01. Januar 1936Zur Lage der NationHeute ist ein ganz besonderer Tag. Beim Kaiser ist nämlich eine Sitzung angesagt. Eine Sitzung im kleinen Kreis. Ich bin früh dran. Zeit genug, aus dem Wagen auszusteigen und die Parkanlagen von Sanssouci bis zum Neuen Palais zu Fuß zu durchqueren. Das gibt mir eine kurze Verschnaufpause und die herrliche Winterluft macht den Kopf frei. Als ich in das Arbeitszimmer des Kaisers geleitet werde, bin ich einer der ersten. Nur der Geheimdienstminister von Schubert war schneller als ich. Wahrscheinlich merkt er sich, in welcher Reihenfolge wir kommen und schreibt sich das dann später in seinem Büro in eine Aktennotiz. Als nächstes kommt der Sicherheitsminister, Rudolf Diels. Pünktlich auf die Minute kommt auch die versammelte Generalität. Wie war noch der Spruch aus der Grundausbildung? 5 Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit? Für den Stabschef und die einzelnen Chefs von Heer, Luftwaffe und Marine trifft das jedenfalls zu. Ich wette, die Brüder haben sich vorher abgesprochen um Eindruck beim Kaiser zu schinden. Der Außenminister von Neurath schafft es auch noch pünktlich. Nur der Rüstungsminister läßt sich Zeit. Bestimmt ist Schacht schon im Büro und kümmert sich um irgendwelchen bürokratischen Kram. Doch selbst er schafft es noch pünktlich. Zuletzt erscheint der Kaiser in seiner großen Generalsuniform. Ich lehne mich entspannt im Sessel zurück. Mal sehen was der Tag so bringt.
Neues Palais
"Meine Herren, ich hoffe sie alle wissen, warum wir heute hier zusammen gekommen sind." Mit diesen Worten eröffnet der Kaiser die Sitzung. Ein heimlicher Blick auf meine anderen Kollegen bekräftigt mir, daß natürlich KEINER weiß, warum er heute hier ist. Außer dem Geheimdienstminister. Der tut so, als ob er selbst wüßte, wieviel Schneeflocken gerade gegen die Scheibe geweht werden.
"Heute ist ein historischer Tag. Wir werden heute die Weichen für den Weg in die Zukunft stellen. Deshalb sind sie hier."
Oha, daher weht der Wind. Klar, der Tag mußte ja kommen. Die letzten Jahre ging es richtig gut. Die Deutschen mögen ihren Kaiser und die Reformen der letzten 12 Jahre ziehen kräftig an. Also genau der richtige Zeitpunkt, um der Welt mal zu zeigen, daß es uns noch gibt. Der Kaiser spricht seit einem knappen Jahr nur noch davon, den einstigen Glanz Deutschlands wiederherzustellen. Das ist selbst dem guten Constantin aufgefallen.
"Majestät meinen die Restauration?", fragt unser Außenminister verzagt. Am Tisch verziehen sich die Gesichter. Wir alle wissen was da kommt. Und da legt der Kaiser auch schon los.
"Richtig, Constantin. Seit dem Schandfrieden ist Deutschland das Gespött der Welt. Als Verlierer sind wir natürlich an allem Schuld. Die Grenzen dieses Deutschlands, wurden gegen den Willen des Volkes gezogen. Das Urteil stand bereits fest, bevor der Prozeß überhaupt gemacht wurde. Und dafür werden mir die Misters und Monsieurs teuer bezahlen."
"Das ist absurd!" Hjalmar, unser arbeitswütiger Rüstungsminister, springt auf. "Wir können ja noch nicht mal unsere Grenzen verteidigen, geschweige denn einen Krieg führen!" Respekt! Soviel Hintern in der Hose hätte ich ihm gar nicht zugetraut.
"Nun, die militärische Lage ist gewiß etwas schwierig, aber verteidigen können wir uns schon noch." Bayerlein, der Generalstabschef will sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen. Weiß ja auch jeder, daß er viel auf die kaiserliche Armee hält.
"Genau! Und eben deswegen trieb sich der Franzose ja auch im Ruhrgebiet herum.", hält Hjalmar dagegen. Autsch, das hat gesessen. Bayerlein läuft sofort rot an.
Zeit zum Handeln. "Ruhe!", donnere ich dazwischen. Hjalmar steht mit offenem Mund da und Bayerlein´s Gesichtsfarbe wird wieder etwas gesünder. "Wir wußten ja wohl alle, daß dieser Schritt irgendwann kommen würde. Keiner hier drinn kann behaupten, daß ihn dieses Thema klat erwischt." Ganz besonders der Geheimdienstminster kann das nicht, aber das sag ich lieber nicht.
"Nun, meine Herren, wenn wir zurück zum Thema kommen wollen?" Der Kaiser blickt uns mit finsterem Gesicht an. "Ich kann sie alle beruhigen. Ich lege es nicht darauf an, einen Krieg mit Frankreich vom Zaun zu brechen. Besonders bei den sonnigen Verhältnissen, die im Moment zwischen Paris und London herrschen." Damit gibt Hjalmar sich vorerst zufrieden. "Dennoch kann ein Krieg nicht ausgeschlossen werden. Unsere Außenpolitik braucht ein stabiles Fundament, um sich darauf zu stützen. Ich will, daß Deutschland bereit ist jeden Gegner zu bezwingen, der sich uns in den Weg stellt. Deshalb sind sie hier. Ich habe hier die fähigsten Männer im gesamten Reich, jeder ein Spezialist auf seinem Gebiet. Doch das alleine wird nicht ausreichen. Mein langjähriger Berater hier wird einen Plan ausarbeiten, wie wir in etwa 4 Jahren unsere Forderungen notfalls auch durchsetzen können. Sie alle hier werden eng mit ihm zusammenarbeiten." Oh Mann. Das ging in meine Richtung.
Langjähriger Berater. Das ist starker Tobak. Und ich soll ihm einen Plan liefern, wie wir in 4 Jahren kriegsbereit sind?
"Ich erwarte in einer Woche einen ungefähren Plan, wie die weitere Vorgehensweise ist. Noch Fragen?" Ein paar Hände zucken in die Luft. "Wunderbar. Dieser Raum steht zu ihrer Verfügung. Wenn sie mich bitte entschuldigen würden?"
Die Minister und die Herren Militärs starren mich in einer Mischung aus Erstaunen und Ugläubigkeit an. Bis auf den von Schubert. Der tut natürlich wieder einmal so, als ob er das alles schon wieder vorher gewußt und nur vergessen hat, es uns mitzuteilen.
"Meine Herren, sie haben seine Majestät gehört. Constantin! Wie sieht die Außenpolitik aus?" Irgendwie muß ich die Initiative gewinnen. Tu einfach so, als wäre es das normalste auf der Welt.
"Ähm, ja ..." Constantin braucht eine Sekunde bevor er sich wieder fängt. "Im Moment stehen wir ohne Verbündete da. Leider. Aber die Gesamtlage sieht eigentlich sehr rosig aus. Die meisten der europäischen Nationen stehen uns aufgeschlossen gegenüber. Sogar die Briten. Nur die Franzosen können uns einfach nicht ausstehen. Polen und die Tchechoslowakei können uns auch nicht leiden ..."
"Das wundert mich gar nicht.", platzt Hjalmar dazwischen. Mein Gott, was ist denn nur los mit dem? Hat der heute schlecht gefrühstückt?
Constantin macht weiter, als wäre nichts passiert. "... Nur, warum die Norweger uns auf der Abschußliste haben, konnte ich nicht herausfinden."
"Na, das sieht doch gar nicht mal so schlecht aus." Ich wähle mir mein nächstes Opfer aus. "Hjalmar, wie sieht es mit der Rüstung aus?"
"Es ist eine einzige Katastrophe! Alleine die ständigen Anforderungen aus dem Heeresamt verschlingen ein vielfaches der verfügbaren Wirtschaftskraft. Zum Glück laufen im Moment keine größeren Rüstungsvorhaben ..." Oha, ich muß ihn stoppen, bevor er sich heißredet.
"Wenn wir alle Reserven zusammenkratzen und die jetzige Auslastung auf das absolut nötigste konzentrieren ... wieviel Kapazität haben wir frei?" Bitte Hjalmar, ich will doch NUR diese eine Information von dir.
Er rechnet kurz und legt den Kopf dabei schief. "So um die 74 IK könnten da wohl verfügbar sein. Allerdings übersteigen alleine die Kosten für die Modernisierung ..."
"Ähm, danke Hjalmar. Für die Modernisierung haben wir noch etwas Zeit. Rudolf, wie sieht die Lage im Reich aus?", wende ich mich an Diels.
"Alles ruhig. Es gibt keinerlei Anzeichen von Bandenbildung oder anderen staatsfeindlicher Vereinigungen."
"General von Fritsch?"
"Das Heer verfügt im Moment über 38 Divisionen an Infanterie, 6 Panzerdivisionen und ein Feldhauptquartier. Allesamt ausgeruht und zu allem bereit."
"General Koller?"
"Die Luftwaffe verfügt über 12 Geschwader Abfangjäger und 8 Geschwader Taktischer Bomber. Leider handelt es sich ausnahmslos um veraltete Modelle. Ich habe in der Vergangenheit vergeblich versucht Mittel für neues Material bewilligt zu bekommen." Ein böser Blick zu Hjalmar, der diesen demonstrativ erwidert. "Dabei hat unsere Industrie durchaus überzeugende Entwürfe."
"Admiral Fulda? Wie sieht die Marine aus?"
"Der Kriegsmarine unterstehen im Moment 6 Leichte Kreuzer, 2 Schwere Kreuzer, 2 Schlachtkreuzer und 4 Zerstörerflottillen. Bei den Schlachtkreuzern und den Zerstörern handelt es sich allerdings um die veraltete Baltische Flotte. Diese Schiffe waren schon 1914 nicht mehr modern. Die anderen Einheiten sind allerdings Neubauten."
"Gut. Ich fasse dann mal kurz zusammen. Unsere freie IK beträgt 74. Wir haben keinen Ärger mit Dissidenten. Das Heer ist als einzige Teilstreitkraft halbwegs in der Lage es mit einem Gegner aufzunehmen. Über Luftwaffe und Kriegsmarine breiten wir besser den Mantel des Schweigens. Meine Herren, ich komme zu dem Schluß, daß wir zwar unsere Heimat durchaus verteidigen können. Einen offensiven Krieg können wir jedoch nicht einmal gegen eine dieser Bananenrepubliken führen. Das muß sich ändern! Wir brauchen mehr IK, mehr Truppen, mehr moderne Flugzeuge und Kampfschiffe. Ich will dem Kaiser einen Plan präsentieren, der auf soliden Grundlagen basiert. Diese Grundlagen werden wir jetzt erarbeiten. Stellen sie sich auf Überstunden ein." War das zu hart? Nein, war wohl genau richtig. Zumindest scheinen die anderen meine Androhung von Überstunden ernst zu nehmen.
"Ähm, ich müßte da noch meine Frau anrufen ...", versucht es von Neurath und sofort stimmen alle ein. "Ja, ich auch. Sonst gibt es Ärger, wenn ich nicht zum Mittagessen zuhause bin."
Alle stürmen zum Telefon. Bis auf den Geheimdienstminister. Der hat sogar belegte Brötchen in seiner Aktentasche. Als ob er das alles schon laaange vorher gewußt hätte.
Kommentare bitte im
Kommentar-Forum posten!
Hits: 106