[CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

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Mark
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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 3. Oktober 2018 10:51

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Friedrich III.

Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation von 1440 bis 1493
lebte 1415 bis 1493
Startdatum: 11. November 1444

Jeder von uns hat sich in EU4 schon an eine Partie mit einem Fürsten des Heiligen Römischen Reichs gesetzt und gemerkt, dass sich dieser unübersichtliche politische Flickenteppich anders spielt als eines der üblichen Königreiche. Wenigstens klingen da so einige Namen vertraut, wenn man sich unter den angebotenen Fürstentümern umschaut. Ein Wittelsbacher in Bayern und in der Pfalz, Welfen in Braunschweig und Lüneburg, und in Brandenburg laden bereits die Hohenzollern dazu ein, mit ihnen später einmal Preußen zu gründen. Bei einigen anderen Herrschern klingt das weniger vertraut. Ulkig ist ja schon der Name Albrecht III. Achilles in Ansbach. Aber wer, bitte schön, sind denn Ladislaus Postumus und Janos Hunyadi (Ungarn) oder Jiri z Podebrad (Böhmen)?

Ich habe mich durch die Regionen des HRR geklickt und notiere hier die weltlichen Herrscher, wie sie EU4 im November 1444 anbietet:

Österreich – Friedrich III. von Habsburg
Böhmen – (Regentschaft) Jiri z Podiebrad für Ladislaus Postumus
Ungarn – (Regentschaft) Janos Hunyadi für Ladislaus Postumus
Bayern – Albrecht III. von Wittelsbach
Pfalz – Ludwig IV. von Wittelsbach
Baden – Jakob I. von Zähringen
Württemberg – Ulrich V.
Burgund – Philippe III. de Bourgogne (in Union mit Flandern, Holland und Brabant)
Lothringen – René I. de Valois (in Union mit Provence)
Ansbach – Albrecht II. Achilles von Hohenzollern
Kleve – Adolf von der Mark
Braunschweig – Heinrich IV. Welf
Lüneburg – Otto I. Welf
Anhalt – Georg I. von Askanien
Sachsen – Friedrich II. von Wettin
Brandenburg – Friedrich II. von Hohenzollern
Oldenburg – Christian VI. von Dänemark
Holstein – Adolf VIII. von Schauenburg, der Onkel von Christian VI.
Mecklenburg – Heinrich IV.

Über Kapitel hinweg ist hier von Luxemburger Herrschern wie Karl, Wenzel und Sigismund die Rede gewesen, wie sie in Ungarn und Böhmen regierten. Wo sind die alle hin? – habe ich mich zumindest gefragt. Okay. Vielleicht doch lieber Österreich, dann ist man mit dem Habsburger Friedrich III. wenigstens von Beginn an Kaiser.

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Um es vorneweg zu nehmen: Friedrich III. hatte den Beinamen Reichserzschlafmütze. Ich habe mir eine dicke Biographie über ihn durchgelesen, und egal um welche Krise und Herausforderung es ging, meistens unternahm er: einfach gar nichts. Friedrich III. saß die Probleme innerhalb und außerhalb des Reiches stoisch aus. Und hatte am Ende damit sogar Erfolg, weil er seine Gegner einfach überlebte. Habsburg erlebte seinen europäischen Durchbruch. Mit Friedrich III. historisch zu spielen, hieße, bei einer Partie Österreich einfach fünfzig Jahre durchlaufen zu lassen, ohne die Maus anzufassen. Trotzdem hoffe ich, dass Ihr das Kapitel interessant finden werdet, weil ich darin die ganzen handelnden Akteure um den untätigen Kaiser herum erwähnen werde. Dabei werde ich die Reichsfürsten dieser 50 Jahre unter der Reichserzschlafmütze sortieren: Wer war hier Hecht im Karpfenteich, wer verbündete sich miteinander und wer marschierte gegen wen?

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Bis 1437 war die ganze Sache noch übersichtlich, der Luxemburger Sigismund war Kaiser des HRR sowie König von Ungarn. Jedoch hatte er keinen Sohn, lediglich eine Tochter namens Elisabeth. Sigismund erneuerte das Bündnis zwischen Luxemburgern und Habsburgern, nach dem sich die beiden Dynastien für den Fall der Fälle die gegenseitige Erbfolge zusicherten. Die Sache wurde 1421 durch die Verheiratung von Elisabeth mit dem Oberhaupt der Habsburger, Herzog Albrecht von Österreich, besiegelt. Als Kaiser Sigismund dann 1437 starb, war sein Schwiegersohn der Erbe all seiner Kronen: der des Heiligen Römischen Reiches sowie derer von Ungarn und Böhmen. Dummerweise starb Albrecht II. bereits zwei Jahre später und hinterließ seine Gemahlin Elisabeth als schwangere Witwe. Sie brachte das Kind im Februar 1440 zur Welt, es war ein Junge, den man auf den Namen Ladislaus taufte. Und weil er nach dem Tod seines Vaters das Licht der Welt erblickt hatte, erhielt Ladislaus den Beinamen „Postumus“, der Nachgeborene.

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Das war also der Erbe der ungarischen und böhmischen Kronen, außerdem der neue Herzog von Österreich. König des Heiligen Römischen Reiches wurde er natürlich nicht, denn hier galt das Wahlrecht der Kurfürsten. Aber selbst mit Ungarn, Böhmen und Österreich war das so eine Sache. Ein Säugling konnte vielleicht einen Titel tragen, faktisch regieren musste jemand anders für ihn, ein Regent. Und schon kamen die wenig vertrauten Namen ins Spiel, denn nun schlug die Stunde für die Adeligen und Verwandten im Umfeld des verstorbenen Albrecht.

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Die deutschen Reichsfürsten waren also die ersten, die sich nach Albrechts Tod die Frage stellen mussten, wen sie zu seinem Nachfolger im Heiligen Römischen Reich wählten sollten. Ihr Votum fiel im Februar 1440 auf einen entfernten Cousin des Verstorbenen, dem Habsburger Herzog Friedrich von der Steiermark und Kärnten. Der schien ein guter Kompromiss zu sein: Einerseits dynastische Kontinuität der Habsburger, andererseits ein Wechsel der Dynastie, denn Friedrich gehörte der 1379 gebildeten Linie der Leopoldiner an. Die regierten von Graz und Wiener Neustadt aus und fixierten ihre Interessen reichsabgewandt auf das südliche Ungarn und die nördliche Adria bis nach Venedig. Das sollte nach dem Willen der Kurfürsten gerne so bleiben. Der 25jährige Friedrich III. war erst fünf Jahre zuvor überhaupt erst an seine Regierung in der Steiermark, Kärnten und Krain gekommen. Zum Zeitpunkt seiner Wahl zum römisch-deutschen König war er trotzdem nicht nur der ideell bevorrechtigte Senior des Gesamthauses, er war neuerdings auch Regent von Tirol. Dort war 1439 nämlich Friedrich IV. gestorben, und dessen Sohn Siegmund war mit zwölf Jahren noch zu jung zum Regieren. Die zweite Vormundschaft erhielt Friedrich III. im Monat seiner Königswahl, er war in Österreich der Regent für den kleinen Ladislaus Postumus. Der neue deutsche König hatte also eine gesunde, aber nicht überbordende Machtbasis. So wünschten sich das die Kurfürsten.

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Wie begann die Regierung von Friedrich III. und damit sie Situation, wenn man die Partie in EU4 startet? Mit einem Reichstag, der im Jahre 1442 in Frankfurt abgehalten wurde. Hier versammelten sich die drei Stände des Reiches: Adel, Bürger und Klerus. Eigentlich war die Errungenschaft der vollberechtigten Teilnahme den Bürgern der Freien Reichsstädte in der Goldenen Bulle versagt worden, Karl IV. hatte es mehr mit dem Adel gehalten. Aber mit Duldung der Könige waren die Reichsstädte trotzdem zu den großen Versammlungen gekommen. Bei Friedrich III. waren die Bürger skeptisch, ob er in ihrem Interesse regieren würde. Sie durften eigentlich keine Städtebünde zu ihrer Verteidigung schließen, aber das wollten sie vorsichtshalber ignorieren. Ein überraschendes Bündnisangebot erhielten die Städte ausgerechnet von der Ritterschaft. Die schwäbischen Ritter nämlich, reichsfreie Herren auch sie, waren arm an Besitz und Macht gegenüber den sie umdrängenden Fürsten. Auch sie hatten eine verbotene Vereinigung gegründet. Und wer von den Rittern nicht in den Hofdienst des nächstgelegenen Fürsten treten wollte, der musste auf die Städte zugehen, wo die sonst so verachteten Bürger und „Pfeffersäcke“ das Regiment führten. Aus dem Bund zwischen Rittern und Städten wurde zunächst nichts, aber sie blieb unvergessen. In den Fragen der Steuerbewilligung und des Landfriedens durften die Städte immerhin mitbestimmen. Der leidige Landfrieden und die Organisation seiner Durchsetzung war neben der Kirchenreform nämlich das Hauptthema des Frankfurter Tages.

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Zunächst die Kirchenreform: Dummerweise gab es seit 1439 wieder zwei konkurrierende Päpste. Auf der einen Seite saß Eugen IV. auf dem Heiligen Stuhl. Sein Konkurrent war der vom Basler Konzil eingesetzte Felix V., übrigens der letzte katholische Gegenpapst. Er stammte aus Savoyen: Bevor er das hohe Kirchenamt übernommen hatte, war er selber (unter dem Namen Amadeus VIII.) Herzog von Savoyen gewesen und hatte eine Tante des Burgunders Philippe III. geheiratet. Doch 1434 hatte sich Amadeus dem religiösen Leben zugewendet und das Herzogtum seinem Sohn Ludwig übergeben. Klar also, dass Felix als Gegenpapst von Savoyen und teilweise von Burgund unterstützt wurde. Für Friedrich III. war die Spaltung ärgerlich, weil im Reich so einige Bischofsstühle neu besetzt werden mussten. Welcher Papst sollte die denn nun investieren? Die Personalvorschläge des Basler Konzils jedenfalls waren Friedrich III. grundsätzlich nicht genehm. Was mischten die sich denn in die Politik der Reichskirche ein? Und wer sollte später einmal die Kaiserkrönung für Friedrich III. übernehmen? Das Konzil oder dessen umstrittener Gegenpapst etwa? Nein, das konnte nur ein allgemein anerkannter Papst leisten. Jahrelang ging es in dieser Sache hin und her. Man machte Eugen ordentlich Angst, dass man auch seinen Rivalen bevorzugen könne. Schließlich war Eugen IV. bzw. dessen Nachfolger Nikolaus V. bereit, umfassende Zugeständnisse zu machen: Er erkannte das Basler Konzil an und gab den Reichsfürsten im sogenannten Wiener Konkordat ordentlichen Freiraum bei der Besetzung ihrer Bischofsstühle. Es ging also ausschließlich um Personalpolitik. Was hatte das ganze dann mit der eingangs als so wichtig erwähnten Kirchenreform zu tun? Nichts – Friedrich III. war Realpolitiker, kein Priesterkönig.

Dann ging es als zweites Thema des Reichstags um den Landfrieden im Reich. Die Frage musste dort wieder aufgenommen werden, wo sie durch Albrechts II. plötzlichen Tod liegengeblieben war. Es gab ja noch keine anerkannte allgemeine Justiz, das Recht wurde allzu oft also durch kriegerische Fehden gefunden, es war das Recht des Stärkeren. Die Fürsten erklärten gegenüber Friedrich III. gerne, dass es kein Recht auf Fehde gebe, und bestritten damit von Staats wegen grundsätzlich das Recht auf Selbsthilfe und Blutrache, das sich die alten Adelssippen seit uralter Zeit zuerkannten und damit die Entwicklung einer straffen Staatsgewalt im modernen Sinne so gut wie unmöglich machten. Denn der moderne Staat beruht darauf, dass er das Monopol zur Gewaltausübung besitzt. Der Gedanke der Fürsten bei diesem Verzicht war: Adelsoligarchie ja, Adelsanarchie nein. Sie hatten aber eine Gegenforderung an den Kaiser: Konkret ging es ihnen um die Pfahlbürger. Das waren Untertanen eines Landesherrn, die sich ihren Dienstpflichten zu entziehen suchten, indem sie in die Städte flüchteten und nach damaliger Rechtsauffassung dadurch frei wurden. Nach dem Willen der Fürsten sollte Friedrich III. den Städten das Aufnehmen von Pfahlbürgern unmöglich machen. Wozu also entschied sich der Kaiser? Antwort: zu nichts. Bei den Pfahlbürgern erfolgte keine Änderung, und in der Sache der Fehden gab Friedrich den Fürsten Recht, sie sollten verboten werden. Nur unternahm der Habsburger nichts, die Alternative zu den Fehden zu organisieren. Wenn das Recht nicht durch Krieg, sondern durch Rechtsprechung gefunden werden sollte, musste eine Justiz im Reich etabliert werden. Der Kaiser scheute aber, den Fürsten damit in ihren eigenen Gebieten auf die Füße zu treten. Dann sollte lieber alles bleiben wie bisher. Traurige Sache mit den Fehden, aber sich als Kaiser die Finger verbrennen, wozu? Lief doch bisher auch so. Das war herzlos und auf die Dauer nicht ungefährlich, aber Friedrich III. hatte noch ein halbes Jahrhundert Regierungszeit vor sich und kultivierte den Blick durch die Generationen, nicht den auf die lästige Tagespolitik. In seiner Untätigkeit, ja Faulheit, lag ein Stück staatsmännischer Überlegenheit verborgen. Er hätte als früher Vertreter einer Politik der ruhigen Hand in die Geschichte eingehen können, wenn nicht die unmittelbare Gefahr für das Reich und auch für das Haus Habsburg für alle sichtbar gelauert hätte in Gestalt des Herzogs von Burgund, der Großmacht im Westen des Reiches.

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Philipp III. der Gute

Dem burgundischen Herzog Philippe III. war es - gewissermaßen im Fahrwasser des Hundertjährigen Krieges - gelungen, die Herzogtümer Luxemburg, Limburg und Brabant an sich zu bringen. In EU4 sind sie seine Vasallen bzw. stehen in Personalunion unter Burgund. Der ganze Westen des Reiches drohte unter die Dominanz von Burgund zu fallen. Besonders unangenehm war für Friedrich III., dass Philippe seit einigen Jahren eine Pfandschaft an Luxemburg besaß. Philippe III. von Burgund interessierte sich für die Zustände rechts des Rheins, besonders für Erzbischof Dietrich von Köln, der der burgundischen Expansion beizeiten wehren sollte und sich deshalb mit dem wettinischen Landgrafen Wilhelm III. von Thüringen verband. Zwischen den Häusern Habsburg und Wettin bestanden familiäre Verbindungen, seit Friedrich III. 1440 die Schwester seines Mündels Ladislaus mit dem Markgrafen von Meißen verlobt hatte. Beide Häuser verstanden sich als Gegner der Hussiten in Böhmen, und nun war ein Wettiner mit der Schwester des kleinen böhmischen Königs verbunden, dort somit vorläufig zweiter in der Thronfolge. Außerdem waren die Wettiner im Westen geeignete Bündnispartner. Sie hatten Geldnot und wollten den Burgunder Philippe mit ihrem Anspruch auf das Herzogtum Luxemburg unter Druck setzen. Zumindest soweit, um damit ihre Kassen zu sanieren (in der Tat ließen sie sich von Burgund mit 120.000 Gulden abfinden und Philippe behielt seine Pfandschaft an Luxemburg). Deshalb kam Wilhelm III. von Thüringen mit dem Kölner Erzbischof Dietrich überein, diesen bei seinen Bestrebungen bei einem Ausbau seines Herzogtums Westfalen zu unterstützen, das der Kölner im Sauerland besaß. Wir erinnern uns: Kaiser Friedrich Barbarossa hatte damit den Erzbischof für dessen Kampf gegen Heinrich den Löwen belohnt. Die Gegner des Kölner Erzbischofs waren die Städte in diesem Gebiet, allen voran Soest, und - da Dietrich eine Landbrücke vom Rhein nach Westfalen brauchte - der durch die Lage seiner Länder blockierende Herzog von Kleve, Adolf von der Mark. Dieser wieder war im Konflikt mit den Wettinern, es ging da um eine Urkundenfälschung zur Verhinderung der Wettiner Kurwürde.

Herzog Wilhelm III. von Thüringen warb 14.000 böhmische Kriegsknechte an, die seit den wilden Hussitenkriegen einen legendären Ruf genossen. Bei der Belagerung von Soest genossen diese Söldner allerdings vor allem Wein, jedenfalls vergeigten sie 1447 den Kriegszug, und Wilhelm III. sowie Erzbischof Dietrich hatten das Nachsehen. Philippe von Burgund konnte zufrieden sein mit dem Ergebnis, die rheinischen Kurfürsten waren im Abwärtstrend. Für Friedrich III. war es dagegen nicht gut, er hätte sich lieber mit Ungarn und Böhmen befasst, nun musste der Westen des Reiches gegen Burgund gestützt werden.

Dass der Soester Erfolg ein Labsal für alle freien Reichsstädte war, interessierte Friedrich III. nicht, er misstraute dem republikanischen Charakter der Städte. Kein Wunder, dass er sich nicht einmischte, als in Süddeutschland der Krieg zwischen Fürsten und Städten ausbrach. Dort im Süden gab es die meisten Reichsstädte, in den ehemaligen Herzogtümern Schwaben und Franken der Salier. Aus deren Hausgut waren seit den Tagen Heinrichs IV. diese Städte emporgewachsen. Mitten unter ihnen saß, wie ein Hecht mittig unter Karpfen, Markgraf Albrecht Achilles von Hohenzollern-Ansbach.

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Albrecht II. Achilles

Er war Burggraf von Nürnberg, ein hochfahrender, kriegerischer und politisch kluger Herr, der sich wie alle Fürsten der Umgebung von einem weiteren Wachstum der Reichsstädte und der Existenz des niederen Adels ernsthaft bedroht fühlte und ganz der Mann war, gegen diesen Stand der Dinge militärisch vorzugehen. Die süddeutschen Städte schlossen im Jahre 1446 einen Defensivbund gegen Albrecht Achilles und korrespondierten eifrig mit den Schweizer Eidgenossen, die als Gegner der Habsburger Fürsten ihre natürlichen Verbündeten waren. Die Siege der Eidgenossen gegen die Habsburger in Sempach und Morgaten waren indirekt auch Siege der süddeutschen Reichsstädte gewesen. In Sempach war 1386 übrigens auch Leopold, der Großvater von Friedrich III., zu Tode gekommen. Albrecht Achilles durfte also die Sympathie des Habsburgers voraussetzen, wenn es gegen die Eidgenossen und die Städte ging.

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Der Kaiser hatte noch einen Grund, Achilles zum Losschlagen zu ermuntern: Er wollte in Süddeutschland ein Gegengewicht zu den Wittelsbachern, die über Bayern (Albrecht III.)* und über die Pfalz (Ludwig IV.) herrschten. Sie waren stets mächtig genug, die benachbarten Habsburger Ländereien in Österreich und Tirol zu bedrohen und sogar ihren Blick nach Böhmen zu richten. Außer Achilles konnte dort niemand den Wittelsbachern das Wasser reichen: Weder der Graf Ulrich V. von Württemberg, nicht der Zähringer Markgraf Jakob I. von Baden und auch nicht die Bischöfe von Würzburg und Bamberg, von anderen süddeutschen Potentaten ganz zu schweigen. Nur der Ansbacher Markgraf Albrecht Achilles bot mit seiner Persönlichkeit die Gewähr für eine kraftvolle Gleichgewichtspolitik gegen die Wittelsbacher.

* Bayern war zu dieser Zeit eigentlich dreigeteilt, man spielt das Teilherzogtum München:
Landshut (Heinrich XVI. der Reiche),
München (Albrecht III. der Fromme) als spielbare Fraktion und
Ingolstadt (Ludwig VIII. der Bucklige).

Die eben aufgezählten süddeutschen Fürsten mochten die Reichsstädte auch nicht, sie standen jedoch auch in Konkurrenz zu Albrecht Achilles und seinen Hohenzollern. Deshalb halfen sie ihm nicht, als dieser im Sommer 1449 einen Krieg gegen Nürnberg vom Zaun brach, der beide Seiten in die Niederlage treiben sollte. Achilles hatte korrekt vorhergesehen, dass Friedrich III. nicht auf die Einhaltung des Landfriedens pochen würde, wenn er gegen Nürnberg marschiert. Die Entschlossenheit der Nürnberger, sich zu verteidigen, hatte er dagegen unterschätzt.

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Mehr noch: Mit seinem ungestümen Losschlagen brachte er auch Bewegung in das gespaltene Bayern, das Friedrich III. gemäß dem Grundsatz „divide et impera“ gerne in diesem Zustand belassen hätte. Im Jahre 1450 wurde nach dem Tod Heinrichs XVI. dessen Sohn Ludwig IX. Herzog von Bayern-Landshut, und der kassierte einen Großteil des herrenlosen Bayern-Ingolstadt ein. Es gab in München zwar weiterhin den Teilherzog Albrecht III., der tonangebende Mann in Bayern war von nun an aber Ludwig – in seiner Stärke ebenbürtig dem Habsburger Friedrich.

Bei der Reichsreform war es also nur bei bloßen Absichtserklärungen geblieben, Achilles war ohne Erfolg gegen die Städte marschiert, und die Wittelsbacher in Bayern waren unter Ludwig IX. versammelt. So hatte sich das der untätige Kaiser kaum nicht vorgestellt.

Es gab da noch ein Problem im Westen, das Friedrich III. selber importiert hatte: Im Sommer 1444 überschritt ein fürchterlicher Heerhaufen die Reichsgrenze und verbreitete Angst und Schrecken im Land. Dieses Heer bestand aus Armagnaken-Söldnern, die wegen des Waffenstillstands zwischen Frankreich und England arbeitslos geworden waren. König Charles VII. konnte noch nicht daran denken, die Söldner jetzt gegen Burgund zu schicken. Also wollte die Soldateska rasch aus seinem Land loswerden, weil er wusste, dass es Ärger mit ihnen geben würde.

Für Charles VII. war es ein Wink des Himmels, als ihn ein Brief Friedrichs III. erreichte, in dem der Römische König ihn um militärische Hilfe gegen die Schweizer Eidgenossen bat. Friedrich bat ausdrücklich um die Armagnaken, und zwar auch, weil er es Philippe von Burgund wegen Luxemburg mal so richtig zeigen wollte. Dieses Herzogtum war wie erwähnt in Philipps Pfandschaft, und jeder wusste, dass aus einem dauerhaften Pfand schließlich ein Eigentum werden würde. Genau darauf spekulierte der Burgunder ja auch, er wollte Herzog von Luxemburg werden und eine Landbrücke zwischen seinen geteilten Gebieten schaffen. Dieser Titel aber war das Erbe von Friedrichs Mündel Ladislaus. Und überhaupt: Es konnte ja nicht angehen, dass sich hier zwischen Frankreich und Deutschland ein starkes Mittelreich aufbaute. In dieser Frage waren sich Friedrich III. und Charles VII. einig, daher auch das unkomplizierte Überlassen der mörderischen Söldner. Der Habsburger hatte es persönlich nicht so mit dem Kriegführen und kaufte das Kommando über die Mordtruppe gleich mit ein, Charles VII. betraute seinen Sohn mit dem Befehl über das Heer. Vielleicht konnte man die Einigkeit zwischen Wien und Paris mit einer kleinen Heirat bekräftigen? Es gab Verhandlungen über eine Ehe zwischen Friedrichs Mündel Siegmund von Tirol und einer Tochter des französischen Königs.

Im Kampf gegen die Eidgenossen hatte Friedrich III. nur die Stadt Zürich auf seiner Seite. Da er zu wenige Truppen hatte, verfiel Friedrich auf die Idee mit den Armagnaken. Jedermann wusste, was das für üble Gesellen waren, die er da ins Land holte. Auch der Kaiser war da nicht naiv. Allerdings hatte er nur um 5.000 Mann gebeten, nicht im die 25.000, die von niemand geringerem als dem Dauphin Louis (dem späteren Louis XI.) überführt wurden. Der war ein junger Mann von Anfang zwanzig Jahren, aber bereits als tapfer und klug, aber auch herrschsüchtig und tückisch, bekannt. Es kam wie befürchtet: Die Söldner benahmen sich im Gebiet ihres Auftraggebers Friedrich ebenso undiszipliniert wie im Feindesland. Dauphin Louis konnte nicht anders, als ausgiebig durch die Finger zu sehen. Nahe Basel trafen die Armagnaken dann im August 1444 auf die Schweizer, die sich der Soldateska in Unterzahl entgegenstellt hatten. Ungläubig mussten die Armagnaken im Kampf erkennen, dass die unterlegenen Schweizer sich mit grimmigen Todesmut und taktischem Geschick verteidigten, was die Söldner noch mehr in einen angriffslustigen Blutrausch versetzte. Nur 200 Man von den Schweizern kamen lebend aus dem Gemetzel davon. Und obwohl der Sieg der Armagnaken unzweifelhaft war: Sie hatten ihn mit 4.000 Toten bezahlt – und das war nur ihre eigene Angabe. Der Kriegsruhm war klar auf der Seite der Schweizer. Ganz Europa musste nun ihre militärische Tüchtigkeit zur Kenntnis nehmen, und der erste, der das tat, war der Dauphin Louis. Lieber gegen die schwachen Habsburger als gegen die unbezähmbaren Schweizer, wird er sich gedacht haben. Im Namen Frankreichs schloss er einen Waffenstillstand mit den Eidgenossen und ließ durchblicken, dass er ein Bündnis mit ihnen wünsche.

Das bekam er im Oktober 1444 auch, einen Monat vor Spielbeginn. Wer immer sich an die französische Politik binden wollte, zum Beispiel der Herzog von Savoyen, begann nun beim Dauphin vorzusprechen. Aber nicht einmal Charles VII. war daran interessiert, die französischen Waffen am Oberrhein stehenzulassen, denn damit hätte er Philippe von Burgund und Friedrich III. geradezu gezwungen, gegen ihn zusammenzustehen. Die Freundschaft der Schweizer, selbst wenn auf Dauer möglich, war dagegen kein hinreichendes Mittel. Währenddessen hausten die Armagnaken blutig im Elsass, dem „Garten des Reiches“.

Friedrich III. musste wohl etwas unternehmen und gab dem Drängen seines jüngeren Bruders Albrecht nach. Mit den Burgundern wurde am Oberrhein halbpart vereinbart. Ein schwacher Herrscher wie Friedrich konnte es sich nicht leisten, einen starken Herrscher wie Philippe zum Erbfeind zu haben. Er musste nach allen Seiten offen bleiben, eben weil er weitgehend machtlos war.

Wie aber die Eidgenossen besiegen und den Dauphin mit seinen Söldnern aus dem Elsass werfen? Ein Reichskrieg sollte es richten. Die Erzbischöfe von Trier und Köln waren in Verlegenheit und rieten daher zum Ausgleich. Kurfürst Ludwig IV. von der Pfalz sah sich unmittelbar bedroht und drängte auf schnelle Maßnahmen. Friedrich III. ernannte den Pfälzer zum Reichsfeldherrn und beauftragte seinen Bruder Albrecht, ihn gemeinsam mit Jakob I. von Baden und Ulrich V. von Württemberg zum Oberrhein zu begleiten. Gleichzeitig liefen weiter Verhandlungen mit dem Dauphin, um ihn loszuwerden. Friedrich III. bot ihm an, den Sold für 5.000 Mann zu erstatten, denn mehr habe er im Reich ja gar nicht sehen wollen. Louis sperrte sich, musste aber erkennen, dass er sich nicht behaupten konnte, wenn ihn sein Vater nicht mehr unterstützte. Der Dauphin verhandelte noch einige Monate über günstigere Konditionen für seinen Abzug, das Reichsheer fürchtete er nicht. Die deutschen Fürsten berieten noch immer in Speyer über das Aufstellen der Truppen, da war selbst bis zum Frühjahr 1445 kein Ergebnis in Sicht. Friedrich III. machte in der Sache nämlich keinen Druck, er unternahm schlicht nichts. Sobald ihm weitere Kosten wegen dieser Sache drohten, sollte der Westen des Reiches doch lieber selber sehen, wie er sich behalf. Schließlich führten die beiden Erzbischöfe den Ausgleich in Verhandlungen mit dem Dauphin herbei: Louis musste mit seinen Armagnaken innerhalb von fünf Wochen abrücken. Ihre Verwüstungen wurden aufgerechnet gegen die Leistungen, die Friedrich III. an ihnen gespart hatte. Ein übler Zusammenhang zwischen dessen Rechenhaftigkeit und dem Schaden im Reich.

Der Krieg gegen die Schweiz ging noch weiter bis zum Juni 1446, bis Pfalzgraf Ludwig zwischen Zürich und den anderen Eidgenossen den Frieden vermittelte. Der Bund der Züricher mit Habsburg wurde als verfassungsrechtlich unzulässig erklärt, da unvereinbar mit der Mitgliedschaft im eidgenössischen Bund. Zürich blieb, ohne territoriale Verluste oder der Auferlegung von Kriegsreparationen, dem Bunde erhalten. Das war es also mit Friedrichs Plänen, den Habsburgern wieder Geltung in der Schweiz zu verschaffen oder die alte Stammburg im Aargau zurückzugewinnen.

Das Heft des Handelns übernahmen andere: Gleichzeitig mit dem Marsch des Dauphin war auch eine französische Armee, zu der sich Charles VII. selbst begeben hatte, in Lothringen eingefallen. Nicht nur, um weitere Söldner loszuwerden, sondern auch zur Geltendmachung der Ansprüche Renés von Anjou auf dieses Herzogtum. Dieser René war zuvor von Aragon aus dem Königreich Neapel vertrieben worden, wo die Anjou seit dem Untergang der Staufer geherrscht hatten. Charles VII. suchte René Ersatz an der französischen Ostgrenze in Richtung Rhein und hatte auch keine Hemmungen, von der Stadt Metz und von ihrem Bischof den Untertaneneid auf sich zu verlangen. Der französische König überging dabei, dass es sich hierbei um Träger eines Reichslehens handelte. Bei den deutschen Reichsfürsten blieb das nicht ohne Wirkung, offenbar wollten sich die Franzosen an den Rhein drängen. Die Pfalz rief gar zum Reichskrieg gegen sie. Friedrich III. unternahm – nichts. Und so kommt es, dass eine Partie im Jahre 1444 mit Neapel als Juniorpartner von Aragon beginnt, während René von Anjou über Lothringen herrscht.

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René der Gute

Reichsreform und Konkordat, Armagnaken und Städtekriege, das waren die Themen großer Politik. Doch Friedrich III. beschränkte sich auf Aktivitäten in seinen Erblanden, das Haus Habsburg war selbst uneins. Sein Mündel Siegmund von Tirol hätte schon im Jahre 1443 für volljährig erklärt werden müssen, aber Friedrich behielt ihn gegen sein Versprechen weiter bei sich in der Steiermark und nötigte ihm weitere sechs Jahre der Vormundschaft ab. Der Kaiser tat mit ihm, wie es ihm selbst in seiner Jugend unter seinem Onkel Friedrich IV. „mit der leeren Tasche“ widerfahren war. So wie der Onkel damals argumentiert hatte, er müsse den Habsburger Besitz gegen den übermächtigen Kaiser Sigismund zusammenhalten, gab Friedrich III. nun zu bedenken, dass der Krieg mit der Schweiz keine unerfahrene Regierung in Tirol zuließ. Da Friedrich III. seinen Bruder Albrecht zum Regenten der Vorlande eingesetzt hatte, konnte man ihm sogar nachsagen, er spiele seine Verwandten gegeneinander aus. Doch irgendwie musste auch Albrecht abgefunden werden.

Aber die Stände in Tirol wollten partout ihren Siegmund haben und verlangten die Herausgabe seiner Person sowie seines Vermögens. Der Kaiser gab sich gewohnt unbeeindruckt und nahm Siegmund nun sogar mit nach Wien. Dort zwang er den jungen Mann zur Überschreibung seiner Gläubigereigenschaft an einigen österreichischen Besitzungen, die Albrecht II. einst Friedrich „mit der leeren Tasche“ verpfändet hatte. Die Tiroler Stände waren nicht so leicht mit Verträgen einzufangen wie der unerfahrene Siegmund, und entschlossen sich zum Handeln. Sie erklärten die verlängerte Regentschaft für unannehmbar und besetzten das ganze Land solange, bis der Kaiser schließlich doch den jungen Mann auslieferte. Baden und Ansbach hatten sich vermittelnd eingeschaltet und einen Kompromiss ausgehandelt, und der kam Siegmund teuer genug zu stehen. Siegmund wurde 1446 als Herzog eingesetzt und musste versprechen, in seiner Politik den Vorgaben des Habsburger Oberhaupts zu folgen. Für diese verkappte Regentschaft musste er auch noch teures Geld bezahlen, sowohl an Friedrich III. als auch an dessen Bruder Albrecht. Für Siegmund von Tirol blieb das eine prägende Erfahrung, er wurde ein haltloser Mensch mit verkniffener Mine, der später ein Schürzenjäger und Verschwender vor dem Herrn werden sollte. Sein Beiname „der Münzreiche“ rührte nicht daher, dass Siegmund solche Reichtümer anhäufte. Er war in seiner Grafschaft Tirol einfach nur mit den ergiebigen Goldminen gesegnet, aus denen er reichlich Münzen prägen ließ – die er ebenso reichlich ausgab.

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Tirol gehörte also gar nicht Friedrich III., Paradox hat konsequenterweise aber entschieden, ihm die Grafschaft zuzuschlagen, weil er de facto hier das Sagen hatte. Ebenso sieht es mit dem Sundgau aus, dem einzelnen Flecken Habsburgs im Westen. Dieses Gebiet gehörte Friedrichs Bruder Albrecht, aber der war auf seine Hilfe angewiesen. Alleine konnte Albrecht nichts gegen Philippe von Burgund ausrichten, der eigene Ansprüche auf Sundgau anmeldete. Friedrich III. half sich mit dem Aufbau einer territorialen Gegenstellung, die quer lag zur burgundischen Expansion: Er argumentierte, die Reichslehen Brabant, Seeland, Hennegau und Holland seien von vorherigen Fürsten nicht ordnungsgemäß zu Lehen genommen worden, weshalb er sie an seinen Bruder vergab. Philippe war diese Erbsenzählerei zu doof. Was sollte er sich mit kleinlichen Rechtsdiskussionen über den Erwerb von Quadratkilometern mühen, wo er doch mächtig genug war, um als König im Reich aufzutreten. Denn das war das eigentliche Streben des Burgunders: Er wollte von Friedrich III. als König anerkannt werden und bot ihm dafür ein Bündnis an. Für den Kaiser war das verhandelbar, wie üblich drehten sich die Gespräche über die Konditionen denkbarer gegenseitiger Ehen zwischen Burgund und Österreich. Diese Verhandlungen wurden jedoch so kompliziert in die Breite geschlagen, dass Friedrich III. das Gefühl bekam, die Pfandschaft über Luxemburg würde in Philipps Händen verbleiben. Luxemburg endgültig bei Burgund zu lassen, das war dem Habsburger zu teuer für ein Bündnis. Er ließ die Verhandlungen auflaufen.

Damit blieb auch die Angelegenheit mit dem Sundgau ungelöst. Die Ansprüche Philipps schrieben sich her von der Ehe Katharinas von Burgund mit Herzog Leopold IV. von Österreich, einem Sohn des Unterlegenen von Sempach, und dagegen waren die Habsburger ohne Argumente. Friedrich musste mit Burgund ein Abkommen schließen und Albrecht anweisen, den Sundgau von Philippe zu Lehen zu nehmen. Im Jahre 1448 bemächtigte sich Burgund dann auch des verpfändeten Luxemburgs, was Friedrich beim Abschluss des Abkommens vorausgeahnt haben dürfte. Philippe war der Sieger im Westen geblieben.

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Dann werfen wir mal den Blick Richtung Osten, vielleicht lief es hier ja besser. Okay, ist nur sarkastisch gemeint. Friedrich III. hatte hier nichts als potentielle und aktive Gegner auf der politischen Landkarte. Und wenn er sie in Italien nicht hatte, dann nur deshalb, weil er von vornherein darauf verzichtet hatte, als Römischer Kaiser hier auch nur den bescheidensten Einfluss auszuüben. In Ungarn erkannte Friedrich im Oktober 1450 den Hunyadi Johann (Janos) als ungarischen Reichsverweser an, obwohl er sich darüber im Klaren gewesen sein muss, dass Hunyadi nun alles unternehmen würde, um seine Macht gegenüber dem minderjährigen König Ladislaus noch weiter auszubauen, wie es ihm ja auch vorher nicht hatte verwehrt werden können.

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Immerhin akzeptierten Hunyadi und die anderen Magnaten, dass Ladislaus sich nicht in Ungarn aufzuhalten hatte, sondern in Wien bleiben durfte. In Böhmen war die Situation nicht anders, auch wenn das Land nicht die innere Geschlossenheit Ungarns hatte, sondern in Katholiken und Utraquisten-Hussiten gespalten war. Die Böhmen verlangten, dass sich Ladislaus als ihr König in Prag aufhalten müsse. Friedrich III. begegnete ihnen mit der üblichen Laberei, um Zeit zu schinden: Es müsse ein Bevollmächtigter geschickt werden, um die politische Lage zu sondieren. Dieser Bevollmächtigte war niemand anderes als Aeneas Sylvius, der es mittlerweile mit Friedrichs Unterstützung zum Bischof von Triest gebracht hatte, ab 1450 war er Bischof von Siena.

Aeneas Sylvius hatte die Instruktion, die Auslieferung des Ladislaus nicht einzuräumen, und er erkannte bald, dass die böhmischen Herren auf diese Forderung nicht den Wert legten, den sie ihr ansonsten lauthals beimaßen. Die Böhmen waren nämlich nicht scharf auf die deutschen Berater, die Ladislaus in diesem Fall mit nach Prag begleitet hätten. Da wollten die böhmischen Magnaten doch lieber ohne lästige Beaufsichtigung ihre Interessen verfolgen, nicht anders als die ungarischen Adeligen. Eines war in Böhmen aber anders als in Ungarn: In Prag gab es neben den Katholiken die Utraquisten, die mit Rom über Kreuz lagen. Okay, die Zeit der militärischen Konflikte während der Hussitenkriege war vorbei, aber politisch war die Sache noch lange nicht befriedet. Die Utraquisten debattierten gerne über die Enteignung der katholischen Kirche im Lande, und die Angst davor machte die böhmischen Katholiken handzahm. Es war also kein Wunder, dass der Anführer der Utraquisten der mächtigste Mann in Böhmen war. Sein Name war Georg Podiebrad - Jiri z Podebrad. Wie bei Hunyadi rang sich Friedrich III. auch Podiebrad gegenüber dazu durch, diesen als Gubernator Böhmens offiziell anzuerkennen.

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Jiri z Podebrad

Jetzt haben wir einige Namen bereits kennengelernt. Mit den Herrschern von Burgund, Ungarn und Böhmen sind es bereits drei, die von härterem Kaliber sind als unser Kaiser Friedrich. Er hatte nicht nur die Stände Ungarns und Böhmens nicht im Griff, selbst in Österreich war der Habsburger nicht unangefochten. Der Streit entzündete sich daran, dass Friedrich seinen Mündel Ladislaus von Wien in die Steiermark schaffte, wo Friedrich noch am meisten anerkannt wurde. Die empörte Opposition in Wien sammelte sich um die Person des Ulrich Eizinger, der ein österreichischer Podiebrad bzw. Hunyadi werden wollte. Der Unmut des heimischen Adels schwelte eigentlich wegen Friedrichs Eigenart, sich Besitzungen und Gelder zusammenzuraffen, und gleichzeitig nichts gegen das räuberische Treiben bewaffneter Banden im Lande zu unternehmen. Der Kaiser hatte es den Ungarn und Böhmen verweigert, ihnen Ladislaus auszuliefern, das galt erst recht gegenüber den Ständen daheim. Friedrich versuchte nach bewährter Manier, Zeit zu gewinnen und einen Hoftag der österreichischen Stände zu verhindern. Die traten trotzdem zusammen und wählten Eizinger zu ihrem obersten Landeshauptmann, zwölf Verweser entgegen Friedrichs Geschmack traten ihm zur Seite. Das war die offene Rebellion. Friedrich reagierte darauf mit Schulterzucken, er wollte sich lieber um seinen Zug nach Rom kümmern, wo er sich vom Papst zum Kaiser krönen lassen wollte. Die Sache daheim wurde aber gefährlich, denn Eizinger erhielt Unterstützung von Hunyadi (der Ladislaus in Wien sehen wollte) sowie von Ulrich von Rosenberg, dem Anführer der böhmischen Katholiken (die Friedrich mit seinem Deal mit Podiebrad vergrätzt hatte). Auf dem Turm der Wiener Stephanskirche wehten die Banner von Böhmen, Mähren, Österreich und Ungarn. Was fehlte noch zu Friedrichs Erniedrigung?

Unverdrossen hielt sich Friedrich III. zu dieser Zeit in Italien auf, wo vor der römischen Krönung zwei Sachen zu regeln waren. Erstens hatte sich in Mailand der Söldnerführer Francesco „Sforza“ Attendolo an die Macht gebracht, nachdem 1450 die Dynastie der Visconti ausgestorben war. Der Sforza war sehr daran interessiert, vom Kaiser anerkannt zu werden und war bereit, dafür auch gut zu bezahlen. Das Geld strich Friedrich III. gerne ein, um Mailand selbst machte er einen großen Bogen. Allzu offensichtlich wollte er den Emporkömmling dann doch nicht anerkennen.

Zweitens galt es, für den Kaiser eine geeignete Ehefrau zu finden. Es wurde so manche Kandidatin erwogen und verworfen, Friedrich wollte sich mit einer Ehe politisch nicht zu eindeutig auf ein Lager festlegen lassen. Ein Vorschlag des Burgunders Philippe wurde dann angenommen: Die Verschwägerung der Häuser Burgund und Habsburg auf dem Umweg über das portugiesische Königshaus, das den Burgundern aus alter Tradition nahestand. Der portugiesische König Alfons hatte drei Schwestern, von denen eine mit Philippe von Burgund verheiratet war. Die zweite Schwester hatte den schwachsinnigen Enrique IV. von Kastilien (auch so ein 0-0-0-Herrscher in EU4) heiraten müssen. Die dritte Schwester namens Eleonora war für Friedrich ausersehen. Die 14jährige Prinzessin war zwar mit dem Burgunderherzog verwandt, bedeutete aber keine Festlegung auf dessen Politik, konkreter: auf dessen Wunsch nach der Königskrone, und als Königstochter war sie Friedrichs Rang ebenbürtig. Dazu war Eleonoras Mutter aus Aragon, dem Gegenspieler Frankreichs, wenn es um den Einfluss auf den Handelsknotenpunkt Genua im Mittelmeer ging. Zugleich war Aragon mit den französischen Anjou über Kreuz, seitdem sie ihr Königreich Neapel als Juniorpartner in eine Personalunion genommen hatten. Die Anjou hatten danach die Visconti in Mailand beerben wollen, aber dort war ihnen der Sforza zuvorgekommen. Nicht zuletzt stand Aragon mit Venedig auf gutem Fuß, und das war ein direkter Nachbar von Österreich, Friedrich erhoffte sich da wohl eine politisch ruhigere Beziehung. So schloss sich der Ring politischer Interessen rund um das westliche Mittelmeer, der Friedrichs Eheprojekt mit Eleonore trug. Unbehaglich war es Papst Nikolaus bei dem Gedanken an diese Verbindung zwischen dem Kaiser und Aragon-Neapel, das klang ihm nach der alten Geschichte der Staufer, die den Kirchenstaat damals auch in die Klammer genommen hatten. Aeneas Sylvius beschwichtigte den Papst mit Erfolg, Friedrich III. war wohl harmloser als seinerzeit die energischen Staufer. Im Dezember 1450 war in Neapel der Heiratsvertrag unterschriftsreif, Eleonore bekam eine Mitgift von 50.000 Gulden und eine Rente von 7.000 Gulden zugesprochen, aufzubringen aus den Einnahmen in Istrien.

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Die Braut konnte abgeholt werden in Portugal, um sie nach Rom zu bringen, wo sie Friedrich kennenlernen, heiraten und mit ihm gemeinsam zu Kaiser und Kaiserin gekrönt werden sollte. In Portugal gab es ein peinliches Missverständnis: Hier erwartete man eine prachtvolle Delegation, immerhin ließ ein Kaiser seine Braut holen. Friedrich hatte seine Gesandten aber so ärmlich ausgestattet, dass man sie dort für streunendes Gesindel hielt und zunächst einkerkerte. Erst als sich das Missverständnis aufklärte, stellte König Alfons sie seiner Schwester vor. Bei der Überfahrt war die See so stürmisch und mit Piraten verseucht, dass man mit der Prinzessin lieber schon in der Toskana an Land ging. Eine heikle Entscheidung, denn hier tobte gerade ein Krieg zwischen Alfons von Aragon-Neapel im Bund mit Venedig gegen Florenz und Mailand, das nun von Frankreich unterstützt wurde. Der unentbehrliche Sylvius musste herbeieilen, um Eleonora sicher über Pisa nach Siena zu geleiten. Hier traf sie zum ersten Mal auf Friedrich, und der zeigte entgegen seiner Natur tatsächlich Regung: Das bildhübsche Mädchen rührte sein Herz. Am 16. März 1452 wurden die beiden in Rom vom Papst gekrönt. Friedrich III. war der letzte Kaiser, der den Weg in den Petersdom antreten sollte.

Die eigentliche Feier fand in Neapel am Hof von König Alfons, dem Bruder der Braut, statt. Auf dem Rückweg nach Hause musste Friedrich III. dann doch noch etwas Politik machen. Neben Florenz war Ferrara Station, wo er herzlich empfangen wurde. Kein Wunder, der Kaiser erhob den Markgrafen Borso von Este zum Herzog von Modena. Wahrscheinlich war das anschauliche Territorium von Modena und Ferrara zusammen dem Papst als Puffer zwischen Kirchenstaat, Venedig und Mailand willkommen. Kostenlos war diese Rangerhöhung nicht zu haben gewesen, die Italiener bemerkten mit Befremden, wie geizig der Habsburger war. In Venedig wurde Friedrich ebenfalls aufwendig empfangen, obwohl Venedig sich den deutschen Herrschern gegenüber sonst immer spröde gezeigt hatte. Man konnte sich die Herzlichkeit wegen Friedrichs erwiesener politischer Harmlosigkeit leisten. Aber als er dem Dogen empfahl, doch mit Mailand und Florenz lieber Frieden zu halten, da hatte er seine Grenzen überschritten. Die Venezianer antworteten frostig, einen Kaiser dürfe man nicht anlügen, und daher sagten sie ihm offen, was sie vorhätten – nämlich gerade den abgeratenen Krieg. Da zeigte sich schneller als gedacht, wie wertlos Friedrichs Bündnis mit Neapel war: Der Kaiser hatte noch nicht Wien erreicht, da erklärte Venedig den Mailändern den Krieg, Florenz fiel in Neapel ein, und Frankreich marschierte gemeinsam mit dem Lothringer René von Anjou (der sein Königreich Neapel zurückhaben wollte) in die Lombardei ein. Weder an den Kriegshandlungen hatte Friedrich III. einen Anteil, noch an dem Friedensvertrag, der 1454 geschlossen wurde und der italienischen Halbinsel 40 Jahre Ruhe bescherte.

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Das war er also gewesen, der Italienzug des Habsburgers. Vom Furor eines Barbarossa oder dem anerkannten Richterspruch eines Heinrich III. war nichts mehr vom Glanz der Kaiser geblieben. Die Italiener belächelten diesen Habsburger Friedrich. Er hatte sie, die seit 200 Jahren machten, was sie wollten, mit Samthandschuhen angefasst (sonst hätten sie ihn auch nicht gefeiert). Politisch harmlos, bescheiden sogar sein Krönungsmantel und das angebliche Krönungsschwert Karls des Großen ein Witz: Unübersehbar darauf die Gravur des böhmischen Löwen, es musste also aus luxemburgischer Zeit stammen. Papst Nikolaus hatte dem Kaiser aus Anlass der Krönung huldvoll erlaubt, seine Länder zu mehren, aber das war ja geradezu lächerlich zu nennen. Friedrich interessierten sowieso andere Konzessionen finanzieller Natur, wie etwa die päpstliche Bewilligung, von den geistlichen Fürsten des Reiches für den Krieg gegen die Ungläubigen den Zehnten zu erheben. Viel zu bieten hatte auch der Papst nicht mehr, die „Gefangenschaft“ in Avignon und das lange Schisma hatte auch diesem Amt geschadet. Die Macht des Papsttums war zwar immer noch nicht zu unterschätzen, die kraftvollen Höhen eines Innozenz III. und Gregor IX. waren aber vorbei. Die beiden Träger der universalen Herrscherkronen der Christenheit, Papst und Kaiser, nickten sich in diesem Jahr 1452 in Rom gewissermaßen noch einmal greisenhaft zu.

Die Macht auf der italienischen Halbinsel lag jetzt woanders: In Mailand, Venedig, Florenz, dem Kirchenstaat und Neapel gleichermaßen. Es waren fünf ungefähr gleichstarke Mächte, die einen Zustand bildeten, den man als erstes Beispiel einer Gleichgewichtspolitik bezeichnen kann. Solange diese zum Frieden entschlossen waren, und solange vor allem die raumfremde Macht nicht wieder etwas gegen den Verlust von Neapel unternahm, war das italienische System ausgeglichen. Es ist nur so, dass EU4 für Frankreich noch die Mission „Italienische Ambitionen“ bereithält....

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Unberührt von den Kriegshandlungen in Italien traf Kaiser Friedrich mit seiner Braut Eleonore in Wiener Neustadt ein. Die junge Portugiesin im Teenageralter dürfte bald gemerkt haben, dass ihr 37jähriger Gatte ein echter Langweiler war. Keine Feste, dröges Essen wegen seiner Magenbeschwerden - Friedrich war ein Stubenhocker, der sich mit Vorliebe dem Studieren von Edelsteinen hingab. Da war er ein wahrer Kenner. Auch die Alchemie, das Handlesen und die Astrologie hatten es ihm angetan. Friedrich wollte wissen, was „die Welt in ihrem Innersten zusammenhält“, wenn man das hier so ausdrücken kann. Aus dem Interesse rührte wohl auch sein Kürzel AEIOU, das er auf allerlei persönliche Gegenstände anbrachte. Die Exegeten haben über 300 Deutungen zusammengebracht, was es mit diesem geheimnisvollen Kürzel auf sich hatte. Die bekannteste darunter ist eindeutig „Austria Est Imperare Orbi Universo“ - Alles Erdreich ist Österreich untertan. Wenn Friedrich dann ausnahmsweise doch einmal vor die Tür ging, verzichtete er darauf, standesgemäß im Sattel auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen. Friedrich bevorzugte das Reisen in der Kutsche, was so manchen irritierte. Höflicher ausgedrückt, war dem Habsburger das Maßhalten eine Tugend. Ruhm, Ehre und Ritterlichkeit bedeuteten ihm nicht viel.

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Eleonore dagegen war temperamentvoll und lebenslustig, zum Beispiel tanzte sie gerne. Friedrich hielt von solcher Lustbarkeit nichts, er wollte lieber fieberkrank werden, als seinen Leib zu betörenden Klängen zu verrenken. Eleonore dürfte sich in Wien kaum heimisch gefühlt haben, es war oft kalt und sie sprach kein Deutsch. Ihre einzige Vertraute aus Portugal, eine Hausdame, die sie nach Wien begleitet hatte, starb schon bald. Eleonore ging die Gemütlichkeit ihres Mannes ziemlich auf den Wecker, besonders regte sie auf, wie die Untertanen oft mit ihm umsprangen. Friedrich gab sich dann meistens mit einem seiner hausbackenen Sprüche zufrieden, und die Angelegenheit war für ihn erledigt. Der Reisewagen Eleonores wurde auf dem Rückweg von einer Andacht in der Nähe von Wiener Neustadt überfallen, und sie forderte die Bestrafung der Schuldigen. Friedrich winkte lethargisch ab. Es sei eben nicht möglich, einer jeden Hure Kind zu erziehen. Aber die Kaiserin ließ nicht locker, bis die Burg der Raubritter gebrochen war und die Räuber zur Verantwortung gezogen wurden. Die Kaiserin fuhr ihren Mann an, er sei es nicht wert, seine Scham mit einem Schurz zu bedecken, wenn er sich so auf der Nase herumtanzen lasse. In Portugal habe man andere Vorstellungen von Königswürde! Friedrich zog sich mit dem Hinweis aus der Affäre, die Rache sei die Wirtschafterin der Zeit. Dazu soll er gelacht haben, wie überliefert wird. Der Habsburger war ein kontaktarmer Einzelgänger, dem eine kühle Atmosphäre am angenehmsten war. Das fehlende Gemüt konnte er gut einweben in seine Vorstellung für die Würde und den Stolz auf das Amt des Kaisers, das ihn über seine Umgebung erhob. Zu seiner Politik passt wohl der Vergleich mit einer Spinne, die lange Zeit regungslos in ihrem Netz sitzen kann, bis sich die Beute von selbst darin verfängt.

Trotz alledem, Eleonore hatte ein gutartiges Gemüt, arrangierte sich der Umgebung und mit ihrem Gemahl, und schenkte ihm insgesamt fünf Kinder. Von diesen überlebten nur zwei das Kindesalter, Maximilian (*1459) und Kunigunde (*1465).

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Nach den ersten Ehejahren lebten die Gatten getrennt, Eleonora weiterhin in Wiener Neustadt, Friedrich in Graz. Die Kaiserin starb im 31. Lebensjahr, im September 1467. Friedrich hat die schöne Portugiesin bei aller Sprödigkeit seines Wesens nie vergessen. Er hat sich kein zweites Mal um eine Heirat bemüht, auch von Verhältnissen mit Hofdamen oder Mädchen niederen Standes ist nichts Genaues bekannt.

Zurück zur Politik und das Jahr 1453, als Eleonore noch mit Friedrich III. in Wiener Neustadt weilte, denn da geschah Umwälzendes. Gerade als Sultan Mehmed II. seinen Würdenträgern eröffnete, dass er entschlossen sei, Konstantinopel endgültig für den Islam zu erobern, schrieb ihm Kaiser Friedrich III. einen Brief, in dem er ihn aufforderte, von einem solchen Vorhaben Abstand zu nehmen. Angesichts des osmanischen Heeres war das eine kraftlose Lächerlichkeit. Ein halbes Jahr später ging in Wien ein Brief des Dogen von Venedig ein, in dem die am 29. Mai 1453 vollendete Eroberung Konstantinopels durch die Türken gemeldet und in ihren blutigen Einzelheiten geschildert wurde. Das zweite Rom am Bosporus war gefallen, eine existenzielle Säule der Christenheit! Es beruhigte niemanden, dass die Osmanen keine rohen Schlächter waren, sondern mit großer Staatsweisheit ein Reich mit festem Bestand zu schaffen wussten. Im Gegenteil, man musste es fürchten, dass der Sultan ankündigte, er wolle nun von Osten nach Westen marschieren, so wie einst die Abendländer von Westen nach Osten vorgedrungen seien.

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Friedrichs Berater Aeneas Sylvius war klar, dass man Ungarn nun helfend beistehen musste. Obwohl die Osmanen durch das Zerschlagen und Besetzen des Byzantinischen Reiches einen erheblichen Aggressionswert gesammelt hatten, schien Sylvius die Bildung einer christlichen Koalition als schwierig. Sylvius wusste, wie tatenscheu Friedrich III. war, lediglich dessen gute Beziehungen zum Papst waren vielleicht eine gute Voraussetzung. Hätten die beiden Universalmächte Kaiser und Papst noch die frühere Machtfülle besessen, hätten sie das Abendland wohl um sich gesammelt und zurückschlagen können. Aber der Kreuzzugsgedanke war tot, die Herrscher Europas hoffnungslos in ihre eigenen lokalen Probleme und Eifersüchteleien verstrickt. Aeneas Sylvius machte aus der abendländischen Zerstrittenheit auch noch ein Verdienst, indem er erklärte, Zwist im Inneren mache tüchtig für den Krieg nach außen, der im übrigen aussöhnend wirken werde. Das war nur eine ermahnende Phrase: Der Krieg gegen die Türken würde die Europäer nicht aussöhnen, er setzte vielmehr die allgemeine Versöhnung voraus.

Der Kaiser musste sich auf jeden Fall angesprochen fühlen, auch weil ihn Hunyadi von Belgrad aus dringend aufforderte. Auf den 24. April 1454 berief er einen Reichstag nach Regensburg ein, zu dem sogar Herzog Philippe von Burgund erschien. Dieser sah in der Führerschaft eines Kreuzzugs ein probates Mittel, um sein Ansehen zu steigern, so dass ihm die Königskrone am Ende von Friedrich nicht mehr vorenthalten werden konnte. Der hatte keine Lust, dem Burgunder eine derartige Gelegenheit zur Profilierung zu gönnen. Also erschien Friedrich in Regensburg nicht selber, sondern schickte Aeneas Sylvius als Abgesandten. Außer Laberei ergab sich auf dem Reichstag somit nichts Konkretes. Ende September 1454 tagten die Reichsstände in Frankfurt ein zweites Mal, ohne Anwesenheit des Kaisers und ohne Ergebnis in der Türkenfrage. Die Fürsten boten zwar das Aufstellen von Truppen an, allerdings blieb die Finanzierung ungeklärt. Ohne Geld keine Reichsarmee, es gab ja kein stehendes Heer. Angesichts von Friedrichs Untätigkeit musste vorher mit ihm Rücksprache gehalten werden. Die Fürsten bestimmten: zu Pfingsten 1455. Endlich gab es dann eine Stellungnahme des Kaisers: Okay, es soll ein halber Zehnt im ganzen Reich ausgeschrieben werden, um das Reichsheer aufzustellen. Treffpunkt, um das Ergebnis dieser Sondersteuer zu beraten: Daheim in Wiener Neustadt, im Frühjahr 1456. Was ist mit der Reform des Landfriedens?, gaben die Fürsten zu bedenken. Wenn sie in den Krieg ziehen sollten, musste in ihrer Abwesenheit die Sicherheit daheim gewährleistet sein. Wie gesagt, antwortete der Kaiser, nächstes Jahr in Wien, dann schauen wir weiter. Er hatte nicht genügend Autoritätspunkte für eine Reichsreform, woher auch bei seiner Untätigkeit. Derweil handelten die Türken und marschierten auf Belgrad zu, das unbedingt von dem militärisch versierten Ungarn Hunyadi verteidigt werden musste.

Hunyadi saß zu dieser Zeit in Ungarn fest im Sattel, nachdem er eine Hofintrige um die Österreicher Eizinger und Cilli abgewehrt hatte: Es hatte das Gerücht gegeben, Hunyadi strebe den Tod des jungen Ladislaus an, um weiter alleine in Ungarn herrschen zu können. Doch Hunyadi konterte, er bewirkte die Entlassung der beiden Intriganten (die sich auch untereinander bekämpften) und bot im Sommer 1455 auf einem Landtag in Ofen den Verzicht auf alle seine Ämter an. Doch die große Mehrheit verlangte stürmisch sein Bleiben, worauf Hunyadi sicherlich spekuliert hatte. Im Ergebnis stand er gefestigt da, während Eizinger und Cilli desavouiert waren.

Die Verteidigung von Belgrad 1456 gegen die Türken glückte entgegen aller Wahrscheinlichkeit tatsächlich, weil sich unter einem Prediger ein fanatisches Volksheer mit 60.000 Mann gebildet hatte. Man kann sich vorstellen, welches Blutbad sich an den Mauern Belgrads ereignet haben muss. Die erfolggewohnten Türken wurden von den vereinten Kräften dieses Mobs sowie den Heeressoldaten des Hunyadi zurückgeschlagen und mussten bei ihrer Flucht ihre besten Kanonen zurücklassen. Sowohl Hunyadi als auch der Prediger schrieben sich den glänzenden Sieg zu, aber beide starben bald darauf. Der große Feldherr und ungarische Regent Hunyadi fiel im August 1456 einer Lagerseuche zum Opfer. Der Tod dieser beiden charismatischen Anführer war für den Sultan beinahe so viel wert, als wenn er die Schlacht von Belgrad gewonnen hätte.

Wer sollte nach dem Tod Hunyadis nun die Regentschaft für Ladislaus in Ungarn übernehmen? Es war die Stunde seiner Widersacher, Ulrich von Cilli sicherte sich dieses wichtige Amt. Er benutzte seine Vollmachten unter anderem dazu, die hemmungslose Bereicherung des Hauses Hunyadi während der Jahre ihrer Regierung in einem Prozess zu untersuchen. Als Vertreter der Hunyadi wurden die beiden Söhne Laszlo und Matthias vorgeladen, die sich vor Gericht so glänzend verteidigten, dass Cilli gezwungen war, sich öffentlich mit ihnen zu versöhnen.

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Freispruch mit einer Bedingung: Laszlo Hunyadi hatte einige königliche Burgen unter seiner Kontrolle, die mussten an den neuen Regenten übergeben werden. Man fing mit der Festung von Belgrad an, deren Kommandant Laszlo war. Cilli hatte die Absicht, König Ladislaus mit sich nach Belgrad zu nehmen und Hunyadi in der Festung ermorden zu lassen, aber Hunyadi wurde beizeiten gewarnt und ließ nur Ladislaus und Cilli hinein, nicht aber deren Söldner. Am nächsten Morgen (dem 9. November 1456) griff Cilli während einer privaten Unterredung plötzlich Laszlo Hunyadi an. Die Freunde des Kommandanten hörten aber das Klirren der Waffen, griffen ein und streckten Cilli nieder. Der junge König, der in die Pläne eingeweiht war, verzieh daraufhin Hunyadi und schwor, dass er die Familie beschützen werde. Zum Zeichen seiner Aufrichtigkeit ernannte er Laszlo Hunyadi zum Schatzmeister und Generalkapitän des Königreichs. Hunyadi, der nichts Böses vermutete, begleitete den König nach Buda. Aber als er dort ankam, wurde er mit der Begründung festgenommen, dass er Ladislaus' Untergang plane. Ohne Einhaltung jeglicher legaler Formalitäten wurde Laszlo zum Tode verurteilt und am 16. März 1457 enthauptet. Dem jüngeren Hunyadi-Sohn Matthias, nun das neue Oberhaupt der Familie, erging es besser: Der 14jährige wurde im Kerker gehalten.

König Ladislaus stand kurz vor seinem 18. Geburtstag und erwartete sicher ungeduldig seine offizielle Regierungsfähigkeit.

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Wie es sich für seinen Stand gehörte, war es für ihn auch an der Zeit zu Heiraten. Ladislaus reiste nach Böhmen, wo er ja auch König war, um in Prag eine Tochter des französischen Königs Charles VII. an den Altar zu führen. Doch kurz vor der Hochzeit erkrankte Ladislaus schwer und starb unvermittelt am 23. November 1457. Das war für das Haus Habsburg eine Katastrophe! Der Versuch, eine Gesamtherrschaft über Österreich, Böhmen und Ungarn zu schaffen, war gescheitert. Natürlich kamen direkt Gerüchte auf, Podiebrad habe etwas mit dem Tod des Königs zu tun gehabt (moderne Untersuchungen des Skeletts haben ergeben, dass Ladislaus nicht vergiftet wurde, er hatte Leukämie).

Jetzt ging es nämlich um die Frage, wer in Böhmen und Ungarn jeweils die Krone erben würde. Großes juristisches Kino: Friedrich III. argumentierte, Böhmen sei jetzt als herrenloses Königreich ans Reich gefallen, da Ladislaus nach seiner Krönung bei ihm als Kaiser nicht offiziell um seine Belehnung angefragt habe. So ein Quatsch, antworteten die Böhmen: Der Kaiser solle mal einen Blick in die Bestimmungen der Goldenen Bulle werfen. Darin sei doch klar geregelt, dass in einem solchen Fall den Böhmen selbst die Thronfolge anheim gestellt werde. Außerdem habe Karl IV. im Jahre 1348 für Böhmen die agnatisch-kognatische Erbfolge bestätigt. Man müsse also mal gucken, was mit den beiden Schwestern des verstorbenen Ladislaus wäre: Anna war mit dem Wettiner Herzog Wilhelm III. von Sachsen verheiratet. Damit kamen die Wettiner eher ins Spiel als die Habsburger. Und Elisabeth war mit König Kasimir IV. von Polen verheiratet, das berechtigte die Jagellonen zur Nachfolge.

Gegen die Sache mit der weiblichen Erbfolge konnte Friedrich III. schlecht angehen. Selbst die vertragliche Erbverbrüderung, die das Haus Habsburg und das Haus Luxemburg damals geschlossen hatten, sah ausdrücklich die Möglichkeit auch weiblicher Erbfolge vor. König Albrecht II. hatte sich das seinerzeit extra von den Böhmen bestätigen lassen. Daran war Friedrich III. nun auch zu seinem Nachteil gebunden. Er versuchte es mit einem neuen Argument: Für Böhmen sei das Habsburger Hausrecht anzuwenden (das die rein männliche Erbfolge vorschrieb), seitdem der Habsburger Albrecht II. 1438 die Krone Böhmens übernommen hatte. Also bestünde auch jetzt eine Art Anwartschaft der Habsburger auf den böhmischen Thron. Das war mal wieder eine der juristischen Spitzfindigkeiten, mit denen Friedrich III. so gerne und langatmig hantierte. Die Böhmen setzten der Laberei entschlossen ein Ende: Sie selber waren nach ihrer Ansicht berechtigt, über die Besetzung ihres Königsthrons zu bestimmen, und zwar durch Wahl. In Prag brachen regelrechte Tumulte aus, die Utraquisten gingen auf die Straße. Sie wollten ihren Mann durchsetzen, nämlich Georg Podiebrad. Es gab auch Unterstützer für die Kandidaten der Habsburger, der Wettiner und der Jagellonen, aber die wurden eingeschüchtert bzw. bestochen. Podiebrad sorgte für vollendete Tatsachen, ließ sich von den böhmischen Fürsten wählen und durch „seinen“ Erzbischof Rokycan krönen. Zack.

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Noch schneller als in Böhmen sah sich Friedrich III. in Ungarn vor vollendete Tatsachen gestellt. Am Tage nach Ladislaus' Tod war Matthias, der Bruder des enthaupteten Laszlo Hunyadi, in Prag eingetroffen. Sofort behandelte Podiebrad den Knaben äußerst zuvorkommend, bot ihm sogar eine Tochter zur Ehe. Der gewiefte Politiker Podiebrad hatte ein Interesse daran, dass die nationalistischen Hunyadi in Ungarn am Ruder blieben – dann konnte dort nämlich kein Habsburger die Macht ergreifen, was ihn wieder in Böhmen bedroht hätte. Nach Möglichkeit sollte Matthias Hunyadi sogar ungarischer König werden, dann wäre das Thema „Habsburg in Ungarn“ endgültig abgehakt. In Ungarn roch es zunächst nach Erbfolgekrieg, denn neben Matthias Hunyadi beanspruchten die Habsburger und die Jagellonen den Thron für sich. Innerhalb Ungarn gab es jene, die für die Hunyadi waren und jene, die Grund dazu hatten, ihre Macht zu fürchten. Das waren jene ungarischen Adeligen, die die Hunyadis als traditionslose Emporkömmlinge verachteten, denen sie ihre persönliche Bereicherung neideten, und die Ladislaus als Garanten ihrer eigenen Zukunft bevorzugt hätten. Truppen wurden zusammengezogen, während parallel diplomatische Beratungen liefen. Da sollen die Truppen, die auf dem Eis der Donau zu frieren begannen, dem Hin und Her der Verhandlungen mit dem plötzlichen Aufschrei „Es lebe König Matthias“ ein Ende gemacht haben.

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Entgegen aller dynastischer Rechte und Gewohnheiten siegte ein urwüchsiges ungarisches Nationalgefühl, das unter dem Druck der Türken entstanden war. Man merkt an solchen Ereignissen wie denen des Jahres 1457 in Böhmen und Ungarn, wie das Mittelalter allmählich endet und eine neue Zeit anbricht. Am 24. Januar 1458 wurde Matthias zum König gewählt und bestieg den ungarischen Thron. Die mittelalterlichen Traditionalisten in Ungarn reagierten darauf, indem sie Friedrich III. die Krone anboten. Praktischerweise war der noch im Besitz der Stephanskrone, so dass er sie sich in Wiener Neustadt gleich aufs Haupt setzen lassen konnte. Da war wieder das alte Problem: Der eine saß mit der rechten Krone am falschen Ort, der andere mit der falschen Krone am rechten Ort.

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Blieb als letzter Teil aus Ladislaus' Erbe noch das Herzogtum Österreich. Nach dem Habsburger Hausrecht musste Friedrich III. das Prinzip der Gesamtherrschaft beachten, also mit seinen Verwandten teilen, namentlich mit seinem Bruder Albrecht und seinem Cousin Siegmund. Die zähen Verhandlungen darüber zogen sich bis Mitte 1458 hin. Siegmund erhielt die Vorlande, Albrecht einen Anteil an den Einkünften aus Gesamtösterreich und einen Posten im Rat. Wen wundert es bei all diesen Angelegenheiten, dass Friedrich III. als Kaiser weiterhin leider keine Zeit dafür fand, die Reichsreform voranzubringen? Ohne Landfrieden keine Bereitschaft der Fürsten, Teil eines Reichsheeres zu werden, von der Finanzierung ganz zu schweigen.

Um es vorneweg zu nehmen: Die Unfähigkeit zur Reichsreform zog die Unfähigkeit zur äußeren Verteidigung nach sich. Das war der Nenner, unter dem man die Kreuzzugsberatungen auch der folgenden Reichstage in den 1460ern zusammenfassen konnte. Nur wurde die Türkennot in der Zwischenzeit immer drängender. Ungarn allein hielt die Osmanen nicht mehr auf, nachdem sich der Sultan 1463 Bosnien unterworfen hatte. Von dort aus war der Weg durch Kroatien nach Krain, Kärnten und in die Steiermark nicht mehr weit, die ungarische Tiefebene konnte umgangen werden. Im Jahre 1469 fielen leichte Überfall-Einheiten zum ersten Mal in die innerösterreichischen Gebiete ein. Sie drangen von Möttling an der Kulpa aus bis in die Gegend von Cilli vor, töteten viele Einwohner, verbrannten die Felder und Weinberge, schleppten 20.000 Menschen in die Sklaverei. In den 1470ern kamen die Mordbrenner jeden Frühling wieder. Sie waren auf ihren flinken Pferden viel zu beweglich, um von der schlecht organisierten Landwehr ernsthaft gehindert werden zu können. Auf eine Belagerung verstanden diese Banden sich nicht, da das Mitführen von Artillerie und Belagerungsgerät sie ihrer Schnelligkeit beraubt hätte. Aber was außerhalb der Befestigungen von Laibach, Klagenfurt etc. verblieb, war ihnen gnadenlos ausgeliefert. Selbst ein Phlegmatiker wie Friedrich III. konnte nicht tatenlos zusehen, wie die Türken bis an die Krain rückten und immer wieder seine Ländereien verwüsteten. Schutz dagegen konnte dem Kaiser nur ein großer, siegreicher Feldzug nach Bosnien und Serbien hinein geben. Es geschah etwas „Unerhörtes“, der Kaiser begab sich höchstpersönlich zu dem nächsten Reichstag im Frühjahr 1471 in Regensburg. Im Reich machte sich Erleichterung breit, endlich nahm der Habsburger sich der Sache an. Aber jetzt, da es konkreter wurde, ging der Streit um die Erhebung der Reichssteuer erst richtig los. Fürsten, Ritter und Städte zankten wochenlang um die Lastenverteilung. Und selbst als die Steuererhebung leidlich skizziert war, musste das Geld ja auch noch tatsächlich eingetrieben werden. Am Ende kam konkret die Zusage zustande, gerade einmal gut 10.000 Mann zur bedrohten Südostgrenze des Reiches zu schicken. Da hatten Kaiser und Reichsfürsten nach jahrelanger Beratung nicht sonderlich viel realisiert. Von einer Koalition mit Frankreich, Burgund und Italien ganz zu schweigen.

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Einer, der es wissen musste, sah dieses magere Ergebnis schon 1458 voraus, als Friedrich III. noch mit dem Nachlass des Ladislaus beschäftigt war: Aeneas Sylvius, der Berater des Kaisers. Der Bischof hatte in diesem Jahr einen bedeutenden Karrieresprung gemacht, er wurde nach dem Tod von Calixt III. zu dessen Nachfolger gewählt und nannte sich fortan Pius II. (1458-1464). Als Papst berief er für 1459 sogleich einen Fürstenkongress nach Mantua ein, um neuen Schwung in die Türkenfrage zu bringen. Dass sein früherer Arbeitgeber Friedrich III. lediglich eine nicht standesgemäße Delegation schickte, bestätigte Pius II. in seiner langjährigen Kenntnis von dessen geizigem und phlegmatischem Charakter, und er gab sich keinen Illusionen hin, den Kaiser aufrütteln zu können. Mit England sah es nicht besser aus, hier saß der depressive Henry VI. auf dem Thron und das Land versank gerade im Bürgerkrieg. Wirklich enttäuschend war, dass selbst der Herzog von Burgund nicht persönlich erschien, obwohl Philippe doch so lauthals die Führung gegen die Türken für sich beansprucht hatte. Doch der Burgunder musste gerade vor Frankreich auf der Hut sein und konnte es sich nicht erlauben, in so einer Situation außer Landes zu gehen. Frankreich stellte für seine Teilnahme an dem Kongress die Vorbedingung, dass der Papst den französischen Anspruch auf Neapel voranbringt. Die französischen Ambitionen veranlassten wiederum den neuen König von Neapel, Ferdinand I. (1458-1494), dazu, lieber zu Hause zu bleiben. Weil die Großen alle absagten, zeigten sich auch Florenz und Mailand nicht bereit, im Alleingang zu handeln. Nur Venedig war zum Handeln bereit – was kein Wunder war, waren es doch ihre Handelsposten im östlichen Mittelmeer, die die Türken unter ihre Kontrolle brachten. Jahrelang strampelte sich Pius II. bis zu seinem Tod 1464 redlich ab, die christliche Koalition doch noch auf die Beine zu stellen. Vergeblich.

In Deutschland war man inzwischen ebenfalls unzufrieden mit der Untätigkeit des Kaisers in Sachen Reichsreform. Die Kurfürsten dachten darüber nach, Friedrich III. abzusetzen, grundsätzlich hatten sie ja die Befugnis dazu. Das Problem war, dass der Habsburger bereits vom Papst zum Kaiser gekrönt worden war, und deshalb hätte der einer Absetzung mit zustimmen müssen. Wenn sich Friedrich III. aber mit jemandem gut verstand, dann war das der Papst. Eine bloße Absetzung war rechtlich also nicht machbar. Es musste ein anderer Weg gefunden werden. Die Kurfürsten kamen auf die Idee, man könne doch unterhalb des Kaisers einen „geschäftsführenden“ König ernennen, der anstelle des faulen Friedrich III. die Sachen in die Hand nimmt. Die Position des Römischen Königs parallel zum Römischen Kaisers war nicht neu, das war in der Vergangenheit aber die Bezeichnung für den Sohn und designierten Nachfolger des amtierenden Kaisers gewesen. Es wurde also ein bewährter Name mit einem neuen Verständnis gefüllt. Okay, fragten sich die Kurfürsten, wer soll diesen Job machen? Philippe von Burgund – zu mächtig, zu heikel. Der Habsburger Albrecht – der war Brandenburg und Sachsen nicht recht. Wie wäre es dann mit dem Wittelsbacher Friedrich I. von der Pfalz?

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Friedrich I. „der Arrogator“ von der Pfalz

Der führte seit 1451 die Herrschaft über die Pfalz, nachdem sein Bruder Ludwig IV. gestorben und dessen Sohn mit einem Jahr Alter natürlich noch zu jung für die Nachfolge war. Um die Pfalz mit Zustimmung der Kurfürsten und des Papstes übernehmen zu können, adoptierte Friedrich seinen Neffen und verzichtete für sich auf den Abschluss einer Ehe und somit auf das Zeugen eigener legitimer Erben. Dieser Vorgang heißt Arrogation, Friedrich I. wurde deshalb auch als „der Arrogator“ bezeichnet. Der Arrogator war damals 27 Jahre alt, ein glänzender Ritter, tüchtiger Politiker und zupackender Administrator – die Pfalz war zu klein für seinen Ehrgeiz. Das war der Typ eines Fürsten, mit dem Friedrich III. am wenigsten zu tun haben wollte, die beiden unterschieden sich wie Feuer und Eis. Man kann sich also vorstellen, was Friedrich III. von dem Vorschlag hielt, den Arrogator zum geschäftsführenden König zu krönen. Der Habsburger erkannte richtig, dass er dann zu einem bloßen Zeremonienmeister degradiert worden wäre, zuständig nur noch für repräsentative Aufgaben. Verbündete gegen den Plan der Fürsten hatte Friedrich schnell gefunden: Albrecht Achilles von Ansbach war ebenfalls gegen den Arrogator, denn der Wittelsbacher wäre dann zum dominierenden Herrscher in Süddeutschland geworden. Und dem Papst schmeckte diese Abwertung des Kaisertums schon grundsätzlich nicht.

Friedrich III. musste mal wieder keinen Finger rühren, um im Reich präsent zu sein. Das erledigte Ansbachs Albrecht Achilles für ihn, der war ein exzellenter Politiker und Feldherr. Die Wittelsbacher reagierten, indem Bayern und Pfalz 1458 vorsorglich ein Bündnis schlossen. Da musste Albrecht Achilles natürlich nachziehen, Ansbach schloss sich mit Hessen, Sachsen, Württemberg, Baden und Mainz zusammen. Es roch mal wieder nach Krieg in Süddeutschland. Albrecht Achilles zögerte, das Schwert gegen Bayern zu ziehen. Sein Verbündeter Wilhelm von Sachsen mahnte, die Dinge wegen der ungeklärten Haltung Böhmens in seinem Rücken nicht zu übereilen. Albrecht Achilles schaltete sich ein und klärte die Sache: Die Wettiner in Sachsen verzichteten auf ihren Anspruch auf die böhmische Krone. Der Krieg gegen Bayern und die Pfalz konnte losgehen.

Podiebrad durfte zufrieden sein. Da er gerade so umworben wurde, fragte er gleich mal bei Friedrich III. nach, ob der ihn nicht endlich als böhmischen König anerkennen könne. Böhmen würde dann nicht nur die Reichsacht gegen Bayern unterstützen, sondern auch dem Kaiser dabei helfen, in Ungarn Matthias Hunyadi vom Thron zu stoßen. Zwischen Österreich und Ungarn lief bald der Waffenstillstand ab. Und da der Krieg in Süddeutschland für Albrecht Achilles sich gerade schlecht entwickelte, konnte Podiebrad dem Kaiser noch zu bedenken geben, dass die Kurfürsten sich auch ihn durchaus für die Position des Römischen Königs vorstellen konnten. Immerhin schrien die Verwüstungen des laufenden Krieges sowie die Missernte von 1460 dringend nach einer entschlossenen Führung des Reiches. Friedrich III. reagierte so wie gewohnt: Er reagierte nicht darauf – und kam damit durch. Podiebrad hatte sich mit dem Ausgreifen auf den Römischen Königstitel überschätzt, denn bei den Kurfürsten besann man sich darauf, dass Podiebrad nicht nur böhmischer König, sondern auch Anführer der ketzerischen Utraquisten war. Das machte ihn für die römische Krone unmöglich, sie konnte nur an lupenreine Katholiken gehen. Podiebrad wäre wohl bereit gewesen, sein Fähnlein nach dem Wind zu drehen. Doch zuhause stellten sich drohend die Utraquisten vor ihm auf und ermahnten ihn, in Glaubensfragen nicht umzukippen. Podiebrad musste klein beigeben, er hatte zu hoch gepokert.

Zurücklehnen konnte sich der Kaiser eigentlich nicht. Ungarn war weiter in der Hand von König Matthias Hunyadi. Der wird übrigens auch Matthias Corvinus genannt, wegen des Raben in seinem Wappen.

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Die Kurfürsten waren immer noch sauer wegen der Untätigkeit des Kaisers, der Krieg in Süddeutschland tobte, und in Österreich hatte man auch die Faxen dicke, weil die Türken und marodierende Raubritterbanden das Land unsicher machten, ohne das Friedrich III. etwas dagegen unternahm. Der Kaiser beschäftigte sich zu dieser Zeit lieber mit der Prägung einer neuen Münze, was seiner Neigung zur Betrachtung von Edelmetallen zweifellos entgegenkam. Die Probleme allerorts ignorierte er. Jetzt reicht es, beschlossen die Österreicher, und fragten 1461 Erzherzog Albrecht, ob der nicht mit Waffengewalt für Ordnung im Land sorgen könne. Notfalls auch gegen den Willen und gegen die Truppen seines Bruders.

Albrecht zögerte zunächst, aber als Matthias von Ungarn ihm Unterstützung zusagte, fasste er Mut und erklärte seinem Bruder Friedrich III. den Krieg. Bald darauf wurde Wien von Truppen aus Österreich, Ungarn und Bayern belagert. Weil Ansbach im Krieg gegen Bayern einen klar negativen Warscore hatte, musste der Kaiser jemand anders um Vermittlung bitten. Das konnte nach Lage der Dinge ausgerechnet nur der Böhme Podiebrad sein, den Friedrich III. kurz zuvor noch düpiert hatte. Podiebrad verpflichtete den Kaiser, sich wegen dieser Utraquisten-Geschichte für ihn positiv beim Papst zu verwenden. Anschließend reichte die Drohung Böhmens, in Österreich einzumarschieren: Albrecht musste mit seinem Bruder einen Waffenstillstand schließen und die Belagerung von Wien abbrechen. Der Erzherzog verzieh dem Böhmen den erzwungenen Frieden nicht mehr. Podiebrad setzte noch einen drauf und erklärte Böhmens Kriegseintritt auf Seiten Bayerns und der Pfalz gegen Ansbach. Der Kaiser versuchte noch, das Ruder zu wenden und forderte die ihm unterstehenden Reichsstädte (Nürnberg, Ulm, Frankfurt etc.) zum Eingreifen auf. Die verhielten sich wie sonst der Kaiser: Gemach, wir müssen mal gucken. Da blieb dem bereits angeschlagenen Albrecht Achilles nur noch übrig, 1462 einem Frieden mit den Wittelsbachern zuzustimmen.

Der Krieg war aus, jetzt konnte es endlich weitergehen mit der Reichsreform und der Türkenfrage? Nein, konnte es nicht. Der Reichsmarschall musste im Oktober 1462 vor die versammelten Fürsten in Regensburg treten und sie auffordern, seinem Herrn Hilfe zu bringen: der Kaiser werde von seinen eigenen Untertanen, den Bürgern von Wien, in Wien selbst belagert, sein Schloss werde beschossen, sogar sein Leben sei in Gefahr. Bald war die Lage wie zuvor: Erzherzog Albrecht verbündete sich mit den Bürgern und schickte Verstärkung für die Belagerung. Wieder war der Kaiser in solcher Not, dass er jetzt befahl, die Wiener Stadtteile um seiner Burg in Brand zu schießen. Und wieder sollte Böhmen ihn raushauen. Podiebrad schickte seinen Sohn mit einem Entsatzheer, das sich im November 1462 mit Albrechts Truppen vor Wien eine Schlacht lieferte, die unentschieden ausging. Trotzdem musste der Erzherzog wieder Frieden schließen: Böhmen hatte Reserven im Rekrutenpool, er nicht. Ohne Beteiligung des Kaisers bestimmte Podiebrad im Friedensvertrag, dass Albrecht für die Dauer von acht Jahren Niederösterreich vom Kaiser übernimmt und diesem aus den Einkünften jährlich 4.000 Gulden abgibt. Also eine Art Frieden mit „Kriegsreparationen 10% der Einnahmen“, die Friedrich III. akzeptieren sollte. Der Kaiser nahm den Vertrag widerspruchslos an, die Wiener Bürger stimmten aus Kriegsmüdigkeit zu.

Für seinen Einsatz ließ sich Podiebrad jetzt wahrhaftig „fürstlich“ vom Kaiser entlohnen: Die Söhne Podiebrads wurden in den Reichsfürstenstand erhoben, falls Friedrich III. vor der Volljährigkeit seines Sohnes Maximilian stürbe, sollte der Böhme dessen Vormund mit einer jährlichen Zahlung von 100.000 Dukaten werden, und falls sowohl Friedrich III. als auch Maximilian ohne Erben stürben, sollte Podiebrad ihre Hauslande erben!

So dankbar, wie der Kaiser dem Böhmen für seine Rettung war, so sehr war das Verhältnis zu seinem Bruder Albrecht nun zerrüttet. Das sollte nicht lange andauern, Friedrich wurde von seinem Bruder durch dessen Tod am 2. Dezember 1463 befreit. Wahrscheinlich starb der Erzherzog an den Spätfolgen einer Seuche. Das Verhältnis zwischen Friedrich III. und seinem Cousin Siegmund dagegen war vielleicht, beim Aufteilen von Albrechts Besitz wurden sie sich durchaus einig. Wenn es ums Geld ging, griffen beide gerne zu – der eine aus Raffsucht, der andere aus Verschwendungssucht. Die Verhältnisse in Österreich waren wieder geklärt, Friedrich III. war nun selber der Erzherzog und rechnete genüsslich mit den Anführern des Bürgeraufstands ab. Sie wurden vom Scharfrichter geköpft, mit Ausnahme des Bürgermeisters – für den war das zu milde. Er wurde erst gefoltert und dann gevierteilt.

Es ging wieder aufwärts für den Habsburger. In Ungarn stand Matthias Corvinus so unter dem Druck der Türken, dass er den Kaiser als Fürsprecher einer christlichen Koalition benötigte. Der Deal war, dass Friedrich III. ihn als König anerkannte, der kinderlose Matthias auf das Gründen einer Dynastie verzichtete und Friedrich III. bzw. dessen Sohn Maximilian als seine Nachfolger akzeptierte. Über Ungarns Zukunft würde also weiterhin der kaiserlich-habsburgische Doppeladler schweben. Weil also gerade Ausgleichspolitik angesagt war, kam Friedrich III. auch mit den Wittelsbachern zu einem Weißen Frieden überein: Bayern verzichtete auf seine Eroberungen aus dem Krieg gegen Ansbach, dafür nahm der Kaiser Bayern und die Pfalz aus der Reichsacht. Schwamm drüber über den Krieg, der Süddeutschland verwüstet hatte.

Also dann, ein neuerlicher Anlauf, genügend Reichsautorität für die Reichsreform zu sammeln. Aber den torpedierte der Kaiser versehentlich selbst, es ging in diesem Fall um den Norden des Reiches. Dazu muss ich kurz ausholen: Nach dem Tod des Grafen von Holstein und Herzog von Schleswig Adolf VIII. im Jahre 1459 war seine Linie ausgestorben. Holstein war ein Lehen des Reichs, Schleswig ein Lehen vom Königreich Dänemark. Als Lehensmann des dänischen Königs war Adolf Mitglied des Kopenhagener Reichsrats gewesen. 1444 hatten ihm die dänischen Stände sogar die freigewordene Königskrone angeboten, aber er hatte abgelehnt und auf seinen Neffen verwiesen: Christian, Graf von Oldenburg und Delmenhorst, ein Halbdäne. Der bestieg als Christian VI. den Thron und erfreute sich des besten Einvernehmens mit seinem Onkel, zum Beispiel beim Niederschlagen der freiheitsbewussten Bauern in Dithmarschen, aber auch wegen seiner Bereitschaft, die Trennung Schleswigs vom Königreich Dänemark anzuerkennen. Das dänische Reichsgesetz sah nämlich vor, dass eine Personalunion als König von Dänemark und Herzog von Schleswig nicht gestattet war. Christian VI. wäre in Schleswig aber der Erbe seines Onkels gewesen, also sollte das Herzogtum beim Reich bleiben und durch einen der Brüder von Christian geerbt werden.

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Als Adolf VIII. dann 1459 starb, hatte Christian VI. das dänische Recht inzwischen ändern lassen und ließ sich doch zum Herzog von Schleswig und Graf von Holstein wählen. Seine Brüder schob er zur Seite, wohl gegen Geld erklärten sie artig ihren Verzicht. Nach deutschem Reichsrecht war es zulässig, dass ein außerhalb des Reiches stehender Herrscher auch Lehensträger innerhalb des Reiches sein konnte (ein solches Verbot kommt in EU4 erst mit einer der späteren Reichsreformen). Es war nicht einmal verboten, dass sich ein solcher Herrscher gar die Kaiserkrone aufsetzte, wenn ihn die Kurfürsten nur wählten. Christian VI. unterließ es lediglich, sich ordnungsgemäß vom Kaiser belehnen zu lassen, und das konnte man ihm formal ankreiden.

Kurfürst Friedrich von Brandenburg machte es dem Kaiser gegenüber geltend, weil er gerne selber Graf von Holstein werden wollte. Aber die Situation im Reich war damals nicht danach, Dänemark zu etwas zwingen zu können, es lief gerade der Streit um die Position des neuartigen Römischen Königs. Friedrich III. entschloss sich auch hier wieder dazu, gar nichts zu unternehmen. Christian VI. hatte ihn nicht um Belehnung gebeten, also erkannte er ihn stillschweigend auch nicht an. Im Norden hatte er als Kaiser eh nichts zu melden, hier war stattdessen die Hanse der Konkurrent Dänemarks. Aber selbst für die Hanse interessierte sich Friedrich III. nicht, obwohl er sie vielleicht hätte nutzen können, denn der Bund der Kaufleute roch ihm zu sehr nach Republik. Das war nichts für den erklärten Aristokraten Friedrich.

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Noch so eine republikanische Veranstaltung war das erwähnte Dithmarschen. Schlimmer noch als die Hanse, denn hier hatten sich Bauern 75% Autonomie von ihrem Lehnsherrn, dem Erzbischof von Bremen, erstritten. Nach guter feudaler Art sah Friedrich III. die renitente Bauernrepublik als „herrenlos“ an. Die Lehnspyramide hatte lückenlos zu sein – kein Land ohne einen Herren, war das entsprechende Prinzip. Widerborstige Landbewohner mochten derzeit die tatsächliche Macht ausüben, das zählte nach seiner Rechtsauffassung aber nicht als feudale Herrschaft. Der Nutznießer von Friedrichs Haltung war Dänemark: Christian VI. erhielt die Erlaubnis, sich Dithmarschen zu unterwerfen und es mit Holstein zu einem neuen Herzogtum des Reiches zu verbinden. Sicher freute sich der dänische König darüber. Nur: Die Dithmarscher und die Hansestädte sorgten bald dafür, dass der Kaiser seinen Rechtsirrtum bemerkte, und Christian VI. sah sich bei schlechtem Wetter in einem unangenehmen Unterwerfungsfeldzug gegen kampfbereite Friesenbauern.

Der Kaiser musste sich vom Bremer Erzbischof belehren lassen, dass die Argumente der Bauern in Dithmarschen rechtlich in Ordnung waren, und nahm 1481 die Belehnung Christians mit diesem Land zurück. Der aber war gestorben, kurz bevor die Nachricht Kopenhagen erreichte, und seine Nachfolger scherten sich nicht um das kaiserliche Machtwort. Friedrich III. zuckte mit den Schultern und suchte nach dem nächsten Fettnäpfchen. Damit wären wir bei dem Rundblick beim Deutschen Orden.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 12. Oktober 2018 20:57

Der Deutsche Orden ist in EU4 keine leichte Wahl für eine Partie. Schon 1395 hatte König Wenzel ihm den Heidenkrieg verboten, da sich kurz zuvor Litauen als katholisch erklärt hatte. Jedenfalls offiziell, und das genügte. Damit war dem Orden seine Daseinsberechtigung entzogen, die Polen konnten ihn auf dem Konstanzer Konzil von 1415 sogar als ketzerische Organisation hinzustellen versuchen. Das zeigte, dass die Polen unablässig daran dachten, dem Deutschen Orden nach ihrem Sieg von Tannenberg (1410) irgendwann einmal den Fangstoß zu geben. Der Druck musste gut dosiert gegeben werden, denn Papst und Kaiser waren von Amts wegen dem Schutz des Ordens verpflichtet. Doch das Ordensland war kein monolithischer Block, den Ordensmitgliedern mit ihren Bischöfen und Domkapiteln standen eine Bürgerschaft in den Städten sowie ein nicht an den Orden gebundener Landadel gegenüber. Klerus, Bürger, Adel – da sind sie wieder, die drei Stände. Diese Bürger und der Landadel schlossen sich unter der Führung von Danzig zum „Preußischen Bund“ zusammen, um ihre rechtlichen Interessen gegenüber dem Orden zu wahren. Für die Ordensleute war die angestrebte Minderung ihrer Privilegien eine Zumutung, über die sie sich beim Kaiser beschwerten.

Der Hochmeister Konrad von Erlichshausen wandte sich im Jahre 1453 an den Kaiser, um den Preußischen Bund für illegal erklären zu lassen. Es hätte der 14.000 Gulden Handsalbe, die dabei flossen, nicht bedurft, denn selbstverständlich war der Preußische Bund illegal. Die Kirche besaß in inneren Angelegenheiten eine von den Kaisern oft genug garantierte Freiheit: Die Ordensleute waren Kleriker, folglich durch Sonderbünde in ihrem Kirchenland nicht einschränkbar. Der Bund hatte sich aufzulösen. Er unterstellte sich aber sofort dem Schutz Polens, das 1454 das Ordensland zu polnischem Territorium erklärte. In Deutschland herrschte Empörung über das polnische Vorgehen, hier verlangte man ein militärisches Vorgehen gegen Polen. Friedrich III. reagierte 1455 mit der Reichsacht über den Preußischen Bund, ein Feldzug gegen Polen kam aber nicht auf die Beine. Erst musste die Türkengefahr abgewendet werden – doch dieser Kreuzzug kam nicht zustande, weil die polnische Angelegenheit nicht erledigt war. Die Wahrheit war, dass Friedrich III. es sich nicht mit seinem Schwager, dem polnischen König Kasimir IV., verscherzen wollte. Er brauchte ihn vielleicht noch gegen den Böhmen Podiebrad. Mit der Acht gegen den Preußischen Bund hatte Friedrich III. seine kaiserliche Pflicht getan, das musste genügen.

Nachdem dem Orden 1466 das Geld ausgegangen war, seine Söldner zu bezahlen, musste er in Thorn einen demütigenden Frieden schließen, der ihn von seiner Landbrücke zum Reich abschnitt. Kasimir IV. übernahm Westpreußen, das Gebiet um die Weichsel, Marienburg, das Kulmer Land sowie das Ermland. Das waren jene wirtschaftlich starken Gebiete, in denen der Preußische Bund gut organisiert war. Jetzt war nach Holstein also auch noch weiteres Reichsgebiet aus dem Verband ausgeschieden, weiterer Abzug bei den kaiserlichen Autoritätspunkten. Friedrich III. fand das offenbar nicht so schlimm, die Polen waren nach allem doch keine Türken. Es rührte ihn daher auch nicht, wenn Kasimir anschließend die Neumark ins Visier nahm, die der Deutsche Orden im Jahre 1402 an Brandenburg verpfändet hatte.

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Damit sprach Polen gegenüber Brandenburg eine Warnung aus: die Hohenzollern sollten lieber von ihrem Plan ablassen, ihre Nachbarn in Pommern anzugreifen, um sich an den Strand der Ostsee auszudehnen. Es ging dort mal wieder um einen Erbfolgestreit, seitdem Otto III. im Jahre 1464 gestorben war und der Brandenburger Friedrich II. dessen Pommersches Teilherzogtum Pommern-Stettin als erledigtes Lehen einziehen wollte. Dagegen hatten die Herzöge der überlebenden Wolgaster Linie des Greifenhauses etwas. Friedrich II. musste nun erkennen, dass die Pommern mit Polen eine mächtige Schutzmacht hinter sich hatten.

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Friedrich II. von Brandenburg übergab dann, nach erfolglosen Kämpfen um Pommern, im Jahre 1470 die Herrschaft seinem Bruder Albrecht Achilles (den kennen wir schon von Ansbach). Weil Friedrich bald darauf im Februar 1471 starb, war Albrecht Achilles das alleinige Oberhaupt der Hohenzollern, Ansbach und Brandenburg waren jetzt gemeinsam unter seiner Regierung.

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Gemäß den Bestimmungen der Goldenen Bulle von 1356 passte Albrecht Achilles das Hausgesetz der Familie, die Dispositio Achillea, an: Die Kurmark Brandenburg war stets unteilbar an den ältesten Sohn zu vererben.

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Warum auch hätte Friedrich III. mit einer Expansion Brandenburgs die Hanse reizen, den polnischen König verstimmen, am Ende den Deutschen Orden zur Revanche anstacheln sollen? Diese Ecke des Reiches interessierte ihn wenig. Solange er mit Podiebrad auf gutem Fuße stand, weil dieser ihn zur Vermittlung in Rom brauchte, konnte er hinter Böhmen den Kopf einziehen, ohne deshalb die Beziehungen zu Polen zu gefährden. Polen konnte noch wichtig werden gegen Ungarn. Die Reichsfürsten hielt der Habsburger nicht für gefährlich, solange sie den „Römischen König“ in der Schublade ließen und solange sie nicht mit dem mächtigen Burgund Ränke spannen. Herzog Philippe neigte schon dem Grabe zu, sein feuriger Sohn Karl führte die Staatsgeschäfte.

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Den musste er genau im Auge behalten, ebenso wie es sicherlich der französische König Louis XI. tat. Alles war in einem lähmenden Gleichgewicht. Warum sollte der erfahrene, phlegmatische Kaiser in der Mitte dieser Kräfte mit diesem Zustand nicht zufrieden sein?

Ruhe war ihm nicht beschieden, das lag an seiner eigenen schlechten Zahlungsmoral. Der Kaiser war kein guter Landesvater: Viel an Selbsthilfe, die seine Gläubiger übten und dabei mit Exzess verwechselten, war seine Schuld. Unter denen, die Österreich verwüsteten, um sich daran schadlos zu halten, befanden sich Jörg von Stein und Wilhelm von Puchheim. Wilhelm war derjenige gewesen, der den Tross der Kaiserin ausgeraubt hatte, weswegen seine Burg eingeäschert worden war, und der nun nach Vergeltung schnaubte. Zentrum der Kämpfe wurde die Stadt Steyr, die Jörg von Stein durch die Truppen des Kaisers entrissen wurde. Da kamen Abgesandte des Böhmenkönigs und erklärten dem Kaiser, er habe den vom Stein gefälligst im Besitz der Steyrer Pfandschaft zu lassen, denn König Podiebrad habe diesen unter seinen Schutz genommen. Denn auch Podiebrad hatte noch einige Ersatzforderungen an Friedrich, infolge von dessen Befreiung aus der Belagerung von Wien. Friedrich III. ließ ihm erwidern, er sei bereits befriedigt, sei außerdem ein frecher Nachbar, weil er die Rebellen unterstütze. Außerdem sei er ein Abtrünniger von der römischen Kirche. Als Podiebrad davon erfuhr, wäre er gerne in Österreich eingefallen. Aber er war sich nicht sicher, was die Hohenzollern und Wettiner dann in seinem Rücken unternehmen würden. Ungarn befand sich gerade in gutem Einvernehmen mit Österreich, dort konnte Böhmen keine Mithilfe erwarten. Im Gegenteil: Nach Lage der Dinge war Matthias Corvinus der geeignete Kriegshauptmann gegen den Ketzerkönig.

König Matthias war zwar der Schwiegersohn des Podiebrad (er hatte 1461 dessen Tochter geheiratet), aber er hatte erkannt, dass er die Ressourcen des Reiches anzapfen musste, wenn er Ungarn gegen die Türken behaupten wollte. Feldzüge führen konnte Matthias – für den nach Böhmen erhielt er sogar den Segen des Papstes, denn offiziell ging es um den Schutz der böhmischen Katholiken. Paul II. ging dabei so weit zu verkünden, dass die Pflicht zum Kreuzzug gegen die Türken auch gegen den Böhmenkönig erfüllt werden könne. Militärisch waren die ungarischen Truppen siegreich, und 1469 wurde Matthias von den böhmischen Oppositionellen zum Gegenkönig gewählt. Für den Hunyadi ein wichtiger Schritt, eines Tages zum deutschen Kaiser gewählt zu werden.

Das passte Friedrich III. gar nicht. Okay, zunächst hatte Podiebrad ihm den Allerwertesten vor den Wienern gerettet, nun schützte Matthias ihn vor Podiebrad. Aber deshalb Matthias als König von Ungarn und Böhmen beidermaßen? Der Kaiser konnte das Zusammenwachsen zweier großer Königreiche an seinen Nord- und Ostgrenzen nicht wollen. Als Matthias dann auch noch den Vorschlag machte, er könne ja Friedrichs Tochter ehelichen und stünde damit als Erbe des Habsburger Besitzes zur Verfügung, falls Maximilian in den nächsten Jahren sterben würde, dürfte Friedrich III. nur noch den Kopf geschüttelt haben. In dieser Frage sprang ihm sogar Venedig bei, die Lagunenstadt konnte kein Interesse an einem so starken Ungarn haben, weil sie sich mit Matthias um Dalmatien (Ragusa) stritten. Der Papst war verzweifelt, denn er brauchte gegen die Türken eine leidlich funktionierende Zusammenarbeit zwischen Friedrich und Matthias. Einstweilen genügte es dem Kaiser, dass Matthias Corvinus mit ihm Diplomatie betrieb, das minderte die Entschlossenheit der österreichischen Oppositionellen, die auf Ungarns Unterstützung angewiesen waren.

König Matthias war ein Herrscher jenes Schlags, der gerne auf militärischem Wege Tatsachen schuf. Die ungarischen Truppen der „Schwarzen Schar“ bildeten ein stehendes Heer des Königs und bestanden aus 8.000 Mann Fußtruppen sowie 20.000 Reitern, eine professionelle Armee mit einem hohen Disziplinwert.

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Finanziell war das ein Kraftakt, das stehende Heer verschlang 500.000 der etwa 750.000 Gulden, die Ungarn jährlich an Einnahmen zur Verfügung standen. Das Verhältnis zeigt, wie sehr Corvinus vom und für den Krieg lebte. Nur der versammelten osmanischen Macht war er unterlegen, dem Kaiser, den Böhmen, den Polen, den Walachen und den Moldauern turmhoch überlegen. Trotzdem: Das eigentliche Böhmen konnte Matthias Corvinus nicht erobern, er musste sich einstweilen mit der militärischen Besetzung von Mähren und Schlesien begnügen. Die Polen machten ihm mit Wühlereien unter den ungarischen Adeligen in seinem Stammland nicht unerhebliche Schwierigkeiten, das Königreich murrte über die ihm auferlegten finanziell sehr hörbar.

Anfang 1471 machte Matthias dem böhmischen Podiebrad völlig überraschend ein Friedensangebot: lebenslang die Königskrone für Podiebrad, nach dessen Ableben für Matthias. Nach Matthias' Tod sollte sie an die inzwischen mit Mähren und Schlesien belehnten Söhne Podiebrads fallen. Das waren glänzende Bedingungen, denn sie garantierten nicht nur das Überleben, sondern sogar die Etablierung einer Dynastie. Die Polen hatten in Böhmen ihre eigenen Absichten, sie wollten den Sohn ihres Königs hier auf den Thron bringen. König Kasimir sagte Podiebrad also militärische Hilfe gegen Ungarn zu, und dieser lehnte daraufhin frohgemut Matthias' Angebot ab.

Da schlug der Tod dazwischen: Im Februar 1471 stand Podiebrad noch am Totenbett des hussitischen Prager Erzbischofs Rokycan, am 22. März starb er plötzlich selbst, mit unförmig aufgedunsenen Beinen, so dass er nicht mehr gehen konnte, ein Opfer der Wassersucht. Die böhmischen Stände waren - wie 1457 nach dem Tod des Ladislaus - gefragt, die Thronfolge durch ihr Wahlrecht zu bestimmen. Sie wählten schon im Mai den polnischen Kandidaten Wladislaw, den Sohn des Königs Kasimir.

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Matthias Corvinus hatte als Nichtslawe bei ihnen keine Chance, obwohl hinter Wladislaw weniger reale Machtmittel standen und Matthias an der Kurie einen besseren Stand gehabt hätte, wenn es um die Verteidigung der utraquistischen Freiheiten ging. Den ungarischen Magnaten war die Wahl recht, sie hatten keine Lust mehr, Matthias sein böhmisches Abenteuer zu finanzieren. Im selben Jahr noch fiel Kasimir IV. über die slowakischen Berge hinweg in Ungarn ein, und Matthias musste seine ganze Energie aufwenden, die Lage wenigstens bei sich zu Hause zu stabilisieren.

Kurz: Böhmen hatte nun zwei Könige, den Polen Wladislaw in Prag und als Gegenkönig den Ungarn Matthias. Geteilt war das Land in den Kernbereich der polnischen Seite und andererseits Mähren und Schlesien, das dem Ungarn unterstand. Matthias zürnte, weil er den Kaiser als intriganten Strippenzieher im Hintergrund vermutete. Die Reaktion von Friedrich III. war die listige Antwort, in der er Matthias im September 1472 die öffentliche Anerkennung als böhmischer König und Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches versprach. Aus Rücksichtnahme auf die Polen fügte der Habsburger hinzu: sobald der päpstliche Legat die Aussöhnung zwischen Matthias und Kasimir zuwege gebracht hätte. Das war die Form, unter der Friedrich III. sein Nichtwollen verbarg.

Von Ost und West wurde an dem Habsburger gezerrt, denn auch Herzog Charles von Burgund warf wieder seinen Hut in den Ring: er wollte gerne seine Erbtochter Maria mit Maximilian vermählen, dann könnte Charles Römischer König werden, nach dem Tod Friedrichs III. dann der Burgunder Kaiser, Maximilian Römischer König. Wie immer hatte sich Friedrich zunächst einmal abwartend verhalten. Obwohl, das galt auch für Charles – der wollte auf Friedrich III. den Druck der Ungarn wirken lassen, so wie auf Siegmund den Druck der Eidgenossen. Der Burgunder befand sich eh in der besseren Verhandlungsposition, nachdem er sich in Geldern und Lothringen zur Ordnungsmacht aufgeschwungen hatte.

Nach einigem Hin und Her über protokollarische Fragen trafen sich der Herzog und der Kaiser dann am 30. September 1473 bei Metz. Mit prächtigem Gefolge ritten sie einander entgegen. Friedrich wurde begleitet von seinem 14jährigen Sohn Maximilian, dem jungen Hoffnungsträger, und dem leibhaftigen Bruder des Sultans Mehmed II., Osman Calixtus, der von den Christen gefangengenommen, dann konvertiert war, und sich im Reiche seiner Väter nicht mehr sehen lassen durfte. Der Kaiser hatte dazu reinen Haufen Reichsfürsten mit insgesamt 2.500 Mann Gefolge im Schlepptau. Interessanter war dabei, wer alles nicht vertreten war: es fehlten fünf der sieben Kurfürsten. Aber auf jeden Fall verblasste des Kaisers Ehrengeleit vor dem Aufzug, den der Herzog von Burgund präsentieren konnte. Fürsten, Priester, Ritter, Waffenträger, Musiker, alles dabei. Der Herzog selbst war gekleidet im vergoldeten Harnisch und mit goldenem, edelsteinbesetztem Mantel. In seinem Gefolge hatte Charles sogar einen exotischen Papageien aufzubieten, eine Rarität im Abendland. Selbst der musste zum Zwecke mitspielen, denn er krächzte unablässig auf lateinisch: „Die Königskrone für Herzog Karl!“

Zwei Tage liefen die Festlichkeiten anlässlich des Treffens. Nach dem, was wir hier bisher über Friedrich III. gelesen haben, verwundert es nicht, dass er sich von dem Prunk nicht beeindruckt zeigte, als es ans eigentliche Verhandeln ging. Der Kaiser machte deutlich, dass er der alleinige rechtmäßige Träger aller Kronen sei: Der deutschen Krone, der lombardischen, sowie der burgundischen Krone (an die beiden letztgenannten knüpfte sich kein Besitz mehr, sie bestanden aber dem Titel nach fort). Lediglich bei der böhmischen Krone sah der Habsburger einen Spielraum für den Burgunder. Der reagierte enttäuscht und stellte einen Katalog an Gegenforderungen auf: Belehnung mit dem eroberten Geldern, Belehnung mit dem Herzogtum Savoyen (in dem er Vormund der erbberechtigten Fürstenkinder war), Aussöhnung des Kaisers mit dem Arrogator Friedrich von der Pfalz. Die anwesenden deutschen Fürsten fanden das Verlangen vielleicht noch akzeptabel, waren aber vom Auftreten des Burgunders brüskiert. Charles trug an seinem Mantel einen Hermelinkragen, der in der Länge denjenigen der Kurfürsten übertraf! Also machte Friedrich III. einen dem Herzog einen seiner halbseidenen Kompromissvorschläge: Er würde zwischen Frankreich und Burgund den Frieden vermitteln, dann würde man zwischen seinen Kindern und denen des Herzogs Heiraten arrangieren – aber keine Krönung und keine Belehnung zumindest mit Savoyen!

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Tagelang gingen die Beratungen unter Beteiligung der deutschen Fürsten weiter, bis Charles entnervt feststellte, dass das Heilige Römische Reich eine kompliziertere Organisation war, als er es sich vorgestellt hatte. Ohne ein greifbares Ergebnis reisten die Parteien aus Metz ab. Zufrieden gestellt war der Burgunder damit gar nicht. Wozu hatte er einen gut strukturierten Flächenstaat geschaffen, mit einem Militärwesen, das ihn zu Ruhm führen konnte und sollte? Allein: Es gierte Charles nach der ideeller Legitimation seiner Position, und die konnte er sich nicht alleine verschaffen. Es brauchte dazu die Rangerhöhung durch den Kaiser.

Man durfte Charles' Entschlossenheit nicht unterschätzen, er war ein waschechter Soldat, der das asketische Leben im Soldatenlager schätzte, und für den der Prunk des Palastes standesgemäßes Protzen bedeutete. Sein Ehrenverständnis besaß eine gefährliche Empfindsamkeit bis zum unsinnigen Starrsinn: Dem etwas humorvolleren König Louis XI. zürnte Charles sein Leben lang, weil dieser ihn vor dem französischen Hof parodiert hatte. Im Gegensatz zu einigen satten Monarchen der Epoche ging Charles' Arbeitseifer weit über das normale Maß hinaus. Er war intelligent und wollte alles in seinem Land unter seiner Kontrolle wissen. Sogar an die Tische in der Rechenstube seiner Finanzverwaltung setzte sich der Herzog und addierte und subtrahierte höchstpersönlich zusammen mit den niederen Angestellten. Das tat er nicht aus Leutseligkeit oder Neugier: Charles war ein Pendant, ein zu misstrauischer Autokrat, als dass er die Tugend des Delegierens entwickeln konnte. Eigentlich war der Herzog das genaue Gegenbild zum abwartenden Kaiser: Das war nicht sein Ding, Charles musste die Sachen angehen und zupacken (so auch sein Wahlspruch: je l'ai emprins). Er war allerdings kein Matthias Corvinus, der hatte ihm die Nüchternheit voraus, er war auch kein Podiebrad, der neigte mehr zur Diplomatie.

Wenn man weiß, dass Charles ein militanter Hitzkopf war, versteht man sein Einsteigen in die deutsche Fehde zwischen dem Erzbischof Ruprecht von der Pfalz (der mit Burgund verbündet war) und dem Kölner Domkapitel. Die Fehde gab Charles die Gelegenheit zu zeigen, dass er im Westen des Reiches die Hosen anhatte. Gemeinsam mit der Pfalz, mit Kleve und Geldern, marschierte Burgund mit etwa 15.000 Mann ins Rheinland ein und belagerte die Festung Neuss, die von hessischen Truppen des Reiches verteidigt wurde. Das taten sie so gut, dass die Angreifer sich an den Mauern festbissen, allen Kanonen in ihrem Heer zum Trotz. Irgendwann im Herbst 1474 ging Neuss aber langsam das Pulver aus, man rief im Reich nach Unterstützung. Und die deutschen Fürsten reagierten, ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl ergriff sie! Der vorsichtiger agierende französische König Louis XI. hatte die Lage besser eingeschätzt als der burgundische Herzog: So zerstritten und politisch gelähmt das Heilige Römische Reich auch war, das militärische Potential, das in ihm schlummerte, durfte man mit zu starkem Reizen wecken.

Der Kaiser griff die Stimmung mit einer Bereitwilligkeit auf, die den zielbewussten Politiker in ihm verrät. Charles, verkündete er, wolle die Deutsche Nation unter sich bringen. Der Kaiser selber hatte wie immer kein Geld, aber er konnte eine Koalition der Reichsfürsten schmieden, die ein gemeinsames Heer auf die Beine stellte. Am 7. Januar 1475 erklärte Friedrich III. definitiv Burgund den Krieg, und brach zum ersten und einzigen persönlich geführten Feldzug seines Lebens auf. Es dauerte bis zum Mai, bis das Reichsheer sich versammelt und bis nach Köln begeben hatte. Bis dahin war die Verzweiflung in Neuss so groß geworden, dass bereits die Übergabeverhandlungen mit Charles gestartet worden waren. Die Neusser schossen einen Brief nach draußen, dass sie nur noch drei Tage aushalten könnten. Friedrich III. musste sein derzeitiges Lager in Zons (nettes kleines Städtchen gegenüber von Monheim, zu dem ich einige Male gewandert bin) verlassen und dem Herzog ins Angesicht rücken.

Am 24. Mai griff der Herzog überraschend das Reichsheer an, wo man sich angesichts der fortgeschrittenen Uhrzeit bereits auf einen gemütlichen Spätnachmittag einrichtete. Die Sachsen und Trierer stellten mit einem Gegenangriff die Situation wieder her, während die burgundische Artillerie ihnen über die Köpfe schoss. Viermal wurde dabei das Feldherrenzelt des Kaisers getroffen, zweimal schlugen die Kugeln in seinen Reisewagen ein. Auf diese Weise machte der Kaiser Bekanntschaft mit der Waffe der Zukunft, die bei den Türken am weitesten entwickelt war und sich auch bei den Burgundern besonderer Pflege erfreute. Die Majestät schwebte in Lebensgefahr, bis die Dunkelheit hereinbrach und die Kämpfenden ohne Ergebnis trennte. Wahrscheinlich hat sich Friedrich III. in dieser ungewohnten Situation stoisch verhalten, etwas anderes würde gar nicht zu ihm passen.

Das war auch schon der Höhepunkt seiner militärischen Laufbahn gewesen, denn nach einigen leichten Scharmützeln begannen am 28. Mai 1475 die Friedensgespräche. Für beide Seiten war es das beste, denn der Kriegswille innerhalb ihrer Heere begann gleichermaßen zu bröckeln. Das Land herum war ausgeplündert, und vernünftige Nachschublinien gab es zu der Zeit noch keine. Entsprechend schnell wurde man sich binnen eines Tages handelseinig, die Burgunder durften in allen Ehren mit gehobenen Bannern abziehen, die Fehde zwischen Ruprecht und Köln sollte durch Papst und Kaiser geschlichtet werden. Das hätte Charles auch früher so haben können, entsprechend unzufrieden war er bei seinem Abzug. Für Friedrich III. war das gut, der Burgunder war zurechtgestutzt, aber nicht so weit zum Feind geworden, dass eine Verheiratung zwischen Burgund und Habsburg ausgeschlossen worden wäre.

Normalerweise wäre die Fehde vor Neuss an dieser Stelle nicht der Erwähnung wert. Würde ich all die Fehden dieser Größenordnung hier erzählen, würde das den Rahmen sprengen. Sie ist auch nicht deshalb von Belang, weil Friedrich III. hier einmal den Harnisch übergezogen hat, sondern weil sie den Beginn von Charles' Untergang markierte.

Am 9. Mai 1475 hatte der Herzog René von Lothringen im Bunde mit Frankreich und dem Kaiser gegen Burgund den Krieg erklärt. Der Kanton Bern (damals konnte er noch eigenständige Außenpolitik betreiben) eroberte das Waadtland und das untere Wallis von Savoyen, das mit Charles verbündet war.

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Der Burgunder hastete von Neuss aus zu einer Unterredung mit Edward IV. von England. Doch auch Edward zeigte ihm die kalte Schulter, warum sollte er Charles dabei helfen, sich Frankreich untertan zu machen, wenn er mit Louis XI. auch einen günstigen Frieden schließen konnte?

Charles schloss notgedrungen mit Frankreich einen Waffenstillstand und konzentrierte sich auf Lothringen und nahm im November Nancy ein. Der Frieden zwischen Burgund und Frankreich wieder war für Friedrich III. die Notwendigkeit, mit Burgund endgültig übereinzukommen, wenn er politisch nicht alleine mit den Eidgenossen an seiner Seite isoliert dastehen wollte. Im Frühjahr 1476 machte Friedrich III. den Weg frei für die Heirat zwischen Charles' Erbtochter Maria mit Maximilian von Habsburg, dem einzigen Sohn des Kaisers. Sollte Burgund doch Lothringen fressen, wenn er dafür die aussichtsreiche Eheverbindung bekam. Dass Friedrich den Burgunder kurz zuvor noch als Reichsfeind gebrandmarkt hatte, war jetzt nicht mehr wichtig, der Aufruf zur nationalen Einheit hatte seinen Zweck erfüllt. Jetzt konnte geheiratet werden.

Man sollte meinen, dass es nun gut stand für Herzog Charles, aber er arbeitete sich an den militärisch versierten Schweizern ab. Sie schlugen ihn im März 1476 im Waadtland und erbeuteten – das war das Schlimmste! - sein fürstliches Lager mit all seinen privaten herrschaftlichen Kostbarkeiten. Charles verfiel in eine üble Depression und sann nach Rache für diese Schmach. Aus der Ferne warnte König Matthias, er solle sich nicht mit den Schweizern anlegen, aus der Nähe warnten die Mailänder Gesandten. Charles wurde darüber noch hitziger, sein Stolz machte ihn unfrei. Er war ein traditionell (schon aus der Zeit gefallener) ehrenfester Ritter bar der Vernunft und des Maßhaltens und schaltete auf Attacke. Die Eidgenossen zeigten, was sie konnten: Sie machten Savoyen platt und drängten es aus dem Krieg heraus. Nachdem sie sich politisch in Paris rückversichert hatten, nahmen die Schweizer auch noch Nancy ein.

Charles der Kühne zwang noch einmal 10.000 Mann zusammen und begann im kalten Herbst 1476 die erneute Belagerung von Nancy. Während seine Armee in Hunger, Kälte, Desertion und erfolglosem Stürmen dahinschmolz, schrieb er dem Kaiser: Er freue sich über die bevorstehende Heirat ihrer beiden Kinder, der Kaiser möge hierfür Köln oder Aachen für die Feier nach eigenem Belieben bestimmen. Im Dezember 1476 lag auch der kirchliche Dispens zur Eheschließung vor, die Brautleute galten damit für die Heirat als nicht zu nahe verwandt miteinander (ein beliebter Anfechtungsgrund, wenn eine Verbindung nicht mehr opportun erschien). Militärisch war die Lage für Charles aber schwierig geworden, er befahl nur noch über 3.000 Mann im Feld – während die Eidgenossen und René von Lothringen mit über 15.000 Bewaffneten auf Nancy rückten. Nun fluchte der Burgunder, notfalls wolle er dem Lothringer alleine entgegenziehen, und stellte sich am 7. Januar 1477 dem aussichtslosen Kampf auf Leben und Tod. Er wurde zu seinem Untergang, zum Event „Burgundisches Erbe“. Zwei Tage nach der Schlacht fand man seinen entstellten Leichnam, das Gesicht halb im Eis eines Teiches eingefroren und von Wölfen angenagt. Herzog René ließ Charles' nackten Körper zunächst wie eine Trophäe aufbahren und ihn anschließend in Nancy bestatten.

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Da der burgundische Löwe tot war, tauchte nun die Hyäne des Schlachtfeldes auf: Louis XI. von Frankreich. Er holte zu dem bisher größten Versuch aus, die Grenze des Königreichs zu verschieben. An den Statthalter der Champagne erging der Befehl, im Herzogtum Burgund einzurücken. Okay, das war ein französisches Lehen. Die Freigrafschaft Burgund hingegen war Reichsgebiet. Egal, das nahm sich Louis gleich auch, wenn er schon dabei war. Im Norden ging es ebenso mit Artois und Flandern mit seinen reichen Städten Brügge und Gent. Der Appetit des französischen Königs kam beim Essen: Weit über die Lehensrechte hinaus verteilte er schon die Grafschaften Hennegau und Namur an seine Gefolgsleute. Brabant und Holland sollten an die Reichsfürsten fallen, die ihm dafür besonders dankbar sein würden. Die alte Spinne, wie man ihn treffend nannte, spekulierte ganz richtig schon jetzt darauf, dass die Stände dem Kaiser keine Nachfolge im gesamten burgundischen Erbe gönnen würden. Am besten, es würde in seine Einzelteile zerrissen. Oder, noch besser: Maria sollte den Dauphin heiraten und die Erbschaft „umdrehen“.

Maria von Burgund war zwanzig Jahre alt und als Erbin von Burgund die begehrteste Partie in ganz Europa. Alleine die gewöhnlichen Einkünfte aus den niederländischen Städten brachte Jahreseinnahmen von 150.000 Gulden, Sondersteuern etc. kamen extra dazu. Zum Vergleich: Die kaiserliche Städtesteuer umfasste pro Jahr nur 5.000 Gulden! Maria wog ab, wer ihr Erbe wohl am besten vor dem französischen Zugriff schützen kann, und blieb bei der Entscheidung zugunsten des Habsburgers Maximilian. In den Niederlanden hatten man wenig Lust darauf, den Sohn des Kaisers als neuen Herrn zu begrüßen, man wollte sich lieber höhere Autonomie verschaffen. Maria schaffte es, einen Brief an den Wachen vorbeizuschmuggeln und die Ehe vertraglich zu besiegeln. Stellvertretend für den Bräutigam erschien der bayrische Herzog Ludwig in Brügge und schloss mit ihr „per procuram“ die Ehe. Als Vollzug der Ehe, notwendig für ihre Rechtsgültigkeit, reichte es aus, dass Maria sich auf ihr Bett setzte und der Beauftragte des Habsburgers sie mit dem nackten Knie berührte. Okay, sagte man in Flandern, wir akzeptieren das. Die Stimmung in den Niederlanden begann sich gegen Louis XI. zu drehen. Im Grunde wollte man weder von dem Valois noch von dem Habsburger regiert werden. Offenbar schätzten die Städte Maximilian als weniger bedrohlich ein, denn der bekam nicht einmal von den deutschen Fürsten große Zustimmung zu seinem Erbe – sie befürchteten eine Verwerfung in der sensiblen Machtbalance des Reiches. Ein zweiter Reichskrieg war in diesem Falle also nicht mit den Fürsten zu machen. Maximilian musste zusehen, dass er selbst rasch nach Burgund kam, damit ihm das Erbe seiner Frau nicht weiter in den Händen zerrann.

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Der Satz von dem glücklichen, weil heiratenden Österreich wirkte sich nicht so friedlich aus, als man erwarten sollte. Je größer die erheiratete Erbschaft, desto erboster die Neider, und wenn sie gar den ganzen Besitz Charles des Kühnen umfasst, dann hat sie fast unweigerlich Krieg zur Folge. Österreich musste Krieg führen, gerade weil es heiratete. Der unerfahrene Erzherzog Maximilian wurde nach seiner Hochzeit mit Maria direkt in die harte Schule von französischer Aggressivität, niederländischer Aufsässigkeit und auch kaiserlicher Machtlosigkeit gezwungen. Das klappte aber ganz gut: Mit Frankreich gelang immerhin der Abschluss eines Waffenstillstands, der bis 1479 verlängert wurde. Das Scheitern Charles des Kühnen gegen die Eidgenossen war Louis XI. eine Warnung, sich nicht auf einen gleichartigen Krieg einzulassen. Frankreich begnügte sich damit, die bereits besetzten Gebiete nicht zu räumen, die Truppen blieben dort, wo sie standen. Die niederländischen Städte beruhigte Maximilian mit der Bestätigung ihrer alten Privilegien. Und mit Maria verstand sich Maximilian richtig gut! Es war ein seltener Fall, bei dem eine arrangierte Fürstenhochzeit in tatsächliche Liebe zwischen den Eheleuten mündete. Der stattliche und leutselige Maximilian – im Wesen ganz anders als sein verschlossener Vater – gewann durchaus das Vertrauen seiner Untertanen. Am 23. Juni 1478 errangen Maximilian und Maria den ersten großen Sieg über die Franzosen: ihnen wurde ein Thronfolger geboren, den sie Philipp nannten. 1480 folgte die Geburt der Tochter Margarete.

Nach Ablauf des Waffenstillstands, das war klar, würde 1479 der Krieg gegen Frankreich wieder losgehen. Maximilian bereitete sein Heer auf diese Probe vor, auch wenn französische Agenten in den Niederlanden das beunruhigende Gerücht streuten, Maximilian würde die hier erhobenen Steuern zweckentfremden und an seinen Vater weiterleiten. Er hatte Glück, dass sich die erfahrenen Heerführer des Kühnen ihm aus beruflichen Ehrgeiz zur Verfügung stellten. In der Kriegsführung zeigte sich der junge Habsburger aufgeschlossen gegenüber der wenig traditionellen Kampfweise mit massierter Infanterie, wie sie die Schweizer erfolgreich praktizierten. Er warb in Flandern 11.000 Fußknechte an, die er mit Spießen und Hellebarden bewaffnete und im dichten Rechteck aufstellte.

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An einem solch waffenstarrenden Igel sollte sich die französische Kavallerie zuschande reiten. Maximilian begriff dieses Prinzip als geborener Taktiker sofort und errang bei seinen Truppen Anerkennung, weil er höchstpersönlich den Drill führte. Keine Selbstverständlichkeit für einen Kaisersohn, der in Ritterromantik aufgewachsen war.

Mit dieser fähigen Truppe trat der Habsburger im August 1479 den Franzosen entgegen – und gewann die harte Schlacht. Verächtlich kommentierte der französische König: „Soll er doch Blumen pflanzen auf seinem Schlachtfeld!“ Was Louis XI. damit ausdrücken wollte, war, dass Frankreich eine verlorene Schlacht verkraften konnte, ohne dass gleich der Krieg verloren war. Er lag damit richtig, Maximilian hatte nicht die materiellen Reserven für einen Gegenschlag. Aber immerhin: Im weiteren Verlauf der Kampfhandlungen hielt Maximilian seine Position in Burgund. Die Franzosen mussten anerkennen, dass sie den Habsburger nicht einfach aus seinem Erbland verdrängen konnten. Das war angesichts der Kräfteverhältnisse schon schon als ein Sieg für den Habsburger anzusehen.

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Die unruhigen Provinzen Holland und Seeland mussten befriedet werden (hier wollte ein früheres Fürstenhaus zurück an die Macht), das ging nicht ohne Gewalt, Massenexekutionen und Erpressungen, wie sie der Krieg mit sich bringt. Wer nicht auf der Seite des Habsburgers stand, wurde dadurch erst recht in die Arme seiner Gegner getrieben: Den Krieg vor Ort musste Maximilian nämlich mit den Einnahmen aus just diesen Regionen bestreiten, weil er aus dem Reich keine Unterstützung erhielt. Klar, dass dies die Niederländer erbitterte. Politisch versuchte Maximilian nun, Partner gegen Frankreich zu gewinnen und verband sich mit der Bretagne. Louis XI. wurde zunehmend krank, und Maximilian gedachte, mit dem Herzog der Bretagne über dessen unmündigen Erben herzufallen. Edward IV. war mit dem Plan zufrieden, auch wenn er sich hütete, selber Truppen über den Kanal nach Frankreich zu schicken.

Aber da erlitt der Erzherzog seine erste große Niederlage: Anfang März 1482 verunglückte seine schwangere Frau Maria bei einem Reitunfall tödlich (schon wieder so ein Event). Das Prekäre daran war, dass die Untertanen ihm zu verstehen gaben, dass er nur ein eingeheirateter Herrschergemahl sei, der seine Legitimität lediglich aus seiner Vormundschaft für den vierjährigen Sohn und Erben Philipp erhält. Das burgundische Erbe hing an dem zarten Leben des kleinen Kindes! Mehr noch, Maximilian wurde von den Ständen ein Vormundschaftsrat beigegeben, der sofortigen Frieden mit Frankreich verlangte.

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Und über dessen Zustandekommen hatte der Rat konkrete Vorstellungen: Tochter Margarete sollte den französischen Thronfolger heiraten, als Morgengabe durften Artois und Burgund dienen. Angesichts des erneuten französischen Vormarsches, befohlen von dem kranken Louis, den die unanständige Freude über den Tod der Herzogin mit neuen Lebensmut erfüllte, nahmen die Stände gar die Verhandlungen mit Paris in die eigenen Hände.

Die Genter bemächtigten sich der beiden Kinder Philipp und Margarete, in den Niederlanden brachen neue Unruhen aus. Ohne Hilfe von außen blieb Maximilian 1483 nichts anderes übrig, als der Verheiratung seiner Tochter mit dem Dauphin zuzustimmen. Mit ihrem Erbe sollte ein erkläglicher Teil von Burgund an Frankreich gehen. Und sollte Philipp plötzlich sterben, würde sein Anteil ebenfalls über Margarete an den Dauphin fallen. Offenbar war Maximilian mit seinem glücklich erlangten Erbe Burgund auf die Schnauze gefallen!

Der Vater konnte da nicht helfen, denn dem saß Corvinus im Nacken. Im Osten war nach dem Tod von Podiebrad noch Matthias Corvinus der gefährliche Rivale des Kaisers. Polens Kasimir versuchte, den Ungarn in Böhmen in die Schranken zu weisen, aber Matthias war militärisch nicht so einfach beizukommen. Im April 1479 schlossen Polen und Ungarn Frieden miteinander, es blieb bei der Aufteilung von Böhmen. Die Utraquisten behielten in Wladislaw einen laschen König, Matthias behielt Mähren, Schlesien und die Lausitz, der Orden musste seine Revisionspolitik gegen Polen fallenlassen. Nach elf mühseligen Jahren saß Matthias fest im Sattel, seinen Konkurrenten Wladislaw kreiste er mit einem Kranz ergebener Reichsfürsten ein. Ohne den ungarischen König lief im Osten nun nichts mehr, das musste Friedrich III. einsehen. Er sollte bald noch mehr Ärger mit Matthias bekommen, denn Corvinus war nicht dazu bestimmt, sich mit dem Erreichten zufrieden zu geben. Es gab für ihn noch etwas aus der Welt zu schaffen: Matthias wollte nach seinem Tod Ungarn nicht an die Habsburger, sondern an seinen unehelichen Sohn Johann übergeben. Davon musste er wohl Friedrich III. mit ein wenig Gewalt überzeugen.

Angesichts der Türkengefahr hatte das etwas Gehässiges an sich. Denn inzwischen hatte der todkranke Sultan Mehmed II. einen energischen Versuch unternommen, dem Johanniter-Orden in ihrer Festung Rhodos das Licht auszublasen. Mehmed scheiterte, aber das Blutbad, in dem sein Sturm unterging, beunruhigte das Reich 1480 ziemlich. Es war klar, dass der Sultan nach Rhodos zurückkehren würde. Parallel dazu hatte die türkische Eroberung von Ottranto an Neapels Meeresstraße Angst in ganz Italien und darüber hinaus verbreitet. Der Papst erwog bereits, nach Avignon zu fliehen, weil der Sultan angeblich plante, durch Italien nach Südfrankreich zu ziehen, um sich dort mit den islamischen Truppen aus Granada zu vereinigen. Die deutschen Fürsten wussten nicht, dass Mehmed bereits dahinsiechte und solche Ideen nur noch Caesarenwahn darstellten. Im Mai 1481 starb der Sultan, aber was sollte man von seinem Nachfolger Bayezid II. erwarten? (er war friedensbereiter als Mehmed und schloss später Frieden mit den Johannitern und räumte auch Ottranto)

Da lagen die großen Probleme der Christenheit, und der Kaiser schlug sich kleinlich um Ortschaften in Österreich – und mit König Matthias, dem doch die Frontstellung gegen die Türken zufallen musste. Der Ungar wollte seinen Mangel an langfristiger politischer Perspektive durch militärische Kraftentwicklung wettmachen. Sprich: Er marschierte in Österreich ein, zwang Kärnten in die Knie und machte sich an die Belagerung der kaiserlichen Festungen im Land. Im Felde hatte Ungarn die Übermacht, nur seinen Generälen mangelte es an Belagerungspunkten. Friedrich III. konnte die Umklammerung Wiens nicht verhindern, Matthias kam aber nicht hinein. So zog sich die Sache noch lange Zeit hin.

Der Kaiser musste bei den Reichsfürsten um Hilfe betteln gehen. Auch Maximilian musste sich nun entscheiden: Sollte er aus Burgund abziehen und dieses Erbe womöglich endgültig sausen lassen? Das erschien ihm weniger schlimm als der drohende Verzicht seines Erbanspruchs auf die ungarische Krone, den das geduldige Papier von 1463 noch immer aufbewahrte. Wie immer zogen sich die Verhandlungen über einen Kompromiss ewig hin. Im Juni 1485 hatten die belagerten Wiener die Nase voll, für ihren machtlosen Kaiser den Kopf hinhalten zu müssen, und ließen Matthias in ihre Stadt einziehen. Der absolute Tiefpunkt im Leben des Herrschers Friedrich III. war erreicht. Trotzdem hielt er seinem Rivalen Matthias unbeirrt die Urkunde von 1463 entgegen, nach der Maximilian sein Nachfolger in Ungarn sein würde. Der Corvinus hätte das Problem beseitigen können, wenn die Reichsfürsten ihn darin unterstützt hätten. Aber die wollten nicht, Matthias fehlte es nach ihrer Meinung an einem ausreichend hohen Legitimitäts-Wert. Sie änderten ihre Haltung auch nicht, als Matthias die Flucht nach vorne antrat und die Römische Krone für sich einforderte. Blöde Sache also: Matthias hatte einen guten Teil von Österreich besetzt, aber trotzdem keinen ausreichend hohen Warscore.

Angesichts des hohen Alters des Kaisers standen die deutschen Fürsten 1485 tatsächlich vor der Frage, wer die Römische Krone erhalten und damit designierter Thronfolger werden sollte. Die Kurfürsten bzw. ihre Dynastien neutralisierten sich politisch gegenseitig. Da fruchtete Maximilians rege diplomatische Arbeit, die er in letzter Zeit innerhalb des Reiches an den Tag gelegt hatte. Das und sein einnehmender Charakter brachte die Fürsten dazu, ihn ernsthaft für die Wahl in Betracht zu ziehen.

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Er war fähig, aber nicht verbohrt wie sein Vater. Es war nicht zu erwarten, dass er nach seiner Wahl zu viel oder zu wenig Macht haben würde. Ein gutes Mittelmaß, um innenpolitisch die Reichsreformen in vernünftigen Bahnen voranzubringen, und außenpolitisch eine Koalition gegen die Türken anzuführen. Dass Maximilian militärisch was auf dem Kasten hatte, hatte er ja schon gegen Frankreich und zuletzt auch wieder in den Niederlanden unter Beweis gestellt gehabt: Im Juli 1485 war es Maximilian gelungen, das rebellische Gent zu unterwerfen.

Ironischerweise war es sein Vater Friedrich, der heimlich Vorbehalte gegen eine Krönung Maximilians hegte. Nicht, dass der Junge leichtfertig einen faulen Kompromiss mit Ungarn eingeht, nachdem der Kaiser jahrzehntelang das Problem durch Aussitzen vor sich herschieben konnte! Nach Außen gaben sich Vater und Sohn natürlich einig, hinter den Kulissen rappelte es aber durchaus zwischen den so unterschiedlichen Charakteren. Im Jahre 1486 ging auf einmal alles sehr schnell, Maximilian wurde zum Römischen König gewählt und gekrönt, damit war er als künftiger Kaiser designiert. Die Habsburger Dynastie war auf dem Thron bestätigt, obwohl sie keine Mittel an der Hand hatte, diese Entscheidung zu erzwingen. Die Kurfürsten ahnten nicht, dass sie sich damit zum Steigbügelhalter der bald mächtigsten Dynastie Europas gemacht hatten. Kurzfristig waren sie zufrieden damit, Ungarn den Weg auf den Thron versperrt zu haben.

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Natürlich kochte auch Maximilian nur mit Wasser. Eine endgültige Reichsreform oder einen Feldzug gegen die ungarische Besetzung Österreichs brachte er auch nicht zuwege. Aber immerhin einen zehnjährigen Landfrieden und einige gute Worte der Fürsten für die bedrängten Österreicher. Nach dem Tode von Albrecht Achilles wurde Maximilian am 9. April 1486 in Aachen, in Anwesenheit des Kaisers, zum Römischen König gekrönt. Ganze 350 Gulden standen zur Verteilung als Krönungsgeschenk an das Volk zur Verfügung, mehr gab die Kasse der hoffnungsvollen Großmacht nicht her.

Der durch die Krönung düpierte Matthias war natürlich sauer und protestierte, dass seine Kurfürstenstimme in seiner Eigenschaft als böhmischer König nicht berücksichtigt worden sei, er war nämlich zu der Wahl erst gar nicht eingeladen worden. Macht nichts, hielt man ihm vor, laut Goldener Bulle reichte zur gültigen Wahl eine Mehrheit bei den abgegebenen Stimmen – also vier der sieben möglichen. Matthias knurrte, dann stünden ihm aber die in der Goldenen Bulle für Nichtladung vorgesehene Strafe von 1.000 Gulden zu. Okay, hieß es. Bekommen hat er das Geld nie. Aber hatte ja noch immer seine Hand auf Österreich.

Um ein Haar hätte es noch einen weiteren Abgrund gegeben, an dem die Habsburger auf ihrem Weg zur Weltgeltung hätten abstürzen können: Er lag innerhalb des Reiches. Die Wettiner hatten darauf verzichtet, aus ihrer respektablen Hausmacht reichspolitisches Kapital zu schlagen, die Hohenzollern hatten mit Albrecht Achilles ihren klügsten Kopf verloren; sein Sohn und Nachfolger Johann achtete auf ein gutes Verhältnis zu Wladislaw von Böhmen und fiel daher nicht in die Waagschale der kaiserfeindlichen ungarischen Macht. Anders ging es in Bayern. Hier setzte sich Albrecht IV. nichts Bescheideneres zum Ziel als die Wiederherstellung des geeinten Herzogtums Bayern. Das bedeutete, dass er die mittlerweile habsburgischen Lande in Bayern in die Hand bekommen musste. Mit Georg von Landshut war sich Albrecht IV. innerhalb Bayerns einig, jetzt musste der Habsburger Siegmund von Tirol umgarnt werden. Der Kaiser hatte kein Geld und war in der großen Politik unbestechlich. Sein Cousin Siegmund hatte auch kein Geld, war aber bestechlich – er führte ein aufwendiges Leben als Fürst und soll vierzig uneheliche Kinder gehabt haben. Trotz der reichen Silberbergwerke Tirols, die Siegmund den Beinamen „der Münzreiche“ einbrachten, war er bei den Fuggern hoch verschuldet. Albrecht IV. hatte vor, die Fugger aus dieser Position raus zu drängen und selber Siegmunds Gläubiger zu werden. 1478 stellte er mit einem Vertrag gute Beziehungen zu ihm her, versprach 300 Mann Kriegshilfe für einen möglichen Konflikt Tirols mit Württemberg. Albrecht bestach die Räte Tirols, darunter die bizarre Witwe des Hofmeisters, die Siegmund Geisterstimmen aus dem Kachelofen simulierte und damit beeinflusste wie das Orakel von Delphi einst die leichtgläubigen unter den alten Griechen.

Für bayrischen Kredit, der durch den Kachelofen an den Fuggern vorbei vermittelt wurde, musste es sichernde Pfandschaften im Lande geben. Zum Beispiel die Ausbeute aus den Silberbergwerken oder auf Günzburg und Burgau. Der Kaiser murrte, Siegmund solle nicht das Habsburger Hausgut verschleudern, verbieten konnte er ihm nicht. Aber der richtige Ausverkauf kam noch. Der Bayer Albrecht entbrannte in Liebe zur 18jährigen Tochter des Kaisers, Kunigunde. Man könne die unangenehme Sache mit den Schulden doch vergessen, schlug Albrecht IV. vor, wenn man ihr Kunigunde zur Frau gebe. Natürlich nur, wenn sie in diesem Zuge ihre Habsburger Erbansprüche mit in die Ehe bringen würde. Die Hochzeit fand 1487 statt und zeigte, wohin die Wittelsbacher strebten: in eine Beerbung der Kaiserdynastie durch die Bayern. Friedrich III. konnte der Ehe zumindest in diesem Punkt widersprechen: Ohne seine Erlaubnis durfte Kunigunde ein Erbverzicht weder gültig leisten noch ausschließen. Tirol als solches hatte Siegmund aber quasi an die Wittelsbacher verscheuert, und die machten sich hier nun als Hausherren breit.

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Friedrich III. erkannte die existenzielle Gefahr: Wenn sich Bayern nun mit Ungarn zusammenschloss, konnten sie womöglich das dazwischen liegende Österreich unter sich aufteilen. Der Kaiser wurde ausnahmsweise einmal aktiv und warb in Schwaben und Tirol um Partner, die der Eheschließung und der damit verbundenen bayrischen Übernahme Tirols entgegentraten. Plötzlich war – zumindest für Süddeutschland – die Reichsreform für einen Landfrieden schnell über die Bühne gebracht. Der Kaiser genehmigte den Städten und Rittern sogar die Gründung eines „Schwäbischen Bundes“, dem auch Württemberg und Baden beitraten. Eine Koalition gegen Bayern, es drohte einer der EU4-Bestrafungskriege. Im Oktober 1487 fühlte sich Friedrich III. sicher genug, die Ratgeber Siegmunds für vogelfrei zu erklären, darunter auch die Dame mit den Geisterstimmen aus dem Kachelofen. Die derart Gezeichneten steckten schleunigst ein, was sie noch erraffen konnten, und verließen die Grafschaft. Den Wittelsbachern schwankte der Boden unter den Füßen, als kein anderer als Siegmund ihnen die Freundschaft kündigte und auch dem Schwäbischen Bund beitrat.

Die drohende Kriegsmacht des Bundes war gewaltig. Aber sie setzte sich 1488 nicht nach Bayern in Bewegung, sondern unvermutet in die Niederlande. Kaiser Friedrich brauchte das Heer hier, um einen Reichskrieg zu führen. Die Bürger von Brügge hatten ihre Frechheit auf die Spitze getrieben und den Römischen König und zukünftigen Kaiser Maximilian im Hause eines Gewürzkrämers schmählich in lebensgefährliche Gefangenschaft gesetzt!

Was hatte Maximilian in der Zwischenzeit getan, dass er in diese Lage geriet? Die Jahre zwischen 1483 und 1485 standen unter dem Eindruck der Suche nach Verbündeten im Ausland. England schied dafür aus, spätestens nachdem Richard III. von Henry VII. gestürzt worden war. Der Tudor hatte kein Interesse an dem früheren Bündnissystem mit Burgund und der Bretagne. Auf dem Kontinent hatte England sowieso fast alles eingebüßt. Auch in Frankreich hatte es einen Wechsel an der Spitze gegeben: Louis XI. war nach langer Krankheit gestorben und vererbte die Krone an seinen Sohn Charles VIII., der zunächst einmal von einem Regentschaftsrat vertreten wurde. Innerhalb von Frankreich bandelte Maximilian mit oppositionellen Adeligen an, darunter mit dem Herzog Louis von Orleans, der uns später noch als König Louis XII. begegnen wird. Und dann setzte sich der Römische König noch ins Einvernehmen mit Ferdinand von Aragon, der ab 1479 zusammen mit Isabella von Kastilien das auf diplomatische Weise neugebildete Königreich Spanien regierte.

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Das hört sich alles gut an, aber Maximilian kam nicht von der Stelle. Die Bretagne und die Oppositionellen in Frankreich erwiesen sich als unfähig, etwas gegen Charles VIII. auf die Beine stellen. Die Schweizer Söldner liefen nach einem wirkungslosen Streifzug durch Artois und die Picardie davon, weil sie zu wenig Geld bekamen. Die deutschen Söldner prügelten sich mehr mit den Stadtbürgern als mit dem Feind, und dazu kam noch eine sehr schmerzliche Niederlage im Juli 1487, bei der viele niederländische Adelige auf der Seite Maximilians fielen. Der Habsburger wollte die englische Krone im Kampf gegen Frankreich wieder stärker auf seine Seite ziehen. Er begünstigte deshalb vor allem den Handel mit England, von dem vor allem Antwerpen zum Schaden von Brügge und Gent profitierte. Die Einbußen im Handel und unvermindert hohe Steuerabgaben zur Kriegsfinanzierung führten erneut zu Aufständen in den Städten Flanderns. Ein gewisser Coppenhole, Strumpfwirker seines Zeichens und Exponent der Handwerkerschaft, fand sich in Gent ein und stellte eine Schlägertruppe mit dem Namen „Weiße Garde“ auf, die die Stadt zu terrorisieren begann. Im Herbst 1487 gewannen die unteren Stände auf diese Weise wieder die Oberhand, sie entledigten sich der Patrizier und der von Maximilian eingesetzten Verwaltung, vertrieben die burgundische Besatzung aus der Stadt und machten ihr eigenes Ding: Sie riefen eine Art Stadtrepublik aus und unterwarfen sich der französischen Lehnshoheit. Damit war Charles VIII. der neue und rechtmäßige Graf von Flandern!

Es kam noch deutlich schlimmer für Maximilian. Der wollte das Abfallen von Gent natürlich nicht hinnehmen und rüstete für einen Kriegszug gegen die Stadt bzw. ihrer französischen Schutzmacht. Zu diesem Zweck begab sich Maximilian nach Brügge, um hier Geld für die Truppen zusammenzukratzen. Mit seinen Forderungen überspannte er den Bogen, die Stimmung in Brügge war sowieso schon feindselig gegen den Habsburger gewesen, weil er vorher Brügges Konkurrenten Amsterdam bevorzugt behandelt hatte. Die Geiselnahme des Römischen Königs entzündete sich an der Forderung Coppenholes nach Auslieferung der regionalen Hofbeamten, die man der Veruntreuung beschuldigte. In den Tumulten setzte die Weiße Garde Maximilian in einem Haus fest, ein unglaublicher Vorgang.

Aggressiv redete man auf ihn ein: Er solle die Verbrecher ausliefern, die das gute Geld der Bürger aus dem Land einsteckten. Wenn das nicht geschehe, dann müssten dem Volkszorn eben einige Köpfe seiner Getreuen geopfert werden. Coppenhole machte Maximilian das vergiftete Angebot, er solle doch seinen Sohn Philipp den Ständen ausliefern und die Niederlande verlassen, dann bekomme er vielleicht eine Entschädigung. Als Maximilian die Forderungen stoisch zurückwies, machte der Pöbel ernst. Vor den Augen des Königs wurden auf dem Hauptmarkt einige seiner Räte gefoltert, gestreckt und gezwickt, bis sie unter dem Gejohle der Zuschauer wimmernd gestanden, sie hätten Truppen in die Stadt holen wollen, um unter der braven Bevölkerung ein Blutbad anzurichten. Dann baten sie um den Tod als Erlösung von ihren Qualen, aber es wurden erst einige enthauptet, nachdem sie noch einmal öffentlich gefoltert worden waren. Maximilian aber blieb bei seiner Weigerung, die Forderungen der Aufständischen zu erfüllen. Den Bürgern fiel darauf nichts rechtes ein, als weiterhin in Blut zu waten, Parteigänger des Königs zum öffentlichen Gaudium hinzurichten und die Reichen, deren Gesinnung nicht einwandfrei schien, mit Plünderungen heimzusuchen.

Nach einiger Zeit gelang es Maximilian, einen Hilferuf an den Kaiser nach außen zu schmuggeln, in der Schuhsohle eines treuen Dieners. Der Vater reagierte mit donnernden Aufforderungen zum Reichskrieg, die den 72jährigen Friedrich III. auf der Höhe seiner Energie zeigten. Solange er lebe, rief er aus, werde er nicht ruhen, bis dieser Verrat gebührend bestraft sei. Ende April 1488 waren 11.000 Mann Fußvolk und 4.000 Reiter für das Reichsheer beisammen, mit denen der Wittelsbacher Christoph (ein Bruder des Herzogs Albrecht IV.) nach Westen zog.

Da ging den Bürgern von Brügge doch die Düse. Das Reichsheer vor der Tür, der Papst drohte mit dem Kirchenbann, England, Spanien und Portugal protestierten gegen die Gefangennahme Maximilians, Spanien schickte sogar seine Flotte Richtung Flandern. Immerhin hatten die Brügger aber Holland und Zeeland im Rücken, und natürlich Frankreich. Trotzdem erschien es vernünftig, von Maximilians Person abzulassen. Man kam nun zu dem Schluss, dass Maximilian bestimmt nichts gewusst habe von den Machenschaften seiner Verwaltung. Also Schwamm drüber, sofern der König auf die Vormundschaft für Philipp verzichtete, das Reichsheer abzog, Maximilian sein Bündnis mit der Bretagne löste und den bisherigen Friedensvertrag mit Frankreich bestätigte. Dafür sollte er 50.000 Gulden Schadensersatz erhalten, als Pfand für die Einhaltung des Vertrags hatte sich der Herzog von Kleve als Geisel nach Gent zu begeben.

Im Mai 1488 unterzeichnete Maximilian den Brügger Vertrag, in dem die genannten Bedingungen zusammengefasst waren – nicht aber, ohne auf seine Zwangslage im Augenblick der Unterzeichnung hinzuweisen. Zum Vertrag gehörte auch der Akt der öffentlichen Versöhnung: In einer feierlichen Prozession versprach der König, den Bürgern von Brügge zu verzeihen und sich beim Kaiser für sie zu verwenden. Die Bürger bekannten sich zu ihrer Schuld und baten den König dafür um Verzeihung. Ein feierliches Hochamt schloss den Versöhnungsakt ab. Die Hauptsache war, dass Maximilian raus kam aus Brügge. In dem Moment, da das Reichsheer anrückte, war sein Leben wohl besonders gefährdet, also nichts wie weg. Der Römische König wies bei seinem Abschied noch freundlich darauf hin, dass der Kaiser sich die Gelegenheit zur Rache trotz seiner Freilassung vielleicht nicht werde nehmen lassen. Und so kam es auch.

In Löwen konnte der Kaiser seinen Sohn wieder in die Arme schließen. Im Angesicht der umstehenden Fürsten kniete Maximilian vor seinem Vater nieder und dankte ihm, dass er ihm zum zweiten Male das Leben geschenkt habe. Es war mal wieder typisch für Friedrich, dass er den Kniefall des Geretteten in unbewegter Majestät entgegennahm. Sobald die Fürsten sich entfernt hatten, machte er seinem Sohn schwere Vorwürfe, welch einen schändlichen Vertrag er sich habe abnötigen lassen. Friedrich III. nannte allerlei Punkte, warum dieser nichtig sei: Der Sohn habe ohne die Zustimmung des Vaters gar nichts abmachen können, abgepresste Versprechungen seien von selbst ungültig, und die Schande des Hauses Habsburg fordere Vergeltung. Frieden gebe es erst, wenn die Aufrührer bestraft, die Franzosen besiegt und die ganzen Niederlande wieder in der Hand des Kaisers seien. Die anwesenden Reichsfürsten stimmten zu, das gemeinsame Heer nun auch einzusetzen und die Rebellen zu besiegen, wenn man schon einmal vor Brügge stand.

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Gesagt, getan? So einfach machten es die flandrischen Städte den Reichsfürsten nicht. Offenbar war der Herzog von Kleve, der ja als Geisel für die Einhaltung des Vertrags zu bürgen hatte, nicht davon begeistert, dass der Kaiser den Brügger Vertrag schlicht zerrissen hatte. Der Herzog wechselte die Seiten, er ging zu den Aufständischen über. Das Reichsheer verwüstete zwar gründlich das offene Gelände in Flandern, die befestigten Städte einzunehmen erwies sich aber als langwierig. Irgendwann zogen die Reichsfürsten ihre Truppen ab, sollten die Habsburger doch selber den Rest erledigen. Das Dumme war, dass Maximilian ziemlich pleite war und ihn Schulden drückten. Er sah keine andere Möglichkeit, als den Button zur Geldentwertung zu drücken. Er verringerte den Silbergehalt seiner Münzen drastisch, um genügend Geld für seine Söldner aufbringen zu können. Das guckte sich der Adel nicht lange an, im Jahre 1489 musste Maximilian zur Politik des stabilen Geldes zurückkehren. Er ließ den Mut nicht sinken, hielt an dem Bündnis mit der Bretagne fest. Auch Henry VII. von England stellte er die einleuchtende Frage, welchen Vorteil der Tudor denn von seinem Vertrag mit Frankreich habe, wenn er es nicht auf die Ländereien der Habsburger abgesehen habe. Stimmt eigentlich, stimmte Henry zu, und schickte Söldner über den Ärmelkanal, die den Franzosen gehörig zusetzten. Spanien blieb Maximilian zumindest wohlgesonnen, und die Reichsfürsten beauftragten Herzog Albrecht von Sachsen mit der Fortsetzung des Krieges gegen das abtrünnige Flandern. Gut für Maximilian war auch, dass sich innerhalb des französischen Lagers Risse zeigten: Die französischen Aristokraten ekelten sich vor der Zusammenarbeit mit Proletariern wie Coppenhole. Und König Charles VIII. hatte andere Träume, als sich in Flandern festzubeißen. Er wollte gerne einen Kreuzzug anführen, als Sprungbrett zum Orient sollte ihm das Königreich Neapel dienen. Charles VIII. verfolgte also die Mission „Italienische Ambitionen“, die Anspruchsgrundlage hierfür war die frühere Herrschaft der Anjou über Neapel. Konnte den Habsburgern nur recht sein, wenn Frankreich seine Energien in eine andere Richtung lenkte.

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Von hier bis zu einer Einigung zwischen Charles und Maximilian war es nicht weit. Im Oktober 1489 akzeptierte Frankreich also, 1. dass Maximilian der Vormund seines Sohnes Philipp bleibe, 2. die Kranenburg, in der Maximilian festgesetzt worden war, niedergerissen werden solle, 3. seine Unterwerfung vom Mai 1488 ungültig sei, 4. die Ratsherren der abtrünnigen Städte in schwarzer Kleidung und auf den Knien vor Maximilian um Verzeihung bitten sollen, und 5. diese Städte ihm in den nächsten drei Jahren 300.000 Gulden Schadensersatz zu zahlen hatten. Dafür musste der Römische König den Flandern ihre Privilegien und Freiheiten bestätigen.

Charles VIII. war zufrieden, dass er im Norden seine Ruhe hatte – und der Papst war froh, dass sich der französische König nun hoffentlich auf einen neuerlichen Kreuzzug konzentrieren konnte. Matthias Corvinus traute man inzwischen nicht mehr zu, die Speerspitze der Christenheit zu sein. Für Maximilian und den Kaiser war der Frieden mit Paris auch okay, sie hatten jetzt endlich die Hände frei, den bayerischen Herzog zu bändigen (Maximilian konnte bald Tirol zurückkaufen) und den ungarischen König aus Österreich zurückzudrängen. Das war für die Hebung der Kaisermacht wichtiger als der faktische Verlust Flanderns, zumindest dürfte Friedrich III. so kalkuliert haben. Das dürfte der französische König Charles VIII. nicht bedacht haben, wie ihm die Historiker die politische Klugheit insgesamt weitgehend absprechen.

Maximilian brannte nun darauf, Matthias Corvinus persönlich zu Gesprächen zu treffen, doch der ungarische König war für ein Gipfeltreffen schon zu schwer erkrankt (obwohl dieser an dem Treffen durchaus interessiert war, weil er Maximilian dem hartleibigen Friedrich III. vorzog). Matthias sah seine Tage gezählt und hatte nur einen Wunsch an den Kaiser – er möge seinen Sohn Johann als Thronfolger in Ungarn akzeptieren. Für Friedrich III. war das eine gute Nachricht, zutreffend schloss er daraus, dass Matthias nicht mehr lange zu leben hatte und der ungarische Adel darauf wartete, ihren König loszuwerden. Der Kaiser erklärte sich bereit, Johann als König von Bosnien und Kroatien anzuerkennen – unter der ironischen Einschränkung, falls dieser dort Zustimmung finde. Und im übrigen habe Matthias Österreich zu räumen und Schadensersatz für die Besetzung zu zahlen. Das waren für den Ungarn zu harte Bedingungen, er weigerte sich.

Die Zukunft zeigte, dass Matthias damit alle Chancen für eine Nachfolge Johanns verspielt hatte, denn nun wurde aus dem ganzen Verhandlungspaket nichts. Er hatte sich an Friedrich III. gewandt, um seine eigene Gemahlin zu überspielen, die ihren verhassten Stiefsohn Johann als Nachfolger ausschalten wollte. Tja, antwortete der Kaiser, dann steht der Vertrag von 1463, nach dem der ungarische Thron von den Habsburgern geerbt werden sollte. Maximilian hätte mit Matthias wohl einen Deal geschlossen, doch ohne seinen Vater konnte er hier keinen Vertrag eingehen.

Einige Monate der Verhandlungen verstrichen, für den geduldigen Kaiser eine überschaubare Zeitspanne, für Corvinus der Schlusspunkt: Am 4. April 1490 starb er qualvoll in dem von ihm besetzten Wien. So wie Frankreichs Louis XI. sich einst über den Tod der burgundischen Herzogin Maria gefreut hatte, jubelte jetzt ebenso der greise Kaiser, dass der bedrohlichste Gegner für das habsburgische Erbrecht auf Ungarn vergangen war.

Frei war der Weg allerdings noch nicht. Dass sich der Kaiser mit seinem Sohn darüber stritt, wem von den beiden denn nun die Nachfolge zustand, war da eher eine Randnotiz. Gewichtiger war der Anspruch des Jagellonen Wladislaw, der neben Böhmen nun auch Ungarn haben wollte. Offiziell hatten die ungarischen Adeligen das Wahlrecht, und unter ihnen war man sich einig, dass ein Habsburger auf ihrem Thron, somit eine Union Österreich-Ungarn, eine Politik in Richtung Türkenkrieg bedeutete. Darauf hatten sie keine Lust, es hätte eine Disziplinierung des ungarischen Adels erfordert. Nein danke, dann wollten die doch lieber den umgänglichen Wladislaw auf dem Thron haben. Wäre ein Staatsmann unter ihnen gewesen, er hätte ihnen gesagt, dass sie nach einer türkischen Eroberung noch schlimmer dran sein würden als unter einem kraftvollen König Maximilian.

Maximilian überlegte, mit wessen Unterstützung er den Jagellonen ausbooten könnte. Wladislaw zur Seite zu schieben hätte wohl Krieg mit Polen bedeutet. Eine bisher unerwähnte, neue Macht im Osten kam als Bündnispartner in Betracht: Russland. Abgesandte von Iwan III. trafen in Nürnberg ein, um über einen gemeinsamen Angriff auf Polen-Litauen zu sprechen. Der russische Großfürst hatte ein ähnliches Ziel wie seinerzeit der burgundische Herzog: Er strebte durch das Zusammengehen mit dem Reich die Aufwertung zum König an (nicht nur für Polen, auch für den Papst ein rotes Tuch, denn die Russen waren orthodoxe „Ketzer“). Dabei hatte Iwan III. Reibereien mit dem Deutschen Orden in Livland, dem besonderen Schutzbefohlenen des Kaisers, und wollte von einer Vermittlung in dieser Sache nichts wissen. Vielleicht konnte man den Orden, der ja auch gegen Polen stand, in eine solche Koalition einbinden? Vielleicht konnte man ja auch die Herren von Moldau und der Krim gegen Polen in Stellung bringen? Maximilians Gedankenspiele hatten Geschmack, immerhin war die Krim seit 1475 ein osmanischer Vasall. Wenn der Sohn des christlichen Kaisers sich anschickte, mit den Nachfahren der Mongolen zu paktieren, dann war das um nichts unbedenklicher als die späteren französischen Bündnisse mit dem osmanischen Sultan!

Friedrich III. war geneigt, Iwan die Hand zur Rangerhöhung zu reichen. Aus der Sache wurde nichts, weil hier zwei verschiedene Kulturen zusammenprallten. Denn als es um eine mögliche Heiratsverbindung einer Habsburgerin mit dem Großfürsten ging, verlangte Iwan III. zum Entsetzen der Deutschen, seine Braut erst einmal gezeigt zu bekommen, bevor er einer Ehe nähertrat. Das konnte er für den Frauenpalast seines Kreml so halten, denn die muslimischen Tataren hatten es den Russen so beigebracht. Aber gegenüber mitteleuropäischen Christen verfing das nicht. Iwan setzte selbstbewusst noch einen drauf: Nicht einfach König wollte er sein, sondern Zar – weil Moskau als das Dritte Rom ein besonderer Stellenwert zustehe. Das Interesse Habsburgs an den Mächten im Osten erkaltete unter diesen Umständen rasch wieder.

Am Ende siegte beim ungarischen Erbfolgestreit ausnahmsweise mal die Diplomatie, es kam nicht zum großen Krieg. Die Jagellonen setzten auf eine vernünftige Kompromisslösung: König Wladislaw erkannte 1491 das habsburgische Erbrecht in Ungarn gemäß dem Vertrag von 1463 an. Er blieb zwar Souverän und durfte auch die Stephanskrone an seine Nachkommen weiter vererben. Aber auch Friedrich und Maximilian durften sich Könige von Ungarn nennen und bekamen in dieser Eigenschaft Teile des Burgenlandes („Deutsch-Ungarn“). Falls Wladislaw ohne männlichen Erben starb, ergab sich aus der Doppelherrschaft das Nachfolgerecht der Habsburger, abgestützt durch eine Erklärung der ungarischen Adeligen, nur einen Habsburger zum König wählen zu wollen. Die Regelung schloss auch Böhmen ausdrücklich ein.

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Wladislaw hatte Beatrix, die Witwe des Corvinus geheiratet, von der keine Kinder mehr zu erwarten waren. Er verzichtete somit auf eine Ehe mit Bianca Maria Sforza, die nun für Maximilian frei wurde. Der verzichtete durch die Sforza-Ehe wiederum auf eine Verbindung mit Anna von Bretagne, die gerade in ihrer Hauptstadt Rennes vor den Franzosen hatte kapitulieren müssen. Man erkennt an diesem Ehe-Geschacher, dass Frankreich in die Lösung eingebunden wurde. Für Polen war Mailand zu weit weg, um interessant zu sein, für Habsburg schien das Einsteigen hier günstig, den Franzosen den Weg nach Neapel zu versperren. Polen hatte den Nutzen, dass es in Ungarn und Böhmen zunächst weiter am Ruder bleiben konnte, ein Bündnis von Reich und Russland war vom Tisch. Und: Habsburg gab mit dem Deal indirekt den Deutschen Orden den Polen preis. Offenbar war der „besondere Schutzbefohlene“ des Kaisers doch nur eine Figur auf dem politischen Schachbrett.

Verliererin in diesem Spiel war auch die Herzogin Anna von Bretagne. Da sie von Maximilian keine Hilfe mehr erwarten konnte, rettete sie wenigstens den Besitz ihres von den Franzosen eroberten Landes, indem sie ihren Feind Charles VIII. - heiratete! Am 27. Februar 1492 läuteten die Hochzeitsglocken und Anna wurde zur Königin von Frankreich gekrönt.

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Da zeigte sich die Weitsichtigkeit des Kaisers, der seinen Sohn damals dafür gerügt hatte, dass er so vorschnell eben jene Anna geheiratet hatte. Okay, es war nur eine Hochzeit zwischen Abwesenden gewesen, lediglich symbolisch vollzogen. Trotzdem: Man hatte die 1490 geschlossene Ehe des Kaisersohnes, des Römischen Königs, einfach aufgelöst und Maximilian damit vor der ganzen Christenheit lächerlich gemacht. So wurde er zwar frei für die Ehe mit Maria Sforza, aber die Angelegenheit schrie doch nach Krieg und Rache wie kaum sonst eine im Leben der Staaten und dynastischen Häuser. Na gut, die verletzte Ehre des Sohnes war Friedrich III. im Grunde ziemlich schnuppe. Was ihn wirklich aufbrachte, war die freche Verhandlungsführung der Franzosen, die auf die Einhaltung des Frieden von Arras beharrten.

Grummelnd musste der Kaiser bei einem Blick in die Statistiken erkennen, dass seine Truppen gegen Charles VIII. wohl kaum ausreichen würden. Die Reichsfürsten hatten kein Interesse daran, gegen Frankreich zu marschieren, sie wollten sich lieber auf die Türken konzentrieren. Beim Geld für Söldner sah es für Friedrich ebenfalls knapp aus. Also lieber keinen Krieg mit Frankreich riskieren und lieber in Flandern durchgreifen, wo sich Charles VIII. ja wenig engagierte. In Gent regierte der Coppenhole, bis die Bürger sich dem militärischen Druck der Kaiserlichen beugten, „ihren Schreihals“ hinrichteten und den Franzosen eine Absage erteilten. Geht doch, wird sich der Habsburger gedacht haben, als Ende 1492 ganz Flandern wieder auf Linie gebracht war.

Charles VIII. hatte keine Lust, sich mit seinen Nachbarn herumzuschlagen. Also schloss er zum einen mit Spanien einen Vertrag, in dem er auf das umstrittene Roussillon, den ewigen Zankapfel zwischen diesen beiden Ländern, verzichtete. Zum anderen machte er Frieden mit dem Kaiser. Von dem wusste der französische König, dass er ständig knapp bei Kasse war. Und Geld hatte Charles reichlich auf der Kante. Maximilian führte die Verhandlungen und griff mit beiden Händen zu. Dem Franzosen schwadronierte er etwas von einem Bündnis gegen die Türken vor, die harten Fakten des Friedensvertrags waren anderer Natur: Maximilian rettete für Habsburg den größeren Teil der Erbschaft Burgunds. Die Freigrafschaft, Luxemburg, Namur, Hennegau, Brabant, Geldern, Holland und Seeland, ebenso die Grafschaften Nevers, Artois und Charolles sollten an Maximilians Sohn Philipp 1498 (zu dessen 20. Geburtstag) zurückgegeben werden. Cambrai wurde direkt dem Reichsgebiet zugefügt, sogar das von Habsburger Truppen besetzte Arras trat Frankreich an Philipp ab.

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Eine Sache wurde diskret ausgespart: Die skandalöse Auflösung der Ehe zwischen Maximilian und Anna von Bretagne. Der Habsburger war wegen dieser Sache auf Dauer voller Hass auf die Franzosen, der Realpolitik wegen zog man es aber vor, alle Dokumente, die mit der Einfädelung der bretonischen Bigamie zusammenhingen, zu vernichten. Anna war danach die rechtmäßige Königin Frankreichs. Abgesehen von diplomatischem Genickel war der Konflikt um Burgund und Flandern damit nach 16 Jahren beendet. Maximilian durfte doch eigentlich zufrieden sein, er hatte die Zitterpartie um seine Zukunft gut überstanden. In einer wichtigen politischen Sache blieben Maximilian und Charles VIII. weiterhin über Kreuz: Der Franzose hatte den Frieden geschlossen, um endlich durch Italien nach Neapel marschieren zu können und dann den Krieg gegen das Osmanische Reich zu führen. Maximilian wollte die Franzosen aber keinesfalls nach Italien hineinlassen. Da lag weiter Zündstoff drin. Es sah nicht nach einer großen christlichen Koalition aus.

Kaiser Friedrich III. erkannte das, er war ja ein alter Hase in politischen Dingen. Die Heirat seines Sohnes mit der mailändischen Sforza fand er nicht richtig, diese Sippe hatte den Ruch von Emporkömmlingen, das war keine gute Partie für einen zukünftigen Kaiser. Inzwischen war Friedrich aber alt und müde geworden, die neuen Reibereien waren nicht mehr sein Ding. Es war unübersehbar, dass seine Kräfte verfielen, seine Arterien verkalkten und er an Altersschwäche litt. Im Sommer 1492 empfing er ausnahmsweise eine venezianische Delegation, auf die er einen erschreckend greisenhaften Eindruck machte. Eigentlich interessierte sich Friedrich III. zuletzt nur noch für kleinliche Dinge. Es gab da noch eine nebensächliche Korrespondenz mit dem portugiesischen Hof. Friedrich III. hatte gehört, dass ein gewisser Kolumbus jenseits des Atlantiks im Westen Land entdeckt hatte. Das war im Jahre 1492 noch keine Sensation, wie andere auch schenkte Friedrich dem wenig Aufmerksamkeit. Er war halt ein Herrscher von mittelalterlichem Format.

Mit dem Jahr 1493 wurde der Kaiser schwerkrank, er verlor zunächst das Empfinden in den Zehen, dann wurde das linke Bein bis zum Knie schwarz. Der Altersbrand. Einige Zeitgenossen waren der Meinung, den habe sich der Kaiser durch seine unselige Angewohnheit, die Türen mit dem Fuß aufzustoßen, eingehandelt. Andere munkelten, Friedrich könnte sich bei seinen alchimistischen, wahrscheinlich gottlosen Spielereien zur Strafe eine Vergiftung geholt haben. Mitte des Jahres konnte er jedenfalls nicht anders, als einer Amputation des zerfressenen, eiternden Unterschenkels zuzustimmen. Ob und wie viel Schmerz der Kaiser bei dieser Prozedur empfand, ist nicht überliefert. Nur, dass die Amputation fast in der Öffentlichkeit stattfand, vor etlichen Herren , Rittern und Knechten. Nach dem Eingriff ging Friedrich III. ziemlich munter damit um: Nun werde er wohl als „Friedrich der Einbeinige“ in die Geschichte eingehen, frotzelte er. Dann soll er das abgesägte Bein in die Hand genommen und beklagt haben, dass nun auch dem Reich ein Bein fehle, und dass, da an des Kaisers Gesundheit die des Reiches hänge, nun für beide keine Hoffnung mehr bestehe. Ein gesunder Bauer sei glücklicher als ein kranker Kaiser.

Für eine kurze Zeit gewann die zähe Konstitution des Kaisers noch einmal die Oberhand. Auf einmal wollte der Eigenbrötler Gesellschaft um sich haben, obwohl die Höflinge gerade jetzt die Distanz zumindest solange vorzogen, bis sich die Wunde am Bein schloss. Am Vortag des 15. August 1493 (Mariä Himmelfahrt) fastete Friedrich bei Wasser und Brot, obwohl er schon geschwächt war. Nach einer Version bekam er natürlich Hunger, verlangte in der Nacht vor dem Feiertag seine geliebten Melonen, aß gierig acht Stück, trank kaltes Wasser dazu und zog sich auf der Stelle Durchfall zu. Nach einer anderen Version erlitt der Kaiser wegen seines schwächenden Fastens einen Schlaganfall. Vielleicht sind sogar beide Versionen gleichzeitig zutreffend.

Am nächsten Tag lag Friedrich jedenfalls darnieder und machte seinen Frieden mit der Welt. Damit der Klerus ordentlich für ihn beten konnte, ließ er seinen Sohn bitten, dessen Privilegien zu bewahren. Wie Maximilian es ansonsten mit dem Kirchengut halten wolle, überlasse er ganz ihm. Aber für des Vaters Diener und Hofgeistliche möge er angemessen sorgen. Am 19. August 1493 empfing Friedrich III. die Sterbesakramente und verschied friedlich, einen Monat vor seinem 78. Geburtstag.

So, was war das jetzt? Ein schnarchiger Kaiser, der alle Probleme einfach aussitzen wollte? In der Tat war es eine seiner maßgeblichen Leistungen, schlicht so lange zu regieren und sie alle zu überleben. Von den geistlichen und weltlichen Fürsten aus dem Jahr seines Regierungsantritts lebte kein einziger mehr. Niemand von denen, die ihn etwas angingen, wie zum Beispiel Papst Eugen IV., und auch niemand von denen, die ihn nichts angingen, etwa der Emir von Granada (sogar dessen Reich hatte im Januar 1492 aufgehört zu existieren). Eine seiner Leistungen war die Wiedervereinigung der seit 1379 geteilten Länder des Hauses Österreich. Auf dieser Basis ging er daran, die Ländereien der Luxemburger sowie Ungarn einzufügen, und bahnte die Erbschaft Burgunds an. Das war in seiner Gesamtheit die Voraussetzung für den europäischen Durchbruch des Hauses Habsburg. Friedrich III. hing nicht zu Unrecht der Name der „Reicherzschlafmütze“ an - doch auf den Schultern dieses regungslosen Kaisers standen später die mächtigsten Vertreter des Habsburger.

… und wie ging es weiter?

Der Landfrieden wurde einige Jahre später endlich realisiert, das Reich zu diesem Zweck in Kreise eingeteilt. Die Gerichte in diesen Bezirken arbeiteten langsam, schufen mit der Zeit aber eine gewisse Rechtssicherheit und beendeten das bisherige Fehdewesen. Der schwäbische Bund dagegen, oder die Aufstellung eines dauerhaften Reichsheeres, blieben später im religiösen Konflikt zwischen Altgläubigen und Protestanten auf der Strecke. Außenpolitisch schaffte Maximilian später den Ausgleich mit Polen und verhandelte gegenseitige Hochzeiten zwischen Habsburgern und Jagellonen. Auf diese Weise fielen die Königreiche Böhmen und Ungarn 1526 dann den Habsburgern durch Erbschaft zu. Der Donauraum war endlich unter ihrer Führung geeint, das war schon das große politische Ziel Friedrichs III. gewesen. Noch größer war der Erfolg der Einheirat in das kastilische Königshaus. Philipp der Schöne, der gemeinsame Sohn des Habsburgers Maximilian und Maria von Burgund, heiratete 1496 Juana die Wahnsinnige, die Tochter des spanischen Königspaares Isabella und Ferdinand. Mit dieser Ehe schmiedete man seinerzeit ein Defensivbündnis gegen Frankreich. Der Sohn aus dieser Verbindung war dann Karl V., in dessen Person sich die Machtverhältnisse der europäischen Staaten in einer geradezu revolutionären Weise bündeln sollten, denn er vereinte die Kronen des Heiligen Römischen Reiches und von Spanien.

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Dazu kam ja noch die Entdeckung der Neuen Welt unter spanischer Oberhoheit. Ungarn und Spanien überkompensierten die kaiserliche Machtlosigkeit bereits so sehr, dass sie Habsburg zum Übergewicht in ganz Europa verhalfen. Der Anschluss der Schätze Amerikas sprengte auch noch den kontinentalen Rahmen. Das war dann nicht mehr mittelalterlicher Universalismus, sondern neuzeitlicher Imperialismus, gegründet auf die Übermacht anstatt auf Sakralität und Ehrenführerschaft – auf Gold und Landsknechte anstatt auf geistig-geistliche Konkordanz zwischen den Staaten, auf Herrschaft anstatt auf himmlisch inspirierte Gemeinschaft.

Das Video erzählt zwar von Maximilian, spielt zum größten Teil aber in dem Zeitraum dieses Kapitels:

Friedrich III. und Maximilian I.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 4. Mai 2019 08:00

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Die universelle Spinne

Louis XI.
lebte 1423 bis 1483
König von Frankreich 1461 bis 1483
Startdatum: 11. November 1444


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Im Jahre 1444 in Frankreich. König Charles VII. hatte es trotz eher mäßiger persönlicher Fähigkeiten geschafft, den Einfluss der verhassten Engländer in seinem Land zurückzudrängen. Die Schlappe von Azincourt (1415) sowie vom Vertrag von Troyes (1420) waren überwunden. Seit Anfang des Jahres griff ein fünfjähriger Waffenstillstand, und es galt als ausgemacht, dass nach dessen Ablauf die Engländer aus Frankreich weggefegt würden. Henry VI. wurde jedenfalls nicht zugetraut, sich dagegenstemmen zu können, außerdem lag England im Clinch der Rosenkriege zwischen Lancaster und York.

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Jetzt erwartet wohl jeder Leser hier, dass eine Story vom blauen Blob kommt, wie Frankreich sich in kurzer Zeit auf 100 Territorien aufbläht. EU4 gibt einem dafür ja günstige Voraussetzungen an die Hand. So war es historisch aber nicht. Frankreich war nicht wegen Charles VII. so rasch zu großer Macht zurückerlangt, sondern trotz dieses Königs.

Zumindest einen gab es in Frankreich, der sich wohl schon 1444 über den Erfolg von Charles VII. wunderte: Sein eigener Sohn Louis, der 21jährige Thronfolger. Vater und Sohn waren ziemlich verschieden und einander fremd: Hier der genussfreudige König, freigiebig und wenig am Regieren interessiert. Dort der unauffällig auftretende Dauphin, bescheiden in seiner Lebensführung, grüblerisch und bedacht, außerdem fleißig in Verwaltungsfragen (heute wurde man wohl Aktenfresser dazu sagen). Es wäre nur historisch, wenn der Thronfolger in EU4 einen hohen Admin-Wert, jedoch einen geringen Militärwert mitbringt. In diesem Kapitel soll es um den Dauphin Louis gehen, diesen ernsthaften Charakter, der einmal den Beinamen „die allgegenwärtige Spinne“ erhalten sollte. Kein Wunder also, wenn er später die Eigenschaft „Geschickter Netzwerker, +25% für Spionageaufbau“ bekommen wird.

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Das Baby, das eines Tages als Louis XI. allerchristlichster König von Frankreich werden sollte, war am 3. Juli 1423 zur Welt gekommen. Es war ein ungünstiger Zeitpunkt für einen Thronerben. Das Schicksal seines Vaters Charles VII. war ungewiss, das Ansehen seines Hauses Valois und das seines Landes war an einem Tiefpunkt angelangt. Sein Großvater Charles VI. (wenn er es denn wirklich sein Großvater war) war ein schwachsinniger König, anfangs von den großen Fürsten in die Ecke gespielt und später gezwungen, seine Tochter und sein Königreich einem fremden Eroberer, Henry V. von England, zu überlassen. Nun gut, Charles VI. War 1422 gestorben, als ein knappes Jahr vor Louis' Geburt. Der Vater des Neugeborenen wurde höhnisch „König von Bourges“ genannt, weil in Frankreich sein Arm nicht besonders weit reichte. Seine unzüchtige Mutter hatte ihn zum Bastard erklärt, Charles VII. hatte weder sich selbst noch die Fürsten im Griff.

Eine persönliche Beziehung baute König Charles VII. von Anfang an nicht zu seinem Sohn Louis auf. Der Junge wurde in seinen ersten zehn Lebensjahren nach 1423 in der Festung Touraine verwahrt, ein düsteres, karges Gemäuer, zu dessen Füßen sich ein wirrer Haufen von Dorfhütten befand. Ein Bollwerk, das nicht gebaut worden war, um darin zu leben, sondern um dort zu kämpfen. Umgeben war die unzugängliche Burg von einer dicht bewaldeten Landschaft, reich an Wild. Die Zeiten war zu unsicher für einen so wertvollen Knaben, der König war von zwielichtigen Männern umgeben, die sich in wichtige Ämter gedrängt hatten. Unter ihnen war der Adelige La Tremoille.

Erstmals wurde der Junge im Jahre 1429 erwähnt, als er im Alter von sechs Jahren der berühmten Jeanne d'Arc begegnete. Da hatte sie gerade die Engländer vor Orleans besiegt und war zur Hoffnungsträgerin Frankreichs geworden. Ein Ritter in der anwesenden Gesellschaft schrieb: „Nachdem Andre de Laval der Jungfrau seine Aufwartung gemacht hatte, reichte sie ihm lächelnd ein Glas Wein und sagte lächelnd: Wir werden wieder zusammen trinken, in Paris! Da ging ich weiter, um meinen Herrn, den Dauphin, im Schloss zu besuchen. Er ist ein äußerst anziehender und huldreicher Herr, von guter Gestalt, behände und wirklich gescheit, etwa sieben Jahre alt.“ Für König Charles VII. war Jeanne in der Tat ein Geschenk des Himmels, sie ermöglichte ihm die Krönung in Reims, endlich war er wirklich König von Frankreich. Ihr Ende war weniger schön: Aufgrund der Einflüsterungen neidischer Ratgeber ging Charles in der Zeit danach auf Distanz zu der Jungfrau, die an die mit England verbündeten Burgunder verraten und schließlich 1431 verurteilt und verbrannt wurde.

Charles VII. fuhr fort, sich in Schlössern des Landes zu verstecken, die Adeligen übernahmen das Regieren, der Krieg gegen England lief gewohnt schlecht. Trotzdem: Der König war der Kristallisationspunkt der französischen Hoffnungen auf Wiedergeburt des Landes. Junge Herren, eine neue Generation, entmachteten den einflussreichen Tremoille und zwangen den gedemütigten König, eine Versammlung der Stände einzuberufen und neue Gouverneure an seiner Seite zu akzeptieren. Diesmal waren angesehene Männer darunter, immerhin.

Im Jahre 1433 brachte dieser Umsturz am Hofe seines Vaters dem nun zehnjährigen Louis seine Befreiung aus der düsteren Feste. Louis lebte nunmehr mit seiner Mutter und den Schwestern in dem luftigen Schloss Amboise hoch über der Loire. Offenbar begriff der Junge bereits jetzt, dass das dereinst mächtige Königreich Frankreich tief gefallen war und er ein Erbe von Elend und Schande war. Weitere drei Jahre später, im Sommer 1436, betrat Louis die Bühne der Öffentlichkeit, und zwar als Bräutigam. Er war weit davon entfernt, hübsch zu sein, aber er hatte ein markantes Gesicht, das entweder gefiel oder einschüchterte. Das elfjährige Mädchen, das er heiraten sollte, war Margarete von Schottland. Frankreich brauchte einen Bündnispartner gegen England. Die Trauung war, gemessen an dem Rang der Beteiligten, bescheiden bis zur Peinlichkeit. Der König begrüßte seinen Sohn nicht einmal vernünftig und erschien in einem grauen Reitkostüm zu der Zeremonie in der Kapelle. Nicht einmal hatte er abgelegt, ein Skandal. So kurz fertigte Charles seinen Sohn ab.

Es überrascht also nicht, dass sich Louis im Jahre 1440 zur Teilnahme an einem Adelsaufstand gegen den König bewegen ließ, die sogenannte Praguerie. Dieser Rebellion blieb vor allem deshalb der Erfolg versagt, weil kein weiterer Bürgerkrieg erwünscht war und Charles VII. das Bürgertum für sich gewann. Bis Juli 1440 ergaben sich alle oppositionellen Hochadligen, die Verzeihung durch den Monarchen erhielten, der seinerseits den jugendlichen Dauphin Louis durch die Übertragung der selbständigen Regierung der Grafschaft Dauphiné zufriedenzustellen suchte. Dorthin also war der unbotmäßige Thronfolger abgeschoben, als das Spiel im Jahre 1444 beginnt.

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Es war der alte Gegner Frankreichs, der Engländer, der jetzt dem Dauphin Louis die Gelegenheit bot, seine Talente zu bewähren. Bei der Ankunft seines Vaters in Tours gegen Ende April 1444 fand er den Earl von Suffolk vor, den Ersten Minister Henrys VI., der gekommen war, um zu einen Vertrag mit den Franzosen zu gelangen sowie zu einem Heiratsbündnis. Ein Waffenstillstand von zwei Jahren wurde vereinbart und mit der Verlobung zwischen Henry VI. und Margarete von Anjou besiegelt, der schönen Tochter des Herzogs René von Anjou und Lothringen (der zugleich Titularkönig von Neapel war und ein Schwager des französischen Königs war).

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Die Menschen in Frankreich nahmen die Nachricht vom verlängerten Waffenstillstand erleichtert zur Kenntnis. Da ergab sich aber ein Problem: Wohin nun mit den zehntausenden von Söldnern, deren Kriegsdienste Frankreich nun nicht mehr benötigte, die das Land aber bis auf die Knochen verheerten? Es gab keine Militärmacht im Land, die fähig gewesen wäre, sie zu bändigen oder zu vertreiben. Außerdem würden sie ja nach Ablauf des Friedens wohl erneut gebraucht werden. Glücklicherweise riefen der deutsche Kaiser Friedrich III. und sein Vetter, der Herzog von Österreich, die durch einen Freundschaftsvertrag an den französischen König gekettet waren, in diesem Augenblick um Hilfe gegen die verwegenen Schweizer. Weil die Habsburger mit ihnen nicht fertig wurden, stimmte nun die Regierung Charles VII. der Entsendung einer Armee zu, die Unterstützung leisten sollte. Angelockt von der Aussicht auf Beute wurden die Söldner Frankreichs, die zu Tausenden voller Blutdurst und Disziplinlosigkeit waren, unter den besten Anführern jener Tage marschbereit gemacht und nach Osten in Bewegung gesetzt, weg vom leidvollen Königreich Frankreich, gegen die Schweizer und was sich ihnen sonst in den Weg stellen mochte. Die Deutschen versprachen eifrig, ihre Bundesgenossen zu versorgen und einzuquartieren. Der Rattenfänger, der es fertiggebracht hatte, sich auswählen zu lassen, die Ratten wegzulocken, war der Dauphin Louis. Der Erbe übernahm eine ebenso zweideutige wie gefahrvolle Mission.

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Louis schlug sein Hauptquartier im Elsass aus (das böse unter den Übergriffen seines Heerwurms litt) und marschierte von dort gegen die Schweizer. Im August 1444 kam es zur entscheidenden Schlacht: Die Anzahl der 15.000 professionellen Söldner übertraf die der 2.500 Schweizer Infanteristen bei weitem. Der Sieg war tatsächlich bei Louis, aber das Ergebnis der Schlacht war trotzdem eine Sensation, über die man in ganz Europa staunte: Diese wenigen Schweizer hatten buchstäblich bis zum letzten Mann gekämpft und mindestens 4.000 ihrer Gegner mit in den Tod gerissen.

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Donnerwetter, muss sich der Dauphin gedacht haben, auch er zutiefst beeindruckt von den militärischen Fähigkeiten und dem Todesmut der Schweizer. Er fällte persönlich einen Entschluss: Diese tapferen Schweizer muss ich zu meinen Freunden machen! Trotz fortgesetzter Kämpfe führte er mit seinen Gegnern Verhandlungen, und die führten am 28. Oktober 1444 zum Erfolg: Louis ratifizierte einen Freundschafts- und Handelsvertrag mit den Schweizern.

Danach hielt es Louis in den Schrecken der marodierenden Söldner im Elsass nicht länger aus, er ritt im Januar 1445 nach Nancy, der Hauptstadt Lothringens. Am Hof des Königs René war es angenehmer, es gab Turniere, Tanz, Bankette und Spaziergänge. René wurde „der gute König“ genannt, er war das 35jährige Oberhaupt des Hauses Anjou. Sich selbst nannte er König von Neapel, er hatte es aber kläglich versäumt, dem Titel auch Inhalt zu verleihen, und dem Herzog von Burgund schuldete René noch ein enormes Lösegeld. Nun, René umgab sich lieber mit Gleichgesinnten, die sich vorzüglich auf Zeitvertreib verstanden. Sein hitziger Sohn Johann, Herzog von Kalabrien, verfügte über sämtliche Führereigenschaften, ausgenommen das richtige Gefühl dafür. Seine 16jährige Tochter Margarete, schön und gebildet, stand eben am Beginn ihres aufwühlenden und tragischen Schicksals als Gemahlin Henrys VI. von England. Als im Februar 1445 der Herzog von Suffolk mit einem ganzen Gefolge von Herren eintraf, um Margarete von Anjou nach England zu geleiten, überschlug sich der Hof mit fürstlichen Festen und Turnieren.

Hoch über dieser ritterlichen Gesellschaft thronte König Charles VII., in seiner Nähe sah man nun eine wunderschöne junge Dame namens Agnes Sorel. Sie war eigentlich schon seit 1443 seine Mätresse und hatte Charles auch schon eine Tochter geboren, bekannt wurde ihr Gesicht aber erst jetzt. Agnes Sorel war übrigens die erste Mätresse, mit der sich ein französischer König offiziell schmückte – Beginn einer langen Tradition. Die junge Frau war angenehm im Umgang, gebildet und übte guten Einfluss auf den König aus. Auf der anderen Seite umgab sich Charles VII. mit dem tapferen Soldaten Pierre de Breze, ein Mann von feiner Lebensart, reich ausgestattet mit menschlichen Tugenden. Dann gab es da noch den mächtigen Kaufmann Jaques Couer, der das Amt des königlichen Schatzmeisters bekleidete (er war mit Handelsgesellschaften in den Orient reich geworden).

Vor dem farbigen Hintergrund dieses Hofes machte der Dauphin Louis eine düstere Figur. Der Prinz der Heerlager und Beratungszimmer war für diese Zeit oder diesen Ort nicht geschaffen. Am Leben und Treiben der Turniere und Bankette beteiligte er sich nicht. Neidisch beobachtete Louis, wie sein Vater großzügige Geschenke an Leute wie Sorel und Breze verteilte, während er selber kurz gehalten wurde. Der Thronfolger hatte keinen Sous in der Tasche, um seine Schulden zu bezahlen. Aber es half nichts, er musste gute Miene zum bösen Spiel machen.

Einige Monate lang hatte Louis den Auftrag, einige (ergebnislose) Verhandlungen in Burgund zu führen. Während des heißen August 1445 machten sich Louis und seine schottische Gemahlin bereit zur Abreise, da wurde die zarte Frau krank. Sie hatte sich nach einer Tagesreise (eine Wallfahrt) unvorsichtigerweise der meisten ihrer Kleider entledigt gehabt, um die Kühle in ihrem steinernen Gemach zu genießen. Am nächsten Morgen fieberte sie und wurde von Husten gequält, es war eine Lungenentzündung. Am 16. August 1445 starb sie, ein verstörender Schicksalsschlag für den Dauphin.

Von da an verschwand Louis jahrelang quasi von der großen Bühne, er stürzte sich in seiner Grafschaft Dauphiné in die Arbeit. Lediglich im Dezember 1446 weilte er noch einmal am Hof seines verhassten Vaters. Der Anlass für das Treffen war, dass Charles VII. noch einmal Vater wurde: Am 28. Dezember schenkte die Königin einem Knaben das Leben, der den Namen seines Vaters erhielt. Es gab nun neben Louis einen weiteren möglichen Thronerben. Am 1. Januar 1447 brach Louis zurück in seine Dauphiné auf. Jetzt war es noch ein neuer Rückzug des inzwischen 23jährigen. Er sah seinen Vater nie wieder, obwohl der König noch fünfzehn Jahre regieren würde. Die rückständige Dauphiné war eine Art Exil für Louis, hier machte er sich mit seinem Hang zur Hang zur Detailarbeit an das Flottmachen seiner Grafschaft. Und das gelang ihm, er arrangierte sich geschickt mit den lokalen Adeligen und Bischöfen und ordnete erfolgreich die Verwaltung und die Wirtschaft der Grafschaft.

Im Jahre 1450 hatte Louis seine Verwaltung fest verankert, und die Dauphiné hörte auf, alle seine Kräfte in Anspruch zu nehmen. Ruhelos streckte er seine Hand nach den sich dauernd verändernden politischen Kombinationen in Italien aus. Gespannt beobachtete er aus der Ferne die Intrigen am französischen Hof. Überall setzte Louis seine Agenten ein, um sich stets in die Pläne und Gedanken der anderen Mächtigen hineinversetzen zu können. Er wusste, dass viele am Hof seines Vaters ein Interesse daran hatten, dass dessen Verhältnis zu ihm getrübt blieb. Gerüchte über einen neuerlichen Verrat des Dauphin wurden in Paris gestreut und bereitwillig von Charles VII. aufgenommen. Louis musste sich sorgen, dass sein Vater ihn mittels einer Invasion entmachten könnte. Immerhin hatte es Charles VII. im Jahr zuvor geschafft, die Engländer aus der Normandie zu vertreiben (den Waffenstillstand hatten die Engländer 1449 törichterweise gebrochen). Henry VI. war nur noch ein jämmerlicher Flecken Land in Frankreich geblieben, nämlich Calais, und England versank nach dieser Schmach in den Wirren des Bürgerkriegs.

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Charles VII. dagegen galt jetzt als „der Siegreiche“. Der König selbst gab sich immer leidenschaftlicher den Vergnügungen hin. Die Mätresse Agnes Sorel starb 1450 und wurde durch Antoinette de Maignelais ersetzt. Genauer gesagt, umgab sich der König mit einer ganzen Schar von Geliebten, während Schatzmeister Coeur die tatsächliche Regierung ausübte. Louis wurde von seinem Vater angeklagt, „sich in die Geschäfte von Jaques Coeur zu mischen“, eine deutliche Warnung (an beide).

Der Dauphin seinerseits hatte die Dinge beschleunigt, indem er die Einwilligung des Königs zu einer Heirat erbat. Louis wollte eine Tochter des benachbarten und verbündeten Savoyen ehelichen. Immerhin war er schon 27 Jahre alt, ohne Weib und ohne Nachkommen, es wurde also Zeit. Der Erbe des Königreichs Frankreich musste schließlich für die Dynastie sorgen. Doch Charles VII. ignorierte das Ansinnen seines Sohnes, befand die Verbindung für unangemessen. Louis entschied sich, die Hochzeit trotzdem durchzuführen, was auch am 9. März 1451 geschah. Der König war erbost über das eigenmächtige Verhalten seines Sohnes und entledigte sich zunächst des einflussreichen Schatzmeisters Coeur: Der wurde eingekerkert, der Majestätsbeleidigung angeklagt und enteignet. Coeur konnte zum Papst fliehen (er starb 1456 als Befehlshaber gegen eine türkische Flotte).

Nachdem der Coeur entfernt war, ging König Charles VII. langsam und in aller Ruhe gegen seinen Sohn vor, der es gewagt hatte, nach eigenem Belieben zu heiraten. Er entzog ihm 1452 seine Bezüge sowie, nachdem Louis gegen diese Maßnahme protestiert hatte, auch seine Ländereien in der Dauphiné. Auf Savoyen übte der König Druck aus, sich von Louis zu distanzieren. Zum Nachdruck setzte Charles VII. ein Heer in Richtung Savoyen in Bewegung – Louis erkannte, dass es auf seinem Weg dorthin sehr wohl auch ihn wegfegen konnte. Doch trotz der drohenden Invasion weigerte sich Louis, sich von seinen „üblen Ratgebern“ zu trennen und in Paris zu erscheinen, wie es der König von ihm forderte. Eine Schonfrist erlangte Louis noch, weil er mit Erlaubnis seines Vaters dem Lothringer René bei einem (erfolglosen) Feldzug Richtung Genua helfen durfte, der René auf den Thron von Neapel bringen sollte. Das Vorhaben war illusorisch, offenbar wollte sich Charles VII. in der Zwischenzeit noch einmal in Ruhe um die englischen Aktivitäten in Aquitanien kümmern. Nachdem er die Engländer dort 1454 in die Flucht geschlagen hatte, beschäftigte er sich wieder mit seinem Sohn.

Ende 1455 war es dann soweit, Charles VII. zog mit Heeresmacht gegen die Dauphiné. Es blieb nicht mehr viel Zeit übrig für Verhandlungen. Louis hatte militärisch keine Chance, er stand praktisch alleine gegen seinen Vater. Vor Ort ausharren schien zwecklos und gefährlich. Also unterwerfen oder flüchten. Louis entschied sich für letzteres: Er verkündete, dem Aufruf des Papstes zu einem Kreuzzug zu folgen und schickte Anfang 1456 einen Mönch mit dieser Nachricht zu seinem Vater. Zurück kam weder eine Antwort noch ein Mönch. Statt dessen überschritt die französische Armee die Grenze zur Dauphiné. Louis packte im August seine Sachen und haute ab – nach Burgund, zu seinem Onkel, dem Herzog Philipp dem Guten. Offiziell gab sich Louis als Kreuzfahrer, der sich wegen dieser Unternehmung am Hofe des großartigen Philipp einfand. In Wahrheit war der Dauphin ein landloser Flüchtling auf der Suche nach einem starken Beschützer.

Den fand er in dem Herzog Philippe III. von Burgund. Der Herzog, damals fast 60 Jahre alt, war ein gelassener Mann, der nur selten wütend wurde, nämlich dann, wenn ihm etwas in die Quere kam. Aber Philippe III. kam selten etwas in die Quere, gewöhnlich war er höflich gegenüber allen, seiner Größe sicher. Seine liebenswürdige Art hatte ihm den Beinamen „der gute Herzog“ eingebracht. Sein Gang, sein Aussehen, sein Auftreten verkündeten: Ich bin ein Fürst.

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Die Besitzungen und Herrschaften des Herzogs von Burgund erstreckten sich von der Nordsee bis zur Mosel. Als Graf von Flandern und Artois sowie als Herzog von Burgund gehörte er zu den Großen Frankreichs. Aus eigenem Recht herrschte er über die Niederlande, Luxemburg und die Grafschaft Burgund (Franche Comté). Im richtigen Augenblick hatte er 1435 das englische Bündnis aufgekündigt, um Frieden mit Frankreich zu schließen und für sich die Provinz Picardie zu gewinnen. Geduldig hatte er daran gearbeitet, seine zerteilten Besitzungen zu einem vereinigten Staatswesen zusammenzuschweißen. Er unterhielt kein stehendes Heer, besteuerte sein Volk mit milder Hand und lange Friedensjahre waren der Wohlfahrt seiner Länder förderlich. In den großen Handels- und Industriestädten Flanderns verwandelten Tausende von Handwerkern englische Wolle in Tuch, das in alle Teile Europas ausgeführt wurde. Burgund war deshalb immens reich und ein Zentrum höfischer Kultur.

Jetzt aber, im Jahre 1458, als sich der Dauphin in Burgund vor seinem königlichen Vater verkrochen hatte, gab es Spannungen zwischen Frankreich und Burgund, Meldungen über französische Truppenbewegungen an der Grenze sorgten für Unruhe. Doch der Tod trieb sein launisches Spiel mit dem König und dem Herzog. Louis erfuhr, dass eine Krankheit seinen Vater befallen und ihn mit einem eiternden Bein und geschwächt zurückgelassen hatte. Dann zog sich Herzog Philippe ein ernstes Fieber zu. Der Dauphin bangte um die Gesundheit seines Beschützers, und vor allem um seine unsichere Lage. Er nahm Kontakt auf zum burgundischen Erben Charles dem Kühnen. Der war von einem anderen Schlag als der Vater, Charles war leicht in Wallung zu bringen – was seine Umgebung mit dessen sexueller Enthaltsamkeit erklärte – und extrem auf seinen sozialen Rang bedacht. Jedenfalls lernten sich die beiden späteren Rivalen in dieser Zeit persönlich kennen, und sie waren ziemlich unterschiedliche Persönlichkeiten. In der Tat war die Anwesenheit des Dauphin in Burgund nicht mehr sonderlich gewünscht, man beobachtete misstrauisch jeden Schritt dieses wichtigen Gastes. Louis verstand, dass er sich unauffällig abseits des Hofes halten musste, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten.

Von seinem abgelegen Anwesen in Burgund aus beobachtete Louis die politischen Entwicklungen. In England ging es bei den Rosenkriegen rund: In einer wütenden Schlacht hatten Edward von York und der Königsmacher Warwick das Heer der Lancaster besiegt und Henry VI. nach Schottland in die Flucht geschlagen. Am interessantesten war die Nachricht vom Hof in Paris: König Charles VII. war bei schlechter Gesundheit, die Astrologen sagten voraus, dass nur ein Wunder den König über den Monat August 1461 hinaus am Leben erhalten könne. Nach außen hin zeigte sich Louis tief bekümmert und befahl, für die Gesundheit des Königs zu beten. Seinen engsten Vertrauten gab er aber zu verstehen, man solle schon mal die Koffer packen, und dass sie bald mit Ämtern rechnen könnten. Louis wollte so bald wie möglich in Reims die französische Krone empfangen, sobald sein Vater das Zeitliche gesegnet haben würde. Der Tod des Königs ereignete sich am 25. Juli 1461, jetzt war Louis der Allerchristlichste König Frankreichs - Louis XI. von Frankreich.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 1. November 2019 13:02

Als König konnte Louis endlich sein Regierungsgeschick unter Beweis stellen, das er während seiner Zeit in der Dauphiné bereits geschult hatte. Als Berater fungierten seine Vertrauten der bisherigen Jahre, an ihnen hielt er unbedingt fest. Es handelte sich um Männer ohne Rang, aber mit vielversprechenden Talenten, was bei den Adeligen für einigen Unmut sorgte. Wusste denn der König nicht, dass ein großartiger Stammbaum großartige Männer hervorbrachte? Stattdessen umgab er sich mit Emporkömmlingen! Mehr noch: Louis XI. durchforstete die Bürokratie der königlichen Regierung, strich so manchem adeligen Beamten die Position und verlangte von dem verbleibenden Personal mehr Effizienz. Er selbst ging da mit gutem Beispiel voran: Wenn es um die Verwaltungsarbeit ging, schonte sich der König nicht, dazu war er ein Verfechter der Sparsamkeit, sein Haushalt war regelrecht bescheiden, fast schäbig. Seine Tage bestanden aus Arbeiten, Jagen und Reisen. In alle Himmelsrichtungen schickte er seine Botschafter und Spitzel aus, denn er wollte über alle relevanten Vorgänge in und außerhalb Frankreichs Bescheid wissen.

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Wenn es einen Monarchen gibt, dem in EU4 die Eigenschaft „Netzwerker +20% Spionage“ zusteht, dann ist es Louis XI. Alles in allem rüttelte er die Institutionen der Krone auf, auch die Armee wurde umgestaltet. Das Militär erhielt neue Befehlshaber und Befehle bezüglich seiner Unterbringung, Aufgaben und Disziplin. Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass die französischen Magnaten an Einfluss verloren. Louis wollte sie nicht länger an den Schalthebeln der Macht sehen.

Außenpolitisch fiel sein Blick zunächst auf Aragon, Mailand und England. In Aragon boten die inneren Unruhen die Gelegenheit zum Profit, Louis hatte es auf die Provinz Roussillon abgesehen, die die französische Grenze an den Pyrenäen prima abrunden würde. Hauptsache kein Bordergore.

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Zunächst verhandelte Frankreich mit den aufrührerischen Katalonen Barcelonas, aber als die wenig Neigung zur Zusammenarbeit zeigten, sprach Louis den bedrängten König Johann II. an, ob man nicht ins Geschäft kommen könne. Johann brauchte dringend Truppen, um die Katalanen zu besiegen. Kein Problem, meinte Louis, für 200.000 Kronen konnte Johann genügend Söldner erhalten. Das Geld konnte Aragon nicht mal eben aufbringen, das wusste Louis XI. natürlich auch. Aber er hatte sogleich eine Lösung parat, wie der Kredit abgesichert werden könnte – durch die Verpfändung der Grafschaft Roussillon an Frankreich. Das brachte den König von Kastilien auf die Barrikaden, aber den schmeichelte Louis gekonnt ein: Der kastilische König Enrique IV. sei doch der Schiedsrichter der iberischen Halbinsel schlechthin, er sei der einzig richtige, im Streit der Katalanen mit dem König von Aragon zu schlichten. Im Licht der Ergebnisse betrachtet, konnte von einem Schiedsspruch Enriques keine Rede sein, denn er griff lediglich bei einigen zwischen Kastilien und Aragon umstrittenen Grenzländereien zu. Auch dies hatte Louis gezielt herbeigeführt. Spätestens jetzt (1463) hatte er den ungefährdeten Zugriff auf Roussillon. Dieser diplomatische Triumph ließ einen Schauer von Bewunderung und Furcht durch die Höfe von Europa wehen. Es wäre ein nettes Feature für EU4, wenn man alleine durch Kredite, sondern auch durch die Verpfändung von Provinzen an Geld käme. Die Einnahmen aus der Provinz flössen an den Gläubiger, bis die Kreditlaufzeit endet. Kann der Kredit dann nicht zurückgezahlt werden, fiele die Provinz ganz an den Gläubiger. Würde nette Möglichkeiten eröffnen, als Gläubiger den Schuldner daran zu hindern, zum Stichtag über die nötigen Gelder zu verfügen.

Dann die Politik Frankreichs mit Mailand. Louis XI. schätzte den dortigen Machthaber Francesco Sforza für seine Staatskunst und seine militärischen Fähigkeiten. Anlass für die Gespräche mit Mailand war unter anderem, dass Louis es für opportun hielt, das französische Haus der Anjou in seinem Anspruch auf Neapel zu unterstützen. Die Sache war innerhalb Frankreichs populär, und Louis konnte den Adel ja nicht in allen Belangen vor den Kopf stoßen. Die Anjou waren ständig knapp bei Kasse und mit einer ausgesprochenen Begabung für Fehlschläge ausgestattet, warum also nicht ihre Ambitionen nach außen lenken? Wer aber nach Neapel gelangen wollte, musste an Mailand vorbei. Den Sforza machte sich Louis gewogen, indem er ihn mit Genua belehnte. Sforza und vor allem dessen Gesandter am französischen Hof wurden zu geschätzten Gesprächspartnern des Königs.

Dynastisch band Louis XI. sein Frankreich zum einen an die Provence des guten Königs René. Zu dessen Gebieten gehörten die Grafschaften Anjou, Maine, Lothringen, Bar sowie Provence. Die Eheverträge sahen vor, dass die Ländereien beim kinderlosen Tod des provencalischen Herrschers an die französische Krone zurückgehen sollten – was später dann auch geschehen sollte. Eine Eigenart von EU4 habe ich übrigens nicht klären können, nämlich warum der Herrscher der Provence in den ersten Jahrzehnten einer Partie so häufig vom Papst exkommuniziert wird (im folgenden Bild rechts unten). Ich habe bei René I. sowie den anderen Herrschern der Provence und Lothringens dazu nichts finden können.

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Die zweite dynastische Verbindung Frankreichs existierte zur Zeit von Louis' XI. Regierungsantritt bereits, es war seine eigene Ehe mit der Tochter des Herzogs Ludovico (Ludwig) von Savoyen. Ludovico hatte die Herrschaft 1434 vorzeitig von seinem Vater Amadeus VIII. übertragen bekommen, weil dieser sich ganz der Religion widmen wollte. Amadeus wurde 1439 tatsächlich zum Gegenpapst Felix V. Er kommt im Spiel aber nicht vor, obwohl er zehn Jahre lang bis zu seinem (mit Geld versüßten) Rücktritt 1449 in Genf, Lausanne und Basel residierte und immerhin von Aragon, Ungarn, Bayern und der Schweiz anerkannt worden war. Allerdings war er auch der letzte historische Gegenpapst in der römischen Kirche, verständlicherweise lohnt es sich nicht für EU4, für die paar Jahre noch einen Gegenpapst ins Spiel einzubauen. Ludovico, der Sohn, der Savoyen also erhielt, war mit Anne de Lusignan vom zypriotischen Königshaus verheiratet. Erinnert sich noch wer an den Namen? Das war der Bösewicht aus „Königreich der Himmel“, der im Kapitel zu Richard Löwenherz und Saladin schließlich seinen Platz auf Zypern gefunden hatte. Herzog Ludovico von Savoyen erwarb übrigens das berühmte Turiner Grabtuch, das darauf mehr als fünfhundert Jahre bis 1983 im Besitz des Hauses Savoyen verbleiben sollte.

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Was England anging, begnügte sich Louis damit, ein englisches Bündnis mit Burgund zu vereiteln. Keinesfalls durfte hier die Konstellation entstehen, wie sie Frankreich in den 1420ern an den Abgrund geführt hatte. Das bedeutete, dass Louis im englischen Bürgerkrieg zwar die York unterstützte, aber nur soweit, dass die Situation in England unbeständig blieb. Das war die wohl beste Garantie, dass die Engländer sich mit sich selber beschäftigten und auf der Insel blieben. Burgund war da schwieriger zu zähmen, Louis verpfändete dem Herzog Philippe die Picardie zu der Summe von 400.000 Kronen, die Frankreich eh nicht würde aufbringen können.

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Mit England wollte Louis deshalb so sehr einen tragfähigen Frieden, damit er innerhalb Frankreichs den Adel unter Kontrolle halten konnte. „Er braucht den Frieden mit England, so dass er, so hofft er, davon loskommen könne, sich den Baronen seines Königreiches unterwerfen zu müssen. Mit dem Herzog von Mailand auf der einen Seite und Warwick (dem englischen Königsmacher) auf der anderen kann er mit den Fürsten nach Belieben verfahren.“, formulierte der Mailänder Botschafter.

Der Adel war auch nicht auf den Kopf gefallen und fand einen eigenen Hebel, um den König unter Druck zu setzen: Herzog Franz II. von Bretagne. Ursprünglich ging es darum, dass Louis XI. den stolzen Bretonen vorschreiben wollte, mit welchen Personen vakante Bischofssitze besetzt werden sollten oder wie mit den kirchlichen Pfründen aus diesen Bistümern verfahren werden sollte. Der französische Adel bestärkte nun Franz II. in seinem Streben, sich unabhängiger von der Bevormundung aus Paris zu machen. Der Spaß hörte bereits da auf, als die Bretagne die diplomatischen Fühler nach England ausstreckte und seine Truppen auf einen Konflikt mit Frankreich vorbereitete.

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Louis ließ Franz zur Rede stellen: Was das denn solle, vor allem die Konspiration mit den Engländern? Franz II. antwortete mit dem Streuen des Gerüchtes, der französische König habe den Engländern die Guyenne versprochen, wenn die ihm bei der Niederschlagung des französischen Adels helfen. Ein gezielt ausgewählter Empfänger dieses Vorwurfs war auch des Königs 17jähriger Bruder Charles de Valois, Herzog von Berry und erster in der Thronfolge, ein schwacher und oberflächlicher Mann. Louis beeilte sich, die bretonische Beschuldigung zu dementieren, aber der Adel hatte eine bequeme Entschuldigung, ihre Reihen enger zu schließen. Lief hier also nicht so gut für den König.

Dann aber wechselte die Situation in England unvermittelt. Auf dem Thron saß inzwischen der York Edward IV., und der verursachte einen handfesten Skandal – er heiratete heimlich, „aus Liebe“, eine englische Lady aus der Familie Woodville. Deren Sippschaft wurde in der Folge mit lukrativen Pöstchen und dergleichen versorgt. Der Königsmacher Earl of Warwick, der Edward auf den Thron verholfen hatte, war blamiert, denn er hatte im Ausland nach einer politisch wertvollen Braut Ausschau gehalten. Nichts wurde es also mit einer Ehe zwischen England und Frankreich, Louis XI. musste mit ansehen, wie seine Widersacher in der Bretagne, in Frankreich und Burgund dadurch Auftrieb erhielten. Die Lage war so angespannt, dass Louis die Verteidigungsanlagen in der Normandie in Gefechtsbereitschaft bringen ließ. Er befürchtete, einen Krieg gegen drei Gegner führen zu müssen.

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Weil die Berichte der Diplomaten aus dem Ausland wenig ermutigend waren, berief der König eine Konferenz seiner Magnaten ein. Es war ein bitterkalter Dezember, so frostig, dass an einem Tage selbst Brot und Wein auf dem Tisch gefroren sein, so hieß es. Frostig war auch die Stimmung in der Versammlung. Louis' Kanzler richtete einen heftigen verbalen Angriff gegen den Herzog der Bretagne, den er der Missachtung von Rechten des Königs, der Beleidigung des Königs und der Aufnahme verräterischer Beziehungen mit den Engländern bezichtigte. Als Louis XI. das Wort ergriff, war er im Ton gemäßigter, in der Sache aber hart. Er erinnerte die Fürsten daran, was alles er in seiner bisherigen Regierung bereits erreicht habe (z.B. die Sache mit Roussillon) und brachte es dann über sich, eine Lobrede auf seine Fürsten zu halten. Diese seien von den Worten ihres Königs so ergriffen gewesen, dass ein jeder von ihnen geweint habe. Nun, das dürften die üblichen hohen Worte eines Schreibers sein. Natürlich schworen sie dem König artig ihre unbedingte Treue, bevor sie wieder abreisten. Zunächst sah es so aus, als habe Louis die Situation zu seinen Gunsten drehen können, als Franz II. sich mit versöhnlichen Tönen aus der Bretagne meldete. Dann aber verschwand der Herzog von Berry, Louis' Bruder Charles, von der Bildfläche. Er habe sich zum Jagen verabschiedet, sagte man – aber klar doch, sicher. Der König war direkt alarmiert, denn er hatte sich zuvor mit Charles über dessen Forderung nach einer höheren Apanage gestritten. Angestrengt versuchte Louis XI. zu erraten, wohin sein Bruder geflohen sein könnte und was sein Weggang wohl bedeutete.

Die Fürsten hatten sich gegen ihren Souverän erhoben.

Der König von Frankreich verwandelte seine Hofhaltung rasch in ein militärisches Hauptquartier und spannte jeden Nerv an, um dem Umfang der Rebellion auf die Spur zu kommen, ein Heer zusammenzubringen und das Königreich an seine Sache zu binden. Boten überbrachten den „guten Städten“ Ermahnungen, streng auf der Hut zu sein und alle Vorschläge der aufrührerischen Herren zurückzuweisen, die seinen naiven Bruder verführt hätten. Die Fürsten schlossen sich zur „Liga für das Allgemeinwohl“ zusammen, mit dabei waren verschiedene französische Herzöge, Franz II. von Bretagne sowie Louis' Bruder Charles, der wohl als Alternative für den Thron gedacht war. England, so schätzte es der König ein, war wegen der Reibereien zwischen Edward IV. und seinem Königsmacher Warwick wohl nicht mit von der Partie. Bei Burgund war er sich nicht sicher, welche Haltung es einnehmen würde: Philippe III. traute er es nicht zu, aber der war schon ziemlich krank. Charles der Kühne, der Erbe von Burgund, wäre bei der Liga dagegen vermutlich dabei, sobald er an die Regierung käme.

Louis XI. behielt genau recht mit seiner Einschätzung. Schon bald zog das Heer der aufrührerischen Liga vor Paris, auch Charles von Burgund war mit seinen Truppen dabei. Der König war nicht alleine, er wurde von den Herren von Mailand, Lüttich und Foix unterstützt. Am 16. Juli 1465 kam es bei Montihery zur entscheidenden Schlacht, die jedoch nichts entschied, sie endete unentschieden, nachdem es für beide Seiten zeitweise nach einem Sieg ausgesehen hatte. Beide Parteien beanspruchten anschließend für sich, in Montihery die Oberhand behalten zu haben.Trotzdem war Louis XI. gezwungen, Ende 1465 einen Frieden mit der Liga zu schließen, er trat verschiedene Ländereien, Städte, Burgen bzw. Titel an die Aufrührer ab. So erhielt Burgund einige Städte an der Somme zurück, Franz II. bekam Montfort und Etampes sowie die begehrte kirchliche Jurisdikation, der Bruder des Königs wurde zum Herzog der Normandie ernannt. Dafür war eine drohende Absetzung des Königs vom Tisch, zudem setzte er die Bildung einer Kommission zur Beseitigung von „Missständen in der Verwaltung“ durch. Die Bedingungen, die Louis XI. dagegen auferlegt wurden, beachtete er nach einiger Zeit nicht mehr. Das Verhandlungsergebnis war eine Schwächung für das Königtum. Taktisch geschickt hatte Louis XI. die Vereinbarungen aber durch die Abschlüsse von Separatfrieden erreicht, was unter den Fürsten der Liga für einiges Misstrauen innerhalb ihrer Reihen sorgte. Der König hatte in den Reihen seiner Gegner also zumindest Zwietracht säen können.

Zum Beispiel sah sich der Herzog der Bretagne als Nutznießer der Einkünfte der Normandie, obwohl dort nun Brüderchen Charles den Herzogstitel hielt. Der König unternahm nichts, um Franz von seiner Ansicht abzubringen. Der perfide Plan des Königs ging auf, bald knallte es zwischen Franz II. und Charles de Valois, beide ließen zu den Waffen greifen. Jetzt strömten von beiden Kontrahenten Botschaften zu Louis XI. nach Orleans: Um sich an Charles zu rächen, war Franz II. bereit, dem König die Stadt Caen zu übergeben sowie die anderen normannischen Plätze, die er derzeit besetzt hielt. Charles' Mitteilungen klangen derart chaotisch, dass sie der König mühelos als Bereitschaft seines Bruders zum Verzicht auf sein Herzogtum auslegen konnte. Louis XI. nahm die Einladung zur Intervention gerne an und ließ die Normandie durch königliche Truppen besetzen.

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Charles blieb nichts anderes übrig, als die Flucht in Exil anzutreten – und zwar ausgerechnet zu Franz II. von Bretagne, mit dem er sich wieder versöhnte. Was soll man sagen, der König hatte die Normandie dank seiner Intrige wieder einsacken können. Diese Vorgänge sind besser in CK2 darstellbar, in EU4 entspricht das am ehesten dem Auftauchen einer adeligen Rebellenarmee, die 25% Autonomie für ihre Provinzen einfordern.

Ein Jahr lang, vom Frühjahr 1466 bis zum Frühjahr 1467, hielt sich Louis XI. in der Gegend der Loire auf. Es war ein gewollter Rückzug, um eine Inventur seiner Verluste und Fehler zu machen. Er unternahm nur wenig, stellte dafür endlose Berechnungen an, spann ein neues Spionagenetzwerk. Offenbar benötigte der König auch Ruhe, er litt unter Erkrankungen, vor allem die Hämorrhoiden plagten ihn. Traurig für ihn war der frühe Tod seines neugeborenen Sohnes Francois, von seinen sieben Kindern sollten nur drei das Erwachsenenalter erreichen. Das waren: Anne (1461), Jeanne (1464) und Charles (1470). Erst 1470 also sollte die Thronfolge von dem illoyalen Bruder auf den leiblichen Sohn übergehen. Tochter Jeanne wurde zur Schachfigur der Innenpolitik, der König verheiratete sie mit seinem Bastardbruder Herzog Louis von Orleans (dem späteren König Louis XII.), ein fähiger und tapferer Mann, der um einiges wertvoller war als der unfähige leibliche Bruder.

Das erste außenpolitisch wichtige Treffen, das der König nach dieser zurückgezogenen Phase abhielt, war das mit dem englischen Königsmacher Warwick in der Normandie. Der Waffenstillstand mit England lief aus und bedurfte der Verlängerung. England stand vor der Wahl, ob es politisch mit Frankreich oder mit Burgund halten sollte. Es hieß, dass der einflussreiche Warwick eher Frankreich zugeneigt war. Kein Wunder also, dass Louis XI. ihn mit allen Ehren in der Normandie empfing. Das Treffen war voller Harmonie, im Ergebnis ging es weit über den Abschluss eines gewöhnlichen Friedensvertrages hinaus: Als Gegenleistung für einen dauerhaften Waffenstillstand und einen gemeinsamen Angriff auf Burgund erhielt Edward IV. vom französischen König eine jährliche Zahlung von 13.000 Kronen, die Einkünfte aus den Niederlanden sollten geteilt werden, die englischen Kaufleute sollten Vorrechte eingeräumt bekommen, und Louis XI. versprach, völlig auf seine eigenen Kosten der Margarete von York einen passenden Bräutigam zu besorgen. Margarete war die ledige Schwester des englischen Königs, und an der war auch Herzog Charles von Burgund dran. Diese Eheverbindung musste verhindert werden. Edward IV. zögerte noch, Margarete nach Burgund zu schicken, weil Charles der Kühne nicht bereit war, im Gegenzug seine Tochter Maria für eine Eheschließung nach England zu schicken. Der Grund war einfach: Maria war das einzige Kind des Kühnen, somit die voraussichtliche Erbin des Herzogtums Burgund. Mit dem Königsmacher Warwick kam Louis XI. auch ganz vertraulich ins Plauschen: Wenn Edward IV. den mit Frankreich ausgehandelten Vertrag erst einmal ratifiziert hat und dann der Herzog von Burgund ausgeschaltet sein würde, warum sollte Warwick nicht Fürst aus eigenem Recht werden, sagen wir, Herrscher von Holland und Seeland? Warwick war von der Idee ziemlich angetan.

Dass sich die Planungen bereits gegen die Person Charles den Kühnen richteten, hatte seine Bewandtnis. Am 15. Juni 1467 starb Herzog Philippe III. der Gute, jetzt war sein stürmischer Sohn der neue Herzog von Burgund.

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Aber schon im August 1467 musste Louis XI. erkennen, dass er zu hochfahrende Hoffnungen in Edward IV. gesetzt hatte. Der englische König setzte Warwick in dessen Funktion als Kanzler ab, erneuerte das englische Bündnis mit Burgund und schloss den Ehedeal für Margarete mit Charles dem Kühnen. England rasselte wieder mit dem Säbel, erinnerte an den Anspruch ihres Königs auf den Thron von Frankreich. Der König von Frankreich war wieder auf der Nase gelandet, prompt regte sich wieder Unruhe in der Bretagne und bei den französischen Fürsten, die mit neuerlichen Zugeständnissen beruhigt werden musste. Um England aus einem möglichen Konflikt herauszuhalten, musste es wieder einmal mit sich selbst beschäftigt werden. Warwick war so freundlich, sich im heimlichen Einvernehmen mit Frankreich im Hintergrund als Unruhestifter zu betätigen, es ging um Partisanen mit anti-burgundischer Haltung. Einen Zwischenfall zur See, bei dem vier englische Schiffe von den Dänen aufgebracht worden waren, nutzte Warwick, um seinen König in einen kostspieligen Konflikt mit Dänemark zu treiben. Um ganz sicher zu gehen, dass Edward IV. alle Hände voll zu tun hat, finanzierte Louis XI. zusätzlich Jasper Tudor, einen Halbbruder des Lancaster-Königs Henry VI., die Landung in Wales, wo der Tudor einigen Schaden anrichtete. In den Jahren 1468 und 1469 sollte der König von Frankreich wenig vom englischen König zu befürchten haben.

Hierauf kam es infolge der Vermessenheit von Bruder Charles de Valois und Franz II. zu einem Riss im bretonisch-burgundischen Bündnis, das zu seinen Gunsten auszunutzen Louis XI. bereits alle Vorkehrungen getroffen hatte. Grollend willigte auch Burgund in eine Verlängerung des Waffenstillstands ein, Charles der Kühne hatte sowieso die wichtige und aufwendige Hochzeit mit Margarete von York vor sich. Damit war die Bretagne isoliert, und Louis XI. ließ prompt Truppen an der Grenze zum Herzogtum aufmarschieren. Franz II. und Charles de Valois konnten nicht anders, als sich dem König zu unterwerfen: Die Bretagne kündigte unter Zwang seine Bündnisse mit England und Burgund, Charles widerrief seinen Anspruch auf die Normandie. Alles wieder in Butter, der französische König zeigte sich vordergründig großmütig. Und die beiden Reue heuchelnden Herzöge schoben die Schuld von sich: Ihre Verirrungen seien ganz und gar den Machenschaften des Herzogs von Burgund zuzuschreiben. Mensch, was wurde Charles der Kühne sauer, als ihm davon berichtet wurde.

Der Zorn des Kühnen richtete sich gegen Louis' Partner Lüttich, das sich in einem Aufstand gegen Burgund stellte, und gegen das er in den Krieg ziehen wollte – und wofür er aufgrund früherer Verträge den Beistand Frankreichs einforderte.

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Louis XI. war geneigt, sich mit dem Burgunder persönlich zu treffen, um die Sache zu klären und eine Eskalation zu verhindern. Die Berater warnten den König, sich in eine solche Gefahr zu begeben, denn war dem Herzog überhaupt zu trauen? Der König reiste trotzdem in das burgundische Peronne, wo das Gipfeltreffen stattfinden sollte. Die Warnungen, so zeigte sich, waren berechtigt. Louis wurde in Peronne von einem Spitzel mitgeteilt, dass die Sache gütlich verlaufen würde, wenn Charles der Kühne seinen Willen bekommen würde. Anderenfalls jedoch sei der König in einer großen Gefahr.

Als der Herzog zum Auftakt der Gespräche die bescheidenen Räume des Königs in Peronne betrat, war sofort erkennbar, dass er sich emotional kaum unter Kontrolle hatte. Louis fragte ihn daher: „Mein Bruder, bin ich denn nicht sicher in Ihrem Haus, in Ihren Ländern?“ Der antwortete: „Mein Her, doch!“, und fügte nichtssagende Versicherungen hinzu. Nun aber brach der Herzog in bittere Vorhaltungen aus, warf dem König vor, ihn zu täuschen und die Bürger von Lüttich aufzuhetzen. Dem widersprach der König, er führe nichts dergleichen im Schilde. Prima, meinte Charles, dann würde der König ihn sicherlich nach Lüttich begleiten, um den Aufstand gemeinsam niederzuschlagen. Wenn der beschworene Frieden erst einmal beschworen sei, würde er glücklich sein, seinen Bruder nach Lüttich zu begleiten, antwortete Louis gefasst. Da war der Burgunder beruhigt und beide schworen mit der Hand auf dem Kreuz, ihre Versprechen einzuhalten. Der König war nun als „Gast“ in der Hand des burgundischen Herzogs, es ging gemeinsam nach Lüttich.

Die Mauern der Stadt wurden mit Kanonen niedergeschossen, die Burgunder stürmten die Stadt, ohne auf Widerstand zu stoßen. Die meisten Bürger hatten sich zuvor bereits abgesetzt. Nur ein paar hundert von Lüttichs Einwohnern hatten den Tod erlitten, einige weitere hundert wurden im Zuge der Plünderungen getötet oder im Fluss ertränkt. Das war dem Kühnen offenbar zu wenig der Vergeltung. Bis hierhin hatte sich Louis die Sache ohne Regung angesehen, aber dann kündigte Charles an, ganz Lüttich bis auf die Grundmauern niederzubrennen. Da schritt der König protestierend ein, trotzdem ließ sich der Burgunder von seinem Zorn nicht abbringen. Spätestens jetzt wollte Louis XI. zusehen, sich von dem burgundischen Heer abzusetzen. Der Preis dafür war hoch: Der französische Teil Flandern wurde aus dem Zugriff Frankreichs gelöst, was die Unabhängigkeit Burgunds stärkte. Louis' Bruder, der noch immer im bretonischen Exil weilte, erhielt die Champagne. Erst nach Abschluss dieses Vertrages im Oktober 1468 war es dem französischen König gestattet, sich aus der burgundischen Gefangenschaft – um nichts anderes handelte es sich de facto – zu entfernen. So entkam der durchnässte Fuchs aus der Höhle des Löwen.

Aber es entsprach nicht dem Stil des Königs, zu verlieren, ohne ein paar Blumen unter den Nesseln der Niederlage zu pflücken. Gerade in dem Augenblick, in welchem er sich vom Herzog von Burgund verabschiedete, hatte Louis mit einstudierter Gleichgültigkeit eine Frage aufgeworfen. „Wenn zufällig“, so bemerkte der König, „mein Bruder in der Bretagne mit der Apanage Champagne nicht zufrieden sein sollte, die ich aus Liebe zu Dir gebe, was wünscht, das ich dann noch tun soll?“ Charles der Kühne antwortete unbekümmert: „Wenn er sie nicht zu nehmen wünscht und Du ihn auf andere Weise zufriedenstellen kannst, dann überlasse ich das Euch beiden.“ Also dann: Zu Beginn des Jahres 1470 ließ der König die Provinz Guyenne vor der Nase seines Bruders baumeln, ein weit höherer Preis als die Champagne, aber in sicherer Entfernung zu den burgundischen Herrschaftsgebieten. Der unerfahrene Charles de Valois gab seine Zustimmung, er war wieder ein Herzog, jetzt der von Guyenne – ein vergiftetes Geschenk. Ein persönliches Treffen der Brüder wurde anberaumt, eine merkwürdige Versöhnung. Es war so sehr voller Misstrauen, dass jeder Schritt und jede Begebenheit dieses Treffens genau verabredet werden mussten. Erst dann konnten sich der König und sein Bruder herzlich in die Arme fallen und unter Tränen versöhnen. Es war halt das übliche protokollarische Theater.

Louis XI. konnte sich den Rückschritt immerhin damit schönreden, dass er die Front seiner Gegner nicht mehr vereint gegen sich stehen hatte. Sogar die Freundschaft zum Königsmacher Warwick zahlte sich inzwischen aus, seine Wühlarbeit in England hatte Wirkung und endete in einem großen Knall. Im August 1469 hatte Warwick seine Tochter Isabel mit Edwards IV. Bruder Georg, Herzog von Clarence, verheiratet, und sich damit mit ihm gegen den englischen König verbunden. In einer Schlacht war das königliche Heer von Warwicks Truppen geschlagen worden, doch schließlich hatten Warwick und Clarence im Frühjahr 1470 – aufgrund des tatkräftigen Eingreifens von Edwards jüngerem Bruder Richard (der spätere Richard III.) - trotzdem aus England fliehen müssen. Louis XI. erwartete die beiden Aufrührer mit offenen Armen an der französischen Kanalküste.

Der französische König hatte einen verwegenen Plan. Bei dem Treffen mit Warwick schlug er ihm vor, den schwachsinnigen Lancaster Henry VI. wieder auf den englischen Thron zu hieven. Zu diesem Zweck sollten Warwick und Margarete von Anjou, Henrys Ehefrau im französischen Exil, zusammenarbeiten. Das war eigentlich unmöglich, die beiden waren Todfeinde, seitdem Warwick Edward IV. geholfen hatte, Henry VI. zu stürzen. Margarete war knallhart und herrisch, eine Versöhnung mit Warwick lächerlich. Eines war klar: Louis XI. würde seine ganze politische Erfahrenheit benötigen, um die beiden an einen Tisch zu bringen.

Am 30. Juni 1470 trat jenes Ereignis ein, worauf der König und alle seine treuen Franzosen schon so gespannt gewartet hatten. Königin Charlotte schenkte einem gesunden Sohn das Leben. Der Thronfolger wurde sogleich auf den Namen Charles (VIII.) getauft.

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Der jubelnde König ergriff die Gelegenheit, seine Verehrung für das Haus Lancaster zu zeigen. Edward, der Sohn von Margarete von Anjou, übernahm das Patenamt für das Kind, zumal da beide einen gemeinsamen Urgroßvater hatten, den geisteskranken Charles VI. von Frankreich. Vielleicht war es Gesten wie diese, die Margarete zum Einlenken bewegten, sie stimmte schließlich in die Heirat ihres Sohnes Edward mit der Tochter des Königsmachers Warwick ein. Unter einer Bedingung: Sie und ihr Sohn würden erst nach England kommen, wenn die Thronbesteigung von Warwick gesichert worden war. Da schwang die Sorge mit, unversehens in der Geiselhaft des einst verfeindeten Bündnispartners zu landen. Für Warwick war der Deal trotzdem gut: Er würde nach dem erfolgreichen Umsturz in England wieder der unangefochtene Königsmacher sein, seine Tochter würde Königin, und ein späterer Enkel mit seinem Blut die englische Königsdynastie fortsetzen.

Eines wusste Louis XI. mit Gewissheit: Das Vorhaben würde entweder sehr schnell Ergebnisse zeigen, oder zu gar nichts führen. Mag sein, kalkulierte er, dass die Lancaster sich nach dem Erringen des Thrones rasch von ihrer Zusammenarbeit mit Frankreich lösen würden, um in England Punkte zu machen. Aber Warwick würde dann erneut in die Arme des französischen Königs getrieben werden. Hauptsache war, dass der Bürgerkrieg in England am Köcheln gehalten wurde, dafür war Louis gerne bereit, die Ausrüstung von Warwicks Armee zu finanzieren.

Es stand bereits in dem Kapitel zu den englischen Rosenkriegen – die Invasion glückte, Warwick konnte Edward IV. vom Thron verjagen und Henry VI. darauf setzen. So weit, so gut. Jetzt sollte es an den zweiten, den geheimen Teil der Abmachung zwischen Louis XI. und Warwick gehen: Den gemeinsamen Einmarsch in Burgund, um Charles dem Kühnen Flandern und Holland zu entreißen, Warwick winkte hier der Lohn einer eigenen Landesherrschaft. Der Burgunder aber war nicht doof und schickte seinerseits Truppen und Geld zu Edward IV. nach England, um den Umsturz wieder rückgängig zu machen. Während sich auf dem Kontinent bereits die Heere Frankreichs und Burgunds einander näherten, ereignete sich in England die entscheidende Schlacht zwischen Edward IV. und Warwick. Die Sache stand gut für die Seite der Lancaster, als eine Attacke von Warwicks Reitern im Nebel irrtümlich die eigenen Leute niedermähte. So konnte das Heer der York doch noch den Sieg erlangen, und noch schwerwiegender: Warwick wurde auf dem Feld gestellt und getötet. Das blutige Ende des Königsmachers. Warwicks Plan, sein Blut in die königliche Dynastie zu bringen, ging übrigens auch nicht auf. Seine Tochter Isabel wurde später zur Witwe, als Clarence 1478 hingerichtet wurde. Auch ihr gemeinsamer Sohn Edward fand den Tod, er wurde 1499 im Tower enthauptet. Die andere Tochter Warwicks, Anne, die mit Henrys VI. Sohn Edmund verheiratet worden war, traf das gleiche Schicksal, als Edmund 1471 in der Schlacht von Tewkesbury fiel. Sie heiratete anschließend den Mörder ihres Mannes, den späteren Richard III., mit dem sie den gemeinsamen Sohn Edward hatte. Dieser war zwar der englische Thronfolger, der kränkliche Junge starb jedoch 1484. Die Eltern folgten ihm bald in den Tod: Anne erlag 1485 vermutlich der Tuberkulose, Richard III. wurde kurz darauf von dem Tudor Henry VII. besiegt und auf dem Schlachtfeld getötet.

Ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod des Königsmachers ereignete sich ein weiterer wichtiger Todesfall, dieses mal in Frankreich. Am 27. Mai 1472 erhielt Louis XI. die Nachricht vom Tod seines wankelmütigen Bruders Charles, der im Alter von nur 25 Jahren an der Tuberkulose starb. Das Herzogtum, das ihm der König hatte überlassen müssen, fiel wieder zurück an die Krone.

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Damit war es mit der Gefahr, dass der Adel Charles als Alternative für den französischen Thron instrumentalisieren könnten, endlich vorbei. Die Thronfolge für den kleinen Charles VIII. war ab sofort unumstritten. Louis XI. beeilte sich, militärisch und politisch die Hand auf das ledig gewordene Herzogtum Guyenne zu legen, bevor Burgund und die Bretagne ihm in die Parade fahren konnten. Genau das sollte sich nämlich ereignen, beide Herzogtümer musterten ihre Heere für einen Feldzug gegen Frankreich (womit sie gegen die vereinbarte Waffenruhe verstießen).

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Als erster marschierte Charles der Kühne mit seinen Truppen in gegnerisches Territorium, ließ die kleine Stadt Nesle stürmen. Trotz der laufenden Übergabeverhandlungen hatten die burgundischen Truppen den Angriff unternommen und die 500 Mann Garnison niedergemacht, die in einer Kirche Schutz gesucht hatten. Einem Bericht zufolge trieb der gepanzerte Herzog von Burgund sein Schlachtroß in das blutbespritzte und leichenübersäte Hauptschiff der Kirche, wo er seinen Truppen im Angesicht der zuhauf herumliegenden menschlichen Körper zurief: „Beim Heiligen Georg! Kinder, da habt ihr eine feine Schlächterei angerichtet!“ Die Nachricht hiervon ließ ganz Frankreich erschaudern. Der französische Adel schien aber mit dem Burgunder zu kooperieren, einige Städte öffneten auffällig zügig dem Feind ihre Tore. Die gesamte Lage schien für Louis XI. ins Wanken zu geraten, doch er prophezeite: „Der erste Platz, der ihm (dem Herzog von Burgund) widerstehen kann, der wird ausreichen, um ihn zugrunde zu richten.“

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Am Morgen des 27. Juni 1472 erschien die Vorhut der burgundischen Armee vor der großen Stadt Beauvais. Sie war unzureichend befestigt, ihre Garnison aber trotzdem fest zur Verteidigung entschlossen. Nach tagelangem Beschuss befahl Charles der Kühne Angriff auf Angriff gegen die Stadt, alle wurden blutig abgewiesen. Rasend vor Wut musste der Herzog die Belagerung nach einem Monat abbrechen und mit seinem Heer in Richtung Normandie weiterziehen. Frankreich hatte mit den Bürgern von Beauvais echte Helden, deren entschlossenen Einsatz der König mit einer Steuerbefreiung für die Stadt belohnte. In der Normandie sah sich die burgundische Armee in der Klemme: Die Franzosen griffen in ihrem Rücken die Picardie an, zugleich war der Weg zur Bretagne versperrt. Louis' Prophezeiung hatte sich erfüllt, Charles musste am 3. November voller Widerwillen einen halbjährigen Waffenstillstand schließen.

Der burgundische Angriff war abgewehrt, die Bretagne derzeit nicht handlungsfähig (hier wütete zu dieser Zeit die Pest). Frankreich war fürs Erste sicher, da fiel der Schlaganfall, den König Louis erlitt, in eine günstige Phase, wenn man in diesem Zusammenhang von günstig sprechen kann. Es dauerte einige Zeit, bis er sich rechtzeitig davon erholte: Louis XI. konnte und musste sich der nächsten Gefahr zuwenden, denn in England hatte Edward IV. vom Parlament die Ermächtigung erhalten, einen langen Krieg gegen Frankreich zu führen. Natürlich war England wieder eifrig dabei, die Bretagne und Burgund für eine Koalition zu gewinnen. Da passte ein Giftanschlag, der auf den französischen König verübt wurde, ins Gesamtbild. Louis verdächtigte Burgund, dahinter zu stecken.

Jetzt war endlich die Zeit gekommen, da sich Louis XI. entsann, wer ihm als wertvoller Waffenbruder beistehen könnte. Niemals hatte er die Lektion vergessen, die ihm die tapferen Schweizer im Jahre 1444 beigebracht hatten, als er die Söldner gegen Basel führte. In den ereignisreichen Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte er stets schweizerische Gesandte willkommen geheißen und die Beziehungen aufrechterhalten. Er hatte die Schweizer als Freunde angesprochen, als die „prächtigen Herren aus Oberdeutschland“, und darin lag keine Ironie. Louis sah nur auf die herrschenden Machtverhältnisse und war frei von feudalen Vorurteilen. Die Unabhängigkeit der Schweizer Kantone war weder vom Habsburger Kaiser Friedrich III. anerkannt, noch von dessen schwerfälligen Vetter Sigismund, der die Länder von Tirol bis zum Elsass beherrschte, wozu damals das Gebiet der Kantone gehörte. Aber stets waren die Schweizer in den bisherigen Konflikten als Sieger hervorgegangen. Jetzt, im Jahre 1473, erteilte Louis XI. den Anfragen Sigismunds, gemeinsam gegen die Schweizer ins Feld zu ziehen, eine klare Absage, und stellte sich an die Seite der Kantone. Die Reaktion darauf war dem König wohl bewusst: Sigismund wendete sich nun an den Herzog von Burgund, dem sehr an eine Besetzung des oberrheinischen Gebietes gelegen war, um seine burgundischen Territorien endlich miteinander verbinden zu können. Der ungestüme Charles schluckte den Köder und rüstete gegen die Schweizer. Gut für Frankreich, wenn Burgund in diese Richtung abgelenkt wurde. Lothringen sah sich dadurch bedroht, und hielt es in dieser Gemengelage mit Frankreich. Nur Mailand spielte nicht so mit, wie Louis erhoffte: Der neue Herzog von Mailand kündigte voller Angst das bisherige Bündnis mit Frankreich auf und schloss lieber einen Vertrag mit Burgund.

Das Jahr 1475 brach an, jeder in Europa erwartete, dass der bisherige Zustand des „Kalten Krieges“ bald in einen Konflikt mit scheußlichen Schlächtereien münden würde. Als der Waffenstillstand mit Burgund am 1. Mai auslief, setzte Frankreich sein Heer in Bewegung und marschierte in die Picardie ein. René II. von Lothringen übernahm den Angriff auf das burgundische Luxemburg, und die Schweizer rückten in die Freigrafschaft Burgund ein. Herzog Charles musste reagieren: Die Engländer waren noch nicht auf dem Kontinent erschienen, er selbst konnte im Reich das belagerte Neuss nicht bezwingen (dazu stand mehr im Kapitel über Friedrich III.). Burgund musste mit dem Reich einen Waffenstillstand schließen, um auf den französischen Angriff reagieren zu können. Während der zähen Verhandlungen mit dem Kaiser zeigte Charles der Kühne stolz auf seine Artillerie: „Heilige Majestät, Sie sehen diese Kanonen hier? Es sind die Schlüssel, mit denen ich die Städte des Königreiches Frankreich zu öffnen hoffe.“ Der Hofnarr des Herzogs rief dazu aus: „Heilige Majestät, lassen Sie sich doch von meinem Herrn denjenigen zeigen, mit welchem er Beauvais aufgeschlossen hat.“

Der Krieg fing gut an für Frankreich: Das englische Heer landete zwar an der französischen Kanalküste, fand aber nur verbrannte Erde vor, weil Louis zuvor alles hatte verwüsten lassen. Die englischen Soldaten waren als gute Esser bekannt, jetzt mussten sie all ihren Proviant von der Insel herbeiführen. Und weiter im Süden waren bei einer Schlacht die Burgunder geschlagen worden, wobei Charles der Kühne seine besten Kommandeure verloren hatte. Wütend stieß der Herzog zum Heer seiner englischen Alliierten vor und tobte, wie schwach doch das Heilige Römische Reich sei. Wenn der Krieg mit Frankreich, Lothringen und der Schweiz erst einmal gewonnen sei, würde er direkt wieder zurück im Reich sein, um die Deutschen zu zerschmettern.

Offenbar waren die Engländer von Charles weniger überzeugt, als der es von sich selber war. Edward IV. verlor schnell die Lust an der Invasion gegen Frankreich und schenkte den Gesandten des französischen Königs Gehör: Louis XI. habe stets gewünscht, mit England im Frieden zu leben. Es sei doch nur die englische Pflicht gegenüber Burgund gewesen, die Edward IV. in diesen Krieg gezogen habe. Sicher, England hatte viel Geld für diese Invasion ausgeben müssen. Aber das könne Frankreich bestimmt mit einer Zahlung heilen, wenn die beiden Reiche wieder Frieden schlössen. Man ahnt es: Edward IV. nahm das angebotene Geld – es handelte sich um 75.000 Kronen Sofortzahlung plus weitere 50.000 Kronen jährlich - und schloss einen siebenjährigen Separatfrieden mit Frankreich. Sollte Burgund doch selbst zusehen, was es aus seinem Krieg macht. Hier sieht man, wie Louis' Strategie aufging. Er mied Kriege und kümmerte sich lieber darum, sein Reich effizient zu regieren. Er spielte sozusagen tall statt wide.

Weil das Eingreifen mailändischer Söldner wirksam von den Schweizern unterbunden wurde, blieben noch Burgund und die Bretagne als Alliierte gegen Frankreich übrig. Beide Herzöge, Franz II. und Charles der Kühne, beeilten sich, den jeweils anderen zu verraten, und schlossen im September 1475 ebenfalls einen heuchlerischen Frieden mit Frankreich. Der Herzog der Bretagne schwor, auf immer in guter Nachbarschaft zu Frankreich zu leben. Der burgundische Herzog schloss einen neunjährigen Frieden mit Louis, der in einem geheimen Zusatz versprach, der Schweiz und Lothringen nicht beizustehen, wenn Burgund mit ihnen aufräumt. Man sieht also bereits, was sich Charles der Kühne als nächsten Schritt vorgenommen hatte. Bis auf die Schweizer hatten sämtliche Kriegsbeteiligten keine Bedenken, ihre Verbündeten zu opfern.

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Einstweilen war Frankreich vom Krieg befreit, Burgund prima abgelenkt. Louis XI. amüsierte sich köstlich über die Darbietungen von einem seiner Abgesandten, der den burgundischen Herzog im Zustand der Raserei nachäffte, indem er mit dem Fuß auf den Boden stampfte, beim Heiligen Georg schwor und König Edward den Bastard eines Bogenschützen nannte. Charles erfuhr davon und reagierte darauf beleidigt und mit weiterem Zorn.

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Innerhalb Frankreichs konnte sich Louis in Ruhe um die Adeligen kümmern, die ihn während des burgundischen Vormarsches im Stich gelassen hatten. Für einige Herren wurde das sehr unangenehm.

Auf den ersten Blick hatte Louis XI. durch den Friedensvertrag wenig gewonnen. Im Gegenteil, er hatte seine Verbündeten der burgundischen Gewalt ausgeliefert. Ende 1475 überrannte der Herzog Lothringen und errichtete in Nancy eine wichtige Basis.

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Würde er auch noch mit den Schweizern aufräumen und das unglückliche Herzogtum Savoyen besetzen, so fände sich Charles auf der Höhe der Alpenpässe mit Zugang zu Mailand - gleichsam auf dem Gipfel der Macht, zu seinen Füßen auf der einen Seite die Lombardische Krone Mailands und auf der anderen Seite das goldene Diadem deutscher Länder. Ganz alleine ließ Louis XI. die Schweizer aber nicht: Frankreich ging wieder über zum Zustand des Kalten Krieges gegen Burgund, Handelsboykott und dergleichen. Dadurch ging dem Burgunder finanziell allmählich die Luft aus, er musste ja ein teures Söldnerheer unterhalten. Charles schnauzte die flandrischen Städte an, sie sollen ihm gefälligst treu dienen (also ihre Steuern zahlen), aber die hatten keine Lust dazu. Beeinflusst von Frankreichs Einflüsterungen, wiesen sie ihren Herzog darauf hin, dass sich ihre Handelsinteressen schlecht mit seinen Kriegen vertragen würden. Das intrigante Netzwerk, das Louis XI. um Burgund legte, zeigte Wirkung.

Charles von Burgund war nicht der Typ, sich auf das intrigante Spiel seines Rivalen einzulassen, er wollte den militärischen Befreiungsschlag gegen die Schweizer. Politisch beschränkte er sich darauf, mit Kaiser Friedrich III. einen Vertrag über die Heirat zwischen Maria von Burgund (Charles Tochter und Erbin) und Maximilian von Habsburg (Friedrichs Sohn und Erben) zu schließen. Wenn es gegen die Schweizer ging, war Habsburg durchaus gerne mit von der Partie.

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Kaiser Friedrich III. war aber nicht der Typ für politische Abenteuer, ganz und gar nicht. Jahrzehntelang verharrte er in Phlegma, aber in diesem Augenblick griff er mit beiden Händen zu: Maria von Burgund war wegen ihres bevorstehenden Erbes eine hervorragende Partie für Maximilian, die Habsburger Dynastie hatte die Chance, seine Besitzungen beträchtlich zu erweitern.

Im Januar 1476 zog er seine Armee aus Lothringen heraus und eilte in seine südliche Grafschaft Burgund. Bern und seine Konföderierten zogen ihre Truppen im Gebirge zusammen. Westeuropa hielt den Atem an. Jedem Winterwetter zum Trotz warf Burgund seine Soldaten gegen die Provinz Waadt im Juragebirge. Die befestigte Stadt Grandson wurde in einem wütenden Sturm beschossen, bis sie sich ergab. Charles machte kurzen Prozess mit der Bevölkerung, die die Waffen gestreckt hatte. Er ließ sie im burgundischen Feldlager hinter seinem Zelt aufstellen und allesamt töten. Binnen einer Viertelstunde waren sie alle bis auf den letzten Knaben an den Bäumen aufgeknüpft. Dieses Schicksal würden alle Schweizer erleiden, grollte der Herzog. Er fühlte sich ganz wie der große Feldherr Hannibal, der in der Antike ebenfalls die Alpen überquert hatte.

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Im März 1476 war das Heer der Schweizer nah genug an das burgundische Feldlager herangekommen, um eine Schlacht zu provozieren. Voller Hochmut und Siegesgewissheit zog Charles mit seinen Söldnern den Schweizern entgegen, obwohl sein Feldlager auf den Hochplateau eine gute Verteidigungsstellung darstellte, und das Umland wenig Möglichkeiten für Manöver zuließ. Der Verteidigungsbonus von +2 im Gebirge fiel damit den Schweizern zu, aber das war Charles egal, er würde sowieso gewinnen. Da hatte er sich verkalkuliert, die Schweizer strömten gut verteilt aus den steilen Wäldern hinab auf das burgundische Heer und trieben es binnen Minuten auseinander. Als es Charles nicht gelang, seine Truppen neu zu sammeln, musste er die schändliche Flucht antreten. Nur der Mangel an Kavallerie in den Reihen der Schweizer und die reiche Beute im Feldlager der Burgunder rettete die Armee des Herzogs vor der völligen Vernichtung. Die Artillerie und der prächtige persönliche Besitz des Herzogs aber fielen den Schweizern in die Hände. Der Herzog ritt Hals über Kopf in seine Grafschaft Burgund zurück. Auf der Flucht rief sein Hofnarr mit beißendem Spott aus: „Mein Herr, wir sind heute ganz schön hannibalisiert worden!“

Die Niederlage hatte auch politisch negative Folgen für Burgund, so mancher sah jetzt zu, sich von Charles dem Kühnen abzusetzen, zum Beispiel Mailand. Das war die Stunde des gewieften französischen Königs. Den verzagten Diplomaten aus Mailand und Lothringen sagte er: „Behaltet das Geld, das Eure Herren mir anbieten. Wenn der Herzog von Mailand bereut, dass er sich von dem Bündnis mit mir losgesagt hat, um sich mit dem Herzog von Burgund zu verbünden, dann finde ich mich damit ab, dass alles wieder so wird, wie es war.“ Hört sich freundlich an, doch konkret bedeutete das: René II. von Lothringen musste die Provence seinem kinderlosen Neffen überlassen, und sie nach dessen Tod in den Herrschaftsbereich Frankreich übergehen lassen.

Im Kontrast zu Louis setzte Charles der Kühne jetzt noch mehr auf Gewalt, um seinen Willen durchzusetzen. Er kehrte mit seinem Heer in die Provinz Waadt zurück und marschierte auf die ummauerte Stadt Morat, unweit vom östlichen Ausläufer des Sees Morat, die die Straße nach Bern beschützte. Die Stadt wurde von einer Garnison von zweitausend Männern beschützt. Im Juni 1476 lief die Belagerung, burgundische Artillerie schoss Breschen in die Mauern, am 18. Juni befahl Charles den Sturmangriff. Aber dieses Mal wurde er blutig abgewiesen. Gleichzeitig rückte ein Heer von 18.000 Mann Fußvolk und 2.000 Reitern der Schweizer aus Bern heran. Okay, ich werde sie gebührend empfangen, entschied der Burgunder, und stellte sein Heer entsprechend auf dem Hochplateau auf, die belagerte Stadt Morat in seinem Rücken. Tagelang standen die Burgunder unter Waffen im prasselnden Regen, doch die Schweizer zeigten sich nicht. Der Herzog schloss daraus, dass die Schweizer würden verhandeln wollen. Er schickte seine Soldaten zurück ins Lager, damit sie ein Dach über dem Kopf und zu Essen haben. Nur die Artillerie blieb auf dem Hochplateau zurück, beschützt von 1.000 Fußsoldaten sowie rund 1.800 Reitern.

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Gegen Mittag des 22. Juni 1476 hörte es auf zu regnen. Etwa im gleichen Augenblick ließen die greulichen Schweizer Schlachthörner ihren Ruf auf den Höhen erschallen. Aus dem Wald heraus bewegten sich zwei furchtgebietende geschlossene Schlachtreihen von Pikenieren, dazwischen eine starke Kavallerie-Abteilung. An der Spitze von dreihundert Reitern ritt der junge Herzog René II. von Lothringen, der erst wenige Stunden zuvor den Anschluss an die Schweizer Armee gefunden hatte. König Louis XI. hatte ihm mit Geld unter die Arme gegriffen und ihm eine starke Eskorte zur Verfügung gestellt.

Der größere Verband der Schweizer, zehntausend Mann stark, hielten auf die befestigte Stellung des Herzogs, ließen sich in ihrem Angriff selbst von dem Beschuss durch die englischen Bogenschützen und der burgundischen Artillerie abhalten. Binnen Minuten wurde der Druck der Schweizer Pikeniere und Arkebusenschützen so stark, dass die burgundische Reihe ins Wanken geriet.

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Charles der Kühne reagierte hektisch. Um ihn herum lösten sich die Reihen seiner Leute einfach auf, doch der Fluchtweg wurde ihnen versperrt – die Schweizer hatten den Weg um den See herum blockiert. Als der Herzog Hals über Kopf Richtung Lausanne davon galoppierte, schnitten die Schweizer den Burgundern, die sich noch im Lager auf den Kampf vorbereiteten, munter die Kehlen durch. Graf von Marle wurde umgehend getötet, obwohl er sich nach der Gefangennahme noch mit 25.000 Dukaten hatte freikaufen wollen. Den Rest besorgte die Kavallerie der Schweizer, sie drängte die feindlichen Soldaten in den See hinein, in dem viele ertranken. Wer nicht ins Wasser sprang, wurde abgeschlachtet. Die Hälfte der burgundischen Armee ging in dem Tumult zugrunde, Charles hatte zehntausend Söldner verloren.

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In Westeuropa war für jeden klar erkennbar, dass die Schweizer nicht zu bezwingen waren. Nur einer sah das anders, Charles der Kühne selber. Er kochte vor Zorn über die wiederholte Niederlage und suchte bei anderen die Schuld, zum Beispiel bei Savoyen und Lothringen. Den Sommer 1476 verbrachte Charles damit, noch einmal Geld aufzutreiben, um den Schweizern ein weiteres Mal die Stirn zu bieten. Nur machten die flandrischen Stände da langsam nicht mehr mit. Kümmerliche 1.100 Lanzenreiter konnte Charles zusammenkratzen, das war einfach zu wenig. Dazu war die Moral der Soldaten am Boden, und da Burgund seine fähigen Befehlshaber bereits verloren hatte, konnten die neuen Kommandeure da auch nicht mehr reißen. Sich selbst ließ der Herzog äußerlich gehen, Bart und Fingernägel wurden immer länger. Bei einem Sturz hatte sich Charles mehrere Zähne der oberen Reihe ausgeschlagen. Er sah nicht sonderlich gut aus, um es so auszudrücken. Die Ärzte ermahnten ihn, sich zu rasieren, denn ein Bart sei oft die Ursache von Melancholie. Das war eine höfliche Umschreibung für die Verzweiflungsausbrüche des Herzogs, einsame Wutanfälle wechselten sich ab mit augenblicklichem Gelächter, lachend versicherte Charles, er werde noch einmal mit einer Armee von 150.000 Mann auf der europäischen Bühne erscheinen. Die Diplomaten schrieben vertraulich ihre persönlichen Eindrücke auf, in dem burgundischen Herzog habe aus Verdruss über seine Fehler die dunkle Blume der Todessehnsucht zu sprießen begonnen.

Es gab noch einen einsamen Versuch des Herzogs, den französischen König auf diplomatische Weise einzubinden. Ein burgundischer Gesandter überbrachte Louis XI. den Vorschlag, Burgund und Frankreich könnten doch gemeinsam Savoyen unter sich aufteilen. Der König antwortete dem Diplomaten trocken mit einer Parabel: „Es war einmal ein Löwe, der hieß seine Nachbarn, ihn auf einer großen Jagd zu begleiten, und versprach, jeden einen gehörigen Anteil an dem erlegten Wild zu gewähren. Plötzlich erhob sich der Hase und sprach: Herr, was werde ich denn gewinnen, wenn ich auf die Jagd gehe? Esse ich doch kein Fleisch! Der Löwe erwiderte: Wir werden allerlei bepelztes Getier erlegen und Dir einige Felle geben. Darauf gab der Hase zurück: Her, ihr braucht euch keine Sorgen zu machen, denn ich habe selbst Fell genug.“ Eine ebenso kühle wie beschämende Abfuhr.

Für Charles den Kühnen kam es nicht in Frage, einen Rückzieher zu machen. Was für ein Kontrast zwischen ihm und Louis XI. von Frankreich: Der eine arrogant und hochfahrend, der andere äußerlich bescheiden und verschlagen. Charles konnte offenbar nicht aus seiner Haut. Waren die Voraussetzungen nach den Niederlagen noch so schlecht, er wollte die Entscheidung auf dem Schlachtfeld zu seinen Gunsten biegen, koste es, was es wolle. Louis XI. dagegen hatte in der Vergangenheit oft gezeigt, dass er bereit war, notfalls auch mal Kreide zu fressen – freilich ohne sein Ziel aus dem Auge zu verlieren. Der Burgunder unternahm im Herbst 1476 den finalen Feldzug, für den er noch einmal alle Gelder aufgebracht hatte, die er auftreiben konnte. Zunächst sollte Lothringen diszipliniert werden, um sich dann den Schweizern zuzuwenden. Aber schon mit Lothringen funktionierte das nicht mehr, weil der französische König René II. mit Geld fütterte, damit dieser sich militärisch wappnen konnte. Am 1. Januar 1477 näherte sich der Herzog von Lothringen Nancy mit einer Armee von zehntausend Schweizern, zahlreichen Deutschen und einer berittenen Truppe, die auch aus französischen Freiwilligen bestand. Die burgundischen Feldherrn baten ihren Herrn, sich nach Luxemburg zurückzuziehen, um Verstärkungen und Nachschub sicherzustellen, aber Charles beschimpfte sie als Feiglinge. Er trieb seine Armee auf eine Hochebene südlich von Nancy hinauf und blockierte die Straße, auf der seine Feinde heranrückten. Bei bitterer Kälte besichtigte Charles seine Streitmacht, die aus weniger als dreitausend Mann bestand. Entmutigt, ohne Sold, schlecht bewaffnet und viele Erkrankte unter ihnen. Trotzdem wollte Charles das letzte Gefecht.

Am 9. Januar 1477 ertönte morgens lautes Klopfen gegen die Tür von König Louis' Gemach. Herein schritt der Herr de Lude mit einer Depesche vom königlichen Statthalter an der lothringischen Grenze. Am vergangenen Sonntag, dem 5. Januar 1477, hatte die Armee Renés II. die schwachen Kräfte des Herzogs von Burgund bei der ersten Kampfberührung vernichtend geschlagen, die fliehenden Burgunder zu Hunderten getötet sowie hohe Herren gefangen genommen. Vom Herzog selbst freilich lagen noch keine Nachrichten vor. Gut gelaunt lud der König seine Ratgeber und einige Fürsten zu einem gemeinsamen Mahl ein, bei dem sich der König voller Frohlocken ausführlich mehr von der Schlacht erzählen ließ. Die anwesenden Fürsten zeigten wenig Appetit angesichts der Schilderungen: Für unerschütterlich gehaltene Staaten gingen zugrunde. Wer konnte sich wohl noch sicher wähnen, wenn ein so großer Körper am feudalen Firmament wie der Herzog von Burgund zerstört werden konnte? Und wozu konnte ihr undurchschaubarer Souverän noch fähig sein, nachdem er das einzige Hindernis seines Willens beiseite geschoben hatte? Im Augenblick seines Erfolges blieb Louis XI. ebenso allein, wie er es in vielen Stunden des Misserfolgs schon gewesen war.

Am nächsten Morgen erhielt der König die sichere Nachricht, dass sein mächtiger Gegner tatsächlich auf dem Schlachtfeld geblieben war. Zwei Tage nach der Schlacht spürte ein italienischer Page seinen Leichnam auf. Der dem Gott Mars leidenschaftlich ergebene Jünger, der alle Eigenschaften eines großen Generals, mit Ausnahme der Feldherrenkunst, und alles, was einen Eroberer ausmachte, mit Ausnahme von Siegen, aufwies, lag nackt mit dem Gesicht nach unten auf einem zugefrorenen Weiher. Sein Haupt war von der Schädeldecke bis zum Kinn durch eine Schweizer Hellebarde gespalten, sein Körper von Schweizer Piken durchbohrt, sein blutiges, entstelltes Gesicht war nicht mehr zu erkennen. Gefangenes Personal von ihm identifizierte den Leichnam anhand der langen Nägel, der fehlenden oberen Zahnreihe und einiger Narben am Körper.

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Tja, was soll ich sagen? So selten kommt das Event vom Burgundischen Erbe gar nicht vor. Beim Spielen einer Frankreich-Partie für diese Story habe ich es trotz aller Anläufe ums Verrecken nicht erhalten. Irgendwann habe ich mir die Bilder vom Event deshalb einfach aus dem Netz besorgt.

Trotz hartem Winterwetter ritt Louis XI. zu seiner Lieblingskapelle Unserer Lieben Frau von Behuard, um ihr Dank zu sagen. Die luftigen Fäden, gesponnen von der „Universalspinne“, gestalteten sich zu dauerhaften Drähten. Nicht einen einzigen Mann hatte er eingebüßt, noch hatte sein ganzes Königreich auch nur so viel zu leiden gehabt wie ein verbranntes Dorf. Dieses Königreich stand jetzt unangefochten da als die Vormacht des Westens, und sein König als der angesehenste unter den Monarchen. Louis XI. war jetzt 53 Jahre alt, er regierte seit 15 Jahren. Ein Künstler des Kalten Krieges, der jetzt die Ernte einfahren konnte.

Der burgundische Herzog Charles war tot, wie ging es nun weiter mit seinem Herzogtum? In EU4 ist die Angelegenheit stets unmittelbar klar: Mit dem Event vom Tod des Herzogs wird Burgund zwischen zwei Großmächten geteilt, die mit Burgund im Krieg liegen oder ein Heiratsbündnis haben. Historisch geht es um Frankreich und Österreich, im Spiel kann aber auch z.B. Spanien der Nutznießer sein. Jedenfalls ist die Teilung von Burgund direkt vollzogen.

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In der Realität war die Sache natürlich langwieriger. Da war zunächst nur eines klar: Wem das Erbe zufiel, es gehörte natürlich seiner einzigen Tochter Maria, einer jungen Frau von 20 Jahren. Glücklich machte sie das nicht, sie befand sich unversehens in Gent in großer Drangsal. Der Vater tot, sie selbst ohne Truppen, ohne Geld und ohne Macht, war sie eine Gefangene des Genter Volkes. In dem Augenblick, da der Tod des Herzogs bekannt wurde, beförderten die Genter Bürger ihre führenden Beamten sowie eine Anzahl wohlhabender Kaufleute sofort ins Jenseits, weil diese die tyrannische Herrschaft des Herzogs begünstigt hatten. Sie verlangten von Maria die Einberufung der Drei Stände von Flandern und zwangen sie, ihnen die gewohnte Unabhängigkeit und die Regierungsgewalt zu übergeben.

Von größter Bedeutung war die Frage, wen Maria heiraten sollte. Eine Frau konnte Herzogin sein, wenn es nicht anders ging, aber nach eigenem Ermessen entscheiden, wen sie heiratet, das war zu fundamental für die Zukunft des Herzogtums. Es ging schließlich um die außenpolitische Ausrichtung sowie die Frage, welche Dynastie sich in Burgund einheiratet und in späterer Generation das Ruder von Maria übernimmt. Ohne ein Heiratsbündnis würde sich Burgund unter diesen Umständen alleine kaum halten können. Maria selbst hatte ihr Herz offenbar bereits an den Kandidaten verloren, den ihr Vater vor seinem Tod für sie ausgesucht hatte: Den Habsburger Maximilian, Sohn des Kaisers. Der war der Erbe von Österreich, außerdem hatte er gute Aussichten, eines Tages von den deutschen Kurfürsten zum Kaiser gewählt zu werden, als Nachfolger seines Vaters. Aber wollten das die Bürger von Flandern, womöglich eine Provinz der Habsburger und des Reiches werden? Selbstverständlich wedelte Friedrich III. mit dem Heiratsvertrag, den er im Jahr zuvor mit Charles abgeschlossen hatte: Wozu noch diskutieren, die Sache war doch bereits entschieden. In Flandern sah man das teilweise anders.

Interessierte Mächte, die sich Maria sichern wollten, gab es natürlich zuhauf. Sie war die begehrteste Partie in ganz Europa. Einige hatten von vornherein nur Außenseiterchancen, Kleve und Geldern zum Beispiel. Zunächst schoss sich England selber aus dem Rennen, Edward IV. bot lediglich einen Grafen ohne Geld an. Unbrauchbar für die Zukunft von Burgund. Denn eines war klar: Wenn eine andere Macht als Frankreich nach Burgund geholt würde, dann musste sie Burgund auch vor Frankreich beschützen können. Louis XI. hatte nämlich eigene klare Vorstellungen davon, wen Maria heiraten sollte: Natürlich den Dauphin, seinen siebenjährigen Sohn Charles VIII. Um seinem Werben Nachdruck zu verleihen, rückten französische Truppen in Burgund ein und besetzten einen Teil des Territoriums.

In Flandern ging es hoch her zwischen den Fraktionen, die entweder für ein Zusammengehen mit Frankreich oder eben mit Habsburg waren. In den Tumulten wurden einige Unterhändler aus dem Umkreis der jungen Herzogin zum Tode verurteilt, ihnen wurde Konspiration mit Frankreich vorgeworfen. Verzweifelt wendete sich Maria vom Balkon ihrer Residenz aus an die Bürger und versuchte, das Blutvergießen zu verhindern. Doch man hörte kaum auf sie, Maria hatte keine Macht und stand unter Hausarrest. Die Todesurteile gegen die Diplomaten wurden vollstreckt.

Maria setzte weiter auf ihre Verbindung mit Maximilian, weil hinter ihm die Macht des Kaisers stand und ihm daher am ehesten zuzutrauen war, die Ansprüche Louis XI. auf ihr burgundisches Erbe abwehren zu können. Sie schaffte es, ein Schreiben an ihren bevorzugten Bräutigam an ihren Bewachern vorbei zu schmuggeln. In diesem Schriftstück, das erhalten blieb, formulierte die Herzogin, dass sie bestrebt sei, an ihrer Vermählung mit Maximilian festzuhalten und dass er ihr möglichst bald zu Hilfe kommen solle. Kaiser Friedrich III. ließ nun schnell eine aus dem Herzog von Bayern, Prälaten und hohen Beamten zusammengesetzte Delegation nach Flandern abschicken, die eine Heirat per procurationem durchzuführen hatte. Überraschenderweise wurde diese Gesandtschaft in Brügge sehr zuvorkommend empfangen, denn die Haltung der dortigen Bevölkerung hatte sich angesichts des Einfalls von Truppen Louis XI. in Luxemburg und Brabant und damit verbundenen Plünderungen radikal geändert. Die Niederländer erhofften durch einen mächtigen Mann an Marias Seite Sicherung des Friedens sowie ihrer Geschäfte und die Generalstände stimmten dem Heiratsprojekt zu. Maria selbst bekräftigte noch einmal, gemäß dem Willen ihres Vaters die Ehe mit dem Kaisersohn eingehen zu wollen. Die Hochzeit per procurationem fand am 21. April 1477 in Brügge statt, wobei der Herzog von Bayern als Stellvertreter Maximilians fungierte, und wurde am folgenden Tag in Gent wiederholt, damit keine Eifersüchteleien gegenüber Brügge entstanden.

Das konnte Louis XI. kaum auf sich sitzen lassen. Burgund gehörte zu Frankreich! Der erste Schritt, sich in Ruhe mit diesem Habsburger Maximilian befassen zu können, bestand darin, die Engländer aus der Sache rauszuhalten. Die Gelegenheit war günstig, Edward IV. war einer Verlängerung des Waffenstillstandes nicht abgeneigt – vorausgesetzt, er bekäme weiterhin diese schicke jährliche Rente aus Frankreich zugeschickt. Louis verhandelte ein bisschen herum, außerdem ließ er Edward das Gerücht ins Ohr setzen, sein Bruder Clarence habe die Ambition gehabt, Maria von Burgund zu heiraten, um sich anschließend selber an Edwards Stelle auf den englischen Thron zu schwingen. Es war ja bekannt, dass Clarence ein hinterhältiger Neider war, auch Edward IV. traute ihm offenbar nicht über den Weg. Jedenfalls verschwand Clarence bald darauf tatsächlich im Tower, aus dem er mehr freikommen sollte (er war derjenige, der in einem Weinfass ersäuft wurde). Außerdem machte Louis dem englischen König das verlockende Angebot, sich militärisch an der Aufteilung Burgunds zu beteiligen, er könne dann einen Anteil der Beute behalten. Wie wäre es mit Holland, Seeland und Brabant? Das Angebot war echt verlockend, auch wenn es sich um Reichsgebiete handelte. Man weiß ja, was passiert, wenn man in EU4 Reichsgebiet besetzt, dann kommt die Ermahnung des Kaisers und zehn Jahre Unruhe in den besetzten Provinzen. Natürlich meinte Louis das Angebot gar nicht ernst, aber es reichte, um Edward IV. monatelang zum Grübeln zu bringen. Der war erst einmal beschäftigt, und Louis konnte in Burgund Tatsachen schaffen. Obwohl vielen Engländern klar war, dass Frankreich ihr eigentlicher Feind war, hatte Louis XI. allen Sand in die Augen gestreut und politische Verwirrung gestiftet.

Derweil setzte Frankreich die Niederlande unter Druck. Durch vernichtende Feldzüge zu Lande und zu Wasser sowie durch finanzielle und wirtschaftliche Kriegsführung hatte Louis Monat für Monat die Situation für die Niederlande verschärft. Französische Überfälle hatten die Ernten verwüstet. Die Flotte zerstörte Hunderte von Fahrzeugen der Heringsflotten und nahm Prisen aus der Zahl der Schiffe, die Getreide aus dem Ostseeraum oder aus Italien heranführten. Französischen Kaufleuten wurde der Besuch der großen Messen in Flandern untersagt. Die Nahrungsmittelausfuhr aus Frankreich wurde ernstlich gedrosselt. Das Murren der hungrigen Handwerker in Gent, Brügge und Ypern wurde immer lauter. Auf König Louis' Druck hin verbot sein guter Freund Lorenzo de Medici seiner Bank in Brügge, Maximilian und Maria Anleihen zu gewähren. Damit alleine war Maximilian jedoch nicht in die Knie zu zwingen, doch Louis hatte gnadenlos und scharfsinnig dessen Schwächen offenbart, über die ganz Europa spotten sollte: Die Pläne des Habsburgers waren stets umfangreicher als seine Mittel, seine Begeisterung größer als seine Aufrichtigkeit. Er hatte Gefallen an Listen und Intrigen, die er hastig in die Wege leitete und ohne Sorgfalt ausführte, so dass sie rasch ans Licht kamen. Und beständig änderte er seine Vorschläge, wechselte die Seiten und fasste neue Pläne. Edward IV. machte sich da übrigens noch seine eigenen Gedanken. Er verbündete sich später, Mitte 1480, mit Maria und Maximilian und gewährte ihnen eine Anleihe. Ironischerweise ging ein Teil davon als jährliche Rente an ihn zurück, und zwar in der gleichen Höhe, wie er sie von Frankreich bezog. So lief das eben.

Louis XI. mag geglaubt haben, dass Maria und Maximilian ihr Burgund nicht lange gegen Frankreich verteidigen würden. Aber die beiden waren ziemlich entschlossen, hatten dank der Privilegien, die sie den niederländischen Städten gewährten, nun auch die Bürger hinter sich. Während Maria sogar ihren Schmuck versetzte, um ihr Erbland zu verteidigen, stand Maximilian auf dem Schlachtfeld seinen Mann. Weil er mit den Fußtruppen in vorderster Reihe kämpfte, genoss er bei seinen Soldaten hohen Respekt. Das gemeinsam führte dazu, dass Frankreich es trotz seiner Übermacht gegen Burgund nur zu einem Unentschieden brachte. Es gab eine Schlacht, bei der Maximilian und seine Burgunder trotz aller Widrigkeiten das Feld gegen die Franzosen behaupten konnten, so dass Louis XI. verächtlich schnaubte: „Soll er doch Blumen pflanzen auf dem Feld!“ Burgund war nicht so einfach einzukassieren wie gedacht, aber Frankreich konnte darauf setzen, dass es auf längere Sicht über die deutlich größeren Reserven zur Fortsetzung des Krieges verfügte. Irgendwann würden Maria und Maximilian schon die Luft ausgehen.

Mitten in der Auseinandersetzung mit Maximilian stellte Louis plötzlich fest, dass sich die Last der Unruhen auf der italienischen Halbinsel auf seine Schultern gesenkt hatte. Italien war vielleicht nicht der zentrale Schauplatz Europas, dafür fand hier alles wie unter einem Vergrößerungsglas statt. Der Wettbewerb zwischen den gleichstarken Mächten in Italien sorgte dafür, dass jede Äußerung und Geste mit großer Genauigkeit analysiert wurde und große Folgen nach sich ziehen konnte. Ein schönes Spielfeld für einen Intriganten wie Louis. Bisher hatte er sich wegen der französischen Ansprüche auf Neapel zurückgehalten, aber 1477 hatten sich die Machtverhältnisse auf der Halbinsel verschoben.

Venedig, Mailand und Florenz schlossen sich zu einem Dreierbündnis zusammen, das, nachdem ihm Ferrante von Neapel und der Papst die kalte Schulter gezeigt hatten, Italien in zwei Koalitionen teilte. Der Brand des Krieges kam ins Lodern, weil Papst Sixtus IV. unter Anwendung von Intrige und Gewalt für seinen Neffen ein Herzogtum zusammenzimmern wollte (so wie Papst Alexander VI. zwanzig Jahre später auch, dazu kommt ein eigenes Kapitel). Der Plan konnte nur auf Kosten von Florenz gehen, das in Opposition zum Papst ging. Sixtus IV. zeigte sich nicht abgeneigt, einen Umsturz in Florenz zu unterstützen, der die Medici wegfegen sollte. Natürlich nur, schob der Papst fromm hinterher, ohne Blutvergießen. Aber natürlich. Der Mordanschlag gegen die führenden Familienmitglieder der Medici ereignete sich während einer Messe im Dom. Der Putsch misslang, die Attentäter und einige Hintermänner landeten prompt am Strick, darunter der Erzbischof von Florenz. Wütend verhängte der Papst die Exkommunikation über Florenz und rief Neapel zu den Waffen, was Mailand und Venedig auf Seiten von Florenz auf den Plan rief. Die Medici klopften bei Louis an, ebenfalls einzugreifen.

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Die politische Karte Italiens zu Beginn der Kämpfe 1477...

Louis XI. mahnte den Papst zum Frieden, man möge doch lieber die Kräfte gegen die Türken vereinen. Erste Kriegserfolge machten Sixtus jedoch hochmütig, er ließ die französischen Gesandten kühl abblitzen. Der König antwortete mit Sanktionen, verbot den französischen Geistlichen das Reisen nach Rom, und vor allem das Überweisen von Geld an den Kirchenstaat. Die Schatztruhen waren halt die empfindlichste Stelle des Papsttums. Das Androhen eines Konzils, das päpstliche Missbräuche untersuchen und abstellen solle (also den Papst absetzen könnte), gehörte daneben zum üblichen Ton, wenn es gegen den Heiligen Vater ging. Die Wirkung dieser diplomatischen Maßnahmen wollte Louis erst einmal abwarten, auch wenn ihn die italienische Koalition bestürmte, endlich militärisch einzugreifen.

Als Louis XI. einen Gesandten aus Neapel empfing, da war seine angegriffene Gesundheit bereits offensichtlich. Zunächst ließ er sich zunächst darüber aus, was für ein Unruhestifter König Ferrante von Neapel doch sei, dann erging sich Louis in in ungewöhnlich offenen Ausschweifungen zu seiner eigenen Person: Sein eigener Großvater Charles VI. sei geisteskrank gewesen. Dessen Frau Isabella von Bayern sei eine große Hure gewesen. Er selbst stamme von ihr ab und wisse deshalb gar nicht genau, wessen Sohn bzw. Enkel er eigentlich sei! Louis wandte sich hierauf direkt an den Gesandten: „Euer König, so wie er ist (ein Bastard), ja, glauben Sie denn, dass er der Sohn von König Alfons ist?“

Wie gesalzen indes seine Redeweise auch geworden sein mochte, Louis wollte noch immer keiner italienischen Mächtegruppierung zum Sieg über die andere verhelfen, sondern die Befriedung der Halbinsel unter seiner wohlwollenden Schirmherrschaft sicherstellen. Die heimischen Anjou saßen ihm im Nacken, sie nach Neapel zum Sieg zu führen, aber er wollte sich alle Türen offenhalten. Daher sein offenherziger Hinweis auf seine eigene unklare Herkunft, mit dem er sich an Ferrante anbiedern wollte. Die Zeit spielte ihm tatsächlich in die Hände. Neapel erkannte nämlich, dass der Krieg an der Seite des Papstes keinen Nutzen brachte. Im Gegenteil, Neapel schwächte sich und eröffnete damit den Türken die Möglichkeit, sie anzugreifen.

Neapel hielt die diplomatischen Gespräche mit Frankreich aufrecht. Die Unruhestifter Italiens seien Lorenzo di Medici (Florenz) und Cicco Simonetta (Regent von Mailand). Eigentlich sei doch Lorenzo di Medici der rechtmäßige Regent von Mailand, außerdem sei es Simonetta gewesen, der Mailand damals von Frankreich weg ins burgundische Lager habe wechseln lassen. Oh, antwortete Louis, man könne über Simonetta reden. Frankreich würde nicht feindselig reagieren, wenn Neapel dessen Sturz betreiben würde. Das genügte Neapel womöglich für einen gesichtswahrenden Friedensschluss. Innerhalb kurzer Zeit konnte Ludovico triumphalen Einzug halten in Mailand, und Simonetta verschwand im Kerker (wo er umgebracht wurde). Und Ludovico unternahm eine spektakuläre Mission: Er reiste persönlich nach Neapel zu Ferrante, seinem Kriegsgegner, der für seine Grausamkeit berüchtigt war. In Mailand war man entgeistert. Aber Ludovico war tatsächlich erfolgreich, er erzielte einen Frieden mit Neapel. Selbst der Papst musste angesichts dieser Entwicklung zähneknirschend das Kriegsbeil begraben.

Ohne einen einzigen Soldaten über die Alpen geschickt zu haben, hatte Louis XI. die politische Existenz von Lorenzo di Medici gerettet, seine Verbündeten den Klauen des Krieges entrissen und trotz allem die Beziehungen zur gegnerischen Koalition aufrechterhalten, womit er die Befriedung Italiens sichergestellt und seiner Oberherrschaft über die Angelegenheiten der Halbinsel Bestätigung verschafft hatte. Abseits stand jedoch Venedig. Niemals würde Venedig ein starkes Neapel dulden, auch die Dreier-Koalition war für Venedig wertlos geworden. Die Handelsrepublik suchte sich mit dem Papst einen neuen Freund. Da sortierten sich die politischen Lager also schlicht neu. Nur eines konnte die verschiedenen Lager in Italien zusammenbringen: Die äußere Gefahr durch die Türken. Louis war bereit, den Italienern Geld zu geben, damit sie sich zu abgesprochenen Aktionen gegen die Osmanen aufraffen konnten.

Das Problem war, dass Venedig 1479 einen Waffenstillstand mit den Türken abgeschlossen hatte, um sich Atempause zu verschaffen. Für kein Geld der Welt, verkündeten die Venezianer, würden sie den Vertrag brechen. Dann aber hatte Louis Glück, wenn man das so sagen will, Sultan Mehmed starb im Frühjahr 1481, das Osmanische Reich erfuhr eine Schwächung. Rasch ließ Venedig erkennen, dass die vom französischen König geduldig angebotene Vermittlung willkommen sei.

Diese ganzen Schilderungen sind nicht unbedingt tiefgreifende Umwälzungen in der italienischen Geschichte, aber sie machen anschaulich, wie sehr sich Louis XI. zum Schiedsrichter und Schirmherr der Halbinsel entwickelt hat. Er wurde quasi zum Schutzpatron der italienischen Renaissance, weil er über lange Jahre das Gleichgewicht der Mächte austarierte und somit Kriege bannte.

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… und nach dem Ende der Kämpfe 1481, sie ist unverändert geblieben.


Wenn wir den Blick zurück nach Frankreich werfen, kann man unter dem Strich ebenfalls eine positive Bilanz von Louis` Herrschaft ziehen. Er hatte durch seinen Fleiß und seine sparsame Regierung eine Macht gesammelt, wie sie kein französischer König vor ihm inne gehabt hatte. Der Adel war kaltgestellt, die wohlhabenden Bürger waren ihm wohlgesonnen, der Klerus seiner Kontrolle unterstellt. Adel und Kirche in Frankreich hatten eine Macht dargestellt, und der König hielt nichts von vielerlei Gewalten in seinem Reich. Für die Heilige Inquisition hatte er keine Verwendung. Der alte Feudalismus war gebrochen, zahlreiche fürstliche Lehen hatte Louis XI. in Staatseigentum überführt. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Louis XI. der Wegbereiter des französischen Absolutismus war, der Ausgangspunkt so mächtiger Könige wie Louis XIV.

Als der alte König René im Juli 1480 starb, fielen die Herzogtümer von Anjou und Bar durch entsprechende Vereinbarungen an den König, wohingegen René seine unabhängige Grafschaft Provence seinem Neffen, dem Grafen von Maine, vermachte. Aber der kinderlose Maine hatte seinen letzten Willen bereits zugunsten des Königs festgelegt. Bei seinem Tode im Jahr darauf fielen die Grafschaften Provence und Maine an die Krone, und Louis besaß jetzt den wundervollen Hafen von Marseille und das Loire-Tal bis hin zur bretonischen Grenze.

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Das Herzogtum Bretagne war nicht mehr in der Lage, seine Unabhängigkeit vor Frankreich zu behaupten. Nach Ablauf einer Dekade (im Jahre 1491) überantwortete sich die neue bretonische Herzogin Anna selbst nebst ihrer Provinz dem französischen König.

Kein Wunder also, dass Louis der Ruf anhaftet, er sei ein intriganter Tyrann gewesen. Klerus und Adel, die zu einem guten Teil die Geschichte schrieben, hatten so manchen Grund, an diesem König kein gutes Haar zu lassen. Einem Fürsten spielte Louis XI. besonders übel mit, das war Herzog Louis von Orleans. Louis von Orleans gehörte zu einer Nebenlinie der Valois, die der König auslöschen wollte, um sich einer möglichen Konkurrenz um die Krone zu entledigen. Zu diesem Zweck zwang er Orleans schon früh in die Ehe mit seiner Tochter Jeanne. Ist doch toll, er heiratet eine Prinzessin, ein sozialer Aufstieg. Aber Louis XI. trieb mit beiden ein sehr böses Spiel: Es war allgemein bekannt, dass die hässliche und verkrüppelte Jeanne keine Kinder gebären konnte. Es gibt Andeutungen, sie sei zweigeschlechtlich gewesen. So oder so, mit Jeanne als Gemahlin würde die Linie der Orleans mit dem jungen Louis enden.

Die Ironie der Geschichte ist, dass Louis von Orleans später doch triumphierte: Im Jahre 1483 sollte Jeannes Bruder Charles, also Louis' Schwager, nach dem Tod von Louis XI. den französischen Thron besteigen – und im Jahre 1498 kinderlos sterben. Damit war die Linie der Valois am Ende und der Orleans Louis erhielt die Krone. Seine Ehe mit der missgestalteten Jeanne konnte Louis XII. mit der erlangten Macht in einem demütigenden Prozess annullieren lassen. Aber das sind spätere Ereignisse.

In der Story haben wir noch das Jahr 1481. Dem König Louis XI. ging es gesundheitlich nicht gut. Ende Februar erlitt er eine Art von Gehirnsturzblut, brach zusammen, und konnte trotz Bewusstsein tagelang nicht sprechen oder verstehen. Im September 1481 folgte ein zweiter Anfall. Zwei Stunden lang lag er da wie tot. Monatelang zog sich der König zurück, um sich zu erholen. Im Frühjahr 1482 rechnete der abgemagerte Louis XI. selber damit, dass er nicht mehr lange leben würde. Er schleppte sich von Woche zu Woche und betete inständig darum, Gott möge ihm noch etwas Lebenszeit gewähren. Wie ernst die Lage war, bewies der Umstand, dass der König seinen Sohn Charles zu sich rief und ihm Instruktionen für die Zukunft erteilte. So viel Aufmerksamkeit hatte Louis XI. dem Dauphin sonst nie geschenkt.

Doch die Lebensgeister des Königs kehrten im April 1482 überraschend zurück – aufgrund einer zweifelhaften Freude: Er erhielt Nachricht vom tragischen Tod der jungen burgundischen Herzogin Maria. Sie war infolge der inneren Verletzungen, die sie sich beim Sturz vom Pferd zugezogen hatte, gestorben. Obwohl Louis XI. selbst im Schatten des Todes weilte, freute er sich ungemein über diese Nachricht. Schließlich und endlich würde ihm Burgund doch noch zufallen. Ohne die Ehe mit Maria war Maximilian in Burgund nicht mehr sicher, er war ja nur angeheirater Herzogingemahl. Okay, die beiden hatten 1478 den gemeinsamen Sohn Philipp (sowie die Tochter Margarethe) bekommen, aber das war nur ein kleines Kind, für das Maximilian die Regentschaft ausüben wollte.

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Der französische König konnte wieder seine Wühlarbeit in Flandern beginnen und erreichte, dass die Stände Maximilian wenig Beachtung schenkten. Die Stände gaben dem Habsburger zu verstehen, dass sie Frieden mit Frankreich wünschten, egal, was Maximilian davon hielt. Gegen seinen Willen stimmten die Stände der Verheiratung der kleinen Margarethe mit dem französischen Thronfolger zu. Sie wurde eingepackt und nach Paris gebracht. England konnte und wollte nicht eingreifen, Edward IV. war trotz der Renten, die er kassierte, klamm, war mit den Schotten beschäftigt, und hatte außerdem einen laufenden Friedensvertrag mit Frankreich. Der englische König war von Louis XI. kunstvoll ins Abseits gestellt worden. Niemals würde seine schöne Tochter den französischen Dauphin heiraten, niemals würde er die Hand auf die Niederlande legen können. Der Zug war abgefahren. Edward IV. litt so sehr unter dieser Schmach (und seiner jahrelangen Völlerei), dass er im April 1483 plötzlich starb. England rutschte in die finale Episode der Rosenkriege, Richard III. griff nach der Krone.

Da konnte Maximilian keinen Widerstand mehr aufbieten: Burgund wurde offiziell aufgeteilt. Nur einen Teil des Erbes von Herzog Charles dem Kühnen konnte Maximilian für seinen Sohn Philipp bewahren, der übrige Teil fiel unmittelbar oder mittelbar an Frankreich. Dies ist das Ergebnis, dass in EU4 direkt mit dem Event zum Tod des burgundischen Herzogs zu sehen ist. In der Realität war es ein Prozess, der sich fünf Jahre lang hinzog.

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Links: Burgund vor der Teilung. Rechts: Die Aufteilung Burgunds zwischen Frankreich und Habsburg

Das war der letzte Coup, den Louis XI. in seinem Leben landen konnte. Einige Monate später, im August 1483, erlitt er eine neue Gehirnblutung. Er kam zwar noch einmal zu sich, wusste aber um sein unausweichliches Ende. Er ermahnte seinen Sohn, sich von nun an „der König“ zu nennen und verabschiedete sich von seinem Stab. Am 30. August bat Louis XI. im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte um Erteilung der Sterbesakramente, betete, und verstarb am Abend jenes Tages.


… und was geschah danach?

Die Nachricht vom Tod Louis XI. versetzte Frankreich in einen Zustand bebender Erwartungen. Welche Gewinne und günstige Gelegenheiten verhieß nicht die Herrschaft eines Minderjährigen, des erst 13 Jahre alten Charles VIII.

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Der Dritte Stand träumte von Steuersenkungen, der Klerus hoffte, seine Angelegenheiten wie in den glorreichen Tagen in die eigenen Hände zu nehmen, der Adel – am glücklichsten von allen – sah die gute alte feudale Welt wieder heraufziehen. Die Emporkömmlinge unter den Ratgebern, mit denen sich der verstorbene König so viele Jahre umgeben hatte, wurden fertiggemacht, zum Tode verurteilt, aufgehängt, mit heißen Eisen durchlöchert, oder ausgepeitscht. Der alte König wurde als tyrannischer Despot gescholten, seine Beamten als Ausbeuter. Die Herren machten sich ein Vergnügen daraus, allenthalben Schauergeschichten zu verbreiten über den Herrscher, der sie in ihre Schranken verwiesen hatte. Jeder suchte seinen Teil der Beute. Natürlich sollte nach ihren Willen der junge Charles VIII. zum Spielball ihrer Interessen werden. Louis XI. hatte aber vorgesorgt und die Regentschaft über den Thronfolger seiner kompetenten Tochter Anne und ihrem Gemahl übergeben. Sie hielten die Regierung in dieser Zeit stramm aufrecht.

Im Jahre 1485 versuchte Herzog Louis von Orleans (der mit der hässlichen Jeanne), eine neue Adelsrevolte des „Öffentlichen Wohls“ vom Zaun zu brechen. Der Konflikt ging als „Der verrückte Krieg“ in die Geschichte ein, weil beide Seiten, Adels- und Königspartei, sich als unfähig erwiesen, irgendeine Entscheidung herbeizuführen, die das Drama beendet hätte. Eigentlich ein Verdienst des toten Königs: Selbst die Regierung eines minderjährigen Königs konnte die von Louis XI. geschaffene nationale Monarchie nicht erschüttern.

Die negativen Folgen kamen erst später, als Charles VIII. volljährig war. Er war nämlich ein harmloser, vergnügungssüchtiger Trottel, der sich schnell zu der Mission „Italienische Ambitionen“ überreden ließ: Die Eroberung Neapels für das französische Haus Anjou. Dabei stellte sich Charles VIII. bei weitem nicht so geschickt und weitsichtig an, wie es sein Vater vermocht hatte. Sein Agieren in dem Wespennest Italien ist Thema im noch folgenden Kapitel über den Borgia-Papst Alexander VI.


Literatur:

Paul Murray Kendall – Ludwig XI. (offenbar die einzige ausführliche Biographie, die überhaupt zu ihm verfasst wurde)

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 10. November 2019 16:43

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Die iberische Hochzeit

Isabel die Katholische
Königin von Kastilien 1474 bis 1504, lebte 1451 bis 1504
Startdatum: 11. November 1444


Die „Iberische Hochzeit“ ist neben dem „Burgundischen Erbe“ das wohl bekannteste Event in EU4. Wenn die Herrscher von Kastilien und Aragon ein unterschiedliches Geschlecht haben, die beiden Länder nicht im Krieg liegen, sowie benachbarte Grenzen haben, besteht zwischen 1450 und 1530 die Chance, dass die Iberische Hochzeit triggert und eine Personalunion Kastiliens mit Aragon mündet in das Königreich Spanien. Das Event existiert nicht von ungefähr im Spiel, sein historisches Vorbild ist die Hochzeit von Isabel von Kastilien und Fernando von Aragon im Jahre 1469. Isabels Leben und Herrschaft sind das Thema dieses Kapitels.

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Sie kam am 22. April 1451 zur Welt und wuchs in der herben kastilischen Region Avila in der Provinz Leon auf. Die karge Landschaft hatte die Bevölkerung abgehärtet, entsprechend war die Erziehung des Mädchens. Der Palast ihrer Eltern, des Königs Juan II. und seiner zweiten Gemahlin Isabel von Portugal, glich eher einem ländlichem Adelssitz.

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Hier blieb sie nicht lange, bereits mit drei Jahren ging für sie nach dem Tod ihres königlichen Vaters die Reise weiter nach Arevalo, gemeinsam mit ihrem kleinen Bruder Alfonso. Auch dort fiel Isabel nicht die Rolle einer verwöhnten Prinzessin zu. In dieser Zeit wurde ihr Charakter geprägt: Nüchternheit, persönliche Bedürfnislosigkeit, die Begabung zum sparsamen Haushalten im kleinen wie im Staatsbereich, Tatkraft, Lebensklugheit gemischt mit intuitivem Entscheidungsvermögen. Als Königin war sie gar nicht vorgesehen.

Die Zeiten waren hart für das Königshaus, die Krone machtlos. Nahezu jeder dem Hochadel angehörende Grande beschämte die Krone durch seinen hemmungslos erworbenen Reichtum. Wer eins oder gar mehrere von den wehrhaften Kastellen besaß, nutzte die militärische Stärke zu Erpressung und einem halblegalen Raubrittertum. Der jeweilige Hochmeister eines reichen geistlichen Ritterordens bemächtigte sich ungeniert der hohen Jahreseinkünfte des Ordens. Der berühmteste Ritterorden, der von Santiago, war begründet worden zum Schutz der Pilger auf dem langen Weg zum Grab des Apostels Jakobus im galicischen Compostela. Jährlich spülten 600.000 Dukaten in die Ordenskasse, während die Krone zur Zeit von Isabels Regierungsübernahme lediglich über 40.000 Dukaten im Jahr verfügte.

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Der armselige Zustand der Königsmacht und des Landes hing jedoch nicht nur mit der Macht der Cortes und der Habgier und Verderbtheit des Adels zusammen. Das Übel vergrößerte sich rasch durch den 1405 geborenen Juan II. aus dem Hause Trastamara, der mit 14 Jahren gekrönt wurde und bis über den Spielstart 1444 hinaus regierte. 1/1/2, ein grottiger Typ.

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Bei den Staatsgeschäften verließ sich der willensschwache Juan II. auf seinen Günstling Alvaro de Luna, auf jenen Mann, der für die Vergiftung von Maria von Aragon und deren Schwester verantwortlich gewesen sein soll. Der war ein Edelmann aus Aragon, dem Gerüchte die illegitime Geburt anhafteten. Sprich, es hieß, er sei ein untergeschobenes Kuckuckskind. Der kastilische Hochadel streute solche Sachen, denn man hasste ihn für sein erfolgreiches Streben, die Granden und den Klerus in die Schranken zu weisen. Alvaro de Luna war nicht nur eine stattliche Erscheinung, er verfügte über Intelligenz und war ungewöhnlich gebildet. Der König dankte ihm seine Dienste und beschenkte ihn üppig mit Ländereien und Titeln, machte ihn zum wohlhabendsten Mann Kastiliens, reicher als alle Adeligen zusammengenommen. Die Geschichte hätte sich für Kastilien vorteilhaft entwickeln können, sie hatte nur einen tödlichen Makel. Alvaro war ein Musterbeispiel dafür, wie Macht korrumpiert. In seinem grenzenlosen Ehrgeiz verlangte er immer mehr, griff zu unsauberen Mitteln.

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Dem Adel gelang es nicht, Alvaro zu stürzen, das besorgte ausgerechnet jene Frau, die Alvaro selbst dem König als Gemahlin zugeführt hatte. Zwei Jahre nach dem Tod seiner ersten Gemahlin Maria von Aragon feierte Juan II. die Hochzeit mit der 15jährigen Prinzessin Isabel von Portugal. Der König liebte sie innig, während ihr seine Abhängigkeit von Alvaro nicht verborgen blieb. Im Jahre 1453 erwirkte sie die Verurteilung und Hinrichtung von Alvaro. Nach dem Tod seines Freundes verlor Juan II. jeglichen Halt. Selbstvorwürfe peinigten ihn, und weder die kleine Isabel noch die Geburt seines Sohnes Alfonso konnten dem Lebensmut des Königs Auftrieb geben. Er starb im folgenden Jahr 1454, und soll zuletzt gesagt haben, lieber wäre er der Sohn eines Handwerkers als der eines Königs gewesen.

Der Erbe der Krone war Juans Sohn aus erster Ehe mit Maria. Dem sterbenden König wäre ein anderer Thronfolger sicher lieber gewesen, doch Enrique IV. war nun einmal der legitime Erstgeborene.

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Er war es, der die Stiefmutter mit ihren beiden Kindern Isabel und Alfonso nach Arevalo verfrachten ließ, weit ab von seinem Hof in Madrid. Dort hielt Enrique seine Halbgeschwister finanziell an kurzer Leine. Erst im Jahre 1464, als Isabel elf Jahre alt war, wurde sie zurück nach Madrid geholt. Damit endete ihre Kindheit.

König Enrique IV. erklärte, er wolle seinen Halbgeschwistern eine sittsame Erziehung zukommen lassen. Nachdem die Sitten am kastilischen Hof allzu bekannt waren, war diese Begründung ein unüberbietbarer Zynismus. Na gut, Enrique hatte auch seine sympathischen Seiten: Er hatte eine Vorliebe für Dichtung und arabische Musik, verabscheute Blutvergießen und Krieg, er war freigiebig und achtete niedrige Leute, die er zum Missfallen des Adels auch in Ämter berief. Weniger sympathisch war die Kehrseite seines Charakters. Seine Freigiebigkeit kam vor allem Günstlingen und Speichelleckern zugute, er leerte damit die Staatskassen und ließ gnadenlos die Steuern – unter Androhung der Todesstrafe – eintreiben. Die Ämtervergabe an Leute niederen Standes grenzte oft ans Obszöne, etwa wenn er bekannten Verbrechern das Recht der Steuereinnahme verlieh. Den Kreuzzug gegen das Emirat Granada führte Enrique IV. ziemlich lustlos, das zu diesem Zweck vom Volk erpresste Geld schenkte er lieber seinem Günstling Beltran de la Cueva.

Es war also die sattsam bekannte Szenerie mit den emporgestiegenen Günstlingen gegen die zu kurz Gekommenen des etablierten Adels. Beltran konnte den Fürsten tatsächlich gefährlich werden, denn er war bereits der Hochmeister des Ritterordens von Santiago. Der unheilvollste Günstling in der Umgebung des Königs war aber Juan Pacheco, der zunächst der Erzieher Enriques gewesen, dann sein Liebhaber geworden war. Pacheco installierte seine Verwandtschaft an wichtigen Stellen am königlichen Hof. Die ganze Geschichte hört sich ähnlich an wie bei Edward II. von England. Wo einige aufsteigen, gibt es andere, die darauf neidisch sind. In Kastilien knisterte es wie vor einem Bürgerkrieg.

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Und in dieses vergiftete Klima am Hofe holte Enrique IV. die kleine Isabel und ihren Bruder. Vielleicht wollte der König sie einfach in seine Nähe haben – um sie besser unter Kontrolle zu haben, bevor jemand auf die Idee kam, die beiden für eigene politische Zwecke zu instrumentalisieren.

Enriques erste Ehe war nach dreizehn Jahren ohne Kinder geschieden worden. Angeblich hatte „Behexung“ den Beischlaf verhindert. Das Volk machte sich sein eigenes Urteil und nannte Enrique belustigt „El Impotente“. Die zweite Gattin, die schöne, lebenslustige Schwester des portugiesischen Königs, brachte immerhin im siebten Ehejahr 1462 eine Tochter zur Welt. Nur, wer war der Vater? Zunächst bestand Enrique auf die Vaterschaft, dem Beweis seiner Männlichkeit. Das Volk bildete erneut sein eigenes Urteil und nannte das Mädchen „La Beltraneja“, die Tochter Beltrans. Offenbar waren sich der König und sein Günstling selbst nicht sicher, wer von ihnen der Vater der kleine Juana war.

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Nach einem ersten, halb erzwungenen Treueid der kastilischen Fürsten kam es bald zum Widerruf. Sie hatten die Schnauze voll von dem abscheulichen Laster am königlichen Hof: Die Granden machten Druck auf Enrique, Juana zu verleugnen und stattdessen Isabels jüngerem Bruder Alfonso den Vorrang in der Thronfolge einzuräumen. Enrique IV. knickte ein und ließ den Treueid nun auf den elfjährigen Alfonso leisten. Mehr noch: Er musste sich von seinem Günstling Beltran trennen, ihm seine Ämter entziehen und diese an Alfonso geben.

Eine tolle Gesellschaft, in der Isabel fünf Jahre ihres jugendlichen Lebens verbrachte. Entgegen der Wahrscheinlichkeit entwickelte sie sich aber zu einer moralisch prinzipientreuen, ökonomisch denkenden und nicht bestechlichen Person. Dem zehnjährigen Alfonso gefiel seine Rolle als Thronfolger natürlich. Die Geschichte, wie Isabel und ihr Bruder am Hof in das Netz von Intrigen und Korruption eingesponnen wurden, war noch nicht zu Ende. Enrique machte drei Jahre später nämlich seine Erklärung zur Thronfolge rückgängig. Er holte Beltran wieder an seine Seite und gab ihm seinen Reichtum zurück. Der König fühlte sich stark genug, den darauf ausbrechenden Adelsaufstand militärisch zu bezwingen. Während Isabel am Hof blieb, weilte Alfonso bei den adeligen Rebellen. Was sie wollten, zeigten sie in einem Puppentheater von Schauprozess: Eine ausgestopfte Figur, die Enrique darstellen sollte, verurteilten sie ihn zur Absetzung und ernannten Isabels Bruder zum neuen König Alfonso XII.

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Das Land hatte jetzt einen Gegenkönig, der Bürgerkrieg war unvermeidbar. Enrique verlor schon den Mut, da kam ihm der Seitenwechsel des intriganten Pacheco mit seinem Kumpel Villena gelegen. Für eine stattliche Summe Geld traten sie mit ihren Söldnern in das Lager Enriques über. Villena hatte noch eine Bedingung, die er stellte: Die Entlassung von Beltran und für sich selbst die Ehe mit der jungen Isabel. Für Enrique war es völlig in Ordnung, das 16jährige Mädchen mit einem dreißig Jahre älteren Mann, der bekannt war für seine wüste Verkommenheit, zu vermählen. Isabel hatte das Glück, dass Villena schon kurz darauf an der Diphtherie starb. Die Gegenspieler standen wieder am Anfang, die Entscheidung sollte 1467 endlich fallen. Enrique rückte mit einer überlegenen Streitmacht gegen die Rebellen und stellte sie im August zur Schlacht. Der Gegenkönig Alfonso war jetzt alt genug, um selber zur Waffe zu greifen. Die Schlacht ging unentschieden aus, in der Folge gingen aber einige Städte zu Alfonsos Seite über, dabei gelangte Isabel aus den Händen Enriques zu ihrem Bruder. Enrique hatte sich mit der kleinen Juana/Beltraneja abgesetzt.

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Am Ende wurde Alfonso doch des Thrones beraubt. Schuld daran waren die Unruhen in Toledo, wo blutige Straßenkämpfe zwischen den getauften Juden, den Conversos, und den Altchristen tobten. Anlass war die Vergabe von Zöllen, Ursache war das tiefe Misstrauen der Altchristen gegen die konvertierten Juden, denen man nachsagte, sie würden im Geheimen ihrem bisherigen Glauben treu bleiben. Alfonso wurde vorgeworfen, er sei den Conversos gegenüber zu nachsichtig. Als er sich weigerte, den Altchristen einen Progrom zu genehmigen – auf eine solche Weise wollte er seine Macht nicht festigen – da starb er plötzlich am 1. Juli 1468 nach heftigen Magenkrämpfen. Vergiftet, raunte man sich zu.

Der so frühe Tod rückte nun Isabel in den Mittelpunkt. Der aufständische Adel und Klerus bedrängte sie, sie sei nun die alleine Erbin der kastilischen Krone. Das Königreich erwarte ihre Entscheidung. Sie müsse einwilligen, um als Nachfolgerin ihres Vaters Juan, ihres Bruders Alfonso zur Königin von Kastilien und Leon gekrönt zu werden. Es war ihre erste wichtige politische Entscheidung. Sollte sie sich offen gegen ihren Halbbruder Enrique und dessen Tochter stellen? Das waren ihre einzigen noch lebenden Verwandten. Sie entschied sich für einen abgewogenen Mittelweg: Man möge, um des Friedens willen, das rechtmäßige Königtum von Enrique anerkennen, und ihr die ebenso legale Thronfolge zugestehen. Also Legalität statt Gewalt. Die Granden waren von der jungen Frau schwer beeindruckt.

Enrique konnte froh sein, ein solches Angebot zu erhalten. Er willigte ein, sich von den schlechten Beratern und Günstlingen zu trennen und alleine Isabel als Erbin anzuerkennen. Damit sie unabhängig blieb, sollten ihr die Einkünfte einer Reihe von Städten zufallen. Alfonso war erst zehn Wochen tot, da trafen sich die Bürgerkriegsparteien zur Versöhnung. Der rebellische Adel bat Enrique um Verzeihung, dafür wurden sie von dem Treueid befreit, den sie sechs Jahre zuvor gegenüber Juana/Beltraneja geleistet hatten. Danach konnte Enrique und Isabel gemeinsam gehuldigt werden. Enrique blieb auf Lebenszeit König, Isabel war die Thronfolgerin.

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Prompt war Isabel eine begehrte Partie, immerhin die künftige Königin – und noch ledig. Aus den Nachbarländern meldeten sich die Freier, ganz andere Kaliber als die bisherigen Typen, mit denen man sie hatte vermählen wollen. Aus Frankreich fragte Louis XI. für seinen Bruder Charles an, Portugal wollte Kastilien in ihre Allianz mit England einbringen und gegen Frankreich ausrichten. Auch der Thronfolger von Aragon und Sizilien, Fernando, freite Isabel, denn Aragon hatte Grenzkonflikte mit Frankreich. Isabel musste ihren nächsten Schritt gut überlegen, denn Enrique IV. versuchte bereits, seine Zugeständnisse ihr gegenüber wieder rückgängig zu machen. Das Problem war, dass Isabel für eine Hochzeit die Zustimmung Enriques benötigte, die Vermählung einer Thronerbin war keine Privatsache.

Den portugiesischen Kandidaten, den fettleibigen Alfonso, wollte sie nicht. Der der deutliche ältere Mann hatte bereits einen Sohn aus erster Ehe, der als Thronfolger für Portugal feststand. Was also sollte sie mit dem Vater? Isabel war schlauer geworden, sie sagte nicht einfach Nein, sondern zögerte die Verhandlungen lange hinaus, bis sie wegen zu enger Blutverwandtschaft der beiden abgeblasen wurden. Der französische Kandidat wurde ihr als schwächlich und weibisch beschrieben, ein von Magersucht geplagter Kavalier. Von dessen Thronfolge sprach niemand mehr, nachdem Louis XI. einen Sohn geboren bekommen hatte. Blieb Fernando von Aragon, ein stattlicher Prinz und Erbe, klug, tapfer und sattelfest. Kastilien und Aragon in einer Ehe, das hörte sich auch strategisch gut an. Enrique IV. war gegen diese Verbindung, aber Isabel führte unverdrossen geheime Verhandlungen mit Fernando.

Die beiden zogen die Sache durch. Am 18. Oktober 1469 fand die so folgenreiche Vermählung von Kastilien und Aragon statt. Ein letztes Hindernis, Fernandos Blutsverwandtschaft durch Vorfahren aus dem englischen Hause Lancaster (er war Isabels Vetter zweiten Grades), wurde durch päpstlichen Dispens beseitigt. Das Paar ahnte nicht, dass ihrer Trauung eine gefälschte Dispens zugrunde lag. Doch alle Betreiber, voran Erzbischof Carillo, der päpstliche Nuntius, suchten so schnell und geheim wie möglich ihr Werk zu vollenden. Nur endete die Geheimhaltung, als in Valladolid alle Einwohner und Gäste eine volle Woche hindurch mit Tanz und Spiel die glücklich Vermählten feierten.

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Enrique IV. war brüskiert, Isabel hatte die Ehe gegen seinen Willen geschlossen. Einige Briefe gingen hin und her, in denen Isabel klug und diplomatisch argumentierte, bis der König nicht weiter dagegen anzuschreiben wusste. Es war im Oktober 1470, als sich Enrique zur Vergeltung entschloss, Isabel erwartete zu dieser Zeit bereits ihr erstes Kind. Der König hörte sich beim französischen König um, ob der nicht beleidigt sei, dass Isabel die Hand seines Bruder abgelehnt hat. Louis XI. witterte eine Chance, in dem kastilischen Thronfolgestreit einzugreifen. Enrique bot nämlich seine Tochter Beltraneja, die mit der zweifelhaften Vaterschaft, an. Doch, natürlich, sie ist seine leibliche Tochter, und im übrigen auch die legitime Thronfolgerin von Kastilien. Prima, antwortete der französische König, dann steht einer Verbindung des achtjährigen Mädchens mit seinem Bruder Charles ja nichts mehr im Wege. Für die Brautleute schlossen zwei Stellvertreter den Ehevertrag ab. Die kleine Beltraneja dürfte wegen ihres kindlichen Alters gar nicht kapiert haben, was da in ihrem Namen geschah. Große Konsequenzen hatte es eh nicht: Charles starb zwei Jahre später, eventuell nach einem Giftanschlag, den sein königlicher Bruder Louis XI. befohlen hatte.

Die Episode zeigt, dass sich Isabel trotz aller Schwüre nicht sicher sein konnte, dass sie einmal von Enrique den Thron vermacht bekommen würde. In dieser Zeit dürfte sie ihren Trost in der Geburt ihrer ersten Tochter, der kleinen Isabel (*1470), gefunden haben. Die Zeit arbeitete für sie, die Stände hatten ihren Anspruch auf die Thronfolge nie widerrufen, und Enrique würde nicht ewig leben. Was die moralische Isabel wirklich störte, war der kirchenrechtliche Makel auf ihrer Ehe mit Fernando. Da blieb sie dran und hatte Erfolg: Der neue Papst Sixtus IV. ließ sich zur offiziellen Segnung der Ehe bewegen. Er schickte zu diesem Zweck den katalanischen Kardinal Rodrigo Borja nach Kastilien. Dieser Kardinal sollte später einmal selbst Papst werden, um ihn geht es im nächsten Kapitel. Der wegen seiner Lasterhaftigkeit berüchtigte Borja war ein scharfsinniger, redegewandter Diplomat, der in Kastilien unermüdlich und mit gebotenem Feingefühl zwischen den zerstrittenen Parteien zu vermitteln suchte. Die Schlichtung gelang nicht sofort, immerhin konnte ein Bürgerkrieg verhindert werden.

Das Schicksal entschied die kastilische Thronfolge im Jahre 1474 mit dem Tod des Königs Enrique. Bei einem Festessen befielen ihn heftige Schmerzen in der Seite, vermutlich ein Leberleiden. Die Ärzte verordneten Enrique Bettruhe.

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Berater flüsterten ihm ein, seine Erkrankung sei auf einen Giftanschlag aus Isabels Umgebung zurückzuführen und überzeugten ihn, gegen sie loszuschlagen. Eine Schar Bewaffneter sollte eine Anzahl ihrer Leute ermorden, und Isabel selbst nebst Fernando gefangennehmen. Enrique nahm von dem Plan wieder Abstand, weil ihn der Kardinal Mendoza überreden konnte, dieses Tun würde nur Böses und Unheilvolles nach sich ziehen. Dem König ging es nach einiger Zeit wieder etwas besser, doch er kränkelte noch monatelang vor sich hin, bis er am 11. Dezember schließlich im Alter von 51 Jahren starb. Bis zuletzt hatten ihn hohe Würdenträger bekniet, er möge erklären, ob die Beltraneja seine Tochter sei, wie es um die Thronfolge stehe. Er verweigerte jede Antwort, schlug erbittert mit den Armen um sich, als wolle er die lästigen Fragen wie Fliegen vertreiben, bis er die Sprache verlor.

Isabel handelte rasch, als sie vom Tod Enriques erfuhr, sie musste beim Griff nach der Krone den Anhängern ihrer Nichte Beltraneja zuvorkommen. Unter anderem bat sie ihren Beichtvater Tomas de Torquemada um Rat und Beistand. Dieser Mann kommt in EU4 als möglicher Berater vor. Seine Meinung war eindeutig: Isabel sollte sich trotz des Risikos eines Bürgerkriegs unverzüglich zur Königin krönen lassen und vollendete Tatsachen schaffen. Der Schritt gelang, die Stände machten mit, selbst der mutmaßliche Vater der Beltraneja erschien, um Isabel zu huldigen. Er widersetzte sich damit offen dem Thronanspruch seiner eigenen Tochter.

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Die Sache war damit aber nicht ausgestanden. Die Anhänger Betranejas traten an den portugiesischen König Alfonso V. heran und boten sie ihm zur Frau an. Alfonso war sowieso sauer auf Isabel, weil die seinerzeit zweimal seine Heiratsanträge abgelehnt hatte. Jetzt hatte er eine neue Chance, Portugal einen dynastischen Zugriff auf Kastilien zu schaffen. Beltraneja heiraten und ihr mit portugiesischer Waffengewalt den kastilischen Thron erobern, das war der Plan. In früheren Zeiten war Portugal das durch Kastilien bedrängte Land gewesen, aber die Machtverhältnisse hatten sich inzwischen umgekehrt. Kastilien war abgewirtschaftet, Portugal dagegen reich geworden durch den afrikanischen Sklaven- und Goldhandel. Ende Mai 1475 fiel Alfonso mit 20.000 Mann in Kastilien ein.

Ein gelungener Handstreich des portugiesischen Königs, und die europäische Geschichte hätte einen anderen Verlauf genommen. Aber trotz seiner Übermacht zögerte Alfonso den Generalangriff hinaus, das rettete Isabel und Fernando, denn sie gewannen wertvolle Zeit zum Anwerben von Söldnern und anderweitiger Unterstützung. Die schwangere Isabel ritt unter diesem Druck so viel im Land umher, dass sie eine Fehlgeburt erlitt. Einerseits lohnte es sich der Verlust, andererseits nicht: Innerhalb von zwei Monaten stampfte sie ein Heer von 40.000 Mann aus dem Boden. Eine tolle Anzahl, es waren nur leider zusammengewürfelte, disziplinlose Haufen. Das exzessive Anwerben von Söldnern hatte ihre Armee-Professionalität gen Null sinken lassen. Da kam es Alfonso zupass, die Entscheidung einfach weiter zu verzögern. Ohne Sold und Proviant fiel das kastilische Söldnerheer schnell auseinander, Isabel musste von vorne beginnen.

Der zweite Versuch sollte besser klappen. Was sie brauchte, war kein Massenheer aus Söldnern, sondern eine straff geführte, disziplinierte, kämpferische Truppe, deren Nachschub gesichert war. Sie beschwor im August 1475 die einberufenen Stände, ihr Kredit zu gewähren. Kardinal Mendoza und der höhere Klerus stellten die Hälfte des Kirchenschatzes zur Verfügung, das entsprach den zweifachen Jahreseinnahmen der kastilischen Krone. Es lohnte sich für Isabel, einen Klerus sowohl mit hohem Einfluss- als auch Loyalitätswert zu haben. Die Inflation wurde dadurch zwar mächtig in die Höhe getrieben, aber das wollte Isabel ausmerzen, indem sie versprach, den Kredit innerhalb von drei Jahren zu tilgen (was ihr auch gelang). Im Dezember 1475 hatte sie ein neues Heer, jetzt mit 15.000 Mann, aber besser als das erste Heer. Damit konnte ihr Gatte Fernando seine strategische Begabung zeigen, er stellte Alfonsos Heer am 1. März 1476 zur Schlacht und besiegte es. Geschlagen mussten die Portugiesen den Rückzug in ihr Land antreten, und König Alfonso verlor augenblicklich das Interesse an einer Ehe mit der Beltraneja. Die junge Frau wurde noch einige Male auf dem Schachbrett der Heiratsdiplomatie hin und her geschoben (so sollte sie Isabels einjährigen Sohn Juan heiraten, damit in Kastilien Frieden einkehren kann). Im Jahre 1479 war Beltraneja der Ehezwänge derart müde, dass sie den Schleier nahm und in ein Kloster ging.

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Juan, das war der kleine Sohn, den Isabel und Fernando im Jahre 1478 bekamen. Es war die Zeit, in der Isabel ihren Thronanspruch endgültig konsolidierte. Verkürzt gesagt, verband sie sich mit den mächtigen Ritterorden, kam dadurch an Geld und sammelte damit die Unterstützung der kastilischen Städte ein. Den Kardinal Mendoza, der sie in der kritischen Zeit so sehr unterstützt hatte, ernannte sie zu ihrem Kanzler. Nach Abwehr der äußeren Gefahr war die Wiederherstellung der inneren Sicherheit die erste Aufgabe. Die Jahre unter dem schwachen König Enrique hatten aus Kastilien ein Land gemacht, in dem verbindliches Recht wenig zählte, das galt es zu korrigieren. Isabel sammelte also bevorzugt administrative Machtpunkte. Die wachsende Sicherheit für die Menschen steigerte ihren Respekt vor der Krone, hatte aber auch seinen Preis: Die Steuerlasten, die ihnen auferlegt wurden, wuchsen. Einen solchen Regler gibt es in EU4 merkwürdigerweise gar nicht.

Im Januar 1479 starb der greise König Juan von Aragon, der sich bis ins hohe Alter mit den aufsässigen Katalanen herumschlug und jenseits der Pyrenäen um die Grafschaften Roussillon und Cerdagne kämpfte. Fernando, der nach langem Ritt im Februar in Aragon ankam, übernahm kein leichtes Erbe, aber es war die ersehnte, nun realisierte Vereinigung beider Königreiche.

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Am 6. November 1479 folgte das dritte lebend geborene Kind des Königspaares, es war ein Mädchen, das auf den Namen Juana getauft wurde. Schon früh zeigte sich die Infantin als eigenwillig, leiht reizbar, schwierig, weshalb sie die besondere Zuneigung ihrer Eltern erhielt. Juana sollte später unter ihrem Beinamen „die Wahnsinnige“ in die Geschichte eingehen.

Königin Isabel war eine fleißige und kundige Herrscherin. Im Rechtsbereich unterzeichnete sie zahlreiche Erlasse: Mittellosen Angeklagten sollte ein von den örtlichen Behörden bezahlter Verteidiger zur Seite stehen. Bestechung der Richter fiel unter schwere Strafe. Gefängnisse sollten regelmäßig überprüft werden. Die Rechtsprechung im Land wurde vereinheitlicht. Mit einer Währungsreform drosselte Isabel die fortschreitende Geldentwertung, mehr als hundert Feudalherren wurde das Recht eigener Geldausgabe entzogen, während den wenigen königlichen Prägestätten das Alleinrecht der Münzprägung zufiel. Im Bereich der Wirtschaft förderte sie besonders die Vereinigung der Schafzüchter, die Gewinnung und der Handel mit Wolle war der wichtigste Zweig der kastilischen Wirtschaft.

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Binnen weniger Jahre führte Isabel ihr zuvor politisch wie wirtschaftlich heruntergewirtschaftetes Land zurück auf einen gesunden Kurs. Nichts wäre der Verwirklichung eines wahrhaft Goldenen Jahrhunderts im Weg gewesen, hätten nicht zwei Vorgänge die spanische Geschichte in eine andere Bahn gedrängt: Die Inquisition und die Reconquista, beide Begriffe sind untrennbar mit dem Namen Isabels verbunden.

Die Inquisition, von deren Notwendigkeit Isabel überzeugt war, begann mit Argwohn gegen ehemalige Juden in Kastilien. Unzählige von ihnen waren in der Vergangenheit zum Katholizismus konvertiert, um ihren gesellschaftlichen Aufstieg nicht zu gefährden, zwischen ihnen und den Christen hatte es immer wieder Spannungen und Unruhen gegeben. Wer wusste schon zu sagen, wie viele Scheintaufen es da gegeben hatte? Die Inquisition machte es sich zur Aufgabe, die Ernsthaftigkeit der Konvertierungen unter die Lupe zu nehmen. Das entsprach zum einen dem Willen der christlichen Bürger, hatte für Isabel – neben dem Streben nach religiöser Reinheit - aber auch den Vorteil, dass das Vermögen verurteilter „Conversos“ an die Krone fiel (womit wiederum die Reconquista mitfinanziert wurde). Dementsprechend konzentrierte sich die Inquisition zunächst auf wohlhabende Verdächtige: Kaufleute, Handwerker, Geldverleiher, Ärzte. Ein Denunziant für eine Anklage fand sich stets. Den päpstlichen Segen für die Inquisition erhielt Isabel von Sixtus IV. im Jahre 1478, das war wichtig für die stramm katholische Königin. Kardinal/Kanzler Mendoza war von dem Kurs wenig begeistert. Er überredete sie, es fürs erste bei der Erstellung eines Katechismus zur Belehrung der Neugetauften zu belassen, mit dem die Conversos im Glauben unterwiesen werden sollten. Der Gegenspieler Mendozas war der erwähnte Torquemada, der zum ersten Großinquisitor des Königreichs aufstieg. Der glühende Asket und Überzeugungstäter war selbst aus jüdischer Familie.

Er sorgte über Jahre hinweg für steigende Fallzahlen von aufgedeckten Scheinbekehrungen, berichtete Isabel hiervon sowie von dem brodelnden Volkszorn gegen die Juden, von dem Verlangen fanatischer Mönche nach Reinheit des Glaubens. Im Jahre 1480 entschieden sich Isabel und Fernando für den Kurs, den Torquemada anstrebte: Sie öffneten der Inquisition für ihre Arbeit, das Land von der Ketzerei zu reinigen, die Tore. Es bedurfte allmählich des Mutes, die Inquisition zu kritisieren (das taten Mendoza und einige andere des Adels).

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Unter der Leitung von Torquemada wurde die Inquisition zu einem selbständigen Machtapparat, ein Staat im Staate Kastilien und Aragon. Aus heutiger Sicht ist es zweifelhaft, dass die beiden Könige dieses Räderwerk überhaupt noch hätten stoppen können, wenn sie es denn gewollt hätten. Aber Isabel und Fernando standen hinter der Inquisition und förderten sie. In ihrer kalten Brutalität und Effizienz ähnelt die Inquisition den totalitären Apparaten des 20. Jahrhunderts, die statt religiöser Reinheit eine soziale, politische bzw. rassische Reinheit erzwangen, um das irdische Paradies zu schaffen: Denunziation, Schauprozesse, Enteignung, Exekution. Wie erwähnt profitierte die Krone finanziell von der Inquisition, das galt aber nur kurzfristig. Die Enteignungen brachten einmalige Einnahmen, das Auslöschen der jüdischen Volksgruppe hatte auf längere Sicht aber schwere Folgen für den Staatshaushalt. Das bemerkte Isabel recht bald, aber sie nahm es in Kauf. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Isabel auf der einen Seite so viel tat, um durch Gesetze in ihrem Land Rechtssicherheit zu schaffen – und auf der anderen Seite mit der Inquisition ein Werkzeug schuf, dass eine entfesselte Rechtsprechung außerhalb der gewöhnlichen Justiz ausübte.

Bei den Conversos machte die Inquisition bald nicht mehr halt. Auch hier der moderne Vergleich: Erst erwischt es die eine und die andere Minderheit, schließlich sind alle im Visier. Die Inquisitoren machten sich auf die Suche nach jeglichen Abweichlern vom reinen Glauben, auf die Jagd nach Ketzern. Ein Klima der Angst vor den allgegenwärtigen Denunzianten machte sich breit. Mancher Unschuldige geriet in die Fänge dieser Justiz, hatte keine Rechte als Angeklagter, er und seine Familie waren mindestens dem Ruin preisgegeben. Berüchtigt ist die Wahrheitsfindung bei der Befragung, die Folter der Beschuldigten. Die Kerker der Inquisition waren zu dieser Zeit erträglicher als die der weltlichen Gerichte, ihre Folter aber war gefürchtet, denn sie war ausgeklügelt und professionell. Die Verfahren führten nicht zwingend zur Hinrichtung, es gab durchaus Freisprüche oder anderweitige Strafen wie Auspeitschen, Galeerenstrafen oder Kerkerhaft, der manchmal in Haus- bzw. Klosterarrest umgewandelt wurde. In Spanien wurden bis 1490 rund 2.000 Menschen verbrannt, 15.000 sogenannte „Versöhnte“ verfielen anderen Strafen. Wenn man alleine die totalen Zahlen betrachtet, sollte das Ärgste erst im 17. Jahrhundert folgen, und zwar im Heiligen Römischen Reich. Die spanische Inquisition aber war der Vorreiter, die institutionelle Grundlage der späteren Verfolgungen.

Das zweite Steckenpferd von Isabel war der Wunsch, Spanien endgültig von den Mauren zu befreien. Das war ihr schon früh so wichtig, dass die den Punkt ausdrücklich in ihren Ehevertrag mit Fernando aufnehmen ließ. Die nach politischer und religiöser Einheit strebende Königin muss die letzte Bastion der fremdgläubigen Mauren, das Emirat Granada, als Stachel im Fleisch empfunden haben. Doch wie schwach war Kastilien noch 1478, als man tatenlos hinnehmen musste, wie der tributpflichtige Emir Abu-l-Hassan selbstbewusst den fälligen Tribut verweigerte.

Nahezu 770 Jahre waren seit der Invasion des Berberführers Tarik und seiner raschen Ausbreitung der moslemischen Herrschaft vergangen. In einem sagenumwobenen Blitzfeldzug hatten die Eindringlinge ihre Macht über die iberische Halbinsel ausgedehnt, bis auf einen Flecken namens Asturien. Der Großvater von Karl dem Großen aus dem ersten Kapitel hatte den Vormarsch der Mauren im Frankenreich gestoppt. In den Jahrhunderten danach gab es lange Zeiten des friedlichen Zusammenlebens. Die nomadischen Eroberer heirateten sich in die heimische Bevölkerung ein, kultivierten den Boden, brachten Kunst, Sitte und Wissenschaft mit. Dazwischen gab es barbarische Herrscher und Bruderkriege maurischer Fürsten. Solche Zeiten nutzten die von Norden nach Süden drängenden christlichen Reconquistadoren (auch ich in meinen CK2-Partien). Schon Mitte des 13. Jahrhunderts herrschten die christlichen Könige wieder über Valencia, Murcia, das südwestliche Andalusien bis hinunter zur Küste.

Einzig das maurische Emirat Granada, ungefähr so groß wie die Schweiz, bewahrte seine politische Eigenständigkeit gegen Zahlung von Tribut. Das Fürstentum war reich, gemessen am kargen Binnenland Kastilien, reich an Bodenschätzen und fruchtbarem Land, reich durch produktive Gewerbe wie Textilherstellung und Metallbearbeitung, reich durch lebendige Handelshäfen wie Malaga und Almeria. Doch zur Zeit des alternden Emirs Abu-l-Hassan litten ungefähr drei Millionen Einwohner unter überhöhten Steuern. Eine Folge politischer, ökonomischer und sozialer Rückständigkeit, die die wachsenden Rivalitäten innerhalb der Nasriden-Dynastie noch verschärfte. Der alte Emir hasste die Christen, liebte aber die Tochter eines christlichen Stadtkommandanten, die als Kind gefangen genommen und am Hof moslemisch erzogen worden war. Wegen ihrer Schönheit nannte man sie Zoraya, Stern des Morgens. Die verstoßene Lieblingsfrau Aysha rächte sich mit Intrigen und unternahm alles, um ihren Sohn Boabdil an die Macht zu bringen. Gegen den weichen, unentschlossenen Boabdil mit dem Beinamen El Chico (der Kleine), aber auch gegen den Emir konspirierte Hassans Bruder El Zagal (der Tapfere), der seinerseits die Herrschaft beanspruchte. Alles bereit also für einen netten Familienzwist.

Die Gelegenheit für Kastilien, mit Granada aufzuräumen, war ab 1481 günstig, es begann mit Grenzscharmützeln, die sich zu lokalen Gegenangriffen und Massakern auswuchsen. Bei einem Vorstoß der Spanier eroberte ein Heer Alhama – und geriet dabei in eine Falle, ihr war der Rückweg abgeschnitten. Die Invasoren wurden in der eroberten Stadt belagert, Hilfe musste her. In dieser Situation ereignete sich in Granada der familiäre Putsch: Abu-l-Hassan wurde auf Betreiben von Aysha abgesetzt und ihr Sohn Boabdil zum Herrscher ernannt. Klasse, befand Isabel, sie ritt umgehend selbst nach Süden, um mit Macht gegen Granada zu marschieren. Nebenher bekam sie ihre Tochter Maria (*1482). So resolut sie persönlich auch war, die Königin unterschätzte die militärische Wehrhaftigkeit Granadas. Nichts gelang so richtig. Alhama hielt der Belagerung zwar stand, eine Entscheidung ließ trotz herber Verluste jedoch auf sich warten. Erst im Jahre 1484 gelang ein gewisser Fortschritt, Boabdil verlor eine Schlacht und ließ sich von den Spaniern gefangen nehmen. Das Lösegeld, das Aysha für ihn zahlte, kam Isabel und Fernando gerade recht. Außerdem verpflichtete sich Boabdil, seine christlichen Gefangenen freizulassen und als Vasall Kastiliens in Granada zu residieren. Granada aber war bereits gespalten zwischen den seinen Anhängern und denen, die seinem Vater Abu-l-Hassan die Treue hielten.

Zwischen Isabel und Fernando gab es Diskussionen über den nächsten Schritt. Fernando wollte nach dem Tod Louis XI. die Grafschaft Roussillon von Frankreich und für Aragon zurückerobern, Isabel bestand auf eine Fortsetzung des Krieges gegen Granada. Während Fernando noch bei den Ständen um Unterstützung für sein Vorhaben warb, machte Isabel unverdrossen und energisch ihr eigenes Ding. Schließlich musste sich Fernando den Realitäten beugen und zu Isabel nach Süden zurückkehren. Sie hatte sich durchgesetzt. Der Preis dafür war hoch: Der Feldzug geriet derart teuer, dass sie wieder einmal allen Besitz verpfänden musste und sogar Kredite bei den Juden nachfragte. Während dieser Zeit brachte Isabel 1485 ihr fünftes und letztes Kind Catalina zur Welt.

Lange Zeit musste Malaga zu Land und von der Seeseite aus belagert werden, bis sich die wichtige Handelsstadt im Jahre 1487 ergab. Die Verluste auf beiden Seiten waren groß. Zur Abschreckung und weil die Mauren erste Friedensangebote mit der Drohung, sie würden alle gefangenen Christen hängen, brüskiert hatten, übergab Fernando die überlebenden Mauren den inländischen und afrikanischen Sklavenmärkten. Ein noch härteres Exempel, die Hinrichtung der Einwohner, hatten die Befehlshaber gefordert. Die Sklavennahme, oft genug auch von den Mauren geübt, war ein nicht ungewöhnlicher Zugriff des Siegers. Allerdings soll die Königin um Milde gebeten und einem Teil der Gefangenen den Freikauf ermöglicht haben.

Die nächste Etappe war die Belagerung von Baza, ein gut zu verteidigender Ort zwischen den östlichen Bergen des Emirats, die letzte Bastion vor Granada. Auch hier wurde die Belagerung lang und hart, im Winter 1489 war das Wetter so mies, dass Fernandos Heer in pure Verzweiflung abzusinken drohte. Die Chefin selbst musste sich der Sache annehmen, Isabel erschien persönlich im Heerlager. Es muss wie ein Wunder angemutet haben, dass wenige Tage später der maurische Befehlshaber die Kapitulation von Baza anbot. Baza war die Stadt von El Zagal, dem Tapferen. Er stimmte der Übergabe zu, und Baza wurde von den Spaniern friedlich besetzt. Die maurischen Einwohner durften sogar in der Stadt bleiben und Untertanen der kastilischen Krone werden. Das großmütige Verfahren gab wohl den Ausschlag für El Zagal, anschließend auch Almeria und Guadix kampflos zu übergeben. Er selbst erhielt freien Rückzug und setzte sich nach Marokko ab. Glück beschied ihm das nicht: El Zagal wurden später vom marokkanischen Sultan die Augen ausgebrannt und er endete als Bettler.

Inzwischen war auch der alte Emir Abu-l-Hassan gestorben. Nun residierte El Chico Boabdil in der Alhambra. Aysha war am Ziel ihrer Wünsche. Dummerweise konnte sich der schwache Boabdil keiner Ruhe erfreuen. Er hatte nämlich einige Angriffe auf christliche Soldaten zugelassen, ein prima Anlass für Fernando, zum Fangstoß gegen ihn anzusetzen. Nach dem Verlust von Malaga, Baza, Almeria und Guadix war die Schlinge schon eng gelegt um Granada und Boabdil, den letzten Nasriden.

Für Kastilien brach nun das Jahr 1492 an, das annus mirabilis. Vor den Mauern Granadas begann es mit gespannter Ruhe. Wozu ein Blutvergießen riskieren, wenn die Festung von selbst wie eine reife Frucht in die Hände Kastiliens fallen konnte? Es gab allenfalls Scharmützel mit maurischen Spähtrupps. Zum ersten Mal durfte der inzwischen 13jährige Thronfolger Juan seinen Vater Fernando auf einem Erkundungsritt begleiten. Isabel widmete sich den Staatsgeschäften und machte sich Gedanken darüber, wie sie ihre Kinder politisch günstig verheiraten könnte. Die Personalunion Kastilien-Aragon war unter ihrer Herrschaft zu einem gewichtigen Faktor in Westeuropa aufgestiegen. Zum Beispiel machte Englands Henry VII. den Vorschlag, seinen Sohn Arthur mit Catalina zu vermählen. Verhandlungen mit dem Habsburger Kaiser Maximilian drehten sich um eine Doppelhochzeit zwischen Juan und Juana, der Wahnsinnigen, mit Margarete sowie deren Bruder Philipp, dem Schönen. Für ihre älteste Tochter Isabel hatte die Königin bereits eine Partie gefunden, sie wurde nach Portugal verheiratet, der dortige Thronfolger Alfonso nahm sie zur Frau. Endlich also Frieden zwischen Kastilien und Portugal. Aber wenige Monate später schon starb Alfonso in Lissabon – mal wieder ein Reitunfall! Tochter Isabel kehrte als Witwe zurück nach Hause.

Derweil liefen mit Boabdil die Verhandlungen zur Übergabe von Granada. Er musste sich in Acht nehmen vor seinen eigenen Leuten, die Bedingungen mussten günstig sein, sonst hatte er ein Problem. Das erkannten auch Isabel und Fernando, sie gewährten tatsächlich großmütige Zusagen. Das Emirat sollte samt Waffen ausgeliefert werden, dafür erhielten die verbliebenen Mauren das Recht zur freien Wirtschafts- und Religionsausübung sowie eigener Rechtsprechung. Ihre Kultur und ihre Sitten sollten respektiert werden. Boabdil selbst erwartete der ungehinderte Abzug auf ein kleines Lehen südlich von Granada. Der Friedensvertrag kam zum Abschluss. Dann war es soweit: Granada öffnete den Spaniern die Tore, ein großer Tag für Isabel und Fernando. Ganz Granada, ganz Spanien, war für die Christenheit zurückerobert worden.

In einem demütigenden Akt musste Boabdil dem Königspaar entgegenziehen und von seinem Pferd steigen, um die Hand des Christenkönigs zu küssen. Fernando verweigerte ihm dies vor den Augen der Menge, Boabdil erwischte mit seinen Lippen nur den Ärmel des Königs. Dann küsste Boabdil die Schlüssel von Granada, der Stadt seiner Heimat, und übergab sie Fernando, der sie an Isabel weiterreichte. Boabdil durfte mit seinen Leuten davonreiten. Außerhalb der Stadt blieb ihm nur ein letzter Blick zurück auf die Mauern und Türme Granadas und seiner Alhambra. Da brach der Emir vor Kummer in Tränen aus, ermahnt von seiner Mutter Aysha: „Weine nicht wie ein Weib, da du nicht kämpfen mochtest wie ein Mann.“ Der Ort des legendären Rückblicks heißt heute Puerto del Suspiro del Moro, Pass des Seufzers des Mauren.

Auf den Türmen Granadas wurden nun die christlichen Fahnen hochgezogen. Bald erklang aus den Moscheen das christliche Tedeum, ein erster Vertragsbruch. Einige Jahre nur bemühte sich wenigstens Erzbischof Talavera, den Mauren die zugesicherte Religionsfreiheit und die Moscheen zu erhalten. Dann aber nahmen die Zwangsbekehrungen zu, bis schließlich den Mauren, nach mehreren Aufständen (die in EU4 üblichen zwanzig Jahre Meinungsmalus wegen Nationalismus), 1502 nur noch die Wahl zwischen Vertreibung oder Konversion blieb.

Vielleicht hing die Schonfrist mit der vordringlichen Entscheidung zur Vertreibung der Juden zusammen. In Granada, am letzten Märztag 1492, erließen Isabel und Fernando jenes Edikt, das alle Juden zwang, innerhalb von vier Monaten die Taufe anzunehmen oder auszuwandern. Die Auswanderer konnten weder ihren Besitz mitnehmen noch Gold und Silber ausführen. „Sie liefen umher und suchten nach Käufern, ohne einen zu finden. Manche bekamen als Preis für ein Haus nur einen Esel, für ihren Weinberg ein wenig Tuch oder Leinen, da sie Gold und Silber nicht fortschaffen durften.“

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Die Gesamtzahl der Auswanderer mag 200.000 spanische Juden umfasst haben, sie gingen auf abenteuerlichen Wegen nach Portugal, Südfrankreich, Italien, Nordafrika und der Türkei. Rund 50.000 ließen sich taufen und blieben im Land. Diejenigen, die gegangen waren, waren aber die Tüchtigen und Gelehrten unter ihnen, nüchtern betrachtet ein arger Verlust für Spanien. Anfang August 1492 begann der Auszug der spanischen Juden ins Exil. Es ist geradezu ein Zeichen der Ironie, dass gleichzeitig, am 3. Augst 1492, der genuesische Seefahrer und Kartograph Cristobal Colon (Christoph Kolumbus) mit drei Karavellen den andalusischen Hafen Palos verließ, um im Namen der katholischen Majestäten den Seeweg nach Indien zu entdecken. Denn Colon war selber Nachfahre früherer Exiljuden.

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Colon hatte es unter dubiosen Umständen nach Kastilien verschlagen. Der gebürtige Genuese war einer der Korsaren, deren Kaperschiff 1476 vor der portugiesischen Küste gestrandet war. Als Schiffbrüchiger rettete sich der 25jährige an Land. Er blieb dort, heiratete eine adelige Portugiesin beschäftigte sich unentwegt mit Kosmographie, Kartographie und Seefahrt, las Erdbeschreibungen, Geschichtsbücher, philosophische Werke und kommentierte das Gelesene durch seine Randnotizen. Er war ein lernbegieriger Autodidakt, der aus der Erkenntnis, dass die Erde rund sei, praktischen Nutzen ziehen wollte. Im Jahre 1484 verließ er Portugal aus unbekannten Gründen in verdächtiger Hast und zog nach Kastilien weiter. Er reiste nur mit seinem kleinen Sohn, und ohne seine Frau. Vielleicht war sie krank, denn sie starb ein Jahr später. Colon fand Unterschlupf in einem Kloster, wo er Zugang zur Bibliothek erhielt und seine Studien fortsetzen konnte. Ein ehemaliger Beichtvater der Königin empfahl ihn bei hohen Herren am Hof und benachbarten Herzögen. Bald hatte Colon erste Gelegenheit, dem königlichen Schatzmeister Quintanilla und dem Kanzler Mendoza seine Pläne vorzustellen: Er wollte Indien auf dem Seeweg nach Westen entdecken. Ein Unternehmen wie der Flug zum Mond. Zu dieser Zeit hatten die Portugiesen den Seeweg gen Osten eingeschlagen, hatten die Südspitze Afrikas umrundet und stießen entlang der afrikanischen Ostküste Richtung Äthiopien vor. Bis Indien waren sie noch nicht gekommen. Die Portugiesen hatten zwar auch Expeditionen Richtung Westen unternommen, dabei aber nur die Weiten des Atlantik durchkreuzt, ohne auf Land zu stoßen. Immerhin gab es vom Atlantik also bereits einige Seekarten. Colon wollte diesen Ansatz also konsequent durchziehen.

Um Geldgeber zur Ausrüstung von Schiffen zu gewinnen, hatte er zwei Köder parat. Die Glaubensverbreitung im neuentdeckten Land und die Erwartung unermesslicher Gold- und Silberfunde. Das musste auch dem Kardinal-Kanzler, dem Schatzmeister und schließlich den Majestäten gefallen. Isabel war jedoch zunächst skeptisch: Ein verwegener Plan, vorgetragen von einem Mann mit rätselhafter Vergangenheit. Der war zudem nicht bescheiden, Colon verlangte das Amt des Vizekönigs und Generalgouverneurs aller von ihm entdeckten Inseln und Länder. Zusätzlich forderte er den zehnten Teil von sämtlichen Einnahmen, die aus seinen Entdeckungen nach Spanien flossen. Wäre Isabel nicht neugierig gewesen, hätte sie den Plan des anmaßenden Fremden aus dem niederen Adel kaum einer Kommission zur Prüfung vorgelegt.

Damit begann für Colon eine quälend lange Wartezeit, die am Selbstvertrauen nagte, seine Umgebung verspottete ihn bereits als Spinner. Es dauerte bis April 1492, dass er die Chance bekam, vor ihre Majestäten treten zu dürfen. Fernando war misstrauisch und lehnte die Expedition ab, aber Isabel erkannte, dass sich für eine überschaubare Investition ein großer ökonomischer Vorteil gewinnen ließ. Sie setzte sich gegen ihren Mann durch und gewährte Colon die Finanzierung, akzeptierte seine Forderungen. Also gefällt es Ihren Majestäten! Am 2. August 1492 konnte Colon mit seinen drei Karavellen aufbrechen.

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Am 70. Tag nach der Ausfahrt, unterbrochen durch das Anlaufen der Kanarischen Inseln zur Ausbesserung und Proviantnahme, sichtete ein Matrose Land. Colon glaubte, die Westindischen Inseln erreicht zu haben. Sein Irrtum machte die Einheimischen der neuentdeckten Welt zu Indios und Indianern. Der von den Einwohnern Guanahani genannten ersten Insel, die Colon mit seinen Begleitern am Morgen des 12. Oktober 1492 betrat, gab er den Namen San Salvador.

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Hier wie auf den anderen Inseln und auf dem Festland nahmen die unbekleideten Einheimischen waffenlos und friedfertig die Entdecker auf, boten Essen und Trinken an und brachten reichlich Geschenke. Ein geringer Aggressionswert eben. Die hellhäutigen fremden Männer in glänzenden Rüstungen, die auf großen Schiffen mit feuerspeienden Rohren zu ihnen kamen, hielten sie für Götter, vom Himmel herabgestiegen. So verlief die Besitzergreifung im Namen des Königs und der Königin ohne Schwierigkeiten.

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Während dieser Ereignisse beschäftigte sich Isabel eher widerstrebend mit den Angelegenheiten Aragons, also ihres Mannes. Die Verteidigung der Interessen aus dem Erbe der Staufer, also Sizilien und Neapel, fand sie lästig. Sie unterstützte Fernando beim Zustandekommen des im Januar 1493 abgeschlossenen Vertrages mit Charles VIII. von Frankreich, der Aragon die umstrittene Grafschaft Roussillon zurückbrachte. Kurz vorher war auf Fernando ein Attentat verübt worden, beim ein Mann ihn mit einem Messer an Schulter und Hals verletzte. Mehrere Wochen war der Zustand des Königs kritisch, bis er sich wieder erholte. Zwei Jahre danach wird Isabel ihrem Mann ihren tüchtigsten Feldherrn Gonzalo de Cordoba, samt dreitausend guter Soldaten, überlassen, damit Süditalien und Neapel von der französischen Okkupation befreit werde. Doch im selben Frühjahr 1495, als Kardinal Mendoza mit 66 Jahren starb, lehnte Isabel eine andere Forderung des Königs ab. Fernando beanspruchte die Nachfolge Mendozas als Erzbischof von Toledo und Primas der spanischen Kirche für einen seiner Bastardsöhne. Es widerstrebte der frommen Königin, ein so wichtiges Amt einem solchen Leichtgewicht zu übertragen, sie entschied sich für ihren bescheidenen Beichtvater Cisneros. Von Anfang an gehörte Cisneros zu den wenigen nicht korrumpierbaren Würdenträgern seiner Zeit. Sein Eifer gehörte der Bekämpfung derjenigen, die nicht taufwillig waren und unter dem Druck der Verfolgung rebellierten.

Isabels Wahl für die Besetzung des Erzbistums Toledo fand die wohlwollende Zustimmung des berüchtigten Papstes Alexander VI., der selbst ein Spanier war. Die Königin konnte gute Beziehungen zum Heiligen Stuhl gut gebrauchen, denn nach der Entdeckung Westindiens drohte ein Konflikt mit Portugal wegen der Herrschaftsansprüche über diese und künftige Entdeckungen. In drei Bullen bestätigte der Papst die territoriale Inbesitznahme, teilte er selbstherrlich die Neue Welt, indem er eine Demarkationslinie von Pol zu Pol zog, etwa hundert Meilen westlich der Azoren, wobei der westliche Teil Spanien, der östliche Portugal zufallen sollte. Im Juni 1494 unterzeichneten beide Länder in Tordesillas die päpstliche Erdteilung. Nur verschob man die Grenzlinie nach Westen, so dass das heutige Brasilien portugiesisch wurde.

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EU4 bildet den Vertrag von Tordesillas ab, indem der Papst stets dem Land, das als erstes eine bestimmte Anzahl von Provinzen innerhalb eines Kolonialgebietes besiedelt, den Zuschlag für alle noch freien Provinzen dieses Gebietes erteilt. Man weiß in dem Spiel ja nicht mit Bestimmtheit, ob es Spanien und Portugal sind, die mit dem Kolonisieren loslegen.

Zur gleichen Zeit befand sich Colon auf seiner zweiten Entdeckungsfahrt, jetzt schon mit siebzehn Schiffen. Insgesamt unternahm er vier Expeditionen, aber keine brachte ihm solchen Ruhm wie die erste von 1492. Der Sohn eines Wollwebers aus Genua genoss die Ehren, als er nach gut sieben Monaten zurückkehrte.

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Er berichtete in Spanien von Unmengen Gold und der Bekehrung vieler Völker. Die Majestäten waren beeindruckt. Colon präsentierte mitgebrachte Schätze: lebendige bunte Papageien, exotische Pflanzen, Schmuck der Indios aus purem Gold, dazu Goldklumpen, und – am meisten bestaunt – sechs leibhaftige Indios, die halbnackt, lediglich mit einem Schurz bedeckt und bunten Federn im blauschwarzen Haar, den gaffenden Versammelten zur Schau gestellt wurden. Colons Ruhm war enorm, ließ nach der zweiten und dritten Expedition aber bereits nach. Ein allmählich sichtbar werdendes Versagen löste Misstrauen aus, das zu Colons jähen Absturz führte. Bereits im November 1500 wurde er von seiner dritten Expedition in Ketten zurückgebracht. Was war geschehen?

In Cristobal Colon und Jimenez de Cisneros begegneten Isabel die stärksten, einflussreichsten Persönlichkeiten ihres Lebens. Doch während der eine, Cisneros, noch im widerstrebend befolgten Aufstieg zu höchsten Ämtern persönliche Lauterkeit bewahrte, ließ sich Colon von der ihm zugefallenen Macht korrumpieren. So groß, wie er in der Kühnheit seines Traums und seiner waghalsigen Entdeckungsfahrt über den Ozean war, so klein und jämmerlich schwach wurde er, als er sein Ziel erreicht hatte. Es begann schon nach der ersten Fahrt, als er dem Matrosen, der zuerst Land gesehen hatte, die versprochene königliche Prämie nicht gönnte und sie selbst beansprucht, sich schamlos die erste Sicht selbst zuschrieb. Wo immer ihm der eigene Vorteil, Prestige und Gold, greifbar war, zeigte er sich unaufrichtig. Das wurde ihm in Spanien zum Verhängnis. In seinem Drang nach Gold und persönlicher Bereicherung beutete er die Indios erbarmungslos aus, jagte sie mit Bluthunden. Er führte in der Neuen Welt die Sklaverei ein, verschleppte die Bevölkerung und verkaufte sie auf den Sklavenmärkten. Das geschah gegen den Willen der Katholischen Könige, die solche Sklaven wieder freikaufen ließen. Isabel befahl Colon vor seiner letzten Abfahrt ausdrücklich, er dürfe keine Sklaven mitbringen.

Zwar hätte die Königin zweifellos den Erlös aus solchen Geschäften gut für ihre Staatskasse gebrauchen können, es entsprach aber nicht ihrem Willen, den Einwohnern der Indischen Länder die volle Freiheit der Bewegung zu erhalten. Sie wollte vielmehr, dass sie gut und gerecht behandelt werden, zugefügte Schäden seien zu ersetzen. Als Colon als Administrator völlig versagte und seine Unfähigkeit durch eine von Tag zu Tag unerträglichere Schreckensherrschaft zu überdecken versuchte, sandten die Katholischen Könige einen Gouverneur ihres Vertrauens, der Colon ablösen sollte. Der mit königlichen Vollmachten ausgestattete Bobadilla ließ den widerständigen Colon in Fesseln legen und nach Spanien zurückbringen.

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In Granada stand der weißhaarige 49jährige Colon vor Isabel und Fernando, rechtfertigte sich, sprach von seiner Treue, und sein Auftritt, seine Redegewandtheit rührten die Könige, so dass er sich noch einmal ihrer Gunst erfreute. Nach einiger Zeit erlaubten sie Colon eine weitere, letzte Entdeckungsreise. Vor Jamaika erlitt er Schiffbruch und kehrte im November 1504 zurück, krank und in seiner Vitalität gebrochen. Im selben Monat starb die Königin, und Colon schrieb vergebens Brief um Brief, um von König Fernando die ihm zugestandenen Rechte und Titel ungeteilt zu erhalten. Der vertröstete, kranke Colon siechte dahin, von der Gicht ans Bett gefesselt. Im Jahre 1506 starb er, zwei Jahre nach seiner Gönnerin Isabel, verbittert und von allen Freunden verlassen.

Nach der Geschichte um Christoph Kolumbus geht es jetzt noch einmal um die Kinder von Isabel und Fernando, hier wurden die Weichen für die Zukunft gestellt. Ich zähle sie noch einmal auf: Isabel (1470), Juan (1478), Juana die Wahnsinnige (1479), Maria (1482) und Katharina von Aragon (1485). Die begabteste, intelligenteste der Töchter war Juana. Doch zugleich war sie am meisten gefährdet, schon als Kind. Ihre wache, sensibilisierte Auffassungsgabe erleichterte das Lernen. Ihre Sprachbegabung und ihr musikalisches Talent machten sie zu einem Paradekind, das die Eltern gern vorzeigten. Aber sie zeigte sich scheu, introvertiert, wehrte sich instinktiv gegen jedes Zurschaustellen durch heftige Ausbrüche, oder sie lief einfach davon, verkroch sich. Ihre Geschwister scheinen sie eher gemieden zu haben, und sie selber suchte kaum Kontakt, vielleicht zu dem ein Jahr älteren Bruder Juan. Die Infantin Maria, die einmal die Krone Portugals tragen wird, und die ganz junge Katharina, die ihrem versprochenen Prinzen Arthur nach dessen frühem Tod Englands berüchtigtem Henry VIII. angetraut wird, standen dem gesunden, vernünftigen Realismus ihrer Mutter näher. Und die ältere hübsche, doch blässliche und wohl lungenkranke Schwester Isabel, die als erste Frau das Elternhaus verlassen hatte und als 21jährige Witwe aus Portugal zurückgekehrt war, verkümmerte in Grübeleien.

Juana scheint in ihrem ganzen Leben nur zwei Menschen geliebt zu haben, ihren Vater Fernando (was ihr schlecht vergolten wurde) und in fast zehn schrecklichen, liebestoll bis zum Wahn getriebenen Ehejahren den habsburgischen Philipp den Schönen. Keine der Mutter zugeneigte Gemütsregung Juanas ist bezeugt, während Isabel ihrem Sorgenkind mehrmals opferwillig beistand und so jedenfalls eine innigere Zuwendung erkennen ließ. Ohne Zweifel galt die größere Sorge der Königin dem Thronerben Juan. Auch er wuchs nicht unproblematisch heran, seine schwache Gesundheit machte Juan zum ängstlich gehüteten Kind, das Diätnahrung erhielt wie ein Kranker. So wird Isabel besondere Genugtuung empfunden haben, als die Heiratsverhandlungen mit den Habsburgern neben der neunjährigen Juana schließlich auch den Sohn einbezogen und eine Doppelverbindung mit dem Erben und der Tochter des zukünftigen Kaisers Maximilian I. und der Maria von Burgund zustande kam.

Nach der Unterzeichnung der Eheverträge wurden die Paare durch die übliche Ferntrauung verbunden, Juan und Margarete im November 1495 in Flandern, Philipp der Schöne und Juana Anfang 1496 in Kastilien. Erst später lernten die Ehepartner sich jeweils kennen. Zwischen Juan und Margarete lief es gut, ihre persönliche Beziehung war harmonisch, jedoch nicht von Dauer. Zwischen Juana und Philipp wurde es komplizierter. Die nächste Hochzeit war diejenige zwischen der verwitweten Königintochter Isabel mit König Manuel von Portugal.

Auf diese Feiern folgte der erste Todesfall unter den fünf Kindern der Königin: Am 4. Oktober 1497 erlag der zarte Thronfolger Juan mit 19 Jahren einer fiebrigen Krankheit. Was für ein schwerer Schlag, denn Juan war die Hoffnung der vereinigten Königreiche Kastilien und Aragon gewesen. Drei Monate nach seiner Bestattung gebar dessen junge Witwe Margarete ein totes Kind. Über die männliche Linie würde es also keinen Erben geben. Die Thronfolge ging mangels weiterer Söhne nun über auf die älteste Tochter, das war Isabel., jetzt Königin von Portugal. Doch im Herbst desselben Jahres 1498 starb sie bei der Geburt ihres Sohnes Miguel. Noch in Windeln wurde dem Infanten die Erbnachfolge als König von Portugal und Spanien aufgebürdet. Die Stände in Toledo und Zaragoza schworen ihm den Eid. Doch nach 22 Monaten starb das hilflose Kind. Durch diesen dreifachen Tod kam Isabels Tochter Juana in den Besitz der spanischen Thronfolgerechte.

Wer jetzt meint, dass Juana nun eine glückliche Zeit gehabt haben müsste, liegt daneben. Die spanische Prinzessin mit ihrem Gefolge passte so gar nicht in die Umgebung des flandrischen Hofes, sie blieben dort krasse Außenseiter. Das galt besonders für Juana persönlich: Sie war fast asketisch aufgewachsen, Königin Isabel legte bei der Erziehung Wert auf Moral und Sparsamkeit. Das war das Gegenteil des prunkvollen und lebenslustigen Hofes von Burgund und Flandern. Juanas arroganter Ehemann Philipp, den sie so sehr vergötterte, hielt es wie die anderen Niederländern eher mit Frankreich als mit Spanien, und das ließ man Juana spüren. Sticheleien und Demütigungen überschritten bald das dem spanischen Stolz zumutbare Maß. Die im Ehevertrag festgesetzte Geldzuwendung für Juanas Hofhaltung blieb über mehrere Monate aus. Am reichen flämischen Hof geriet die Erzherzogin von Burgund und spanische Thronfolgerin in ärgste Geldnot, unfähig, den Unterhalt ihres Personals aufzubringen. Und wenn dann mal Geld floss, verschwand es in den Taschen flämischer Höflinge, die man nach und nach in Juanas Umgebung installiert hatte.

Zudem litt Juana extrem wegen der frivolen Schürzenjägerei ihres Mannes Philipp. Für Fürsten wie ihren Gatten war es ein Kavaliersdelikt, sich Geliebte zuzulegen, das hatte eine Ehefrau zu ertragen. Nicht umsonst hatte Philipp den Beinamen „der Schöne“. Doch Juana war in dieser Frage reichlich eifersüchtig, sie hatte zu der Promiskuität ihre eigene Meinung. Vermerkt ist übrigens eines jener Hoffeste, nämlich das Sankt-Matthias-Fest vom 24. Februar 1500, an dem sie als Hochschwangere teilnahm. Sie verspürte dort ein plötzliches Unwohlsein, flüchtete sich in die nächstgelegene Toilette, und dort gebar sie gegen Mitternacht ihren Sohn Carlos, den späteren Kaiser Karl V.

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Ich mache einen Sprung von drei Jahren in den Frühling 1503. In Toledo erwarteten die Katholischen Könige ihren Schwiegersohn Philipp und ihre Tochter Juana, die kürzlich (am 10. März) ihren zweiten Sohn, Ferdinand, geboren hatte. Der würde später übrigens nach Karl V. deutscher Kaiser werden. Juana wollte ihren geliebten Mann ihrer Familie nahebringen, wollte Philipp für Spanien gewinnen. Der wenig feinfühlige Philipp verhehlte nicht seine Vorliebe für französische Lebensart und Eleganz. Er zeigte es prahlerisch in seiner und seiner Gefolgsleute Kleidung, gegen die die Wollstoffe der Spanier, inklusive der Gewänder der Katholischen Majestäten, ärmlich aussahen. Auch politisch war Philipp den Franzosen zugeneigt, er hatte kürzlich noch den Freundschaftsvertrag mit Louis XII. erneuert, was gar nicht in spanischem Interesse war (eine Kränkung, die Aragons Fernando ihm niemals verzeihen sollte). Große Herzlichkeit dürfte sich zwischen Philipp und seinen Schwiegereltern nicht eingestellt haben. Der Staatsakt, bei dem Juana und Philipp in der Kathedrale Toledos von den Ständen als Thronfolger Spaniens anerkannt wurden, war für den Schönen eine freudlose Pflichtübung. Er sah zu, dass er bald wieder nach Hause kam.

Juana blieb noch einige Zeit in Spanien bei ihren Eltern, brach im Frühjahr 1504 dann auf nach Flandern. Es sollte ein endgültiger Abschied von ihrer Mutter Isabel werden. Im Frühsommer verschlechterte sich der gesundheitliche Zustand der spanischen Königin. Der Körper der 53jährigen war von den Strapazen der ganzen Jahre erschöpft. Isabel litt unter Atemnot, Wasser in den Beinen und Fieberanfällen. Sie ahnte, dass es bald mit ihr zu Ende gehen würde, und erledigte letzte Grüße und Vorkehrungen für ihren Nachlass. Mit Freude schrieb sie an Gonzalo de Cordoba, den sie als Heerführer nach Neapel geschickt hatte. Er hatte dort gute Arbeit geleistet, die Franzosen besiegt und so Louis XII. zur Anerkennung der aragonesischen Erbansprüche auf Neapel gezwungen.

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Ein weiterer Schriftsatz der Königin galt den Bewohnern der Neuen Welt. Isabel bat und befahl nachdrücklich, nicht zu bewilligen oder zu veranlassen, was die Indianer schädigen könnte, sie vielmehr menschlich zu behandeln, bereits verursachten Schaden wiedergutzumachen. Bemerkenswert war der Zeitpunkt, zu dem Isabel diese Zeilen verfasste. Cristobal Colon war am 7. November nach zweieinhalb Jahren von seiner vierten und letzten Entdeckungsfahrt zurückgekehrt und lag gichtkrank in seinem Quartier in Sevilla. Mit der Nachricht von Colons Rückkehr dürfte die Meldung, dass man Indianer erneut versklavt und ausgeplündert hatte, an Isabels Sterbelager gelangt sein.

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Dann schrieb Isabel ihren Töchtern einige aufmunternde Briefe. Maria war Königin in Portugal und führte dort ein ruhiges, ereignisloses Leben. Katharina war in England, seit kurzem war sie nach dem Tod des englischen Thronfolgers Arthur zur Witwe geworden. Am Hof in London hatte die junge Frau die Launen der Tudors zu ertragen, weil sie für neue Heiratsverhandlungen dort festgehalten wurde. Später sollte sie die Ehefrau des englischen Thronfolgers Henry VIII. werden – …. genau, das ist der mit den vielen verstoßenen und geköpften Ehefrauen.

Kummer machte Isabel der Gedanke an die Tochter Juana und an die spanische Thronfolge. Juana war depressiv, nervlich labil und ihrem arroganten Gatten Philipp verfallen. Es war eindeutig, dass dieser Burgunder Habsburger, der sich so gut mit Frankreich verstand, Juana die Führung über Spanien aus der Hand nehmen würde, nachdem Juana die Thronfolge angetreten haben würde. Isabel entschloss sich deshalb, folgende Regelung in ihr Testament aufzunehmen: Falls Juana die Regierung nicht übernehmen wolle oder könne, sollte Fernando die Regentschaft in Kastilien zufallen, stellvertretend bis zur Volljährigkeit von Juanas Sohn Carlos. Das war ihr testamentarischer Entschluss, den sie sechs Wochen vor ihrem Tod formulierte. Am 26. November 1504 tat Isabel von Kastilien ihren letzten Atemzug.


… und was geschah danach?

Den Nachklapp dehne ich an dieser Stelle mal etwas aus, weil er den Übergang zu dem Kapitel über Karl V. bildet.

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EU4 bietet nach dem Todesdatum von Isabel I. ein Zeitfenster von nur wenigen Tagen, in dem man sich entscheiden kann, Spanien mit Königin Juana zu spielen...

Juana die Wahnsinnige war von nun an die Königin von Kastilien, aber wer sollte ihr die tatsächliche Herrschaft aus den Händen nehmen können? Ihr Vater, Fernando von Aragon? Oder ihr Mann, Philipp der Schöne? Zwischen den beiden Männern ging es gleich zur Sache. Fernando machte schnell den ersten Zug, er ließ vor den kastilischen Ständen Isabels Testament verlesen und ließ sich bestätigen, dass Juana leider regierungsunfähig sei. Damit fiel Fernando die Regentschaft für Juana bzw. deren Sohn Carlos zu. Was Juana davon hielt, danach fragte Fernando nicht. Philipp entdeckte jetzt zügig seine Sympathie für das kastilisch-aragonesische Königreich und ließ Juana ebenfalls für regierungsunfähig erklären, mit dem Unterschied, dass Philipp den Schwiegervater Fernando gleich mit zur Seite schieben wollte (wenn es taktisch opportun war, dann galt Juana in Philips Augen zwischenzeitlich doch als regierungsfähig, und er war dann lediglich der treusorgende Ehemann, der seiner Gemahlin gegen ihren Vater zu ihrem Recht verhelfen wollte). Wütend forderte Philipp Fernando auf, die Regentschaft niederzulegen und Kastilien zu verlassen. Er habe als Ehemann der kranken Königin ein vorrangiges Recht zur Regierung gegenüber dem Vater der Königin. Den kastilischen Ständen warf Philipp vor, ungerechte Entschlüsse gefasst zu haben, künftige Entscheidungen seien erst nach der Rückkehr von Juana und ihm zu treffen. Die Drohung in Richtung der Stände flankierte Philipp mit Bestechungsgeldern, die er den Granden anbieten ließ.

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Juana und Philipp

Bei vielen kastilischen Herren fand Philipp durchaus Gehör, denn Fernando unternahm einige ungeschickte Schritte. So verhandelte er über eine zweite Ehe für sich, und zwar ausgerechnet mit der Beltraneja, der einstigen Rivalin Isabels. Das fand man dann doch ziemlich taktlos. Bei der zweiten Kandidatin bewies der von Ehrgeiz zerfressene Fernando auch kein besseres Gespür: Er vermählte sich mit der 23jährigen Germaine de Foix. Die war nicht nur hässlich und körperlich missgestaltet, sondern die Nichte von König Louis XII., des Erzfeindes von Aragon. Die stellvertretend vollzogene Ehe bedingte einen Vertragsabschluss, wonach sich Fernando zur Zahlung von einer Million Golddukaten an Frankreich verpflichtete. Sollte ihm Germaine einen Sohn gebären, würde er Aragon und das umstrittene Königreich Neapel erben, andernfalls fiele Neapel zur Hälfte an Frankreich. Ein leiblicher Erbe würde Juana zumindest Aragon entziehen. Zu diesem hohen Preis erkaufte sich Fernando die Freundschaft zu Frankreich, damit der französische König nicht zu seinem Freund, Philipp dem Schönen, hält. Louis XII. hatte nämlich auch von Philipp ein schönes Angebot vorliegen gehabt: Gemeinsam mit Kaiser Maximilian (Philipps Vater) sollte der französische König mit Heeresmacht in Aragon und Neapel einfallen, und als Gegengabe Mailand erhalten. Dieser von Philipp über Juanas Kopf hinweg verhandelte Plan scheiterte nun durch Fernandos überraschende Allianz mit Louis XII. - und brachte Philipp zugleich den Erfolg. Denn die kastilischen und vor allem aragonesischen Stände waren über Fernandos Vertrag mit Frankreich ziemlich vergrätzt und zwangen Fernando zum Nachgeben: Juana und Philipp sollte die Königsherrschaft, Fernando dagegen die Regentschaft zufallen. Das war im Grunde der Status quo.

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… nach diesem kurzen Zeitfenster wird Philipp der Schöne als Herrscher angeboten.

Mit dem Eintreffen des Königspaares in Kastilien sollte es im Wesentlichen also vorbei sein mit Fernandos schöner Regentschaft. Beinahe hätte er Glück gehabt: Seine Tochter und sein Schwiegersohn wären um ein Haar bei ihrer Überfahrt vor der Bretagne ertrunken. Ein Orkan trieb deren Schiff nach Norden, und es wäre gekentert, wenn ein waghalsiger Matrose nicht dreimal ins Wasser gesprungen wäre, um die Taue herabgestürzter Masten zu kappen. Da hatte sich der jammervolle Philipp bereits in einen schwimmfähig aufgeblasenen Lederballon einnähen lassen, auf dem sich die Aufschrift EL REY DON PHELIPE befand. Juana blieb völlig ruhig und unerschrocken, sie legte ein Prachtgewand an und steckte sich eine große Summe Bargeld ein, damit man sie als Königin erkenne, falls sie über Bord gespült würde. Aber nicht die See, sondern England nahm die Gestrandeten auf, und in England konnte sich das Paar am Hofe Henrys VII. erholen.

Im Frühjahr 1507 kamen Juana und Philipp dann schließlich in Kastilien an. Mit dem offiziellen Regieren wollte Juana aber noch nicht beginnen. Die Sache mit ihrem Vater Fernando musste zunächst geklärt werden. Philipp schüttelte den Kopf: Juana war nach seiner Meinung regierungsunfähig, sie konnte solche Entscheidungen also gar nicht treffen. Wozu also ihren Vater fragen? Fernando nutzte das zu seinen Zwecken und ließ verbreiten, Philipp würde die Königin gegen ihren Willen festhalten und behandele sie schlecht. Aber das verfing nicht bei den Ständen. Die Granden zwangen die beiden Kontrahenten, sich persönlich zu treffen und zu einigen. Am 20. Juni trafen sie sich in der Hochebene des Grenzgebietes zwischen Leon und Galizien. Voll Misstrauen hatte Philipp seine Truppe im Gelände Stellung nehmen lassen, ehe er seinen mit wenigen Begleitern heranreitenden Schwiegervater empfing. Aber Fernando umarmte jovial seinen Schwiegersohn und überspielte bei der Begrüßung der abtrünnigen Granden deren Verlegenheit durch sarkastische Bemerkungen: „Dick geworden seid ihr, Graf“, meinte er zu einem früheren Gefolgsmann, denn der trug unter dem Rock einen Harnisch, während Fernando im schlichten schwarzen Mantel gekommen war.

Am Ende, nach mehreren Tagen Hin und Her, verzichtete Fernando auf Kastilien, sollte jedoch Großmeister der drei reichen Ritterorden bleiben und die Hälfte aller Einkünfte aus der Neuen Welt erhalten. In einem ergänzendem, aus gutem Grund geheimen Abkommen verpflichtete sich jeder der beiden, Juana um jeden Preis die Regierung zu verwehren. Fernando zog sich anschließend nach Aragon zurück, Philipp konnte jetzt endgültig nach der Macht in Kastilien greifen. Unverzüglich rief er die Stände zusammen und wollte sich bestätigen lassen, dass Juana leider nicht fähig zur Regierung sei. Die Kastilier waren aber misstrauisch und verhinderten das Äußerste; sie erlaubten dem arroganten Ausländer Philipp lediglich das Mitregieren. Na gut, dachte sich Philipp, dann würde die königliche Gemahlin eben seine Marionette werden.

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Mit dem bisher Erreichten war Philipp der Schöne offenbar zufrieden, der Rest würde schon noch kommen. Erst einmal lebte er mit seinem flandrischen Gefolge (deren Auftreten und Begünstigung bei den Kastiliern Zorn hervorrief) in den Tag hinein, wie er es gewohnt war. Am 16. September 1506 ritt Philipp zur Jagd aus, spielte anschließend bis zur Überhitzung Pelota (eine Art von Squash) und leerte im kühlen Schatten einen Krug Wasser. Am nächsten Tag fühlte er sich nicht wohl, ritt dennoch zur Jagd aus. Auch ein leichtes Fieber und Appetitlosigkeit nahm Philipp nicht ernst. Als ihn weitere zwei Tage später Schüttelfrost befiehl, ließ er seine beiden Ärzte rufen. Sie konnten ihm nicht helfen: Sein Zustand verschlechterte sich rasch, er spuckte Blut und bekam Pusteln am fiebrigen Körper. Am 25. September 1506 starb Philipp der Schöne im Alter von 28 Jahren. „Uti flos vernus evanuit“, hinweggemäht wie eine Frühlingsblume. Der unerwartete Tod des Habsburger Hoffnungsträgers brachte plötzlich den alten Fernando wieder voll ins Spiel zurück.

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Er hielt sich zu dieser Zeit weit weg in Neapel auf, kam nun aber rasch zurück nach Spanien. Die Königin Juana, die ja extrem in den schönen Philipp vernarrt gewesen war, brach nach dessen Tod nervlich völlig zusammen. Hier rührt die bekannte Geschichte her, von der Juana ihren Beinamen die Wahnsinnige herhat: Sie ließ den Leichnam Philipps nicht bestatten, sondern führte seinen Sarg noch jahrelang mit sich. Die ihrem Kummer verfallene Frau ließ den Sarg bei jeder Gelegenheit öffnen, um den toten Geliebten zu liebkosen, mit dem sie in gespenstischen Nachtfahrten quer durch Spanien irrte. Unter solchen Umständen hatte es ihr Vater Fernando leicht, Juana die Regierung aus den Händen zu nehmen, er bekam jetzt die gewünschte Regentschaft über die Tochter und deren Kinder, die wir teilweise in den späteren Kapiteln wiedersehen werden: Karl V. (1500), Ferdinand I. (1503), Maria von Böhmen/Ungarn (1505) und Katharina von Aragon (1507).

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Fernando hatte jetzt die ganze Macht über Spanien. König von Aragon war er sowieso, über Kastilien herrschte er de facto, auch wenn offiziell Juana die Königin war. Deren Spuktreiben schaute er einige Jahre lang zu, dann ließ er sie 1509 in einer Festung in Tordesillas verschwinden, wo sie unter Arrest gehalten wurde - und das unter wenig erbaulichen Bedingungen, jedenfalls nicht wie es einer Königin gebührt. Immerhin zehn Jahre lang bis zu seinem Tod konnte Fernando als alleiniger Herrscher über Aragon und Kastilien herrschen. Zeit genug, um zu zeigen, dass er nicht das politische Format der Königin Isabel hatte. Er konzentrierte sich auf Nordafrika, um die Berber an ihren Überfällen der spanischen Küste zu hindern. Fernandos Streben, hier Sicherheit zu schaffen, war verständlich. Nur blieben von den durch mühsam erpresste Steuergelder finanzierten Kriegszügen nur ein paar unzusammenhängende marokkanische Küstenstreifen übrig. Die Fortsetzung der Reconquista war das jedenfalls noch nicht. Erfolgreicher waren da Fernandos kriegerische und politische Unternehmungen in Italien. Erst trat er der Liga von Cambrai bei, der gegen Venedig gerichteten Koalition von Papst, Kaiser und Frankreich. Später, als ihm der Bund nichts mehr nützte, wechselte Fernando bedenkenlos ins Gegenlager, der nun gegen Frankreich gerichteten Liga von Papst, Venedig und England. Dass Frankreich gemäß des früheren Vertrags aufgrund der (kinderlosen) Ehe Fernandos mit der hässlichen Gräfin von Foix die Hälfte von Neapel bekommen sollte, war nur noch Schnee von gestern.

Die letzten Jahre von Fernando liefen nicht sonderlich gut. Anfang 1515 war nach dem Tod von Louis XII. der Valois Francois I. auf den französischen Thron gekommen, und der machte Ferdinand Dampf in Italien bzw. Neapel. Außerdem grollte Fernando, dass er seine eigene Nachfolge nicht umgestalten konnte. Er wollte verhindern, dass Carlos/Karl, Juanas Sohn aus ihrer Ehe mit Philipp, seine aragonesische Krone erbt. Aber es stellte sich, wie erwähnt, in Fernandos zweiter Ehe mit Germaine kein Nachwuchs ein, lediglich ein Kind, das gleich nach der Geburt starb. Da halfen auch die starken Liebestränke nicht, die Germaine ihm braute. Ende 1516 starb König Fernando verbittert, mürrisch und ruhelos.

Isabel und Fernando, das Königspaar, war nun tot, ihre gemeinsame Tochter, die Thronerbin Juna, im Arrest kaltgestellt, ihr Gatte Philipp ebenfalls tot. Das war die Stunde für Carlos/Karl, Juanas und Philipps Sohn bzw. Enkel von Isabel und Fernando. Karl war seit einem Jahr mündig, doch körperlich wie geistig etwas zurückgeblieben und abhängig von seinen flandrischen Beratern. Die hatte er im Schlepptau, als er 1517 nach Spanien kam, um hier sein Erbe anzutreten. Die Spanier waren wenig amüsiert, dass die Schaltstellen in ihrem Land hemmungslos von diesen Fremden besetzt wurden. Als Juana die Ankunft ihres Sohnes in Spanien gemeldet wurde, da sagte sie: „Ich allein bin Königin, mein Sohn Carlos ist Kronprinz, nicht mehr.“ Formell war das richtig, nur die Realität sah anders aus. Sie blieb auch unter Karl im Arrest, all die Jahre.

Karls Position in Spanien war noch nicht gefestigt, als am 12. Januar 1519 Kaiser Maximilian, sein zweiter Großvater aus der Habsburger Linie, starb. Dieses Ereignis brachte neue Aufregung, denn der knapp 19jährige Enkel beanspruchte sofort die Nachfolge im Reich. Er musste sich in der Kurfürstenwahl gegenüber den königlichen Mitbewerbern Henry VIII. von England und Francois I. von Frankreich behaupten, und das kostete viel Geld – unter anderem solches aus seinem spanischen Besitz. Das Schmieren der Kurfürsten hatte Erfolg, im Juni 1519 wurde der Habsburger zu Kaiser Karl V. gewählt. Die spanischen Stände fanden es nicht lustig, dass ihre finanziellen Mittel für ausländische Interessen zweckentfremdet wurden. Man erinnerte sich daran, dass immer noch Juana die offizielle Königin Spaniens war, und holte sie im August 1520 eigenmächtig aus ihrem Arrest in der Festung heraus, um ihr die Treue zu schwören.

Juana nahm die Chance wahr, wenigstens einmal in ihrem Leben standesgemäß als Königin behandelt zu werden und auch so agieren zu können. Sie begann, eigenständig zu regieren, berief die Stände zu einer Versammlung ein. Ihr Sohn Karl V. war zu dieser Zeit nicht im Land, er musste sich um seine Kaiserkrönung in Aachen kümmern, die für den Oktober 1520 anstand. Aber er reagierte geschickt aus der Ferne. Einerseits begrüßte er das Wirken seiner Mutter, andererseits stellte er ihr zwei handverlesene Berater zur Seite – und ließ eifrig in Spanien verbreiten, wie verrückt seine Mutter sei, ungeeignet zur Regierung. Zwei Monate lang wurden spanische Granden mit Geld und einigen Zugeständnissen gelockt, sich auf Karls Seite zu schlagen. Juana bekam das alles durchaus mit und reagierte depressiv, verweigerte das Essen. Das machte es Karl V. leicht, weiter über ihren Geisteszustand zu stänkern. Und dann war es schon wieder vorbei mit Juanas aktiver Regierungszeit. Im Dezember 1520 eroberten kaiserliche Truppen Tordesillas und brachten Juana unter ihre Kontrolle. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Kommandanten freundlich zu empfangen und sich wieder in den Arrest zu begeben.

Von nun an schmachtete sie weitere 35 Jahre in der Festung. Unter der strengen und demütigenden Bewachung bekam sie nichts mehr mit von den Vorgängen in der Welt. Sie wusste nichts von Karls Feldzügen gegen den König von Frankreich, nichts von der Eroberung Mexikos und Perus und der Plünderung Roms, nichts von den Reichstagen zu Worms und Regensburg. Sie ahnte nicht, wie die Reformatoren Luther und Calvin an den Grundfesten der Kirche rüttelten. Juanas letzte noch lebende Schwester Katharina von Aragon starb, von Henry VIII. verstoßen. Von ihren eigenen Töchtern starb Isabel, Königin von Dänemark. Catalina war vermählt mit dem König von Portugal, und Eleonore in zweiter Ehe mit Francois I. von Frankreich. Maria, Witwe des Königs von Böhmen und Ungarn, regierte seit 1530 als Statthalterin der Niederlande. Die Kinder der in Tordesillas vereinsamt ihrem Tode näher rückenden Königin bestimmten das Leben an den Königshöfen Europas. Ferdinand, Karls Bruder, war zum römisch-deutschen König gewählt worden, und Karl V. hatte seinen in Valladolid geborenen Sohn Felipe II. bereits zum Regenten in Kastilien ernannt.

Felipe II. war streng religiös erzogen, und es war ihm unangenehm, dass seine greise Großmutter ohne Messe, ohne die heiligen Sakramente, ohne Heiligenbilder leben musste. Er schickte ihr den Pater Francisco Borja nach Tordesillas, damit er sich um sie kümmert. Dieser Borja stammte aus einer berüchtigten Familie, er war der Urenkel des skandalösen Borgia-Papstes Alexander VI. aus dem vorigen Kapitel, Großneffe des Cesare Borgia und der Lucrezia Borgia. Pater Francisco Borja aber war kein Schurke, er war ein frommer Mann, dessen Anwesenheit Juana sehr schätzte. Endlich hatte sie jemanden bei sich, der anständig mit ihr umging, sie nicht bespuckte, an den Haaren zog, ihr die Bibel entriss.

Zu Ostern 1555 hatte Juana ihr Leben endlich vollbracht. Wegen einer Erkrankung wurde die teilweise Gelähmte in ein Bad gelassen, wobei die Frauen ihr zu heißes Wasser in den Zuber gossen und ihr den Rücken und das Gesäß verbrühten. Es bildeten sich Brandblasen, die bald eiterten. Eine Infektion breitete sich über den ganzen Körper aus, eine große schwarze Wunde am Gesäß musste mit einem glühenden Eisen ausgebrannt werden. Diese Prozedur und den weiter schwärenden Wundbrand überstand die alte Juana nicht. Sie starb am Karfreitag 1555. Zuletzt soll sie sich von ihrem Bett noch einmal aufgerichtet haben, mit den Worten: „Gekreuzigter Jesu, hilf mir!“

Juana hatte so lange gelebt, dass selbst ihr Sohn Karl V. bereits 55 Jahre alt und müde geworden war. Erst jetzt war der Habsburger auch offiziell der König von Spanien, erst jetzt gab es klare staatsrechtliche Verhältnisse. Der Tod der Königin erleichterte Karl V. die Abdankung und Übergabe der Herrschaft an seinen Sohn Felipe II., dem Enkel Juanas und Philipps des Schönen. Persönlich zog sich Karl V. bald darauf zurück und wählte die Einsamkeit in der Estremadura, wo er nach drei Jahren seiner Mutter in den Tod folgte. Nirgendwo ist vermerkt, dass ihn im Kloster der Hieronymiten eine Ahnung von Schuld am Schicksal seiner Mutter bewegte.

Die Geschicke von Karl V. und seiner Zeitgenossen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts kommen natürlich noch in späteren Kapiteln noch dran. Zunächst kommt jetzt der Abschluss dieses Kapitels zur Startepoche von EU4, es geht in den Kirchenstaat zum Papst.