[CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

AAR u.a. zu Spielen der Total War Reihe

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 7. Juni 2016 20:28

Erfolgreich Widerstand leisteten hingegen die Sachsen von Wessex, wo in diesen finsteren Zeiten eine Lichtgestalt der englischen Geschichte hervortrat: Alfred, der Graf von Dorset (links im Bild). Er war der vierte und jüngste Sohn des verstorbenen Königs Ethelwulf und Bruder des regierenden Ethelred. Sein Kommandowert von 21 prädestinierte ihn dazu, den Kampf gegen die Invasoren anzuführen. Alfred kam 848 oder 849 zur Welt. Da er der vierte der Thronfolge war, ist es durchaus möglich, dass er für eine kirchliche Laufbahn vorgesehen wurde. Seinen Antrittsbesuch in Rom machte er jedenfalls mit fünf Jahren. Seine Mutter war eine belesene Frau und verstand es, in Alfred eine Liebe zur Literatur zu wecken, die für einen Mann seiner Epoche als höchst wunderlich galt.

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Die Zeiten waren kriegerisch und verlangten nach militärisch fähigen Anführern – und Alfred bewies binnen Jahresfrist, dass er dieser Aufgabe gewachsen war. Unter seiner und seines Heeres tatkräftigen Hilfe gelang es Edmund, dem König von East-Anglia, Anfang 868 die Wikinger zurückzuschlagen. Dem dänischen König Guthrum blieb nichts anderes übrig, als sich entgegen seiner Gewohnheit an das anschließende Friedensabkommen zu halten und sich nach York zurückzuziehen. Die Angelsachsen schöpften erste Hoffnung, der Bedrohung durch die Invasoren Herr werden zu können.

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Sein Bruder Ethelred dagegen, unter dessen königlichem Namen Alfred den wilden Nordmänner das Fürchten lehrte, war kein gewaltiger Recke, sondern ein eher kränklicher Intellektueller. Der König litt an so ziemlich jedem damals bekannten Gebrechen und auch an unbekannten – Morbus Crohn, wie heute vermutet wird. Aber er war ein wacher Geist, der das politisch notwendige und machbare zu erkennen wusste.

Natürlich war durch den Vertrag mit Gunthrum kein Frieden geschaffen. Andere skandinavische Stämme plünderten weiterhin und wiederholt die Küste Britanniens, auch Wessex wurde 869 das Ziel eines solchen Überfalls. Doch König Ethelred hatte die Verteidigung gut organisiert und überließ seinem Bruder Alfred das Zurückschlagen der Wikinger.

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Ethelred tat gut daran, sich nicht auf den Lorbeeren von Alfreds Siegs auszuruhen. Überhaupt war ihm nicht daran gelegen, es den Dänen heimzuzahlen. Das Wohl seiner englischen Untertanen war es, das ihm am Herzen lag. Getrieben von geschäftigem Ehrgeiz und einem ausgeprägten Sinn für gerechte Gesetzgebung, war der König zugleich realistisch genug zu erkennen, dass die Wikinger eine dauerhafte Macht im Norden Englands darstellten und gestand ihnen dort vertraglich ein eigenes Territorium zu. Das war keine revolutionäre Entscheidung, denn die Wikinger hielten dieses Land sowieso besetzt. Die Friedenszeit nach der Einigung mit den Dänen nutzte er, um sein Reich auf die Zukunft vorzubereiten. Für das Wohlergehen seines Volkes startete er eine Bildungsinitiative und ließ historische, philosophische und politische Schriften aus dem Lateinischen ins Angelsächsische übersetzen. Manche glauben, dass der König diese Übersetzungen teilweise sogar selbst anfertigte. Ethelred wusste, dass viele Priester im Land nicht genug Latein konnten, um zum Beispiel die Schriften von Gregor dem Großen im Original lesen zu können, doch er wollte, dass dieses Werk, welches er in Fragen der Seelsorge, aber auch der Verwaltungspraxis für so wichtig hielt, jedem Geistlichen zugänglich sei. Also ließ er die Übersetzung zigmal abschreiben und ins ganze Land verschicken. Seine Untertanen schüttelten einerseits die Köpfe über so neumodische Ideen, waren von Ethelred aber zugleich beeindruckt und verliehen ihm den Beinamen „der Gerechte“.

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Ethelred befahl den Bau einer Flotte und befestigter Wehranlagen und Städte. Vor allem diesen vorausschauenden Maßnahmen war es zu verdanken, dass die neuen dänischen Piraten, die England in den 870ern regelmäßig besuchten, in Wessex wenig Erfolg hatten.

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Ethelred organisierte sein Reich von Grund auf anders: Im Jahre 869 vereinte er die Grafschaften Surrey, Sussex und Kent zu dem Herzogtum Kent und schuf damit eine neue Verwaltungseinheit, eben jene des Herzogtums. Seinen Bruder Alfred übertrug er die Herrschaft über die westlichen Grafschaften des Wessex-Reiches, mit sich selbst als Träger des Herzogstitels.

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Schon im Jahre 870 war es wieder vorbei mit dem Frieden, den die Angelsachsen mit den Yorker Wikingern geschlossen hatten. Guthrum überfiel mit seinen Männern verschiedene Klöster in Northumbria, unterstützt von seinem Landsmann Ivar „dem Knochenlosen“, der sich weiter nördlich zwischen Schottland und Irland festgesetzt hatte. Hier bewies Ethelred seine diplomatischen Fähigkeiten und organisierte einen gemeinsamen Gegenschlag der angelsächsischen Königreiche.

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Der Oberbefehl der westsächsischen Truppen oblag wieder seinem Bruder Alfred, der über dreitausend Männer gegen York führte und dort auf das ebenbürtige Heer von Guthrum traf. In den beiden Schlachten von Durham und am Hartlepool, nördlich von York, schlug Alfred die Normannen und befreite die Northumbrier von der feindlichen Belagerung. Alfred ging aber nicht gegen die normannischen Garnisonen in den besetzten Befestigungen vor, sondern wandte sich gegen York. Er konnte die Verteidigungsanlagen der Stadt nicht überwinden, also begann Alfred im Sommer 870 seinerseits mit der Belagerung der feindlichen Stellung.

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Es verging ein ganzes Jahr, bis die Garnison des gut befestigten York aufgeben musste und Alfred die Tore der hölzernen Burg öffnete. Anschließend zog das westsächsische Heer weiter gegen das nahegelegene St. Peter, um auch hier eine Belagerung zu beginnen. Die Verbündeten waren in ihrem Kampf gegen die Normannen weniger erfolgreich. Im Feld vermochten sie die Wikinger nicht zu besiegen, die Grafschaft Durham fiel an Guthrum. Schließlich einigten sich der König von Northumbria im Januar 872 auf ein Friedensabkommen, das Guthrum Entschädigungszahlungen zubilligte. Alfred kehrte mit seinem Heer südwärts zurück nach Wessex. Auch die Verluste unter seinen Männern waren groß: Rund zweitausend waren im Kampf oder während der Belagerungen durch Seuchen ums Leben gekommen.

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Ein Blick auf das ostfränkische Reich Ludwigs des Deutschen, um den es im nächsten Kapitel gehen wird: Die Enkel Karls des Großen, darunter Ludwig, herrschten über die Teilreiche des Frankenreichs: Westfranken, Lotharingien und Ostfranken. Nach dem Tod Ludwigs im Jahre 873 (siehe Bild) wurde die Macht in Ostfranken seinerseits unter seinen drei Söhnen aufgeteilt: Karlmann von Baiern wurde Nachfolger auf dem Thron, Ludwig der Jüngere erhielt das Herzogtum Franken, Karl (der spätere Karl III. der Dicke) bekam Schwaben. Man darf sich schon jetzt fragen, wer von ihnen im unvermeidlichen Bruderzwist die Nase vorne haben würde.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 7. Juni 2016 20:30

urück nach England. Ethelred bewies, nachdem mit den Wikingern 872 ein neuer Frieden geschlossen war, dass er sich bei der Sicherung seiner Herrschaft nicht nur auf diplomatische Politik, sondern auch auf seine militärische Präsenz zu lehnen verstand. Er hatte die Absicht, seinen Einfluss auf die anderen englischen Königreiche auszudehnen. Im Jahre 873 marschierte er in Cornwall ein und zwang den dort regierenden König Dumnarth nach der Besetzung von Exeter im August 874 dazu, seinen Primat anzuerkennen und einen auf zehn Jahre befristeten Tributvertrag zu akzeptieren.

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Die Unterordnung von Cornwall bedeutete längst nicht den Auftakt zu einem unaufhaltsamen Supremat von Wessex, denn die skandinavischen Herrscher auf der britischen Insel gedachten hier auch noch ein Wort mitzureden. Im Jahre 874 schlug der bereits erwähnte Ivar der Knochenlose den König Rhun und erweiterte sein Herrschaftsgebiet zwischen Schottland und Irland. Ivar Ragnarsson war angeblich ein Sohn des legendären Wikingeranführers Ragnar Lodbrok (dessen Historizität umstritten ist). Sowohl Ragnar als auch sein Sohn Ivar erscheinen in der Sagaliteratur als Heldengestalten, doch diese Quellengattung ist mit einem deutlichen zeitlichen Abstand zu den berichteten Ereignissen entstanden. Wenngleich unklar bleibt, ob Ivars Vater tatsächlich ein Wikingerführer namens Ragnar war, wird Ivar das erste Mal in irischen Annalen im Zusammenhang mit einem Sieg im Jahr 857 über andere skandinavische Angreifer erwähnt, wo er Imhar genannt wird. Die folgenden Jahre stand er im Bündnis mit anderen Wikingeranführern (so mit Olaf dem Weißen) in Irland.

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Im Jahre 877 durchquerte Ivars Flotte den St. Georgs Kanal, der Irland von Wales trennte und landete mit seinen Männern in Cornwall, um es zu unterwerfen. Das war eine bewusste Entscheidung des Normannen, der mit diesem Feldzug nicht unbedingt Dumnarth treffen wollte, sondern seinen stärksten Widersacher, den König von Wessex. Man musste einsehen, dass sich diese Normannen nicht einfach auf alles stürzten, was sie an Land sichteten. In diesem Fall kam es zu Verhandlungen zwischen den Kelten Cornwalls und den Nordmännern. Erstere fürchteten, ihre Unabhängigkeit an das erstarkte Wessex zu verlieren, und waren daher König Ethelred nicht wohlgesonnen. Den normannischen Kriegern lag anscheinend an Verbündeten, die ihnen bei einem Sieg reiche Beute zusicherten.

Ethelred erlitt im Juni 877 eine Niederlage, als sein Bruder Alfred mit einem Heer gegen die angelandeten Normannen zu Felde zog. Cornwall musste daraufhin verloren gegeben werden und Ivar konnte sich hier auf Dauer festsetzen. Die Wikinger lernten aus diesem Präzedenzfall: Sich in innenpolitische Auseinandersetzungen einzumischen und dafür bezahlen zu lassen, konnte noch ergiebiger sein, als Klöster zu brandschatzen – wobei sie in England und Frankreich keine von beiden Möglichkeiten prinzipiell ausschlossen!

Ethelred musste seine Aufmerksamkeit zu dieser Zeit auf East Anglia richten, wo die Normannen ebenfalls einfielen und das Land verwüsteten. Andere Wikingerverbände eroberten die an der Themsemündung gelegene Insel Sheppey und bauten diese zu einem Stützpunkt aus, da sie von dort noch einfacher ihre Raubzüge unternehmen konnten. Es war damit zu rechnen, dass sie weitermarschieren und in Wessex eindringen würden. Es wäre bei voller Konzentration der verfügbaren Kräfte vielleicht möglich gewesen, Ivar aus Cornwall zu vertreiben, doch Ethelred konnte nicht beide Gegner zugleich bekämpfen.

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In East Anglia errichteten die Wikinger in Thetford Ende 877 ihr Winterlager. Edmund, der König von East Anglia, griff sie an und verlor dabei sein Leben. In einer späteren Schrift aus dem Jahre 945 erfahren wir, dass Edmund nicht in der Schlacht sein Leben verlor, sondern den Märtyrertod gestorben sei. Die Normannen forderten nach seiner Gefangennahme, dass er seinem christlichen Glauben abschwöre. Als er sich weigerte, wurde er geschlagen, mit Pfeilen gefoltert und schließlich enthauptet. Bald nach seinem Tod wurde er als Märtyrer verehrt. Mit dem Tod Edmunds verlor East Anglia seine Eigenständigkeit, denn Ivar der Knochenlose bestimmte einen gewissen Ethelred II. zum König. Über diesen Ethelred II. ist nichts weiter bekannt, er war vermutlich ein subregulus (Unterkönig) Ivars. Unser Charakter Ethelred geriet durch diese Entwicklung in eine unkomfortable Lage, weil Ivar jetzt im Westen Cornwall und im Osten East Anglia als Aufmarschgebiet gegen Wessex benutzen konnte. Zudem hielten sie weiter die Insel Sheppey, von wo aus Jahr für Jahr Wikingerflotten aufbrachen und in den Sommermonaten vor den südenglischen Küsten erschienen. Sie schreckten nicht einmal davor zurück, die Themse hinaufzufahren und London anzugreifen.

Bevor Ethelred gegen East Anglia die Entscheidung suchte, sicherte er sein Territorium gegen Ivar sowie gegen die ständigen Wikingereinfälle an den Küsten von Wessex ab. Im Jahre 877 errichtete er die Burg Farnham, bei der es sich um eine beeindruckende Motte handelte, die ständig bewohnt war. Der große Mound der Feste entstand rund um die massiven Fundamente eines Turms und wurde dann mit einem Shell-Donjon (eine Art Bergfried) komplett eingeschlossen, der Strebewerktürme und ein niederes Torhaus besaß. Angeschlossen an den Mound war eine dreieckige Kernburg mit einer Reihe von Wohngebäuden und einem Eingangsturm.

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Die Normannen drangen kurze Zeit darauf tatsächlich in Wessex ein, indem sie mit ihren Schiffen die Themsemündung flussaufwärts fuhren und London erreichten. Hier machten sich die Arbeiten der vergangenen Jahre bezahlt, den die errichteten Verteidigungsanlagen der Städte zwangen die Wikinger dazu, London zu belagern.
Im Frühjahr 878 ergriff Ethelred unter dem Eindruck dieser Ereignisse die Initiative und forderte die Herrschaft über East Anglia für sich. Der dort regierende Ethelred II. war vielleicht ein Herrscher von Ivars Gnaden, muss aber eine Legitimation für den Thron besessen haben, denn die Ostangeln widersetzten sich dem Anspruch des westsächsischen Ethelred.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 12. Juni 2016 19:03

Wieder war es Alfred, des Königs Bruder, dem die Führung des Feldzugs anvertraut wurde. Das dreitausend Mann starke westsächsische Heer schlug den Gegner am 20. Juli 878 in der Schlacht bei Lynn, wo etwa 500 Ostangeln ums Leben kamen, während Alfred so gut wie keine Verluste zu beklagen hatte. Alfred verfolgte den geschlagenen Feind und vernichtete das Heer der Ostangeln schließlich in der Nähe von Warwick.

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Da man in Wessex kurz zuvor bereits die Belagerungsfertigkeit der Stufe Zwei entwickelt hatte, fielen die wichtigen Festen von East Anglia Alfred rasch in die Hände: Ipswich in Suffolk, sowie Thetford und Norwich in Norfolk wurden binnen eines Jahres eingenommen. Im September 879 unterwarf sich der Unterkönig Ethelred II., der vergeblich auf normannische Verstärkung gehofft hatte. East Anglia wurde nun ein Teil des Königreichs Wessex, der Westsache Ethelred formte 880 aus den beiden Grafschaften das Herzogtum East Anglia.

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Diese Zeit um das Jahr 880 markiert die Bildung des frühen englischen Imperiums, des Oberkönigtums der Wessexer Dynastie von Ethelred. Unter seiner Führung nahm sein „Königreich der Engländer“ die Hürde von einem ideologischen Konstrukt zu einer existierenden Tatsache.

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Sich eine Krone aufzusetzen, war das eine, und nicht einmal ungewöhnlich. Wie erwähnt gab es in England sieben angelsächsische Königreiche, deren tatsächliche Macht eher mit einem Herzogtum kontinentaler Prägung vergleichbar war. Ethelred war in der Lage, den entscheidenden Schritt zu machen und Mittel- sowie Nordengland zu erobern und bzw. oder verwaltungsmäßig einzugliedern. Seine Gegenspieler waren nicht alleine die anderen angelsächsischen Kleinkönige, es waren mehr noch die normannischen Führer in Nordengland, die eine heidnische Hegemonie herstellen wollten. Ivar der Knochenlose spielte damit Ethelred in die Karten, denn der Angelsachse konnte die anderen christlichen Fürsten der Insel hinter sich vereinen. Das Argument, gegen ein Volk des Teufels müssten alle rechten Christen vereint kämpfen, setzte einen Anführer dieser Allianz voraus. Eine Rolle, um die sich Ethelred mit Nachdruck bewarb.

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Spät, mit 44 Jahren, ging der aus religiöser Überzeugung keusche Ethelred eine eheliche Verbindung ein. Eine königliche Dynastie benötigte einen Erben, und der König dafür eine standesgemäße Ehefrau. Die in dieser Hinsicht wohl edelste Partie war die Tochter des byzantinischen Kaisers Basileios (regierte historisch von 867 bis 886, im Spiel bereits verstorben), des Begründers der makedonischen Dynastie in Konstantinopel. Ethelred hatte wegen der Heirat mit dem Nachfolger auf dem Thron, Leo VI. (886-912), zu verhandeln. Schließlich, im Jahre 884, war der Vertrag perfekt. Ethelred heiratete die blaublütige Byzantinerin Anastasia, eine enorme Aufwertung für den Westsachsen.

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Nur kurze Zeit darauf starb Ethelred überraschend und zum Entsetzen seines Hofes am 3. März 884. Knapp zwanzig Jahre hatte seine Regierung Bestand gehabt, nun ging sie reibungslos auf Alfred, dem jüngsten der vier Brüder des Königs Etehlwulf, über. Es gab sonst niemanden, der ernsthaft Anspruch auf den Thron hätte erheben können – weder innerhalb der Dynastie noch ein anderes Haus. Alfred hatte in den zurückliegenden Jahren seine prominente Stellung als oberster Befehlshaber von Wessex genutzt, um sich eine eigene Hausmacht aufzubauen. Diese hatte er nie gegen seinen Bruder Ethelred eingesetzt, aber nun war sie das Fundament, auf dem seine eigene Regierung fußen sollte.

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Alfred zeigte sich bei der Übernahme der Regierung recht „pragmatisch“ - erst einige Wochen zuvor hatte sein nun verstorbener Bruder die byzantinische Prinzessin Anastasia geheiratet, jahrelange Verhandlungen waren dem vorangegangen. Der neue König behielt die verwitwete Griechin prompt an seinem Hof und nahm erneut Kontakt mit dem Kaiser in Konstantinopel sowie dem Papst in Rom auf. Mit Leo VI. wurde Alfred bald handelseinig, die Gespräche in Rom waren schwieriger.

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Der bis dahin amtierende Papst Marinus war nämlich gestorben, am 17. Mai 884 bestieg der Kandidat des römischen Hauses Colonna den Heiligen Stuhl. Von ihm wurde erwartet, dass er die Unruhen in der Stadt Rom beendet – ironischerweise waren die Colonna eine bedeutende Partei in eben jenen Streitigkeiten, die blutig in den Straßen ausgefochten wurden. Für die Anfrage eines fernen westsächsischen Königs blieb dem Papst da wenig Zeit. Zudem war auch ein Abgesandter des fränkischen Königs mit einer Familienangelegenheit vor Ort, hier ging es um die Anerkennung des unehelichen Sohns des Kaisers, der durch eine Legitimation zum Kronprinzen aufsteigen sollte.

Alfred blieb während dieser Zeit natürlich nicht untätig, er ordnete die Machtverhältnisse in England nach seinen Vorstellungen. Das kleine Nachbarreich Cornwall hatte nach Alfreds Ansicht durch den Verlust seiner gleichnamigen Grafschaft an die Normannen seine Bedeutung als Vasall verloren. Dumnarth herrschte noch über Devon, aber es war gewiss, dass er zwischen Normannen und Westsachsen auf Dauer kaum eine Schaukelpolitik würde betreiben können. Bevor Devon an die Normannen fiel, griff Alfred selber nach der Grafschaft.

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Im Jahre 885 folgte Stephan V. seinem Vorgänger Hadrian III. auf den Heiligen Stuhl, nachdem Hadrian während der Reise zu einer deutschen Synode gestorben war. Seine Wahl war ohne Absprache mit dem ostfränkischen König abgelaufen, daher brauchte Stephan V. andere Verbündete. Die päpstliche Zustimmung zur Ehe zwischen Alfred und der Witwe seines Bruders wurde damit zu einer Formalität. Außenpolitisch war es ausgerechnet der deutsche Gegner des Papstes, der Alfred zur Realisierung einer offensiven Politik verhalf: Der mächtige Normanne Ivar der Knochenlose geriet bei einem Beutezug an der friesischen Küste in Gefangenschaft und wurde an den ostfränkischen König Karlmann ausgeliefert, der ihn in Baden in Haft hielt. Ivars Besitz in Cornwall war damit deutlich weniger wehrhaft und Alfred nutzte dies und schloss die Grafschaft schließlich im Jahre 888 seinem Königreich an.

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Rund drei Jahre später, im März 891, verstarb der bereits seit einiger Zeit regierungsunfähige Karlmann und hinterließ den Thron von Ostfranken seinem karolingischen Bruder Karl, der jedoch ebenfalls nicht gesund und ein schwacher König war – Karl III. litt vermutlich an Epilepsie. Er hatte alle Hände voll zu tun, seinen Herrschaftsanspruch über die deutschen und italienischen Gebiete gegen Widersacher in- und außerhalb seiner Familie zu verteidigen.

Einige Monate später war es, da Alfred von Wessex den nächsten Schritt zur Herrschaft über England tat: Im August 891 marschierte er mit sechstausend Mann in das nördlich angrenzende Mercia des Königs Burghred ein und schlug im Oktober dessen Heer in der Schlacht von Buckingham. Alfreds Truppen konnten nach diesem Sieg ungehindert Mercia plündern und dessen Festungen belagern. Offenbar erholte sich Burghred nicht von diesem Schlag, er starb einige Zeit darauf im Alter von 63 Jahren und vermachte die Regierung seinem Sohn Beornred. Dem blieb im Juni 894 aber auch nichts anderes übrig, als den Wessexer Vormachtanspruch über Südengland zu akzeptieren und mit Alfred einen Frieden zu unterzeichnen, in dem Beornred Mercia an Alfred von Wessex Tribut zu leisten hatte. Das Ironische an der ganzen Sache war, dass Beornred ein Neffe von Alfred war, denn Beornred war ein Sohn von Alfreds Schwester Ethelwith, die mit dem König von Mercia verheiratet worden war.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 17. Juni 2016 20:14

Nun wollte Alfred – mit Unterstützung von Hilfstruppen aus Mercia – als nächstes gegen das Königreich Northumbria vorgehen. Dessen Herrscher Aelfgar war zwar auch ein Angelsachse, betrieb aber eine eigenständige Politik im Umgang mit den Normannen. Doch 895 kam es in dieser Frage in Wessex zu einem innenpolitischen Eklat, als der königliche Rat, bestehend aus weltlichen und geistlichen Fürsten, sich gegen Alfreds Absicht stellte, Northumbria auch gewaltsam in die Tributpflicht zu zwingen.

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Kritisieren konnten sie in der Tat, dass der König lieber die Normannen bekämpfen solle, statt die angelsächsischen Nachbarn zu attackieren. Dem entgegnen konnte Alfred jedoch, dass diese Nachbarn sich bereits mit den Normannen arrangierten und teilweise sogar Bündnisse schlossen. Eine dominierende Stellung unter den Angelsachsen war nach Ansicht des Königs nötig, um diese Reiche unter einem Banner zu vereinen und gemeinsam gegen die Wikinger marschieren zu lassen. Aber auch jene im Rat, die dem König in dieser Hinsicht recht gaben, mussten warnend auf das Bündnis zwischen Aelfgar von Northumbria und dem italienischen König Lothar II. aus dem mächtigen Geschlecht der Karolinger hinweisen. Es war bekannt, dass Lothar II. zehntausend Mann zu den Waffen zu rufen vermochte. Der Rat stimmte deutlich mit fünf zu zwei Stimmen gegen Alfreds Feldzug gegen Aelfgar.

Der König verwendete seine Energie im weiteren Verlauf des Jahres 895 darauf, die Zustimmung der Fürsten doch noch zu gewinnen - oder sie schlicht von der Beteiligung an einer solchen Entscheidung auszuschließen. Einen nicht unerheblichen Einfluss darauf bekam der Umstand, dass dem König am 22. Oktober 895 ein männlicher Thronfolger geboren wurde, der auf den Namen Eduard getauft wurde. Entscheidend waren aber wohl mehr die finanziellen und politischen Zuwendungen (sprich: Schmiergelder und Gefallen), die Alfred den stimmberechtigten Fürsten zukommen ließ.

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Der Kompromiss in dieser Frage wurde im März 896 gefunden: Der Rat übertrug die Entscheidung über Kriegserklärungen dem König, der im Gegenzug versprach, zunächst die Wikinger von York (die für einen guten Teil der Beutezüge in Südengland verantwortlich waren) auszuschalten, bevor er den Feldzug gegen Northumbria beginnen würde.

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York war 866 – ein Jahr vor Beginn dieses Kapitels – von den Wikingern besetzt worden. Vorher war es die Hauptstadt des northumbrischen Reiches gewesen. Die alte Römerstadt war eigentlich gut befestigt, aber sie fiel damals ohne nennenswerten Widerstand an die Wikinger. Der Grund dafür war der Streit zweier Thronaspiranten um die Macht, die sich wohl so sehr misstrauten, dass sie sich nicht gegen ihre Feinde zu verbünden vermochten. Als sich York erst einmal in der Hand der Normannen befand, kam der Schulterschluss der beiden Konkurrenten zu spät – ihre Heere erlitten an den Mauern der Stadt eine blutige Niederlage. Unter den Gefallenen befanden sich auch die beiden Thronaspiranten.

Damit blieb York nach 866 in der Hand der Wikinger, die von dort zu ihren zahlreichen Feldzügen aufbrachen. Selbst zu Lande brachten sie militärisch einiges zustande: Hier operierten sie mit schnellen Reiterverbänden und der Stationierung verschiedener Garnisonen, um England in Schach zu halten. In den dreißig Jahren bis zu dem aktuellen Feldzug Alfreds war aus den plündernden Seeräubern in vielen Teilen Englands eine kleine, aber tonangebende Minderheit geworden, die sowohl große schlagkräftige Heere aufstellte als auch eigene Bauern ansiedelte (natürlich an jenen Höfen, von denen sie zuvor die angelsächsischen Bauern vertrieben hatten).

Die Angelsächsische Chronik schildert, wie der König Alfred 896 zum Gegenschlag ausholte. In der siebten Woche nach Ostern sei er zu einem Ort namens Egberts Stein, östlich von Selwood, geritten. Dort habe er zahlreiche Menschen getroffen: Bewohner Somerset, Wiltshire und einem Teil Hampshires, die sich freuten, ihn zu sehen. Mit einem großen Heer zog Alfred nordwärts gegen das Hauptlager der Normannen in Chippenham. Schon vorher stießen sie bei Edington auf die Wikinger. Dazu der Chronist: „Dort kämpfte er gegen das ganze Heer der Dänen und schlug es in die Flucht. Er verfolgte es bis zur Festung York und belagerte es viele Tage.“ Am 13. September 897 gab der König der Nordmänner, Sigfrid, auf und ersuchte um Frieden.

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Dies entsprach keiner bedingungslosen Kapitulation, dafür waren seine Krieger noch zu stark. Aber Sigfrid erkannte, dass er sich zum jetzigen Zeitpunkt gegen Wessex nicht halten konnte und man sich mit König Alfred arrangieren musste. Deshalb stimmte er dessen Bedingungen zu: Die Dänen hatten den Angelsachsen Geiseln zu stellen, eine übliche Methode zur Einhaltung von Verträgen. Außerdem sollten sie Alfreds Reich verlassen, Sigfrid sollte sich taufen lassen und seines heidnischen Glaubens entsagen.

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„Drei Wochen später kam König Sigfrid mit seinen dreißig bedeutendsten Heerführern nach Aller, das nahe Athelney liegt, und der König war dort sein Taufzeuge. Seine Ölung fand in Wedmore statt. Und er war zwölf Tage beim König und ehrte ihn und seine Gefährten sehr mit Geschenken.“ Der Dänenherrscher Sigfrid nahm den angelsächsischen Taufnamen Aethelstan an, um seinen Religionswechsel deutlich zu machen.

Allerdings gingen die Wikinger mit der christlichen Taufe grundsätzlich recht ungezwungen um und sahen oftmals im Gekreuzigten nicht mehr als einen zusätzlichen Gott ihres Vielgötterglaubens. Auch war es nahezu unmöglich, die Krieger auf einen länger währenden Friedensschluss einzuschwören. Doch trotz solcher Einschränkungen hatte König Alfred einen wichtigen Sieg errungen, der dem großen Heer der Normannen die Grenzen zeigte. Hinzu kam, dass im Februar 899 der mächtige Wikingerfürst Ivar der Knochenlose (inzwischen aus der Gefangenschaft aus Deutschland zurückgekehrt) sein Leben aushauchte. Die Normannen verloren in der Folge zunächst einmal an Schlagkraft.

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Einige Monate später folgte auf das Ivars Ableben der Tod von Lothar II. von Italien, der mit nur 31 Jahren starb. Damit verlor König Aelfgar von Northumbria seinen wichtigsten Verbündeten. Dieses Ereignis bot Alfred von Wessex, der sowieso den Feldzug gegen das nordenglische Reich anstrebte, die unvergleichlich günstige Gelegenheit zum Losschlagen.

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Der Feldzug von 902 wurde unter diesen Bedingungen zu einem Triumphzug für König Alfred. Gemeinsam mit den Truppen seiner Vasallen aus Mercia und York besetzte und plünderten die Westsachsen Nordengland und belagerten die Festungen. Nach Ablauf eines Jahres fielen diese dann rasch eine um die andere an Alfreds Heere. Die Lage war aussichtslos für Aelfgar, der im Januar 904 (nach dem Verlust ausgerechnet jenes Bistums Lindisfarne, dessen Plünderung durch die Wikinger im Jahre 793 so bekannt wurde) bei Alfred um Frieden ersuchen musste. Die Bedingungen des Vertrages waren vergleichbar mit den vorherigen, die Alfred geschlossen hatte: Gestellung von Geiseln und Anerkennen der Tributpflicht gegenüber dem Königreich Wessex.

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Mit dem Ende der Unabhängigkeit des Wikingerreiches von York sowie der Unterwerfung der angelsächsischen Königreiche Cornwall, East Anglia, Mercia und Northumbria brach eine Blütezeit relativer Ruhe für die britische Insel an. Zwar musste Alfred erleben, wie Verbände des berüchtigten großen Dänenheeres aus Frankreich zurückkehrten und sofort wieder plündernd in Südengland einfielen. Doch inzwischen war man vorbereitet und die weitsichtige Politik des Königs von Wessex zeigte ihre Wirkung. Alfred hatte weiterhin befestigte Orte anlegen lassen, hinter deren Verschanzungen die Bevölkerung ausharren konnte.

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Von dort unternahmen die angelsächsischen Krieger gezielte Angriffe gegen die Wikinger. Deren Scharen stellten fest, dass sie kaum noch auf das Überraschungsmoment bauen konnten und dass ihnen mehr und mehr Widerstand geleistet wurde. Nach herben Verlusten und immer weniger Beute zogen sie sich ins ostenglische Danelag zurück. Dort favorisierten sie das ruhigere Bauerndasein vor der mittlerweile riskanten Kriegertätigkeit, vorerst jedenfalls. Sofern Normannen an den Küsten der britischen Inseln noch auf Beutezüge oder Eroberungen aus waren, mussten sie ihren Blick auf Irland richten. Da lagen hunderte von Clans miteinander in tief verwurzelten Fehden, eine gute Voraussetzung für Invasionen und politischen Einmischungen von außen.

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In England stand nach Jahrzehnten chaotischer Verhältnisse letztlich der König von Wessex als Sieger fest. Lediglich der Norden blieb als eigenständiges Wikingerreich bestehen. Die großen dänischen Gebiete in East Anglia und Mittelengland standen unter angelsächsischer Kontrolle. Was immer der Bindung an die englische Krone diente, unternahm Alfred. Er verlobte Ende 905 seinen Sohn Eduard mit der Tochter des Königs Aelfgar von Northumbria, gegen den er zwei Jahre zuvor noch Krieg geführt hatte. Seine Tochter Ethelgiva wurde nach längeren Verhandlungen die Braut des ostfränkischen Königs Ludwig III. (historisch: Ludwig IV. das Kind).

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Durch die Verlobung der weiteren Tochter Elfthryd mit dem walisischen Thronfolger erkannte auch dieses Königreich im Südwesten Englands das benachbarte Wessex als dominante Ordnungsmacht Englands an. Einzig der walisische Fürst Anarawd der Verfluchte widersetzte sich der Unterwerfung, wurde aber von den gemeinsam aufgestellten Heeren Alfreds und seiner walisischen Verbündeten schließlich im Sommer 909 unterworfen. Alfred war damit Herrscher über ein England, das in Form eines geeinigten Königreiches zwar noch nicht existierte, durch Tribut- und Heiratsverträge aber unter der Führung von Wessex vereint war.

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Im September 907 wurde Alfreds Sohn und designierter Nachfolger Eduard mit sechzehn Jahren regierungsfähig. Schon früh zeigte der Prinz, dass er sich dank seiner Fähigkeiten, seiner Ausbildung und seiner charakterlichen Züge zum Herrscher über England eignete. König Alfred vertraute seinem Sohn die Regierung über das Herzogtum Cornwall an.

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Die Zeit der Kriege war für Alfred nun Vergangenheit, er konnte sich der kulturellen Förderung zuwenden. Nach dem Vorbild Karls des Großen ließ Alfred zahlreiche Klöster gründen. Durch die Neuschaffung von Schulen förderte er das kulturelle und geistige Leben seines Reiches. Im hohen Alter lernte er selbst Latein und lud zahlreiche Gelehrte aus dem Frankenreich zu sich nach England ein; er selbst übersetzte Boethius' Trost der Philosophie. Die Franken und angelsächsische Juristen begannen unter seiner Regierung mit der Niederschrift des Common Law in einer Gesetzessammlung mit der Bezeichnung Domboc. Nicht umsonst erhielt Alfred von seinen Untertanen lobende Beinamen wie „Der Gerechte“. Alfred besaß noch im betagten Alter hervorragende Werte in Politik, Militär und Wirtschaft. Als er im Jahre 918 starb, wurde er schon bald nach seinem Tod „der Große“ genannt. Er ist der einzige König der englischen Geschichte, der diesen Beinamen erhalten hat. Offiziell wurde er nie heiliggesprochen, dennoch verehrten ihn schon bald viele Menschen, und ein Heiligenkult, der sich bis heute überliefert hat, entstand um seine Grablege in der Kathedrale von Swithun.

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… und wie ging es weiter?

Alfreds Sohn Eduard (der Ältere) bestieg den Thron und regierte bis zu seinem Tod im Jahre 924. Eduard musste zunächst seinen Vetter Ethelwold besiegen, der selber Anspruch auf die Krone erhob. Über die Regierungszeit von Eduard ist mangels Quellen bzw. Urkunden wenig bekannt. Er marschierte gegen die Wikinger im Norden Englands und fügte ihnen eine schwere Niederlage zu. Zwar kontrollierte Eduard bis 920 Wessex, Mercia und auch den Norden bis zum Humber, doch König von ganz England, wie es sein Vater war, wurde Eduard niemals offiziell. Eduards Sohn Ethelweard folgte ihm auf den Thron, überlebte ihn aber nur um vier Wochen, dann starb auch er im August 924. Also wurde ein weiterer Sohn Eduards zum König gekrönt, nämlich Ethelstan. Der führte die Politik Alfreds fort und unterwarf die Schotten und Waliser in die Tributpflicht, York annektierte er in das Königreich Wessex. Ethelstan wurde wie Alfred zum König über England gekrönt, obwohl er nicht über die gesamte britische Insel gebieten konnte. Seine Macht war aber groß genug, um zu einem gewichtigen Faktor in der französischen Politik zu werden. Nach fünfzehn Jahren Regierung starb Ethelstan im Jahre 939 und ihm folgte sein Halbbruder Edmund I. auf den Thron. Der verbrachte seine sieben Jahre auf dem Thron hauptsächlich damit, die durch die Wirren der Thronfolge entstandenen Wirren zu beenden und seine Herrschaft über York und Northumbria wiederherzustellen.

Na ja, und so weiter. Ich denke, interessant wird es sein, gut einhundert Jahre später noch einmal nach England zurückzukehren: Denn 1066 werden dort gleich drei Parteien um die Krone kämpfen, der Ausgang dieses Ringens zu DEM entscheidenden Ereignis der folgenden englischen Geschichte werden. Jetzt aber geht es zurück auf den Kontinent, zum Werden der Deutschen.


Verwendete Literatur:

Krause: Die Welt der Wikinger
Gable: Von Ratlosen und Löwenherzen

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 25. Juni 2016 18:16

1. Frühmittelalter (ab 769)

Karl der Große (ab 769)
1. Wie man einen König macht
2. Bruderzwist
3. De bello saxonici
4. Eine Schlappe wird zum Heldenlied
5. Die Krönung zum Kaiser
6. Die Nachfolgeregelung

Das byzantinische Kaiserreich (ab 769)
1. Konstantin V. (769-780)
2. Leo IV. (780-797)
3. Romylia (797-801)
4. Konstantin VI. (801-810)

2. Das Zeitalter der Wikinger (ab 867)


Alfred der Große (ab 867)
1. Ethelred (867-884)
2. Alfred (884-918)

Die ersten deutschen Könige (ab 867)
1. Prolog: Was geschah von 814 bis 867?


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Ludwig der Deutsche
König von Ostfranken, lebte 806-876
Startdatum: 1. Januar 867



1. Prolog: Was geschah vom Tod Karls des Großen 814 bis zum Spielbeginn 867?

In den gut fünfzig Jahren bis zum nächsten Spielstart zerlegten sich die Karolinger nach allen Regeln der Kunst selbst. Die Familienstreitigkeiten standen so sehr im Vordergrund, dass es unter der Herrschaft Ludwigs des Frommen kaum Zeit für Außenpolitik gab. Um nicht den Überblick zu verlieren, baue ich eine Grafik auf, die den Verlauf bis 867 abbildet.

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Diese alleine zum Stichtag 867 macht eher konfus. Deshalb der Reihe nach beim Denver... beim Karolinger-Clan.

Als Karl der Große 814 starb, war Ludwig (der Fromme) sein einzig verbliebener Sohn und Erbe. Ludwig war 778 geboren worden, bei der vollständigen Regierungsübernahme also 36 Jahre alt. Zuvor hatte er bereits über das Unterkönigreich Aquitanien herrschen dürfen, allerdings mit mäßigem Erfolg. Als Ludwig der Fromme nun die Herrschaft über das gesamte Frankenreich übernahm, ließ er sich mit der Machtübernahme Zeit und sicherte die wichtigen Stützpunkte. Ludwig der Fromme verwies seine Schwestern vom Hof, die zum Teil in informellen Verbindungen lebten. Auch nur die geliebten Töchter seines Vaters, auch dessen Berater schickte der neue Kaiser weg.

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Das Leitmotiv der Politik Ludwigs des Frommen war die „Renovatio Regni Francorum“, die Erneuerung des Königreichs der Franken. Unter seiner kaiserlichen Führung regierten Unterkönige. Bernhard – ein Neffe von Ludwig dem Frommen, den Karl der Große zwei Jahre zuvor in Italien eingesetzt hatte - wurde noch 814 in Italien bestätigt, im selben Jahr wurden dem ältesten Sohn Lothar Baiern und dem zweiten Sohn Pippin Aquitanien zugeteilt (der jüngste Sohn Ludwig war noch zu jung). So konnte sich der Kaiser auf das Zentrum des Reiches konzentrieren. Das also war der Stand im Jahre 814:

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Wie erwähnt ließ sich Ludwig der Fromme im Jahre 816 noch einmal vom Papst zum Kaiser krönen. Offenbar wollte der Karolinger so sichergehen, dass sein Kaisertitel ganz sicher legitimiert ist. Als Rechtsakt war das Ereignis bedeutungslos. Allein der Papst zeigte mit der Salbung und Krönung seine Ansprüche an, bei Kaiserkrönungen eine Rolle zu spielen.

Nachdem Ludwig der Fromme durch einen Unfall schockiert wurde, regelte er sehr früh die Thronnachfolge. Er wollte die Herrschaft für seine Familie frühzeitig ans feste Ufer bringen. Im Thronfolgegesetz von 817 wurden den beiden jüngeren Brüdern Aquitanien (Pippin) und Baiern (Ludwig) zugewiesen. Der Älteste (Lothar) bekam für das Abgeben Baierns die Kaiserwürde zugesprochen. Die Krönung vollzog Ludwig der Fromme selbst, die Großen des Reiches akklamierten. Dies war wiederum eine Kaisererhebung ohne den Papst.

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Bei der Vergabe war Bernhard von Italien unberücksichtigt geblieben, denn Italien gehörte zur zukünftigen Erbmasse des Kaisers, also Lothars. Bernhard war damit nicht einverstanden, erhob sich dagegen und wurde besiegt. Ludwig der Fromme wandelte die zunächst gegen Bernhard verhängte Todesstrafe in Blendung um, doch der Neffe starb an den Folgen der Bestrafung. Italien nahm Ludwig zunächst wieder an sich.

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Im Jahr darauf starb Ludwigs Frau Irmingard und der Kaiser heiratete im Jahre 819 die ehrgeizige Judith aus dem Geschlecht der Welfen. Die Heiratspolitik ging weiter: 821 wurde Sohn Lothar mit Irmingard, Tochter der Etichonen-Familie aus dem Elsass, vermählt. Den Höhepunkt des zunehmenden Einflusses der Welfen bildete schließlich die Hochzeit des jüngeren Kaisersohns Ludwig mit Judiths Schwester Hemma. Die Folgen waren härtere Auseinandersetzungen innerhalb der Karolinger-Familie.

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Von Gewissensbissen geplagt wegen seines Umgangs mit Bernhard, unterzog sich Ludwig der Fromme im Jahre 822 einer Kirchenbuße und übergab die Herrschaft über Italien nun an seinen Mitkaiser Lothar, dem Italien später sowieso als Erbe zufallen sollte.

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Bald darauf änderte sich die Situation in der Familie grundlegend. Nach der Geburt einer Tochter hatte Ludwigs zweite Frau Judith im Juni 823 den Sohn Karl zur Welt gebracht. Es gab nun also einen vierten Sohn. Gleichzeitig wurde der bisher jüngste der Brüder, Ludwig, 825 für alt genug befunden, seine Herrschaft in Baiern anzutreten. Auf einer Reichsversammlung im Jahre 829 verkündete der Kaiser, sein vierter Sohn Karl werde als Erbe das Gebiet von Burgund bis Schwaben erhalten. Da er nicht zum Unterkönig bestimmt wurde, war das Thronfolgegesetz von 817 formal nicht außer Kraft gesetzt.

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Allerdings waren alle älteren Brüder und deren Anhang brüskiert. Am Hof setzte Judith zur Reaktion an und übernahm hier die Macht. Lothar kam als Anführer der Empörer aus Italien und fegte Judith in ein Kloster. Seinen Vater und seinen kleinen Halbbruder Karl setzte Lothar unter Hausarrest. Bis 830 verlor Lothar aber die Unterstützung im Reich und musste seinen Vater, seine Stiefmutter Judith und seinen Halbbruder Karl wieder freilassen. Lothar musste sich nach Italien zurückziehen, die übrigen Anführer der Rebellion wurden bestraft.

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Nun schlossen sich die anderen beiden Brüder (Pippin und Ludwig) enger gegen ihren Vater zusammen. Der söhnte sich unter diesem Druck mit Lothar in Italien aus, ging anschließend gegen die Brüder Pippin/Ludwig vor und unterwarf die beiden im Jahre 832. Pippin bestrafte der alte Kaiser hart, indem er ihm Aquitanien wegnahm und dem kleinen Karl übergab. Diese endgültige Zerstörung des Thronfolgegesetzes brachte nun alle Gegner zusammen. Die drei düpierten Brüder zogen Papst Gregor IV. auf ihre Seite und riefen die Bischöfe im Reich zum Widerstand gegen Ludwig den Frommen auf. Auf dem Rotfeld bei Colmar standen sich die Heere im Juni 833 gegenüber. Der alte Kaiser verlor nach tagelangen Verhandlungen seine Anhänger und musste sich ergeben. Wegen des vielfachen Eidbruchs wurde das Feld „Lügenfeld“ genannt. Weil sich die erfolgreichen drei Brüder anschließend in die Haare kriegten, blieb es politisch im Wesentlichen beim Status quo.

Unter dem Einfluss von Judith, die das Erbe ihres Sohnes mehren wollte, verfügte Ludwig der Fromme 837 eine neue Ausstattung Karls mit zentralen Bereichen der Francia. Das Jahr 838 brachte mit der Erhebung Karls zum Unterkönig und dem plötzlichen Tod Pippins einschneidende Veränderungen. Im Jahr darauf stellte der Kaiser in Worms eine neue Hausordnung auf. Der jüngere Ludwig erhielt nur seinen Pflichtteil Baiern. Lothar und Karl teilten Aquitanien in einer westlichen und östlichen Hälfte unter sich auf. Das Problem daran war, dass der verstorbene Pippin Söhne hinterließ, von denen einer (Pippin II.) bereits mündig war. Die Aufteilung von Aquitanien musste also mit Gewalt durchgesetzt werden.

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Während Ludwig der Fromme gegen seinen Enkel Pippin II. in den Krieg zog, starb er am 20. Juni 840 bei Ingelheim. Bei seiner Bestattung in Metz war keiner seiner Söhne anwesend. Und eines war offensichtlich: Ludwig der Fromme hatte keine geordnete Erbfolge hinterlassen. Der neue Kaiser Lothar ließ sich nicht auf zuletzt geschlossene Vereinbarungen mit seinem Halbbruder Karl ein, sondern berief sich jetzt wieder auf das ursprüngliche Thronfolgegesetz in der Fassung von 817. Karl gelang es, seinen Halbbruder Ludwig auf seine Seite zu ziehen, während Lothar mit Pippin II. koalierte. In einer blutigen Schlacht siegten Karl und Ludwig im Juni 841. Lothar floh nach Aachen, war aber längst nicht besiegt, denn die Großen des Reichs standen bei ihm.

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Nach zwei Jahren Verhandlungen schlossen sie 843 gemeinsam den Vertrag von Verdun, in dem das Frankenreich dreigeteilt wurde. Karl erhielt den Westen, Ludwig den Osten. Dazwischen wurde ein neues Mittelreich (Lotharingien) von Friesland über die Provence und runter bis Italien gestaltet, das der Kaiser Lothar mit den Zentren Aachen und Rom regieren sollte.

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In der Folgezeit bekam Lothar in seinem Mittelreich ziemlich Probleme mit den Normannen, die an der Küste und entlang der großen Flussläufe hinauf plünderten. Lothar versuchte es damit, den Normannen Land zu geben, um sie zum Schutz der Küste einzuspannen. Sein Bruder Karl (der Kahle) von Westfranken versuchte es mit Tributzahlungen, was die Wikinger noch mehr zu Raubzügen anstachelte. Auch in Aquitanien war Karl wenig erfolgreich, gegen Pippin II. erlitt er 844 eine derbe Niederlage. Die hiesigen Fürsten wählten 848 Pippin II. sogar zu ihrem König, doch Pippin fiel 852 in die Hände seines Rivalen Karl. Es blieb aber dabei, dass Karl große Gebiete seines Westreichs nicht unter Kontrolle hatte.

Besser lief es bei Ludwig (dem Deutschen) in seinem Ostreich. Mit den Dänen im Norden schloss er Frieden, die Slawen im Osten hielt er auf Distanz, in Mähren überzeugte er einige Fürsten zur Taufe. Diese Erfolgsbilanz veranlasste 854 einige Fürsten in Aquitanien, Ludwig ihre Krone anzubieten. Ludwig wollte gerne zugreifen und marschierte nach Aquitanien. Doch inzwischen war Pippin II. aus seiner Haft bei Karl ausgebrochen und die Aquitanier scharten sich bevorzugt um ihn. Also kehrte Ludwig wieder um.

Mehr passierte wieder im Jahre 855. Lothar hatte seinem Sohn Ludwig II. Italien überlassen und ihn vorher schon in Rom zum Mitkaiser krönen lassen. Das war rechtzeitig erfolgt, denn im September 855 starb Lothar. In seinem Testament verfügte er die Dreiteilung seines Gebiets für seine drei Söhne. Ludwig II. erbte den Kaisertitel und Italien, Lothar II. erhielt Lotharingen und Karl ein Unterkönigtum in der Provence.

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Die Querelen gingen weiter. Im Westen machten Bretonen, Normannen und Aquitanier so viele Probleme, dass eine westfränkische Adelsgruppe Ludwig dem Deutschen 858 erneut die Herrschaft anbot. Karl der Kahle floh nach Burgund, aber wieder erfolgte ein Stimmungsumschwung, und Ludwig der Deutsche zog sich wieder in sein Ostreich zurück. Den Frieden zwischen den beiden vermittelte ihr gemeinsamer kaiserlicher Neffe Lothar II.

In den übrigen Jahren bis zum Spielstart 867 hatten die beiden Brüder meistens damit zu tun, dass sie ihre Söhne zufriedenstellen oder zurechtweisen mussten. Gleichzeitig behielten sie die Entwicklung im Mittelreich Lotharingen im Auge. Dort wollte Lothar II. seine kinderlose Ehe mit Theutberga annullieren und seine Verbindung mit Waldrada, mit der er vier Kinder hatte, legalisieren lassen. Doch Papst Nikolaus I. verwarf nach sechsjährigem Ringen dieses Ansinnen. Lothar II. würde ohne legitime Nachkommen sein, wenn er nun starb.

Und das ist dann die Situation, wie sie sich zum Spielstart 867 darstellt. War doch ganz einfach, oder?

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 30. Juni 2016 19:46

2. Ludwig der Deutsche (regiert 840-873)

Die sechs fränkischen Teilreiche werden also aktuell von diesen Personen regiert:

Westfranken – Karl der Kahle
Aquitanien – Ludwig der Stammler
Lothringen – Lothar II.
Ostfranken – Ludwig der Deutsche
Bayern - Karlmann
Italien – Ludwig II.

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Detail zu Ostfranken. Ludwig der Deutsche hat seine drei Söhne folgendermaßen an der Macht beteiligt: Karlmann herrscht in Baiern und ist Erbe der väterlichen Krone, Ludwig der Jüngere ist Herzog von Franken, Karl der Dicke der Herzog von Schwaben. Bedeutendster Herzog im Ostfrankenreich ist übrigens Otto Liudolfinger, der Herzog von Sachsen.

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Im Westen sind die Verhältnisse übersichtlicher. Karl der Kahle hat nur noch einen lebenden Sohn, nämlich seinen Erben Ludwig den Stammler, der bereits die Herrschaft über Aquitanien ausübt. Karls zweiter Sohn Karl (das Kind) starb 866, ein Jahr vor dem Spielbeginn.

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Der Friede der Brüder im Karolinger-Reich währte mal wieder nicht lange. Erster Streitpunkt wurde Anfang 870 die Neubesetzung des Erzbistums Trier. Den Anlass bot der Tod des bisherigen Erzbischofs Theutgaud, der zwanzig Jahre hier gewirkt hatte. Er war 847 seinem Onkel in das Amt des Erzbischofs gefolgt. Es hieß über ihn, dass im Herbst 857 ein schweres Unwetter über der Stadt getobt habe, während er den Gottesdienst feierte. Da sei ein großer Hund in die Kirche eingedrungen und sei um den Altar gelaufen. Das hielt man für ein Vorzeichen für einen schlechten Verlauf von Theutgauds Episkopat.

Es war wohl eher Theutgauds Entscheidung, das Scheidungs- und Wiederheiratsersuchen von Lothar II. beim Papst zu unterstützen. Der wollte seine unehelichen Kinder ja durch eine Ehe mit seiner Geliebten legitimieren, da er in erster Ehe keine erbberechtigten Kinder hatte. Damit machte sich der Erzbischof schließlich in Rom unmöglich und der Papst entkleidete ihn seiner bischöflichen Gewalt. Mehr noch: Nikolaus exkommunizierte Theutgaud und übertrug das Amt einem Kandidaten, der Karl dem Kahlen nahestand und in der Scheidungssache von Lothar II. eine klar papsttreue Haltung einnahm. Theutgaud reagierte verbittert auf die unerbittliche Reaktion des Heiligen Vaters, enthielt sich zuhause aber geistlicher Funktionen. Selbst das Eingreifen Lothars II. zugunsten des Kirchenmannes bewegten Papst Nikolaus nicht zu einer Wiedereinsetzung. Aber immerhin durfte Theutgaud das Abendmahl wieder empfangen. Als er im November 869 starb, wollte Lothar II. das Amt neu besetzen lassen, doch der Papst verwies auf die bereits erfolgte Neubesetzung mit dem Kandidaten Karls. Theutgaud sei durch die Aufhebung der Exkommunikation wieder in die Gemeinschaft der Gläubigen, nicht jedoch in sein Amt als Erzbischof zurückgelangt.

Lothar II. setzte nun ein Heer von 2.000 Mann in Marsch und zog nach Trier, um die Neubesetzung des Erzbistums zu erzwingen. Nun setzte Karl der Kahle seinerseits über 4.000 Soldaten in Gang, um eben dies zu verhindern. Der König von Lothringen musste angesichts dieser Tatsache auf die Neubesetzung des Erzbistums verzichten – auch, weil er auf einen Hilferuf des Kölner Erzbischofs reagieren musste, der von seiner Bevölkerung aus der Stadt gejagt worden war.

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Ludwig der Deutsche konnte sich 870 nicht in den Streit um die Besetzung des Trierer Erzbistums einschalten. Er rückte im Frühjahr 870 zur Elbe vor, um den Slawen Swietopelk wieder zum Gehorsam zu zwingen.

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Swietopelk unterwarf sich Mitte 872 und schwor Treue. Er strebte weiter nach politischer Unabhängigkeit und versuchte, sich der deutschen Oberhoheit zu entziehen. Nur ein kleiner Teil seines slawischen Stammes bekannte sich zum Christentum und Swietopelk trachtete nach einer vom deutschen Kirchenverband separaten Landeskirche. Er verlangte christliche Missionare, die seinem Volk das Evangelium „in seiner Sprache predigen könnten“ und wandte sich in dieser Frage sogar an den byzantinischen Kaiser.

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Von Seiten der lateinischen Priester fehlte es nicht an Anfeindungen, doch Ludwig der Deutsche ging für einen Übergangszeitraum auf die Forderung ein, um seine Ostgrenze befrieden zu können. Denn Ludwig erkrankte Ende 871 so schwer, dass seine Umgebung und er selbst mit seinem baldigen Tod rechneten.

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Ludwig machte sich an das Erstellen eines Testaments, über dessen Inhalt bald in aufgeregter Form Gerüchte kursierten. Alle drei Söhne befürchteten, dass sie bei diesen Verfügungen zu kurz kommen könnten die jeweils anderen oder die deutsche Kirche bevorzugt werden könnten. Auf dem Höhepunkt dieser Krise wurde der König von seinem Ältesten Karlmann sogar gefangen genommen. Doch Ludwig der Deutsche erholte sich wieder, ein drohender Bürgerkrieg war abgewendet.

In diese Phase fällt eine erhebliche Verschiebung der Machtkoordinaten in Europa. Im September 871 starb der italienische König Ludwig II. überraschend während einer Rückreise von Rom. Er wurde nur 46 Jahre alt und war wie sein Bruder Lothar II. ohne eigenen Erben – Ludwig hatte nur Tochter, die nach italienischem Rechte nicht auf den Thron folgen konnten.

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Lothar II. nutzte die offene Situation sofort und nahm Besitz von Reich und Titel. Der Papst rief noch Karlmann von Baiern um Hilfe, Lothar den Weg durch die Alpen abzuschneiden. Doch Karlmann war wie erwähnt damit beschäftigt, sich auf die Durchsetzung seiner ostfränkischen Ansprüche im Falle des Todes seines Vaters vorzubereiten.

Als König über Lothringen und Italien unternahm Lothar II. nun einen zweiten Anlauf, den Papst zu der gewünschten Scheidung und Wiederverheiratung zu zwingen. Doch Nikolaus konnte auf die Unterstützung der west- und ostfränkischen Fürsten stützen, die allesamt den hohen Infamie-Wert des Lothringers, seine geballte Macht in der Mitte Europas, fürchteten. Nikolaus verschleppte die Verhandlungen in der Scheidungssache weiter bis zu seinem Tod im Juni 872. Auf ihn folgte in einer tumultartigen Erhebung Benedikt IV., der eine genauso feindselige Haltung gegen Lothar einnahm.

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Dass die Wahl der Römer auf Benedikt IV. fiel, war kein spontaner Zufall. Die Kurie wurde angetrieben von ihrer Sorge vor Umklammerung ihres Kirchenstaats durch den Lothringer König. Sie strebten eine Fortsetzung der bisherigen Politik an, dank des Rückhalts der anderen Karolinger-Könige die Angelegenheit um die Scheidung aussitzen zu können. Das wollte Lothar II. nicht akzeptieren. Jahrelang hatte er mit Nikolaus gefeilscht und verhandelt in einer für ihn eminent wichtigen Angelegenheit. Und nun sollte es mit einem neuen Papst damit wieder von vorne losgehen? Der Lothringer entschied sich für die schnelle Variante: Er setzte einen eigenen Papst ein, einen, der sich gefälligst entgegenkommender zeigen sollte: Innozenz II.

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Unterdes war im Osten eine neue Gefahr aufgetaucht. Die Mährer erhoben sich gegen die deutsche Herrschaft. Auf das Gerücht, ihr Herzog sei getötet worden sei, zwangen sie dessen Verwandten Sclagamar, einen Priester, die herzögliche Würde zu übernehmen. Mit ihm an der Spitze eröffneten sie den Kampf gegen die deutschen Besatzer. In Baiern sollte sich der deutsche Heerzug gegen die Mährer sammeln, doch König Ludwig erschien nicht mit Truppen bei Karlmann. Der Herrscher der Baiern schickte Männer los, um die Gründe für das Nichterscheinen seines Vaters herauszufinden. Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie erfuhren, dass der deutsche König gestorben sei. Sie kehrten wieder um.

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Die Kunde war richtig. Am 18. September 873 verschied Ludwig der Deutsche, schon seit einiger Zeit kränkelnd und von der Last der Jahre gebeugt, zu Frankfurt. Am nächsten Tag wurde seine Leiche im Kloster Lorsch beigesetzt. Bis zum Jahre 1615 sah man seinen marmornen Sarkophag dort in der Gruft der Kirche, seither ist jede Spur davon verschwunden. Zwei Jahre waren nach dem Tod von Italiens Ludwig II. (825-871) vergangen, nun war ihm sein Onkel Ludwig der Deutsche (806-873) in das Grab nachgefolgt. Unter dem Zepter Ludwigs des Deutschen wurden die deutschen Stämme zum ersten Mal vereinigt. Strenger Gerechtigkeitssinn sicherten die Ruhe im Inneren, rechtzeitiges und versöhnliches Eingreifen lähmte die Empörungsversuche seiner Söhne. Doch als Ludwig sein vielbewegtes Leben schloss, war die Lage des Reichs düster.

Der Tod seines Bruder befreite Frankreichs Karl den Kahlen von dem Alpdruck großer Sorge. Man erzählte sich sogar, dass er die Todesnachricht mit Jubel aufgenommen habe. Denn Ludwig wäre der alleine Erbe ihres gemeinsamen Neffen Lothar II. von Lothringen gewesen. Ganz Lothringen mitsamt des Unterkönigtums Burgund, sowie das Königreich Italien wären an den Deutschen gefallen.

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Wie das Gerücht ging, fasste dagegen Lothar II. den Plan, sich weiteres rechtsrheinisches Gebiet in sein Mittelreich zu holen. Immerhin war das ostfränkische Reich herrenlos geworden, zur Zerschlagung in Teilreiche bestimmt. Die Erben des deutschen Königs standen sich in neidischem Groll gegenüber.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 5. Juli 2016 20:28

3. Karlmann von Baiern (regiert 873-886)

Karlmann von Baiern als der älteste Sohn reagierte unverzüglich. Der Feldzug gegen die Mähren wurde abgesagt, er schickte sogar die in Baiern festgehaltenen Geiseln nach Mähren zurück. Die deutsche Herrschaft war hiermit abgeschüttelt worden. Für Karlmann war das ein verschmerzbarer Preis im Ringen um die ostfränkische Krone. Beherzt sicherte er sich die Thronfolge und verwies seine jüngeren Brüder auf ihre Plätze im Herzogtum Franken bzw. Schwaben.

Die gefährlichsten Reichsfeinde waren neben den Mährer noch immer die Normannen. Die Normannen erschienen 874 wieder in Lothringen. Ihre Raubscharen hatten sich unterdes im ergiebigeren Westreich herumgetrieben, ohne dass sie wirksam zurückgeschlagen werden konnten. Im Winter 875 schlugen sie ihr Quartier in Noyon auf. Ohne Verzug dehnten sie ihre Streifzüge bis zur Maas aus, Im Frühjahr zogen sie von der Oise an die Küste und liefen abermals in die Maas ein. Karlmann ließ Streitkräfte aufbieten. Bevor diese noch an ihrem Sammelpunkt Maastricht anlangten, setzten die Normannen in ihrem Rücken bei Lüttich über die Maas, drangen plündernd und mordend bis in die Nähe von Aachen und erbeuteten viele Proviantwagen. Die Führer des deutschen Heeres hielten Kriegsrat. Ihrer Überlegenheit sicher, waren sie nur darauf bedacht, die Normannenscharen nicht entschlüpfen zu lassen.

Am folgenden Morgen, es war der 25. Juni 875, brach das Heer mit fliegenden Fahnen zu ihrer Verfolgung auf und marschierte am rechten Ufer der Maas stromabwärts. Nach Überschreitung des bei Meeren mündenden Seulenbaches stieß es auf feindliche Vorposten. Ohne Befehl drängten die ungeordneten Haufen ihnen nach und prallten an die Schlachtreihen des normannischen Fußvolkes, das die wirre Masse zurückwarf und, nach ihrer Sitte mit lautem Schlachtgeschrei und Köcherrasseln zum Angriff vorgehend, in die Flucht jagte. Die einsprengende normannische Reiterei vollendete die Niederlage. Der Führer, der Erzbischof Sunderold von Mainz, und eine unzählige Menge edler Männer deckten die Walstatt. Die Sieger plünderten das deutsche Lager und kehrten beutebeladen zu ihren Schiffen zurück.

In dieser Krise schlug die Nachricht ein, dass Lothringens König Lothar II. am 12. Mai 875 verstorben war. Aus seiner Ehe war kein legitimer männlicher Nachkomme hervorgegangen, doch es gab die illegitimen Söhne Wido und Berengar. Beide waren in Italien aufgewachsen und hatten hier ihre Anhängerschaft. Es begann ein Kampf der Prätendenten um die Herrschaft in Italien. Karlmann konnte nach Lothars Tod ebenfalls Anspruch auf Lothringen, Burgund und Italien erheben und wurde nördlich der Alpen auch anerkannt, während er in Italien als barbarischer Ausländer gering geschätzt wurde. Wegen der Niederlage an der Maas konnte sich Karlmann zunächst nicht um die Lage im Süden kümmern.

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Diese schwer empfundene Niederlage zu rächen und das deutsche Reich von der Normannenplage zu befreien, bot Karlmann den Heerbann der Franken und Schwaben auf. Im folgenden Frühjahr 877 tauchten die dänischen Normannen wieder auf, dieses Mal drangen sie über die Elbemündung ein. Der König selbst übernahm die Führung des deutschen Heeres. Unerwartet rasch rückte es an die normannischen Verschanzungen heran. Zweifelnd zögerte Karlmann noch, ob er einen Angriff wagen könnte: ein Sumpf auf der einen, der Fluss auf der anderen Seite bot keinen Raum zur Entwicklung der Reiterei, und den Soldaten war die Kampfart der fränkischen Fußsoldaten bereits ungewohnt. Hohngelächter und Spottrufe auf die Niederlage am Seulenbach, die sich jetzt wiederholen werde, tönte ihnen aus den Verschanzungen der Normannen entgegen. Sie weckten den Zorn, spornten die Wut.

„Männer“, rief der König, „denkt an Gott, unter Gottes Schutz waret ihr unüberwindlich in der Verteidigung des Vaterlandes. Fasset Mut, denkt an das von den grausamen Feinden vergossene Blut eurer Verwandten, schuat auf die zerstörten Gotteshäuser eurer Heimat, seht die erschlagenen Diener des Herrn. Vorwärts Soldaten, ihr habt diese Missetäter vor euch, ich selbst steige vom Pferd und trage euch die Fahne voran. Mir nach, ihr rächt nicht unsere, ihr rächt die Gott angetane Schmach – vorwärts auf den Feind in Gottes Namen!“ Alt und jung sprang von den Pferden, zur Deckung des Rückens wurde eine Abteilung Reiterei detachiert. Mit lautem Schlachtruf stürmten die Deutschen gegen die Verschanzungen, mit lautem Geschrei empfingen sie die Normannen. Es wurde ein harter, wütender Kampf. Die Normannen, früher nie in ihren Verschanzungen überwunden, leisteten tapfere Gegenwehr. Bald aber blieb der Sieg den Deutschen, die Normannen flohen. Die Elbe in ihrem Rücken wurde ihr Verderben, sie wurden von den vordringenden Siegern in den Fluss gedrängt, haufenweise stürzten sie hinein, stauten ihn mit einer Vielzahl von Leichen. Der Sieg war ein vollständiger, im Kampf waren zwei Könige der Normannen gefallen. Fünfzehn Feldzeichen waren erobert worden, die dann nach Baiern gesandt wurden. Von der Masse der Feinde war kaum ein Mann übrig, der die Unglückskunde zu ihrer Flotte bringen konnte. Auf dem Schlachtfeld aber feierte das siegreiche Heer eine Dankesprozession für die Bewahrung des bedrohten Bremen vor den Normannen.

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Es war ein glänzender Sieg, den die Deutschen errangen, die deutsche Waffenehre war wieder hergestellt. Aber nicht sofort wurden die deutschen Lande von der Normannennot befreit. Durch die Schlacht bei Bremen war nicht das ganze normannische Invasionsheer, nicht einmal die ganze Feldarmee, besiegt worden. Wie die Flotte waren die auf Beutezügen befindlichen Streifcorps noch intakt. Man verstand zu siegen, man verstand aber oder vermochte es vielmehr damals mit den nur kurz an die Fahne gebundenen Aufgeboten nicht, den Sieg voll auszunutzen. Die Normannen landeten immer wieder an den Küsten der Nordsee und der Flussläufe, brandschatzten und verschwanden in aller Eile wieder.

Zugleich mit der Normannengefahr sah man im Osten drohende Wolken aufsteigen. Das Großmährische Reich hatte unter Zwentibold einen bedeutenden Umfang gewonnen. Der Papst nannte Zwentibold bald daher auch in einem Schreiben „König der Slawen“. Mit dem Papst stand Zwentibald, so wenig Beschwerden ihm auch sonst sein Christentum machte, auf gutem Fuß. Das Verhältnis zu dem deutschen König Karlmann musste sich dagegen zwangsläufig trüben. Der nationale Gegensatz zwischen dem deutschen und slawischen Reich war zu scharf, die immer nur noch schwer behauptete Oberhoheit des deutschen Königs war doch nur eine Formsache, der Herr des großmährischen Reichs war in Wirklichkeit unabhängig – und mächtig genug, seine Unabhängigkeit mit Waffen zu behaupten. Als Karlmann sich der normannischen Invasion erwehren musste, eröffnete auch Zwentibold die offenen Feindseligkeiten: Er verweigerte, vor dem deutschen König zu erscheinen.

Über diese Unbotmäßigkeit erzürnt, beschloss Karlmann ihn mit Krieg zu überziehen. Die Franken, Baiern und Schwaben wurden aufgeboten. Böhmen wurde durch vier Wochen mit Feuer und Schwert verheert. Auch hier war der Sieg der Deutschen deutlich, nur der kriegslustige Bischof Arn von Würzburg – der auf eigene Faust einen bewaffneten Streifzug durch Böhmen unternahm – wurde auf dem Rückweg von den Sorben angegriffen und mit dem größten Teil seiner Schar erschlagen. Militärisch waren die Mähren beileibe nicht geschlagen, der politische Wert des Feldzugs fraglich.

Karlmann war aber im Glück: Just in dieser Zeit starb Zwentibold, das deutsche Reich war eines gefährlichen Gegners ledig. Mit seinem Tod ging die Entschlossenheit der Mähren verloren. Seine Söhne Moimir und Zwentibald, die ihm in der Regierung folgten, beeilten sich, mit dem deutschen Reich Frieden zu schließen, wohl unter Bedingungen, welche die deutsche Oberhoheit wieder anerkannten. Böhmen wurde in diesem Zug dem Reich angegliedert und zum Teil zu den Herzogtümern Sachsen und Österreich gefügt.

Jetzt erst konnte Karlmann den Italienfeldzug wagen. Im Kampf der beiden Brüder hatte Wido das Kriegsglück bei sich. Er beseitigte Berengar und ließ sich in Pavia nach erfolgter Wahl der italienischen Fürsten zum König von Italien krönen. Durch das Anwachsen der Macht Widos fühlte sich Benedikt IV. bedroht und sah nach einem Retter aus. Hilfe sollte der deutsche König bringen. Benedikts Sorgen waren berechtigt, denn Widos Anhänger vertrieben den Papst aus Rom und hievten ihren eigenen Kandidaten auf den Heiligen Stuhl – Papst Formosus.

Nicht allein die Bedrängnis des Papstes, mehr noch forderte das Königtum Widos, welches die deutsche Oberhoheit abwies, ein Eingreifen zur Aufrechterhaltung der deutschen Machtsphäre. Karlmann entließ die Gesandten Benedikts mit der Zusage, ihrer Bitte zu willfahren. Sogleich wurde der Feldzug nach Italien vorbereitet. Mitten im Winter 875/76 zog Karlmann mit einem starken Heer über die schneebedeckten Alpen. Er hatte die Schwaben aufgeboten, da die Baiern die Grenze gegen die Mährer zu hüten hatten. Erst vor Bergamo kam das deutsche Heer in Italien zum Stehen, denn die Stadt verschloss ihre Tore. Den Befehl über die Stadt führte Graf Ambrosius, ein Parteigänger Widos. Als das Heer schließlich Bergamo einnahm, ließ Karlmann Gericht über die Feinde halten und den Grafen Ambrosius in seiner Rüstung an einen Baum hängen.

Das Strafgericht über Bergamo, das als rebellische Stadt behandelt worden war, erweckte solchen Schrecken in Italien, dass kein Widerstand sich zu regen mehr wagte. Selbst große Städte wie Mailand und Pavia ergaben sich dem deutschen Heer vor ihren Toren. Der Widerstand um Wido brach zusammen, Karlmann errichtete eine neue Ordnung in Italien. Rom jedoch leistete Gegenwehr, die Karlmann gewaltsam brechen ließ. Es war nicht die Treue zu Papst Formosus, denn der war in der Zwischenzeit bereits gestorben. Nein, Roms Bürger widersetzten sich den einem Pulk bewaffneter Invasoren aus dem Norden und pochten auf ihr Recht, selber einen Kandidaten für die Papstwahl zu benennen. Den ungeliebten Benedikt IV. wollten sie nicht zurückhaben. Für Karlmann war das eine nicht annehmbare Bedingung, immerhin hatte Benedikt ihm die Kaiserkrönung zugesagt, sobald sie gemeinsam in Rom eingezogen sein würden. Die Stadt wurde auf Befehl des Königs getürmt und von den deutschen Truppen geplündert. Dieses Ereignis erregte in der ganzen Christenheit ungeheures Aufsehen und Abscheu, in den Augen vieler war Rom erneut einem Barbarensturm zum Opfer gefallen.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 9. Juli 2016 17:55

Am nächsten Tag hielt Karlmann feierlich Einzug in Rom, Benedikt im Schlepptau. Im weiten Vorhof der Peterskirche führte der alte/neue Papst ihn in einer Prozession in die Kirche. Hier setzte er Karlmann die Kaiserkrone aufs Haupt und begrüßte ihn als Caesar Augustus. Es war dies im Oktober 876.

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Wido selbst war dem Kaiser nicht in die Hände gefallen, doch mit der Krönung in Rom hatte Karlmann sein Ziel erreicht. Trotz der Gefahr eines Wiedererstarkens seines Gegners zog sich das deutsche Heer zurück über die Alpen. Wieder schlug das Schicksal zugunsten von Karlmann zu: Wido strebte zwar danach, erneut Anhänger um sich zu scharen und nach Pavia zu marschieren, doch er verunglückte 877 auf der Jagd tödlich. Für Karlmann war Italien vorerst gesichert.

In Rom nahm Benedikt IV. Rache an seinem Gegenspieler Formosus und seinen Anhängern. Er ließ die Leiche seines Vorgängers wieder ausgraben, als dieser über neun Monate tot war. Bei der später so benannten Leichensynode kleidete er die stinkende Leiche in volles päpstliches Ornat, setzte sie auf den Thron im Lateran und schritt dann persönlich zum Verhör. Formosus wurde beschuldigt, widerrechtlich und in schismatischer Weise Papst geworden zu sein. Laut Benedikt IV. waren deshalb all seine Beschlüsse ungültig, besonders seine Ordination. Ein schnatternder Diakon antwortete für Formosus. Für schuldig befunden, wurde die Leiche als Gegenpapst verdammt, aller Kleider beraubt bis auf ein härenes Hemd, das an dem verwesten Fleisch klebte, und – minus der beiden Finger, mit denen sie ihren falschen apostolischen Segen erteilt hatte – in den Tiber geworfen. Die Leiche wurde von dem härenen Hemd wie konserviertes Fleisch zusammengehalten, von einigen Bewunderern des Formosus aufgefischt und still begraben.

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Das Volk war durch diese Scheußlichkeiten empört, es sah in dem misshandelten Toten bald einen Heiligen: Wunder sollen sich an seinem Grab mit der angeblich unversehrten Leiche ereignet haben. Die Römer erhoben sich in wildem Aufruhr. Benedikt IV. wurde festgenommen und im Gefängnis erwürgt. Sein Nachfolger Sergius III. verurteilte die Krönung Karlmanns zum Kaiser als unrechtmäßig, doch er starb zu bald, als dass sich seine Auffassung entfalten konnte.

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Bei Karlmanns Bruder, dem Schwabenherzog Karl der Dicke, zeigte sich 878 erneut die mysteriöse Krankheit, die die Karolinger Familienmitglieder des öfteren befiel. Zunehmend geplagt von epileptischen Anfällen, wurde Karl über die Jahre hinweg gesundheitlich schwächer und des Regierens überdrüssig. Schließlich starb er am 20. Januar 878 im Alter von 39 Jahren und hinterließ das Herzogtum seinem fünfjährigen Sohn Ludwig, genannt das Kind.

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In den folgenden Jahren hielt sich Karlmann in seinem bairischen Herzogtum auf, erneut geben nur wenige Dokumente Aufschluss über Regierungsaktivitäten in dieser Zeit. Es ist wahrscheinlich, dass auch Karlmann in dieser Zeit bereits schwer erkrankt und regierungsunfähig war. Offenbar wird dies durch den Umstand, dass die deutschen Fürsten bereits 884 seinen unehelichen Sohn Arnulf zur Regierungsübernahme einluden. Der Kaiser widersetzte sich seiner Quasi-Absetzung und marschierte mit seinem Heer Richtung Frankfurt, wo sich auch Arnulf zur Huldigung einfinden wollte.

Offenbar war Karlmann bereits vom nahenden Tode gezeichnet. Jedenfalls liefen seine Anhänger binnen weniger Tage in das Lager seines Sohnes, zur Seite des aufstrebenden Mannes, über. Arnulf gelangte nach Frankfurt und wurde dort im März 886 zum König „gewählt“. Alle deutschen Großen leisteten ihm die Huldigung. Von allen verlassen sah sich der Kaiser völlig ratlos und gebrochen. Er sandte Arnulf die Kreuzesreliquie – auf welche der Sohn ihm einst die Treue geschworen hatte - und ließ ihn mahnen, „eingedenk seines Schwurs nicht so wild und barbarisch gegen ihn zu handeln“. Arnulf soll zu Tränen gerührt gewesen sein, doch der vollendeten Tatsache gegenüber musste auch das persönliche Gefühl zurücktreten. Karlmann zog sich entthront nach Baiern zurück. Hier überlebte er seinen Sturz nur wenige Tage. Die genauen Umstände seines schnellen Todes am 24. März 886 wurden bald Gegenstand von Gerüchten, es ging umher, Karlmann sei erdrosselt worden. Im Volk erzählte man sich in der folgenden Zeit, dass sie den seiner irdischen Würde entkleideten Kaiser erblickt hätten, geschmückt mit der Krone des Himmels.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 16. Juli 2016 08:05

4. Arnulf von Kärnten (regiert 886-898)

Die Erhebung Arnulfs wurde von entscheidender Bedeutung. Sie setzte nicht direkt die Wahlmonarchie an Stelle des Erbreichs. Nicht ein fremdes Geschlecht wurde auf den Thron berufen, Arnulf war ein Karolinger. Aber er war ein außerehelicher Spross des Herrscherhauses. Seine uneheliche Geburt nahm ihm das Erbfolgerecht. Jetzt, da eheliche Nachkommen fehlten, trat Arnulfs Familienzugehörigkeit in den Vordergrund. Er wurde von den Fürsten als geeigneter Nachfolger edlen Blutes gesehen, deshalb wurde er zum König gewählt. Die Wahl ergänzte nur den Mangel an Erbrecht, die Huldigung anerkannte ihn als Herrn. Was die deutschen Fürsten in eigener Regie taten, konnte natürlich nicht bindend sein für die Westfranken. Das war ein entscheidender Schritt von einem geteilten Frankenreich zu zwei separaten Königreichen, nämlich dem der Deutschen und dem der Franzosen. Nur nach einer Seite griffen Arnulfs Ansprüche weiter, nach Italien. Und hier war es das verlockende Streben nach der Kaiserkrone, das ihn dazu bewog, das auch später das deutsche Reich nach diesem verhängnisvollen Erbstück des Karolingerreichs langen ließ.

Andererseits waren es die Fürsten des Reiches, nicht die Karolinger Könige, die für ein Ende des unumschränkten Erbrechts sorgten. Das traditionell geteilte Erbe wurde durch ihr Betreiben durch das Wahlrecht nicht nur ergänzt, sondern schließlich auch ersetzt. Denn die Teilbarkeit des Reichs und die unheilvollen Folgen dieses Erbrechts mussten sich jedem aufdrängen. Die Macht der Großen war gewachsen, es bildeten sich bereits territoriale Gewalten im Gegensatz zur Krone.

Die wichtigsten Fürsten des Reiches waren jene, die sich den Titel des Dux, des Herzogs, erworben hatten. Bedeutende waren zu dieser Zeit jene von Sachsen, von Schwaben, von Baiern und von Franken. Für den Karolinger Arnulf bildete Baiern sein Stammland, hier regierte er von Regensburg aus. Schwaben war mit dem Tod seines Onkels Karl dem Dicken (839-878) an dessen Sohn Ludwig das Kind (873) gefallen. Er war zu dieser Zeit der neben dem Frankenherzog Ludwig der Jüngere (835) – auch er ein Onkel Arnulfs – der einzig verbliebene Karolinger im Ostreich. Der Franke war mit 51 Jahren allerdings bereits betagt und hatte keine Kinder.

Eine besondere Rolle spielte das Herzogtum Sachsen - ausgerechnet Sachsen war zu einem starken Pfeiler des Reiches geworden. Das war erstaunlich angesichts der Tatsache, dass noch Arnulfs Ururgroßvater Karl der Große Sachsen in einem ersten „Dreißigjährigen Krieg“ mit Feuer und Schwert unterworfen und das Christentum aufgezwungen hatte.

Zusammengefunden unter eine starke Führung hatte Sachsen unter Graf Liudolf (806-866), einem politisch sehr aktiven Mann. Es gelang ihm schon damals, für die unerlässliche Grenzsicherung gegen die Däneneinfälle aus dem Norden den gesamten Adel Ostfalens zu einen. Wenig später stieß auch der Adel Engerns dazu. Ebenso garantierte Liudolf die Sicherung der Ostgrenze im sächsischen Bereich. Sein Name erhielt dadurch in kurzer Zeit weit über sein eigenes Territorium hinaus einen außergewöhnlichen Klang, seine Zeitgenossen sprachen von ihm vereinfachend als dem Dux, dem Herzog von Sachsen. Ein solcher Titel war damals noch nichts Feststehendes. Liudolf konnte so benannt werden, weil er die Markgrafschaft gegenüber den Dänen innehatte oder weil er als Befehlshaber das gesamte Heer führte. Schließlich wurde er auch förmlich von König Ludwig dem Deutschen als „Dux orientalum Saxonum“ bezeichnet. Der Zusammenhalt Sachsens unter Liudolf stand im Kontrast zum Niedergang der Karolinger – wohl ein Grund, warum Sachsen innerhalb von wenigen Jahrzehnten eine so bedeutende Rolle im Reichsverband einnehmen konnte. In einer anderen Form eine Besonderheit war Liudolfs Frau Oda aus dem Geschlecht der Billunger, die er 836 geheiratet hatte: Nachdem Liudolf im Jahre 866 starb, überlebte seine Gemahlin ihn um über fünfzig Jahre. Sie wurde nachweislich 107 Jahre alt.

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Liudolfs ältester Sohn Brun wird in den Fuldaer Annalen ebenfalls als Herzog bezeichnet. Ähnlich wie bei seinem Vater braucht diese Titelzuweisung nicht anderes zu bedeuten, als dass Brun Inhaber der herzoglichen Gewalt in Sachsen gewesen ist. Mehr ist nicht bekannt über ihn, auch von Nachkommen ist nirgends die Rede. Trotzdem war er offenbar ein Mann von Format, sonst hätte ihn die Legende wohl kaum mit der Gründung von Bruns-wiek, Braunschweig, in Verbindung gebracht und zum Ahnherrn des Adelsgeschlechts der Brunonen erhoben.

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An der Spitze der Familie stand aber sein jünger Bruder Otto. Otto war 877 zum Gaugrafen erhoben worden und galt wie sein Vater Liudolf als vorzüglicher Machtpolitiker. Man traute „dem Erlauchten“ - so sein Beiname - zu, sich unter Arnulf zu einem heimlichen Monarchen aufzuschwingen.

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Im Jahre 889 starb der Karolinger Ludwig der Jüngere ohne Nachkommen. Das Herzogtum Franken wurde damit ledig und zu einer umkämpften Trophäe zweier Geschlechter: Den Konradinern und der Babenberger. König Arnulf bevorzugte hierbei Konrad, den Namensgeber seines Hauses und übertrug ihm Franken. Vermutlich war Arnulfs Frau eine Angehörige der Konradiner. Die beiden edlen Geschlechter der Konradiner und Babenberger standen sich in Franken bald in unversöhnlicher Feindschaft gegenüber.

Gehässige Rivalität und erbitterte Eifersucht gaben, „wie aus ganz kleinen Funken ein ganzer Brand entsteht“, den Anlass zur Verfeindung. Jedes der beiden Geschlechter pochte auf den Adel seines Blutes, die Ansehnlichkeit seiner Verwandtschaft, den Reichtum seines Besitzes. Die Babenberger sahen sich gegenüber ihren Nebenbuhlern zurückgesetzt und in ihren Besitzungen und Grafschaften eingeengt. Vom Streit kam es zu blutigen Fehden, die dem Schwert unzählige Opfer lieferten. Gegenseitig verwüstete man sich das Land durch Raubzüge und Brandlegung, bei der auch das Bistum Würzburg verwüstet wurde. Selbst vor scheußlichen Grausamkeiten schreckte man nicht mehr zurück, wie Abhauen der Hände und Füße. In den 890er Jahren brachen beide Familien immer wieder den Landfrieden, so dass sich die Reichsregierung schließlich zu einer Tat aufraffen musste.

Die Konradiner standen dem königlichen Haus am nächsten. Der Babenberger Adalbert wurde zur Verantwortung auf eine Reichsversammlung in Tribur vorgeladen, erschien aber nicht. Ein Heer aus Franken und Schwaben wurde aufgeboten, der König musste selbst mitziehen, um Adalbert, weil er „in der begonnenen Rebellion hartnäckig verharrte“, in seiner Burg Theres am Main zu belagern. Adalbert leistete tapferen Widerstand, die Belagerung zog sich in die Länge. Als ihn auch Egino, bisher sein treuester Genosse, verriet und zu den Königlichen überging, ließ er den Mut sinken. Er öffnete die Tore der Burg, begab sich mit wenigen Begleitern in das königliche Lager und bot, um Verzeihung für den begangenen Friedensbruch bittend und Sühne gelobend, dem König freiwillig seine Unterwerfung an. Doch man sagte, dass er nur aus Hinterlist so handle. Seine Unterwerfung sei nur ein Trug, um sich aus seiner verzweifelten Lage zu retten und dann wieder zu seinem früheren Treiben zurückzukehren. Er wurde in Haft genommen, mit gefesselten Händen dem Heer vorgeführt und um Tod verurteilt. Sein Haupt fiel unter dem Schwert des Henkers. Seine Besitzungen wurden konfisziert und unter die Herren von hohem Adel aufgeteilt. Auch Egino erhielt für seinen Verrat ein Lehen gegeben. In Franken war jetzt Konrad der unumstrittene Herr und führte seitdem den Titel eines Herzogs.

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Im Mai 891 starb nach über fünfzigjähriger Herrschaft der westfränkische König Karl II. der Kahle (823-891). Von seinen drei Söhnen lebte zu dieser Zeit nur noch der älteste, Ludwig II. der Stammler (846), den Karl schon vor Jahren mit dem Unterkönigtum Aquitanien belehnt hatte. Der Übergang der Macht von Karl zu Ludwig gestaltete sich weniger glatt, als man das erwarten würde. Denn Ludwigs Anspruch wurde ihm streitig gemacht von der Fraktion der Robertiner, die sich sein Vater bereits zu Gegnern gemacht hatte.

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Dessen Namensgeber Robert der Tapfere war 866 im Kampf gegen die Normannen gefallen. Robert der Tapfere fiel 866 im Kampf gegen die Normannen. Darauf zog König Karl der Kahle die Lehen des Verstorbenen ein, statt ein Erbrecht der unmündigen Söhne anzuerkennen. Das Amt Roberts als Befehlshaber im Raum zwischen Seine und Loire und Organisator der Normannenabwehr übernahm Hugo der Abt, ein Vetter Karls des Kahlen aus dem Geschlecht der Welfen; er erhielt auch Roberts Grafschaften und Klöster und verdrängte damit Roberts Söhne. Erst 882 oder Anfang 883 erhielt Odo die Grafschaft Paris, nachdem deren vorheriger Inhaber, der Welfe Konrad, ein Vetter Hugos des Abtes, gestorben war. Während der Belagerung von Paris (885–886) durch dänische Wikinger organisierte Odo gemeinsam mit Gauzlin, dem Bischof von Paris, die Verteidigung der Stadt, womit er sich großes Ansehen erwarb.

Der Tod Hugos des Abtes am 12. Mai 886 ermöglichte Odo das Einrücken in die dadurch wieder vakant gewordenen Ämter seines Vaters, die Befehlsgewalt zwischen Seine und Loire und die Grafschaften Angers, Blois, Tours und Orleans. Außerdem wurde er wie schon sein Vater „Laienabt“, das heißt, er erhielt die Einkünfte von Klöstern als Pfründen. Dadurch wurde Odo zum mächtigsten der Großen in Neustrien. Den Titel eines Herzogs hat er aber nicht geführt; in den königlichen Diplomen erscheint er nur mit seinem einfachen Grafentitel.

Der französische Adel hatte wenig Vertrauen in die Fähigkeiten des Thronerben Ludwig II., seine bescheidenen militärischen Fähigkeiten hatte man bereits in Aquitanien kennengelernt. Angesichts der Normannengefahr hielten sie ihn für ein Risiko. Die Fürsten bevorzugten die Erhebung Odos durch einen Wahlakt und missachteten den Erbanspruch des Karolingers. In Frankreich verfügte Ludwig II. der Stammler mit Erzbischof Fulko von Reims jedoch über einen mächtigen Unterstützer.

Ein Sieg Odos über die Normannen im Juni 894 konsolidierte jedoch die Macht des neuen Herrschers. In dem Bürgerkrieg erwies sich Odo bald als überlegen. Odo suchte eine Verständigung mit Arnulf und traf im 895 in Worms mit ihm zusammen. Er erkannte einen Ehrenvorrang Arnulfs an, ohne dass dadurch die staatsrechtliche Eigenständigkeit des Westreichs beeinträchtigt wurde. Am 13. November 895 ließ sich Odo in Reims mit einer Krone, die er von Arnulf erhalten hatte, krönen. Nun konnte er die Anerkennung seiner Herrschaft durch die noch zögernden Großen im gesamten westfränkischen Reich erlangen; sogar Fulko fand sich damit ab.

Als 896/897 Frieden geschlossen wurde, unterwarf sich Ludwig II. der Stammler und anerkannte Odo als König, doch musste Odo Ludwig als seinen künftigen Nachfolger akzeptieren. Denn Odo hatte zwar ein Kind von seiner Gattin Theodrada, das jedoch früh starb. Daher hatte er keinen Thronerben. Aus diesem Grund stärkte er systematisch seinen jüngeren Bruder Robert; er überließ Robert nach seiner Wahl zum König seine bisherigen Grafschaften und verlieh ihm weitere Würden. Diese Stärkung der robertinischen Hausmacht und die auch sonst für willkürlich gehaltene Vorgehensweise Odos rief im Adel Unwillen hervor.

Graf Balduin II. von Flandern, der sich durch eine Entscheidung Odos benachteiligt fühlte, rebellierte. Odo vertraute die Stadt Laon seinem Vetter Waltger an, der jedoch den König verriet, zu Balduin überlief und ihm die Stadt übergab. Darüber war Odo so erbittert, dass er nach der Rückeroberung von Laon Waltger enthaupten ließ. Dem Verurteilten wurde sogar geistlicher Beistand vor dem Tod und ein christliches Begräbnis verweigert. Die Härte dieses Vorgehens löste weithin Entsetzen aus, und der Aufstand gegen Odo weitete sich aus. Seine Gegner, darunter insbesondere Fulko, erhoben am 28. Januar 898 nun Ludwig II. zum König und suchten bei dem ostfränkischen König Arnulf Unterstützung. Dieser taktierte zunächst herum. Am 1. Januar 898 starb Odo aber, und nach diesem Ereignis fand Ludwig II. allgemeine Anerkennung bei den französischen Fürsten. Auch Arnulf akzeptierte nun seinen karolingischen Verwandten. Die Machtstellung von Odos Bruder Robert blieb weiter erhalten und sollte noch lange ein Problem für Ludwigs Herrschaft darstellen.

Kaiser Arnulf überlebte Odo nur um einige Monate. Eine Krankheit legte die Tatkraft des Karolingers lahm, noch während er sich von einem Unfall erholte. Während eines Reichstags in Forchheim war das hölzerne Gebäude, in dem sich der Kaiser gerade befand, eingestürzt Arnulf war nebst vielen anderen schwer verletzt worden.

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Unfähig zu größeren Anstrengungen oder Reisen zog er sich zur Linderung seiner Leiden nach Baiern zurück. Die Hoffnung auf Genesung schwand, als ihn im Juni 898 ein Schlaganfall lähmte. Die abergläubische Beschränktheit und medizinische Unwissenheit jener Zeit, die noch an Zaubermittel und -tränke glaubte und für Fortschritt und Wirkung einer Krankheit andere, vor allem den Arzt, verantwortlich machte, forderte ihre Opfer. Man glaubte, dass dem Kaiser „von einigen Frauen und Männern etwas Schädliches gegeben worden sei, wodurch er gelähmt wurde“. Die Kurpfuscher mussten ihren Heilversuch teuer büßen: einer wurde als Majestätsverbrecher in Oetting enthauptet, ein zweiter entkam nach Italien, eine Frau endete am Galgen. Die Lähmung wurde dadurch aber nicht behoben.

Das einzige, was Arnulf politisch noch zu regeln hatte, war die Frage seiner Nachfolge. Da er selbst ohne Nachkommen geblieben war, forderte er die deutschen Fürsten auf, seinen Cousin Ludwig das Kind – der letzte der deutschen Karolinger – zum König zu wählen. Ludwig war bereits Herzog von Schwaben und wurde in seinem Thronanspruch unterstützt von Herzog Reginar von Brabant, den Konradinern in Franken sowie dem Salier Werner II. von Niederlothringen. Unter den Befürwortern des jungen Karolingers fand sich nicht der Sachse Otto der Erlauchte.

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Es war das letzte Aufflackern der Tatkraft Arnolds gewesen. Am 24. Juli 898 erlag er in Regensburg seinem Siechtum. Arnulfs Regierung bildete für Deutschland einen Markstein: durch seine Erhebung endete der automatische Erbanspruch der karolingischen Monarchie, das ostfränkische Reich wurde zum deutschen Reich. Mit der nominellen Oberherrlichkeit über die losgelösten Reiche (Ostfranken, Italien und Burgund) sich begnügend, konnte er sich auf die wichtigen Aufgaben in den deutschen Landen konzentrieren. Er schlug die Normannen zurück, hielt die Slawen untertänig und schuf im Inneren mit fester Hand für Ordnung. Ob sein Cousin Ludwig der Bürde der Krone gewachsen sein würde, war noch unklar.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 22. Juli 2016 18:41

5. Ludwig III. das Kind (regiert 898-937)

Quälende Sorgen mögen Arnulf in seinem Siechtum gedrückt haben, wenn er an die Zukunft des Reichs und seines Cousins dachte, dem als junger Mann eine Krone zufiel und mit der Krone Aufgaben, deren Bewältigung die volle Kraft eines weitsichtigen Mannes erfordert hätte. Ludwigs Beiname „das Kind“ wird ihm schon von den Geschichtsschreibern der nächsten Folgezeit gegeben. In der Reihe der deutschen Könige in dieser Partie ist er Ludwig III. (historisch: Ludwig IV.).

Als der einzige verbliebene Karolinger war Ludwig der unbestrittene Erbe des Reichs. Am 4. Oktober 898 empfing er in Forchheim erneut die Huldigung der Großen des Reichs. Bald schon zeigte sich, dass Ludwig ein leicht zu beeinflussender Mann war, dem die persönliche Reife für dieses Amt fehlte. Urkunden wurden stets in seinem Namen ausgestellt, und ihre Verfasser hatten größten Einfluss auf die Reichsgeschäfte. Offiziell traten diese Personen als „Intervenienten“ auf, die Fürsprache beim König eingelegten. Ludwig wurde von ihnen bei seinen Entscheidungen „beraten“. Unter den „Fürsprechern“ nahm die hohe Geistlichkeit die erste Stelle ein. Ihr Einfluss, ihre Macht, nun nicht mehr durch die Macht der Krone eingeengt, hob sich mehr und mehr. Unter der Geistlichkeit waren es wieder die beiden Taufpaten des jungen Königs, Bischof Adalbero von Augsburg, sein „lieber Lehrer“ und „eifriger Erzieher“, und Erzbischof Hatto von Mainz, sein „teuerster geistlicher Vater“, dessen Rat und Unterstützung der König nicht entbehren könne. Von den weltlichen Fürsten tauchten die Grafen seiner bairischen Heimat auf, dazu die Konradiner Frankens, solchermaßen an der Seite Ludwigs auf. Die geistlichen Herren, wahrscheinlich auch die weltlichen, vergaßen keineswegs dabei für sich selber und ihre Kirchen zu sorgen. Es gab reichlich Schenkungen zu Lasten des Kronguts. Der Eindruck drängte sich auf, dass gewisse Herren die Geschäfte unter sich ausmachten, von denen der König auf dem Thron nicht viel verstand.

Es war nur eine Frage von wenigen Monaten, bis sich die zurückgesetzten weltlichen Fürsten mit ihren Beschwerden an den König selbst wandten und ihn in unverschämt nachdrücklicher Weise zur politischen Kurskorrektur aufforderten.

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Zu Ludwigs Bestürzung konnte er sich nicht auf seine bairischen Grafen stützen, als es darum ging, die innere Krise des Reichs zu bewältigen, nachdem er die Forderungen der Herzöge schroff zurückwiesen ließ. Denn die östliche Grenze von Baiern sah sich einer Gefahr ausgesetzt, die in seiner Wucht bisher nicht dagewesen war. Dort zeigten sich Feinde, wie sie vordem nicht einmal die Normannen gewesen waren: die Ungarn.

Die Ungarn, oder Magyaren, wie sie sich selbst nannten, gehörten der ural-altaischen Völkerfamilie an, und zwar dem finnisch-ugrischen Zweig derselben. Von ihren ursprünglichen Wohnsitzen an der mittleren Wolga und am Ural waren sie, noch ein Nomadenvolk, gleich den ihnen blutsverwandten Hunnen und Awaren gen Westen gezogen und hatten sich in den weiten Steppen zwischen Don und Dnjepr niedergelassen. Ihr Oberhaupt kam aus der Familie der Arpaden, daneben behielten die einzelnen Stämme ihre Häuptlinge. Im Jahre 862 erschienen sie erstmals an der deutschen Ostgrenze, in den folgenden Jahrzehnten bedrängten und plünderten sie vor allem Mähren und Pannonien.

Nachdem die Magyaren 893 von den Bulgaren geschlagen worden waren, zogen sie mit ihren Reiterscharen notgedrungen weiter nach Westen und nahmen Pannonien in ihren Besitz. In den folgenden Jahren ließen sie sich im Tiefland zu beiden Seiten der Theiß nieder, das Land kannten sie von ihren früheren Raubzügen. Diese entvölkerte Gegend hieß seit der Niederwerfung und Verwüstung durch Karl den Großen die „Awarenwüste“, sie war quasi kampflos einnehmbar. Das nomadische Leben der Ungarn und ihr Kampfstil waren den Deutschen fremd und unheimlich. Während die Deutschen mit dem Schwert Mann gegen Mann kämpften, waren die Ungarn kühne Reiter, die mit Schwert, Wurfspieß und Bogen bewaffnet waren. Sie überschütteten ihre Feinde mit Pfeilen und zogen sich auf ihren schnellen Pferden zurück. Durch verstellte Flucht lockten sie ihn aus fester Stellung, immer hatten sie eine starke Reserve im Hinterhalt. Wenn die Niederlage entschieden schien, stürmte diese plötzlich auf den nachdrängenden Feind ein und durchbrach seine Reihen. Auf der Walstatt gaben sie kein Pardon, auf ihren Raubzügen erschlugen sie die Männer und alten Weiber und schleppten die jungen Frauen mit sich fort. Gehöfte zündeten sie an und raubten, was mitzunehmen war. So schlimm waren sie, dass die Deutschen sie gelegentlich mit den prophetischen Völkern Gog und Magog verglich, die am Ende der Welt erscheinen sollen, um allen Tod und Verderben zu bringen.

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So lange Arnulf lebte, blieb das deutsche Reich noch von den Ungarn verschont. Mit ihrer ganzen Streitmacht waren sie in den 890ern in Italien eingefallen und brachen bis Pavia vor. Nachdem sie die Lombardei geplündert hatten und Venedig erfolglos zu nehmen versuchten, zogen sie sich nach Pannonien zurück. Das deutsche Grenzland sah nun, an der Jahrhundertwende, die gleichen Gräuel. Zunächst hatten die Grenzmarken an Donau und Enns Schlimmeres verhütet, das entmutigte die Ungarn jedoch nicht. Kaiser Arnulf war nun tot, das Deutsche Reich in der Krise und die Ennsburg wurde zu einer überwindbaren Hürde. Jetzt rächte sich nicht nur, dass man die Awarenwüste sich selbst überlassen hatte. Auch der Niedergang des von den Deutschen bekämpften mährischen Reichs bedeutete, dass ein wichtiger Puffer zu den Ungarn entfallen war. In den folgenden zehn Jahren wurden die Ostmark und Baiern immer wieder Ziel der ungarischen Einfälle – eine Schwächung des bairischen Hausguts von König Ludwig mit bedeutenden Konsequenzen.

Das Glück war Ludwig III. beim Kampf gegen die Fürstenopposition im Reich hold, denn die Sachsen blieben dem Aufstand fern. Der Grund dafür lag in der Krankheit des Herzogs Otto des Erlauchten, des mächtigen Fürsten im Norden des Reiches. Ihm boten die weltlichen Fürsten, die gegen Ludwig III. standen, die Krone an. Otto jedoch wies dies zurück und verwies auf sein Alter bzw. seine bereits schlechte Gesundheit. Um die Machtübertragung in Sachsen auf seinen kleinen Sohn Heinrich nicht zu gefährden, blieb der Liudolfinger dem Abenteuer des Aufstands fern. Tatsächlich starb Otto der Erlauchte im März 901.

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Auch von westfränkischer Seite griff man nicht in den deutschen Bürgerkrieg ein. Für Ludwig II. den Stammler wäre die Gelegenheit günstig gewesen, denn unter den deutschen Fürsten vor allem im linksrheinischen Bereich gab es manchen, der ein Eingreifen des Karolingers begrüßt hätte. Lieber wollten sie einen energischen Nachfahren Karls des Großen auf dem deutschen Thron sehen - auch wenn dieser von Paris aus regierte - als den schwachen Ludwig III. als König zu akzeptieren. Hier scheint noch einmal der Gedanke des einheitlichen Frankenreichs durch. Ähnlich wie bei dem Hoffnungsträger Otto von Sachsen schlug auch hier das Schicksal zugunsten des deutschen Königs zu: Ludwig der Stammler starb einen Monat nach Otto im April 901. Gemäß seiner Verfügung erbten seine beiden seine beiden Söhne Jourdain (*879) und Bouchard (*882) die Teilreiche Westfranken bzw. Aquitanien. Die mit dem Regierungswechsel verbundene Teilung bedeutete, dass von dieser Seite vorerst nicht mit einem Eingreifen in die deutsche Politik zu rechnen war.

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Während Ludwig III. dank dieser Ereignisse im Kampf um den Erhalt seiner Macht die Oberhand gewann, rief er einen Heerbann der Schwaben, Franken und Baiern gegen die Ungarn zusammen. Das Aufgebot bedrohte jeden mit dem Galgen, der sich der Dienstpflicht entziehen würde. Zuerst stießen die Schwaben mit den Ungarn zusammen, sie wurden unter großen Verlusten geschlagen. Auf dem Lechfeld bei Augsburg stellte sich das Hauptheer den Ungarn entgegen. Die Deutschen kämpften wacker, schon schien ihnen der Sieg zu winken, als sie sich durch verstellte Flucht der Ungarn zur Verfolgung und zur Lockerung der Reihen verleiten ließen. Die im Hinterhalt gehaltene Reserve stürmte auf sie ein, die Fliehenden wandten sich zurück und richteten unter den Deutschen ein Blutbad an. Die Schlacht war verloren, die Ungarn zogen unbehelligt mit ihrer Beute heim.

Die Niederlage auf dem Lechfeld machte deutlich, dass der Sieg, den Ludwig III. schließlich gegen seine deutschen Gegner davontrug, nicht über die grundsätzliche Schwäche des Deutschen Reiches hinwegtäuschen konnte. Im Januar 902 unterwarfen sich die Empörer dem König und erhielten von ihm Gnade. Die Befestigungen der Ostgrenze aber waren in den Kriegswirren verfallen, das Reich wies eine offene Flanke auf, in die die Ungarn von nun an Jahr für Jahr ungehindert einfallen konnten.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 27. Juli 2016 19:50

Es ging sogar das Gerücht um, dass durch die Niederlage bei Augsburg die Deutschen den Ungarn jahrelang tributpflichtig geworden seien. Angesichts der wiederholten Raubzüge der Ungarn darf man das in das Reich der Fabeln verorten. Für lange Zeit war Augsburg ein letzter Versuch, mit gemeinsamer Kraft den gemeinsamen Feind abzuwehren. Unter der Regierung Ludwigs III. erlahmte die Zentralgewalt, unfähig die Aufgaben des Reichs zu erfüllen, die Macht des Reiches dafür einzusetzen. Was einst die Römer zur Sicherung der eroberten Gebiete, zum Schutz gegen den Einbruch der Barbaren geleistet hatten, das zu leisten war das mittelalterliche Staatswesen außerstande. So war nach der Zertrümmerung des Awarenreichs von Staats wegen nicht geschehen jene weiten und fruchtbaren Gebiete der mittleren Donau und Theiß, das Dakien der Römer, für die Zukunft und das Reich zu wahren, die Ungarn konnte die herrenlose Awarenwüste in Besitz nehmen und sich ungestört an den Reichsgrenzen festsetzen. Die einst unter den Römern starken Verteidigungswerke entlang der Donau waren verfallen. Die Reichsregierung überließ die Abwehr der Feinde dem einzelnen Stamm, dem Lande, das angegriffen wurde. Die zersplitterten Kräfte mussten einzeln unterliegen. Und wenn bei einem Angriff dann doch das Reichsheer zusammengerufen wurde, waren die Ungarn militärisch viel zu schnell unterwegs, als dass der schwerfällige Heerbann sie stellen konnte. Auf sich allein gestellt, suchten die Angegriffenen ihr Heil in der Flucht. Wer sich retten konnte, versteckte sich in den Wäldern oder auf unzugängliche Felsen. Jedes Jahr tauchten die Ungarn im Osten des Reiches auf und machten Beute. 902 plünderten sie Baiern und Schwaben, 903 verheerten die Fulda und drangen bis Thüringen und Sachsen vor, 904 tauchten sie in Franken auf, 905 zogen sie bis Basel. Schwer wog für den König der Verlust seines Parteigängers Konrad von Franken, der 905 an den Folgen einer Verwundung verstarb, die er sich in einem Gefecht mit den Ungarn zugezogen hatte. Historisch wäre diesem Charakter übrigens bestimmt gewesen, als Konrad I. der Nachfolger des amtierenden Ludwigs zu werden.

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Ludwig III. konnte in dieser Zeit nur in eigener Sache einmal mit Macht auftreten, und zwar im August 903, als er das Erzbistum Trier im Handstreich besetzte und seinem westfränkischen Verwandten König Jourdain entriss. Da konnte Ludwig im Herbst des Jahres 903 mit einem großen Gefolge nach Westen, zur Maas reiten. In seiner Begleitung befanden sich die wichtigsten Würdenträger des Reiches, Bischöfe und Grafen, unter anderem der Mainzer Erzbischof Hatto (ein zwielichter Charakter und Machtmensch). Die Maas bildete die Grenze zwischen dem Deutschen Reich und Westfranken. Gegenüber am linken Ufer lagerte der französische König Jourdain.

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Am 7. November des Jahres 903 begab sich Ludwig III. auf ein Schiff, auch der westfränkische König auf der anderen Seite ging an Deck seines eigenen Schiffes, die beiden Herrscher fuhren bis zur Mitte des Stroms und legten dort an einem dritten, fest verankerten Schiff an. Ihr stattliches Gefolge von geistlichen und weltlichen Fürsten begleitete sie zu den Verhandlungen. Die Könige begrüßten sich mit Umarmung und Kuss, das war feste Tradition bei den Herrscherbegegnungen, sie tauschten kostbare Geschenke aus. Die Mitte von Grenzflüssen war von jeher ein besonders beliebter Ort für Verhandlungen. Ursprünglich wurde er aus Sicherheitsgründen bevorzugt, weil er sich exakt in derselben Entfernung von den an den Ufern lagernden Heeren befand. Dieser Grund wurde auch in der Urkunde vom November 903 genannt, denn beide Könige führten miteinander Krieg.

Ludwig und Jourdain trafen sich, um den Streit und die Kämpfe, die wegen Trier ausgebrochen waren, beizulegen. Der westfränkische König hatte in den vergangenen Jahren versucht, Lothringen für sich zurück zu gewinnen. Doch der lothringische Adel betrachtete seine Zugehörigkeit zum Deutschen Reich nur als ersten Schritt zur eigenen Unabhängigkeit. Mit Waffengewalt war nun um die Neubesetzung des Erzbistums Trier gestritten worden, beide Könige beanspruchten das Recht der Kandidatenkür für sich. Die Tatsache, dass sie sich in der Mitte der Maas trafen, lässt bereits darauf schließen, dass sie sich in Vorverhandlungen auf eine Einigung verständigt hatten. Jourdain akzeptierte die De-jure-Zugehörigkeit von Trier zum Deutschen Reich und erhielt von Ludwig dafür eine Garantie der bestehenden Maas-Grenze.

An diesem Tag kam es zur Unterzeichnung eines Vertrags der Einmündigkeit und der gemeinschaftlichen Freundschaft (amicitia). Beide Könige legten einen Eid ab, gefolgt von ihren Großen im Gefolge. Mit dem Abkommen war Lothringen im Osten eingegliedert. Jourdain akzeptierte diese Situation vorläufig. Der Vertrag vom 7. November besiegelte die Trennung des karolingischen Regnum Francorum in zwei eigene Reiche und bedeutete rückblickend den Auftakt zur Entwicklung zweier selbstständiger Staaten, des deutschen und des französischen.

Innerhalb des Deutschen Reiches sah Ludwigs Situation viel düsterer aus. Je mehr die Zentralmacht erschlaffte, je unfähiger sie sich erwies, das Reich nach außen zu schirmen, im Inneren Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, desto mehr mussten im Reich die Sondergewalten erstarken. Die Notwendigkeit der Selbsthilfe, des stärksten Hebel der Selbstständigkeit, stellte Männer an die Spitze der einzelnen Stämme, welche, den edelsten Familien ihres Landes entstammend, durch ihre amtliche Stellung hervorragend oder mit reichem Besitz ausgestattet, die Tatkraft und Macht hatten, dem wehrlosen Volk Schutz zu gewähren, den die Reichsregierung nicht zu geben vermochte. In den deutschen Stämmen lebte immer ein starkes Sondergefühl. Es erstanden wieder die Stammesherzöge, die sich ihr Anrecht selbst schafften. Je mehr sie ihre Befugnisse ausdehnten, desto mehr drängten sie die Zentralmacht zurück. Die Krone suchte als Reaktion eine Stütze in der Geistlichkeit.

In Sachsen hatten die Liudolfinger längst eine wahrhaft herzogliche Stellung inne und sie unter der Regierung der letzten Karolinger, die den Sachsen fremd blieben und das Land kaum noch betraten, mehr und mehr befestigt. In Franken waren die Konradiner an die Macht gelangt und führten den Herzogtitel. In Lothringen führten die Welfen die Regierungsgewalt usw. - im Inneren wurde es für den König ein steter und erfolgloser Kampf gegen die territorialen Herren, deren Macht sich nicht mehr zurückdrängen ließ.

Unter diesen Umständen wird klar, dass die Herzöge nicht mehr die Auffassung der Karolinger teilten, die das Reich als ihr Privateigentum betrachteten, das unter den ehelichen Söhnen vererbt wurde. Oder, wenn diese fehlten, unter den erbberechtigten Verwandten gleichmäßig aufgeteilt wurde. Dieses Teilungsprinzip, dessen unselige Wirkung das Frankenreich schon unter den Merowingern zur Genüge erfahren hatte, führte auch dessen Zersplitterung und Auflösung unter den Karolingern herbei. In der Einheit des Kaisertums war ein mächtiger Anstoß auch zur Wahrung der Einheit des Reiches gegeben. Die Karolinger selbst waren nicht dazu in der Lage, diese Einheit durch ein Staatsgrundgesetz sicherzustellen.

Das Erbrecht der Karolinger wurde 886 durch die Erhebung Arnulfs durchbrochen, aber nur zum Teil. Er selbst betrachtete sich trotz der Illegitimität seiner Geburt als den berechtigten Erben. Den Mangel seines Anrechts hatte die Wahl ergänzt. Sein ehelich geborener Cousin wurde wieder der Erbe des Reichs. Da er der einzig verbliebene Karolinger war, konnte eine Teilung nicht in Frage kommen. Aber auch Ludwig III. wurde durch einen Wahlakt auf den Thron erhoben, dafür sorgte die gewachsene Macht der Fürsten. So trat das Wahlrecht an die Stelle des Erbrechts – es wurde eine Persönlichkeit, nicht auch dessen Geschlecht auf den Thron gehoben. War früher die Person des Herrschers, nicht das Reich und sein Interesse sein Angelpunkt gewesen, so war jetzt das Reich das Feststehende, das Wechselnde der Herrscher, wenn auch durch die Wahl das Reich bei derselben Familie blieb. Der Gewählte war nicht mehr Erbherr des Reichs, das Reich nicht mehr sein teilbarer persönlicher Besitz, in der Wahl lag auch die Unteilbarkeit des ihm nur zur Regierung übertragenen Reichs.

Dadurch wurde auch das Kaisertum von der Höhe seiner Idee herabgedrückt. Es repräsentierte nicht mehr die Universalmonarchie, die Kaiserkrone fiel nur einem Teilreich zu, ohne die anderen gleichberechtigten Teilreiche ihm unterzuordnen. Die Verleihung der Kaiserwürde war nicht mehr Sache zwischen Vorgänger und Nachfolger innerhalb der Familie, die Verleihung wurde ein päpstliches Recht, die Krönung in Rom zu einer Notwendigkeit.

In der Konsequenz vollzog sich eine bedeutsame Entwicklung in der Stellung der Grafen. Die Grafschaft, früher nur ein persönliches Amt, begann zum vererbbaren Lehen zu werden. Hatte noch Karl der Große ein uneingeschränktes Ernennungsrecht geübt, so war es schon unter seinen Nachfolgern Regel geworden, nur Männer aus den angesehensten und reich begüterten Familien zu Grafen zu bestellen. Das Grafenamt mit seinen ergiebigen Einkünften und bedeutenden Machtbefugnissen wurde für den Adel und durch den Adel monopolisiert. Die Grafen trachteten danach, die Grafschaft für ihre Familien zu erhalten. Schon wurden die Bezeichnungen für Amt (honor) und Lehen (beneficium) als gleichbedeutend nebeneinander gebraucht. An die eher geographische Bezeichnung des Gaues trat die Verwaltungseinheit der Grafschaft. Nicht selten wurden mehrere Grafschaften in einer Hand geführt, zunächst aus militärischen Gründen zur besseren Überwachung der Grenzen in den Marken. Durch die Vererblichkeit der Grafschaft bildete sich in der Folge eine fest geschlossene Aristokratie, die Besitz und Ämter an sich zog. Es begann die Zeit der Dynastien des Hochadels.

Die schwache Zentralmacht des Königs und der äußere Druck durch die Ungarn zwangen die deutschen Fürsten dazu, selbstständig Maßnahmen zum Schutz ihrer Ländereien zu ergreifen. Als Baiern im Frühjahr 912 zum wiederholten Male das Ziel eines ungarischen Raubzugs wurde, suchte Herzog Arnulf von Baiern den Ausgleich mit ihnen.

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Er vereinbarte mit dem Fürst Arpad, dass seine Horden jederzeit ungehindert durch Baiern ziehen dürften, solange sie sich hier friedlich verhielten wie in ihrem eigenen Land, sich keinerlei Übergriffe zuschulden kommen ließen und insbesondere nicht plünderten. Dass sich Arnulf mit dieser Politik den Ungarn fast freundschaftlich annäherte, betrachteten die anderen Herzöge als Verrat. Unter dem Gesichtspunkt der Sorge um sein Herzogtum und seine Untertanen waren Arnulfs Bemühungen verständlich, die Baiern quittierten es mit Genugtuung, dass für ihr Land die unmittelbare Ungarngefahr gebannt war. Doch ebenso offenkundig war, dass Arnulfs Vereinbarungen fast ausschließlich zu Lasten der anderen deutschen Stämme gingen, denn Baiern bildete nunmehr kein Bollwerk mehr gegen die Ungarn. Der magyarische Staatsverband besaß aufgrund des Rechts auf freien Durchzug seiner Reiterheere durch Baiern seit 912 militärisch eine gemeinsame Grenze mit den Schwaben und Sachsen – und sie setzten es darauf an, die Fähigkeit zur Selbstverteidigung dieser Stämme auszutesten. Die Ungarn zogen den richtigen Schluss, dass sie gerade jetzt ihre Unternehmungen in deutsches Gebiet nicht einstellen durften, sondern sie intensivieren mussten, um den Zerfall des deutschen Reiches zu fördern. Den Tiefpunkt der Zwietracht folgte 916, als König Ludwig gegen das bairische Regensburg zog und Arnulf sich mit seiner Familie und einem größeren Gefolge zu den Ungarn absetzte.

Die Ungarn hätten sich keine bessere Entwicklung wünschen können. Herzog Arnulf war aufgrund seiner Feindschaft mit dem König nunmehr geradezu ihr Verbündeter, Süddeutschland für sie ein offenes Feld für ihre Unternehmungen. König Ludwig III. hatte viel zu viel zu tun, die innere Zerrissenheit in seinen Gebieten zu bändigen, um den Magyaren entgegen zu treten. Sie konnten folgern, dass sie es in absehbarer Zeit nicht mehr mit einem Reichsheer aus den Aufgeboten aller deutschen Fürsten zu tun haben würden. Getrennt voneinander waren diese aber nicht in der Lage, den Ungarn die Stirn zu bieten. Herzog Arnulf stand auf magyarischer Seite, die Schwaben befanden sich in Aufruhr, Lothringen war aus dem Reichsverband quasi abgesprungen. Der einzige Fürst mit Gewicht herrschte in Sachsen, das war auch den Ungarn bekannt. Und genau dorthin zogen sie durch Thüringen, um die Machtprobe zu suchen. Der sächsische Herzog Heinrich war zwischen ihnen und den Normannen aus Dänemark eingeklemmt. Die Schnelligkeit und Wucht der Ungarn wirkte in Sachsen wie ein Schock. Die deutsche Kriegsführung mit leichten Fußsoldaten erwies sich als weit unterlegen gegen die Reiterheere der Magyaren. Heinrich hatte kein Zutrauen zu seinen Kriegern, denn sie waren wenig geübt und an eine offene Feldschlacht mit einem so wilden Volk nicht gewöhnt. Es schien, dass das deutsche Königreich vor dem Zerfall stand.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 31. Juli 2016 20:55

König Ludwig III. war inzwischen über 50 Jahre alt und 27 Jahre auf dem deutschen Thron, als er 924 eine spektakuläre Wende in seiner Politik vollzog. Es waren acht Schritte, die er zu unternehmen hatte, um das ungarische Joch abzuschütteln. Acht Schritte -

1. Zeit gewinnen

Ludwig III. spielte für den ersten Schritt das Glück in die Hände. Im Zuge eines überraschenden Überfalls gelang es Herzog Heinrich von Sachsen, einen der namhaftesten ungarischen Fürsten und Heerführer gefangen zu nehmen. Zweifellos handelte es sich um einen Angehörigen des regierenden Arpadenhauses. Sein Name war wohl Zolta, der jüngste Sohn von Fürst Arpad. Zolta hatte im Jahre 904 eine mährische Fürstentochter geheiratet und wurde 906 der erste ungarische Statthalter in Mähren. Der Fürst wurde vor den Herzog gebracht. Hier drohte er in dem Verhör: „Wir sind die Rache des großen Gottes, von ihm über euch zur Geißel erkoren. Und alle, die wir von den eurigen töten, werden uns im Jenseits dienen“. Nach einem kurzen Gespräch ließ Ludwig den Gefangenen einkerkern. Die Ungarn ließen nicht lange auf sich warten und boten Lösegeld für seine Befreiung an. Heinrich lehnte den Tausch ab und verhandelte lange, bis tief in das Jahr 925. Er war entschlossen, die Geisel, an der den Magyaren so viel lag, nur gegen ein Lösegeld einzutauschen, dessen Wert alles übertraf, was sich mit Gold aufwiegen ließ. Schließlich sicherten die Ungarn für die Freilassung ihres Fürsten in einem Vertrag zu, dass in den kommenden neun Jahren zwischen ihnen Frieden herrschen würde. Die Waffenruhe bezog sich nicht nur auf das Herzogtum Sachsen, sondern auf alle Länder des Deutschen Reiches. Schwaben und Baiern waren also in diesen Vertrag einbezogen. Dies musste Heinrich in Rücksprache mit dem König abgeschlossen haben, denn Ludwig III. denn der erklärte als Unterpfand und Garantie, den Ungarn einen jährlichen Tribut zu leisten. Die Laufzeit des Tributvertrags begann 926. Damit gewann der König die wichtigste Vorbedingung überhaupt, die es für eine langgeplante Sicherung des Reiches überhaupt gab.

Beide Seiten waren durch diese Vereinbarung zufriedengestellt. Die Ungarn hatten keineswegs das Empfinden, übervorteilt worden zu sein. Unter dem Gesichtspunkt der Qualität waren Beutezüge nach Italien oder Frankreich erheblich lohnender als Einbrüche in das ärmliche deutsche Gebiet. Die dichten Wälder und das härtere Klima machten das Reich auch weniger attraktiv für Feldzüge samt Pferde. Die Ungarn befanden sich zu dieser Zeit zudem sowieso in einer Phase, da sie ihre militärischen Kräfte überspannt hatten.

Der deutsche König ging eine Verpflichtung ein, die eigentlich einen erheblichen Schatten auf seine Reputation werfen musste: Er war dem Großfürsten des Ungarnreichs tributpflichtig. Mehr noch: Die Last, die in Goldmünzen zu leisten war, war so groß, dass Ludwig III. bei allen deutschen Fürsten Sondersteuern eintreiben musste, um sie stemmen zu können. Trotzdem verübelten die Großen des Deutschen Reichs diesen Schritt ihres Königs nicht. Das klingt ungewöhnlich, denn man verurteilte noch immer das frühere, ähnliche Handeln von Kaiser Arnulf und Herzog Arnulf von Baiern. Der Unterschied war: Der Kaiser hatte seinerzeit mit Tribut an die Ungarn die Flanke freigehalten für einen Feldzug gegen die Mähren, es galt also einem taktischen Vorteil. Arnulf von Baiern hatte durch Tribut Ruhe für sein Herzogtum erkauft, jedoch auf Kosten der anderen deutschen Fürsten, bei denen die Ungarn nun ungehindert einfallen konnten. Ludwig III. hingegen zahlte Tribut zur Sicherung des gesamten Reiches, und dafür zollten die Fürsten ihm Zustimmung. Der Vertrag mit den Ungarn war der erste, der sich auf das gesamte Reich bezog.

2. Einigkeit herstellen

Heinrich von Sachsen verlangte für sein Verhalten bei den Verhandlungen über seine prominente Geisel vom König eine Gegenleistung – und erhielt sie. Den Anlass bot der Streit zwischen Heinrich, dem Herzog von Sachsen, mit Hatto, dem Erzbischof von Mainz. Heinrich hatte es geschafft, alle wichtigen sächsischen Ländereien in seiner Hand zu vereinen. Reich geworden war er durch die Mitgift seiner ersten Frau Hatheburg. Die war eine reiche, junge Witwe, die nach dem Tod ihres ersten Mannes bereits den Schleier genommen, also ein Leben im Kloster beschlossen hatte. Heinrichs Werben um die Hatheburg hatte Erfolg und sie brachte wichtige Territorien in die Ehe ein. Nur zwei Jahre später starb sie 924 im Kindbett, ihre Güter aber verblieben bei Heinrich.

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Hinweis: Bei dem erwähnten Heinrich handelt es sich um den historischen Sachsen Heinrich I. Liudolfinger. Ich erlaube mir zu ignorieren, dass er im Spiel ein Karolinger ist. Historisch ließ sich Heinrich übrigens nach kurzer Ehe von Hatheburg scheiden. Angeblich drückte ihn das Gewissen, Hatheburg durch die gemeinsame Hochzeit von ihrem Gang ins Kloster abgehalten zu haben. Ihre wertvollen Güter verblieben natürlich bei ihm.

Der Mainzer Erzbischof war zu dieser Zeit der bedeutendste Kirchenfürst des Reiches, seine Ländereien (Klöster und Abteien) reichten in einem Bogen von Mainz Richtung Osten bis in das Gebiet der Sachsen hinein. Sowohl Hatto wie Heinrich mussten ein Interesse haben, ihr Territorialgebiet auf Kosten des jeweils anderen zusammenzuführen. Feindschaft war also vorprogrammiert. König Ludwig III. unterstützte über die Jahre hinweg den Erzbischof, überhaupt stand der König an der Seite der kirchlichen Fürsten und gegen die Stammesherzöge. Die Reichskirche bildete das Fundament der (geringen) Macht des Königs.

Als Erzbischof Hatto von Mainz gestorben war, wurde Bischof Heriger sein Nachfolger. König Ludwig III. vollzog nun die spektakuläre Wende, die man wohl als einen der Momente bezeichnen kann, in denen Deutschland als Einheit entstand. Ludwig III. empfahl den Sachsenherzog Heinrich bei seinen Fürsten als seinen Nachfolger. Damit verließ der König die Erbfolge und betonte ausdrücklich die Wahlmonarchie. Schon bei den Germanen war das Königtum nicht erblich, sondern an eine Wahl gebunden. Die ältere Volkswahl wurde bald abgelöst von der Wahl durch die Großen der verschiedenen Stämme. Die Wahl hatte allerdings keinen Beliebigkeitscharakter, sie hatte nichts zu tun mit einem demokratischen Recht jedes Staatsbürgers und seiner Freiheit, sich einer Wahl zu stellen oder sich darum zu bewerben. Nach dem Geblütsrecht stand nur die Wahl eines Angehörigen der Königssippe frei, der Kreis der Wählbaren war eingeschränkt. Dieses an Grenzen gebundene Erbrecht wurde abgelöst durch das freiere Wahlrecht, bei dem allerdings nur eine kleine Zahl von Fürsten die Berechtigung besaß, einen von sich zu wählen oder selbst gewählt zu werden, ebenso dadurch, dass der Herrscher noch zu Lebzeiten seinen Nachfolger benannte, also durch die Designation, die als bindender Wahlvorschlag betrachtet wurde.

Ludwig III. seine kirchenfreundliche Politik fallen und näherte sich den Herzögen an. Nur gemeinsam mit Heinrich von Sachsen schien der König in der Lage, die Fürsten hinter sich zu sammeln und die Reichseinheit wiederherzustellen. Die Designation Heinrichs war der Preis dafür.

Selbst Arnulf von Baiern – der sich zwischenzeitlich sogar zum König von Baiern ausgerufen hatte - näherte sich nun wieder dem König an. Die Ungarn hatten in den vergangenen Jahren trotz der Vereinbarung mit Arnulf nicht darauf verzichtet, hier und da in Baiern zu plündern. Arnulf konnte zudem Ludwigs Wechsel in der Kirchenpolitik gefallen, denn er war bei den geistlichen Fürsten verhasst. Arnulf hatte so manches Kirchengut in Baiern der Kirche entzogen und damit seine Vasallen zufriedengestellt, was dem Herzog bei geistlichen Chronisten den unschönen Beinamen „der Böse“ eingebracht hatte. Arnulf trat beim Reichstag vor den König, unterwarf sich und huldigte ihm. Ludwig III. gestand dem Baiernherzog in kirchlichen Angelegenheiten außerordentliche Rechte zu, allen voran das Recht zur Bischofsernennung. Seit dem Jahr 925 gab es keine Konflikte mehr zwischen dem bairischen Herzogtum und dem deutschen Königtum.

Ludwig III. vollzog die Kehrtwende, das Deutsche Reich nicht als einen uniformen Staat zu betrachten, der von Gnaden einer Zentraldirektion und ihren Erlassen existierte, sondern als einen Organismus, dessen Stärke sich in erster Linie durch die Kraft seiner Glieder ergab. Auf dieser Grundlage bildete sich zügig das deutsche Volksbewusstsein. Im Unterschied zur bisherigen Karolingerzeit verankerte er seine Herrschaft in den Stämmen. Der König führte die Herzöge von nun an mit fester Hand und losem Zügel. Erstmals arbeiteten die Herzöge untereinander und mit dem König zusammen.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 13. August 2016 19:09

3. Die Verteidigung verbessern

Bewusst rief der König nun einen Reichstag nach Worms ein, der im November 926 stattfand. Der Ort sollte Programm sein: Worms gehörte zu den Römerstädten, die seit alters durch eine starke ringförmige Mauer befestigt waren. Worms besaß damit den Rang einer Burg, denn bis zum Hochmittelalter galt jede ummauerte Stadt als eine Burg. Der hier gefasste Beschluss war von großer Tragweite: Die Burgenordnung.

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Im gesamten Reich sollte ein Netz von ummauerten Orten und Befestigungen angelegt werden. Auch alle bereits bestehenden Versammlungsstätten außerhalb der Siedlungen hatten nicht nur Wall und Graben, sondern feste Mauern zu erhalten. Begründet wurde der Erlass, dem sämtliche Teilnehmer des Reichstags zustimmten, mit der schweren Heimsuchung durch die Heiden in jüngster Zeit. Die betreffenden Plätze sollten durch die steinernen Mauern auch ernsthafteren Belagerungen standhalten können. Denn man hatte bei den Raubzügen der Ungarn beobachtet, dass sie zu professionellen Belagerungen nicht in der Lage oder willens waren und Befestigungen fast immer umgingen. Die Burgen waren also ein probates Mittel der Verteidigung. Die Burgenordnung von 926 hatte ein jeder Fürst in den kommenden neun Jahren in seinem Land umzusetzen, jeder war für sein Herzogtum selber verantwortlich. Ein rege Bautätigkeit begann.

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4. Eine solide Wirtschaft

Um militärisch aufrüsten zu können, musste das Deutsche Reich auf eine gesunde ökonomische Basis gestellt werden. Das schien doppelt schwierig angesichts der gleichzeitig zu leistenden Tributzahlungen an die Ungarn. Doch der Burgenbau beförderte die Entwicklung der Städte, die Bildung eines ersten Bürgertums. Der „Bürger“ ist nicht von ungefähr abgeleitet vom Wort „Burg“. In und um die entstehenden Burgen siedelten sich die Menschen an und förderten das Handwerk und den Handel. Bald wurde das liberalere Burgrecht dem restriktiveren Landrecht entgegengesetzt. Eine ganze Reihe von gesicherten Orten entstand in dieser Zeit des Burgenbaus und lieferten Wirtschaftsimpulse.

5. Militärische Aufrüstung

Die solide Wirtschaft bildete die Voraussetzung für die militärische Aufrüstung. Denn mit Burgen allein waren die Ungarn nicht zu besiegen, das war klar. Die Ausrüstung eines gepanzerten Kriegers kostete aber die Arbeitskraft eines Mannes von einem ganzen Jahr. Das Züchten robuster Pferde, das Herstellen der Waffen, vor allem das Fertigen von Kettenhemden, waren zeitaufwendig und teuer. Keine Frage, neun Jahre waren nicht übertrieben viel Zeit, um diese Aufrüstung in großem Stil zu bewältigen. Andererseits: Ein Aufgebot von eintausend gepanzerten Reitern war eine beachtliche Streitmacht, die einen Krieg entscheiden konnte.

6. Die taktische Gefechtsführung

Mit der Ummauerung aller wichtigen Orte war ein Defensivprogramm erfüllt. Denn Männern wurden Ausrüstung und Waffen an die Hand gegeben. Der Blick musste sich auf den Gegner richten: Die Reiternomaden der Ungarn hatten in den vergangenen 15 Jahren in allen Gegenden des Abendlandes ihre überlegene Kriegskunst bewiesen, sowohl in kleineren Gefechten als auch in der offenen Feldschlacht. Dass sie auf ihrem letzten Zug durch die Champagne bis an den Atlantik vorstießen, war ein Schock, und zwar nicht nur für das unmittelbar betroffene Westfrankenreich. Fremden Heeren ist ein solches Unterfangen erst wieder im 19. Jahrhundert gelungen, am Ende der Herrschaft Napoleons.

Die militärischen Fähigkeiten der Ungarn lagen offen zutage und es war überaus schwer, ihnen etwas Gleiches entgegen zu stellen. Bei der magyarischen Reiterei handelte es sich um eine ausnehmend gut geschulte Kriegstruppe, sie kämpfte ebenso verwegen wie diszipliniert, in Feldschlachten wurde sie taktisch überlegen geführt. Außerdem waren die Reiternomaden Krieger aus angeborener Neigung, die vor keinen Strapazen zurückschreckten und deren Kampfmoral auch im Verlauf monatelanger Feldzüge nicht brüchig wurde. Ihre Aufgebote besaßen alle Vorzüge eines stehenden Heeres. Entscheidend aber für die damaligen Verhältnisse war ihr Charakter als einer ausschließlichen Reitertruppe mit sämtlichen schlagkräftigen Eigenschaften: Wendigkeit, Schnelligkeit sowie die Fähigkeit, veränderten Gefechtslagen die eigenen Operationen rasch anzupassen. Verstärkt wurde dieser Zug durch die großen Vorteile ihrer wichtigsten Waffen, dem Bogen aus Horn, der Schleuder und den Fokoschen, den Streithämmern.

Jeder Nomadenkrieger war dank der Steigbügel in der Lage, auch aus dem vollen Galopp heraus zu schießen, er verfehlte auch aus große Entfernungen kaum jemals das Ziel. Bogen und Schleuder waren deshalb dem Schwert und der Lanze erheblich überlegen. Aufgrund der Wirkung war der Pfeilregen, der sich gewöhnlich zu Beginn eines Kampfes über die feindlichen Krieger ergoss, fast schon ein Vorgriff auf den Effekt des neuzeitlichen Maschinengewehrfeuers – jedenfalls dort, wo die Panzerung der Krieger und ihrer Pferde zu wünschen übrig ließ oder überhaupt fehlte.

Eine Schlacht verlief zumeist stets nach demselben Grundmuster. Der Gegner wurde mit einem dichten Pfeilregen, mit einem Gewitter von Schleudersteinen überschüttet. Anschließend galoppierten die Ungarn in geschlossenen Hundert- oder gar Tausendschaften, zwischen denen ein schmaler Raum für die taktischen Wendungen offenblieb, gegen den Feind. Auch für den nahkampf waren die Ungarn zweckmäßig bewaffnet, kurze Krummsäbel eigneten sich da besser als sperrige Schwerter. Im völlig distanzlosen Nahkampf griffen die Ungarn zu Streithämmern. Stand ihnen Reiterei entgegen, so setzten sie ihre Kurzspieße ein, mit denen sie die Feinde aus dem Sattel zu stoßen versuchten. Da die Überlegenheit der Ungarn auf ihren disziplinierten Operationen beruhte, vermieden sie das Handgemenge, weil dabei der Überblick verloren ging. Das größte Ärgernis für die ungarischen Truppenführer bestand in der jählings ausbrechenden Disziplinlosigkeit der Reiternomaden nach einer gewonnenen Schlacht. Die Ungarn verfolgten selten einen geschlagenen Feind bis zur völligen Vernichtung, denn ihre Krieger wendeten sich bevorzugt dem Plündern zu. Dies geschah oft gegen den Willen der Anführer. Die Abgrenzung zwischen Beuterecht, genehmigter Plünderung und hemmungsloser Räuberei existierte in dieser Zeit nur in schwachen Ansätzen.

Bei den deutschen Heeren handelte es sich im zehnten Jahrhundert nicht mehr um die Bauernheere früherer Zeit. Der Kriegsdienst betraf zwar noch immer alle waffenfähigen Männer, aber er war inzwischen zur Hauptaufgabe des adligen Standes geworden. Die Adeligen waren keine Berufskrieger in einem neuzeitlichen Sinne, aber sie waren auf jeden Fall Qualitätskrieger. Die Größe des militärischen Aufgebots eines Fürsten bestimmte der König, gewöhnlich nach dem Umfang dessen Landbesitzes. Die Dauer eines Kriegseinsatzes konnte im Voraus nur schlecht festgelegt werden. Die Vasallen hatten für Pferde, Ausrüstung, Waffen und Verpflegung zu sorgen. Das Kriegsmaterial kostete außerordentlich viel, Helme und Panzerhemden waren für einfache Leute unerschwinglich. Auch für den zu ständiger Waffenbereitschaft verpflichteten Kriegsmann reichte die Entlohnung durch Lehen auf die Dauer nicht aus. Der König und die Fürsten waren deshalb zunehmend stärker auf Geld angewiesen, und gemünztes Edelmetall ließ sich nur über die Wirtschaft, den Handel, die Zölle gewinnen. Folglich war nur ein Staat, dessen Wirtschaft florierte, auch ein wehrfähiger, ein militärisch starker Staat.

Eine geregelte Truppenausbildung wie bei den Römern oder später in der Landsknechtszeit fehlte bei den Deutschen. Der Krieger war in erster Linie Einzelkämpfer, auch wenn er in geschlossenen Kontingenten angriff. Die Schlacht war eine Abfolge persönlicher Duelle und hing vom persönlichen Können und der Tapferkeit ab. Das war der Hauptgrund für die Erfolge der ungarischen Reiterkrieger und ihrer Massentaktik. Andererseits: Auch die Deutschen und zuvor die Franken führten Reiter in die Schlacht. Der springende Punkt lag in der Form der Gefechtsführung, hier musste etwas passieren und zwar jenseits der reinen Steigerung der Soldatenzahlen und ihrer Ausrüstung. König Ludwig III. benötigte als offensives Instrument eine taktisch einsatzfähige, leichte Reiterei. Jeder Herzog musste nach einheitlicher Vorgabe seinen Truppen eine neue Form der Gefechtsdisziplin beibringen. Diese Ausbildung begann mit einer frühen Form des Exerzierens und des Drills. Die Truppengattungen sollten lernen, auf dem Felde Teilaufgaben in koordinierter Form zu übernehmen und so wie ein Ganzes zu agieren.

7. Einfluss eindämmen

In der zweiten Jahreshälfte 929 - das historisch korrekte Jahr, im Spiel lege ich irrtümlich schon 925 damit los – zog König Ludwig III. mit einem starken Heeresaufgebot über die Bode und die Elbe nach Osten ins Gebiet der Heveller. Den Elbübergang bei Magdeburg hatte schon Karl der Große im Jahr 780 benutzt. Der Name dieses Grenzvolkes leitete sich von der Havel ab. Die deutschen Streitkräfte bestanden hauptsächlich aus dem Aufgebot des sächsischen Heerbanns. Den Kern bildeten die gut geschulten königlichen milites. Dass sich bei den Heeren dieser Kriegszüge von 929 auch starke Kontingente der Franken und Baiern befanden, darf als sicher angenommen werden. Die Truppe selbst war gemischt, den Fußsoldaten waren starke Einheiten der Reiterei beigegeben.

Ob ein Aufstand der unmittelbare Anlass für den Kriegszug gewesen war, ist nicht zu klären. Mit Rücksicht auf den späteren Kampf gegen die Ungarn und aufgrund der intensiv betriebenen Rüstungen und der Ausbildung der Reiterei ließe sich auch denken, dass eine Art militärische Generalprobe beabsichtigt war. Ein ausgreifender Plan lag zweifellos zugrunde, denn innerhalb der folgenden Monate gelang es dem König, die gesamten Grenzvölker zu unterwerfen und sie unter die Oberhoheit des Reiches zu stellen. Seine Übermacht und die Siege seiner Krieger waren so eindrucksvoll, dass es ab 929 bis zum Ende von Ludwigs Regierung keine weiteren Aufstände mehr gab. Die Chronisten berichten nicht einmal mehr von Unruhen.

Mit den Hevellern kam es zunächst wiederholt zu schweren Kämpfen. Die Hauptmasse ihrer Krieger zog sich schließlich in die starke Zentralfestung Brennaburg zurück, der späteren Stadt Brandenburg. Diese Sumpfburg und Sperrfeste an der wichtigen Straße, die von der Elbe zur Oder führte, lag außerordentlich geschützt inmitten der vielen Wasserarme der Havel. Die Heveller konnten sie ohne Übertreibung als uneinnehmbar bezeichnen, denn ihre Insellage und die Umgebung der Seen, Moore und Sümpfe sonderten sie fast vollständig vom festen Land ab. Zusätzlich geschützt wurde die Brennaburg durch mächtige Ringwälle, die wenigen Zugänge über festes Land waren dadruch hervorragend blockiert. Die Festung war zugleich der Hauptsitz des Hevellerstammes und seines Fürstengeschlechts. Die Brennaburg besaß eine Schlüsselstellung für die Sicherung des ganzen Gebiets im Süden.

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König Ludwig III. hatte zwar im Verlauf von kaum acht Wochen das ganze Gebiet zwischen Elbe und Havel erobert und besetzt, aber wenn er das Gebiet auch halten wollte, musste er die Brennaburg erobern. Doch schon aufgrund ihrer Lage im Fluss und inmitten der Sumpflandschaft schien eine Eroberung völlig ausgeschlossen zu sein. Dass sich der König im Herbst zu diesem Kriegszug entschloss, war für die Heveller mehr als überraschend gewesen. Bis weit über das Mittelalter hinaus, ja noch im 17. Jahrhundert galt es als Regel, dass in der Zeit des Regens und des Frostes das Kriegshandwerk ruhte, die Truppen in den Winterquartieren lagen. Davon wurde nur in überaus seltenen Fällen abgewichen. Die Sachsen hatten zwar auf ihrem Kriegszug große Erfolge verbucht, doch einer Belagerung der Brennaburg ausgerechnet in dieser Jahreszeit konnten die Heveller mit Ruhe entgegen sehen.

Die Heveller begriffen zu spät, warum die sächsischen Truppen trotz des Regens, der Kälte, des rauhen Windes um die Brennaburg einen außerordentlich weiten Belagerungsring zogen. Noch niemals war die Festung berannt worden. Ihre Vorräte waren beträchtlich, denn an dem Siedlungsplatz fanden sich über das ganze Jahr hinweg große Volksmengen ein. Dass die Sachsen ohne viel Belagerungsgerät inmitten des Morastes und der Sümpfe kampierten und die Brennaburg von allen Außenverbindungen abschnürten, nötigte den Verteidigern in der ersten Zeit nur ein Achselzucken ab. Bei den Sachsen wiederum war es erstaunlich, dass es dem König gelang, seine Überzeugung vom Erfolg dieser Belagerung bei den Truppenführern und den Kriegern durchzusetzen und ihre Zustimmung zu seinem Plan zu erhalten. Anders ist das geduldige Warten und das klaglose Ertragen der ungewohnten Strapazen dieses Winterfeldzugs nicht zu erklären.

König Ludwig III. und die Sachsen warteten auf den Frost. Die Kälte hatte erwartungsgemäß zeitig eingesetzt und war hinreichend streng. Jetzt kam es auf die Standfestigkeit der Sachsen an. Inzwischen freilich arbeitete auch die Zeit gegen die Verteidiger, denn aufgrund der vielen Flüchtlinge, die sich in die Burg gerettet hatten, waren die Vorräte der Heveller schneller verbraucht als die Geduld der Belagerer. Schließlich wurde die Kälte schneidend, Eis begann sich auf den Seen und Sümpfen zu bilden. Auch auf der Havel entstand eine feste Decke, eine Woche nach dem Kälteeinbruch war die Brennaburg nicht mehr die durch Wasser geschützte, sichere Feste, sondern sie lag inmitten eines flachen Landes, das zwar aus Eis bestand, aber den Belagerern den Angriff und den Sturm ermöglichte. Der König ließ Tag für Tag die Tragfähigkeit des Eises prüfen. Die Gesichter der Sachsen waren vermummt, der Atem gefror an den Bärten und im Haar, die Pferde schnaubten weiße Wolken. Als zum ersten Mal bei einer der Proben, bei denen ein Pferd vorsichtig auf das Eis geführt wurde, kein verräterisches Knacken der Eisdecke mehr zu hören war, gab der König den Befehl, den Ring um die Burg enger zu ziehen.


Brandenburg, im Januar 929

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„Ihr habt nach mir geschickt, Vater?“

König Ludwig III. wandte den Kopf. „Komm rein, mein Junge.“ Prinz Heinrich betrat das Zelt. Sobald das Bärenfell, welches als Tür diente, hinter ihm zurück vor die Öffnung glitt, war der mörderische Winde abgeschnitten, aber trotzdem herrschte auch hier im Inneren eisige Kälte. Die Felle, die den Boden bedeckten, lagen direkt auf dem Eis der Havel, und nur eine einzige Kohlepfanne stand auf dem Schemel neben der Pritsche. Das Glimmen der Holzkohle erweckte den Anschein von Behaglichkeit, aber Heinrich spürte keinen Hauch von Wärme.

Er zog den bibergefütterten Mantel fester um sich. „Wo sind Thietmar und Gero?“ Heinrich hatte angenommen, dass die beiden Kommandanten, die das Reiterheer und die Fußsoldaten befehligten, bei der Lagebesprechung zugegen sein würden. „Sie kommen gleich“, sagte der König und reichte seinem Sohn einen dampfenden Becher. „Wir werden heute Nacht stürmen, Heinrich. Das hier muss ein Ende nehmen. Wir verlieren zu viele Männer in dieser gottverfluchten Kälte.“

„Ich weiß.“ Heinrich sog den Dampf ein, der seinem Becher entstieg, und trank vorsichtig einen Schluck. Es war ein heißer Würzwein, und er schmeckte himmlisch. „Aber vorgestern habt Ihr gesagt, die Verteidigung sei zu stark. Was hat sich geändert?“ Der König ging vor seiner Pritsche auf und ab. Das Zelt bot eigentlich nicht genug Platz dafür, aber Ludwig war ein rastloser Mensch, immer gern in Bewegung. Statt auf die Frage einzugehen, forderte er seinen Sohn auf: „Erinnere mich noch einmal, warum wir hier sind.“ Heinrich runzelte die Stirn, um die Ironie seiner Antwort zu verdeutlichen: „Um diesen heidnischen Slawen hier den rechten Glauben zu bringen.“ Ludwig III. nickte. „Ein guter Grund, aber nicht der wahre.“

„Um unsere Ostgrenze zu sichern, die sie ständig mit ihren Raubzügen verletzen?“ Der König schüttelte den Kopf: „Ein guter Grund, aber auch nicht der wahre.“ Sein Sohn antwortete zum dritten: „Dann um sie dafür zu bestrafen, dass sie die Ungarn gegen uns zu Hilfe geholt haben?“ Der König brummte mit einem gefährlichen Unterton. „Ja, das werden sie noch bitter bereuen. Aber auch nicht der wahre Grund.“ Heinrich zuckte die Schultern. „Dann nennt Ihr ihn mir.“

„Es gibt drei: Erstens, um uns die slawischen Völker zu unterwerfen und tributpflichtig zu machen, denn wir müssen den Ungarn jedes Jahr Unsummen bezahlen, damit sie den vereinbarten neunjährigen Frieden halten. Zweitens, um ihre Pferde zu erbeuten, denn die Slawen züchten großartige Pferde, die wir für unsere neuen Panzerreiter brauchen. Und drittens, um eben diese Panzerreiter zu erproben. Damit wir wissen, wo wir stehen, bevor die Ungarn wiederkommen.“

Heinrich nickte und sagte nichts. „Was?“ schnauzte der König. „Gar nichts. Ich sehe ein, dass Ihr recht habt. Aber wohl ist mir nicht bei Euren Prioritäten. Mir wäre lieber, Ihr hättet gesagt, die Bekehrung der Heiden sei der wichtigste Grund für diesen Feldzug.“ Ludwig III. hob einen seiner kurzen, breiten Finger und wedelte seinem Sohn damit vor der Nase herum. „Aber leider sind die noblen Gründe nur selten die wahren. Du musst die Welt so sehen, wie sie ist, Heinrich, sonst wirst Du einen lausigen Herrscher abgeben. Du musst Dich ihr stellen, auch wenn sie Dir ihr hässliches Gesicht zeigt.“

„Aber muss ein Herrscher nicht das Ziel verfolgen, die Welt besser zu machen?“, wandte der Prinz ein. Der König sah ihn an, stiert ihm regelrecht ins Gesicht, dass Heinrich unbehaglich wurde. Unvermittelt knackte das Eis unter ihren Füßen. Die Eisdecke war zwar mindestens zwei Spann dick, das Geräusch brachte Heinrich aber den Umstand in Erinnerung, dass sie mitten auf dem Fluss lagerten. Schließlich schüttelte Ludwig III. den Kopf. „Vielleicht. Aber vorher muss er die Welt sicher machen. Du bist ein Träumer, Heinrich, und das gefällt mir nicht. Du willst immer von jedem das Beste und verschließt die Augen vor den Dingen. Das kann Dich teuer zu stehen kommen, also hör auf damit. Großmut ist eine schöne Gabe, aber wenn sie nicht mit Strenge gepaart ist, macht sie Dich schwach. Und darum will ich, dass Du heute Nacht den Sturm auf die Brandenburg anführst.“ Heinrich stockte beinahe der Atem. „Ich? Ihr denkt... Ihr traut mir das wirklich zu?“

„Warum denn nicht?“ knurrte Ludwig. „Du bist inzwischen ein erwachsener Mann und hast mindestens so viel Erfahrung im Kampf wie ich in Deinem Alter. Du kannst und Du weißt alles, was Du brauchst. Also geh und tu es.“ Der Prinz war stolz und so glücklich über diesen Vertrauensbeweis und ging daran, den Wunsch seines Vaters umzusetzen.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 19. August 2016 20:55

Zu Beginn des Jahres 929 erstürmten Heinrich und seine Krieger die Wälle der Brennaburg, bahnten sich den Weg mit den Schwertern und eroberten im Sturmlauf die stärkste Festung des ganzen Gebiets. Die Eroberung der Brennaburg erfolgte „fame ferro frigore“ - durch Hunger, Schwert und Kälte. Mit diesem Sieg hatte Ludwig das ganze Land in seine Gewalt bekommen und unterwarf sich den gesamten Gau der Heveller. Sie leisteten ihm von diesem Tag an Tribut, der erste Schritt zur Bildung der Marken an der Nord- und Ostgrenze des Reiches war damit vollzogen.

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Aufgrund des Winterfeldzugs von 929 schien die weitere Entwicklung vorgezeichnet zu sein. Die Sachsen griffen aus in den Raum zwischen Elbe und Oder, brachten das ganze Gebiet in ihre Hand, der Kessel Böhmens wurde im Norden umfasst. Es handelte sich bei dem Feldzug nicht nur um eine Sicherung der Reichsgrenzen im Osten, sondern um eine Neutralisierung des Einflusses, den die Ungarn bis zu dieser Zeit in Daleminzien besessen hatten. Ohne dass der Waffenstillstand mit den Magyaren vom König auch nur angetastet wurde, betrieb er eine aktive Vorsorge- und Eindämmungspolitik. In Böhmen hielt sich der König, im Unterschied zur Brennaburg, an das gebräuchliche Kriegsrecht. Widukind von Corvey berichtet, dass Ludwig die gesamte „Beute in der Burg den Kriegern überließ, die Erwachsenen wurden niedergemacht, nur die Knaben und Mädchen behielten ihr Leben für die Gefangenschaft“.

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In den Jahren 805 und 806 hatte Karl der Große Böhmen dem Frankenreich tributpflichtig gemacht. Über diese Tatsache hinaus besitzen wir für die engere böhmische Geschichte im neunten Jahrhundert keinerlei Belege in Urkunden. Um 845 nahm mehr als ein Dutzend Gefolgsherren des Landes in Regensburg das Christentum an. Einen Durchbruch brachte das Jahr 872, als sich der damals regierende Herzog nach einer Niederlage zusammen mit seiner Gemahlin in der alten Markkomannen-Siedlung Prag (Parhag) ebenfalls taufen ließ. Die Bindung an das Ostfränkische Reich riss nach dem großen Sieg der Ungarn im Jahr 907 ab. In der Folgezeit wurde Böhmen von anhaltenden Unruhen und Kämpfen der Adelsparteien erschüttert, deren Gruppierungen wesentlich durch den Gegensatz von Christentum und Heidentum geprägt waren.

Nun, nach dem Sieg des deutschen Königs Ludwig, leistete der christliche Böhmenherzog Rotislav II. (im Spiel, historisch: Wenzel) den Vasalleneid. Seit dieser Zeit datierte die Bindung Böhmens an das Deutsche Reich. Später wurde der Herzog unter Mitwirkung seines Bruders oder möglicherweise auch durch ihn selbst ermordet. Da Rotislav eifrig bemüht war, das Christentum durchzusetzen, und diese Aktivität bei seiner Ermordung eine Rolle spielte, wurde er heiliggesprochen und rückte zum Landespatron Böhmens auf.

Der Feldzug des Königs aber wurde fortgesetzt, wie Widukind von Corvey beschreibt: „Als nun die Nachbarvölker von König Ludwig tributpflichtig gemacht worden waren – die Abodriten, Wilzen, Heveller, Daleminzier, Böhmen und Redarier – und Friede war, da brachen die Kroaten den Vertrag. Sie brachten ein großes Heer zusammen, unternahmen einen Angriff auf die Burg der Steiermark, eroberten sie und töteten all seine Bewohner, deren eine zahllose Menge war. Hierdurch wurden alle anderen heidnischen Völkerschaften der Umgebung ermutigt und wagten sich zu empören. Um ihre Wildheit zu unterdrücken, belagerte ein Heer nebst einer Reitertruppe die Burg Cakovec und unterwarf ihren Fürsten Bojan“.

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Von Kroatien aus zog der König weiter nach Süden und belagerte die Festung Senj, zwang die Einwohner zum Rückzug in eine tiefer gelegene Kleinburg und nötigte sie schließlich zur Übergabe. Seit dem Tage, als sie durch Feuer zerstört wurde, lag sie lange Zeit wüst und leer und ward nicht mehr bewohnt. Mit der Eroberung von Senj endete ein entscheidender Abschnitt der Regierung Ludwigs III., denn in dieser Zeit wurde von ihm das Fundament der gesamten Ostpolitik des Deutschen Reichs in den folgenden Jahrhunderten gelegt.

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Die Völkerschaften des Raumes waren vollständig befriedet. Die Daleminzier, Ludwigs älteste Gegner, wandten sich sogar ostentativ von den Ungarn ab. Auch bei den Ostvölkern hielt der König an seinem Prinzip fest: eine machtvolle Königsherrschaft zu errichten, die Oberhoheit des Reiches durchzusetzen, unnachsichtig auf dem Tribut zu beharren, im gleichen Atemzug aber möglichst wenig in die inneren Verhältnisse einzugreifen. So blieben sämtliche Völkerschaften unter der Herrschaft ihrer Fürsten.

8. Die Moral der Truppen stärken

Die ungarischen Truppen waren nicht nur taktisch versiert im Kampf, gefürchtet wurden sie auch für ihren Todesmut. Ihr heidnischer Glaube war ein mit den Sinnen greifbarer. Wenn ein Priester vor einer Schlacht auf einen über ihnen kreisenden Falken deutete, flößte er mit seinen Worten den Kriegern ein solches Maß an Mut ein, dass sich ihre Kampfmoral derjenigen ihrer christlichen Gegner als überlegen erwies. Das lag wohl daran, dass der Gott der Christen unsichtbar, nicht zu Greifen war. Mag Gott sich auch im Wort der Heiligen Schrift zeigen – in einer Zeit, in der die Menschen zumeist weder Lesen noch Schreiben konnten, war das nur abstrakt. König Ludwig III. ahnte, dass er seine Truppen mit etwas Offensichtlicherem zum Kampf anspornen musste. Er war elektrisiert, als er davon erfuhr, dass der burgundische König Rudolf in den Besitz der Heiligen Lanze gekommen war. Die Heilige Lanze gehörte der Legende nach Longinus, jenem römischen Hauptmann, der mit ihr den Tod Jesu überprüfte, so dass sie auch mit dessen Blut getränkt sein soll. In der Bibel heißt es im Johannes-Evangelium dazu: „Einer der Kriegsleute öffnete seine Seite mit einem Speer, und alsbald floss Blut und Wasser heraus“.

König Ludwig nun, als gottesfürchtiger Mann und jedes Heiligtums Liebhaber, sandte – als er erfuhr, dass Rudolf ein so unschätzbares Geschenk des Himmels besitze – umgehend Boten an ihn ab und versuchte, ob er es um irgendwelchen Preis erwerben und sich so die unüberwindlichen Waffen und damit beständigen Sieg über sichtbare und unsichtbare Feinde verschaffen könne. Rudolf zeigte sich in dieser Frage spröde, doch Drohungen und Lockungen führten ihn schließlich zur Herausgabe der Reliquie. Im Gegenzug erhielt er ein Stück des Herzogtums Schwaben.

Einmal im Besitz der deutschen Könige, wurde im Gehalt der Heiligen Lanze auch die magische Bedeutung des Speeres eingeschmolzen, des Herrschaftssymbols der germanischen Könige, dessen Macht auf den Speer des Kriegsgottes Wotan zurückgeht. Diese Tradition blieb trotz der Christianisierung lebendig. Die Lanze gehörte von nun an zu den so genannten Reichsinsignien, die die die rechtmäßige Herrschaft über das Reich verkörperten. Die Heilige Lanze zeichnete sich folglich nicht nur durch ihren Reliquiencharakter aus, sondern auch durch ihren politisch-weltlichen Bezug. Unter dem Schutz der Heiligen Lanze zu kämpfen, war der Ansporn, der den christlichen Soldaten bislang gefehlt hatte. Ein Herrscher, der diese Lanze besaß, galt als unbesiegbar. Sie war das sichtbare Zeichen dafür, dass seine Macht von Gott ausging und er der Stellvertreter Christi war.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 20. August 2016 18:51

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Ein feister Hund für die Ungarn

„Die Boten der Ungarn wurden herbeigeholt und der König übersandte durch sie dem Ungarn einen kurzen und langsamen Hund, dem die Ohren und der Schwanz gekürzt waren, und verpflichteten sie durch Eidschwur, denselben abzugeben, und dann erst entließ er sie, mit leeren Händen und ohne Ehre“. Annales Palidenses

Der Pater hob den Kopf, seine Rechte mit der feinen Feder ließ er auf dem Pergament liegen. Er drehte sich um. In der Tür der Klosterzelle stand der Bote, eine große, kraftvolle Gestalt, er musste sich leicht nach vorn beugen, um nicht oben am Türrahmen anzustoßen. Der Pater lächelte, und der Bote lächelte ebenfalls. Im Gegenlicht der Sonne, die durch das schmale Fenster fiel, schimmerte der Haarkranz um die große Tonsur.

„Ich habe dich nicht erwartet.“
„Störe ich?“
„Warum solltest Du stören? Nimm Platz!“

Der Bote schloss die Türe, trat in die Zelle, legte das Halbschwert nieder auf den Dielenboden und ließ sich nieder auf den Schemel neben dem Schreibpult, an dem der Pater vor dem aufgeschlagenem Folianten saß. Der Pater blickte auf die gebräunten Hände des Boten, an denen die Adern hervortraten, Hände, die es gewohnt waren, zuzugreifen und nicht mehr loszulassen. Er hob den Kopf, betrachtete das vertraute Gesicht.

„Du siehst müde aus, deine Lider sind rot, entzündet. Du kommst vom Königshof?“
„Ja. Die Gesandtschaft ist gestern fortgeritten. Bruder Pater, du siehst ebenfalls müde aus.“

„Meinst du. Ich bin aber nicht müde. Ich sehe immer so aus in meiner Kutte, vermute ich zumindest. Vielleicht lese ich zu viel, schreibe zu viel, zu lange, lege mich des Nachts zu spät auf mein Reisiglager, und dann wache ich ächzend auf zu den Vigilien nach Mitternacht und wanke ins Oratorium, um mit den Brüdern zu beten. Ja, vielleicht bin ich müde, vielleicht sind meine Augen schwach geworden. Doch für die Buchstaben reicht es. Glaub nur nicht, dass ich über irgend etwas klage. Als guter Mönch, der ich sein möchte, habe ich meine Regeln auswendig gelernt, wie es das Mönchskapitular vorschreibt, und so ist es uns auch verordnet. Bei der Arbeit sollen Mönche nicht murren, und ich murre nicht einmal im Herzen.“

„Hat euch denn Sankt Benedikt in seiner Regula monachorum nicht die Stunden für das Gebet, die Arbeit, den Schlaf vorgeschrieben?“

„Sicher hat er das getan, die Stunden sind für die Brüder festgelegt. Doch allen ist es auch erlaubt, sich der Askese hinzugeben über das vorgeschriebene Maß hinaus. Ich kann also wach bleiben, wenn es mir beliebt. Doch das Alter hält nicht Schritt mit meinem Eifer. Also ich bete und arbeite des Tags und schlafe und schnarche des Nachts. Und ich esse und trinke gern, du siehst es an meiner Korpulenz, die wenig mit Kasteiung und viel mit der Küche zu tun hat. Gott sei es geklagt, ich habe ihm mein Leben überschrieben in allem, ob ich wach bin oder nicht, müde oder eifrig. Doch nun berichte mir.“

Der Bote lächelte. „Wenn du dem Herrn dein Leben überschrieben hast, so hat er dir auch vorgeschrieben, durch den Mund des heiligen Benedikt, was du mit deinem Leben machen sollst. Er hat nichts von Ermattung oder übermäßigem Eifer gesagt. Über allem steht das Gebot des Herrn: Der Abt ist der Stellvertreter Christi im Kloster. Deshalb darf der Abt nichts lehren, anordnen oder befehlen, als das Gebot des Herrn.“

Der Pater brummte Unverständliches und verzog belustigt den Mund. „Wenn du unsere Regula so gut kennst, dann weißt du auch, dass dem Mönch im vierten Kapitel geboten wird: Das Tun und Lassen seines Lebens zu jeder Stunde überwachen. Selbstkontrolle also, und ich befolge sie. Du warst nie im Kloster, du besuchst mich einmal im Jahr, höchstens zweimal, wenn der König nach Quedlinburg kommt. Woher also willst Du wissen, was der Herr von uns Benediktinern verlangt? Ich verlange jedenfalls jetzt von dir, dass du mir endlich berichtest! Das ist Aufgabe der Boten.“

„Bruder Pater, bist du schon einmal als Bote geritten, im Regen, Hagel, durch die riesigen Urwälder des Reiches, in Schnee und Eis, zitternd vor Frost, dass deine Hand den Zügel nicht mehr spürt? Du warst nie ein Bote, so wenig wie ich jemals ein Mönch war. Nun gut, der König Ludwig hat die Ungarn beschieden, so wie es im Jahr zuvor von ihm beschlossen wurde. Die Vertrauten in seiner Umgebung wissen schon seit der Synode von Erfurt, was uns dieses Jahr bringen wird, weil es der König so beschlossen hat. Damals hatte der König uns Boten ins Reich geschickt, in unser Land Sachsen, zu den Franken, den Schwaben, den Baiern, auch nach Lothringen. Die Fürsten sind gekommen, der wehrhafte hohe Klerus, die Grafen, die Freien, die Bauernkrieger, ja, es war das ganze Volk, das kann ich sagen. Der König hat vor dem Volk gesprochen, ich habe kein Wort davon vergessen. Er hat so vor ihm gesprochen:

„Ihr wisst, von welchen Gefahren euer Reich, das früher vollständig und überall in Verwirrung war, jetzt befreit ist. Das wisst ihr selbst nur allzu gut, ihr, die ihr durch die Fehden im Inneren und durch auswärtige Kämpfe so oft und schwer gelitten habt und geschwächt worden seid. Doch nun seht ihr das Reich durch die Gnade des Höchsten, durch unser Mühen und durch eure Tapferkeit befriedet und geeint. Die Barbaren sind besiegt und unterworfen. Nur eins müssen wir jetzt noch tun, und es ist notwendiger als alles andere: Wir müssen uns gegen unsere gemeinsamen Feinde, die Ungarn, allesamt erheben. Bis zu dem heutigen Tag habe ich euch, eure Söhne und Töchter ausgeplündert, um die Schatzkammer der Ungarn zu füllen. Ich müsste jetzt damit beginnen, die Kirchen und die Diener der Kirchen auszurauben, denn uns ist kein Geld mehr geblieben, sondern nur noch das nackte Leben. Geht deshalb mit euch selbst zu Rate und entscheidet euch, was wir in dieser Sache tun wollen. Soll ich also den Schatz, der dem Dienste Gottes geweiht ist, nehmen und als Lösegeld für uns den Feinden Gottes geben? Oder soll ich nicht lieber mit dem Geld die Würde des Dienstes Gottes erhöhen, damit wir selbst erlöst werden von demjenigen, der wahrhaft sowohl unser Schöpfer als auch unser Erlöser ist? Soll ich euch mit der Hilfe Gottes gegen die räuberischen Ungarn führen?“

„So hat der König vor den Großen und dem Volk gesprochen, und dann hat er geschwiegen. Und dann rief das Volk, und es war wie eine einzige Stimme, es rief brausend: - Ja, König Ludwig, wir wollen von dem lebendigen und wahren Gott erlöst werden, denn er ist treu und gerecht in allen seinen Wegen und heilig in allen seinen Werken. Wir werden dir folgen in den Kampf gegen das wilde Volk. Wir geloben es! - Und alle, wir alle, die Bischöfe und Grafen, die Krieger und Bauern reckten die Rechte zum Himmel, und so wurde der Vertrag zwischen uns und dem König besiegelt.“

Die Augen des Paters waren weit geöffnet, sein rundes Gesicht hatte die jovialen Züge verloren, es schien plötzlich von innen heraus gefestigt, als wäre eine Maske des Wohllebens abgenommen worden. „Und was hat der König Ludwig der ungarischen Gesandtschaft übermitteln lassen?“

„Er hat sie beschieden, so wie er wenige Monate vorher seinen Entschluss gefasst hatte. Ludwig weigerte sich, den Ungarn von diesem Augenblick an den Tribut weiter zu entrichten. Pater, wie soll ich dir diese Szene in der Königshalle schildern, damit du spürst, was geschehen ist? Wir, die wir seit langem um den König sind und seine Pläne, seine Sorgen kennen, wir alle vergessen nie, wie hochfahrend die Ungarn sind, wie sie sich rühmen, Gott sei es geklagt, sie haben ja recht: Niemand, der ihnen gleichkommt, zahlreich wie die Sterne am Himmel. Wenn sich die Erde nicht öffnet, um sie zu verschlingen, wenn der Himmel nicht einstürzt, um sie zu zerschmettern, dann kann sie niemand aufhalten. Und nun stell dir das vor, Herr Ludwig auf dem Hochsitz, um ihn die Heerführer und Grafen, die beiden Tore öffnen sich, die Gesandtschaft der Magyaren wird in die Halle geleitet. Jeder einzelne von ihnen ist ein erfahrener Krieger, das ist sofort zu erkennen. Sie gehen stolz und festen kleinen Schritten auf den König zu, einer ihrer Vornehmen führt die Gruppe. Höflich und bestimmt begibt er sich vor den Hochsitz, bleibt in der vorgeschriebenen Entfernung stehen, verbeugt sich. König Ludwig erwidert den Gruß mit einer Handbewegung, dann winkt er mit der Linken, und während der junge Gevehard durch die Seitentür die Halle verlässt, sagt der König:

„Berichtet eurem Großfürsten, dass der König des Deutschen Reiches den Tribut, zu dem wir uns verpflichtet haben, von jetzt an verweigert. Doch ihr sollt nicht ohne Geschenk heimkehren. Das ziemt sich nicht.“ Der König blickt nach links, im gleichen Augenblick tritt der junge Dienstmann durch die Seitentür, in der Faust einen toten Hund, klein, fett, die Ohren und der Schwanz sind abgeschnitten, ein räudiger stinkender Kadaver. Gevehard tritt schnurstracks auf den Magyarenfürsten zu und wirft ihm den Köter vor die Füße. In der Halle ist es totenstill, du hörst nur das schwere Atmen der Ungarn. Ihre braunen Gesichter sind jetzt fahl, fast grau, einer der Jüngeren fasst nach seinem Schwert, zieht es halb heraus, stößt es wieder zurück. Es ist der erste Ton, der in der Halle zu hören ist, und jetzt verziehen sich die Gesichter all unserer Krieger langsam zu einem höhnischen Grinsen. Es ist noch immer ruhig, keiner spricht ein Wort, aber jeder meint, dass dieses Hohnlächeln allmählich zu hören ist und die Beleidigung der Ungarn durch König Ludwig noch zu einem Gipfel steigert. Der Anführer gibt sich einen Ruck, dreht sich um, geht wortlos zum Tor zur Halle, die anderen hinter ihm“.

„Das hat der König wahr und wahrhaftig den Ungarn angetan? Einen toten Hund hingeworfen?“
„Wahr und wahrhaftig. Bruder Pater, die Halle hat fast geknistert, eine schreckliche Szene, aber jeder von uns ist trotzdem von Herzen froh gewesen. Ein feister Hund als Tribut anstatt des Goldes. Es war, als hätte der König dem Gyula ins Gesicht gespuckt. Denn bei den Ungarn ist es eine uralte Sitte aus den Zeiten ihrer Vorväter, dass sie nach Verträgen über den halbierten Teilen eines Hundes feierlich schwören, die Vereinbarungen zu halten.“

„König Ludwig hat sich also zur stärksten aller denkbaren Beleidigungen entschlossen.“ Der Pater sah den Boten besorgt an, in seiner Stimme lag etwas Schmerzliches, ein Hauch von Angst. „Der König hat den Ungarn damit einen Kampf um alles, um die ganze Existenz angesagt. Du bist Bote und Krieger, du musst wissen, was uns jetzt erwartet.“

„Ich weiß es“, sagte der Bote und stand auf. „Gott mit dir, Bruder Pater. Und überlege, ob auch die Ungarn wissen, was sie erwartet. Ich bin sicher, sie wissen es nicht.“ An der Türschwelle blickte er nochmals zurück. Die Sonne stand tief, diffuses Licht füllte die Zelle. Bald würde es dunkeln. Der Pater hob die Rechte, als wolle er segnen.