Kapitel 2 - No Lord ByronEin paar Stunden später, saß Mister Byron in einem Rollstuhl an einem wuchtigen Mahagonischreibtisch, ihm gegenüber Doktor Bennet, der ihn durch seine Brille teils sorgenvoll wie auch fürsorglich betrachtete. Einige Unterlagen stapelten sich geordnet auf jenem Tisch, in der Ecke war ein Sofabereich und ein lederner Sessel rundete diesen Bereich ab, alles ganz majestätisch betrachtet durch den König, welcher in Öl von einer der mit hellbraunen Muster übersähten Tapete spähte.
"Mister Byron, wie fühlen Sie sich jetzt?" fragte Doktor Bennet und lehnte sich dabei in den sehr bequemen wirkenden Arbeitsstuhl zurück.
Durch das große Fenster, rücklings zum Doktor, schien die Mittagssonne grell herein.
"Danke der Nachfrage, Sir, ganz gut."
"Wenn ich Ihnen eine Frage stellen dürfte; sind Sie mit dem Dichter George Gordon Byron irgendwie verwandt?"
Ohne auch nur kurz darüber nachzudenken, antwortete Mister Byron:
"Nein, Sir."
Jetzt erhoben sich Doktor Bennets Arme aus seinem Schoße um sie auf dem Tische abzulegen.
"Das ist interessant. Woher wollen Sie das wissen?"
"Ja, ...ich, ich weiß es einfach. Bin nicht sicher warum, aber schon in der Schule haben mich alle damit aufgezogen." sprach Mister Byron, angestrengt überlegend.
"Haben Sie etwas dagegen?" fragte der Doktor als er aus einer Schublade eine Pfeife holte und diese bereits stopfte.
Mitster Byron schüttelte den Kopf, schon fragte der Doktor ihn erneut:
"Das war sicher schwer für Sie in der Schule. Kinder können wirklich gemein sein. Sagen Sie, in welche Schule sind sie gegangen?"
Während der aromatische Pfeifenrauch dem gut eingerichteten Zimmer eine duftende Note verlieh, überlegte Mister Byron abermals, diesmal einen längeren Moment in dem es zwischen Patient und behandelnden Arzt still wurde.
"Mir fällt dazu nichts ein. Keinen Namen, kein Ort, nur diesen kleinen Tommy habe ich gerade im Kopf. Ich habe einmal einen Liebesbrief in der Klasse geschrieben, heimlich. Den wollte ich einem Mädchen in der Mädchenklasse geben, aber dieser Tommy hat ihn mir weggenommen und ihn allen laut vorgelesen."
"Wie hieß das Mädchen, können Sie sich auch an den vollen Namen von Tommy erinnern?" fragte Doktor Bennet in ruhigen Ton nach.
Mister Byron verkniff die Augen, es dauerte eine Weile, dann erklärte er:
"Da ist nichts mehr, Doktor. Gar nichts..."
"Gut, ich denke das wird schon wiederkommen. Machen wir woanders weiter. Wann haben Sie beschlossen zur See zu fahren?"
"Ich glaube ich mußte, das war kein bewußter Entschluß."
"Aha, war es also ein Drang, die Lust auf fremde Küsten, die Gischt, der Salzgeruch, ja, ein Abenteuerdrang wahrscheinlich."
"Nein Sir, ich meine, ich glaube, jetzt da Sie es so erwähnen,...doch, irgendwann hat es mir viel Freude bereitet, aber den Entschluß habe ich nicht ganz freiwillig getan. Das war eine finanzielle Angelegenheit. Das habe ich im Gefühl."
Doktor Bennet paffte hin und wieder an seiner Pfeife, dann hatte sein Patient eine Frage:
"Hatte ich nicht irgendwelche Dokumtene, Notizen oder Ausweispapiere bei mir? Wer hat mich in der Hafenbehörde in Plymouth abgegeben?"
"In der Tat, Mister Byron, in der Tat. Sie trugen Ihren Ausweis bei sich und einige Daten konnten wir daraus entnehmen, der andere Teil aber ist leider unkenntlich. Wohl aufgrund dieses, äh...Unglückes, dessen Opfer Sie mit Sicherheit geworden sind."
"Wie unkenntlich denn?"
"Jaaa, ich denke hierauf möchte ich Ihnen noch keine Antwort geben, da dies im direkten Zusammenhang des Trauma- und Komaverfalls einzuordnen ist. Machen wir doch weiter, wo waren wir nochmal stehengeblieben,....ja, die finanzielle Situation die Sie zur Seefahrt bewog."
"Doktor, ich spüre doch das mir seit meinem Aufwachen gestern alle Menschen etwas verheimlichen. Irgendwie sind alle schrecklich angespannt und nervös. Eine Schwester hat mir erzählt, ich sei unverheiratet, also habe ich meine Familie nicht bei irgendeiner Katastrophe verloren, weil ich keine habe wahrscheinlich. So eine Katastrophe muß sich aber zugetragen haben, bei all der Hektik hier im Krankenhaus und den vielen Schwerverletzten. Was meinte eigentlich O'Connor, der Ire, der mit mir auf dem Zimmer liegt? Ich höre überall nur Andeutungen, vage Aussagen, während ich krampfhaft versuche mich an etwas brauchbares zu erinnern...." bei den letzten Sätzen wurde Mister Byron zusehendst ärgerlicher, wenngleich nicht weniger verzweifelter im Tonfall.
Doktor Bennet, legte die Pfeife auf ein kleines Tellerchen und lehnte sich wieder zurück in seinen gut gepolsterten Arbeitsstuhl, während er seinen Patienten eindringlich, wortlos begutachtete. Er schien sichtlich abzuwägen, nahm dann die Akte von Mister Byron vom Stapel, blätterte kurz darin herum, um sie schnell wieder auf den Tisch zu legen.
"Ja, ich verstehe. Sie werden es ja früher oder später sowieso erfahren, obwohl mir aus Mediziner und der einhergenden Sorgfaltspflicht für mir angetraute Patienten ein später in ihrem Fall lieber wäre."
"Ich bin nicht nur ein Fall, für Sie natürlich ja, aber ich will meine Identität und Erinnerung wieder haben. Vor allem will ich wissen was passiert ist, was die Leute so bedrückt." warf Mister Byron im Rollstuhl sitzend sehr athletisch ein.
Doktor Bennet fasste sich an die Stirn, rieb sie ein paar mal und wollte dabei wissen:
"Gut, in Ordnung, wenn Sie so darauf bestehen. Kennen Sie sich ein bisschen in Politik aus?"
"Nicht so richtig, denke ich. Warum, ist der König gestorben aus Gram darüber das sein Bruder eine Amerikanerin geheiratet hat?"
"Nein,..." ein wenig schmunzelte Doktor Bennet; "...der König hat zwar noch ein paar Probleme öffentlich aufzutreten, ist aber wohl auf.
Wissen Sie was in Deutschland los ist?"
"Ja, die Nazis sind an der Macht, warum?" fragte ahnungslos Mister Byron gegen.
"Sie wissen auch von den diplomatischen Schwierigkeiten unserer beiden Länder?"
"Ich hörte davon und hatte schon Angst es gäbe Krieg, Gott sei Dank hat Premierminister Chamberlain das noch vor 2 Jahren richten können."
"Dann kläre ich Sie mal auf eigenen Wunsch auf. Gleich werden Sie verstehen, weswegen wir hier aus Sorge Ihnen gegenüber uns in Zurückhaltung übten. Sie scheinen mir gefestigt und stark genug zu sein, diese Informationen bereits jetzt in diesem Stadium unserer Therapie, verkraften zu können. Also, Chamberlain hat es damals nur für kurze Zeit richten können. Ein Friede für beinahe zwei Jahre.
Zugeständnisse an die Nazis zu machen, ist beinahe das selbe wie Blut in ein Haibecken zu schütten. Die Tschechoslowakei gibt es nicht mehr, die wurde von Deutschland teilannektiert. Bis zu letzt haben wir alle an einen diplomatischen Ausweg geglaubt, Polen bat uns um ein Bündnis nach dem Tschechoslowakeivorfall und unsere Regierung willigte ein. Deutschland davon nicht abgeschreckt, stellte ein Ultimatum an Polen um die Danzigfrage und nachdem die Polen nicht bereit waren nachzugeben, griff Deutschland Polen an und überrannte es innerhalb kürzester Zeit. Für uns und Frankreich bedeutete das natürlich den Bündnisfall. Jetzt befindet sich das ganze Britische Empire im Kriegszustand mit Deutschland."
Ein Anflug von Entsetzen machte sich auf des Patienten Gesicht breit, schon fragte er nach:
"Ach du meine Güte. Frankreich wird sie mit Sicherheit aufhalten können, wie sie es im großen Krieg getan haben, nicht?"
Der Doktor runzelte die Stirn und fügte dann etwas leiserer bei:
"Die Franzosen wurden ebenso überrannt, Mister Byron. Das hat nicht wesentlich länger gedauert als in Polen."Mister Byron wurde etwas weiß im Gesicht:
"Sie meinen, wir sind tatsächlich im Kriegszustand mit Deutschland?"
"Äh, jaaa..." säufzte Doktor Bennet; "...das Commonwealth und die überranten Länder Polen, die Niederlande, Belgien und Luxembourg. Ebenso Dänemark, sie haben gleich bei der deutschen Kriegserklärung kapituliert und Norwegen auch."
Mister Byron hielt sich nun an den Rädern des Rollstuhles fest, schluckte mehrmals bevor er wieder sprechen konnte:
"Die Beneluxländer und Norwegen?"
"Und die Republik Spanien nicht zu vergessen. Die Deutschen haben nicht vor den Pyrenäen halt gemacht und sind gerade dabei in Nordspanien einzufallen. Immerhin hat unsere Regierung ein Expeditionschor nach Narvik gesandt um die Norweger zu unterstützen."