[CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 21. August 2016 20:15

Am fünfzehnten Tag des dritten Mondes

„Durch die Gnade der göttlichen Barmherzigkeit begab es sich, dass die Ungarn mehr Freude an der Flucht erfüllte als am Kampf. Allein der allmächtige Gott, der ihnen den Mut zum Kampf genommen, versagte ihnen auch gänzlich die Möglichkeit, zu entfliehen. So wurden sämtliche Ungarn teils niedergemetzelt, teils versprengt.“ Liutprandi antapodosis


Das alte Wappen von Quedlinburg zeigt unter den Zinnen der Ummauerung das Stadttor mit offenen Flügeln, rechts und links flankiert von einem Turm. Im Tor sitzt ein Hund. Das Wahrzeichen erinnert an den Tag, an dem König Ludwig der ungarischen Gesandtschaft den Tribut aufkündigte. Der Schimpf, den der König den Ungarn auf den Weg mitgegeben hatte, war die schärfste Form der Kriegserklärung, die den Reiternomaden gegenüber überhaupt möglich war. Schon die einfache Verweigerung des Tributs musste mit absoluter Sicherheit als Antwort einen Kriegszug der Ungarn heraufbeschwören. Sie würden mit einem Höchstaufwand an Truppen ins Reich einfallen. Wenn die Gesandtschaft aber am Fürstenhof von dem schändlichen Gastgeschenk berichtete und wenn die Beleidigung im ganzen Ungarnland die Runde machte, dann würde sich selbst der älteste und gebrechlichste Krieger nicht daran hindern lassen, dem Aufgebot des Großfürsten zu folgen.

Der König hätte noch ein Jahr Zeit gehabt. Der Tributvertrag lief erst nach neun Jahren aus. Doch Ludwig wusste sich gerüstet. Die Truppen und die Reiterei befanden sich in einem vorzüglichen Zustand, und deshalb hielt er nichts davon, den Kampf, der auf jeden Fall und unweigerlich kommen musste, noch hinauszuschieben. Bei den Langobarden und den Franken gab es den campus Martius, den Märztag, an dem jedes Jahr alle Krieger auf dem Märzfeld zusammenkamen. Diesen alten Brauch griff Ludwig auf, als er von der Volksversammlung die Zustimmung zum Ungarnkrieg einholte. Die Bestätigung wurde ihm ebenfalls nach altem Brauch durch Zuruf und Erheben der Rechten zum Himmel gegeben. Damit stand bereits vor Beginn der Kämpfe fest, dass es sich zum ersten Mal in der Geschichte um einen deutschen Reichstag handeln würde.

Die Ungarn begannen schon direkt im Winter für ihren Feldzug zu rüsten. Die Größe ihrer Armee übertraf die meisten der Heere, mit denen sie bis dahin das Abendland heimgesucht hatten. Als die ersten Vortrupps in dem Gebiet der Daleminzier, ihren alten Verbündeten, eintrafen, wurden sie schroff zurückgewiesen. Die Ungarn ließen sich um ihres strategischen Zieles willen mit den Daleminziern in keine Auseinandersetzungen ein, sie hielten sich auch nicht mit Belagerungen auf, sondern strebten ohne Verzögerungen an die Grenzen des Reiches zu. Die Hauptmacht brach Anfang März in Thüringen ein. Hier trennte sie sich in zwei gleich starke Heeressäulen. Das eine Kontingent marschierte von dort in Österreich ein. In den Gebieten, durch die sie zogen, verfuhren die Nomaden brutaler denn je. Jeder Mann und jeder Knabe, der älter war als zehn Jahre, wurde niedergemetzelt, sämtliche Frauen und Kinder, die sie in ihre Gewalt brachten, schleppten sie als Beute mit.

Durch Kundschafter und Späher und die Aussagen von Gefangenen hatten sich die Ungarn vergewissert, dass König Ludwig mit seinen Truppen zum Angriff auf das Nomadenheer entschlossen war. Trotzdem wurde die ungarische Armee, die nach Westen gezogen war, überrascht, als sie von einem Reichsheer angegriffen wurde, das sich aus Truppen sämtlicher deutscher Stämme zusammensetzte. Die deutschen Truppen griffen sofort an, die Schlacht verlief für die Ungarn katastrophal, sie wurden vernichtend geschlagen, alle ihre Heerführer verloren in dem Kampf ihr Leben. Die Sieger zersprengten den Rest des westlichen Heeres über die ganze Gegend. Von ihnen starb ein Teil Hungers, ein anderer durch Erfrierungen, noch andere starben niedergehauen oder gefangen, allesamt eines jämmerlichen Todes.

Bald erreichten Boten das zweite Ungarnheer mit der Nachricht, dass die Westarmee in einer Schlacht völlig vernichtet wurde, auch die flüchtenden Reste seien völlig aufgerieben worden. König Ludwig sei auf dem Weg und rücke heran. Daraufhin brachen die Ungarn schleunigst ihre laufende Belagerung der Jechaburg ab. Durch Feuerzeichen und Boten riefen die Heerführer sämtliche Einheiten, die in der Gegend verstreut waren, zusammen. Die Ungarn bereiteten sich auf den Kampf mit den deutschen Reichstruppen am nächsten Tag vor.

König Ludwig hatte sein Lager bei Riade aufgeschlagen. Am 15. März des Jahres 933 führte er das Heer frühmorgens aus dem Lager. Es war der Gedenktag des Longinus, des römischen Hauptmanns unter dem Kreuz Christi. Einige Chronisten vermerken, der König sei zu dieser Zeit sehr krank gewesen, doch habe er sich davon nicht abhalten lassen, sein Ross zu besteigen. Vor die versammelte Armee geritten, richtete er das Wort an die Krieger. „Wenn ihr jetzt voranstürmt, um das Kampfspiel des Kriegsgottes Mars zu beginnen, so achtet unbedingt darauf, dass niemand dem anderen vorauseilt, nur weil er vielleicht ein rascheres Pferd besitzt. Sondern deckt Euch gegenseitig mit den Schilden und wehrt auf diese Weise den ersten Pfeilregen ab. Danach aber stürzt euch in vollen Lauf und macht euch mit aller Gewalt und Kraft über sie her, damit sie die Hiebe eurer Schwerter erreichen und sie eure Schläge zu spüren bekommen, noch bevor sie den zweiten Pfeilregen gegen euch abschießen können.“

Unmittelbar danach begann die Schlacht, am frühen Morgen eines kühlen Märztags in der Saale-Niederung bei Riade. Aus dem Heere der Christen ertönte der gottgefällige und wunderkräftige Ruf Kyrie eleison, von der feindlichen Seite aber vernahm man das kehlige Hu! Hu!. Die deutschen Krieger befolgten strikt den Rat des Königs, sie blieben eisern in einer lückenlosen Schlachtlinie, die besser Berittenen zügelten ihre Pferde und hielten sie in der Front. Die gegenseitige Deckung der Krieger mit den Schilden – zweifellos wiederholt geübt – war so vorzüglich, dass kaum einer durch den ersten Pfeilregen getötet wurde. Die Geschosse prallten wirkungslos ab. Dann aber brachen die Deutschen mit ungeheurer, unwiderstehlicher Wucht gegen die Ungarn vor, sie waren kaum noch Einzelkämpfer, sondern jeder Krieger verkörperte nahezu ein Stück der unpersönlichen Gewalt des Heeres. Im Vorwärtsstürmen sahen die Krieger ihren König bald unter den Vordersten, bald in der Mitte und bei den Letzten und vor ihm der Erzengel Michael – mit dem Namen und dem Bildnis desselben war nämlich das Feldzeichen kenntlich gemacht. Die deutschen Krieger waren so schnell, dass es den Reiternomaden, so wie es Ludwig vorausgesehen hatte, tatsächlich unmöglich war, den Pfeilangriff zu wiederholen. Während das Zentrum der Reichstruppen die Masse der Ungarn buchstäblich überrollte, umfasste die leichte Reiterei den Gegner in einer beidseitigen Flankenbewegung.

Da die Magyaren nicht mit einem derart machtvollen und rasanten Angriff gerechnet hatten und von der neuen Kampfweise völlig überrascht waren, zögerte ihre Führung. Die Folgen waren verheerend, denn Skrupel, die den Aufschub von Entschlüssen bewirken, sind waren allenfalls in der Kirche eine Tugend. Innerhalb kurzer Zeit brach bei den Ungarn vollständige Verwirrung aus, die Feldherrn verloren die Übersicht, die ersten, die ihre Pferde herumrissen, lösten eine Kettenreaktion der Verzweiflung aus. In der überstürzten Flucht warfen die Geschlagenen ihre Waffen fort, um nicht behindert zu sein, Schwerter, Pfeile, Bogen, um die Chance des Entkommens zu erhöhen. Diesmal aber halfen ihnen auch ihre schnellen, wendigen Pferde nicht viel, denn die Deutschen hatten sich darauf eingestellt, schnitten größeren Gruppen den Weg ab und metzelten sie erbarmungslos nieder. Als besonderes Glück empfanden die Sieger, dass alle Gefangenen, die im Ungarntross angekettet mitgeschleppt worden waren, unversehrt befreit wurden. Das Heer begrüßte den König als Vater des Vaterlandes, als Herrn, Gebieter und Imperator. Der Ruf seiner Macht und Tapferkeit drang über die Grenzen und verbreitete sich über die Völker und erreichte alle Könige.

Mehr als zwei Jahrzehnte lang hüteten sich die Ungarn nach dieser Niederlage, aus eigenem Entschluss weitere Kriegszüge ins Deutsche Reich zu unternehmen. Mit dem fünfzehnten März des Jahres 933 verbanden sich über die Jahrhunderte hinweg Mythen und Verklärungen der Tapferkeit, des Opfermuts, der bedingungslosen Selbstwehr. Bis zu diesem Tag verkörperten die Ungarn schlechthin den Schrecken des christlichen Abendlandes, ein Alptraum und Nachtmahr. Am quälendsten wurde ihre Unbesiegbarkeit empfunden. Mit diesem Spukbild und dem Trauma von der Unbeholfenheit des eigenen Heeres hatte Ludwig in Riade aufgeräumt. Sollten die Reiternomaden auch weiterhin die Grenzen des Reiches bedrohen: Die panische Furcht vor ihnen existierte nicht mehr.

Dem König war es aufgrund des Tributvertrages gelungen, nicht nur in den der Vereinbarung folgenden Jahren Vorsorge über die Zeit des Waffenstillstands hinaus zu treffen, sondern auch jene seiner Pläne zu verwirklichen, die zur eigentlichen Grundlage der Außenpolitik des Reiches im Mittelalter werden sollten: Die durchgesetzten deutschen Ansprüche in Trier, gegenüber den Slawen an der Elbe in Brandenburg, in Kroatien und in Böhmen. Mit der Schlacht von Riade erhielten diese Pläne Brief und Siegel.

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Aus all diesen Gründen ist die Bedeutung von Riade für den damaligen Zustand des Deutschen Reiches und die deutsche Geschichte in den folgenden Jahrhunderten kaum zu überschätzen. Sie ist ein Faktum der Sicherung des Reiches vor den äußeren Gefahren und deshalb Symbol für seine vollzogene Einheit.

In den letzten Jahren seines Lebens wendete sich König Ludwig, wieder im Bund mit Heinrich, dem Herzog der Sachsen, den dänischen Normannen zu, der zweiten Geisel des christlichen Abendlandes im neunten und zehnten Jahrhundert. Früher waren die heidnischen Sachsen und Dänen Alliierte im Kampf gegen Karl den Großen gewesen. Das änderte sich nach der Christianisierung der Sachsen, die ihren neuen Glauben nach Norden tragen wollten. Die Normannen, voller Kampfeslust, fielen in der Folgezeit immer wieder in das Land der Sachsen ein. Die ständigen Angriffe der Dänen in Sachsen und an der Nordseeküste ließen dieses Gebiet des Reiches wie eine offene Wunde bluten. Ausgangspunkt der normannischen Aktivitäten war Haithabu, das dominierende Drehkreuz des Handels über die Nordsee zur Ostsee, von Skandinavien zum Niederrhein. Die Kaufmannssiedlung hatte sich zu einer regelrechten Stadt und Festung entwickelt. Von dort brachen die Dänen in das sächsische Gebiet ein, plünderten, brandschatzten und verwüsteten das Land beiderseits der Elbe.

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Im Sommer des Jahres 934 zog König Ludwig mit einem Heer nach Norden, eroberte nach schweren Kämpfen Haithabu und das Gebiet der karolingischen Mark, das bis zum Jahr 880 Sachsen gehört hatte. Der König warf die Dänen so machtvoll nieder, dass sie sich zur Tributpflicht bereit erklärten. Durch diesen Sieg wurde der Druck auf die Friesen, die Handelskonkurrenten der Dänen in den Nordseegewässern, gemindert und die Friesen enger an das Reich gebunden.

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Die Normannen, bekannt für ihre wilde Grausamkeit, waren zu einer Unterwerfung gezwungen worden. Sie, die mit ihren Flotten schon so lange Zeit und so oft den Rheinstrom aufwärts fuhren und mit Feuer und Schwert die ansehnlichsten Städte plünderten: Köln, das weitab vom Rhein gelegene Trier, selbst in Aachen legten sie Paläste und Bäder in Schutt und Asche. Ludwigs Gegner im Kampf um Haithabu war König Arnfast. Er unterwarf sich dem deutschen König, lehnte allerdings die Taufe ab.

Damit stand Ludwig auf dem Höhepunkt seiner Macht. Die faktische Vormachtstellung des Reiches wurde von allen Staaten des Abendlandes anerkannt. Ludwig trug nie den Titel eines Kaisers, er strebte ihn auch nicht an. Trotzdem bezeichneten die damaligen geistlichen Schreiber bewusst als solchen, denn so empfanden sie ihn: „Kaiser ist, wessen Reich hervorragt im ganzen Erdkreis, und unter ihm gibt es die Könige anderer Reiche, die nicht Kaiser, sondern Könige heißen“.

Angesichts seines Alters ging Ludwig III. bereits 929 daran, sein Haus für die Nachfolge zu bestellen. In seiner „Hausordnung“ zeigte er sich als weiser Fürst und Politiker: Er brach mit der karolingischen Tradition der Erbteilung des Reichs unter die Söhne des Königs. Der Gedanke der Reichseinheit, von Ludwig dem Frommen 817 proklamiert und später von ihm verraten, lebte wieder auf und zwar in einem noch entschiedeneren Sinne.

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Denn Ludwig III. schloss alle jüngeren Söhne von der Teilhabe am Königtum aus und dekretierte seinen ältesten Sohn Heinrich (historisch: Otto) zum alleinigen Thronfolger. Damit fand das Gesetz der Primogenitur seinen Durchbruch im Deutschen Reich. Ludwigs jüngster Sohn Otto (historisch: Brun) wurde der Kirche übergeben und erfüllte als Erzbischof von Köln und Erzherzog von Lotharingen seinen geschichtlichen Auftrag für Krone und Reich. Der zweitgeborene Sohn Konrad (historisch: Heinrich), ein Liebling seiner Mutter Mathilde, verblieb am Königshofe als Ersatzmann oder Nachfolger, falls dem Thronfolger ein früher Tod beschieden sein sollte. Aber war eben die Rede vom Erstgeborenen? Es gab noch einen weiteren Erstgeborenen, nämlich Thankmar, des Königs Sohn aus seiner ersten Ehe. Schon bald zeigte sich, dass der Begriff des Erstgeborenen nicht so eindeutig ist wie man denken mag. War Thankmar nicht der Älteste der Brüder? Heinrich der älteste Sohn des königlichen Herrscherpaares? Oder war vielmehr Konrad der legitime Erbe, weil er der erstgeborene Sohn war, den der König NACH seiner Krönung bekommen hatte?

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 30. August 2016 18:02

Quedlinburg, im September 929

Alle bedeutenden Familienmitglieder hatte der König in der großen Halle seiner Pfalz versammelt. Seine Söhne und Schwiegertöchter, seine Ehefrau, auch seine Mutter waren zugegen. Ludwig III. sah sie der Reihe nach an. Die Königin Mathilde nickte ihm zu. Sie wusste bereits, was der König ihnen zu sagen hatte.

„Ich habe den Hoftag in Quedlinburg einberufen, um mit den Fürsten unser weiteres Vorgehen gegen die Slawen und auch die Ungarn zu beraten“, begann der König und legte die Hände um seinen Becher. „Aber der eigentliche Grund ist ein anderer. Ich werde alt. Jeden Tag kann es passieren, dass Gott mich abberuft. Und darum ist es wichtig, dass meine Nachfolge geregelt wird, und zwar im Einvernehmen mit den Herzögen, den Grafen und den Pfaffen. Ich will mein Haus ordnen.“

Er sah seine drei Söhne der Reihe nach an. „Ich weiß, dass es im fränkischen Reich üblich war und ist, den Besitz des Vaters auf alle Söhne aufzuteilen. Aber ich gedenke nicht, das zu tun, denn unser Reich würde zerfallen. Ich weiß ebenso, dass andere es für richtig erachten, den erstgeborenen Sohn als Erben einzusetzen. Aber auch das werde ich nicht tun.“ Der König machte eine Pause, um dem Gesagten und dem folgenden Nachdruck zu verleihen. „Ich werde meinen zweiten Sohn Heinrich zu meinem Nachfolger bestimmen. Die Königin ist anderer Meinung. Sie glaubt, Konrad sollte es werde. weil er in Purpur geboren ist. Nach meiner Ansicht werden die Fürsten aber Heinrich einhelliger als meinen Nachfolger akzeptieren als Konrad. Für ihn werde ich ein schönes Herzogtum finden, wenn die Zeit kommt.“

„Und wer genau soll es sein, der sein Herzogtum für Konrad räumt?“, erkundigte sich Mathilde. „Arnulf von Baiern vielleicht, der so gerne an Deiner statt König geworden wäre, mein Gemahl? Oder der Eberhard von Franken, dieser Ränkeschmied?“ Der König fiel ihr unwirsch ins Wort. „Konrad ist erst zehn, die Frage drängt noch nicht.“ Etwas in seinem Ausdruck bewog alle an der Tafel Versammelten, den Mund zu halten. Ein paar Herzschläge lang war nichts zu hören bis auf das Zischen der Fackeln in den schmiedeisernen Ständern und das unvermeidliche Geträller der königlichen Vögel.

Thankmar nahm einen Schluck Wein aus seinem Becher. Obwohl er der Älteste war, hatte er nie ernsthaft damit gerechnet, dass ihr Vater ihm sein Reich vererben würde. Und das lag nicht einmal daran, dass die Gültigkeit der Ehe seiner Eltern nicht ohne Zweifel war. Solche Bedenken ließen sich ausräumen – notfalls mit einem Heer aus Panzerreitern. Thankmar wusste, dass ihm einfach etwas fehlte, um ein guter Herrscher zu sein. Die Aussicht, beim Tod des Königs die weitreichenden und einträglichen Ländereien seiner Mutter zu erben, erfüllte ihn schon mit Zufriedenheit. Vielleicht war er einfach zu bequem, um ein König zu sein. Und auch Konrad fehlte etwas, das konnte man schon heute an dem Zehnjährigen erkennen. Er war verzagt und leicht kränkbar, er schmeichelte ständig jenen, die er fürchtete. Und weil er sich dafür schämte, drangsalierte er die Sklaven, um sich stark zu fühlen. Kurz, Konrad war ein Mistkerl und würde es bleiben. Und der jüngste der Brüder, Otto, war der Kirche versprochen. Blieb nur Heinrich.

Der Hoftag in Quedlinburg im September 929 stand also im Zeichen der Nachfolgeregelung. In der großen Halle herrschte Hochbetrieb. Wegen des anhaltenden Spätsommerwetters waren die Fenster noch nicht mit Läden verschlossen worden, so dass helles Sonnenlicht hereinströmte, in welchem Staubteilchen tanzten wie winzige Goldflocken. Schwere Eichenplatten auf Holzböcken waren zu drei langen Tischen zusammengefügt worden. Der an der Stirnwand stand auf einem leicht erhöhtem Podest, und dort saß König Ludwig III. in kostbareren Gewändern, als man ihn sonst sah. Mathilde an seiner Seite erstrahlte ebenfalls in feierlichem Brokat. Ein Mann kniete vor den beiden nieder und sagte bedeutungsvoll: „Ich bin Eurem Ruf gefolgt und nach Quedlinburg geeilt, um Euch meiner unverbrüchlichen Treue zu versichern, mein König.“

„Habt Dank, Arnulf.“ Ludwig III. gestattete ihm mit einer Geste, sich zu erheben. „Eure Treue wissen wir ganz besonders zu schätzen.“ Man konnte meine, es läge ein Hauch Spott in den Worten des Königs. Immerhin war es der Herzog von Baiern, der hier vor ihm stand. Arnulf hatte sich nur ein gutes Jahr nach Ludwigs Königswahl zum Gegenkönig erheben lassen, und auch wenn Ludwig ihn schließlich unterworfen hatte, hieß das vermutlich noch lange nicht, dass Arnulf von Baiern seine Träume begraben hatte.

Während der Herzog auf Mathildes Einladung an der hohen Tafel Platz nahm, betrat Giselbert von Lothringen die Halle. Er kam in Begleitung von Ludwigs Tochter Gerberga, die der König dem Herzog zur Frau gegeben hatte. Giselbert war ein Mann um die vierzig mit einem auffälligen schulterlangen Silberschopf, der ihn auf den ersten Blick weibisch erschienen ließ. Der Herzog von Lothringen mochte eitel sein, aber er war gewiss ein harter Mann und ein kluger Herrscher. Auch er beugte vor dem Königspaar das Knie und begrüßte sie förmlich. Ludwig III. sprach Giselbert herzlicher an als Arnulf von Baiern. Er stand auf, hob Giselbert an den Schultern auf und schloss erst ihn, dann seine Gemahlin in die Arme.

Und so kamen sie einer nach dem anderen: die Herzöge Eberhard von Franken und Hermann von Schwaben hatten die prächtigsten Gewänder und das größte Gefolge, übertroffen vielleicht nur von den drei Erzbischöfen des Reiches, die genau wie die Herzöge an die hohe Tafel gebeten wurden. Grafen kamen und Bischöfe und Äbte und als einer der letzten betrat ein junger Mann ohne Gefolge die königliche Halle zu Quedlinburg.

Er war schlicht gekleidet und trug ein als Schmuck nur ein großes Silberkreuz auf der Brust. Wenzel von Böhmen entbot dem König einen ehrerbietigen und höflichen Gruß, kniete aber nicht nieder. Das musste er auch nicht - er war dem König gegenüber tributpflichtig, sein Vasall war er aber nicht. Sein Erscheinen nahm Ludwig III. zum Anlass, der versammelten Menge seinen neuen Gast vorzustellen: Jenen slawischen Fürstensohn, den er nach der Eroberung der Brennaburg als Geisel mitgenommen hatte, damit die Treue der Unterworfenen nicht wanken möge. Der adelige Slawe war gemeinsam mit seiner Schwester nach Sachsen gebracht worden. Heinrich, der Sohn des Königs, hatte offenbar rasch Gefallen an dieser Prinzessin gefunden, denn sie hatte bald einen Sohn von ihm bekommen. Dieser hatte den Namen Wilhelm bekommen und sollte später einmal eine kirchliche Karriere machen. Eine Legitimierung des Jungen durch eine Ehe Heinrichs mit der slawischen Geisel war politisch undenkbar, auch wenn Heinrich der Dame persönlich tatsächlich zugeneigt war. Sie verschwand bald in einem sächsischen Frauenstift.

Der Hoftag in Quedlinburg, die Adeligen und Kirchenfürsten, trommelten mit ihren Bechern auf die Tische, um ihren Beifall zu bekunden. Ihr König Ludwig hatte die Aufstände im Osten niedergeschlagen, Wenzel von Böhmen hatte sich zum Herrn Jesus Christus bekannt. „Wir sind mehr als nur der Fuß im Nacken der slawischen Völker! Wir haben feste Wurzeln geschlagen jenseits der Elbe und treue Gefolgsleute gefunden.“, betonte der König. Arnulf von Baiern entgegnete ihm rufend: „Wenn die Ungarn das nächste mal kommen, werden wir sie schon vor Prag schlagen!“ Das kam besonders gut an.

Nun folgte nach der Zurschaustellung der prominenten Geisel die nächste Demütigung, nämlich für Thankmar. Der König hatte diesen Hoftag ganz genau geplant und durchdacht. Mit den Herzögen, den Erzbischöfen, den wichtigen Grafen, Bischöfen und Äbten hatte er längst unter vier Augen gesprochen. Dieses prunkvolle Spektakel, zu welchem auch das Vorführen der slawischen Fürsten gehörte, war nur ein Mummenschanz. Zunächst begann das Festmahl mit allem im Überfluss. Bevor der Abend zu dunkel und die Gäste zu betrunken wurden, erhob sich der König von seinem Sessel an der hohen Tafel. Augenblicklich verstummten die Spielleute, und nach und nach versiegten auch Geplauder und Gelächter, bis es still in der Halle war.

„Edle Herren. Weggefährten, Freunde und Vasallen. Es gibt noch etwas Erfreuliches, das ich Euch mitzuteilen habe. Heinrich?“ Der Prinz nickte seiner Begleiterin zu, beide standen auf und traten vor. Ludwig stellte sich zwischen das junge Paar und nahm es bei den Händen. „Wie manche von Euch bereits wissen, habe ich mit dem König von Wessex eine Heirat für seine Schwester und meinem Sohn Heinrich ausgehandelt. Dies ist Editha von Wessex, und Ihr alle sollt bezeugen, wie ich ihre Hand an die meines Sohnes lege.“ Er führte ihre Hände zusammen, und wieder brach der Saal in Jubel aus.

„In die Hand meines Nachfolgers“, fuhr der König fort. „Ich habe mich dazu entschlossen, mein Haus zu ordnen und meine Nachfolge zu regeln. Wisset, dass ich entschieden habe, mein Reich Prinz Heinrich zu vermachen, und zwar ungeteilt. Und wenn Ihr morgen vor mich tretet, um Eure Treuegelöbnisse zu erneuern, wünsche ich, dass Ihr auch Heinrich huldigt, Eurem zukünftigem König.“ Der so übergangene Thankmar erblickte in der applaudierenden Menge keine Kritik an der Entscheidung des Königs. Nach all den Jahren unter der Herrschaft Ludwigs akzeptierten sie es wie ein zugerittener Gaul, dem die Widerspenstigkeit ausgetrieben worden war.

Durch die Ausschließung der anderen Söhne vom Königtum und Teilkönigtum wurde die Stellung der Herzöge im Reich gesichert. Teilkönige und Herzöge wären im Streit um ihre Stellung im Reich in grimmige Machtkämpfe verwickelt worden. So aber sollten, das war Ludwigs Absicht, die Herzöge im Gleichklang mit dem König zu Verteidigern der Reichseinheit werden.

Es war im September des Jahres 937, da alle Söhne noch einmal in der Pfalz ihres königlichen Vaters zusammenkamen. Die Atemzüge des Königs waren mühsamer geworden, die Abstände länger, und die Augen schienen tiefer in die Höhle zurückgesunken zu sein als vorher. Seit vier Nächten wachte Ludwigs designierter Nachfolger Heinrich am Bett des Königs. Thankmar, der uneheliche Sohn Ludwigs, trat vor die Türe des Schlafgemachs und murmelte den Wachen ein paar Anweisungen zu und ging dann zu der Königin, um sie persönlich zu benachrichtigen. Heinrich setzte sich auf die Bettkante, strich seinem Vater das brüchig gewordene Haar glatt und küsste ihm die Stirn.

Die Familie versammelte sich rasch. Als letzte der Geschwister traf Hadwig ein, das Kleid zerknittert und nachlässig geschnürt. Offenbar hatte sie darin geschlafen. Heinrich überließ den Platz an der rechten Seite des Königs seiner Mutter, die die abgemagerte Hand ihres Gemahls ergriff. Der Prinz spürte seine eigene Ehefrau Editha an seiner Seite und legte ihr den Arm die Schultern. Und dann atmete der König ein, aber nicht mehr aus.

Vielleicht zwanzig, dreißig Herzschläge lang herrschte vollkommene Stille. Schließlich sagte Bischof Bernhard von Halberstadt mit tiefer, tragender Stimme: „So starb König Ludwig, Sohn Karls von Schwaben, Vater des Vaterlandes und Bezwinger der Ungarn, am Tage des Heiligen Mauritius, dem zweiundzwanzigsten September im Jahre unseres Herrn neunhundertundsiebenunddreißig. Möge er in Frieden ruhen.“

„Amen“, sagten sie und bekreuzigten sich weinend. Nur Heinrichs Augen blieben trocken. Er sah auf die stille Gestalt in dem breiten Bett und dachte: „Sie werden wie Wölfe über mich herfallen. Ich soll der Löwe sein, der die Wölfe bändigt, aber Du hast mir nicht gesagt, wie man das macht.“ Heinrichs Gedanken wurden durch die Stimme des Bischofs Bernhard unterbrochen:“Gott schütze den König“, sagte er. Und dann knieten sie vor Heinrich nieder. Seine Frau Editha zuerst, was kein Zufall war, denn sie misstraute Thankmar genauso wie der Königin und wollte mit dieser Geste unwiderruflich klarstellen, wen der Bischof gemeint hatte. Die noch immer schluchzende Hadwig folgte, dann die drei anwesenden Geistlichen, zwei Bischöfe und ein Abt. Thankmar wandte sich zu Heinrich und zögerte nicht, sich neben Hadwig niederzuknien und dabei vor sich in das staubige Bodenstroh zu starren. Und schließlich Königin Mathildis, die ihren Lieblingssohn Konrad beim Ellenbogen nahm und an ihrer Seite auf die Knie zog. Reglos sah der König auf sie alle herab und dachte: „Gott steh mir bei.“

Als Ludwig III. am 22. September 937 zu Memleben einem Schlaganfall erlag, hatte der 63jährige in fast vierzig Jahren Regierungszeit ein bedeutendes Königswerk vollbracht. Die deutschen Stämme waren geeint und der Staatsraum geschaffen, in dem sich das Schicksal der Deutschen in den kommenden Jahrhunderten erfüllen konnte.

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Hinweis: Der Spielcharakter Ludwig III. deckt gleich drei historische Könige ab: Die beiden schwachen Herrscher Ludwig das Kind, der letzte Karolinger auf dem Thron, und Konrad I. aus dem Geschlecht der Konradiner. Nach ihnen folgte historisch Heinrich I., jener König, der sich mit den Herzögen zusammentat, um 933 die Ungarn zu besiegen. Namentlich die Geschichtsschreibung des Dritten Reiches hat in Heinrich „ihren“ deutschen König gesehen. Für sie war er der ungesalbte König, der seinen Herrschaftsanspruch keiner kirchlichen Autorität verdankte. Er hatte nicht den Weg nach Rom angetreten, den man als verderblich, als undeutsch ansah. Es heißt sogar, dass Heinrich Himmler sich selbst als Wiedergänger dieses Königs mit gleichem Vornamen, der tausend Jahre vor seiner Zeit 936 starb, ansah.

Video:
Heinrich I. - Der erste Sachse auf dem Königsthron


Heinrich I., den ich hier mit Ludwig III. gleichsam „mit abgedeckt“ habe, war zudem Sachse aus dem Geschlecht der Liudolfinger. Jener erstgeborene Sohn Otto (den man später Otto den Großen nennt), den Heinrich I. zu seinem alleinigen Nachfolger wählen ließ, kommt sogar in meiner Partie vor – er bekommt dort aber nicht die Mehrheit der Kurfürstenstimmen. Bei mir sitzen noch immer die Karolinger auf dem Thron.

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In der folgenden Grafik habe ich die geschichtlichen Könige und jene meiner Partie nebeneinander gestellt. In identischer Farbe hervorgehoben sind miteinander solche, die in der Story dem historischen Vorbild meines Spielcharakter entsprechen. Das Problem ist nämlich, dass Crusader Kings 2 im Zeitraum vor 1066 lediglich den Einstieg bei den Jahren 769 und 867 zulässt. Ich muss also ab Ludwig dem Deutschen zweihundert Jahre durchlaufen lassen, da stimmen die Namen nicht immer.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 2. September 2016 19:34

Heinrich I. der Große (regiert 937 bis 968)

Anlässlich der Beisetzungsfeierlichkeiten für seinen Vater Ludwig wurde Heinrichs Nachfolge von den anwesenden Großen durch Huldigung bestätigt, die offizielle Wahl erfolgte kurz darauf in Aachen, womit Heinrich an die fränkische Tradition Karls des Großen anknüpfte. Es entbrannte ein Streit darüber, welcher Erzbischof den König krönen durfte. Der von Trier brachte vor, sein Erzbistum sei das älteste im Reich, der von Köln wies darauf hin, dass der Krönungsort Aachen sich in seinem Bistum befinde. Und der von Mainz war de facto einfach der wichtigste unter den Erzbischöfen. Man einigte sich auf einen Kompromiss, der einer gewissen Komik nicht entbehrt: Der Mainzer durfte salben und krönen, der Kölner die Krone halten, der Trierer mit zum Throne gehen. Dass Heinrich den Thron Karls bestieg, war ein erster Hinweis darauf, wie er seine Königswürde verstand und wie er zu regieren gedachte. Überliefert ist auch das Königsmahl, dass sich an die Zeremonie im Aachener Dom anschloss. Da übten die wichtigsten Herzöge des Reiches erstmals die Erzämter aus – Giselbert von Lothringen war als Kämmerer für die ganze Feier zuständig, der Franke Eberhard als Mundschenk für die Getränke, der Baier Arnulf fungierte als Marschall. Alle Stämme waren hier vertreten, Heinrichs Inthronisierung also allgemein anerkannt. Die Ausübung der ehrenvollen, doch mit dienendem Charakter behafteten Erzämter signalisierte zugleich, dass Heinrich I. in den Herzögen nicht Partner bei der Regierung des Reiches ansah (wie es sein Vater getan hatte), sondern sie als Diener des Königs betrachtete, wenngleich auch die obersten Diener. Das war den Herzögen zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht bewusst gewesen.

Heinrich I. war entschlossen zu zeigen, wie stark seine innenpolitische Position wirklich war. In der Familie war er als Erbe seines Vaters nicht unumstritten. Seine Mutter Mathilde bevorzugte seinen jüngsten Bruder Otto, sein mittlerer Bruder Konrad konnte für sich reklamieren, im Gegensatz zu Heinrich in purpur geboren zu sein. Er war gezeugt worden, nachdem Ludwig III. König geworden war. Nach dieser Sichtweise war Heinrich der Sohn eines Herzogs, Konrad dagegen Sohn eines Königs. Das spielte für die Menschen durchaus eine Rolle, denn dem König haftete ein besonderes Heil an, das ihm von Gott gegeben war.

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Heinrichs Fähigkeiten wurden zunächst von den Slawen und Böhmen auf die Probe gestellt, die ihre Tributpflicht abschütteln wollten. Ein Wechsel auf dem Thron schien dafür ein geeigneter Zeitpunkt zu sein. Der König setzte sich an die Spitze seiner Soldaten, war aber klug genug, sie nicht selbst anzuführen. Das überließ er erfahrenen Berufssoldaten, die im jahrzehntelangen Grenzkrieg erfahren waren, den Gegner und das Land kannten. Eine Szene aus diesem Feldzug zeigte erneut Heinrich Verständnis von seinem Königtum: Selbst in einer verzweifelten taktischen Lage steckte er nicht zurück, im Gegenteil forderte er seinen Gegner sogar zur Kapitulation auf. Alles andere passte nicht zur Ehre seiner Krone.

In der folgenden Zeit kam es zu mehreren Wechseln in bedeutenden Ämtern. So ernannte Heinrich den Billunger Hermann zum Markgrafen für das Gebiet der Niederelbe. Die sächsischen Großen, die der Meinung waren, dass es ältere, verdienstvollere Anwärter gegeben hätte, reagierten beleidigt. Besonders Hermanns älterer Bruder Wichmann war mit der Entscheidung des Königs gar nicht einverstanden.

Den mächtigen fränkischen Herzog Eberhard verprellte der König, als er diesen für einen Landfriedensbruch bestrafte. Zwar war Eberhard im Recht (es ging um die verweigerte Dienstpflicht einige seiner Grafen), als er eine Burg der Ungehorsamen stürmen und die Besatzung töten ließ. Heinrich I. entschloss sich, ein Exempel zu statuieren, um das Feuer der Fehde nicht weiter um sich greifen zu lassen.


Quedlinburg, im Jahre 938

Eine Dame traf mit einigem Gefolge am Hof des Königs in Quedlinburg ein. Ihr Name war Raginhildis von Helmern, Heinrich I. war ihr noch nie begegnet. Als die Reisegesellschaft in die Halle eintrat, nahmen Heinrich und die seinen Platz. „Hier kommt Verdruss“, ging es Thankmar, dem Halbbruder des Königs, durch den Kopf. Es lag nicht nur an den Blutschieren auf ihrem Kleid und ihrer versteinerten Miene, sondern mehr noch an der trotzigen, geradezu tragischen Art, wie sie ihren schwangeren Bauch vor sich herschob und dem kleinen Mädchen, das sie mit sich führte, die Hand auf den Kopf legte. Vor der hohen Tafel blieb sie stehen und knickste.

„Ihr seid Raginhildis von Helmern? Was führt Euch her?“, fragte Heinrich. Sie ließ den Blick über die Menschen an der hohen Tafel schweifen, ehe sie sprach. „Wir wurden überfallen. Ohne Vorwarnung fielen sie bei Anbruch der Nacht auf unserer Burg in Helmern ein und töteten alle. Jeden Mann, jede Frau, jedes Kind.“ Heinrichs Hände umklammerten die Armlehnen seines Sessels so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Die Ungarn?“ Sie richtete den Blick auf ihn. „Herzog Eberhard von Franken und seine Männer, mein König.“

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Prinz Konrad setze sich ruckartig auf. „Was?“ Es war einen Moment still, dann fragte er nach: „Was ist mit Eurem Gemahl?“ Raginhildis senkte den Kopf. „Tot. Sie haben ihn an einen Baum gehängt. Meinen Jungen auch. Er war neun.“ Alle an der Tafel bekreuzigten sich. Der König stieß hörbar die Luft aus und lockerte seinen Klammergriff an den Sessellehnen. „Euer Gemahl war Bruning von Helmern, nicht wahr? Ich kenne seinen Namen, weil ich auch die Vorgeschichte dieser Bluttat kenne. Der Herzog war der Lehnsherr Eures Gemahls, aber Bruning hat ihm die Vasallendienste verweigert, war es nicht so?“ Raginhildis hielt den Kopf wieder gesenkt, um den König nicht direkt anblicken zu müssen. „Ihr habt ganz recht, mein Herr und König. Bruning glaubte, dass er niemandem Vasallentreue schulde als Euch allein, aber er hätte Euch sein Anliegen vortragen müssen, statt eigenmächtig zu handeln. Ich habe ihm gesagt, er setzt sich ins Unrecht. Doch er wollte nicht auf mich hören.“

„Wie dem auch sei, Herzog Eberhard hat auf jeden Fall seinerseits gegen das Recht verstoßen, als er Euch überfiel und Euren Gemahl und alle anderen tötete. Auch er hätte sich an mich wenden müssen.“ Thankmar verbesserte den König: „Das hat er getan.“ Heinrich I. nickte: „Auf Umwegen, über Dich. Aber wenn er Gerechtigkeit wollte, hätte er zu mir kommen und Klage erheben müssen. Statt das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen.“ Thankmar konnte der Ansicht seines Halbbruders nicht zustimmen, denn Helmern lag im Hessengau, also war Eberhard dazu berechtigt, seinen treulosen Vasallen zu strafen. Doch die schneidende Stimme des Königs bewog ihn, den Mund zu halten.

Heinrich wandte sich wieder an die junge Witwe. „Ihr habt recht daran getan, herzukommen, Raginhildis. Ich kann Euch den Gemahl und den Sohn nicht wiedergeben, aber ich schwöre, dass Euch Gerechtigkeit widerfahren soll. Der Kämmerer wird Euch zurück ins Gästehaus geleiten. Wartet dort. Ich lasse nach Euch schicken, wenn ich entschieden habe, wie es weitergehen soll.“ Thankmar wartete, bis die Besucher die Halle verlassen hatten, dann ersuchte er den König darum, sprechen zu dürfen. „Eberhard von Franken ist Graf im Hessengau, ob es uns nun passt oder nicht. Die Grafengewalt liegt bei ihm.“

Prinz Konrad schaltete sich ein und konterte den Einwand: „Das gibt ihm nicht das Recht, Helmern zu überfallen und alle zu töten. Bruning hat nicht den Preis für eine gefährliche Dummheit gezahlt, sondern er hat vielemehr großen Mut bewiesen. Denn der Hessengau liegt nun mal in Sachsen, und Sachsen gehört dem König. Ich finde, Bruning hatte völlig recht: Kein Herzog von Franken darf seine gierigen Finger nach Königsgütern ausstrecken. Für mich schmeckt das verdächtig nach Verrat.“

Heinrich I. blickte seinen jüngeren Bruder Konrad eindringlich an. „Das ist ein Wort, das man nicht leichtfertig in den Mund nehmen sollte. Jedoch – ich werde Herzog Eberhard zur Rechenschaft ziehen. Auch wenn er die Grafengewalt im Hessengau hat, hätte er sich dem königlichen Urteilsspruch unterwerfen müssen. Das hat er nicht getan, weil er die Königsgewalt nicht anerkennt und mich für schwach hält.“ Thankmar hielt weiter dagegen: „Aber es ist unklug, ihn zu demütigen. Er ist alt genug, um Euer Vater zu sein, und es ist ein hartes Los, die Krone schon praktisch in Sichtweite zu haben und dann zusehen zu müssen, wie ein anderer sie einem vor der Nase wegschnappt.“

„Ich sehe nicht, was Eberhards Alter oder seine möglichen damaligen Absichten auf die Krone in dieser Angelegenheit eine Rolle spielen sollten“, erwiderte der König. „Er hat sich gegen mich aufgelehnt, und er hat Frauen und Kinder ermordet. Ich betrachte die Sache nüchtern: Beantworte ich diese Tat mit harter Hand, weil er ein aufsässiger Herzog ist? Rebellion ist wie ein Feuer, das im Keim erstickt werden muss, sonst gerät sie im Handumdrehen außer Kontrolle. Oder bewahre ich besser einen kühlen Kopf, um Eberhard von Franken nicht zu provozieren? Das ungefährlichste Feuer ist jenes, das gar nicht erst ausbricht. Wenn ich die Tatsachen betrachte, muss ich jedoch zu dem Schluss kommen, dass ich Eberhards Verhalten mir gegenüber nicht tolerieren darf.“

Thankmar sollte bald erfahren, dass diese Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und dem König von einer schwerwiegenderen Enttäuschung Heinrichs abgelöst werden sollte.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 4. September 2016 14:34

Magdeburg, im September 938

„Hundetragen, was soll das sein?“, fragte Tugomir, der slawische Prinz, den König Heinrich I. als Geisel an seinem Hof hielt – eine Art Pfand dafür, dass die Slawen den Frieden mit den Sachsen einhalten. „Eine Strafe“, erklärte Waldered, ein sächsischer Mönch. „Jeder von Eberhards Männern, der an dem Überfall auf Bruning von Helmern beteiligt war, muss einen Hund von der Johanniskirche bis zu der Pfalz tragen. Zu Fuß, natürlich. Einen fetten, alten oder sogar toten Hund. Der Brauch ist uralt und geht auf Zeiten zurück, als es üblich war, treulose und bissige Hunde zusammen mit menschlichen Übeltätern aufzuhängen. Es soll den Franken vor Augen führen, dass sie nur so gerade eben der Todesstrafe entgangen sind. Diese Hunde sind nicht zur Jagd geeignet. Das soll symbolisieren, dass die Träger ihren Adelsstand verwirkt haben. Es ist eine Ehrenstrafe, versteht ihr, und deswegen besonders bitter für Eberhards Männer, die allesamt Edelleute sind.“

Der slawische Prinz verstand nun. „Ich hörte bereits, dass Eberhard selbst zur Strafe einhundert Pfund in Pferden bezahlen muss. Ich hätte gedacht, Brunings Witwe wäre Silber lieber.“ Der Mönch hob kurz die Hände. „Aber der König braucht die Pferde für den Krieg. Nicht die Witwe wird entschädigt, sondern der König. Er war die geschädigte Partei, weil Herzog Eberhard sich über ihn hinweggesetzt hat, als er eigenmächtig gegen den armen Bruning vorging. Nun hat Eberhard erfahren, dass er sich verrechnet hat, als er den König herausgefordert hat.“

Das war wohl wahr – der König hatte angedroht, sein Reiterheer nach Franken zu führen. Eberhard war nichts anderes übrig geblieben, als klein beizugeben, denn er konnte nicht hoffen, es zu besiegen. Vermutlich hatte Eberhard darauf gebaut, dass der König derzeit nicht genügend Männer gehabt hätte, um sie gegen ihn zu führen.

Als die Männer durch die Gassen Magdeburgs schritten, ihre Gesichter vor Ekel vor den Hunden auf ihren Armen sowie vor zornigem Scham verzehrt, da wurden sie von der Menge mit Steinen und Pferdeäpfeln beworfen und beschimpft. Die Stimmung war aufgeladen und hässlich. Vor der Pfalz durften sich die Gedemütigten ihrer Lasten entledigen. Einige Sklaven eilten herbei, um die Kadaver einzusammeln und die lebendigen Hunde mit ein paar Tritten aus der Pfalz zu jagen. Vor dem König, neben dem Herzog Eberhard eine Treppenstufe tiefer stehen musste, sanken die fränkischen Edlen auf die Knie. Heinrich I. sah mit undurchschaubarer Miene auf sie hinab. Schließlich sagte er: „Ihr habt den Frieden gebrochen und schweres Unrecht begangen. Eure Strafe mag Euch hart erscheinen, doch ich kann Euch nur raten: Lasst sie Euch eine Lehre sein. Ein jeder von Euch hat sich gegen mich aufgelehnt und zum Wohle meiner Untertanen kann ich dies nicht dulden. Und darum war es heute das letzte Mal, dass Aufrührer mit dem Leben davongekommen sind.“ Die Männer tauschten unbehagliche Blicke aus, nur ihr Herzog verharrte mit starrem Blick neben dem König. Es war klar, dass Heinrich vor allem ihn meinte, obwohl er vorgab, zu dessen Männern zu sprechen. „Doch nun habt Ihr Eure Strafe verbüßt“, fuhr Heinrich nun lächelnd fort, „und Ihr sollt wissen, dass ich jeden von Euch in Gnaden wieder aufnehme.“

Eberhard wurde also zu einer Buße von 100 Pfund Silber verurteilt, zahlbar in Pferden der besten Rasse. Seine Unterführer mussten von einem bestimmten Platz in Magdeburg aus Hunde zur königlichen Pfalz tragen. Das war eine der schimpflichsten Strafen überhaupt, denn man war damit buchstäblich „auf den Hund gekommen“.

Jedoch die Strafen verfehlten ihre Wirkung, sie heizten die Kämpfe im Reich sogar an. Man fragt sich, was konnte Heinrich dazu getrieben haben, die Franken, seine treuesten Verbündeten, so zu demütigen?

Im Fall des Herzogtums Baiern dagegen war Heinrichs Vorgehen nachvollziehbar. Hier war der Herzog Arnulf gestorben, der gleiche, der damals in Baiern bereits königsgleiche Macht ausübte und von Ludwig III. dazu bewogen werden konnte, auf sein Königtum zu verzichten. Als Ausgleich dafür hatte König Ludwig dem Baiernherzog Königsrechte, zum Beispiel das Recht der Investitur, der Bischofseinsetzung, überlassen. Beim Tod des Herzogs Arnulf betrachtete König Heinrich I. diese Rechte als erledigt und der Krone zugehörig. So kam es zum offenen Konflikt mit Arnulfs Sohn Eberhard. Heinrich wagte einen Feldzug, konnte sich wegen zu geringer Truppenmacht aber nicht gegen den aufsässigen Baiern durchsetzen.

Eine weitere folgenschwere Entscheidung traf der König nach dem Tode des Grafen Siegfried von Merseburg im Jahre 938. Heinrich I. setzte den Grafen Gero in dieses Markgrafenamt ein, den jüngeren Bruder des Verstorbenen. So weit, so gut. Das Problem bestand darin, dass Heinrichs älterer Halbbruder Thankmar, der Sohn König Ludwigs III. aus seiner ersten Ehe, begründeten Anspruch auf die Markgrafschaft erheben konnte. Zum ersten war er des Königs Halbbruder, zum zweiten hatte er als Sohn der Hatheburg, die die Erbtochter des Grafen von Merseburg gewesen war, Anspruch auf das mütterliche Erbgut. Hatte schon König Ludwig unrecht gehandelt, als er nach der Trennung von Hatheburg (das war die Witwe, die bereits den Schleier genommen hatte) deren merseburgische Erbgüter einbehielt, so wurde an Thankmar erneut Unrecht geübt, indem König Heinrich es unterließ, Thankmar durch Vergabe des Markgrafenamtes wieder in seine Rechte einzusetzen.

„Auf ein Wort, edler Herzog“, sprach Thankmar aus, nachdem er sich vergewissert hatte, dass er und der Herzog von Franken nicht beobachtet wurden. Während in der Kirche der Magdeburger Pfalz noch die Messe gelesen wurde, hatte Thankmar den Herzog Eberhard zu einem konspirativen Treffpunkt bestellt. Der Franke schloss leise die knarrende Tür des kleinen Hauses, und dann herrschte einen Augenblick Stille. „Wie nett, dass Ihr es einrichten konntet. Willkommen zu unserem kleinen Verschwörertreffen.“ Eberhard von Franken verschränkte die massigen Arme. „Ich kann nicht sagen, dass das Wort mir gefällt.“

„Vergebt mir. Wie würdet Ihr es nennen, wenn ein gedemütigter Herzog und ein gleichfalls gedemütigter Prinz sich heimlich an einem abgeschiedenen Ort zusammenfinden?“ Eberhard hob seine grauen Augenbrauen an: „Gedemütigt? Ihr? Weil der König Euren Vetter Gero bei der Vergabe der Grafschaft Merseburg und der Ostmark bevorzugt hat, statt Euch zu berücksichtigen? Nichts als Verdruss wird Gero dort mit den verfluchten Slawen haben. Aufstände, Rebellionen, Überfälle aus dem Hinterhalt, keinen Tag Ruhe. Ich hätte Euch für klüger gehalten, als ihn darum zu beneiden.“

„Ihr versteht mich falsch. Ich bin keineswegs versessen darauf, Heinrichs scharfes Schwert gegen die Slawen zu sein. Aber ich will mein Erbe. So wie Ihr die Unabhängigkeit Eures Herzogtums wollt und freie Grafengewalt im Hessengau. Die der König Euch vorenthält. Und da wir dieses traurige Schicksal teilen, sollten wir uns darüber unterhalten.“ Der Herzog blickte weiterhin misstrauisch Thankmar an: „Das hört sich nach Rebellion an. Woher soll ich wissen, dass Ihr mir nicht im Auftrag des Königs eine Falle stellt? Bislang wart Ihr immer ein Herz und eine Seele.“

Der Prinz lachte gedämpft auf. „Das ist vielleicht eine Spur übertrieben. Ich stelle Euch keine Falle, ebenso wenig will ich Euch zur Rebellion anstiften. Ja, wir misstrauen uns. Wir beiden mögen einander nicht einmal sonderlich, nicht wahr? Aber ich weiß, dass Ihr ein kluger Mann seid. Nicht verbittert wie Arnulf von Baiern, nicht dumm und eitel wie Giselbert von Lothringen und erst recht kein sanftes Lamm wie Hermann von Schwaben. Ihr seid ein Realist und erkennt, dass Heinrich die Macht des Adels zugunsten der Krone schwächen will. Männer wie wir es sind, will der König zurechtstutzen. Wir hingegen haben ein Interesse daran, unsere Rechte zu wahren und zu verteidigen. Gebt Ihr mir recht?“

„Ich stimme zu, dass wir hier nur mit Handeln etwas ausrichten können. Doch das ist leichter gesagt als getan“, nickte Eberhard, auf dessen Hals nun rote Flecken der Erregung zu sehen waren. Thankmar verriet ihm seinen Plan: „Fallt mit Euren Truppen in Sachsen ein. Genau gesagt in Westfalen. Ich werde das gleiche Risiko eingehen und mit eintausend Männern von meiner Burg in Teistungen ebenfalls nach Westfalen marschieren und Euch dort erwarten. Dort befindet sich unser Druckmittel, mit dem wir den König gefügig machen werden.“

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Der historische Stammbaum der Ottonen

Der um sein Erbe gebrachte Thankmar verbündete sich mit dem Herzog Eberhard von Franken und belagerte die Feste Belecke bei Arnsberg. Thankmar nahm die Burg, gab sie seinen Soldaten zur Plünderung frei und nahm als wertvollste Beute Konrad, den jüngeren Bruder Heinrichs, der in der Feste weilte, gefangen. Thankmar lieferte den Königsbruder Konrad an den Frankenherzog Eberhard aus. Dann zog Thankmar gegen die Eresburg weiter, nahm auch diese ein und nutzte sie als Ausgangspunkt seiner Raubzüge in die Umgebung.

Der König hatte sich nur schwer entschließen können, energisch gegen seinen Stiefbruder einzugreifen, denn er hatte ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen. Aber Milde wäre hier mit Schwäche gleichgesetzt worden, und zu demonstrieren war, dass die eigene Verwandtschaft so wenig Nachsicht erwarten durfte wie jeder andere, der sich gegen den rechtmäßigen Herrscher erhob. König Heinrich I. zog mit einem Heer vor die Eresburg und belagerte sie. Die Besatzung erkannte schnell, dass sie sich gegen die Übermacht des Königs nicht halten konnte. Sie fiel von Thankmar ab und lieferte die Burg aus.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 6. September 2016 11:23

Eresburg, Juli 938

Auf der Innenseite des Tores polterte der Sperrbalken und das Tor der Burg öffnete sich vor dem König und seinen Truppen, die in Waffen vor ihr lagerten. „Nein!“, rief Thankmar auf der Balustrade, das Entsetzen in seiner Stimme unüberhörbar. Heinrich I. schaute nicht zu ihm hoch, sondern hielt den Blick unverwandt auf das Tor gerichtet. Langsam schwangen die hohen Flügel nach innen. Der Erste, der heraustrat, war Wichmann Billung. Er war sehr bleich, und er bewegte sich langsam. Man konnte ahnen, wie schwer es ihm fiel, einen Fuß vor den anderen zu setzen und die wenigen Schritte bis zum König zurückzulegen. Doch als er vor ihm stand, zögerte er nicht. Er sank auf die Knie und erflehte Vergebung.

Heinrich hielt sich nur mit Mühe davon ab, ihn wegzustoßen und ihm den Kopf abzuschlagen. Er hasste Wichmann dafür, dass der Verräter gegen ihn nun auch Thankmar verriet. Aber er hatte keine Wahl, er brauchte diesen Mann auf seiner Seite. „Euch ist vergeben, Wichmann“, antwortete er förmlich, um dem reuigen Sünder klarzumachen, dass noch viel tun musste, bevor aus der Floskel Wahrheit wurde. Der stolze Wichmann Billung wischte sich eine Träne vom Gesicht, beugte sich vor und küsste seinem König den staubigen Stiefel.

Der Kampf um die Eresburg war vorüber, bevor er richtig begonnen hatte. Die Rebellen ergaben sich den königlichen Truppen, warfen ihre Waffen weg und ließen sich anstandslos festnehmen. Nur nahe der Kapelle am nördlichen Rand der Anlage hatte sich eine kleine, entschlossene Schar zusammengerottet und leistete Widerstand, obwohl sie zahlenmäßig unterlegen war. Thankmar selbst kämpfte mit dem Schwert in der Hand gegen die Soldaten des Königs. Doch bald stand er allein. Die wenigen Überlebenden, die noch bei ihm waren, ließen unsicher Schilde und Schwerter sinken. Ein halbes Dutzend der Königstreuen drang auf Thankmar ein und drängte ihn kämpfend über die Schwelle in das dunkle Innere der kleinen Kirche zurück. Da gebot der König mit einem Ruf Einhalt und der Waffenlärm aus der Kirche verstummte.

Einen Moment geschah überhaupt nichts, dann kamen fünf von Heinrichs Männern rückwärts ins Freie, zögernd, die Waffen einsatzbereit erhoben. Sechs von ihnen waren hineingegangen, aber einer kehrte nicht zurück. Im Burghof war es still geworden. Man hörte das Stöhnen der Verwundeten und ein gelegentliches Schnauben der Pferde, aber das war alles. Der König trat an die Türöffnung der Kapelle, hinter der nur Schwärze zu liegen schien. „Thankmar. Komm heraus, Deine Rebellion ist tot.“ Heinrich machte keine Versprechungen, und seine Stimme klang nicht so, als sei er zu Milde aufgelegt. Der König ging einige Schritte zurück zu seinen Männern. „Lasst ihm einen Moment. Er wird kommen, aber er wird die Waffen nicht niederlegen. Tötet ihn nicht. Ich will nicht, dass mein Bruder stirbt.“

Im Inneren der Kirche stand Thankmar vor dem Altar, den Kopf gesenkt, und legte langsam das Schwert ab. Das reich bestickte Tuch, das den Tisch seines Gottes bedeckte, war sogleich blutverschmiert, aber der Prinz beachtete es nicht. Dem Schwert folgte das lange Jagdmesser, das er in der Linken gehalten hatte. Dann hob er beide Hände mit bedächtiger Langsamkeit, und nahm die Goldkette ab. Er ließ die schweren, satt glänzenden Glieder durch die Finger gleiten und legte die Kette, das Zeichen seiner prinzlichen Würde, auf dem Altar ab. Da verdunkelte etwas das Licht, das durch das Ostfenster in die Kirche fiel und Thankmar taumelte einen Schritt nach vorne. Er brach in die Knie und sah ungläubig an sich herab. Eine blutverschmierte Lanzenspitze ragte eine Handbreit unter dem Herzen aus seiner linken Brust.

Was geschehen war: Thankmar, von allen verlassen, schlug sich mit dem Schwert durch in die Kirche der Eresburg, wo er seine Waffen und seine goldene Halskette auf dem Altar ablegte, die Zeichen des Kriegers und des Thronfolgers. Eine symbolische Handlung, mit der er seine Kapitulation erklärte. Das Allerheiligste galt von alters her als Freistatt, als Asyl, das dem bedrohten Menschen den Frieden Gottes gewährte. Die Verfolger brachen den Frieden, drangen auf den Wehrlosen ein und töteten ihn mit einem Lanzenstoß in den Rücken. Ein Krieger, der Maicia hieß, gab ihm den Fangstoß und plünderte den Toten aus.

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Als man Heinrich das gewaltsame Ende Thankmars meldete, befiel ihn Ekel und Scham. Das hatte er weder befohlen noch gewollt. In der ersten Empörung über die ruchlose Tat wollte der König die Übeltäter bestrafen, ließ aus Gründen der Vernunft dann davon ab. Thankmars kriegerische Tüchtigkeit lobte der König, hielt vor Ort aber Gericht über vier der vornehmsten Anhänger Thankmars und übergab sie am selben Abend dem Henker, der sie, nachdem sie ihr letztes Gebet gesprochen, an den Galgen hängte.

Dasselbe Schicksal drohte jetzt Herzog Eberhard von Franken, der sich nach dem Tod des mächtigen Komplizen allein gelassen sah. Er wollte Frieden mit dem König, aber das „Pfand“, das ihm Thankmar hinterlassen hatte, brannte jetzt wie Feuer: Konrad lag in Ketten im Turmverlies. Der Plan, den der Franke nun ausheckte, schien aberwitzig, aber er hatte Methode. Er warf sich dem Prinzen zu Füßen, erflehte seine Verzeihung und bat ihn, sich bei seinem großen Bruder Heinrich für ihn zu verwenden. Wenn er Vergebung erlangt habe, würde er später dafür sorgen, dass Konrad auf den Thron käme. Denn Eberhard wusste sehr gut, dass der Purpurgeborene sich nach wie vor für den rechtmäßigen Thronfolger hielt. Konrad ging auf den Pakt ein. Er kehrte nach Quedlinburg zurück, wo ihn Heinrich I. wie einen verlorenen Sohn empfing.

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Magdeburg, August 938

Eberhards Lippen verweilten nur einen Moment auf Heinrichs Fuß, dann richtete der Herzog sich wieder auf die Knie auf, und der König sah genau, dass es ihn Mühe kostete, sich nicht mit dem Ärmel seines kostbaren, dunkelgrünen Gewandes über die Lippen zu fahren. „Ich höre“, sagte Heinrich.

„Ich erflehe Eure Vergebung für mein Aufbegehren gegen Euch und Euren Thron, mein König, und gelobe, Euch fortan die geschuldete Treue zu halten.“ Heinrich I. setze demonstrativ nach: „Und wie lange diesmal? Das Gleiche habt Ihr vor einem Jahr schon einmal geschworen.“

Eberhard war bleich, und feine Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Fast hätte man meinen können, diese neuerliche Unterwerfung bereite ihm körperliche Qualen. „Ich weiß sehr wohl, dass ich hohe Ansprüche an Eure Milde stelle. Aber wessen Milde könnte höher sein als die des Königs?“, brachte er hervor und verlagerte das Gewicht seines Körpers ein wenig zur Seite, weil ihn vermutlich die Knie schmerzten. Heinrich I. dachte nicht daran, ihn aufstehen zu lassen. Er legte die Hände auf die Armlehnen des Sessels und beugte sich vor. „Und was würdet Ihr an meiner Stelle tun, Eberhard?“, fragte er stattdessen.

Der Herzog verengte die Augen und sah ihm einen Moment direkt ins Gesicht, ehe er demütig den Blick wieder senkte. „Ich bin hier, um ein Urteil zu empfangen, nicht, um eines zu fällen.“, gab er zurück. Der König gab sich damit nicht zufrieden. „Da Ihr indes glaubt, dass eigentlich Euch die Krone zusteht, die ich trage, hätte ich doch zu gern gewusst, wie Ihr an meiner Stelle entscheiden würdet.“ Es wurde noch stiller in der Halle, falls das möglich war. Heinrich I. hatte seinen gesamten Hof versammelt, um möglichst viele Zeugen für Eberhards neuerlichen Treueschwur zu haben, aber auch, um dies hier für den abtrünnigen Frankenherzog so schlimm wie möglich zu machen.

„Das ist nicht, was ich glaube“, antwortete Eberhard in die Stille hinein. „Ich will aufrichtig sein, mein König.“ Er ignorierte das spöttische Hüsteln, das hier und da zu vernehmen war. „Ich gebe zu, meine Familie und damit ich wäre gern auf den Thron gefolgt. Doch die Herrschaft Eures Vaters war offenbar von Gott gewollt, sonst hätte König Ludwig sich nicht gegen so viele Widerstände durchsetzen können. Nur ein Narr lehnt sich gegen Gottes Willen auf, und ich bin überzeugt davon, dass Gott auch König Ludwigs Sohn als dessen Nachfolger ausersehen hat.“

„Wenn Ihr so überzeugt davon seid, dann erklärt dem Hof, warum Ihr Euch gegen mich erhoben habt.“

„Weil ich nicht glaube, dass die Krone das Recht hat, die Macht des Adels zu beschränken. Ich wollte mir das zurück erkämpfen, was Ihr mir genommen habt. Aber ich habe meinem Kampf verloren, darum bleibt mir nichts anderes übrig, als mich Eurem Urteil zu unterwerfen.“ Der König befand, dass er den Herzog nun genug hatte schmoren lassen. „Also hört meinen Richterspruch, Eberhard von Franken. Ich schone Euer Leben noch ein letztes Mal. Das verdankt Ihr allein der Fürsprache des ehrwürdigen Erzbischofs von Mainz, Eures Vetters Hermann von Schwaben und meines Bruders Konrad, die alle drei um Milde für Euch gebeten haben. Doch mein Vertrauen in Euch und Eure Treueschwüre ist erschüttert, und ich verbanne Euch aus dem Herzogtum Franken und schicke Euch bis auf Weiteres nach Hildesheim in Festungshaft. Ihr dürft Euch erheben.“

Eberhard kam nicht ganz ohne Mühe auf die Füße. Sein Urteil nahm er wortlos auf, mit einer tiefen Verbeugung. Er schwitzte noch ein bisschen mehr als zuvor. Vermutlich war es die Erleichterung, mit dem Leben davongekommen zu sein. Heinrich I. gab den Wachen ein Zeichen, und sie führten den Herzog hinaus. Das Volk draußen bildete bereitwillig eine Gasse, um ihn hindurchzulassen.

Durch Konrads Fürsprache durfte Eberhard also vor dem König erscheinen, wurde aus Gründen der Staatsräson für ein paar Monate ins Exil geschickt und anschließend wieder, nachdem er erneut Treue geschworen, in seinen alten Ämtern und Ehren bestätigt. Ein Unruheherd war beseitigt, den zweiten, immer noch schwärenden in Baiern erstickte Heinrich I. durch einen raschen Feldzug, und auch die wieder in Sachsen eingedrungenen Ungarn konnte er aufs Haupt schlagen. Alles schien in Ordnung gebracht.

Sein Bruder Konrad war es, der den erneuten Aufruhr entfachte. Er hatte nichts von der Biederkeit des Königs. Konrad war verschlagen, listig, heimtückisch, arbeitete mit Bestechungsgelder, ließ dem König einmal durch einen Boten „eine lange und gesegnete Regierungszeit“ wünschen, während dem Boten Truppen folgten, die diese Zeit beenden sollten. Die Herzöge von Lothringen und Franken wusste er auf seiner Seite, denn sie erwarteten unter einer Regierung Konrads eine Wiederherstellung ihrer früheren Rechte, wie sie sie unter Ludwig III. ausüben konnten. Außerdem raunte man sich im Volke zu, König Heinrich sei in der Nacht zu Karfreitag wider das göttliche Gebot von seinem Vater gezeugt worden und deshalb vom Teufel verflucht, stets Zwietracht zu säen. Dem König kam dies bald zu Ohren, wie das folgende Bild zeigt:

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Es war im September 939, als Franken und Lothringen vom König abfielen und für ihre Ziele sogar Hilfe suchten bei dem französischen König Ludwig III. dem Flüsterer. Gehetzt von den eigenen Landleuten, bedroht vom Landesfeind, verlassen von Männern, die er für seine Freunde gehalten hatte, sah sich König Heinrich bald in verzweifelter Lage. Sogar Berater legten ihm nahe, abzudanken, da er nur Unglück hatte. Und Unglück, das Fehlen des Königsheils, war dasselbe wie Schuld. Heinrich I. aber glaubte an seine Sendung als Werkzeug Gottes, und Gott hatte ihn nicht auserwählt, um ihn scheitern zu lassen. Exemplarisch war ein Ausspruch Heinrichs, als ihm ein mächtiger Graf drohte, er werde ihn verlassen, wenn er nicht die Einkünfte eines reichen Klosters erhalte: „Es steht geschrieben, man solle das Heiligste nicht den Hunden vorwerfen. Und du, der du so schamlos mich zu erpressen suchst in meiner Not, du wirst von mir nichts bekommen. Willst du mich deswegen im Stich lassen wie die anderen – je eher, desto besser!“

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 8. September 2016 17:53

Die tiefe Religiosität dieses Königs hatte etwas Kindliches und Erschütterndes zugleich. Die himmlischen Heerscharen, die schutzgewährenden Heiligen waren für ihn Mächte, die wirklich existierten, die geradezu verpflichtet waren, ihm zu helfen. In der Nähe von Xanten wurden Heinrichs Truppen während des Übergangs über den reißenden Strom von überlegenden feindlichen Kräften angegriffen. Der Brückenkopf auf dem linken Ufer konnte mangels einer geeigneten Transportflotte nicht verstärkt werden. Eine Katastrophe schien unvermeidlich.


Birten, März 939

„Jesus, erbarme dich“, murmelte Vater Widukind, bekreuzigte sich und blickte über den gewaltigen Strom aufs andere Ufer. „Wenn es stimmt, was die Männer sagen, dass der König noch niemals eine Schlacht verloren hat, dann wird es heute das erste Mal sein. Er ist Konrad geradewegs in die Falle gegangen.“ Er wandte den Kopf und blickte zum König hinüber, der keine zehn Schritte entfernt im Sattel saß und ebenso wie sie auf die andere Rheinseite starrte. Nichts regte sich in Heinrichs Gesicht, aber es war so bleich, als habe er eine Wunde erhalten, aus der sein Lebensblut entströmte. Und in gewisser Weise war es so.

Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen. Heinrich I. hatte dank der Warnung der Herzogin Cecilie viel schneller gehandelt, als die Verschwörer in Lothringen sich hätten träumen lassen. Der König hatte den sächsischen Adel zu den Waffen gerufen und bei der Gelegenheit festgestellt, dass die überwältigende Mehrheit nach wie vor auf seiner Seite stand. Gewiss, einige einflussreiche Männer, hatten Konrads Aufruf zum Sturz des Königs ignoriert, aber zusammen mit den Panzerreitern hatte Heinrich ein Heer von beängstigender Größe aufgeboten und in Eilmärschen nach Westen geführt. Wieder einmal hatte seine Detailversessenheit und sein Organisationstalent sich als segensreich erwiesen. Trotz der Eile und der Größe der Truppe mangelte es weder an Proviant noch an Waffen, Zelten oder Pferden. Und je weiter sie nach Westen kamen, desto milder wurde die Witterung. Sie waren den Hellweg entlanggezogen, der sie schließlich auch zu Konrads Burg in Dortmund führte. Als deren Garnison die königlichen Truppen sah, erinnerte sie sich an Thankmars Schicksal, öffnete die Burgtore und unterwarf sich Heinrich. Der König hatte die strategisch wichtige Festung Dortmund einem vertrauenswürdigen Kommandanten unterstellt und war dann weitermarschiert, bis sie an das Ufer des gewaltigen Rhein gekommen waren.

Der Rhein durchschnitt ein weites Flachland, das auf der Ostseite dicht bewaldet war. Am anderen Ufer lag indessen ein Dorf, und nachdem die Flößer und Fischer, die es bewohnten, einmal begriffen hatten, dass es ihr leibhaftiger König war, der über den Fluss wollte, hatten sie alles an Booten und Kähnen herübergebracht, was sie hatten. Die meisten dieser Gefährte waren aber zu klein, um mehr als drei Panzerreiter aufzunehmen, und es dauerte über eine Stunde, auch nur die ersten zehn Dutzend von ihnen herüberzuschaffen. Und dann war selbst diese mühselige und langsame Flussüberquerung zum Erliegen gekommen, weil die Bootsführer plötzlich nicht mehr herübergerudert waren, ihre Boote am anderen Ufer vertäut und sich in Luft aufgelöst hatten.

„Das scheint nichts Gutes zu bedeuten“, argwöhnte Widukind, und er täuschte sich nicht. Die gut einhundert königlichen Panzerreiter am anderen Ufer hatten sich noch nicht formiert, als aus dem Wald jenseits des Dorfes eine langgezogene Reihe mit Feldzeichen zum Vorschein kam, gefolgt von Fußsoldaten in unordentlichen Knäueln. Ein seltsam gedämpfter Aufschrei des Entsetzens, wie ein Stöhnen aus tausend Kehlen, ging durch die Reihen der königlichen Truppen am diesseitigen Ufer. „Giselbert und Konrad...“, flüsterte Widukind erschüttert.

Der Strom von Feinden dort drüben versiegte nicht. Wer immer gesagt hatte, Giselbert von Lothringen habe eine große Truppe aufgeboten, hatte nicht übertrieben. Und nun saßen Heinrich und die Seinen hier auf der falschen Rheinseite fest und konnten nicht anderes tun als mit ansehen, wie die Panzerreiter niedergemetzelt wurden. Der König erkundigte sich, wie tief der Fluss sei und ob Pferde hindurchwaten oder -schwimmen könnten. „Nie und nimmer“, musste ihm sein Kommandant sagen. „Der Rhein ist tief, seine Strömung tückisch. Eine Stück nördlich von hier gibt es nördlich ein Dorf namens Xanten. Dort könnten wir gewiss Boote und sogar Schiffe finden, aber wir kämen niemals rechtzeitig, um die zu retten, mein König.“ Der Mann bekreuzigte sich.

Heinrich I. sah von seinem Pferd auf ihn hinab und nickte, scheinbar versonnen. Die königlichen Soldaten am anderen Ufer gerieten in Panik, als sie sahen, welch feindliche Übermacht aus dem Wald hervorbrach, und sie liefen durcheinander wie Ameisen. Pferde stiegen und gingen durch, aber auf am Ostufer hörte man kein Wiehern. Dort hörte man überhaupt nichts, es war einfach zu weit weg. Und die Lautlosigkeit, mit der das Schicksal am anderen Ufer seinen Lauf nahm, machte es nur noch schrecklicher. „Gottfried, reite nach Xanten und bring so viele Schiffe und Boote hierher, wie Du kannst. Beeil Dich.“

„Ja, mein König.“ Gottfried stieg auf sein Pferd, winkte zwei Männer zu sich, und im nächsten Moment preschten sie in nördlicher Richtung davon. Da stieg Heinrich I. vom Pferd und ließ sich die Heilige Lanze reichen, stieß sie in die Erde, kniete nieder und riss sich den Helm vom Kopf. Mit zum Himmel gereckten Armen betete er um den ihm zustehenden göttlichen Beistand. „Gott, Schöpfer und Lenker aller Dinge!“, rief Heinrich mit klarer Stimme, das Gesicht zum wolkenlosen Himmel emporgehoben. „Sieh hinab auf Dein Volk, an dessen Spitze Du mich gestellt hast. Entreiße es seinen Feinden, auf dass alle Völker erkennen, dass gegen Deinen Willen kein Sterblicher etwas vermag. Denn Du bist allmächtig und lebst und herrscht in Ewigkeit. Amen.“ Er küsste die Lanze und ließ sie dann sinken, während er über den Fluss schaute. Er machte keinerlei Anstalten, wieder aufzustehen, und schließlich trat Widukind zu ihm und kniete an seiner Seite nieder. Zwei oder drei der berittenen Soldaten saßen ab und folgten seinem Beispiel, dann ein Dutzend, dann noch eines, bis es schließlich an die fünfzig gerüstete Krieger waren, die sich niedergeworfen hatten und stumm Gottes Beistand erflehten.

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Es mussten an die zweitausend Mann sein, die Konrad und Giselbert am westlichen Ufer positioniert hatten, um den königlichen Truppen beim Überqueren des Rhein aufzulauern. Das war eine Übermacht von zwanzig zu eins. Niemand konnte Heinrichs Männer retten. Die hatten ihre anfängliche Verwirrung inzwischen überwunden , hatten sich darauf besonnen, dass die königliche Panzerreiter waren, und sich formiert. Ein länglicher Fischteich lag zwischen ihnen und Konrads Truppe und bot ihnen ein wenig Aufschub, denn offenbar war er zu tief oder zu sumpfig, um ihn zu durchwaten, und für eine kurze Zeit geriet der Aufmarsch der Lothringer ins Stocken. Das klägliche Häuflein Panzerreiter setzte sich mit einem Mal in Bewegung. Sie hatten sich aufgeteilt und ritten in entgegengesetzten Richtungen um den Fischteich herum. Vielleicht noch hundert Schritte von dem ungeordneten, riesigen Heerhaufen entfernt, galoppierten sie an, ihre Linien zogen sich auseinander, und exakt im selben Moment stießen die Panzerreiter in die Flanken ihrer Feinde.

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Wurflanzen und Pfeile flogen, Panzereiter stürzten getroffen aus dem Sattel, die reiterlosen Pferde gerieten in Angst und machten kehrt, sodass sie den nachfolgenden in die Quere kamen. Doch die dezimierten Panzereiter brachten sich unbeirrt in Keilformation und stießen wie Lanzenspitzen in die feindlichen Reihen. Das Heer der Lothringer begann nach links und dann nach rechts zu wogen wie die Wellen auf einem See an einem windigen Tag. Sie prallten gegeneinander, als versuchten sie, widersprüchliche Befehle zu befolgen, und die Panzereiter setzten ihren Flanken so schwer zu, dass die Lothringer immer weiter zur Mitte drängten, wo es so eng wurde, dass sie anfingen, übereinander herzufallen. Wieder gingen Pfeilhagel auf beide Abteilungen von Heinrichs Männern nieder, wieder wurden sie ausgedünnt. Aber Reiter und Pferde waren so gut geschult, dass der todbringende Keil, den sie bildeten, nicht kleiner zu werden schien. Immer größer wurde die Unordnung unter den Lothringern. Niemand schien sie mehr zu führen – waren vielleicht Giselbert und Konrad womöglich gefallen? Und dann geschah das Wunder.

Erst vereinzelt, dann waren es ganze Scharen der Lothringer, die kehrt machten und geduckt bis zum Rand des Waldes liefen, aus dem sie so siegesgewiss herausgetreten waren, und verschwanden. Und schließlich wurde ihr Rückzug ein Dammbruch. Allesamt kehrten sie den herannahenden Reitern den Rücken, warfen die Waffen von sich und rannten um ihr Leben. Nicht wenige rannten vergebens, denn die königlichen Truppen machten jeden nieder, den sie einholten. Doch waren sie klug genug, den Flüchtenden nicht in den Wald zu folgen. Als das ganze stolze Heer der Lothringer verschwunden war, als hätte Gott selbst es mit einer beiläufigen Handbewegung vom Angesicht der Erde gefegt, kehrten die Panzereiter dem Waldrand den Rücken, ritten wieder in zwei Gruppen um den Fischteich herum, formierten sich am Ufer des Rheins zu einer Linie und legten die rechte Faust auf die linke Brust, um ihren König zu grüßen.

Dieser König war der Auserwählte Gottes. Tränen rannen den ergriffenen Kriegern, die im Beisein des Königs waren, über die Wangen. Wenig später kamen die Schiffe aus Xanten und setzten Heinrichs Heer über den Rhein. Heinrichs Gebet, mit der Heiligen Lanze in der Hand, war offenkundig von Gott erhört worden! Dem kleinen Haufen Gewappneter auf dem linken Ufer, vielleicht hundert an der Zahl, war es durch Kriegslist gelungen, die Übermacht zu zersprengen, wobei Prinz Konrad einen Schwerthieb auf sein Kettenhemd kassierte, an dessen Folgen er sein ganzes Leben lang zu leiden hatte. Herzog Giselbert von Lothringen war unverletzt geblieben, und beide waren entkommen. Der König befahl die Verfolgung der geflüchteten lothringischen Armee.

Obwohl der König nach der Schlacht sofort die Verfolgung aufgenommen und stundenlang die Wälder durchkämmt hatte, waren Giselbert und Konrad ihm entwischt. Aber dank der Boten, die er ins ganze Reich aussandte, verbreitete sich die Kunde über das „Wunder von Birten“ wie ein Lauffeuer. Hundert königstreue Panzereiter hätten zweitausend lothringische Soldaten in die Flucht geschlagen und den abtrünnigen Prinzen verwundet, erzählten sich die Leute von Köln und in Aachen, doch als die Nachrichten nach Magdeburg und Regensburg gelangten, hieß es bereits, ein Dutzend Panzereiter hätte zehntausend Lothringern den Garaus gemacht, und Prinz Konrad zähle zu den Gefallenen. Die sächsischen Grafen, die sich den Empörern angeschlossen hatten, gerieten in Panik, und Heinrich konnte ihre Burgen kaum so schnell belagern, wie sie ihm die Tore öffneten.

Verwundet, aber äußerst lebendig war Konrad auf Giselberts Drängen hin nach Sachsen zurückgekehrt, um die Bündnisse mit den Grafen zu retten, ohne deren Unterstützung ihre Revolte gegen den König keine Zukunft haben konnte. Doch aus Konrads Heimkehr war eine Flucht geworden, und nun fand er sich seit beinahe zwei Monaten mit einer Handvoll Getreuer in der letzten ihm verbliebenen Burg, der Pfalz von Merseburg, eingeschlossen. Vor den Toren der Burg lagerte am Ufer der Saale Heinrich I. mit seinem Heer, reglos und geduldig wie eine Katze vor dem Mauseloch. Bis auf die Wachen war in ihrem Lager niemand zu sehen. Sie griffen weder das Tor noch die Palisaden an, sondern hockten in ihren Zelten und warteten in aller Seelenruhe.

Konrad und seinen Männern gingen in der Festung die Vorräte aus. Den Soldaten sank vor Hunger die Moral und Konrad sah sich einer Rebellion seiner eigenen Truppen kurz bevor. Sollte er die Pferde schlachten lassen, die in einem Kampf doch so entscheidend sein würden? Der Prinz hoffte daraus, dass von Westen Herzog Giselbert mit seinem Heer zu seiner Entsetzung anrücken würde. Doch der wartete lieber ab, wie sich die Dinge entwickeln würden. Er wollte sich nach dem Fall von Merseburg die Option offenhalten, sich wieder mit dem König versöhnen zu können. In auswegloser Situation gelang es Prinz Konrad jedoch, aus der Merseburg Richtung Lothringen zu fliehen.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 10. September 2016 12:22

Andernach, Oktober 939

Bei Andernach ging der Kampf weiter gegen die beiden aufsässigen Herzöge, Giselbert von Lotharingien und Eberhard von Franken. Sie waren über den Rhein gegangen, um östlich des Flusses zu brandschatzen. Das Heer der beiden Herzöge traf auf wenig Widerstand, machte reiche Beute und kehrte schwer beladen wieder über den Rhein nach Westen zurück. Die beiden Herzöge und ein kleines Gefolge waren noch am Ostufer geblieben und tafelten dort. Vor dem Übersetzen wollten sie bei einem Mahl ihr weiteres Vorgehen für das Frühjahr 940 besprechen. Auch Prinz Konrad weilte bei ihnen, doch er war machtlos geworden, nur noch das dritte Rad am Karren. Ihm war bei einem Erfolg der Revolte wohl ein Dasein als königliche Marionette bestimmt.

„Die Fracht und ein Großteil der Männer sind drüben“, vermeldete ein Soldat den beiden Herzögen, die in einem prächtigen Zelt saßen. „Wenn wir klug agieren, ist der Krieg bald vorüber“, führte Herzog Giselbert nach dieser kurzen Unterbrechung fort. Eberhard von Franken hatte dazu seine eigene Meinung: „Die Moral von Heinrichs Truppen ist inzwischen schlecht, berichten meine Späher. Jede Nacht desertieren Dutzende seiner Soldaten und die sächsischen Grafen wollen nur noch nach Hause, seit sie gehört haben, dass wir in Sachsen plündern. Wir sollten nach Süden ziehen und Heinrich in den Rücken fallen.“

Giselbert nahm einen Zug aus seinem Becher und widersprach. „Ich denke, dass wir uns nach Lothringen zurückziehen sollten. Die Kriegssaison ist fast vorbei, der Winter kommt. Das gibt uns ein halbes Jahr, um neue Truppen auszuheben, und im Frühjahr versetzen wir Heinrich den Todesstoß.“ Die Meinungsverschiedenheit war offenkundig, denn Eberhard widersprach. „Heinrich wird den Winter auch nicht ungenutzt verstreichen lassen. Wir müssen ihn jetzt erledigen, da er am Boden liegt. Solch eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder, glaub mir.“

Da erschollen draußen Hörner. Giselbert reagierte mit einem fragenden Stirnrunzeln, aber Eberhard sprang umgehend auf: „Mein Kettenpanzer! Beeil Dich!“, schnauzte er einen seiner Diener an.

Zwei königstreue Grafen, die vorher mit ihren Truppen zu schwach für einen Angriff gewesen waren, hatten von den schwach geschützten Herzögen auf der Ostseite des Rheins erfahren und ritten einen Angriff auf das weitgehend aufgelöste Lager ihrer Feinde. Rasch zeigte sich, dass die Schlacht für die beiden Herzöge und dem Prinzen verloren war. Eberhard von Franken stemmte sich kämpfend der Niederlage entgegen. Ihn traf eine Wurflanze in die Kehle und er wurde von den jubelnden Königstreuen umzingelt und niedergemacht.

Mit knapper Not flüchtete Prinz Konrad vom Schlachtfeld und rettete sich auf ein Floß am Rheinufer, das er umgehend ablegen ließ. Johlend standen die Soldaten des Königs am Ufer und machten die letzten Männer, die Konrad bis hierhin verblieben waren, nieder. Stück für Stück hauten sie ihnen die Gliedmaßen ab und grölten: „Komm zurück, Konrad Hasenfuß, Du kleiner Scheißhaufen von einem Prinzen!“ Entsetzt beobachtete Konrad vom Floß aus das Gemetzel und hörte das Schreien seiner Männer.

„Da scheint ein Boot gekentert zu sein, mein Prinz“, sagte einer der Flößer und wies mit dem Finger stromabwärts, wo sich in einiger Entfernung von ihnen ein paar Männer an Fässer und Planken klammerten und verzweifelt winkten, um das Floß herbeizulocken. „Grundgütiger!“, stieß Konrad hervor, „Es ist Giselbert! Schnell, dorthin!“ Behutsam drehten die Flößer das überladene Gefährt in die Strömung und warfen Ballast ab. Doch die Strömung erlaubte ihnen nicht, an den Herzog heranzukommen. Giselbert hatte das Winken eingestellt. Er schien vollauf damit beschäftigt, sich an sein Fass zu klammern. Die Strömung des Rheins war tatsächlich stark, sie schleuderte ihm wie die Hand Gottes das Fass aus den Fingern und er ging unter.

Das mit gepanzerten Männern überladene Boot des Herzogs war gekentert, und die Ritter, mit ihnen der im schweren Kettenhemd steckende Giselbert, ertranken im Rhein. Eine andere Quelle berichtet, Herzog Giselbert habe sich mit seinem Rosse in den Rhein gestürzt und sei im Strudel der Wellen ertrunken. Also geschehen am 2. Oktober des Jahres 939.

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Breisach, Oktober 939

Ein einzelner Reiter galoppierte dem König und seinen Begleitern entgegen. Dieser Reiter bemerkte nicht, dass sich zwei Wachen ihm in den Weg stellten, und konnte sein Pferd kaum anhalten. Schaum tropfte vom Maul des erschöpften Tieres. „Wo finde ich den König?“, keuchte der Mann. „Ich bringe Nachricht von Herzog Hermann von Schwaben.“ Heinrich gab sich zu erkennen, obwohl Misstrauen gegenüber dem Fremden angebracht gewesen wäre. Die Augen des Boten wurden groß. Er rutschte aus dem Sattel, strich sich über das Haar und trat auf ein Zeichen der Erlaubnis hin vor den König. Vor ihm sank er auf die Knie und räusperte sich. „Gott schütze und bewahre Euch, edler König. Hermann, der Herzog von Schwaben, sendet Euch Segenswünsche und ehrerbietige Grüße.“ Der König unterbrach ihn: „Wir alle hier warten sehnsüchtig auf Deine Nachricht. Darum sei so gut und lass sie uns sofort hören.“

„Ein Sieg, mein König“, sagte der Bote und ein Lächeln stand nun in seinem erschöpften Gesicht. „Ein Sieg, wie er vollkommener kaum sein könnte. Eberhard von Franken ist gefallen, Giselbert von Lothringen ertrank auf der Flucht über den Rhein.“

Wieder hatte Gott dem König ermöglicht, mit seiner Hilfe die Wenigen zum Sieg über die Vielen zu führen. Zwei der gefährlichsten Gegner des Königs waren vernichtet. Als der König von dem Ereignis erfuhr, stieg er vom Pferde und dankte unter Tränen seinem Siege schenkenden Gott.

Die Situation war grundlegend verändert. Eben noch in auswegloser Lage, war der König jetzt Herr der Lage. Nach dem Fall der starken Festung Breisach war die Sache der Rebellen verloren. Konrad, der Königsbruder und Thronprätendent, stand allein. Er versuchte sich auf die Festung Chevremont zu retten, aber seine Schwester Richardis, die Witwe des Lotharingerherzogs Giselbert, trat ihm mit den Worten entgegen: „Pfui! Hast du nicht genug an dem Jammer, der durch meines Gatten Tod über mich gekommen ist? Willst du dich auch noch in meine Festungen einschließen, damit sich des Königs Zorn wie eine Flut über dieses Land ergießt? Ich werde es nicht dulden, nicht ertragen, nicht zulassen, so töricht bin ich nicht geboren, dass du aus meinem Unglück dir Vorteile für dich verschaffst.“

In seiner Verzweiflung suchte Konrad Zuflucht beim französischen König Ludwig, der in Lotharingien eingefallen war, um das Stammland der Karolinger wieder an sich zu bringen. Zur Festigung seiner Ansprüche heiratete Ludwig die eben erwähnte, sieben Jahre ältere Richardis, die Schwester König Heinrichs und Witwe Giselberts. Sie wurde in Reims durch den Erzbischof zur französischen Königin gesalbt. In der Ausweglosigkeit seiner Lage unterwarf sich Konrad nun doch seinem königlichen Bruder. Er warf sich vor Heinrich zu Boden und flehte um Gnade. Der König entgegnete ihm: „Dein unwürdiger Frevel verdient kein Erbarmen. Da ich dich aber vor mir gedemütigt sehe, so will ich das Unglück nicht über dich sehen.“

Diese Worte waren bezeichnend für den König. Durch die Unterwerfung und Demütigung des Bruders war die Würde seines Königtums, nach dem Konrad gegriffen hatte, wiederhergestellt. Nun konnte der König verzeihen. Konrad wurde in ehrenvolle Haft genommen. Ja, im Jahre 940 wurde ihm das Herzogtum Lotharingien verliehen. Offenbar hatte der König erkannt, dass dem Bruder ein Anteil an legitimer Macht zustand.

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Konrad konnte sich aber nicht gegen die lotharingischen Großen durchsetzen und musste das Land wieder verlassen. In seiner Bitternis versuchte er im Jahre 941 nochmals, den Bruder vom Throne zu stoßen, ja, er schreckte vor Brudermord und Königsmord nicht zurück. Beim Osterfest in Quedlinburg sollte einer der Verschwörer den König auf dem Weg zur Kirche erdolchen. Der Anschlag auf das Leben des Königs wurde jedoch entdeckt, einer der Mitwisser fiel im letzten Augenblick um. Die Beteiligten waren fast ausnahmslos Angehörige des sächsischen Adels, die für ihren harten Grenzdienst in den trostlosen Sumpfgebieten jenseits der Elbe den Lohn vermissten. Heinrich I. wurde jetzt gedrängt, die Feierlichkeiten abzusagen. Das aber hätte er als Eingeständnis der Furcht gesehen, und Feigheit schien im unvereinbar mit Würde. Er beharrte starr auf Einhaltung von Protokoll und Programm, ließ lediglich die Zahl seiner Leibwächter verdoppeln. Das genügte, um die Täter zu warnen.

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Der Mord fand nicht statt, dafür ein blutiges Strafgericht, das in Magdeburg zu einem öffentlichen Schauspiel wurde. Auch hier verfuhr Heinrich I. nach dem Grundsatz, die Kleinen zu hängen und die Großen laufen zu lassen. Lediglich Konrad wurde wieder verschont. Zumindest war er ein Bösewicht von Format: Er floh dank eines bestechlichen Priesters aus der Kerkerhaft, in die der König ihn genommen hatte – jedoch nicht, um zu fliehen, sondern um Gnade zu erlangen. Er ritt nach Frankfurt zu seinem Bruder, um einen großen Auftritt zu zelebrieren. Am Weihnachtstag des Jahres 941 warf er sich im Büßergewand dem König zu Füßen und erlangte erneut Gnade und Verzeihung. Auch hier war die Unterwerfung Voraussetzung für die Wiederaufnahme in die königliche Huld. Der König war, das muss man feststellen, von jeglicher Rachsucht frei. Allerdings gehörte zum Tugendkatalog des mittelalterlichen Königs gelebte Milde und Gnade. Das war Konrads letzter Aufstand gegen den Bruder. Fortan gehörte er zu den treuesten und entschiedensten Vasallen des Königs.

Von tiefer Zerknirschung und ehrlicher Reue des Geschlagenen dürfte in Wahrheit wohl kaum die Rede gewesen sein, es war wohl eine Mischung aus Berechnung und Sentimentalität. Demutsrituale wie der Fußfall gehörten im Mittelalter zum politischen Handwerkszeug. Diese Form der Selbstdemütigung machte es dem Angesprochenen nicht leicht, an dem Bittsteller vorüberzugehen, vor allem wenn dieser von hohem Stande war. Der Angesprochene musste das Anliegen anhören und dann bescheiden. Das wusste Konrad, so wie Heinrich erkannt hatte, dass er dessen Ehrgeiz nur mit ihm und nicht gegen ihn befriedigen konnte. Als es 948 galt, die ledig gewordene Stelle des Herzogs von Baiern neu zu besetzen, bot sich kein Geeigneterer an als Konrad (seine Gemahlin war eine bairische Fürstin). Gewiss, gegen seinen König hatte er nicht mehr intrigiert, dafür aber gegen des Königs Sohn Georg (historisch: Liudolf), den Liebling des Vaters. Eine Intrige, die mit daran schuld war, dass das Land wieder in einen Krieg gestürzt wurde: in den Krieg des Sohnes gegen den Vater. Heinrichs Rechnung, jede führende Position im Reich mit einem Verwandten zu besetzen, sollte nicht aufgehen.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 13. September 2016 22:20

Für Feinheiten der Reichspolitik sollte Heinrich I. Anfang der 950er vorläufig keine Zeit haben, denn er musste in Italien den Anspruch von Berengar II. auf die lombardische Krone niederschlagen. Einmal vor Ort, ließ der König durch seinen Mainzer Erzbischof Friedrich in Rom bezüglich der Kaiserkrönung verhandeln. Der Papst war aber eine Marionette in den Händen eines mächtigen Stadtsenators, der sich alles andere wünschte als den Deutschen zum Kaiser. Heinrich war über die gescheiterten Verhandlungen so verärgert, dass er Friedrich als Leiter der Mission in Ungnade fallen ließ. Womit er sich einen neuen Feind verschaffte.

Erzbischof Friedrich, nie ein besonderer Freund der Krone, nahm grußlos seinen Abschied hin und zog nach Deutschland, ins thüringische Saalfeld, wo er andere Unzufriedene und Zukurzgekommene um sich versammelte. Darunter einen höchst Prominenten: Georg, des Königs Sohn. Der fühlte sich von seinem Vater zurückgesetzt und in seiner Rolle als Thronfolger angegriffen.

Um das korrekt wiederzugeben, muss ich eingestehen, dass ich ohne Not und versehentlich einen historischen Zug nicht gemacht hatte: Der König hatte nämlich erneut geheiratet, und zwar die Witwe des verstorbenen Königs Lothar von Italien. Adelheid hieß sie, und Berengar II. war es, der Lothars Tod nutzte und sie gefangen hielt, um sich selber auf den Thron zu schwingen. Historisch befreite sie der deutsche König im Zuge der Bekämpfung Berengars – und heiratete sie, um seinen eigenen Anspruch auf Italien zu untermauern. Eine echte „Prinzessin-gefangen-im Turm-Story“. Für den Sohn des Königs aus erster Ehe war das keine gute Nachricht, denn er konnte sich ausrechnen, was kommen würde, wenn Adelheid dem König einen Sohn schenken würde. Die Dame war nämlich ziemlich resolut und politisch klug. Dass ihr Verhältnis zueinander „schwierig“ war, war nur konsequent.

Außerdem hatte der Kronprinz keinen großen Kredit mehr bei seinem Vater, weil er in seiner Funktion als Herzog von Schwaben ohne Befehl nach Italien gegen Berengar vorausgeeilt war, was zu einem Fiasko geführt hatte. Auch Konrad, der Bruder des Königs, war als Herzog von Baiern eigenwillig nach Verona und Aquileia gezogen. Der König maßregelte Georg für sein Vorpreschen, nicht jedoch das Verhalten von Konrad. Es erschien opportun, wenn der Herzog von Baiern die Alpenpässe Richtung Verona und Aquileia hielt, damit diese für künftige Feldzüge gesichert blieben.

Zu Georg stieß noch ein anderer Enttäuschter, Herzog Konrad von Lothringen, wegen seiner Haarpracht „der Rote“ genannt. Den hatte der König brüskiert, weil er dessen Verhandlungsergebnisse zur Isolierung von Berengar nicht gewürdigt hatte. In dieser Koalition erhoben sie sich gegen den König. Im Grunde ging es um Familienquereleien, die jedoch tödliche Folgen für tausende Opfer mit sich führten. Alle drei – Erzbischof Friedrich, Sohn Georg und Konrad der Rote – betonten, dass ihr Aufbegehren sich nicht gegen den König richte, sondern gegen den unseligen Einfluss von dessen Bruder Konrad, der wiederum bei Adelheid gut gelitten war. Konrad verstand sich deshalb gut mit seiner neuen Schwägerin Adelheid, weil er sich wohl ausmalte, dass ein aus der zweiten Ehe des Königs hervorgegangener Thronfolger nach dem Tod des Königs eines Regenten bedurfte – und das würde dann Konrad selbst sein.

Am Ende setzte sich trotz schwieriger Lage wieder Heinrich I. durch, weil ihm von unerwarteter Seite Schützenhilfe zukam: ausgerechnet von den Ungarn. Die nutzten nämlich den Krieg der Deutschen, um 955 erneut die Grenzen nach Baiern, Schwaben, Franken und Lothringen zu überschreiten und machten sich ans Plündern. Georg, Friedrich von Mainz und Konrad der Rote machten den Fehler, mit den Ungarn gegen den König zu paktieren – und das kostete sie bei den übrigen Reichsfürsten nachhaltig ihr Ansehen.

Der talentierte, doch glücklose Georg sollte 957 bei einem Feldzug in Italien sein Leben verlieren. Der Tod Georgs enthob Heinrich I. von der schweren Entscheidung, ob ein Rebell, auch wenn man ihm verziehen hatte, noch als Thronprätendent taugte.

Heinrich I. gelang es angesichts des neuen Ungarnüberfalls, ein „gesamtdeutsches“ Aufgebot zu formieren, lediglich die Sachsen mussten wegen eines drohenden Slawenaufstands zu Hause bleiben. Dafür waren die Böhmen mit einem Kontingent beteiligt. Die alten Quellen schildern die Zahl der Ungarn mit 120.000 Reitern, moderne Historiker gehen von zehn- bis zwölftausend aus. Meine eigenen Recherchen ergeben eine Anzahl von 1.308 Ungarn:

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Wie mein Bild beweist, fand die Schlacht zudem nicht auf dem Lechfeld bei Augsburg statt, sondern bei Nyitra. Ich spreche im weiteren Text aber trotzdem von dem Lechfeld bei Augsburg. Datiert ist die Schlacht auf den 10. August 955, aber sie fand in drei Phasen über mehrere Tage statt. Beginnen wir mit dem Bericht des Augsburger Domprobstes Gerhard:

„Die Ungarn kamen in so gewaltiger Zahl, wie sie von keinem der damals lebenden Menschen je zuvor an irgendeinem Orte gesehen worden sein sollen. Sie durchstreiften alles verwüstend , setzten über den Lech und drangen in Schwaben ein, um den größten Teil des Landes bis zur Iller niederzubrennen. Augsburg aber belagerten sie. Diese Stadt, damals nur mit niedrigen Mauern ohne Türme umgeben, war an sich nicht stark. Doch verfügte der Bischof Ulrich innerhalb der Mauern über eine große Zahl hervorragender Ritter, und deren Beweglichkeit und Kühnheit machte die Stadt mit Gottes Hilfe fest und stark. Als nun die Ritter sahen, wie das Heer der Ungarn die Stadt zum Sturm umzingelte, wollten sie hinausgehen und ihnen draußen entgegentreten. Doch das erlaubte ihnen der Bischof nicht. Am 8. August wurde das Tor im Osten der Stadt hart umkämpft. In der Stunde des Kampfes aber saß der Bischof auf seinem Ross, angetan von der Stola, ohne durch Schild, Harnisch und Helm geschützt zu sein, und blieb unversehrt und unverwundet von den Pfeilen und Steinen, die ihn umschwirrten.“

In der Nacht nach diesem ersten Tag des Kampfes ließ der Bischof die Wehrhäuser und Tore ausbessern sowie weitere Palisaden aufrichten. Als das Ringen um Augsburg am Morgen des zweiten Tages fortgesetzt werden sollte, „da“, so fuhr Gerhard fort, „wurden die Ungarn von Gott in Furcht versetzt und wagten sich nicht an die Mauern heran.“ Es nahte das Heer König Heinrichs, und mit ihm waren die Truppen der deutschen Stämme. „Als der König das Heer der Ungarn erblickte, dünkte ihn, es könne von Menschen nicht bezwungen werden, es sei denn, Gott erbarme sich und töte sie.“

Am Morgen des 10. August 955, dem Gedenktag des heiligen Laurentius, versicherten sich die deutschen Soldaten in einer Heerfriedenszeremonie ihrer gegenseitigen Treue und machten sich auf den Weg zum Schlachtfeld. Obwohl die Marschroute durch Bäume gedeckt war, um sich vor den Pfeilen der Ungarn zu schützen, schafften es diese, den Heerzug zu umgehen und von hinten aufzurollen; dabei schlugen sie Böhmen und Schwaben in die Flucht und eroberten den Tross. Da sie jedoch unmittelbar nach ihrem Erfolg zum Plündern übergingen, konnte Konrad der Rote mit den jungen Kriegern aus dem fünften Haufen seinerseits die Ungarn zurückschlagen.

Widukind von Corvey schilderte den folgenden Teil der Ereignisse genauer als Gerhard: „Als der König erkannte, dass jetzt der Kampf unter ungünstigen Umständen mit seinem ganzen Gewicht bevorstehe, redete er seine Genossen zur Aufmunterung an und schloss: „An Menge, ich weiß es, übertreffen sie uns, aber nicht an Tapferkeit, nicht an Rüstung. Lieber wollen wir im Kampfe, wenn unser Ende bevorsteht, ruhmvoll sterben, meine Krieger, als den Feinden untertan in Knechtschaft leben oder gar wie böse Tiere durch den Strick enden. Ich würde mehr sagen, wenn ich wüsste, dass Worte die Tapferkeit oder Kühnheit in euren Gemütern erhöhen. Jetzt lasst uns lieber mit den Schwertern als mit Worten die Verhandlung beginnen“. Und nachdem er so geredet, ergriff er den Schild und die heilige Lanze und wandte zuerst selbst sein Ross gegen die Feinde, zugleich die Aufgabe des tapfersten Kriegers und des trefflichsten Feldherrn erfüllend.“

Von dem Verlauf der eigentlichen Feldschlacht ist wenig bekannt. Wider ihre Gewohnheit nahmen die Ungarn die offene Feldschlacht an. Die Quellen sprechen davon, dass Konrad der Rote von einem Pfeil tödlich in den Hals getroffen wurde, als er die Bänder des Panzers löste und Luft schöpfte. Unter seiner Rüstung entdeckte man das Hemd des Büßers als ein Zeichen der Reue darüber, dass er gegen seinen König rebelliert hatte.

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Schlachtentscheidend könnte ein Sommergewitter gewesen sein, sodass durch die heftigen Regenfälle die Wunderwaffe der Ungarn, der Kompositbogen, im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Leim ging, wodurch das Reiterheer der Ungarn deutlich an Schlagkraft eingebüßte. Allerdings wird dieses Ereignis nicht bei Widukind erwähnt, bei dem man vermuten könnte, dass er es als Gotteseingriff in das Kriegsgeschehen nicht unterschlagen hätte, und so bleibt der Einfluss der Witterung auf die Schlacht fraglich. Insgesamt scheint es wahrscheinlich, dass Heinrich I. eine ähnliche Taktik wie sein Vater Ludwig III. 933 in der Schlacht bei Riade verfolgte, um die magyarischen Reiter in Reichweite seiner Panzerreiter zu bekommen.

Am Ende der Feldschlacht befanden sich die Ungarn auf dem Rückzug – und zwar so zahlreich, dass die Augsburger zunächst von einem erneuten Angriff auf ihre Mauern ausgingen. Sie vermuteten, dass es einigen ungarischen Heerführern gelungen war, die Schlacht abzubrechen, um der vollständigen Vernichtung zu entgehen, oder dass der Rückzug nur vorgetäuscht war, um Heinrichs Krieger aus ihrer Schlachtordnung zu bewegen, wie es für das ungarische Heer inzwischen bekannt war. Tatsächlich versuchten sie jedoch, an Augsburg vorbei über einen Fluss zu ihrem Lager zu gelangen, denn ein Melder hatte dem ungarischen Befehlshaber berichtet, dass ein böhmisches Kontingent ihr Lager mit der Beute und ihren Familien bedrohte. So ist das merkwürdige Verhalten der bis dahin im Vorteil liegenden Ungarn wohl zu erklären. Sie wurden nicht in die Flucht geschlagen – sonst hätten auch die Augsburger kaum an einen erneuten Angriff auf ihre Stadt geglaubt, es muss sich um ein geordnet vorrückendes Heer gehandelt haben.

Aber auch hier wirkten sich die Regenfälle der vorangegangenen Tage verhängnisvoll aus. Die Flüsse der Gegend waren derart angeschwollen, dass ein Hinübersetzen in kurzer Zeit unter der Bedrohung des Feindes nicht möglich war. Und erst jetzt wurde das Manöver zum Desaster, denn die Ungarn gerieten zwischen das königliche und das böhmische Heer, die von beiden Seiten des Flusses nachsetzten.

Daher versuchten einige versprengte Einheiten, in den umliegenden Dörfern Schutz zu finden. Den wenigen Kriegern, die diesen Massakern entkommen konnten, wurde im Hinterland an besetzten Fähren und Furten aufgelauert. Sie wurden erschlagen oder ertränkt, Gnade wurde nicht gewährt. Auf der Flucht wurden unter anderem die Anführer gefangen genommen und zusammen mit anderen Adeligen zu Konrad von Baiern gebracht. Dieser ließ sie hängen: „Drei Anführer des Ungarnvolkes wurden gefangen und vor den Herzog geführt und büßten mit einem schmählichen Tode, sie wurden nämlich durch den Strang zum Tode gebracht. Glorreich durch den herrlichen Sieg wurde der König von seinem Heere als Vater des Vaterlandes und Kaiser begrüßt“.

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Das Massengrab, in das man die zahllosen Erdrosselten warf, diente als besondere Attraktion: Man zeigte es den fremden Reisenden mit wohligem Schauer, wie auch die Altarkelche und Kreuze, die aus den silbernen Schellen gegossen waren, mit denen die Ungarn ihre Gewänder schmückten.

Die Ungarn erholten sich von der Katastrophe von 955 nicht wieder. Sie, die über ein halbes Jahrhundert der Alptraum Europas gewesen waren, wurden zu einem sesshaften Volk. Die Heiden wandelten sich bald zu Christen (der Arpadenfürst selbst bat den deutschen König um Entsendung von Missionaren, um sich gegen innenpolitische Gegner einen Vorteil zu verschaffen). Selten hat die Geschichte eine derartige Wirkung einer einzigen Schlacht gesehen. Im Jahr 1000 wurde Ungarn unter dem Arpaden Istvan (Stephan) vom Papst als Königreich anerkannt. Gerne hätte ich die Bildung des Ungarnreichs auch hier vorgestellt, doch darauf scheint der aktuelle Partie-Verlauf nicht hinauszulaufen.

Die Begeisterung der Deutschen über den Sieg kannte keine Grenzen. Noch auf dem Schlachtfeld riefen die Krieger ihren Feldherrn zum Imperator, zum Kaiser, aus. Eine aus dem Überschwang des Triumphs geborene Akklamation nach antikem Vorbild. Die Schreiber verschwiegen den entscheidenden Beitrag der Böhmen am Sieg auf dem Lechfeld weitgehend. Der Ruhm sollte dem König, genauer Gott, der dem König und dem Deutschen Reich das Heil gewährte, zufallen.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 17. September 2016 11:13

Im Kirchenstaat hatte derweil ein Wechsel an der Spitze stattgefunden. Nach dem Tod von Agapet II. (946-955) bestieg Octavian den Heiligen Stuhl. Der war der Sohn des erwähnten römischen Stadtherren Alberich, der in seinem Leben fünf Päpste nacheinander gesteuert hatte und nun 954 gestorben war. Octavian änderte als erster Papst seinen Namen und regierte als Johannes XII. (955-964). Bei ihm handelte es sich um einen dunklen Ehrenmann - selbst für römische Verhältnisse ziemlich verderbt, korrupt und skrupellos. Er bediente sich aus dem Kirchenschatz und ließ die Peterskirche verkommen. Den Lateran funktionierte Johannes XII. zum Bordell um, in das er neben einheimischen Schönen auch Rompilgerinnen verschleppen ließ.

König Heinrich I. durfte in diesem Moment nicht das Privatleben des Papstes interessieren, sondern lediglich dessen Amt. Im Herbst 961 überschritt Heinrich an der Spitze eines aus allen Stämmen bestehenden Heeres den Brenner, selbst eine Abteilung Wenden war dabei. In Norditalien wurde er freundlich begrüßt, denn es war vierzig Jahre her, dass ein Herrscher die Kaiserkrone beanspruchte. Von Pavia aus betrieb Heinrich I. die Wiederherstellung seiner Macht in Italien, bestrafte Schuldige, belohnte Treugebliebene, setzte Vertriebene wieder ein. Von hier aus führte er die Verhandlungen mit dem Papst und zog schließlich gen Rom.

Hier leistete Heinrich dem Papst einen Sicherheitseid zum Schutz seiner Person und seines Besitzes. Diese schon traditionelle Schutz- und Oberherrschaft des „fränkischen“ Königs stand im Gegensatz zu den Rechten, wie sie der Papst durch die Konstantinische Schenkung beanspruchte, z.B. die Einsetzung des Kaisers. Das angebliche Original der Konstantinischen Schenkung wurde Heinrich I. überreicht. Heinrich blieb zwei Wochen vor Rom, bis das Vertragswerk für seine Krönung fertig gestellt war. Dem Heiligen Stuhl wurden die Gebiete bestätigt, die aus den Schenkungen von Pippin und Karl stammten, und dem Papst wurde das Recht zugebilligt, aus Königen Kaiser zu machen – vorausgesetzt, es handelte sich um deutsche Könige. Papst werden durfte nur der, der dem Kaiser zuvor die Treue schwor.

Die Kaiserkrönung wurde am 2. Februar 962 vom Papst in der Peterskirche vorgenommen. Am 12. Februar erließ Johannes XII. eine Enzyklika, in der die Erhebung von Magdeburg zum Erzbistum bestimmt wurde. Das galt aber nicht viel, denn dadurch fühlte sich der Bischof von Halberstadt in seiner Stellung bedroht – er blockierte die Ausführung der Enzyklika schlicht, das kanonische Recht erlaubte ihm das. Dies ist ein typisches Beispiel für mittelalterliche Politik. Ein Gesetz oder eine Verfügung sagte noch nichts über die erfolgreiche Durchführung. Dazu gehörte die entsprechende Rechts- und vor allem Machtgrundlage.

Die einhellige Stimmung hielt nicht lange an. Heinrich I. erlebte die Untiefen römischer Politik und verstrickte sich über vier Jahre in ihre Kämpfe. Es begann mit dem erneuten Emporkommen von Berengar II., Heinrichs Konkurrent um die lombardische Krone. Selbst Johannes XII. unterstützte ihn. Dafür wurde Johannes XII. vom Kaiser aus Rom verjagt. In Rom saß nun eine Synode im Beisein des Kaisers über den Papst zu Gericht. Papst Johannes XII. antwortete brieflich mit der Androhung des Bannes gegen alle, die es wagen sollten, ihn abzusetzen. Als Reaktion ließ die Synode Johannes tatsächlich absetzen und erhob Leo VIII. zum neuen Papst, was nie zuvor ein Kaiser gewagt hatte, da nach päpstlichem Selbstverständnis nur Gott über den Nachfolger des Apostels Petrus richten durfte. Johannes XII. nutzte aber die Gelegenheit zur Rückkehr, als Heinrich I. gegen Berengar im Kampf lag, und stürzte den an seiner Stelle inthronisierten Papst Leo VIII. Nur der plötzliche Tod Johannes XII. am 4. Mai 964 beendete die gefährliche Situation: „Und er wurde in einer Nacht außerhalb Roms, als er sich mit der Frau eines gewissen Mannes ergötzte, vom Teufel derart an der Schläfe getroffen, dass er im Laufe von acht Tagen an dieser Wunde starb“.

Während seines Aufenthalts in Italien hatte Heinrich im April 965 eine Gesandtschaft des Byzantiners Basileus II. Kolokynthis empfangen. Dieser war beunruhigt über Heinrichs Vorstoß nach Brendesion, da dies als Einbruch in die Hoheitssphäre des byzantinischen Reiches angesehen wurde.

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Heinrich erneuerte den Wunsch nach einer Heiratsverbindung für seinen Bruder Otto (historisch: für seinen Sohn Otto), der übrigens zu Weihnachten 965 nach dem Vorbild von Ludwig dem Frommen zum Mitkaiser gekrönt wurde, um ihn damit einer Braut aus Byzanz ebenbürtig zu machen.

Doch Byzanz mochte solchen Gedanken nicht folgen. Der Kaiser Kolokynthis hatte in Makedonien ein starkes Heer zusammengezogen und stand zu einer Intervention in Unteritalien bereit. Heinrich I. wollte dem Byzantiner bei einer Ehe zwischen Otto und einer byzantinischen Prinzessin die Grenzen des byzantinischen Reiches respektieren. Dem Deutschen schwebte ziemlich selbstbewusst vor, dass diese Prinzessin die umstrittenen süditalienischen Güter dann einfach als Morgengabe mit in die Ehe bringen solle.

Um nun Argumente durch militärischen Druck zu ersetzen, wurde der Kampf um Süditalien trotz der Verhandlungen eröffnet. Eine Gebiete wurden eingenommen. Aber vor Bari konnte Heinrichs Heer nicht viel bewegen. Es fehlte an der Flotte, um den starken Seehafen erfolgreich belagern zu können. Auch Heinrichs Gesandtschaft konnte in Konstantinopel nicht viel bewegen. Als dann die Kunde kam, dass Kolokynthis vor Antiochia einen glänzenden Sieg errungen hatte, schien der Tag der von ihm angedrohten Invasion Süditaliens nicht mehr fern.

Dann aber wurde Kolokynthis durch eine Palastrevolte beseitigt, Haupt der Verschwörung war sein Vetter Johannes Tzimiskes. Der hatte Kolokynthis einst den Weg zum Thron geebnet und ihn zu Kaisertum und Herrschaft gebracht. Dank war ihm nicht geworden, vielmehr wurde ihm der Oberbefehl über die byzantinischen Heere im Osten genommen, so dass der verbitterte Mann auf Rache sann. Der Kaiser Kolokynthis starb also eines grausamen Todes, und Johannes Tzimiskes bestieg den Thron.

Seine Lage war nicht ohne Probleme. Innenpolitisch standen ihm die Verwandten und Anhänger des gemordeten Kolokynthis gegenüber, außenpolitisch waren die Russen und Bulgaren auf dem Balkan einmarschiert und eine Bedrohung für Byzanz geworden. Zwar schlugen die Byzantiner die Koalition in offener Feldschlacht und vertrieben sie vom Balkan. Dennoch schien es dem neuen byzantinischen Kaiser Johannes ratsam, in Süditalien das Verhältnis zu entspannen und nicht dem Konfrontationskurs seines Vorgängers zu folgen.

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Kaiser Johannes billigte wohl stillschweigend die Vorherrschaft des deutschen Kaisers in Capua und Benevent und dessen Verzicht auf den byzantinischen Süden. Dafür erhielt Heinrich I. für seinen Bruder eine byzantinische Prinzessin. So konnte Erzbischof Gero von Köln mit Theophanu, der Nichte des Kaisers, erfolgreich zurückkehren. Es war zwar keine purpurgeborene, aber immerhin die Nichte des regierenden byzantinischen Kaisers Johannes Tzimiskes. Im April 966 wurde Theophanu mit Otto durch den Papst in der Peterskirche vermählt und zur Mitkaiserin gekrönt. Später mehr zu ihr.

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Für Heinrich I. war das der Höhepunkt seiner Macht. Er hatte das Reich befriedet, war in Rom zum Kaiser gekrönt, hatte die Nachfolge zugunsten Ottos geregelt und war - durch Theophanus Verheiratung mit Otto - durch den byzantinischen Kaiser selbst als Kaiser anerkannt worden. Das Zweikaiserproblem war damit gelöst. 967 endlich kehrte Heinrich I. nach sechs Jahren in Italien nach Deutschland zurück und hier setzte er sein letztes großes persönliches Ziel in die Tat um: Die Gründung des Erzbistums Magdeburg, das Heinrich zu einer Art Rom des Nordens machen wollte. Heinrich spürte sein Ende nahen, immerhin war er über 60 Jahre alt und hatte in den langen Jahren in Italien viele Strapazen mitmachen müssen. Noch einmal empfing er an seinem Hof – zum Weihnachtsfest 967 – Abgesandte aus aller Herren Länder, deren Erscheinen die große Reputation des Kaisers im Ausland bewies.

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Plötzlich erkrankte der Kaiser an einem schweren Fieber und starb wie sein Vater in der Pfalz Memleben am 31. Januar 968. Seinem Wunsch gemäß wurde er im Magdeburger Dom bei seiner Frau begraben.

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Zwei Videos zu diesem Abschnitt:

Kaiser Otto I. - Kampf um die Krone
https://www.youtube.com/watch?v=6jg6DZ2wOeA

Video: Kaiserin Adelheid – Die mächtigste Frau der Ottonen
https://www.youtube.com/watch?v=5qplikEk15I

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 21. September 2016 18:52

Hundert Jahre: Von Otto II. zu Heinrich IV.

Otto II. (973 bis 983)


Der neue Kaiser Otto übernahm ein wohl bestelltes Reich. Trotzdem hatte er mit Herausforderern seiner Macht zu kämpfen, deren Auftreten für Zeiten eines Regierungswechsels typisch sind. Zunächst einmal hatte Otto mit seinem Cousin Heinrich zu tun. Der war der Herzog von Baiern und war der Sohn und Nachfolger von Prinz Konrad. Wir erinnern uns: Konrad war der Thronprätendent und Rivale von Heinrich I. gewesen, der sich zu Weihnachten 941 dem König im Büßergewand unterworfen hatte. Dessen Sohn Heinrich, genannt der Zänker, konnte nun darauf verweisen, dass er der Nachkomme eines in purpur Geborenen sei, mit einem Anspruch auf die Königswürde.

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Otto entzog ihm das Herzogtum Baiern und übergab auch dieses an den Herzog von Schwaben. Das abgetrennte Kärnten wurde zum Herzogtum erhoben und dem Luitpoldinger Heinrich zugesprochen.

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Parallel zu den Schwierigkeiten im Südosten waren wieder in Lothringen Probleme aufgetreten. Otto setzte den Karolinger Karl, den Bruder des französischen Königs Lothar, als Herzog von Niederlothringen in der neuen Residenz Brüssel ein. Dies führte zu einer plötzlichen Invasion durch Lothar, der sogar Aachen einnehmen konnte, aus dem Otto nur knapp entkam. Die Franzosen drehten in einer spitzen Geste die Adlerfigur auf der Pfalz, die seit jeher nach Westen geblickt hatte, nach Osten um. Die Blitzaktion der Franzosen blieb aber ohne weitere Auswirkungen, Lothringen blieb beim Reich.

Anschließend musste Otto die Reichsgrenzen im Osten und im Norden sichern. Ein Aufstand der Elbslawen war so derart eruptiv, dass in dieser Gegend die Missionsarbeit von Jahrzehnten zunichte gemacht wurde. Auseinandersetzungen gab es auch mit dem dänischen König Harald Blauzahn, der dem Christentum entsagte und in Holstein für Unruhe sorgte.

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Erst nachdem die Expansionsabsichten Harald Blauzahns gebändigt waren, fand Otto die Zeit, seinen Zug nach Italien zu unternehmen, um dort seine kaiserliche Herrschaft zu Geltung zu bringen. In Rom war Papst Benedikt VI. (973-974) von den Anhängern der Crescentier nicht nur abgelöst, sondern auch ermordet worden. An seiner Stelle bestieg der Kandidat der Crescentier, Bonifaz VII. (974-985) den Heiligen Stuhl. Mit kaiserlicher Zustimmung gewählt wurde dagegen Benedikt VII. (974-983), der nach Ottos Hilfe rief, um sich gegen Bonifaz in Rom durchsetzen zu können.

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Nachdem Kaiser Otto seinen Papst nach Rom geführt hatte, zog er weiter nach Süditalien, um dort die Sarazenen zu bekämpfen. Zu dieser Zeit war Byzanz in Thronwirren gelähmt, Otto konnte auf ihrem Gebiet in Süditalien also frei operieren. Doch Otto erlitt eine vollständige militärische Niederlage und konnte nur mit Mühe einer Gefangen- bzw. Geiselnahme entgehen und sich nach Norden retten.

Otto kehrte zurück nach Rom, wo Benedikt VII. am 10. Juli 983 gestorben war. Er ließ seinen italienischen Erzkanzler Bischof Petrus von Pavia zu Papst Johannes XIII. erheben ließ. Da starb der Kaiser plötzlich an einem Fieber, vermutlich war es Malaria. Er wurde als einziger Kaiser in St. Peter in Rom begraben.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 1. Oktober 2016 17:25

Otto III. (983 bis 1002)

Der Sohn des verstorbenen Kaisers war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal drei Jahre alt. Das stellte die Verantwortlichen vor eine große Aufgabe, es gab keine festen Rechtsgrundsätze für den Fall von Vormundschaft und Regentschaft. Der Junge galt formell als regierungsfähig und unterschrieb Urkunden mit einem Vollziehungsstrich, hielt Gericht und zog in den Krieg. Um die Vormundschaft für ihn entbrannte ein Kampf. Gleich nach dem Tod Ottos II. war Heinrich der Zänker aus der Verbannung gekommen und hatte sich des kleinen Königs samt der Reichsinsignien bemächtigt. Der Zänker hatte schon versucht, den Vater des kleinen Königs zu stürzen. Jetzt forderte er wieder sein Recht auf den Thron.

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Zu Ostern 984 forderte Heinrich der Zänker seine Anhänger auf einer Versammlung in Quedlinburg auf, in zum König zu wählen. Sie akklamierten ihm, allerdings schrumpfte seine Anhängerschaft in der Folge. Denn jetzt ging es um einen Thronstreit, da hatten einige einen Loyalitätskonflikt. Die beiden Kaiserinnen Theophanu und Adelheid nämlich nahmen entschlossen den Kampf gegen den Zänker auf. Die beiden Frauen waren ziemlich verschieden und mochten sich nicht. Adelheid war fromm bis zum Fanatismus, Theophanu jung und aufwendig in ihrem Lebensstil. Die Gefahr brachte die beiden aber zusammen. Sie konnten auf die Hilfe des Mainzer Erzbischofs Willigis setzen und spannen ein politisches Netz um den Thronräuber.

Heinrich der Zänker musste sich nach Baiern zurückziehen und nach harten Verhandlungen schließlich den kleinen König ausliefern. Das Volk sang wie zum Spott „König sein wollt' Herzog Heinrich, doch Gott im Himmel wollt' es nicht“. An jenem Tag der Übergabe des kleinen Königs sah man, so hieß es, am Tageshimmel einen weithin leuchtenden Stern und die Muttergottes im Strahlenkranz der Sonne.

Quasi zur Auslöschung der Königserhebung des Zänkers fand Ostern 986 in Quedlinburg eine Festkrönung Ottos III. statt. Die Regentschaft übernahm seine Mutter Theophanu - jene Prinzessin, die als Braut für Otto II. aus Byzanz gekommen war. Energisch führte sie Politik und legte sich dabei den weiblichen Titel der imperatix augusta zu. Zunächst stellte sie Adelheid kalt. Persönlich war das durchtrieben, politisch war es vernünftig. Denn die allzu fromme Adelheid drohte das Reichsgut an die Kirche auszuliefern, und das wäre später schlecht für den König gewesen. Bis zu ihrem Tod 991 war sie dabei ziemlich erfolgreich und verhinderte, dass die Herrschaft eines Kindes auf dem Thron wie sonst zu einer Phase des Niedergangs für die Krone geriet.

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Nachdem Otto III. die Regierung übernehmen konnte, disziplinierte er zunächst seine Gegner im Osten und stutzte die Macht des Herzogs Heinrich des Zänkers zurecht. Im März 996 zog Otto III. nach Rom und besetzte den Stuhl des Papstes mit seinem Vetter Brun von Kärnten. Er wurde als erster Deutscher zu Papst Gregor V. (996-999) erhoben. Von diesem ließ sich Otto III. am 21. Mai 996 zum Kaiser krönen. Das war ein unerhörter Triumph, der sich über alle Traditionen hinwegsetzte, schließlich duldeten die Römer sonst nur einen der ihren auf dem Papstthron.

Schon 997 wurde Gregor V. gestürzt, und zwar ausgerechnet von Ottos früherem Lehrer Johannes Philagathos, der als Gegenpapst Johannes XVI. (997-998) regierte. Gregor rief den Kaiser um Hilfe. Anfang 998 tauchte das Heer des Kaisers vor Rom auf. In einem Turm wurde der Philagathos entdeckt, nach kurzem Verhör gestand er, der Gegenpapst zu sein. Daraufhin rief man den Henkersknecht herein, der ihm mit einem glühenden Eisen die Augäpfel ausbrannte, dann mit einem gebogenen Messer Ohren und Nase abschnitt, um ihm schließlich mit einer Zange die Zunge herauszureißen. Am selben Abend wurde der so grauenhaft Verstümmelte nach Rom geschafft und vor den Kaiser geführt, der ihn mit den Worten anredete: „Sehe ich dich so wieder, Grieche“.

Vor ihm stand blutend, Unverständliches lallend, aus leeren Augenhöhlen starrend sein Taufpate, der zärtlich geliebte Lehrer seiner Kindheit, stand Philagathos, der jetzt Johannes XVI. hieß, weil er die Tiara trug. Eine mehr als traurige Gestalt, dieser Grieche, den Theophanu einst in ihre Dienste genommen und zu einer raschen Karriere verholfen hatte. Der einstige Günstling der Kaiserin, eventuell sogar ihr Liebhaber, war damals auch der Vertraute ihres Sohnes Otto III. geworden. Für das Geld der Crescentier war Philagathos zum Verräter an seinem Herrn geworden und konnte nach damaligen Recht mit Blendung bestraft werden. Otto III. schien die unmäßige Misshandlung des Mannes ein wenig zu bereuen, nicht so sein Vetter Gregor V., der wieder auf dem Heiligen Stuhl Platz genommen hatte.

Kaiser und Papst ließen den früheren Lehrer ohne Augen, Ohren, Nase und Zunge, aber in päpstliche Gewänder gehüllt verkehrt herum auf einem Esel sitzend mit einem ausgehöhlten Kuheuter als Mütze in einer Schandprozession durch Rom und auf Befehl Papst Gregors vor eine Synode führen. Dort wurde Johannes XVI. formell abgesetzt. Nach der Absetzung führte man den Unglücklichen wieder auf dem Esel reitend durch die johlende Menge. Anschließend wurde der Verstümmelte in ein Kloster abgeschoben, in dem er nach 15 Jahren starb.

Anschließend wurde die Engelsburg, in der sich die Crescentier verschanzt hatten, erstürmt. In den blutigen Nahkämpfen, die tage- und nächtelang im Labyrinth der Gänge, Treppen und Verliese tobten, erlosch der letzte Widerstand. Auf den Zinnen schlugen die Soldaten den Aufständischen die Köpfe ab und stürzten deren Leichen die Mauer hinab. Die zerschmetterten Körper wurden am Galgen zur Schau gestellt. Der Kaiser hatte „seinen“ Papst gegen den Willen der Römer durchgesetzt.

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Auch als Gregor V. im März 999 starb, konnte der Kaiser seinen Kandidaten Gerbert für die Papstwahl durchsetzen. Der legte sich den Namen Silvester II. (999-1003) zu. Der Name war Programm. Denn an Silvester sollte Konstantin der Große bekanntlich das Imperium übergeben haben. Das enge Zusammengehen des Philosophenpapstes und des Kaisers an der Spitze der Christenheit war in dieser Form einmalig.

Nach dem Weihnachtsfest 1000 zog Otto III. zurück in das Reich. Erwähnenswert ist vor allem, dass der Kaiser seine östlichen Kirchenrechte dem Herrscher in Polen übertrug, womit Polen seine eigene Kirchenorganisation erhielt. Mit Boleslaw schloss Otto III. einen Freundschaftspakt und setzte ihm eine eigene Krone auf den Kopf.

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Unter Begleitung von Boleslaw und dreihundert polnischen Lanzenreitern zog der Kaiser nach Magdeburg und weiter nach Aachen. Dort kam es zu einer denkwürdigen Begegnung Ottos III. mit dem toten Karl dem Großen. Er ließ das Grab vor dem Altar nächtens öffnen: „Karl lag nicht im Grabe wie andere Verstorbene, sondern er saß aufrecht auf einem Thron, als lebe er. Auf dem Haupt trug er die goldene Krone und hielt das Zepter in den mit Handschuhen bedeckten Händen, durch die die Fingernägel hindurchgewachsen waren. Wir spürten den Hauch des Todes, einen starken Geruch, und warfen uns vor ihm nieder zum Gebet. Otto ließ ihn in weiße Gewänder hüllen, schnitt ihm die Nägel und erneuerte alles, was verfallen schien. Von den Gliedern war noch keines durch Verwesung zerstört mit Ausnahme der Nasenspitze, die der Kaiser mit Hilfe von Gold ergänzte. Aus dem Mund des Toten zog er einen Zahn, auch das goldene Halskreuz und einen Teil der Gewänder nahm er an sich, entfernte sich dann und ließ die Gruft wieder schließen“.

Otto III. zog erneut nach Italien, wo die Römer wieder einmal ihren Papst aus der Stadt verjagt hatten. In Ravenna empfingen der Kaiser und Silvester II. gemeinsam den König Stephan von Ungarn. Dieser unterstellte sein Reich dem heiligen Petrus und erhielt von Kaiser und Papst die Bestätigung einer eigenen Kirchenprovinz für Ungarn, deren Metropole Gran sein sollte. Stephan sollte von dem neuen Erzbischof von Gran mit einer eigens dafür gedachten Krone zum König geweiht werden.

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Einige Zeit danach, im Januar 1002, ergriff Otto III. wie seinen Vater die Malaria, er starb noch im selben Monat daran. Man glaubte, dass aus den Sümpfen aufsteigende Gase (Miasma) jene Krankheit verursachen, die das Blut verdünnen, die Milz anschwellen lassen, höllisches Fieber und eisigen Schüttelfrost erzeugen, schließlich den Tod herbeiführen oder ein langes Siechtum. Doch nicht irgendwelche Bodendünste waren schuld an der Pestilenz, sondern eine kleine unscheinbare Mücke, die durch ihren Stich die todbringenden Parasiten überträgt. Die Umgebung Roms zählte jahrhundertelang zu den klassischen Malariagebieten, weil überschwemmende Flussufer, Sümpfe, Teiche, Tümpel ideale Brutstätten boten. Mitte Juni bis Mitte September galt als die gefährlichste Zeit, da begaben sich die alten Adelsfamilien aus Rom in die gesunde Luft der bergigen Umgebung. Bei Sommerbelagerungen, so wusste man in Rom, bot die Pestilenz besseren Schutz als dicke Mauern.

Seinem Wunsch gemäß wurde er, da sich die Römer verweigerten, in Aachen beigesetzt. Ironie des Schicksals war es, dass zu dieser Zeit eine deutsche Delegation mit einer byzantinischen (purpurgeborenen) Braut namens Zoe für den Kaiser eintraf und nach der Todesnachricht gleich wieder zurückfuhr.

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Video: Kaiserin Theophanu – Die mächtigste Frau des Abendlandes
https://www.youtube.com/watch?v=KViEmvoEYqE

Video: Otto III. - Erneuerer des Reiches
https://www.youtube.com/watch?v=UweE-VShcQU


Heinrich II. (1002 bis 1024)

Im Gegensatz zu seinem Vater, der bei seinem plötzlichen Tod einen gewählten und gekrönten Nachfolger hinterlassen hatte, war dies bei dem kinderlosen Otto III. nicht der Fall. Die Lage war völlig unklar und forderte einen Überraschungscoup geradezu heraus. Ihn führte der Baiernherzog Heinrich IV. (*973) durch, der Sohn Heinrichs des Zänkers. Er nahm den Erzbischof Heribert von Köln zur Geisel und brachte sich dabei in den Besitz der Reichsinsignien.

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Heinrichs Konkurrenten um die Krone waren Herzog Hermann II. von Schwaben und Herzog Ekkehard von Meißen, den man den Schrecken der Slawen nannte. Alle drei hatten ihre Anhängerschaft unter den Großen des Reiches. Am 30. April 1002 wurde Ekkehard dann aber von Graf Siegfried dem Jüngeren von Northeim getötet.

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In der Auseinandersetzung mit dem verbliebenen Konkurrenten Hermann II. neigte sich die Sache zugunsten Heinrich zu. Nicht militärische Tüchtigkeit, sondern diplomatisches Verhandlungsgeschick mit den deutschen Stämmen brachten Heinrich nach vorne. Schließlich war es dann der Sohn des Zänkers, der allgemein anerkannt wurde, auch Hermann versöhnte sich und huldigte ihm. Erst jetzt konnte Heinrich II. seine Königsherrschaft antreten, für die er gar nicht vorgesehen war (er war fast wie ein Geistlicher erzogen worden). Im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern war er mit 29 Jahren relativ alt.

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In den ersten Jahren verschaffte Heinrich II. den Reichsinteressen in Böhmen und Polen durch mehrere Feldzüge mehr oder weniger Geltung. In Polen war es Boleslaw I. „Chobry“ (der Tapfere), der als erster den Deutschen die Stirn zu zeigen vermochte. Gegen Boleslaw verbündete sich Heinrich II. sogar mit den heidnischen Liutizen. Die hassten die Deutschen, doch wenn es jemanden gab, den sie noch mehr verabscheuten, dann waren es die bereits christlich gewordenen Polen. Letztlich behielt Heinrich II. mit diesem unseligen Bündnis recht, die deutschen Grenzen blieben gesichert. Ähnlich modern im heutigen Sinn, wobei der Zweck die Mittel zu heiligen pflegt, mutete ein weiteres Bündnis an, das Heinrich schloss: Mit dem russischen Großfürsten Jaroslaw von Kiew. In der Weltgeschichte die erste Waffenbrüderschaft zwischen Deutschen und Russen, um die Polen in die Zange zu nehmen.

Zwischen 1007 und 1012 musste er auch im Westen einige Aufstände unterdrücken. Flandern, Lothringen und Burgund waren die Zentren dieser Unruhen. Erst danach fand Heinrich II. im Herbst 1013 die Zeit, nach Rom zu ziehen. Dort wurde er am 14. Februar 1014 von Benedikt VIII. (1012-1024) zum Kaiser gekrönt. Der Papst schenkte ihm eine kostbare goldene Weltkugel mit aufgesetztem Kreuz, Symbol der Universalherrschaft des Kaisers.

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Die Kirche konnte sich zu dieser Zeit einiges leisten, denn sie unermesslich reich. Die Gläubigen zahlten den Zehnten an sie, dazu kamen um die Jahrtausendwende viele Testamente, in denen die Menschen der Kirche ihr Vermögen vermachten. Denn zu dieser Zeit glaubten viele, das Ende der Welt sei nahe - „adventante mundi verspero“, „da der Weltenabend nahe ist“, lautete die Eingansgformel in diesen Verfügungen. Von den Steuern befreit, gesichert vor Weiterveräußerung und Vererbung ihres Besitzes, wurde die Kirche zu einem Grußgrundbesitzer in ganz Europa. Später war es Heinrich II., der diesen Reichtum anzapfte. Er reformierte die Klöster im Reich, führte sie von der Last der Güterfülle zurück zu ihrem eigentlichen Auftrag, wenn man es so bezeichnen möchte: „Es ist nötig, dass die Kirchen viele Güter besitzen, denn wem viel gegeben wird, dem kann auch viel genommen werden“.

Papst Benedikt VIII. hatte kriegerische Ambitionen. Er führte mit Pisa und Genua einen Seekrieg gegen die Araber und eroberte 1016 Sardinien von ihnen zurück. Einen Vorstoß nach Apulien ins byzantinisch dominierte Gebiet endete im Oktober 1018 mit einer schweren Niederlage. Daraufhin entschloss sich der Papst, den Kaiser um Hilfe zu bitten. Sie trafen sich zu Ostern 1020 in Bamberg. Heinrich II. brach zu einem weiteren Italienzug auf, erreichte Verona im Dezember 1021 und beginnt das Weihnachtsfest in Ravenna. In drei Truppenkontingenten marschierten die Heere nach Süden. Salerno konnte erobert werden, aber auf eine Eroberung Apuliens verzichtete Heinrich. Die Malaria wütete in seinem Heer.

Nach diesem Feldzug unternahm Heinrich II. eine Wallfahrt nach Cluny und erneuerte im August 1023 den Freundschaftsvertrag mit König Robert von Frankreich, wobei er einen Streit zwischen dem König und dem mächtigen Grafen Odo von der Champagne schlichtete. Auf dem Höhepunkt der Macht angekommen erkrankte Heinrich II. schwer und starb am 13. Juli 1024 in Göttingen im Alter von 52 Jahren. Wunschgemäß wurde er im Bamberger Dom begraben.

Konrad II. (1024 bis 1039)

Das Jahr 1024 markiert den Wechsel der Dynastien, es begann der Aufstieg der Salier (abgeleitet von dem althochdeutschen Wort sal - Herrschaft). Diese Familie stammte offenbar aus der Führungsschicht zu Zeiten Karl Martells im achten Jahrhundert. Erwähnt wurde bereits Konrad der Rote, der ab 941 als Graf von Worms im Gefolge Ottos I. in Erscheinung trat und 947 dessen Tochter Liutgard heiratete. Als Herzog von Lothringen spielte er seit 944 eine Schlüsselrolle in der Reichspolitik.

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Konrads Sohn Otto erweiterte den Familienbesitz am Rhein und wurde 978 Herzog von Kärnten, musste sich nach seinem innenpolitisch notwendigen Verzicht 985 wieder an den Rhein zurückziehen und erhielt Kärnten mit der Markgrafschaft Verona 995 wieder zurück. Den vorläufigen Höhepunkt im Aufstieg der Familie erlebte Ottos Sohn Brun, der 996 von Otto III. zu Papst Gregor V. erhoben wurde.

Ottos Sohn Konrad hatte sich dem Gegenkandidaten Hermann II. von Schwaben angeschlossen, mit dessen Tochter Mathilde er verheiratet war. Trotzdem konnte er nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1000 mit Zustimmung Heinrichs II. die Nachfolge in Kärnten antreten. Bei seinem Tod im Jahre 1011 wurde allerdings sein Sohn Konrad der Jüngere übergangen, der noch ein Kind war. Somit verlor die Familie die Herzogswürde. In der weiteren Regierungszeit Heinrichs II. wurde die Wormser Linie der Familie durch Konrad den Jüngeren und die Speyerer Linie durch Konrad den Älteren repräsentiert. Beide stritten sich um das Erbe des Schwabenherzogs mit dem Herzog von Kärnten. Heinrich war darüber verärgert und schickte Konrad den Älteren ins Exil, aus dem er aber bald zurückkehren durfte. Mit dem Tod des Kaisers trat die Familie in den Mittelpunkt der Debatte um die Nachfolge.

Da Heinrich II. keine Kinder hatte, war das Haus der regierungsfähigen Liudolfinger mit seinem Tod im Mannesstamm erloschen. Natürlich gab es im Ausland einige weitläufige Verwandte, die erbrechtlich in Betracht kamen. Als Favoriten entpuppten sich aber die beiden Salier Konrad der Ältere und Konrad der Jüngere, ein Ururenkel Ottos des Großen. Die Wahl der Großen fiel (wohl auch, weil sich die beiden Kandidaten zuvor abgesprochen so hatten) auf Konrad den Älteren, der zum König erhoben und gesalbt wurde.

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Konrad II. war etwa 35 Jahre alt, als er sein Amt antrat. Verheiratet war er seit 1016 mit Gisela Konradiner, der Witwe Herzog Ernst I. von Schwaben. Lesen und Schreiben konnte Konrad nicht, er war ein idiota literarum. Man hatte es in seiner Kindheit nicht für nötig gehalten, an einen Niemand irgendwelche Ausbildung zu verschwenden. Dem König Konrad verdankten es die Ritter, dass ihre Lehen erblich wurden, Geliehenes sich in Eigentum verwandelte. Kein Wunder, dass sie in unabdingbarer Treue zu ihrem König hielten. Ein neuer Dienstadel entstand auf diese Weise, der dem Staat nicht wie bisher nur im Kriege diente, sondern auch im Frieden: Er stellte die ersten weltlichen Beamten, die Ministerialen.

Ihre Treue wurde wichtig bei der folgenden Rebellion, die der Stiefsohn des Königs anzettelte: Wie gewohnt mussten zu Beginn einige Aufstandsversuche unterdrückt werden. Konrad II. stritt mit Herzog Ernst II. von Schwaben (sowie den Lothringern und Polen). Die Ministerialen versagten ihrem Lehnsherrn Ernst die Gefolgschaft gegen den König. Vor seinem Italienzug 1026 ließ Konrad II. seinen neunjährigen Sohn Heinrich zum Nachfolger wählen, dem er im Jahr darauf das ledige Herzogtum Baiern vergab.

Konrad II. erwies sich trotz seiner fehlenden Ausbildung als fleissiger Rechtsprecher. In Norditalien hielt der König Gericht über Bürger von Pavia, die nach dem Tod Heinrichs II. hier die Pfalz zerstört hatten. Sie entschuldigten sich vor Konrad II. für diese Tat, indem sie ihm vorbrachten: „Als wir dies taten, gab es noch keinen neuen König, also konnten wir auch uns nicht gegen Euch, o Herr, vergangen haben“. Konrad gab ihnen zur Antwort: „Wenn der König stirbt, bleibt doch das Reich – so wie das Schiff bleibt, wenn der Steuermann gefallen ist“. In Mittelitalien brachte er den brandschatzenden Grafen Thasselgard zur Strecke, der dort geplündert und gemordet hatte. Als man den adeligen Räuber zum Galgen führte, sagte der König: „Das also ist der Löwe, der meine Herde verschlingen wollte. Beim Himmel, diese Bestie wird von meinem Brot nicht mehr zehren“. Und als einmal die Wenden vor seinen Augen ein Kruzifix verschandelten, indem sie dem Gekreuzigten Arme und Beine ausrissen, setzte der König sich an die Spitze eines Kommandounternehmens, und die Gefangenen, die er machte, ließ er auf ähnliche Weise verstümmeln. So sah Rechtsprechung aus.

In Rom wurde Konrad II. von Papst Johannes XIX. (1024-1032) zum Kaiser gekrönt. Den schätzte der Salier eigentlich gar nicht, denn er hatte sich den Stuhl Petri von seiner Familie kaufen lassen. Später spielte Johannes sogar mit dem Gedanken, das Papsttum an den griechischen Patriarchen von Konstantinopel zu verschachern. Dessen Nachfolger fand auch keine Gnade in den Augen des Kaisers: Benedikt XI. war zum Zeitpunkt seiner Wahl wohl vierzehn Jahre alt (das ist nicht sicher) und so lasterhaft und korrupt, dass er gegen eine Abfindung von 2.000 Pfund Gold wieder zurücktrat. Obwohl: Der Charakter eines Papstes war Konrad solange egal, wie der tat, was er von ihm verlangte.

Konrad II. beteiligte sich selbst am Ausverkauf der Kirche. Bistümer und Reichsabteien wurden regelrecht vermarktet. Wer am meisten bezahlte, bekam bei der Investitur den Zuschlag. Das war nicht neu, nur war Konrad II. noch nicht einmal bemüht, sein Tun zu bemänteln. Auf den Vorwurf, sich fortwährend der Simonie schuldig zu machen, gab er die entwaffnende Antwort: „Wie anders soll dieses Reich denn zu regieren sein?“ Zum Teil hatten sich feste Sätze eingebürgert, die ein geistliches Amt kostete. Wem die Kaufsumme zu hoch war, der konnte sich ruhig verschulden. Die Pfründe aus dem Amt warf in der Regel so viel ab, dass sich die Schulden bald tilgen ließen. Wenn nicht, ließ sich ja immer noch Kircheneigentum verkaufen. Marmorsäulen zum Beispiel, Bücher, Altarsilber oder die Ziegel vom Dach eines Gotteshauses. Es wäre unsinnig, den Geistlichen einen Strick drehen zu wollen. Sie taten das, was alle taten, vom kleinen Landpfarrer bis zum großen Erzbischof.

1027 und 1028 gelang es dem Salier, das Königreich Burgund näher an das Reich zu ziehen und Frankreich so den Weg nach Italien zu erschweren. Im Osten hatte Konrad II. wieder mit den Polen sowie den Liutizen zu kämpfen. In den Jahren 1036 und 1037 musste der Kaiser in Mailand eingreifen, um die tumultartigen politischen Zustände zu schlichten. Als Konrad II. 1038 nach Deutschland zurückkehrte, übertrug er (nach Baiern) auch das Herzogtum Schwaben an seinen Sohn Heinrich.

Beim Pfingstfest, das der Kaiser 1039 in Utrecht beging, erlitt Konrad II. einen Gichtanfall, von dem er sich nicht mehr erholte. Er starb am 4. Juni 1039 und wurde im Dom zu Speyer begraben.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 7. Oktober 2016 21:11

Heinrich III. (1039 bis 1056)

Heinrich III. wurde 1017 geboren und war sechs Jahre alt, als sein Vater König wurde. Schon früh bezog ihn Konrad II. aktiv in die Politik ein. Immerhin wurde Heinrich nicht nur 1026 formell als Nachfolger anerkannt, er bekam auch die Herzogtümer Baiern und Schwaben zur eigenen Regierung. Im Jahr 1036 heiratete Heinrich die dänische Prinzessin Gunhilde, die ihm die Tochter Beatrix (die spätere Äbtissin von Quedlinburg) gebar. Gunhilde starb aber bereits 1038.

Als auch Heinrichs Vater 1039 starb, war er bestens auf die Herrschaft vorbereitet. Innenpolitisch von großer Bedeutung war für ihn war die Kirchenpolitik. Bei der Investitur der Bischöfe verwandte Heinrich III. als erster Herrscher neben dem Stab auch den Ring. Der Ring war ein christliches Symbol, das die geistliche Verbindung des Bischofs mit der Kirche darstellte. Somit wurde Heinrichs theokratisches Denken umgesetzt und diese Investitur nun als selbstverständlicher Akt durchgeführt. Im Gegensatz zu seinem der Welt zugewandten Vater Konrad waren Heinrich III. die Simonie und die Priesterehe ein Gräuel. Der neue Herrscher war tief religiös und fromm bis zur Askese. Bei der Investitur verzichtete er auf die Annahme von Schmiergeldern. Die Reformer in der Kirche lobten ihn dafür, die für den Staatshaushalt zuständigen Räte runzelten sie Stirn. Denn die Finanzierungslücke musste Heinrich III. nun durch den Adel schließen lassen, die er verstärkt zur Kasse bat. Es hätte keine wirksamere Methode geben können, sich neue Feinde zu schaffen.

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Noch in selben Jahr 1039 zog er mit Kärnten das dritte Herzogtum an sich (Baiern und Schwaben hatte er bereits zu Zeiten seines Vaters bekommen). Es war dabei klar, dass er nicht alle drei Herzogtümer nicht für sich behalten wollte, ebenso klar war, dass die Herzogtümer nach seiner Ansicht nicht erblich waren. Im Jahre 1042 verlieh Heinrich III. Baiern an den Lützelburger Heinrich, Schwaben ging 1045 an den lothringischen Pfalzgrafen Otto von den Ezzonen, Kärnten wurde 1047 an den Grafen Welf III. vergeben. Allen drei neuen Herzögen war gemeinsam, dass sie als Landfremde auf die enge Zusammenarbeit mit dem König angewiesen waren, um sich in ihren Gebieten behaupten zu können.

Anders in Sachsen, dort führten die Billunger das Zepter, das Herzogtum war quasi erblich. Für Missstimmung der Sachsen sorgte Heinrichs Schritt, Goslar zu seiner Pfalz zu machen und das Reichsgut in Sachsen auf ihre Kosten zu mehren. Heinrich III. setzte gegen die sächsischen Adeligen auf die dortigen Bischöfe. Im Jahre 1043 erhob der König den Dompropst zu Halberstadt zum Erzbischof von Bremen. Der hieß Adalbert, hatte ehrgeizige Pläne von einem eigenen Patriarchat des europäischen Nordens und war ein Gegner der Billunger.

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Während es in Sachsen nicht zum offenen Ausbruch der Spannungen kam, war dies in Lothringen anders. Dort war 1040 Herzog Gozelo gestorben, sein Sohn Gottfried III. der Bärtige war noch zu dessen Lebzeiten als Mitherzog aufgetreten. Gozelo hatte aber eine Teilung vorgesehen und Niederlothringen dem jüngeren Sohn Gozelo II. gegeben. Heinrich unterstützte die Entscheidung, um die Macht des Herzogtums zu schwächen. Er ließ den aufbegehrenden Gottfried von einem Hofgericht im September 1044 absetzen. Gottfried suchte sein Heil in der Fehde, bis es im Juli 1045 zu einem Ausgleich kam.

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Gegen Stellung seines Sohnes als Geisel durfte er in das Herzogtum Oberlothringen zurückkehren, Niederlothringen ging dagegen an den Lützelburger Friedrich. Es kam noch einmal zu einem Aufstand des Lothringers, bei dem aber erneut Heinrich III. die Oberhand behielt. Lothringen als einst starkes Herzogtum blieb geschwächt, die Zentralmacht war gestärkt. Dies konnte aber auch negative Folgen haben, denn das geteilte Herzogtum bedeutete weniger Schutz an der Westgrenze des Reiches.

Als Teil seiner Außenpolitik musste seine Heirat 1043 angesehen werden. Er entschied sich, Agnes von Poitou zur Frau zu nehmen. Sie war eine Enkelin des Grafen Otto-Wilhelm (Guilhem V.) von Burgund. Heinrich III. war ein Idealist reinsten Wassers, und von den Idealisten heißt es, dass Gott uns vor ihnen beschützen möge, wenn sie in der Politik auftreten. Weil sie immer versuchen werden, die Welt nach ihrem – weltfernen – Bilde zu gestalten. Seine Zeitgenossen schildern Heinrich III. als düster, verschlossen, und kein Name passte besser zu ihm als der des „Schwarzen Heinrich“. Als die Spielleute zu seiner Hochzeit mit Agnes herbeiströmten, um ihn auf ihre Art zu feiern, ließ er die fortjagen – in tiefer Verachtung ihrer eitlen Künste. Das war nicht nur unklug – die Fahrenden waren die „Presse“ und bestimmten auch die öffentliche Meinung – sondern auch der Sitte der Zeit zuwider, denn die Gaukler waren außerordentlich beliebt. Agnes gebar Heinrich III. fünf Kinder: zunächst drei Töchter, dann zwei Söhne.

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Einige Jahre verbrachte Heinrich III. damit, die deutsche Oberhoheit im Osten gegen die Polen durchzusetzen. Danach konnte er den Zug nach Italien antreten. Im Rom setzte man große Hoffnung auf den Salier, denn die Situation um den Papst musste dringend geklärt werden. Im Jahr 1032 war wieder ein Tuskulaner zu Benedikt IX. (1) gewählt worden. Er wurde im Sommer 1044 von den Römern vertrieben und aus der Familie der Crescentier Silvester III. (2) erhoben. Benedikt verdrängte Silvester wieder aus Rom (3), musste aber einsehen, dass er sich nicht halten würde können. Als trat er seine Würde am 1. Mai 1045 an seinen Taufpaten Johannes Gratianus ab. Sicher ist, dass Benedikt IX. freiwillig zurücktrat und dass Geld im Spiel war, als Gregor VI. (4) von den Römern gewählt wurde.

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Ende 1046 traf Heinrich III. in Piacenza auf Gregor VI. und war zunächst beeindruckt von ihm. In Sutri kam es dann auf Veranlassung des Königs zu der Synode, auf der die Rechtmäßigkeit des Papstes bzw. seiner Gegenspieler erörtert werden sollte. Denn Heinrich III. war es wichtig, dass er sich von einem legitimen Papst zum Kaiser krönen lassen würde. Die Päpste Gregor VI. und Silvester III. waren anwesend, Benedikt IX. war auf der Flucht. Silvester verlor sein Amt und Gregor wurde wegen Simonie abgesetzt und dem Erzbischof von Köln in die Verbannung übergeben. Auch über Benedikt erging ein Absetzungsurteil. Dann fand in Rom eine Neuwahl statt. Und um die Macht der römischen Familien zu brechen, war es ein Reichsbischof, der eingesetzt wurde. Heinrichs Wunschkandidat Adalbert von Bremen weigerte sich, daher wurde der Bamberger Bischof Suidger als Clemens II. (5) inthronisiert. Prompt krönte er zu Weihnachten 1046 Heinrich III. und seine Frau Agnes zu Kaiser und Kaiserin.

Der Kaiser war erst einige Monate zurück in Deutschland, als Clemens II. im Oktober 1047 starb – vielleicht Gift oder Malaria – und die Römer Benedikt IX. (6) auf den Thron zurückholten. Auch Gregor VI. versuchte wieder mitzumischen. Heinrich III. setzte mit einiger Mühe seinen neuen Kandidaten Damasus II. (7) auf den Heiligen Stuhl, aber der starb im August 1048 schon wieder. Der nächste Papst von Heinrichs Gnaden war dann Leo IX. (8), der im Februar 1049 erhoben wurde. Er war der erste bedeutende Reformpapst, der sich für seine rastlose Arbeit Mitarbeiter aus Lothringen holte, darunter den Reformer Hildebrand....

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Leo IX. hielt noch 1049 eine Synode mit dem Kaiser in Mainz ab. Im gemeinsamen Kampf gegen Missstände im Klerus dokumentierte sich das Miteinander von regnum und sacerdotium. Es ging bei den Synoden besonders um die Simonie und die damit verbundene Frage, ob ein Kleriker, der auf diese Weise ins Amt kam, die Sakramente spenden konnte. Leo neigte erst der radikalen Ansicht zu, schloss sich dann der gemäßigten von Petrus Damiani an, der das Sakrament in der richtigen Form verabreicht unabhängig von der Würde der Priester sah.

In Süditalien versuchte Leo IX. den Einfluss der mächtiger gewordenen Normannen einzudämmen und zog mit freiwilligen Truppen aus dem Reich und byzantinischer Unterstützung gegen sie. Doch Leo unterlag 1053 und musste fortan als Gefangener in Benevent residieren. Von dort führte der Papst mit Byzanz Verhandlungen über die Kircheneinheit. Doch die beiderseitigen Vorstellungen von katholischer und orthodoxer Kirchenführung waren so konträr, dass sie im Juli 1054 zur gegenseitigen Bannung führten. Das Schisma zwischen West- und Ostkirche wurde besiegelt. Leo IX. erlebte dies nicht mehr, denn er war am 19. April 1054 gestorben. Besonders erfolgreich war Leo IX. in seiner Amtszeit nicht, doch er hatte durch seinen leidenschaftlichen Einsatz verloren gegangenes Vertrauen in den Stellvertreter Christi zurück gewonnen, dem Papsttum neuen Glanz verliehen. Auf ihn folgte Viktor II. (9), und in dem Geist der Reformen ging der Kampf weiter. Später sollte sich zeigen, dass das durch Heinrich III. moralisch gestärkte Papsttum zum stärksten Gegner seines Sohnes Heinrich IV. werden würde...

Heinrich III. hatte den Papst Leo IX. zuletzt nicht mehr persönlich so intensiv unterstützen können, weil er im Reich Probleme hatte. Schon 1050 war es in Lothringen und Flandern wieder zu Schwierigkeiten gekommen. Im Juli 1054 heiratete Gottfried III. von Lothringen Beatrix, die Witwe des Markgrafen Bonifaz von Tuszien. Bei Heinrich III. schellten die Alarmglocken, denn Tuszien war strategisch sehr wichtig, hier kontrollierte man die Wege nach Rom. Deshalb reagierte der Kaiser massiv auf diese Machtkonzentration in der Hand Gottfrieds: Er nahm Beatrix und ihre Tochter Mathilde als Gefangene mit ins Reich.

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Es blieb unruhig. Das vernachlässigte Sachsen mit den Billungern an der Spitze beobachtete misstrauisch die Schritte des Saliers und sicherten mit zunehmender Mühe die Grenzen. In Baiern lag Herzog Konrad in offener Fehde mit dem Regensburger Bischof Gebhard, dem Onkel des Kaisers. Weil Konrad immer mehr Verbündete fand, drohte der Aufstand zu einem Sturz des Kaisers zu werden. Nur der plötzliche Tod des möglichen Nachfolgers Konrad (im Dezember 1055) sowie seines Verbündeten Welf III. (im November 1055) verhinderten dies.

In diesen unsicheren Zeiten war es wichtig, die Nachfolge rechtzeitig zu regeln. Am 11. November 1050 war endlich der Thronfolger Heinrich geboren. Es gelang dem Kaiser, Heinrich im November 1053 auf einer Reichsversammlung in Tribur zum König wählen zu lassen. zu Weihnachten 1055 wurde der Sohn mit Bertha, der Tochter des Markgrafen Otto von Turin, verlobt. Dieses Haus kontrollierte die wichtigsten Alpenpässe von Savoyen. Die Fürsten hatten in Tribur die Bedingung gestellt, dass man dem Sohn gehorchen werde, wenn er sich als gerechter Herrscher erweise. Dies war ein bis dahin einmaliger Vorgang, dass die Wähler sich eine Tür offen hielten. Damit drückten sie handfest die Missstimmung aus, die inzwischen im Reich herrschte, wo die Zentralmacht oft ohne oder sogar gegen die weltlichen Partikularkräfte Entscheidungen getroffen hatte.

Angesichts der zunehmenden Spannungen hatte sich der Kaiser mit Gottfried III. dem Bärtigen ausgesöhnt. Er übergab ihm Beatrix und ihre Tochter Mathilde von Canossa und bat um Unterstützung für seinen Sohn. Ob Heinrich III. Gottfried auch die Wiedereinsetzung in sein Herzogtum versprochen hat, ist nicht nachweisbar.

In der Pfalz Bodfeld im Harz wurde Heinrich III. sterbenskrank und ließ die versammelten Fürsten die Wahl seines Sohnes erneuern. Den anwesenden Papst Viktor II. forderte er zum Schutz für seinen Sohn auf. Im Alter von 39 Jahren starb Heinrich III. am 5. Oktober 1056, nachdem er um Verzeihung gebeten und entfremdetes Gut zurückgegeben hatte. Seine Leiche wurde im Dom von Speyer beigesetzt, sein Herz und seine Eingeweide wurden in Goslar bestattet. Somit ruhte er in den beiden Kirchen, die er zu seinen Lebzeiten am meisten gefördert hatte.


Verwendete Literatur:
    Mühlbacher: Deutsche Geschichte unter den Karolingern
    Diwald: Heinrich der Erste
    Fischer-Fabian: Die deutschen Kaiserkrone
    Knefelkamp: Das Mittelalter
    Wies: Otto der Große
    Gable: Das Haupt der Welt (Roman)

Das war es mit diesem Kapitel, der Bogen von Ludwig dem Deutschen bis zu Heinrich IV. ist gezogen. Bevor es mit diesem interessanten Charakter weitergeht, machen wir im nächsten Kapitel zunächst wieder einen Abstecher.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 14. Oktober 2016 19:49

Neues Kapitel, neue Epoche!

Spoiler (Öffnen)
1. Frühmittelalter (ab 769)

Karl der Große (ab 769)
1. Wie man einen König macht
2. Bruderzwist
3. De bello saxonici
4. Eine Schlappe wird zum Heldenlied
5. Die Krönung zum Kaiser
6. Die Nachfolgeregelung
Das byzantinische Kaiserreich (ab 769)
1. Konstantin V. (769-780)
2. Leo IV. (780-797)
3. Romylia (797-801)
4. Konstantin VI. (801-810)

2. Das Zeitalter der Wikinger (ab 867)

Alfred der Große (ab 867)
1. Ethelred (867-884)
2. Alfred (884-918)
Die ersten deutschen Könige (ab 867)
1. Prolog: Was geschah von 814 bis 867?
2. Ludwig der Deutsche (840-873)
3. Karlmann von Baiern (873-886)
4. Arnulf von Kärnten (886-898)
5. Ludwig III. (898-937)
6. Heinrich I. (937-968)
7. Hundert Jahre: Von Otto II. zu Heinrich IV.


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3. Das Hochmittelalter (ab 1066)
Wilhelm der Eroberer (ab 1066)
1. Vorgeschichte


Wilhelm/William der Eroberer
Herzog der Normandie, König von England
lebte ca. 1027-1087
Startdatum 15. September 1066

Vorgeschichte

Rouen, im Jahre 1064

Seit kurzem erst stand der junge Mann in Diensten des Herzogs der Normandie. Caedmon hieß er, der junge Mann, William II. der Herzog. Caedmon hatte einen angelsächsischen Vater, dem einige bescheidene Ländereien im Osten Englands gehörten. Und er hatte eine normannische Mutter, die ihrem Sohn auch ihre Sprache beigebracht hatte. Wegen seiner Fähigkeit, vom Angelsächsischen ins Normannische und zurück übersetzen zu können, hatte Herzog William II. den jungen Caedmon an seinem Hof in Rouen einstellen lassen. Es gab auch andere, Geistliche, die diese Übersetzungen leisten konnten, aber der Herzog war misstrauisch und mochte sich nicht allein auf die Kirchenleute verlassen.

Am heutigen Tag im Jahre 1064 sollten die Dienste von Caedmon in Anspruch genommen werden. Das Eintreffen des angelsächsischen Besuchers in Rouen, der normannischen Burg, war bereits angekündigt worden. Caedmon stand am Fenster seiner Kammer, von wo aus er von der Innenseite der Festung das Tor im Blick hatte. Es stand geöffnet, um die eintreffende Reiterschar durchzulassen. An ihrer Spitze zog der Earl of Wessex auf der Burg von Rouen ein. Er ritt ein großes, stämmiges Schlachtross. An seiner Seite trug er ein großes Schwert, und er wirkte so stattlich, nahezu königlich, dass Guy de Ponthieu neben ihm völlig verblasste. Ihnen folgten einige Ritter aus ihrem jeweiligen Gefolge. Caedmon, der Dolmetscher, eilte hinunter in den Hof und trat zu der Gruppe des inzwischen vom Pferd abgesessenen Harold hinzu. Er wurde von einigen Höflingen des Herzogs William förmlich begrüßt. Schließlich wandte sich Harold um und blickte Caedmon direkt an. Der junge Mann war nervös im Angesicht des Grafen von Wessex.

Nach dem, was er über Harold wusste, war er der mächtigste Adelige von England. Seit dem mysteriösen Tod seines Vaters Godwin war Harold der Herr über Wessex und anderer Grafschaften. Vielleicht war es nur ein Unfall gewesen, der Godwin von dieser Welt abberufen hatte – er war bei einem Mahl vielleicht wirklich nur an einer Fischgräte erstickt. Eventuell war es auch Godwins Lehnsherr gewesen, der englische König Edward, der aus Furcht vor diesem mächtigen Vasallen zu unchristlichen Mitteln gegriffen hatte. Caedmon glaubte jedoch nicht, dass der König etwas damit zu tun gehabt hatte: Edward wurde wegen seiner großen Frömmigkeit „Der Bekenner“ genannt.

Mit Harold hatte Edward aber einen nicht minder entschlossenen Vasallen, der über eine große Anhängerschaft unter den Angelsachsen verfügte. Er war ein Kandidat für den englischen Thron, denn er war ein starker Anführer, hatte für Ruhe an der Grenze zu Wales gesorgt und war zur Hälfte Däne. Das konnte ein wichtiger Umstand sein, wenn Harold König werden sollte, denn der dänische König Harald Harderade erhob Anspruch auf den englischen Thron (unter König Knut waren die Königreiche der Engländer und der Dänen von 1018 bis 1035 vereint). Ein König Harold könnte mit dem Dänen einen friedlichen Ausgleich finden, hofften einige mächtige Angelsachsen. Selbst jene, die nicht Anhänger Harolds waren, zogen seine Tapferkeit nicht in Frage – aber sie empfanden ihn als machthungrig.

Und nun hatte der englische König Edward gerade diesen mächtigen Vasallen ins Ausland zu William dem Bastard geschickt. Freundlich begrüßte Harold den jungen Caedmon, nachdem dieser ihm vorgestellt worden war. Der Graf war erleichtert, und das aus gutem Grund. Auf seiner Überfahrt war sein Schiff an der Küste der Normandie im Sturm gesunken und die Überlebenden, darunter Harold selbst, in die Hände des mit William streitenden Guy de Poithieu gefallen. Nur auf Druck des Herzogs William hatte Guy gehorchen müssen und musste seine prominente Geisel nun nach Rouen überstellen. Der Kapitän der Wache führte die Gruppe in die Halle, wo die Tische beiseite geräumt worden waren.

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Herzog William saß auf seinem thronartigen Sessel, gekleidet in kostbaren Gewändern. Ernst sah er den Ankömmlingen entgegen. Harold und Guy traten vor ihn und verneigten sich, Guy wesentlich ehrerbietiger als der englische Earl. William wandte sich trotzdem zuerst an diesen. „Seid mir willkommen, Monseigneur.“ Harold bedankte sich. „Ich bringe Euch freundschaftliche Grüße von Eurem Vetter, König Edward.“ Der Anflug eines höflichen Lächelns lag in Williams Mundwinkeln, aber sein Ausdruck zeigte Unverständnis. Er sah Caedmon an: „Wenn Ihr so gut sein wollt...“

Caedmon trat einen Schritt vor und übersetzte den förmlichen Gruß. William nickte bedächtig und wandte sich ernst an Guy de Ponthieu. Drohend sprach er: „Seid auch Ihr willkommen, Guy. Und ich bin Euch dankbar, dass Ihr den Gesandten meines Vetters nach seinem Schiffbruch mit Gastfreundschaft aufgenommen und hergeleitet habt. Ihr habt Euch als treuer Vasall erwiesen.“ An die versammelte Runde gerichtet fügte William hinzu: „Trinken wir auf das Wohl meines Vetters, des Königs von England.“ Alle nahmen einen tiefen Zug aus den gereichten Bechern.

„Und nun nennt mir die Botschaft, die König Edward mir sendet, Monseigneur. Der Junge soll übersetzen, was Ihr zu sagen habt.“ Harold nickte nach der Übersetzung zustimmend. „Der König, Euer Vetter, ist nicht wohl. Die Jahre der Verbannung lasten ebenso schwer auf ihm wie die Bürde seiner Königswürde und sein entsagungsvolles Leben. Und er hat mich Euch geschickt, solange er noch gesund genug ist, wie er sagt, um Euch zu versichern, dass er zu dem Versprechen steht, das er Euch gab, als Ihr ihn vor gut einem Dutzend Jahren in England aufgesucht habt.“

„Und Ihr wisst, worum es sich bei diesem Versprechen handelt?“, fragte William nach der Übersetzung zurück. Harold nickte. „Ja, Mylord. Er hat es mir gesagt. Edward wünscht, dass Ihr nach ihm König von England werdet.“ Der Übersetzer konnte seinen Unglauben über das Gesagte nicht verbergen, was William nicht entging. „Ihr seid überrascht, ja? Ich nehme an, viele Engländer werden überrascht sein.“ Ein Blick auf Harolds Gefolge reichte aus, um zu erkennen, dass sie nicht nur überrascht, sondern unglücklich darüber waren.

„Und was ist mit Euch, Harold Godwinson?“, wollte William wissen. Harold hob leicht die Schultern. „Die Ehe des Königs mit meiner Schwester ist kinderlos. Es gibt niemanden in England, der einen unangefochtenen Anspruch auf den Thron hätte. Ich werde die Entscheidung meines Königs nicht in Frage stellen, sein Wort bindet auch mich.“ William lauschte aufmerksam, als versuche er, die Wahrheit aus der Betonung der Worte herauslesen. Dann verschränkte er die Arme. „Das heißt, Ihr erkennt an, dass ich einen rechtmäßigen Anspruch auf England habe, wenn die Zeit kommt, einen Nachfolger für meinen Cousin Edward zu finden?“

„Das erkenne ich an, Mylord. Ihr habt meine Unterstützung. Und der König hat mich gebeten, gemeinsam mit Euch Schritte zu erwägen, die das Band zwischen England und der Normandie noch fester knüpfen.“ William schaute zufrieden, leerte den Becher und stand auf. „Haltet mich nicht für unhöflich, aber ich bin im Begriff aufzubrechen, um eine unselige Streitigkeit mit einem meiner Nachbarn auszutragen. Morgen bei Tagesanbruch müssen wir ausrücken, wenn wir ihn erreichen wollen, ehe er seine Stellung ausbaut. Wenn Ihr mich mit Euren Männern auf diesem Feldzug begleiten würdet, wäre uns der Sieg schon gewiss.“ William legte Harold leicht die Hand auf den Arm. Der Earl nickte anerkennend.

Das war ein diplomatischer Besuch, der von großer Tragweite war. Es ging um nicht weniger als die Frage, wer später dem kinderlosen Edward auf den englischen Thron folgen sollte. Harold war der Schwager des Königs und der mächtigste Fürst auf der Insel. Die Angelsachsen favorisierten Harold: Er war einer der ihren und sie trauten ihm zu, den Anspruch des Dänen Harald – sprich: eine erneute Invasion der Dänen auf der Insel – politisch bzw. militärisch abzuwehren. Es war also damit zu rechnen, dass Harold sich nach Edwards Tod die Krone sichern würde.

König Edward dagegen wollte William, den ausländischen Herzog der Normandie, als seinen Nachfolger. Der war sein Cousin und hatte ihm in früheren Jahren des Exils Schutz in der Normandie geboten. So war Edward der Bekenner im Jahre 1064 auf die Idee gekommen, Harold zu dem Besuch in Rouen zu verpflichten, wo er William seine Unterstützung für die Thronfolge zu schwören hatte. Einem Mann, der zwar ein Herzog war, seiner Herkunft nach jedoch ein unehelicher Bastard. Welchen Weg hatte dieser William bis hierhin hinter sich gebracht?

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 28. Oktober 2016 19:25

Der Herzog in seinem Herzogtum – Williams Herkunft

William der Eroberer wurde im Jahre 1027 oder 1028 in Falaise geboren. Er war der uneheliche Sohn von Robert I. (dem sechsten Herzog der Normandie) und Hervele, einem Mädchen aus jener Stadt (im folgenden Bild oben). Seine Herkunft war also bemerkenswert. Über seine Mutter wissen wir wenig, ihr Vater hieß wohl Fulbert und war ein Gerber. Williams Mutter wurde kurz nach seiner Geburt mit Herluin, Vicomte von Conteville, vermählt, dem sie zwei bedeutende Söhne gebar: nämlich Odo (Mitte), den berühmten Bischof von Bayeux und späteren Grafen von Kent, und Robert (rechts), den Grafen von Mortain, später einer der größten Landbesitzer im England des 11. Jahrhunderts. Die gesamte weitere Geschichte Westeuropas wurde also von den Nachkommen dieser unbekannten Frau beeinflusst, die vermutlich um 1050 starb.

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Zwar war Williams Mutter einfacher Herkunft, sein Vater jedoch gehörte einer der interessantesten Familien Europas an. Er stammte in direkter Linie von Rolf dem Wiking ab, der nach einer Laufbahn als Plünderer etwa 911 von Kaiser Karl III. (genannt Carolus Simplex, Karl der Einfältige) als rechtmäßiger Herrscher über Neustrien anerkannt wurde. Rolf (auch bekannt als Rollo) war wohl norwegischer Abstammung und ein Sohn des Grafen von Möre. Vor seiner endgültigen Niederlassung in Gallien war er lange Zeit ein Wikinger gewesen, der seine Raubzüge nicht nur auf Frankreich, sondern wohl auch auf Schottland und Irland ausgedehnt hatte. Im Jahre 911 war er (durch das Loire-Tal?) wieder nach Frankreich gekommen und wurde vor den Mauern von Chartres besiegt. Der Kaiser verlieh ihm und seinen Gefolgsleuten Land im Tal der unteren Seine. Im Gegenzug ließ sich Rolf vom Erzbischof von Rouen taufen. In den Jahren bis 925 erweiterte Rolf seinen Landbesitz.

Seine Macht ging direkt auf seinen Sohn Wilhelm „Langschwert“ über, der 942 starb, gelangte dann an seinen Enkel Richard I. (943-966), darauf an seinen Urenkel Richard II. (dem Großvater des Eroberers), der drei Jahre vor der Geburt Williams starb. Zwischen der Gründung der gallischen Provinz durch Rolf dem Wikinger und der Geburt seines berühmtesten Nachkommen lag kaum mehr als ein Jahrhundert.

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Als Williams Großvater - Herzog Richard II. - am 23. August 1026 starb, hinterließ er drei Töchter und drei Söhne, von denen Richard der älteste und Robert (der Vater des Eroberers) der zweite waren. Der ältere wurde als Richard III. der Nachfolger im Herzogtum, während Robert wohl Graf von Hiemois wurde. Die beiden Brüder stritten sich über das Erbe, und als Richard III. Anfang August 1027 – nur ein Jahr nach seinem Vater – starb, machten Gerüchte die Runde, er sei durch ein Komplott seines Bruders Robert ums Leben gekommen. Das war nicht bewiesen, sicher war jedoch, dass Robert von dieser Entwicklung großen Gewinn davontrug. Zwar hatte Richard III. einen ehelichen Sohn namens Nicholas hinterlassen, doch wurde dieses Kind sofort dem Kloster übergeben.

Robert wurde jetzt der sechste Herzog der Normandie. Seine Herrschaft währte neun Jahre und blieb überschattet von Gewalttätigkeiten, der regionale Adel und die Kirche wollten ihren Nutzen aus dem Zwist ziehen. Als Robert den Erbischof von Rouen aus dem Land jagte, belegte dieser ihn mit dem Kirchenbann. Auch gegen die Bretagne musste sich Robert zur Wehr setzen, hier hoffte Alan III. aufgrund verwandtschaftlicher Nähe darauf, die Normandie selber beanspruchen zu können.

Erst 1030 konnte der Erzbischof nach Rouen zurückkehren und Robert söhnte sich mit ihm aus. Auf Betreiben eben jenes Bischofs kam dann auch ein Waffenstillstand mit Alan von der Bretagne zustande. Es folgten vier Jahre, in denen Robert I. seine herzogliche Stellung in der Normandie festigen konnte. Lediglich gegen Hugo, den damaligen Bischof von Bayeux, musste er einmal zu den Waffen greifen. Die Herrscher der anderen Länder waren darauf bedacht, seine Unterstützung zu erhalten oder vermieden zumindest seine Feindschaft.

Unter diesen Umständen fasste Herzog Robert I. gegen Ende 1034 den erstaunlichen Entschluss, auf Pilgerfahrt nach Jerusalem zu ziehen. Er berief eine Versammlung der normannischen Feudalherren ein. Die waren gegen seine Pilgerreise und kritisierten, dass es während der Abwesenheit des Herzogs keinen geeigneten Regenten geben würde. Zudem hatte Robert keinen Erben für den Fall der Fälle. Roberts Entschluss zur Reise stand jedoch fest, er verwies auf seinen unehelichen Sohn mit der Gerberstochter Hervele und brachte die versammelten Herren dazu, ihn als seinen Nachfolger anzuerkennen. Kurz darauf verließ Robert die Normandie, er kehrte nie zurück. Anfang Juli 1035 starb er im byzantinischen Nicäa, mehr weiß man nicht. Die normannische Herrschaft Williams hatte begonnen.

Weniger glückverheißende Umstände sind wohl kaum denkbar. Abgesehen von der Tatsache, dass der neue Herzog ein ungefähr siebenjähriges Kind war, musste seine uneheliche Abstammung unvermeidlich zu einer Bedrohung seiner Nachfolge führen. Dass er das Jahr 1035 überleben konnte, war in erster Linie jenen Männern zuzuschreiben, die schon zuvor seinem Vater loyal gedient hatten: Der alternde Erzbischof von Rouen, Graf Alan von der Bretagne und der mächtige Haushofmeister Osbern. Die Lage des jungen Herzogs William war trotz der Unterstützung des Erzbischofs und der Anerkennung durch den französischen König Heinrich ungewiss. Williams Glück war, dass sein Cousin Nicholas keine Neigung hatte, ihm den Titel streitig zu machen. Er blieb seinem Kloster treu und wurde 1042 dessen Abt. Weitere Cousins strengten Revolten an, waren dabei aber nicht entschlossen genug.

Die Umstände während Williams Minderjährigkeit blieben schrecklich genug. Die Feudalfamilien verstrickten sich untereinander immer auswegloser in mörderische Fehden, das einfache Volk litt darunter sehr. Im Jahre 1042 wurde die Rechtsunsicherheit so schlimm, dass in der Normandie energische Maßnahmen zur Durchsetzung eines Gottesfriedens ergriffen wurden. Diese Einrichtung war ein ziemlich neues Rechtsinstrument: Man versuchte, mit bischöflicher Genehmigung persönliche Kriege zu gewissen Wochentagen oder Zeitspannen des christlichen Jahres zu verbieten.

Einige Jahre später sah sich William im Herbst 1046 der nächsten ernsten Krise gegenüber. Ein breiter Aufstand mit dem Ziel seiner Absetzung brach aus, geführt von zwei wichtigen Vicomtes. Die stärkste Triebfeder dieser Revolte war Guy von Burgund, der im Jahre 1035 einer der möglichen Erben des Herzogtums gewesen war. Es begann mit dem Versuch, den Herzog während seines Aufenthalts in Valogne, dem Kern des feindlichen Gebiets, gefangen zu nehmen und zu ermorden. Da William jedoch vor dieser Gefahr gewarnt worden war, gelang es ihm, nachts in aller Eile zu fliehen und die weite Flussmündung der Vire bei Ebbe und Dunkelheit zu durchreiten. William eilte zu seinem König Heinrich I. und flehte diesen auf Knien um Beistand an. Als sein Lehnsherr konnte Heinrich den Aufstand gegen seinen Vasallen William gewissermaßen gegen sich selber gerichtet betrachten. Und tatsächlich marschierte der König Anfang 1047 an der Spitze eines Heeres in die Normandie. Eine große Schlacht fiel zugunsten des Königs und seines jungen Herzogs aus.

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Im Oktober 1047 versammelte sich in außerhalb von Caen ein Konzil in der Nähe des Schlachtfeldes, dem außer dem Herzog die meisten hohen Prälaten der Normandie beiwohnten, vor allem Erzbischof Mauger und Abt Nicholas – beide Angehörige des herzoglichen Hauses. Feierlich wurde der Gottesfrieden erneuert. Persönliche Kriege waren von Mittwochabend bis Montagmorgen und zur Advents- und Fastenzeit, sowie zu Ostern und zu Pfingsten verboten. Bei Zuwiderhandeln drohte die Exkommunikation. Ausgenommen davon waren: Der König und der Herzog, sie durften auch während der verbotenen Zeitabschnitte Krieg führen und Streitkräfte halten. Die Periode der Minderjährigkeit des Herzogs war vorüber, sein Kampf ums Überleben jedoch nicht.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 1. November 2016 09:48

m Jahre 1052 drehte sich der Wind nämlich. In einem Streit zwischen Herzog William und dem Grafen Geoffrey von Anjou um die Grafschaft Maine ergriff König Heinrich I. Partei für Geoffrey. Maine gehörte zwar faktisch zum normannischen Herzogtum, war de jure jedoch kein Teil der Normandie, wie das folgende Bild belegt.

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Die Bildung dieser feindlichen Koalition hatte schwere Auswirkungen auf den Zusammenhalt in der Normandie. Mitten in einer Belagerung ließ Williams Onkel, Graf Wilhelm von Arques, das herzogliche Heer im Stich und kehrte in seine Heimat zurück. Offenbar erhoffte er sich dort eine unabhängige Stellung innerhalb der Normandie, wenn er schon nicht Herzog sein konnte. Bald scharten sich weitere unzufriedene Herren hinter ihm. Sollten diese Opposition und das Bündnis zwischen König Heinrich und Graf Geoffrey sich vereinigen, wäre Williams Position als Herzog mehr als gefährdet gewesen.

William belagerte Arques und nahm die Burg ein. Das war wichtig, aber nicht die Entscheidung. Schon traf Graf Geoffrey von Anjou seine Vorbereitungen, rebellierten zahlreiche Feudalherren in der Normandie. Der französische König fiel mit seinem Heer in Evreux ein und plünderte die Grafschaft. In diesem Heer befand sich Guy, der Graf von Ponthieu, der den Tod seines Bruders bei der Belagerung der Burg von Arques rächen wollte. In einer Schlacht gegen das königliche Heer siegten Williams Männer, vertrieben die Feinde und nahmen Guy de Ponthieu gefangen. Nach der Niederlage des Königs zog sich auch der Graf von Anjou zurück. Somit verlor der in der Verbannung lebende Graf Wilhelm von Arques jede Hoffnung auf eine Rückkehr. William hatte erneut gesiegt.

Drei Jahre später entstand 1057 die Koalition zwischen dem Grafen von Anjou und dem französischen König erneut. Wieder griffen sie gemeinsam die Normandie an und wollten sie umfangreich verwüsten. William zögerte erst, bewies dann aber Gespür für den richtigen Zeitpunkt seines Gegenangriffs. Die von Plünderungen übersättigten Angreifer erreichten den Fluss Dives bei der Furt von Varaville und begannen sie zu überqueren. Als ein Teil des Heeres das andere Ufer erreicht hatte, machte die steigende Flut das Nachkommen des Restes unmöglich. Darauf griff William die Zurückgebliebenen erbarmungslos an und richtete ein Blutbad unter ihnen an. Die Verluste der Franzosen war so schwer, dass dem König nur ein eiliger Rückzug blieb. Nie wieder sollte er an der Spitze einer feindlichen Armee in die Normandie einfallen.

Gegen Geoffrey brachte William nun einen neuen Verbündeten in Stellung. Denn als Geoffrey Maine besetzt hatte, vertrieb er den Grafen Hugo IV. und dessen Sohn Herbert. Nachdem Hugo gestorben war, wandte sich Herbert vertrauensvoll an Herzog William. Der versprach seine Tochter mit Herbert zu verheiraten, Herbert verpflichtete seine Schwester Margarete, Williams Sohn Robert zu heiraten. Dazu kamen sie überein, dass im Falle einer Kinderlosigkeit die Grafschaft Maine nach dem Tode Herberts dem Herzog der Normandie zufallen würde. Herbert sollte für William im Westen den Krieg um Maine fortsetzen.

William wandte sich der Auseinandersetzung mit König Heinrich I. zu. Es ging um den Vexin, jenes Gebiet des Königs nördlich von Paris (siehe vorheriges Bild, zwischen dem Heer und Paris gelegen), auf das der Herzog Anspruch erheben konnte. Beide Kriege, jener um Maine und jener um Vexin, zogen sich ohne eine Entscheidung bis 1060 hin, dann veränderte das Schicksal die Lage zugunsten von William. Am 4. August 1060 starb König Heinrich I. und hinterließ Frankreich der Obhut seines Sohnes Philipp, der unter der Vormundschaft von Williams Schwiegervater Baldwin V. von Flandern gestellt wurde (William hatte etwa 1051 Baldwins Tochter Matilda trotz eines vorläufigen Verbots des Papstes geheiratet).

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Und am 14. November 1060 starb Geoffrey von Anjou, sein Tod befreite William von seinem größten Rivalen im Westen und stürzte Anjou und Maine in einen Bürgerkrieg, der dem normannischen Herzog zum Vorteil gereichen konnte.

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William hatte eine gefährliche Zeit hinter sich gebracht. Er hatte sich aus der Abhängigkeit des französischen Königs befreit, einem gemeinsamen Angriff aus Paris und Anjou standgehalten und seine Gegner überlebt. Er war nun knapp über dreißig Jahre alt und verfügte über einiges Prestige. William vergaß nicht, wer ihm in diesen schwierigen Zeiten die Treue gehalten hatte. Überhaupt stützte er sich zeitlebens, auch als König von England, auf diese Gefährten aus alten Zeiten. Seine Vertrauten waren unter anderen:

Das Haus Tosny in der Mittelnormandie, dessen Oberhaupt Ralph III. im Jahre 1054 an Williams Seite an dem Feldzug gegen den französischen König teilgenommen hatte. Der Sohn von Ralph hieß ebenfalls Ralph (Ralph IV. von Tosny).

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Zwanzig Meilen westlich von Tosny herrschte das Haus Beaumont unter dem Vicomte Roger, das mit den Tosny im Streit lag. Seine beiden Söhne hießen Robert und Heinrich, sie wurden später große Landbesitzer in Leicester und Warwick.

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Die Familie von Vernon besaß Güter nördlich von Rouen, ihr Oberhaupt war Wilhelm von Vernon.

Das Ansehen der Familie von Montfort begründete Hugo II. von Montfort, er war einer der Heerführer der Normandie. Für William sollte er später eine so wichtige Rolle spielen, dass ihm in der Abwesenheit Williams die Regierung Englands mit anvertraut wurde.

Ein wichtiger Berater Williams war Wilhelm FitzOsbern, dessen Vater Osbern de Crépon (Fitz = Sohn) im Jahre 1040 als Wächter des damals noch jungen Herzogs einen Anschlag auf diesen vereitelte und dabei zu Tode kam. Vater Osbern hatte Emma, eine Cousine Williams, geheiratet, und durch sie einen großen Besitz in der Normandie geerbt. Der Sohn Wilhelm FitzOsbern wurde wahrscheinlich in Rouen aufgezogen und trat wie sein Vater das Amt des Kämmerers der Normandie an.

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Roger II. von Montgomery war ein normannischer Edelmann, sowie ein Verwandter und Gefolgsmann von William. Die Ländereien von Roger lagen im Süden des Herzogtums:

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Hugo von Avranches war der Sohn von Richard Goz, Vicomte (Vizegraf) von Avranches im äußersten Südwesten der Normandie. Er erbte von seinem Vater einen erheblichen Grundbesitz nicht nur bei Avranches, sondern im gesamten Westen des Landes.

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Das Haus von Ivry übte in der Region Bayeux seine Macht aus. Ihr Name leitete sich von der Burg Ivry-la-Bataille ab. Ihr Oberhaupt Raoul war ein Halbbruder von Williams Urgroßvater Richard I. und sicherte nach dessen Tod als Regent die gesicherte Nachfolge für Richard II. von der Normandie. Raoul hatte fünf Kinder, darunter Hugues (Bischof von Bayeux von 1011 bis 1049) und Emma, jene erwähnte Gemahlin des Kämmerers Osbern de Crépon.

Wilhelm von Warenne war ein Großneffe des Herzogs Richard I. und war einer derjenigen, die dem jungen William das Herzogtum sicherten. Erwähnenswert sind vor allem die Kämpfe zwischen 1052 und 1054, die in der Schlacht von Mortemer gipfelten. Infolge des Verlusts der Schlacht verlor Roger de Mortemer große Teile seines Landes, die William de Warenne vom Herzog Wilhelm erhielt. Der Familienname de Warenne leitet sich von einer gleichnamigen Burg am Fluss Varenne ab, der durch das Gebiet fließt, welches Wilhelm in der Normandie erhielt.

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Odo von Bayeux (* nach 1030) wurde als jüngerer Sohn von Herluin von Conteville und der Herleva, der Mutter Williams geboren. Durch diesen Halbbruder erhielt er den Bischofsstuhl von Bayeux, den er bis zu seinem Tod behielt. Im Spiel wird er nicht in dieser Funktion, sondern als Graf von Kent erscheinen – diese Ländereien erhielt er von William nach der Eroberung Englands.

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Ebenso wie bei Odo verhielt es sich bei Robert von Mortain (* 1031): Wegen ihrer gemeinsamen Mutter war er ein Halbbruder des Herzogs William. Seine Grafschaft Mortain liegt im Nordwesten der Normandie. Im Jahre 1058 heiratete Robert Mathilde, die Tochter des oben erwähnten Roger II. von Montgomery.

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Ein weitere mächtiger Fürst der Normandie war Graf Richard von Evreux (* vor 1011) war der Sohn von Robert dem Dänen, Erzbischof von Rouen und Graf von Evreux. Richard tritt 1026 erstmals auf, als sein Vater ihm das Gut Douvrend gibt, das er unberechtigt dem Erzbistum Rouen entzogen hatte. Im Jahre 1037 folgte Richard seinem Vater dann als Graf von Evreux. In den Auseinandersetzungen nach dem Tod von Williams Vater ließ Richards Bruder 1040 den Vormund von William ermorden – und übernahm dessen Stelle. Die beiden Brüder profitierten von ihrer beherrschenden Position im Herzogtum, um sich selbst zu bereichern, die Familie Tosny zu vernichten und den Besitz ihrer besiegten Gegner unter sich aufzuteilen. Richard heiratete schließlich (nach 1040) die Witwe Rogers I. de Tosny. Als William die Herrschaft in der Normandie übernahm, gelang es Richard, der in den Machtkämpfen wohl die moderatere Rolle gespielt hatte, die Gunst des Herzogs zu behalten.

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Dies waren die Leute, die unter Herzog William in den Jahren nach 1060 maßgeblichen Anteil an der positiven Entwicklung der Normandie hatten. William war nominell ein Vasall des französischen Königs, doch selbst dieser musste einen derart mächtig gewordenen Herzog fürchten. Einflussreich war William überdies: Im Osten war seine Grenze nach Flandern durch die Heirat mit der Tochter des dortigen Herzogs abgesichert. Williams Arm reichte aber auch bis nach England hinüber.