06. Oktober 1939Obwohl meine Wache erst in einer halben Stunde beginnt, hält es mich nicht mehr im Boot. Deshalb verhole ich mich auf die Brücke. Das Wetter ist uns weiterhin wohlgesonnen. Über mir ist der klare Sternenhimmel, um mich herum nur die glatte See, auf der sich Sterne spiegeln. Der Mond steht wie ein riesiges, weiß leuchtendes Segel auf der Kimm, als wolle er uns den Weg leuchten. Das sanfte Rauschen, wenn das Boot sich sachte einen Weg durch das Meer bahnt, umfängt mich. Es sind Momente wie dieser, die Zauber der See, die mich bewogen haben, mich zur Kriegsmarine zu melden. Wäre nicht der Obersteuermann mit den wachsamen Posten seiner Wache, fiele es mir nicht schwer, mir vorzustellen alleine auf dem Meer zu sein. Ich lehne mich gegen den Sehrohrbock und versuche mir vorzustellen, wie wohl die Seeleute früherer Zeiten empfunden haben, als einzig der Wind sie auf ihren großen Segelschiffen über die Ozeane blies.
Es dauert nicht lange und die Männer der ersten Seewache ziehen auf. Jetzt bin ich es, der die Verantwortung für Boot und Besatzung trägt. Der Mond leuchtet die See fast taghell aus. Andere Schiffe sind so schon auf große Entfernungen gut zu erkennen. Leider sind wir das auch. Unsere Silhouette ist zwar klein, besonders wenn wir die schmale Seite zeigen, muß sich bei dieser Beleuchtung aber dennoch von der See abheben. Zum Glück sind nachts keine Flieger unterwegs. Unsere Hecksee wird aus der Luft sicher deutlich zu sehen sein. Ein langes, weiß leuchtendes Band, das sich nach Westen zieht. Seit den Morgenstunden trägt uns das Boot nun schon tiefer in den Skagerrak hinein. Vermutlich spekuliert der Alte auf Dampfer, die von oder nach Kristiansand laufen. Verrückt! Obwohl wir nun schon seit über 5 Wochen im Krieg sind, scheint diese Erkenntnis noch nicht in die Köpfe der britischen Handelsmarine durchgedrungen zu sein. Wenn die Frachter nicht verdunkelt fahren würden, könnte man fast meinen, es wäre tiefster Frieden. Da muß doch ein versteckter Sinn dahinter sein. Der Alte ist sich sicher, dass die Tommies irgendeine Gemeinheit planen. Minen! Die Gegend müßte sich doch prima zum Minenlegen eignen. Die norwegische Neutralität, die unsere Erzfrachter auf dem Weg nach Narvik schützt, kommt hier auch den Tommies zugute. Solange sie dicht unter der norwegischen Küste fahren, dürfen wir sie ebensowenig angreifen, wie sie uns. Und Minen kann jeder gelegt haben. Schwer nachzuwiesen, von welchem Schiff eine Mine kommt. Besonders, wenn der Dampfer schon hunderte Meilen entfernt ist, bevor der erste Kolcher auf eine Mine läuft und hochgeht.
Unser polnischer Einzelfahrer von gestern war jedenfalls ein äußerst seltener Anblick. Die meisten polnischen Schiffe haben den Ausbruch aus der Ostsee schon vor Wochen gewagt oder sich nach Schweden geflüchtet. Nachdem heute die Einstellung der Kampfhandlungen über den Rundfunk bekannt gegeben wurde, dürfte es auch dabei bleiben.
Später in der Nacht erweist sich die Vermutung des Alten als richtig. Kurz nach 19:00 Uhr fängt unser Funker ein FT auf. Ein russischer Frachter hat knapp nördlich unserer Position einen kleinen Konvoi verdunkelt fahrender Schiffe ausgemacht und die Schiffe per Kurzwelle angerufen, schön mit Zeit und Positionsangaben, wie es sich gehört. So sieht wohl die
wohlwollende Neutralität aus, die der Russe uns gegenüber eingenommen hat. Der Alte hat sich sofort über den Kartentisch hergemacht und kommt jetzt, zufrieden mit seinem ausgeknobelten Abfangkurs, auf die Brücke.
Beide Maschinen AK, Steuerbord 20, neuer Kurs 3-4-0. kommen die Kommandos an Maschine und Rudergänger.
Das Boot nimmt merklich Fahrt auf und dreht den Bug. Trotz der ruhigen See kommt gelegentlich Spritzwasser über.
Wenn das Besteck* stimmt, stehen wir nur knappe 10 Meilen vom vermuteten Abfangpunkt entfernt. gibt mir der Alte zu wissen.
Die Russen haben doch auch fähige Steuermänner. gebe ich zurück.
Dem Besteck würde ich jedenfalls mehr vertrauen, als einem von Görings Truppe.Die Bestecke sind bei den Jungs unseres
Reichsjägermeisters, wie Göring in der Flottille spöttisch genannt wird, immer das Problem. Oder vielmehr die
ungenauen Bestecke. Für ein Flugzeug mag es ja unbedeutend sein, ob der eigene Standort auf 20 Meilen genau stimmt oder eben nicht. Für uns bedeuten 20 Meilen knapp 2 Stunden AK-Fahrt. Genug Zeit für einen gemeldeten Konvoi, um uns unbemerkt zu passieren, weil wir an der falschen Stelle suchen.
Doch diesmal haben wir Glück. Das Besteck des Russen stimmte. Nach knapp 40 Minuten Fahrt kommen recht voraus Mastspitzen über die Kimm. Der Alte läßt mit Großer Fahrt näher heranstaffeln, um Gegnerkurs und Geschwindigkeit einwandfrei ermitteln zu können.
Die Schiffe sind gegen den Mond gut zu erkennen. Vier Dampfer, schön in Kiellinie fahrend. Bevor wir zum Angriff ansetzen, läßt der Alte eine Kontaktmeldung abgeben. Möglich, dass wegen der mondhellen Nacht trotzdem Seeaufklärer aufsteigen, oder andere Einheiten der Kriegsmarine angreifen können.
Als wir eine günstige Schußposition erreicht haben, läßt der Alte die Brückenwache einsteigen und tauchen. So dicht unter der norwegischen Küste will er wohl nichts riskieren und gemäß BdU-Befehl einen Minentreffer vortäuschen. Noch während der Alte das Turmluk schließt, weiht er mich in den Angriffsplan ein. Das erste Ziel soll der Trampdampfer sein, der vorne weg fährt. Danach der Schüttgutfrachter an zweiter Stelle und zuletzt ein Kolonialfrachter, der den Abschluß bildet. Den Passagierdampfer in der Mitte will er gemäß Führerbefehl auslassen.
Im Turm höre ich den Sehrohrmotor abwechselnd anspringen und stoppen, während wir mit Kleiner Fahrt fast auf der Stelle treten.
Immer schön die Batterie schonen und den Gegner rankommen lassen sage ich mir. In unserer Schußposition, ein gutes Stück vor dem Konvoi bleibt uns auch kaum etwas anderes übrig, als zu warten, bis die Tommies richtig stehen.
Schaltung für Rohr I, Bug rechts, Lage 60. Entfernung 2000 Meter. Torpedogeschwindigkeit 44, Lauftiefe 6 Meter. gibt der Kommandant von oben durch.
In rascher Folge kommen dann auch die Schaltungen für Rohr II und III. In der Zentrale herrscht eine gespannte Stimmung. Ich versuche einen Blick auf die Karte zu erhaschen, auf der vom Obersteuermann die Positionen der Dampfer mitgekoppelt werden. Der Trampdampfer hat uns bereits passiert und jetzt wohl schon Lage 100 anliegen.
Vorne werden die Mündungsklappen geöffnet. Wir liegen in bester Position, fast wie aus dem Lehrbuch. Warum kommt denn kein Feuerbefehl?
Rohr I ... los! kommt jetzt von oben die ruhige Stimme des Alten und gleich danach, nur kurz unterbrochen vom Anspringen des Sehrohrmotors die Feuerbefehle für Rohr II und III.
Im Bugraum wird jetzt geschuftet, was das Zeug hält. Der Torpedomechanikersmaat heizt seiner Truppe ordentlich ein, damit der letzte Torpedo schleunigst nachgeladen wird. Selbst wenn alle Torpedos ins Ziel laufen, kann es doch nötig sein, noch einen Fangschuß hinterzusetzen.
Ich beobachte gebannt die Stoppuhr in meiner Hand.
Zeit um für Torpedo aus Rohr I! melde ich.
Obwohl es jetzt Zeit für den Explosionsknall wäre, bleibt es ruhig.
Zeit um für Torpedo aus Rohr II und III!Noch während meiner Meldung dröhnt draußen ein Doppelschlag gegen den Druckkörper.
Der Torpedo aus Rohr I muß fehlgegangen sein!, schießt es mir durch den Kopf. Und gleich darauf
Unmöglich, bei dieser Schußlösung! Das hätte ein sicherer Treffer werden müssen!Ein weiterer Knall ist von draußen zu hören, gefolgt von metallischem Kreischen. Da geht einer in die Knie.
Hart Backbord, beide Maschinen AK voraus. Frage an Bugraum: Wann ist nachgeladen? kommt es aus dem Turm.
Das Bienensummen der E-Maschinen wird lauter. Zwischen den leisen Meldungen ist es deutlich zu hören. Ich gebe die Meldung des Torpedomechanikersmaaten weiter. Noch 5 Minuten bis der letzte Aal im Rohr steckt. Der Alte quittiert das mit einem Grunzen. Wenn die oben die Fahrt erhöht haben, können wir mit den E-Maschinen nicht Schritt halten und müssen uns Absetzen und zu einem zweiten Anlauf auftauchen. Dann kann der Konvoi aber bereits in norwegischen Gewässern sein. Den Torpedo aus achterlicher Lage hinterher zu setzen ist auch nicht gut. Aus dieser ungünstigen Lage kann der Torpedo leicht fehlgehen.
Zäher Brocken. höre ich jetzt von oben.
Genau Mittschiffs getroffen. Einfach so weggesteckt, als ob nichts wäre.Ich fluche innerlich, weil ich nicht weiß, was oben vor sich geht. Einen Dampfer haben wir in den Keller geschickt. Das brechen der Schotts war deutlich zu hören. Aber welchen hat es erwischt?
Sehrohr einfahren! Schnell auf 25 Meter gehen! Hart Steuerbord, auf 0-9-0 gehen. kommt es hastig aus dem Turm.
Der LI lässt die E-Maschinen AK auf AK gehen und zwingt das Boot mit Hartruderlagen und starker Vorlastigkeit auf Tiefe. Der Alte kommt die Leiter aus dem Turm heruntergepoltert und grinst uns schelmisch an, wie ein Schuljunge, der etwas ausgefressen hat.
Der muß unseren Sehrohrkopf gesehen haben. Hat geradewegs auf uns zu gedreht und zum Rammstoß angesetzt. Hat gute Nerven da oben.Gute Nerven, echoet es in mir. Die brauchen wir hier jetzt auch. Das mit dem Vortäuschen von Minentreffern hat sich jedenfalls erledigt. Den Alten ficht das nicht an. Er hat sich gemütlich auf der Kartenkiste breitgemacht und grinst immer noch vor sich hin.
Den Schüttgutfrachter hat´s erwischt. Der ist gleich nach dem Treffer mittschiffs eingeknickt. Der andere Zossen ist da aus anderem Holz geschnitzt, ein ganz zäher Bursche. Macht stark Schlagseite. Aber schleppt sich trotzdem weiter, als ob in das gar nicht interessiert. Nicht mal langsamer geworden. Der Kommandant zeigt sich plötzlich ungewohnt gesprächig.
Haben nach Norden gezackt. Vermutlich erstmal nen kleinen Haken schlagen. Wollen doch erstmal nach Osten steuern und nochmal vorsetzen zum Fangschuß.Gleich nachdem die Meldung des Torpedomechanikermaaten kommt, läßt der Alte wieder auf kleine Fahrt gehen und Sehrohrtiefe ansteuern. In der Zentrale ist wieder sporadisch das Anspringen des Sehrohrmotors zu hören, wenn der Alte "Karussel fährt".
Backbord 20. Neuer Kurs 3-6-0. kommt es leise von oben.
Eintrag ins KTB*: Kolonialfrachter macht stark Schlagseite nach Steuerbord. Durch Feuer an Obderdeck gut auszumachen. Macht weiterhin Fahrt, fällt aber zurück. Setze zum Fangschuß an.Im Bugraum wird jetzt das Torpedorohr mit unserem letzten Torpedo bewässert, während der Alte die Werte für die Schußlösung durchgibt. Der Sehrohrmotor springt immer wieder für einen kurzen Moment an, wenn das Sehrohr aus- oder einfährt. Offenbar will der Alte warten, bis sich die Schußdistanz verringert hat.
Holla, der hat aber aufgedreht! entfährt es dem Alten, als das Sehrohr nach kurzer Pause wieder ausfährt.
Gegnerfahrt jetzt 8 Knoten. Lage 110. Entfernung 900 Meter.Eingestellt! melde ich, nachdem die Werte in den Torpedorechner eingespeist wurden.
Rohr III los!Der letzte Torpedo ist unterwegs. Mit Lage 110 haben wir den optimalen Zeitpunkt für den Torpedoschuß bereits verpaßt. Offenbar war der Dampfer zur Schadensbehebung oder Leckabwehr kurzzeitig mit der Fahrt herunter gegangen und hat dann genau in der Zeitspanne zwischen zwei Rundblicken wieder die Fahrtstufe erhöht. Jetzt muß der Torpedo dem Dampfer ein wenig hinterherlaufen und trifft dann leicht schräg auf die Bordwand. Beste Voraussetzungen für ein Versagen der Zündpistole also. Am Ende der Laufzeit ist dann aber doch der scharfe Knall der Explosion deutlich zu hören, gefolgt von metallischem Kreischen und und den dumpfen Schlägen, wenn die Schotten brechen. Diesmal haben wir ihn erwischt.
Der Alte kommt jetzt wieder gemächlich in die Zentrale herunter und läßt das Boot auf 25 Metern steuern. Wir laufen mit halber Fahrt nach Süden ab. Erst nach einer knappen Stunde tauchen wir wieder auf und setzen unseren Suchkurs fort.
Sternklare Mondnacht
Geleitzug gesichtet
Tauchen zum Angriff
Angriff
Schüttgutfrachter sinkt
Kolonialfrachter schleppt sich mit Schlagseite weiter
Ausweichen vor Rammstoß
Ansetzen zum Fangschuß
*
Besteck: Der Schiffsort auf See
KTB: Kriegstagebuch
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