2.Kapitel: Abschied aus dem Hargtal
Reodreth"Beogas war aufgestanden, ehe noch der Hahn gekräht hatte. Auch ich war schon wach, stellte mich jedoch noch schlafend. Beim Gedanken an den Vortrag, den der alte Lorfas halten würde, verfinsterte sich meine Miene. "
Wenigstens wird der anschließende Umtrunk Spaß machen" dachte ich, und bei dem Gedanken und die Feier zu Beogas sechzehnten Geburtstages musste ich schon fasst wieder lachen. Mit der linken Hand kramte ich unter meiner Strohmatratze nach meinem Schnitzmesser und der Figur, an der ich die letzten Tage arbeitete. Gedankenverloren betrachtete ich den kunstvoll verzierten Griff des Messers. Vater hatte es mir geschenkt. Ich schaute durch die Dachluke auf den kleinen Friedhof am Rande des Dorfes, wo sein Grab lag. Die Pocken hatten ihn vor 2 Jahren aus dem Leben gerissen - nicht ungewöhnlich für einen Mann seines Alters.
Gerade setzte ich an mein Messer an um die Ohren der Pferdefigur aus dem Holz zu schneiden, als von unten die Stimme meiner Schwester Aiowyn erschall: "Reodreth! Aufstehen! Mama sagt du sollst früh raus und, dass wir dich noch ein wenig "zurecht stutzen" müssen." "
Komme gleich," rief ich herunter und versuchte meiner Stimme einen verschlafen Klang zu geben. Dann legte ich meine Schnitzarbeit bei Seite und stieg die Leiter zum Hauptraum herunter.
Was "zurecht stutzen" bedeutete, wurde mir auch schnell klar: Still sitzen und sich nicht bewegen während Aiowyn und meine Mutter um mich herumwuselten, meinen Bartflaum rasierten, mir die Nägel schnitten und mir Holzröhrchen mit darin eingeritzten Runen in die Haare flochten. "
Muss das sein?" knurrte ich nach einem besonders fest gezurrten Haarknoten. "Es ist halt Tradition" meinte Aiowyn vergnügt. "
Ich bin mir sicher bei Beogas hat das damals nicht solange gedauert. Wo steckt er eigentlich?" "Er holt Onkel Bram aus Hochdorn ab, und jetzt halt endlich still", gab Mama zur Antwort.
Die Zeremonie selbst war nicht so zäh wie ich befürchtet hatte. Es waren auch Verwandte aus dem Nachbarort Hochborn gekommen. Der alte Lorfas fasste sich diesmal einigermaßen kurz mit seiner Rede. Danach gab Onkel Bram, als Vertretung für meinen Vater, mir Schild und Frame. Die anderen Männer des Dorfes, die wie es Tradition war bewaffnet gekommen waren, applaudierten mir indem sie ihre Speere gegen ihre Schilde schlugen. So hatten es schon die Éothéod vor 1000 Jahren getan. Dann jedoch kam der Höhepunkt des Tages. Ich bekam mein erstes eigenes Pferd. Mutter führte es von den Weiden herbei. Es war rostbraun, recht schlank und hatte eine schmale weiße Blässe. Ich nannte es auf Rohirrisch
Brunmanu - Baunmähne. Und ich werde noch viel von ihm zu erzählen haben.
Nach ein paar weiteren alten Riten stellte ich Schild und Speer ins Haus und führte Brunmanu in seinen Stall. Dann begab ich mich in die Schänke, wo der wirklich vergnügliche Teil des Abends begann. Wir machten Würfelspiele, tranken, sangen Lieder, tranken, hörten uns die Geschichten der Alten an, tranken, tanzten und tranken. Da die Feier bereits bereits am frühen Nachmittag begonnen hatte war Stimmung schon sehr ausgelassen, als kurz nach Sonnenuntergang plötzlich die Tür zur Schänke aufflog und zwei Männer eintraten. Sie trugen Schuppenpanzer, schwere Stiefel und Helme an denen lange weiße Schweifhaare befestigt waren. Beide waren mit Schwertern gegürtet und einer hielt eine Rolle in Händen. In der Kneipe wurde es ruhig. Der dicke Metethiht, dem es gar nicht behagte, sein Fidelspiel unterbrechen zu müssen, beäugte die beiden Fremden misstrauisch. Der eine entrollte nun die Botschaf die er in der Hand hatte und begann vorzulesen: "Auf Anordnung König Thengels von Rohan: Die Stadt Tirith Anduin im Wold wurde von gesetzlosen Banditen besetzt. Der König hat sich entschieden, eine Armee auszusenden, um die Stadt zurück erobern.. Obwohl wir mit Hilfe aus der Bevölkerung im Wold rechnen, sei hiermit jeder waffenfähige Mann aufgefordert sich Rohans Armee anzuschließen. Jeder Freiwill< " "Sind dem alten Thengel seine Schäfchen davon gelaufen" rief ein Mann an der Bar. Gelächter brandete auf. "Ich werde ihm bestimmt nicht beim Versuch sterben sie wieder einzufangen." Ich verstand die Leute nicht. Seit Jahrzehnten war niemand aus dem Dorf mehr in den Krieg gezogen. Ob es Angst war oder Unmut gegen den König, wusste ich nicht. Jedenfalls war Thengel in unserem Dorf in Ungnade gefallen seitdem er den Dorfbewohner vor Jahren einmal Strafsteuern wegen "Kriegsscheue" auferlegt hatte. Dementsprechend unbeliebt waren auch die Anwerber, die er losschickte wenn er Männer brauchte. "Also wirklich! Banditen aus dem Wilderland sind über den Anduin gekommen und haben Tirith Anduin in der Nacht überfallen und seine Einwo<" "Jaja, spar dir den Atem", fiel ihm der selbe Mann wie vorhin ins Wort.
Der Wold... das war meine Chance endlich weg von hier zu kommen. Aber hier, unter den Augen meiner Familie, die mich um jeden Preis im Dorf behalten wollt, hatte ich keine Chance mich zu melden. "Ihr weigert euch also alle miteinander, für eure Brüder aus dem Wold zu kämpfen? Den Wold wieder Heim nach Rohan zu holen?" "Wenn du uns so fragst: Jaaa!" rief ein anderer mir bräsiger Stimme und lachte. "
Das ist also aus den Framen tragenden Heroen von heute Mittag geworden.", dachte ich leicht säuerlich. Der Mann mit der Schriftrolle wurde nun wütend. Er legte die Hand an den Schwertknauf und schimpfte "Feiges Pack! Wollt ihr denn das einzige Dorf im ganzen Hargtal sein, das keine Soldaten sendet? Wir werden schon noch sehen ob ihr für den König kämpfen werdet ." Mit diesen Worten wollte er sein Schwert ziehen, doch sein Kamerad hielt ihn zurück. "Lass das Bregolt!" murmelte er ernst "Was soll denn das bringen? Die Leute sind betrunken und werden durch ein Schwert, das man auf sie richtet sicher nicht von Königstreue ergriffen." "Nun gut" brummte Bregolt und ließ den Schwertknauf los. "Falls doch noch jemand den Mut hat sich uns anzuschließen: Unser Lager ist etwa eineinhalb Meilen südlich von hier. Über Speer und Schild muss jeder selbst verfügen. Wer mit Pferd in die Schlacht ziehen will über auch das. Der Rest wird gestellt. Wir brechen morgen, kurz nach Sonnenaufgang auf." Mit diesen Worten verließen die beiden die Schänke.
Mein Herz pochte wild. Nun war meine Gelegenheit da. Den Rest des Abends trank ich nichts mehr und warte ungeduldig das Ende der Feier ab. Als sich endlich alle auf den Heimweg gemacht hatten gingen auch wir nach Hause. Ich saß nervös auf meiner Strohmaratze und wartete, bis ich hörte, dass Aiowyn und Mama eingeschlafen waren. Auf Beogas brauchte ich nicht zu warten - er war mit Freyhild
spazieren. Als ich mir sicher war, dass die beiden schliefen nahm ich mir Schild und Frame und schlich mich leise aus dem Haus in den Stall. Vorsichtig band ich
Brunmanu los. "
Hoh, ruhig Kleiner." beruhigte ich ihn. Dann ging ich, ihn hinter mir herziehend, Richtung Süden. Das Lager war schon aus einiger Entfernung gut zu erkennen. Ein kleine Ansammlung weißlich-beiger Zelte. Der Mann, dessen Name Bregolt war, saß am Feuer als ich ankam und wärmte sich die Hände. "Hey bist du nicht aus diesem Dorf" fragte er mich und nickte abfällig in die Richtung aus der ich gekommen war. "
Ja" antwortete ich knapp. "Und was willst du hier?" fuhr er mich barsch an. "
Ich will mich dem Heer anschließen. Das sieht man doch!" entgegnete ich winkte mit der Frame in meiner Linken. "Tatsächlich? Nun wie heißt du denn?" "
Reodreth." "Und du würdest uns gerne auf unserem Feldzug begleiten, ja?" "
Darum bin ich gekommen." "Nun gut dann trag´deinen Namen hier ein". Er reichte mir einen Federkiel und Blatt mit einer Liste darauf. "Wie alle Freiwilligen bekommst du anständige Rationen und einen gerechten Sold. Klingt doch gut oder?" Ich nickte nur, ich wusste nicht genau, was ich sagen sollte. "Na jetzt unterschreib doch schon!" forderte Bregolt mich auf. Ich sah ihn etwas verlegen an. "Ach versteh´ schon", lachte er. "Dann mach hier ein Kreuz", sagte er und zeigte an eine Stelle auf dem Papier. "So, da wir das geklärt haben, kannst du gleich zu Umert dich einkleiden lassen. Er wird dir ein leichtes Lederwams, Handschuhe und Stiefel geben. Freu dich! Du bist jetzt offiziell ein Späher Rohans."
Umert war ein netter rundlicher Kerl der für die Ausrüstung in der Truppe verantwortlich war. Während er mir erzählt, dass es im Hargtal leider keine Möglichkeit gibt "richtige" Reiter Rohans zu rekrutieren, da es den Leuten an Waffen, Rüstungen und Zeit zum Kampftraining mangelte, suchte er mir Kleidung in passender Größer raus und bot mir meine Sachen fürs Erste in einer Truhe einzuschließen. Ich gab ihm meine normale Kleidung aber auch das Messer und das unfertige Holzpferd, das ich noch immer in der Tasche gehabt hatte.
Als gerade am Horizont die Sonne aufging und ich vor dem Zelt stand um mich meinen neuen Kameraden vorzustellen, hörte ich plötzlich Hufgetrappel hinter mir. Ich drehte mich um und sah Beogas auf Araugh im gestreckten Galopp auf mich zukommen. "Ich wusste, dass ich dich hier finde!" rief er und seine Miene war grimmig. "
Beogas ich<" Du kommst sofort mit nach Hause! " "
Aber<" "Kein aber!" brüllte er "sofort!" "
Nein!" sagte ich ruhig, jedoch laut und entschlossen. Einen Moment sah er komplett entgeistert aus. "Was sagst du?..Du bleibst?" fragte er ungläubig. "
Ja!" antwortete ich und war stolz, dass meine Stimme nicht zitterte. "Aber was ist mit Mama? Denk doch mal an sie!" "
Das tue ich, und zwar jeden Tag. Doch irgendwann kommt der Tag an dem man einfach gehen muss." "Du machst es tatsächlich wahr!?! "Ja", wiederholte ich. Eine Zeit lang wirkte Beogas zerknirscht, doch dann brachte er fast so was wie ein stolzes Lächeln zu Stande. Schließlich sprach er: "Nun gut du bist sechzehn; ich kann dich nicht abhalten von deiner Fahrt!" Dann sprang er unerwartet vom Pferd und schloss mich in die Arme. "Aber pass gut auf dich auf!" sagte er "
Werd ich tuen" versprach ich "
Du kennst mich Ja." "Ja eben deshalb" lachte er. Dann wurde seine Miene wieder ernst. "Ich weiß nur noch nicht wie ich es Mama beibringen soll. Aber mit der Zeit wird sie es verstehen." "
Da bin ich mir sicher" machte ich ihm Mut. "Alle die Zelte abbauen! Wir reiten in einer Stunde los!" Erscholl eine Stimme hinter mir. "Na denn..." Beogas schien einen Klos im Hals zu haben "Mir bleibt wohl nur noch, dir viel Glück zu wünschen und möge keine dunkle Kreatur auf deinem Weg lauern" Ich konnte nur noch nicken, meine Stimmer war zu belegt um zu antworten. Ich hätte nicht gedacht, dass mir der Abschied so schwer fallen würde. Dann kletterte Beogas wieder auf Araugh und ritt zurück zum Dorf ohne sich noch einmal umzudrehen."