenteils seine Ländereien und Titel zurückerhalten hatte, blieb er von Neid erfüllt. Dieses Mal war es der Neid auf den jüngeren Bruder Richard, der es inzwischen zu mehr Einfluss und Macht als er selbst gebracht hatte. Heimlich erneuerte George seine Verbindungen zu den Rebellen, um selber nach der Krone Englands zu greifen. Der König reagierte darauf mit Härte, denn er hatte jetzt die Geduld mit seinem Bruder verloren. George von Clarence wurde des Hochverrats angeklagt und am 7. Januar 1478 vom Parlament zum Tode verurteilt. Es gab keine öffentliche Hinrichtung, es wurde am 18. Februar 1478 lediglich der Tod Georges bekanntgegeben. Der Sage nach durfte er, als letzte Gnade seines Bruders, seine Todesart aussuchen: George wurde in einem Fass Wein ersäuft.

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Während der biedere Richard Gloucester es während dieser Jahre vorzog, in Nordengland zu bleiben (er leistete dort übrigens gute Arbeit, die ihm das Wohlwollen seiner Fürsten sowie des Königs einbrachte), genoss Edward IV. seine Herrschaft in vollen Zügen. Zwischendurch erwog er – nun, da die Lancaster besiegt und vernichtet waren – den Krieg gegen Frankreich wieder aufleben zu lassen. Aber der König von Frankreich kaufte Edward IV. den Anspruch auf die französische Krone für eine königliche Summe ab. Damit ließ es sich Edward in den folgenden Jahren sehr gut gehen, ja er wurde regelrecht maßlos in seinen Ausschweifungen. Er betrog seine Königin nicht einfach nur mit einer Reihe von Mätressen, wie fast jeder seiner Vorgänger es getan hatte, sondern zog sich immer häufiger auf irgendeine verschwiegene Burg zurück, wo er die wildesten Orgien veranstaltete. Edward IV. soff und fraß viel zu viel und wurde fett und krank. Das rächte sich 1483: Um Ostern herum erlitt er vermutlich einen Schlaganfall und starb am 9. April im Palast zu Westminster.

Edward IV. hinterließ einen unmündigen Erben, den zwölfjährigen Edward, sowie einen weiteren Sohn, den neunjährigen Richard von York. Daneben fünf Töchter und ein politisches Testament. Darin vermachte der König seinen Thron dem ältesten Sohn, bestimmte aber zugleich seinen Bruder Richard Gloucester zum „Schutzherrn der Kinder und des Reiches“, solange bis der Junge einmal selber als Edward V. regieren würde. Beim Clan der Woodville sorgte die letzte Verfügung des Königs für große Aufregung. Die Familie der Königin war fest entschlossen, sich der Regentschaft Richards zu widersetzen und befand sich in einer starken Position: Der junge Thronfolger lebte in Obhut eines Woodville an der Grenze zu Wales. Hierbei handelte es sich um Anthony Rivers, dem Grafen von Rivers (wie bei den englischen Fürsten üblich, wurde auch er nach seinem Titel oft schlicht als „Rivers“ bezeichnet). Rivers war der Bruder der Königin, somit ein Onkel des Thronfolgers. Seine Beziehung zu dem jungen Edward V. soll sehr herzlich gewesen sein, Rivers war dem Jungen ein Vaterersatz. Anthony Woodville war als Erzieher des Prinzen berechtigt, über dessen Einkünfte zu verfügen, seinen Aufenthaltsort zu bestimmen und Truppen für seine Sicherheit auszuheben. Die Königin Elisabeth Woodville drängte nun darauf, den Thronfolger so schnell wie möglich zu krönen, Minderjährigkeit egal. Denn war der Prinz erst einmal offiziell König, musste Richard sein Amt als Lord Protektor niederlegen. Und tatsächlich: Der 4. Mai 1483 wurde in einer Abstimmung des englischen Hochadels als Krönungstermin festgesetzt.

Warum diese vermeintlich kleinliche Debatte um die Krönung des Jungen? Regieren konnte er in seinem Alter ja eh noch nicht. Der Zeitpunkt der Krönung hatte aber erhebliche Rechtsfolgen: Bis dahin war der Lord Protektor als Regent der „geschäftsführende Regierungschef“, danach trat der Rat an seine Stelle. Und in diesem Konzil hatten die Woodville die Mehrheit, sie würden also in der Lage sein, den minderjährigen Edward V. in ihrem Sinne regieren zu lassen. Den übrigen Adeligen, die sich sowieso kaum mit den Emporkömmlingen der Woodville abfinden mochten, war der Gedanke ein Gräuel. Und dann wollte die Sippschaft der Königin auch noch das Testament des verstorbenen Königs missachten, in dem ja Richard von Gloucester als Regent bestimmt worden war. Richard konnte also durchaus auf Unterstützung des Hochadels bauen, wenn er es mit dem Krönungstermin nicht so eilig hatte. Ein Blick zurück zu CK2: Hier gibt es im Gegensatz zu EU4 neben dem Rat/Konzil noch das Amt des Regenten, das trifft die Situation im Jahre 1483 ganz gut.

Am 24. April machte sich Woodville mit seinem Schützling und zweitausend Mann Begleitung in Richtung Hauptstadt auf. Richard Gloucester war mit sechshundert Mann ebenfalls auf dem Weg. Vor London sollten die beiden Onkel des Königs zusammentreffen, um gemeinsam die Eskorte des Prinzen zu bilden. Noch ein Dritter war unterwegs zu dem Treffen: Henry Stafford, Herzog von Buckingham. Er hatte Richard durch einen Boten wissen lassen, „in dieser neuen Welt“ stünde er zur Verfügung. Richard konnte sich keinen besseren Verbündeten wünschen als den prominenten Hochadeligen Buckingham, der die Königin hasste, weil diese ihn als Kind in eine nicht standesgemäße Ehe mit einer ihrer Woodville-Schwestern gezwungen hatte. Ein weiterer Verbündeter Richards in diesem Spiel war William Hastings, ein alter Gefolgsmann der Yorkisten. Der war mit der Schwester des damaligen Königsmachers Richard Neville verheiratet und misstraute den Woodville ebenfalls zutiefst. William Hastings hatte durchaus Einfluss und war wie Buckingham der Meinung, es sei besser, wenn nicht Edward V. als Marionette der Woodville, sondern stattdessen Edwards Onkel Richard als vom Kronrat legitimierter König über England herrsche.

Am 29. April 1483 trafen sich Richard Gloucester, Henry Buckingham und Anthony Woodville zu einem vergnüglichen, freundschaftlichen Essen. Am nächsten Morgen aber wurde der überraschte Woodville festgenommen und in ein Gefängnis gebracht. Die Anklage lautete, er habe eine Verschwörung gegen das Leben des Lord Protektors Richard geplant. Zwei Monate später wurde Anthony Woodville enthauptet. Richard überzeugte den jungen Prinzen, dass die Woodville sich über das Testament des Königs hinwegsetzen wollten und eine Gefahr darstellen würden. Gemeinsam ziehen sie unter dem Jubel von Adel und Volk in London ein, doch der Krönungstermin wird auf den 22. Juni verschoben.

Wenige Wochen nur blieb Richard das mächtige Amt des Lord Protektor, nur bis zur Thronbesteigung des Prinzen Edward. Im Parlament war man gegenüber Richard durchaus misstrauisch – Gerüchte machten die Runde, dieser wolle selbst nach der Krone greifen. Richard beruhigte sie und bestätigte die meisten Männer in ihren bisherigen Funktionen. Da war es in Ordnung, dass auch einige Anhänger Richards mit Aufgaben bedacht wurden, vor allem sein Verbündeter Buckingham. Der erhielt unter anderem die Vollmacht, den Tower als angemessene Residenz für die beiden jungen Prinzen zu empfehlen. Zu dieser Zeit war die Festung noch nicht Sinnbild für Einkerkerung und Hinrichtung, sondern Arsenal und Schatzkammer der Krone. Im Auftrag von Buckingham wurde der Erzbischof von Canterbury zur Königin geschickt, und er überredete sie, ihm ihre beiden Söhne mitzugeben, auf dass sie bis zur Krönung sicher im Tower untergebracht sein würden.

In dieser Phase fühlte sich Richards Komplize, William Hastings, an die Seite gedrängt. Angeblich nahm Hastings deshalb sogar Kontakt zur Familie Woodville auf. Die Verbindung wurde, real oder erfunden, enttarnt und Hastings am 13. Juni 1483 von Richard des Hochverrats beschuldigt. Hastings wurde im Tower von London auf die Grünfläche geschleppt und ohne einen Prozess (der ihm als Mitglied des Kronrates klar zustand) sofort nach seiner Beichte enthauptet.

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Dann kam der 22. Juni 1483, der für den jungen Edward V. geplante Krönungstag. Alles war vorbereitet, die Gäste und Würdenträger angereist. Doch plötzlich hieß es, die Krönung sei ebenso abgesagt wie die geplante Parlamentssitzung. Die Londoner und die Parlamentarier erfuhren Ungeheuerliches.

Richard ließ seinen Anspruch auf den Thron von der Kanzel herab verkünden: Der verstorbene König Edward IV. sei nach dem Gesetz nie mit Elisabeth Woodville verheiratet gewesen, sondern habe mit ihr in sündhaftem Ehebruch gelebt, da er zuvor bereits mit einer gewissen Lady Eleanor Butler verlobt gewesen sei. Dieser Mätresse am königlichen Hof habe der König ein Eheversprechen gegeben, sogar einen gemeinsamen Sohn hatten sie bekommen. Zu dumm: Sowohl dieser Sohn als auch Lady Eleanor waren bereits über zehn Jahre tot, man konnte sie also nicht mehr fragen. Wichtig war die Schlussfolgerung aus dieser Episode: Die Ehe mit Elisabeth war nicht gültig, ihre gemeinsamen Kinder mit Edward IV. waren folglich Bastarde. Als solche konnten sie nicht legitime Nachfolger sein – strich man sie aus der Thronfolge, blieb als wahrer Erbe der Krone: Richard von Gloucester!

Die Lords mussten darauf reagieren. Das (unwahre) Gerücht, Buckingham sei mit 20.000 Mann auf dem Weg nach London, gab den Ausschlag: Der Anspruch Richards auf den Thron wurde für rechtmäßig erklärt. Der Form halber zierte sich Richard voller Bescheidenheit, die angebotene Krone anzunehmen. Aber natürlich nahm er sie dann doch an. Unverzüglich reiste er nach Westminster, setzte sich auf den Thron und leistete den vorgeschriebenen Eid. Vierzehn Tage später wurde er zu König Richard III. gekrönt. Was für ein Coup.

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Die beiden Söhne Edwards IV. blieben im Tower, während Richard III. eine Reise durch England antrat, auf der er sich der Loyalität seiner Untertanen versichern wollte. Denn man machte sich nichts vor: Noch nie zuvor hatte in England ein Monarch die Macht ergriffen, der sich auf so wenig Rückhalt stützen konnte. Als Lord Protektor hätten die Fürsten ihn sicher gerne akzeptiert, das ging schließlich gegen die Woodville. Aber die beiden Prinzen unter solcher Anklage zu enterben und sich die Krone selbst zu greifen, das ging den meisten zu weit. Versammlungen wurden abgehalten, Bündnisse geschlossen mit dem Ziel, die Prinzen aus dem Tower zu befreien. Die Adeligen hatten Edward IV. gedient und wollten nun dessen Sohn auf dem Thron sehen. Fast die gesamte Elite in Süd- und Westengland rebellierte. Zu den Aufständischen gehörte Buckingham, für Richard III. ein Schock. Die Motive für Buckinghams Seitenwechsel sind rätselhaft geblieben: Wollte er selber die Krone erringen? Oder war er von den Belohnungen, die er von dem neuen König erhalten hatte, enttäuscht? Oder gab Buckingham Richard III. als König bereits verloren und wollte rechtzeitig die Fronten wechseln?

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Ironie der Geschichte: Von einer Befreiung der Prinzen war bald nicht mehr die Rede. Die Aufrührer verbreiteten, die Söhne Edwards hätten einen gewaltsamen Tod gefunden. Die Rebellion brauchte ein neues Haupt für die Zeit nach einem möglichen Sieg. Man erinnerte sich schwach an diesen Henry Tudor, der im Exil in der Bretagne seit Jahren auf seine Zeit wartete. Nun, die war jetzt wohl gekommen. Henry Tudor war der letzte Erbe der Lancaster, der einzige mit einem Thronanspruch. Dummerweise war der Anspruch ziemlich wackelig, Henrys Vater war unehelich geboren worden, die erste Ehe seiner Mutter annulliert worden. Doch es gab einen Weg, den Tudor für alle Gegner des herrschenden Königs zur einigenden Figur zu machen: wenn Henry die älteste Tochter des toten Königs heiraten würde, die 17jährige Elisabeth. Das wäre eine historische Vereinigung der verfeindeten Häuser Lancaster und York auf dem englischen Thron.

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Richard III. wollte selbstverständlich nicht abwarten, bis seine Gegner sich gesammelt hatten. Schnellstens stellte er ein Heer auf und machte Jagd auf den Wendehals Buckingham, er konnte ihn ergreifen und ließ ihn ohne langes Fackeln enthaupten. Um diese Zeit vermerkten die Chroniken, dass die Prinzen im Tower nicht mehr beim Spielen im ummauerten Hof gesehen wurden. Es ist eines der großen Geheimnisse der englischen Historie und eine bekannte Spukgeschichte rund um den Tower. Die beiden Prinzen blieben verschwunden. Rund zweihundert Jahre später gruben Arbeiter übrigens die Knochen zweier Kinder im Tower aus, die zu den beiden Prinzen gehört haben könnten. Die Knochen wurden in Westminster beigesetzt, zuletzt wurde die Urne 1933 für eine Untersuchung geöffnet. Wer weiß – nun, da vor wenigen Jahren die Knochen Richards III. gefunden und eindeutig identifiziert wurden, folgt vielleicht ein DNA-Abgleich mit den Knochen, die mutmaßlich die seiner beiden Neffen sind? Ob Richard III. tatsächlich der Mörder seiner beiden Neffen war, ist nicht bewiesen. Zumindest hatte er ein starkes Motiv, sie zu beseitigen. Immerhin war ihre bloße Existenz eine Gefahr für seine Herrschaft.

Britain's bloody crown: Princes must die

Das Gerücht von dem Mord an den Prinzen stärkte Richards Gegner in ihrer Haltung, den Usurpator auf dem Thron zu stürzen. Aus Richards Perspektive waren diese Gegner sowie sein Thronkonkurrent Henry Tudor jenseits des Ärmelkanals. Sollten sie ruhig auf die Insel kommen, dort, wo er sie stellen und schlagen konnte! Richard III. machte sich solange daran, seine Herrschaft über England zu festigen. Das Jahr 1484 verbrachte er mit Reisen, auf denen er Recht sprach und Frieden stiftete. Richard wollte ein fürsorglicher und gerechter König zu sein. Doch in diesem Jahr erschütterte der Tod seines Sohnes Edward seinen Thron. Eine Staatskrise war das, denn Richards Frau Anne war nach der Geburt des einen Sohnes nicht mehr schwanger geworden und inzwischen wohl auch zu alt, um es noch einmal zu werden.

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Ein König ohne Erbe aber war ein König ohne Zukunft. Das schwächte seine Position und stärkte die seiner Feinde. Es kam ärger für Richard: Seine Gemahlin Anne hatte vermutlich Tuberkulose und wenige Monate nach ihrem Sohn. Gerüchte machten die Runde, Richard habe sie vergiften lassen, um eine neue Frau heiraten zu können.

Eine neue Heirat war für Richard in der Tat eine Lösung, es musste eine junge Frau her, die ihm bald einen Thronerben gebären konnte. Kaum war Anne tot, ließ Richard III. sein Vorhaben verkünden, seine eigene Nichte Elisabeth zu ehelichen – also genau die junge Frau, die auch als Braut für Henry Tudor vorgesehen war, sobald dieser den Sprung auf den Thron geschafft haben würde. Ein unkluger Schritt von Richard: Viele Adelige sahen darin das Risiko, dass die Woodville auf diesen Weg wieder an die Schalthebel der Macht gelangen könnten. Okay, es gab parallel Verhandlungen Richards, die portugiesische Prinzessin Johanna zu heiraten, aber die Sache mit der Nichte hatte Sprengkraft. Der König wurde dazu gedrängt, seine Heiratsabsichten mit Elisabeth öffentlich zu widerrufen.

Noch immer befand sich Henry Tudor auf dem Kontinent. Jeden Tag erwartete Richard III. seine Invasion und befahl seinen Leuten Verteidigungsbereitschaft, ließ die südlichen Küsten bewachen. Im Frühjahr 1485 nahte der Tag der Entscheidung. Mit Unterstützung Frankreichs versammelte der Tudor eine Streitmacht von gerade einmal dreitausend Mann, viele davon eigens entlassene Strafgefangene.

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Am 7. August 1485 landete Henry mit seiner Flotte an der englischen Küste, aber in Wales, wo er von Richard nicht erwartet wurde. Aber nur wenige walisische Edelleute schließen sich seinem Heer an. Etwas ratlos schlug Henry sein Lager in Bosworth auf und erwartete den Feind. Richard III. reagierte beglückt auf die Nachricht von der Invasion und zog mit seinem Heer nach Leicester, entschlossen, den letzten Lancaster zu schlagen. Auch Richards Heer blieb in seiner Größe hinter den Erwartungen zurück, offenbar wollten viele Adelige abwarten, wie sich die Dinge entwickeln würden. Trotzdem: Der König konnte die doppelte Anzahl an Soldaten aufbieten wie sein Rivale.

Die Schlacht, deren Preis die Krone Englands war, begann am Morgen des 22. August 1485. Der Herzog von Norfolk und die Percy aus Northumbria standen an der Seite Richards, der sich den Befehl über das Zentrum des Heeres persönlich vorbehielt. Etwas abseits standen die Truppen der walisischen Stanley, die beiden Seiten politisch verbunden waren. Nur kurze Zeit belauerten sich die beiden Heere. Auf das Vorrücken von Henrys Truppen antwortete Richard mit einem eigenen Angriff, den er auch selber anführte. Unter Kanonendonner und Pfeilbeschuss trafen die Gegner in der Ebene aufeinander. Der Raum war eng, die Seite des Königs konnte von ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit nicht profitieren. Richard III. strebte gezielt auf den Tudor zu, dessen Stellung an seinem Banner gut erkennbar war. In der Rechten die Streitaxt, begleitet von seinen besten Rittern, kämpfte sich der König nach vorn.

Das war der Moment, in dem sich die Stanleys entschieden. Statt dem König zu Hilfe zu eilen, schlugen sie sich mit ihren dreitausend Männern auf die Seite Henrys und griffen die rechte Flanke der königlichen Truppen an. Richards Heer geriet in Bedrängnis. Doch noch immer konnte der König die Schlacht für sich entscheiden, wenn er den Thronrivalen im direkten Kampf tötet. Und so stieß Richard durch die Reihen der Feinde vor, bis zu der Leibgarde des Tudors. Richard tötete, so heißt es, den Träger von dessen Banner. Doch dann stürzte sein Pferd, entweder im Morast stecken geblieben oder durch einen Beilhieb in die Beine gefällt. Rasch sah sich Richard III. von seinen Feinden umringt und fiel unter ihren Hieben, kämpfend bis zum Tod. Ein Waliser soll ihn mit einem Hellebardenstich in den Rücken niedergestreckt haben, andere Gegner verstümmelten ihn mit ihren Schwertern und trampelten auf seiner Leiche herum. Richard III. war der letzte englische König, der auf dem Schlachtfeld starb.

Noch auf dem Schlachtfeld wurde Henry die Krone gebracht, die Richard im Kampf vom Haupt gefallen war. Dem Erschlagenen blieben nur Schande und Unehre. Richards entstellter, nackter Körper wurde auf ein Pferd geworfen und nach Leicester gebracht, wo er zwei Tage öffentlich zur Schau gestellt wurde. Jeder sollte sehen können, dass der König wirklich tot ist. Und schließlich wurde Richard III. ohne Ehren begraben, wie ein Verbrecher. Henry Tudor konnte die Krone in der Gewissheit annehmen, dass der Ausgang der Schlacht seinem zweifelhaften Thronanspruch die Weihe eines Gottesurteils gab. Den Beginn seiner Herrschaft ließ Henry VII. auf den Tag vor der Schlacht von Bosworth datieren. Für viele Mitglieder des Parlaments ein unerhörter Vorgang – in England begann die Regentschaft eines Königs am Tag nach dem Tod des Vorgängers. Es war ein rechtlicher Schritt, denn damit wurden Richard und alle, die an seiner Seite gekämpft hatten, nachträglich zu Rebellen und Hochverrätern.

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Heinrich VII. heiratete einige Monate später im Januar 1486 wie geplant Elisabeth von York und gründete damit die neue Dynastie der Tudor, in der die Häuser Lancaster und York vereinigt wurden. Das muss man sich mal vorstellen: Lancaster und York hatten sich so ausgiebig gegenseitig ermordet, bis nur noch ein Tudor übrig blieb, den Thron zu besteigen.

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Das war der Abschluss der Rosenkriege, die England 30 Jahre in Blut und Asche getaucht hatten. Die Zeit war gekommen für ein neues goldenes Zeitalter für England. Bis dahin muss man in EU4 als Spieler diese Phase des Bürgerkriegs, der Niederlagen gegen Frankreich und mit einer Null auf dem Thron (Henry VI.) durchstehen.

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Britain's bloody crwon: A mother's love


Literatur:
Gable: Von Ratlosen und Löwenherzen
GEO Epoche: England im Mittelalter
Kendall: Richard III.

Ein besonderer Tipp von meiner Seite an diejenigen, die die Story von Richard III. interessant finden. Shakespeare hat ihn ja mit seinem dramatischen Theaterstück besonders bösartig gezeichnet und damit unsterblich gemacht. Es gibt eine coole Verfilmung mit Ian Mc Kellen (der spielte auch den Zauberer Gandalf in Der Herr der Ringe), die die Ereignisse um Richard III. in ein faschistisches England der 1930er Jahre verlegt. Lohnt sich anzusehen!

Richard III. Film
Richard III.