Tatsächlich kapitulierte Nationalchina zwei Tage später. Die Erschütterung durch die Vernichtung der Armee im Norden war zu groß. Zu keinem Zeitpunkt gelang es den neuaufgestellten Einheiten wirksamen Widerstand gegen die technisch und taktisch weit überlegenen Japaner zu leisten. Die Koumintang floh nach Guanxi und Yunnan. Die beiden Machtbereiche regionaler Kriegsherren fühlten sich nicht an die Kapitulation gebunden. Chiang Kai-shek setzte sich in die USA ab, um von dort die Befreiung Chinas neu zu organisieren.
Am 19. Juni 1938 brach auch der Widerstand der Truppen der Ma Clique zusammen. Die drei Familien Ma Bufang, Ma Hongkui und Ma Hongbin hatten sich im muslimischen Nord-Westen Chinas seit 1928 einen eigenen feudalen Machtbereich gesichert. Nachdem das Kavallerie Korps Generals Ando Rikichis in Golmud eigerückt war, gab es nichts mehr zu verteidigen.
Der Krieg gegen Nationalchina und die mit ihm verbündeten Kriegsherren war damit siegreich beendet. Feldmarschall Kan'in Kotohito, der Oberkommandierende des Chinesischen Kriegsschauplatzes wollte jedoch nicht warten bis sich in den Bruchstücken des alten chinesischen Reiches in Sinkiang, Yunnan und Guanxi neuer Widerstand formieren würde. Auch im japanischen Kabinett war man sich einig, dass diese instabilen Gebilde möglichst rasch beseitigt werden müssten um ausländischen Mächten eine Einmischung in China zu erschweren. General Minami wurde angewiesen, gegen diese Banditen Regionen aufzumarschieren.
Tokio, Kaiserpalast Hirohito stand in Gedanken versunken am Fenster, als Tarasawa den kleinen Raum betrat und sich zeremoniell verbeugte. Die Diener schlossen die Türen und nun waren nur die beiden Männer anwesend. Der Tenno nahm die Ehrbezeigung mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken entgegen.
„Tarasawa Sama, ich habe Euch rufen lassen um die äußerst beunruhigenden Nachrichten aus China zu besprechen. Die ausländische Presse ist voll mit Greultaten, die japanische Truppen in China begangen haben sollen. Das Außenministerium informierte, dass unsere Botschafter in England, Frankreich, Holland und den USA von den jeweiligen Außenministern einbestellt wurden. Die Termine haben noch nicht stattgefunden, aber ich kann mir denken, welche Mitteilungen unseren Diplomaten übergeben werden.“ Der Kaiser wandte sich Tarasawa zu und forderte ihn damit zur Antwort auf.
„Auch ich habe die Nachrichten erhalten und sie sofort prüfen lassen. Mit Bedauern muss ich Euch mitteilen, dass es sich nicht um gegnerische Propaganda sondern um Tatsachen handelt.“ Mit einer tiefen Verbeugung entschuldigte sich Tarasawa für die schlechte Nachricht. „General Cho Isamu hat nach der blutigen Erstürmung der gegnerischen Hauptstadt seinen Männern freie Hand gelassen. Erschöpft durch die seit April ununterbrochenen Kämpfe und Märsche, haben unsere Soldaten jede Manneszucht verloren. Es kam zu Plünderungen, Massenweise Tötung von Gefangenen, zu Massenvergewaltigungen von Frauen und Mädchen und auch zu tausendfachen Morden an Zivilisten.“
Der Tenno wandte Taraswa seinen Rücken zu. „Der Krieg zeigt uns seine grausige Fratze.“
„Es ist wahr Majestät, dass im Krieg grausame Dinge geschehen. Von einem Soldaten, von dem man verlangt ins gegnerische Feuer zu stürmen, von dem man verlangt zu töten und zu sterben, von diesem Soldaten kann sicher nicht erwartet werden, dass er rücksichtsvoll mit der feindlichen Bevölkerung umgeht. Jedoch ich muss Euern Blick darauf lenken, dass man Japan mit Nachrichten im Radio und in den Zeitungen genauso gut bekämpfen kann, wie mit Gewehren.“
Der Kaiser überlegte kurz „In meiner Note zum Beginn der Offensive hatte ich unsere Soldaten aufgefordert, sich bei der Bekämpfung der Feinde nicht von einer Haager Konvention behindern zu lassen. Ich entnehme Eurem Gleichnis, dass dies ein Fehler war?“
Tarasawa verbeugte sich tief. Die Unfehlbarkeit des göttlichen Tennos durfte keinesfalls offen angezweifelt werden. „Eure Majestät erinnern sich sicher noch gut an meine damalige Position. Der hochverehrte Yamamoto Isoroku betonte bei dieser Beratung ebenfalls, dass die strategische Wirkung unseres Vorgehens, Beachtung finden muss. Weiter muss ich darauf aufmerksam machen, dass das Vorgehen Generals Cho unsere Ziele in China wesentlich beschädigt hat. Es wird Tage, wenn nicht Wochen dauern, bis die Offiziere die Truppe wieder in den Griff bekommen. Zwei Armeekorps, sechs Divisionen mit 57.000 Mann liegen in Nanking und können nicht für weitere Aktionen eingesetzt werden.
Was Eure Majestät mit der April-Note meinte war, dass feindliche Soldaten, die ihre Ehre verloren haben auch keine ehrenvolle Behandlung erwarten können. Nichts anderes erwarten wir auch von unseren Soldaten. Was jedoch General Cho daraus gemacht hat, ist der Missbrauch unserer Soldaten für Raub, Brandstiftung und Mord an Frauen, Kindern und Alten. Dieses Vorgehen schädigt nicht den Feind, sondern uns selbst.“
Lange verharrten beide in Schweigen bis endlich Hirohito wieder das Wort ergriff. „Tarasawa, du weißt, dass ich deinen Rat schätze.“ Er sah seinen gleichaltrigen Berater unsicher an. „Du meinst also, ich soll die Note zurücknehmen und dem Geschehen in China Einhalt gebieten?“
„Euer Majestät, Ihr solltet die Bedeutung Eurer Anordnung richtig stellen und es ist das Beste für Japan und für die Erreichung Eurer Ziele, wenn Ihr dem Morden dort unverzüglich Einhalt gebietet!“
„Das Beste für Japan…“ sinnierte Hirohito. „Meine Ziele… Was unterscheidet denn das in den letzten zwei Jahren erreichte von dem was damals die Kodo ha anstrebte? Du hast damals gegen die Bewegung von Kita Ikki gekämpft. Aber würde ich nicht an derselben Stelle stehen, wenn sich damals die Kodo ha durchgesetzt hätte.“
„Das Primat der Politik – ist der Unterschied, Majestät! Diese Leute wollten die Militärdiktatur. Deren Ziele hätten Japan in einen Krieg gegen alle Großmächte geführt.“
„Steht dieser Krieg nicht ohnehin ins Haus?“
Tarasawa überlegte einige Zeit, bevor er antwortete. „Es gibt Strömungen in der Entwicklung der Völker, denen man sich nicht entgegenstemmen kann. Man kann besten Falls versuchen sie zu lenken. In dem sich Japan entschlossen hat, sich in den Reigen der Großmächte einzureihen, haben wir uns solchen Zwängen unterworfen. Die Rohstoffquellen und Absatzmärkte Chinas sind seit fast hundert Jahren von London, Paris und Moskau begehrt. Mit unserem Sieg haben wir diesen Mächten die Tür verschlossen. Ja Majestät, es steht Krieg ins Haus! Unsere Verbündeten aus dem Weltkrieg, werden niemals akzeptieren, dass Japan im Drang nach Ressourcen gleichberechtigt sein wird. Wir müssen uns auf diesen Kampf vorbereiten.“