Kapitel 3 - Porth Merrion
"Herr!", rief der Meldereiter, welcher gerade ins Kommandantenzelt gestürmt war, Sir Gawain zu. "Sie machen einen Ausfall!" Sofort blickte Gawain von dem runden Tisch auf, um den alle Offiziere versammelt waren und über ein weiteres Vorgehen beratschlagten.
"Wie viele, wie schnell, wo?", fragte er ohne lange nachzudenken. Gawain konnte durchaus schnell reagieren, wenn es nötig war, und wenn es wirklich einen Ausfall gab, musste es sein.
"Alle, sie sind gerade dabei, das Tor zu verlassen, an der Südseite.", antwortete der Meldereiter sofort. Alle wichtigen Informationen.
Kurz war es still im Zelt.
"Ihr habt es gehört! Auf zu Euren Kompanien!", scheuchte Gawain seine Offiziere mit wilden Gesten auf. "Ich will alle Männer in einer viertel Stunde bereit sehen!"
Es war klug gewesen, den Belagerungsring relativ weit von den Stadtmauern aufzuschlagen. Genaugenommen war es gar kein Ring. Die avalonische Armee hatte nur en Zugang vom Süden und Osten abgeschnitten, um im Falle eines Ausfalls nicht zu weit verteilt zu sein. Damit keine Vorräte aus dem Norden kamen, blockierte die Flotte alle Häfen. Da es Winter war, konnten die Bauern auch nichts liefern.
Eine viertel Stunde später:
Die Männer waren alle in einer Reihe aufgestellt, etwa den dritten Teil einer Meile von der Mauer entfernt. Die Männer waren immer in Alarmbereitschaft, die leicht gerüsteten konnten sich ohnehin schnell vorbereiten, und die schwer gerüsteten trugen in Schichten ihre Ausrüstung, sodass sie jederzeit eingreifen konnten im Falle eines Ausfalls, ohne dauernd ihre schweren Rüstungsteile mitschleppen zu müssen. Das Tor war klein, und so dauerte es für den Feind eine lange Zeit, alle Truppen aus der Stadt zu bewegen, während die Avalonen bereits aufgestellt waren. Bogenschützen vorne, Speerträger dahinter, einige Kerns – leicht gerüstete Speerwerfer aus Brymaris – waren an der linken Flanke aufgestellt. Dahinter wartete Gawain zu Pferde mit seiner Garde.
Als alle Feinde die Stadt verlassen hatten, reif Gawain laut: "BÖGEN SPANNEN!" Der Ruf wurde von kurzem Geklacker durch die Feuerzeuge, und schließlich durch den Ton sich spannender Sehnen quittiert.
Der Feind setzte sich in Bewegung. Als er in Reichweite war, gab Gawain den Befehl zum Feuern. Das Sirren von Pfeilen war zu hören, verstärkt durch den Ton des Feuers, der dem Feind den Mut rauben sollte. Das Ergebnis war ein lautes Geschrei aus den feindlichen Reihen.
"BÖGEN SPANNEN!"
Drei Salven hatten die Schützen abgeben können, bevor sie sich zurückziehen musste, und den Speerträgern Platz machten. Rory hatte es tatsächlich gewagt, mit seinen Reitern vor der eigenen Armee herzureiten und als erster anzustürmen. Der Erfolg des Ansturms gegen die Speerträger war mäßig, doch nicht zu verachten. Lange konnten die Speerträger ihren Vorteil gegen die Reiter auch nicht ausspielen, denn die Gallóc mit ihren schweren Äxten waren nicht weit hinter ihrem General hergerannt. Ein erbitterter Kampf entbrannte. Menschen schrien. Pferde wieherten. Metall schepperte. Und die Gaelen begannen die Oberhand zu gewinnen.
"Männer!", rief Gawain seinen Leibwachen zu. "Stürmt!" Und so stürzte er sich selbst ins Gefecht, dort wo er Rory vermutete.
Es brachte nichts. Ohne Schwung waren die Reiter den schweren Äxten unterlegen. Rory fanden sie nicht, denn der kämpfte an anderer Stelle. Langsam begannen die ersten Männer reißaus zu nehmen. Verdammt! dachte sich Gawain, und überlegte fieberhaft, während er mit einem lauten Schrei den Schädel eines Gallóc spaltete. Wenn diese Schlacht mit einer Niederlage endete, wäre Brymaris fast ungeschützt. Das durfte nicht passieren!
Von seiner erhöhten Position im Sattel aus versuchte Gawain die Lage zu überblicken. Zuerst sah er nichts was Hoffnung in ihm hätte aufkeimen lassen können. Einmal sah er um sich, zwei mal, drei mal. Beim vierten mal hielt er mit dem Blick bei der Mauer von Porth Merrion inne. War das möglich? War Rory so unvorsichtig gewesen? Ja, Gawains Blick schien ihn nicht zu trügen.
"Ritter!", rief er seinen Reitern zu, "Zum Tor, in die Stadt!"
Seine Reiter folgten ihm auf das offene, unbewachte Tor zu.
Die Reiter waren bereits am Tor, als Rory bemerkte, welchen Fehler er gemacht hatte. Sofort kämpfte er sich aus dem Getümmel frei und hielt mit seinen Reitern ebenfalls auf das Tor zu. Zum Glück waren es nur noch wenige Mann. Drei, um genau zu sein. Eine lächerliche Entscheidung. Erst auf dem Marktplatz holte er Gawain ein.
Hier waren Gawains Ritter nun in der Überzahl. Die Armee auf dem Feld war zwar so gut wie geschlagen, aber das war bedeutungslos, wenn die Stadt unter Avalons Kontrolle war. Hier musste Rory sterben oder aufgeben, sonst war alles verloren.
Gawain wendete sein Pferd, und hielt in vollem Galopp auf Rory zu, der eine Axt in Händen hielt, aber kaum gepanzert war. Gawain hingegen war in eine volle Rüstung gekleidet.
Mit lautem Klirren prallte die Axt auf Gawains Schwert, gefolgt von einem weiteren Klirren, als Gawain einen weiteren Schlag abwehrte.
"Stirb!", rief Rory die Kralle auf Gaelisch, und erhob die Axt zu einem dritten Schlag. Den führte er nicht mehr aus. Gawain schlug mit dem Schwert nach dem Kopf von Rorys Pferd. Das Tier brach tot zusammen, den Schädel gespalten, Rory unter sich begrabend. Rorys restliche Männer waren auch in einem kurzen Kampf erschlagen worden.
"Schnell! Nehmt ihn gefangen! Wir verbarrikadieren uns in der Versammlungshalle!", gab Gawain mit hochgeschobenem Visier laut Anweisungen. Bald war die Gruppe von zwanzig Leuten mit einem gefangenem Rory in der Versammlungshalle, von wo aus der Kundschafter vor einigen Monaten die Pläne des Fürsten belauscht hatte.
Gawain nahm seinen Helm ab, und stellte sich vor den gefangenen Gaelen, den man auf einen Stuhl gefesselt hatte.
"Rory von Merrion", nannte Gawain dessen Namen mit verächtlicher Stimme. "Hier bist du auf dich allein gestellt. Deine Männer kommen hier erstmal nicht rein, egal wie die Schlacht dort draußen ausgeht." Dass die Schlacht bereits verloren war, wusste Gawain nicht.
Rory spuckte nur vor die Füße des Gralsritters. "Und jetzt?!", schrie er hasserfüllt, "Soll ich etwa Angst haben?! Irgendwann kommen sie hier doch rein, und dann war das Euer letzter Tag als Lebende!"
"Ah, jaja, so siehst du das also.", sagte Gawain mit siegessicherer Stimme. "Die Sache ist aber die: Du wirst uns hier rausholen. Und das wirst du tun, indem du deinen Männern befiehlst, ihre Waffen niederzulegen."
Rory lachte los. Es war ein hyterisches Lachen. "Das... das meinst du doch nicht ernst?!" Er schien Gawain für verrückt zu halten. Der strich sich nur über den Bart, der dank des Helms keine Blutflecken abbekommen hatte. "Doch, tue ich", meinte er. "Du bist genauso ein Mensch wie jeder andere. Mit ein wenig Druck kriegt man auch dich dazu, alles zu tun. Du kannst wählen: Lass deine Männer die Waffen ablegen, oder stirb einen langsamen Tod. Du weißt doch, wie ein langsamer Tod funktoniert, oder?" Natürlich wusste Rory das. Nicht allzu selten hatte er Feinde qualvoll sterben lassen.
Rory schnaubte nur belustigt. "Das tut ihr nicht. Ich kenne euch Avalonen doch, von wegen Gnade und keine Folter und so. Du bringst es doch gar nicht über dich."
Die einzige Reaktion Gawains war ein Faustschlag auf die linke Wange des Gaelen. Wegen der Kettenhandschuhe musste es besonders schmerzen.
"Denkst du!", sagte er mit einem angewiderten Gesichtsausdruck. Das würde ihm keinen Spaß machen, aber wenn es um sein Leben ging, ließ er sich durchaus zu solchen Methoden herab.
"Nur die Folter zur Befragung ist verboten. Als Strafe -" er schlug ihm in den Magen, was Rory mit einem Stöhnen quittierte, "- ist es erlaubt. Wir machen das jetzt so: Ich frage dich, ob du deine Männer dazu veranlasst, die Waffen zu strecken. Wenn mir die Antwort nicht gefällt, schlage ich zu, und wir wiederholen das Ganze. In Ordnung? Ja, natürlich geht das in Ordnung.
Wirst du deinen Männern befehlen, die Waffen zu strecken." - "Nein!"
Ein Schlag aufs Brustbein, ein ersticktes Stöhnen.
Gawain wartete kurz, dabei prüfend, ob sein Handschuh noch richtig saß. Dann stellte er noch einmal die Frage: "Wirst du deinen Männern befehlen, die Waffen zu strecken?" - "N-Nein."
Eine Ohrfeige auf die rechte Wange, mit der Rückhand. Die Wange wurde von den Kettengliedern des Handschuhs eingerissen.
"Wirst du deinen Männern befehlen, die Waffen zu strecken?" - "Nein!", hustete Rory hervor. Es war aber zu sehen, dass ihm seine eigenen Methoden nicht gefielen. Gawain holte noch einmal zum Schlag aus...
Es brauchte lange, bis Rory endlich aufgab. Aber schließlich klappte es doch. Rorys Männer streckten widerwillig die Waffen, als sie den Befehl erhielten – allerdings erst nachdem Gawain geschworen hatte, dass sie leben durften und ihre Freiheit behalten konnten.
Die Schlacht von Porth Merrion war zwar in einer Niederlage geendet, aber trotzdem hatte Gawain das Unglück von Brymaris abwenden können. Porth Merrion war von nun an so wie Brymaris avalonisches Schutzgebiet.
