[AAR] An Empire on which the Sun never sets !

AAR zum Spiel u.a. Empire: Total War

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Thanatus
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[AAR] An Empire on which the Sun never sets !

Beitragvon Thanatus » 21. Dezember 2010 03:34

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Kapitel 1 – Zukunftsvisionen
London – Westminster Palace, 9. Januar 1700

Willhelm III. von Oranien-Nassau, Herrscher von England, Schottland und Irland in Personalunion und Statthalter der Niederlande, blickte gedankenverloren aus dem Fenster seines Empfangszimmers auf die von Öllampen beleuchteten Straßen und schneebedeckten Dächer der Haupstadt seines Reiches. Seit 1689 war der Fünfzigjährige nun schon auf dem Thron der Inselstaaten und nie war die Regierung so unbeliebt wie zu jetzigen Zeitpunkt mit 46%, so seine königlichen Statistiker. Mit einem Seufzer erinnerte er sich an vergangene Zeiten.

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Als er mit seinen Truppen im November 1688 in Südwestengland landete, wurde er dort von der Bevölkerung begeistert aufgenommen. Seine freundliche Haltung gegenüber der Zivilbevölkerung sorgte für ein Überlaufen zahlreicher englischer Offiziere und Soldaten. Infolge Versuchen einer Rekatholisierung Englands vertrieb er, ein Holländer, auf Bitten der Whigs so seinen Schwiegervater Jakob II. ins französische Exil. Da sprach der Mob noch von einer Glorius Revolution und trug ihn auf Händen, als er der Bill of Rights zugestimmt hatte. Mit diesem Gesetz hatte das Parlament nun mehr Einfluss auf die Politik, der Parlamentarismus wurde somit erheblich gestärkt. Das merkte er auch schon bei der Doppelkrönung am 11. April 1689 in der Westminster Abbey, als das House of Commons an der Zeremonie teilnahm, und er und seine Frau Maria einen veränderten Krönungseid leisteten, welcher die Monarchen an das Parlament band. Bei diesem Gedanken huschte ihm ein leichtes Lächeln über sein Gesicht. Selbst nach so vielen Jahren konnte er sich noch immer an den Wortlaut des Eids erinnern.

„… to govern the people of this kingdom of England … according to the statutes in parliament agreed on, and the laws and customs of the same“

Seine Frau Maria kam ihn ins Gedächtnis und sein Lächeln erlosch. Nicht etwa, weil er ihr 6 Jahre nach ihrem Tod an den Pocken immer noch nachtrauerte - bei weitem gefehlt. Frauen bedeuteten ihm eher wenig. Die Heirat mit seiner Cousine, der liebevollen und treuen Prinzessin aus katholischen Hause, war damals rein politischer Natur, damit die protestantischen Staaten beruhigt wurden. Sie war zwar neben ihm Thronregentin, hatte jedoch an der Politik nur geringen Anteil. Selbst einen Thronfolger gebar sie ihm nicht, nach jeder der drei Fehlgeburten bekam sie tiefe Depressionen und suchte ihren Ausweg im Alkohol. Gott allein weiß, wie viel Pfund Sterling sie versoffen hat. Seit Dezember 1994 leitete er nun allein die Geschicke seines Reiches und die politische Situation, in der er sich nun befand, gefiel ihm ganz und gar nicht.

Sein Blick senkte sich und seine Augen hafteten wieder an der Depesche, die er schon seit einer gefühlten Ewigkeit in seinen knöchernen Händen hielt und nun zum zweiten Mal las.

Eure königliche Hoheit,

Wie ihr es gewünscht habt, erfolgt hiermit mein Bericht über die finanzielle Situation des Landes in Bezug auf die militärische Einsatzfähigkeit. Mylord, wie ihr bereits wisst, strotzen die drei Königreiche nur so voller Baustellen und benötigter Reformen, sei es nun militärisch oder ökonomisch. Mit den dürftigen 7.500 Pfund Sterling der Staatskasse können wir dies unmöglich bewerkstelligen.

Zurzeit läuft der Handel mehr schlecht als recht, neben dem kargen Warenverkehr mit den 13 Kolonien in Übersee gibt es noch die Handelsabkommen mit Schweden, Portugal und den Vereinigten Provinzen. Insgesamt beläuft sich das Handelseinkommen auf knapp 2.000 Pfund, dazu kommen noch die Steuereinnahmen, welche sich mitsamt den Steuerabgaben aus dem Protektorat etwa 8.000 Pfund ausmachen. Insgesamt belaufen sich die Einkünfte auf 10.000 Pfund Sterling.

Sicher, Sire, dies ist schon eine große Zahl, doch bedenkt, dass davon die Ausgaben für das stehende Heer sowie die Flotte gedeckt werden müssen, von den Kosten der vor uns liegenden Bauprojekte einmal abgesehen. Die Kosten für das Militär verschlingen derzeit schon 50 % der zu Verfügung stehenden Mitteln.

Für das gesamte Jahr 1700 können wir somit nur 12.500 Pfund Sterling verplanen, vorausgesetzt die Ausgaben werden nicht höher. Wie eure Lordschaft es jedoch nur zu gut wissen wird, ist es angesichts der brodelnden politischen Lage eher sehr wahrscheinlich, dass die Ausgaben für das Militär innerhalb kürzester Zeit massiv steigen werden. Wenn wir nicht schleunigst etwas dagegen unternehmen, laufen wir Gefahr, unseren Finanzapparat bankrott zu wirtschaften.


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Bei den vielen Zahlen und Fakten wurde Willhelm III. leicht benommen, trat vom Fenster zurück und setzte sich auf den Stuhl hinter einem zwei Meter langen prunkvoll verzierten Schreibtisch aus Eiche, einem Geschenk des Königs von Hannover, nieder. Der König war mit seinen Gedanken so in den Brief versunken, dass er nicht merkte, wie seine majestätische Paradeuniform Falten und Knicke bekam, normalerweise hätte er bei jeder entstehenden Falte eine neue Uniform angezogen, denn er liebte makellose militärische Kleidung.

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Ich habe mich mit meinem Ministerium über etwaige Maßnahmen beraten und wir sind zu folgendem Schluss gekommen:

1. Es müssen weitere Handelsabkommen geschlossen werden, um den Warenverkehr zu erhöhen. Folgende Staaten kämen angesichts der politischen Lage in Frage: Preußen, Savoyen, das aufstrebende Marathenreich sowie Österreich. Leider mussten wir unseren Verbündeten Hannover von der Liste streichen, als wir erfuhren, dass dieser rückschrittliche König Georg Wilhelm I. den Ausbau der Siedlung Cuxhaven zum Handelshafen noch nicht veranlasst hat. Wie töricht, so entgeht ihm doch wertvolles Geld! Mit Verlaub, mein Herr, die Schatzkammer Hannovers ist ja auch nicht gerade prall gefüllt, wie ich aus zuverlässigen Quellen weiß.

Sein Blick streifte den Schreibtisch, kurz darauf musste er lächeln. Für einen überdimensionalen und - wie es scheint - sehr teuren Schreibtisch hat es ja anscheinend doch noch gereicht. Er wandte sich wieder dem Bericht zu.

2. Von Steuererhöhungen sollten wir ablassen, denn die Beliebtheit der Regierung ist ja derzeit schon auf einem historischen Tiefststand. Wir müssen vor allem ökonomische Bauvorhaben starten, z.B. die Webereien und Werkstätten auf den Inseln ausbauen, aber auch die Kolonien in Übersee nicht vergessen. Auf den Bahamas könnten wir eine weitere Plantage eröffnen und in Ruperts Land den Pelzhandel subventionieren.

3.Und nun zum heikelsten Punkt, dem Militär. Es gleicht einer Wahl zwischen Pest oder Cholera. Wenn wir in der jetzigen Lage die Truppen erhöhen, wird dies die Wirtschaft des Landes in den Ruin treiben. Wenn wir das Militär vernachlässigen oder gar abrüsten, laufen wir Gefahr, zwischen dem spanisch-französischem Mächteblock zerquetscht zu werden. Meine Berater und ich haben daher detaillierte Informationen zu den derzeit zur Verfügung stehenden Streitkräften von den zuständigen Ministern angefordert. Nach Durchsicht und Prüfung der Unterlagen sind wir zum erschreckenden Schluss gekommen, dass die Marine eher unterbesetzt ist. Wir können unseren Überseehandel nicht mit schwachen Schaluppen oder Briggs schützen. Es müssen auf jeden Fall stärkere Schiffe wie die Linienschiffe 4. Klasse gebaut und in den Dienst der glorreichen Royal Navy gestellt werden, diese kleinen wendigen Schiffe wie die derzeit im Dienst befindlichen Schaluppen sehen doch keinen Stich gegen die Freibeuterflotten, geschweige denn gegen die Armadas der Spanier und Franzosen.

Als wir die Unterlagen zur Armee durchgingen, kamen meine Berater ins Stutzen. Wir leben nunmehr im 18. Jahrhundert und unsere Soldaten kämpfen noch immer mit Piken? Derzeit sind 5 Infanterieregimenter dieses hoffnungslos veralteten und unterlegenen Infanterietyps im Dienste der Krone, die Kosten belaufen sich auf knapp 1.400 Pfund Sterling pro Jahr! Wir schlagen vor, entweder diese Truppen gänzlich zu entlassen oder die eine Hälfte von ihnen zu entlassen und den verbliebenen Regimentern eine militärische Umschulung auf moderne Waffen zu geben. Dies würde gleichzeitig die Kosten senken und die Effektivität der vorhandenen Truppen stärken.

Mylord, hiermit endet mein Bericht. Ich hoffe, dass wir unsere Nation aus dieser finanziellen Zwickmühle befreien können und verbleibe ihr ganz ergebener

John Smith

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Zufrieden legte er den Bericht auf den Schreibtisch. Auf seinen unbestechlichen Finanzminister war wie immer Verlass. Er war sowohl ein passabler Bankier als auch ein Kapitalist – allesamt Charakterzüge, die ihm für das Amt des Verwalters der Staatskasse prädestiniert hatten. Zwar störte ihn sein Fokus auf die Wirtschaft, denn ohne einen starken Militär gäbe es die Wirtschaft wohl gar nicht mehr, jedoch konnte er damit leben. Willhelm beugte sich zum Schreibtisch vor und nahm ein anderes noch ungeöffnetes Dokument hervor, welches das Siegel von George Clarke trug. Als der König das Siegel aufbrach und die Schrift erblickte, musste er auf Anhieb schmunzeln. Wie es scheint, geizt sein Kriegsminister nicht nur mit seinem Geld, auch mit seinen Worten geht der Stratege sehr sparsam um. Quasi genau das Gegenteil zu seinem Finanzminister, doch auch solche Leute brauchte die Krone.

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Euer Hochwohlgeboren,

Folgend beschreibe ich euch die derzeitige militärische Stärke unserer Armee. Verzeiht mir, dass ich dies nicht im Fließtext schreibe, als Auflistung erscheint es mir weitaus praktischer und informativer.

I. Korps unter Führung von John Churchill in London

2 Regimenter Milizinfanterie
2 Regimenter Pikeniere
1 Regiment Linieninfanterie
1 Regiment Yeomanry
1 Regiment Halbkanonen

II. Korps unter Führung von Henri de Massue in Dublin

1 Regiment Yeomanry
1 Regiment Pikeniere
1 Regiment Milizinfanterie

III. Expeditionskorps unter Führung von Kevin McDowell in Kingston

1 Kompanie Ranger (Ruperts Land)
2 Regimenter Pikeniere (Ruperts Land sowie Bahamas)
1 Regiment Linieninfanterie (Bahamas)
1 Regiment koloniale Dragoner (Bahamas)
1 Regiment Milizinfanterie (Jamaika)
1 Regiment Halbkanonen (Bahamas)

Sire, ich weiß um unsere brisante finanzielle Lage aufgrund von Gesprächen zu Tee mit dem ehrenwerten Herrn Smith, jedoch ersuche ich euch um eine Verstärkung der Armee. Mit diesen Truppen aus Milizionären –nichts besseres als Polizeikräfte - und aus veralteten Halbkanonen und längst unterlegenen Pikenierregimentern kann man auf dem modernen Schlachtfeld keinen Sieg erringen. Sie taugen höchstens gegen die Wilden in der neuen Welt, gegen die Bedrohung der europäischen Mächte Frankreich und Spanien sind sie so gut wie nutzlos, höchstens Kanonenfutter. Was wir brauchen, ist gut ausgebildete Linieninfanterie & Berufssoldaten zu Pferde.

Mylord, ich weiß, wie sehr ihr die Pikeniere schätzt, waren sie doch ein Teil der Truppen, die euch vor über 10 Jahren bei der glorreichen Revolution begleiteten. Jedoch ist die Zeit, in der sich Truppen im Nahkampf entgegentreten, vorbei. In der Moderne zählt nun die Linientaktik – das Kämpfen wie Gentlemen, nicht wie Schlächter. Auch das Argument, dass sie unsere empfindlichen Musketenschützen gegen Kavallerie schützen könnten lasse ich da nicht gelten. Ich habe vor kurzem erfahren, dass an der Schule in Cambridge ein alter gebildeter Bürger und Akademiker namens Isaac Newton mit seinen Forschungen über einen Nahkampfaufsatz für die Muskete begonnen hat. Er rechnet damit, innerhalb nur eines Jahres eine Möglichkeit zur Abwehr von Kavallerieangriffen vorweisen zu können.

In Hoffnung, dass sie der Enthebung moderner und schlagkräftiger Linieninfanterie zustimmen, verbleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung,

George Clarke

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Der König ließ das Dokument auf den Tisch fallen, lehnte sich in den zugegebenermaßen unbequemen Stuhl zurück und stützte seinen unter der Fülle der Informationen schwer gewordenen Kopf mit seiner rechten Hand. Glücklicherweise hatte er zuvor mit dem ersten Lord der Admiralität John Egerton dinniert, somit wartete kein dritter Brief auf ihn, in dem man von einer mittelmäßigen Royal Navy hätte berichten können. Nein, dies war schon während des zugegeben köstlichen Dinners geschehen.

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Wie schon der Finanzminister in seinem Bericht erwähnt hatte, so war auch der strenggläubige und unbestechliche John Egerton, der eigentlich ein Verfechter jedweder Schiffsart war, der Auffassung, dass von den derzeit elf Schiffen die 4 Briggs und Schaluppen eher eine Verschwendung von Mannschaft und Material und vor allem von Pfund Sterling seien. Geld, Material und Matrosen, die der Marineminister liebend gern für den Bau von 4. Klasse Linienschiffen in den Schiffswerften in Portsmouth eingesetzt gesehen hätte. Insgeheim wird er beim Dinner wohl die Aussicht auf ein neues mächtiges Flaggschiff der Royal Navy als so schmackhaft empfunden haben, dass er seine Prinzipien kurz über Bord gehen hat lassen. Willhelm musste wieder lächeln - wie er sich wohl als Hofnarr bei diesen Wortwitzen geschlagen hätte?

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Langsam überkam ihn die Müdigkeit. Er blickte auf die monoton tickende Standuhr und stellte fest, dass er bei seinen Gedankenschweifen wieder einmal die Zeit außer Acht gelassen hat. Zeit, die sein Reich nicht hatte. Wobei die Bevölkerung schon immer die Ansicht vertrat, dass sie sicher schlafen können und sich keinerlei Sorgen um Invasoren oder Tyrannen aus fremden Ländern machen müssen, so wie es einst Shakespeare trefflich formulierte:

"...dieser in die Silber-See eingefaßte Edelstein, dieser kleine Inbegriff der Welt, dem der umgebende Ozean für eine Mauer oder für einen beschützenden Graben gegen den Neid nicht so glückseliger Länder dient..."

Allerdings, der Ärmelkanal und der Atlantik hielt die Franzosen und Spanier auf Abstand. Die Stärke seines Königreiches, so wurde es Willhelm III. in diesen Tagen klar, lag auf dem Meer. Sowohl als Handels- und Kolonialmacht als auch als Seemacht. Außerdem musste er die Entstehung einer Nation verhindern, die die Ressourcen von Europa vereint und als zentralisierte Kontinentalmacht die Existenz seines Reiches bedrohen könnte. Sein Ziel war es somit, sich auf die Seite der Schwachen in Europa zu schlagen und Front gegen die Starken zu machen - und dabei möglichst viele Überseebesitzungen zu stehlen!

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Doch zunächst musste er die Wirtschaft wieder ankurbeln um sich solch eine Großmachtstellung überhaupt finanzieren zu können. Er müsste wohl in den nächsten Tagen eine Vollversammlung seiner Regierungsmitglieder einberufen. Für den alten Mann galt es aber erst einmal, ins Bett zu gehen, denn auch ein König wird müde. In diesen jenen Zeiten träumte er schon von einem gewaltigen Reich, in dem die Sonne nie unterging…

[to be continued]

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Zuletzt geändert von Thanatus am 21. Dezember 2010 03:50, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Thanatus » 21. Dezember 2010 03:37

Kapitel 2.1 – Vom Schein und Sein


Währenddessen in der Karibik, 20 Meilen nördlich von Port-de-Paix / Hispaniola

Geradezu majestätisch durchschnitt die Sceptre die karibische See, fuhr sie doch mit vollen Segeln. Master and Commander James Berkeley blickte in den Himmel, beobachtete die schnell vorüber ziehenden Wolken und spürte den Wind, welcher ihn beinahe seinen Hut vom Kopf gewirbelt hätte. Er richtete seinen Blick in südöstlicher Richtung auf den Horizont, während er mit einer Hand die Reling seiner Kampfbrigg ergriff. Wie so oft wunderte er sich immer wieder, wie ein solches Schiff, überladen mit 26 Kanonen und 81 tollkühnen Seemännern, eine derart hohe Geschwindigkeit erreichen konnte. Die englischen Schiffbauer hatten bei dieser Konstruktion wirklich ganze Arbeit geleistet, da die Brigg aus Portsmouth stammte. Aber warum zerbrach er sich darüber überhaupt den Kopf? Es sollte ihm eigentlich nur Recht sein, dass er schnell vorankam, hatte er doch noch Großes vor. Bei diesem Gedanken kam ihn wieder das Gespräch mit dem Hafenmeister von Grand Bahama in den Sinn.

Beiläufig hatte dieser erwähnt, dass einkehrende Handelsschiffe von Kaperungen nördlich der Insel Hispaniola berichtet hatten. Gerüchten zufolge handelte es sich um drei Piratenschiffe, darunter angeblich ein erbeutetes niederländisches Linienschiff. Als er dies aus dem Munde dieses völlig versifften und nach Rum riechenden Individuums vernahm, witterte er sofort seine Chance.

Langsam aber bestimmt ging der Dreiundvierzigjährige über das Deck des Zweimasters nach achtern. In Kiellinie folgten zwei Schaluppen, die Argyll und die Amphion. Sie wurden von zwei jungen Lieutenants kommandiert, William Towers und Oscar Lake. Vom Alter her könnten die beiden seine Söhne sein. Gehorsam hatten sie ihm durch ihre Teilnahme an dieser höchst heiklen Mission ja mittlerweile schon geleistet. Dabei dachte er wieder an die Gerüchte, welche sich in der Royal Navy wie ein Lauffeuer verbreiteten. Seine freie Hand formte unwillkürlich eine Faust und in ihm entfachte dieser Gedanke wieder eine unbändige Wut.

Er konnte immer noch nicht fassen, dass die Admiralität alle königlichen Briggs und Schaluppen außer Dienst stellen wollte. Für Berkeley war das untragbar, war er doch auf diesen Schiffen vom Knaben in Form eines Schiffsjungen zum wahren Mann geworden und hatte diese Schiffstypen schätzen gelernt. Er wollte dem noch so starken Kritiker zeigen, dass mit eben diesen Schiffen auch große Kähne bezwungen werden können, um so jeden Zweifel um ihre militärische Einsatzfähigkeit zu zerstreuen.

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Als Berkeley von der neuen Bedrohung in Form des Kaperverbandes hörte, hatte er sofort ein konspiratives Treffen mit den Lieutenants einberufen. Er war zwar der Kommandeur des Flottillenverbandes, jedoch wollte er sich auch die Zustimmung der Kommandanten der anderen Schiffe einholen. Mit der Reaktion von Towers und Lake hätte er am wenigsten gerechnet, sie waren wohl wegen der Aussicht auf Ruhm sogleich Feuer und Flamme und schwörten ihm seinen Gehorsam. Lediglich sein stellvertretender Kommandeur, Lieutenant Dominique Worley, dieser verdammte Brite französischer Abstammung, hatte starke Bedenken gegen einen eigenständigen, von der Admiralität so nicht vorgesehenen Angriff auf den Feindverband und war eher dafür, den Plan der Admiralität umzusetzen. Dieser sah vor, sich mit den Flottillenverband um Admiral John Leake zu vereinen und mit einer so entstandenen Flotte auf die Piratenjagd zu gehen. Als sich sein Stellvertreter geäußert hatte, verhöhnten ihn die Lieutenants und betitelten ihn als Feigling.

Somit war klar, dass seine Flottille so schnell wie möglich aus dem Hafen von Grand Bahama ablegen und gen Südosten segeln würde. Berkeleys Blick schweifte zum Großmast, hinauf zu den Rahsegeln, und er spürte den Wind in sein Gesicht wehen. Selbst das Wetter war auf ihrer Seite, was sollte da schon noch fehlschlagen? Doch Berkeley wusste, dass er sich nichts vormachen konnte. Zwei Schaluppen und eine Brigg gegen ein Linienschiff und zwei weitere Feindschiffe unbekannten Ausmaßes. Es glich einem Himmelfahrtskommando und würde ein harter und langwieriger Kampf werden. Wie in den guten alten Zeiten, als er im pfälzischen Erbfolgekrieg an den Seeschlachten im Ärmelkanal teilnahm, dachte er sich und musste unweigerlich grinsen.

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Zielstrebig ging Charles Fleury, seines Zeichens langjähriger Kaperfahrer seiner Majestät Ludwig XIV. dem König von Frankreich, auf die Brücke seines Flaggschiffs. Er konnte einen gewissen Stolz dabei kaum verbergen, hatte er es doch erst seit kurzem sein Eigen nennen können.

Letztes Jahr plünderte sein Kaperverband bestehend aus einer Brigg und einer Schaluppe, sechs Schiffe vor der amerikanischen Küste und ging danach in der Karibik auf Beutezug. Am 28. Dezember 1699 erblickten sie am Horizont eine Schiffssilhouette. Der Ausguck meldete es als Linienschiff, jedoch konnte Fleury das nicht glauben. Welche Admiralität würde denn ein Linienschiff allein ohne Hilfsschiffe einsetzen? Die Meldung vom Krähennest stinkte ihm gewaltig, deswegen griff er damals selbst zum Fernrohr, um sich davon zu überzeugen. Er war schon sehr lange Seefahrer der Weltmeere, doch so etwas hatte er noch nicht gesehen. Hatten diese verdammten Holländer doch tatsächlich eine Fleute als Linienschiff getarnt, mon dieu! An der fast viereckigen Spantform und der starken Rundung des Bugs und Achterschiffs war das klar zu erkennen und alsbald darauf gab er den Befehl zum Angriff – wohlwissend, dass die Fleute zwar von der Feuerkraft her überlegen war, jedoch in der Manövrierfähigkeit einer Schnecke glich. Und mit Schnecken kannte sich der Franzose Fleury nur zu gut aus.

Ungewöhnlich kurz erfolgte das Gefecht, seine Schiffe gaben zwei Salven Kanonenschüsse ab, woraufhin die Holländer aufgaben. Als Fleury zur Vernehmung des Kapitäns und der Übergabe des Schiffes an Bord kam, wurde ihm klar, warum kein Widerstand geleistet wurde. Die Fleute Ter Goes unter dem Kommando von Valentijn van Campen kam aus der Hafenstadt Demerara der Provinz Niederländisch-Guyana und war auf dem Weg nach Curacao. Den Papieren in der Kapitänskajüte zufolge handelte es sich dabei um eine Fleute von 300 Tonnen Gewicht, bewaffnet mit mehreren dutzend Kanonen. Sie hatte 75 Mann Besatzung und transportierte 516 indonesische Sklaven, welche wohl für die Plantagenarbeit in Curacao gedacht waren. Vorher war sie wohl bei den Handelsstützpunkten der ostindischen Inseln im Einsatz gewesen. Beim Zusammentreffen war die Besatzung von Krankheiten geschwächt. Von der ursprünglichen Besatzung waren 16 gestorben, 36 litten unter Skorbut und Dysenterie. Von den minderwertigen Sklaven waren 61 gestorben. Es war ein scheußlicher Anblick und vor allem Geruch, den Fleury da ertragen musste.

Umso erfreuter war er, als er Unterlagen zu den kostbaren Handelswaren fand, welche ebenfalls von der Ter Goes transportiert wurden. Seine Augen strahlten umso mehr, je länger sein Blick an der Liste haftete. Er war sich sicher, sollte es ihm gelingen, dieses Schiff sicher in einen ihm wohl gesonnenen Hafen zu steuern, war er ein gemachter Mann. Wahrscheinlich würde ihm sogar der Sonnenkönig höchstpersönlich eine Privataudienz gewähren. Doch genug des Träumens, er musste seinen erbeuteten Schatz in Sicherheit bringen. Zunächst gab er den Auftrag, die Fleute in Terracotta Marmot umzubenennen, warum sollte er auch unter einem widerlichen Rosenbauern-Namen weitersegeln? Vier Besatzungsmitglieder der Ter Goes schlossen sich ihm freiwillig an, weitere wurden auf dem nahe gelegenen Inselarchipel Los Roques östlich von Curacao ausgesetzt. Die übrige Besatzung, unter ihnen der Koch, der Chirurg und der Lotse, wurden von Fleury in Dienst gepresst. Mit diesem Schiff hatte er, wie nur wenige Piraten, ein großes Flaggschiff mit über 40 Kanonen für seine nunmehr aus drei Schiffen bestehende Flottille.

Als er sein Fernrohr hob und die „Bedrohung“ erblickte, wegen der einer seiner Männer ihn aus seinen verdienten Tagschlaf gerissen hatte, musste er lauthals lachen. Da war sie nun, der ganze Stolz der Royal Navy! Zwei Schaluppen und eine Brigg - nicht einmal etwas Anstand hatten diese Teetrinker, ihn mit einer Fregatte zu jagen. Dabei war er sich doch ziemlich sicher, dass die Tarnung seiner wertvollen Fleute als Linienschiff noch nicht aufgeflogen war, hatte er sie doch in den letzten Wochen noch weiter ausbauen lassen. Handelsfahrer waren so leicht zu verwirren, achteten sie doch nicht auf Details bei der Schiffserkennung. Bei Seefahrern der Kriegsmarine sah das wieder gänzlich anders aus, deswegen hatte er um jede Kriegsflotte, die er in den letzten Wochen zu kreuzen vermochte, einen großen Bogen gemacht. Nicht mehr weit und der sichere Hafen der Inseln über dem Winde waren nah. Aber zuvor, so schwor er es sich, würden diese britischen Bastarde durch die Kanonen des holländischen Verbündeten auf den Meeresgrund der Karibik sinken!

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Re: An Empire on which the Sun never sets !

Beitragvon Thanatus » 21. Dezember 2010 03:40

Kapitel 2.2 – Preis der Ehre

Angestrengt versuchte James Berkeley, durch den sich auf dem karibischen Meer ausbreitenden Dunst im Nordwesten die Aufbauten der Feindschiffe auszumachen, während seine Flottille mit vollen Segeln im Wind segelte. Er hatte den Lieutenants der Schaluppen Argyll und Amphion an Steuerbord den Befehl gegeben, sich in einer Kiellinie zu positionieren, um einen geschlossenen Verband zu bilden, welcher so über massierte Feuerkraft verfügte. Genau so wie vor dem Aufbruch aus Grand Bahama abgesprochen, würde das Kommando über diesen Verband innerhalb der Flottille der stellvertretende Kommandeur Lieutenant Dominique Worley haben. Angespannt schweifte sein Blick kurz zur Argyll. Ob sich ihr junger kommandierender Seeoffizier William Towers wohl seit dem Treffen im Hafen und der anschließenden Verspottung von Worley mit eben diesen noch verstehen würde? Er hoffte inständig, dass unter den beiden kein Kompetenzgerangel ausbrach. Berkeley selbst würde mit der Sceptre aus dem Verband herausgelöst in die Schlacht eingreifen und dort aushelfen, wo gerade die größte Not an einem wahren Seemanne sei. Sceptre. Gleich dem Zepter des Königs war das Schiff in diesem Augenblick, Aug in Aug mit den Feinden der Krone, ein Symbol der Macht von Willhelm III.

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Mittlerweile hatte er die zwei zuvor unbekannten Feindschiffe erkannt, eine Brigg namens Amethyst Barracuda sowie die Schaluppe Liberty. Um diese machte er sich weniger Sorgen als um das tatsächliche Problem, das feindliche Linienschiff, dessen Name er nicht erkennen konnte. Anscheinend waren die Gerüchte wirklich wahr, ein Linienschiff in den Händen von Piraten. Das war nun wirklich die Chance, auf die er seit Monaten gewartet, sich geradezu gesehnt hatte. Er blickte in die Gesichter der Männer um sich und sah neben der üblichen Angst auch Furcht. Keine besonders gute Voraussetzung für eine Schlacht auf Leben und Tod. Er fing an, an seiner Entscheidung zu zweifeln. Sollte er wirklich das Leben von so vielen Männern aufs Spiel setzen, nur um der Admiralität ihre Inkompetenz beweisen zu wollen?

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Wie er aus den Augenwinkeln beobachten konnte, nahm der Verband aus der Argyll und Amphion bestehend inzwischen Kurs nach Westen, um die Feindschiffe von Backbord unter Feuer zu nehmen. Anscheinend funktionierte die Kommunikation zwischen Worley und den Lieutenants fabelhaft, denn sie hielten sich genau nach dem vorher besprochenen Plan.

Plötzlich meldete der Ausguck ungewöhnliche Seemanöver des Feindes. Prompt zog Berkeley sein Fernrohr wieder aus. Tatsächlich, die Amethyst Barracuda und Liberty zogen am Linienschiff vorbei und bildeten somit einen hölzernen Schutzring um das Dickschiff. „Da ist doch etwas faul!“, durchfuhr es ihn und er richtete sein Fernrohr auf das Linienschiff. Kein Admiral der Welt würde seine Hilfsschiffe als Schutzschild für ein Linienschiff verwenden, wusste man doch, dass es viel effektiver war, ein Linienschiff im direkten Breitseiten-Feuerkampf einzusetzen, wo es seine verheerende Feuerkraft ausnutzen konnte. Als er das Deck und die Aufbauten des vermeintlichen Linienschiffes näher betrachtete und das Schaf im Wolfspelz erkannte, musste er unweigerlich grinsen. Eine Fleute! Zwar nicht ganz so ruhmreich wie ein Linienschiff, aber immerhin. Aber warum sollte man ein gewöhnliches Handelsschiff nahezu so perfekt tarnen? Dem wollte er nun sichtlich genauer auf den Grund gehen, drehte sich zu seinen Männern um und verkündete die Neuigkeit. Die Seemänner waren sichtlich erleichtert, einige von ihnen brachen sogar kurz in Jubel aus, fielen auf die Knie und dankten Gott für dieses Wunder. Als er dies sah, verdrehte Berkeley die Augen, sparte sich jedoch seinen Kommentar. Sollten sie doch ruhig glauben, solange es ihnen die Furcht vor dem Kämpfen nimmt!

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Der Verband hatte mittlerweile das Feuer auf die gegnerische Brigg und die Schaluppe eröffnet, hielt sich jedoch aus dem Feuerradius der Fleute fern. Ein weiser Entschluss von Worley, denn auch eine Fleute verfügte noch über genügend Kanonen, um die kleinen Zweimaster in Windeseile auf den Grund des Meeres zu schicken. Berkeley indes manövrierte die Sceptre auf Kurs Nord um die gegnerische Brigg unter Feuer zu nehmen und sie in einem direkten Feuerkampf zu binden. Kaum war die Amethyst Barracuda, im effektiven Bereich der Breitseite, gab Berkeley seiner Besatzung auf dem Geschützdeck den Befehl zum Feuern. Fire ! Ihm kam es so vor, als ging sein Befehl im Lärm der Kanonen unter. Holz splitterte, die Schreie der gegnerischen Matrosen hörte man über die, zugegeben, geringe Kampfentfernung sehr deutlich. Aber auch unter der Sceptre gab es erhebliche Verluste. Als kurze Zeit später die Amethyst Barracuda Kurs Nord-Nordost einschlug, um dem direkten Feuerkampf zu entfliehen, zählte Berkeley nur noch 9 einsatzbereite Geschütze und circa 60 kampfbereite Matrosen. Dennoch wollte er die Brigg nicht entkommen lassen und setzte ihr Richtung Norden nach.

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In der Zwischenzeit waren die Argyll und Amphion nicht untätig gewesen, sie hatten die Liberty stark in Mitleidenschaft gezogen und ebenfalls zum Fliehen veranlasst. Diese hatte zunächst Kurs Osten eingeschlagen, jedoch hatte ihr Kommandant wohl dann gemerkt, dass es ratsamer wäre, nicht gegen sondern im Wind zu fahren. So drehte die Liberty nach Westen in Richtung der vermeintlichen Sicherheit der dort lauernden Fleute. Der Verband, welcher der Liberty die ganze Zeit über nachhetzte, achtete weiterhin penibel darauf, außer Reichweite der Geschütze der Fleute zu sein. Anscheinend bemerkte Dominique Worley, dass die Mannschaft der Liberty wohl wieder neuen Mut gefasst hat, er ließ jedenfalls sämtliche Segel setzen und setzte seinen Verband in den Wind, um den nächsten Angriff zu fahren.

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Währenddessen wurde Berkeley klar, dass er die Amethyst Barracuda nicht einholen und sich zugleich nah genug am Verband unter Worley befinden könnte, um diesen beistehen zu können. So drehte er Richtung Südwesten ab, um die Liberty abzufangen und ihr endgültig den Rest zu geben. Es war ein Musterangriff, wie er in jedem Lehrbuch stehen sollte. Die Sceptre band die Liberty in einem direkten Feuerkampf und umkreiste sie dabei ständig, um dem Verband unter Worley genug Zeit zu verschaffen, sich ebenfalls in Schussposition zu bringen. Nach einer Salve des Verbandes ergab sich die Schaluppe und sank kurz darauf auf den Meeresgrund.

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Der Ausguck der Sceptre meldete hektische Bewegungen auf der Fleute, die bis dahin ruhig im Wasser umhertrieb und darauf hoffte, dass einer von Berkeleys Offizieren so dumm war, in den Feuerbereich der todbringenden niederländischen Kanonen zu segeln. Welch törichtes Abwarten, wusste Berkeley doch genau, dass der Angriff die beste Verteidigung sei. Das hatte nun wohl auch die gegnerische angeschlagene Flottille verstanden, denn die Fleute setzte volle Segel auf Kurs West und auch die Amethyst Barracuda mit Kurs auf Süden schien wieder in den Kampf eingreifen zu wollen. Berkeley musste schmunzeln. Worley, dieser Teufelskerl, hatte seinen Verband schon in eine hervorragende Ausgangsposition manövriert und musste so die Falle, die er der feindlichen Brigg gestellt hatte, nur noch zuschnappen lassen. Nachdem er der Brigg den Fluchtweg nach Süden versperrt hatte und eine massierte Salve der zwei britischen Schaluppen befahl, ergab sich auch die Brigg, welche aufgrund der massiven Schäden am Rumpf sogleich sank.

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Nun war also nur noch diese langsame, doch durchaus immer noch gefährliche Fleute übrig. Sie war bisher kaum beschädigt worden, hatte sie doch bewegungslos auf der ruhigen See gelauert. Mittlerweile hatte sie Kurs Nordwest zur Verfolgung der Sceptre gesetzt. Berkeley, wohlwissend, dass seine Brigg der Fleute in Punkto Manövrierfähigkeit und Geschwindigkeit weit überlegen war, begann nach seinem Befehl hin mit dem Kreuzen vor der Fleute, um bei den ständigen Wendemanövern Breitseite nach Breitseite auf die Piraten abzufeuern. Währenddessen hatte der Verband um Worley eine Kehrtwende beschrieben und setzte volle Segel auf die Steuerbordseite der Fleute, um sie aus größerer Entfernung unter Feuer zu nehmen und so Berkeley zu entlasten. Als der Verband das vermeintliche Linienschiff achteraus gelassen hatte, setzte er sich wie Berkeley vor ihren Bug und fuhr unter Einsatz der hohen Manövrierfähigkeit der Schaluppen Kehrtwenden, um das Handelsschiff weiter zu bedrängen und zu schwächen.

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Berkeley wurde ungeduldig. Irgendwann mussten diese Piraten doch einsehen, dass sie keine Chance hatten. Seit gefühlten Stunden kreuzten sie nun schon vorm Bug der Fleute und nahmen sie aus allen Rohren unter Beschuss. Er sah sich auf dem Deck der Sceptre um. Nur noch acht von den einst 26 Kanonen waren einsatzbereit, 26 britische Seemänner hatten auf diesem Schiff bereits ihr Leben verloren. Würde all das die Kaperung des Schiffes rechtfertigen? Er merkte anhand der Neigung des Decks, dass die Sceptre einen weiteren Angriff von der Steuerbordseite einleitete, und blickte wieder auf die Fleute, welche sich auf einmal auf der Stelle zu drehen begann. Ihm stockte der Atem, als er die geöffneten Geschützpforten mit den ausgerannten Kanonen erblickte. Es sollte das letzte sein, was er in seinen Leben sehen sollte - feuernde niederländische Geschütze.

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Mit einem fanatischen Lächeln auf den Lippen blickte Charles Fleury nach Westen. Dort fuhr die britische Brigg gerade eine Wende, um ihre wenigen noch einsatzbereiten Steuerbordgeschütze zum Einsatz gegen seine minimal beschädigte Fleute zu bringen. Sein erster Offizier meldete ihm noch 120 einsatzbereite Matrosen von den einst 145 Seemännern, nur 3 Kanonen hatte die Terracotta Marmot bisher verloren. Eine sehr gute Ausgangslage um den Briten endgültig einen Denkzettel zu verpassen. Auf die Chance, die sich ihm jetzt bot, hatte Fleury nur gewartet. Stundenlang kreuzten die Briten vor seinem Flaggschiff und erhofften sich wohl, durch einen Glücksschuss die Pulverkammer zu treffen. Jedenfalls hatte ihnen die Aktion außer Munitionsverschwendung nicht viel gebracht, die Konstruktion der Fleute erwies sich als sehr stark.

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Es war für ihn schon schlimm genug, die Liberty und Amethyst Barracuda aufgeben und sinken zu sehen. Nicht etwa, weil er sich daran die Schuld gab. Nein, die Schuld trugen allein die inkompetenten kommandierenden Seeoffiziere, hatte er ihnen doch befohlen, als geschlossener Verband zu operieren, so wie es die zwei britischen Schaluppen mit Erfolg getan haben. Innerlich verfluchte er seine ertrunkenen Befehlshaber dafür, aber der Tod war auf See eben eine gerechte Strafe für fatale Fehler. Genau solch ein Schicksal würde nun auch der Sceptre zuteil werden, welche das Drehen seines Schiffes erst jetzt bemerkt hatte und mit Kurs auf Nordwest vergeblich versuchte, das Unausweichliche zu verhindern. Er blickte auf das Deck seiner Fleute und spürte die angespannten Blicke der Geschützbedienungen auf ihn ruhen, in Erwartung des kommenden Befehls. Ouvrez le feu !

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Das Donnern der fast zwei Dutzend Kanonen erfolgte auf den Schlag und ließ den Rumpf der Fleute erzittern. Als die Kugeln in der Brigg einschlugen, brachten sie Tod und Verwüstung. Kein Wunder, dass der Zweimaster daraufhin die Flucht nach Nordwesten begann, jedoch sollte sie nicht weit kommen. Die letzte Breitseite der Terracotta Marmot hatte mannsgroße Löcher in den Rumpf geschlagen, in dem nun das warme Salzwasser der Karibik eindrang und das Boot zum Kentern brachte. Charles Fleury lächelte zufrieden und wandte seinen Blick zu dem Feindverband, welcher das Feuer eingestellt hatte und Kurs auf die sinkende Brigg nahm. Er runzelte die Stirn. Anscheinend wollten sie wohl ihren Befehlshaber retten. Diese verdammten Briten, flüchteten vor einem Kampf um ihre Goldtressenträger nicht ersaufen zu lassen. Er wollte schon seinen Blick vom Feindverband lassen und seinem ersten Offizier die nächsten Befehle erteilen, als er sah, wie die britischen Schaluppen eine Kehrtwende beschrieben und wieder zum Angriff ansetzten. Ja, kommt nur her, wir Franzosen werden euch das Fürchten lehren !

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Mit tiefer Bitterkeit und einer Träne im Auge ließ Lieutenant Dominique Worley von der sinkenden Sceptre ab. Er hatte just nach dem verheerenden Kugelhagel auf die Kriegsbrigg das Feuer einstellen lassen und volle Segel in Richtung des kenternden Schiffes gegeben, in der Annahme einige britische Seeleute noch vor dem Ertrinken retten zu können. Doch dann besann er sich eines Besseren. Menschlichkeit war bei dem Krieg zur See eine Schwäche, höchstwahrscheinlich wäre die gesamte Besatzung der Sceptre bereits vor Eintreffen der Schaluppen ertrunken, da eh keiner dieser Männer schwimmen konnte.

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Er dachte an James Berkeley. Auch wenn er mit ihm oft nicht einer Meinung war, so hatte er ihn doch aufgrund seiner seemännischen Qualifikation geschätzt. Zweifellos war er der beste Kommandeur von Zweimastern, welchen die Royal Navy hatte. Und nun sank sein Leichnam auf den Grund des Karibischen Meeres, tausende Seemeilen entfernt von seinem Heimatort auf den Britischen Inseln. Wut auf diese Piraten machten sich in ihm breit, er würde diese Fleute zur Ehre von Berkeley erobern und sie nach ihm benennen - ihm somit ein Denkmal setzen.

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Worley wandte sich sogleich an Lieutenant William Towers, Kommandant der Argyll, und befahl ihm das Wenden nach Norden. Ungläubig schaute Towers den neuen Kommandeur der Fottille an. „Aber, Mr. Worley, das würde ja bedeuten, dass wir eine neue Angriffsformation einnehmen würden?!“ Worley antwortete barsch: „Natürlich! Wollen Sie mich wieder verspotten oder endlich meinen Befehl ausführen? Wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit, diese Fleute zu erobern!“. Das hatte gesessen. Sichtlich veränderte sich die Hautfarbe von William Towers, hatte er doch mitbekommen, was mit der Sceptre geschehen ist, als sie einen Moment unachtsam war. Bei dem Befehl, dieses vor Kanonen strotzende Schiff anzugreifen, bekam er Todesangst und versuchte nach Luft zu schnappen. Wollte sich Worley nun an ihm rächen, nachdem er ihn im Hafen als Feigling verspottet hatte? Worley griff Towers an den Schultern und zog ihn auf Flüsterlautstärke zu sich heran. „Ich will sie vor ihren Männern nicht bloßstellen. Vergessen sie für einen Moment das, was sich im Hafen von Grand Bahama ereignet hat. Ich brauche sie mit ihren Fähigkeiten hier auf diesem Schiff! Jetzt!“ Diese Worte trafen anscheinend des Pudels Kern. Towers sammelte sich und gab die Befehle an seine Schiffsbesatzung weiter.

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Zufrieden beobachtete Worley das weitere Treiben an Bord der Argyll. Stundenlang noch kreuzten sie mit der achteraus fahrenden Amphion vor dem Bug der Terracotta Marmot. Ihm fiel ein, was für ein komischer Name das sei, hatte er ihn doch erst jetzt lesen können, als die Tarnung am Bug versagte. Vielleicht war der Piratenkapitän des Schiffes ein Liebhaber von Murmeltieren aus gebranntem Ton? Wer weiß, vielleicht würde er es ja bald von ihm selbst erfahren.

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Breitseite um Breitseite ließen die beiden Schaluppen auf die Fleute niedergehen, mit der Zeit zeigte diese Beharrlichkeit ihre Wirkung. Die Tarnung als Linienschiff war weggeschossen, der Rumpf der Terracotta Marmot sah aus wie ein Schweizer Käse – voller Einschusslöcher übersät. Die Fleute hatte nicht einen Hauch einer Chance, ihre Feuerkraft einzusetzen. Worley hatte aus dem Fehler von James Berkeley gelernt und immer wieder darauf geachtet, mit seinem Verband nicht in die Reichweite der Geschütze der Piraten zu gelangen. Als die Fleute nun zum letzten Widerstand überging und zu fliehen versuchte, musste ihr Kapitän doch schon wissen, dass es ein unnützer Versuch wäre. Mit den schnellen Schaluppen hätte Worley die Terracotta Marmot jederzeit abfangen können.

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Nachdem Lieutenant Oscar Lake auf der Amphion eine weitere Salve aus nächster Nähe befahl, wurde dem Kommandeur der Fleute die ausweglose Lage wohl ebenfalls klar, denn nach sage und schreibe über 9 Stunden Kampf hissten die Piraten an Deck des einzig verbliebenen Schiffes der Freibeuter die weiße Flagge. Er hoffte, dass diese Beute das Fehlverhalten nunmehr seiner Flottille entschuldigen würde, hatten sie doch ohne Zustimmung der Admiralität einen Feindverband angegriffen. Entgegen seiner Furcht vor Bestrafung würde er mit seiner drei Schiffe umfassenden Flottille gen Grand Bahama segeln um sich dort endgültig mit der Flottille unter Admiral John Leake zu vereinen.

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Als Lieutenant Dominique Worley zum Übersetzen auf die Fleute ansetzte, um mit dem Kapitän die Übergabe des Schiffes abzuhandeln und mit ihm eine Tasse Tee zu trinken, ahnte er noch nicht, was für ein Reichtum in den Ladeluken der Terracotta Marmot schlummerte und welch Ruhm und Ehre ihm dieses Handelsschiff in der Heimat einbringen würde.

[to be continued]
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Beitragvon Thanatus » 21. Dezember 2010 03:42

Kapitel 3 – Zuckerbrot oder Peitsche

London – Westminster Palace, 27. Februar 1700

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Als Sidney Godolphin, Premierminister der Regierung seiner Majestät Willhelm III., die Commons Chamber betrat, bereitete ihm wie in den letzten Tagen und Wochen schon die finanzielle Situation des Staates Sorgen. Der König hatte ihn beauftragt, vor dem Unterhaus, dem House of Commons, zu sprechen um die Zustimmung für die anstehenden Bauprojekte sowie der Verstärkung des Militärs einzuholen. Der König würde just in diesem Augenblicke vor dem House of Lords, dem Oberhaus, sprechen und dort auf Vertrauen und Zusage hoffen. Dieser Zweikammerparlamentarismus war wirklich eine Herausforderung. Das Oberhaus erstarkte zwar zunehmend immer mehr, jedoch waren - seit Willhelm III. die Bill of Rights unterschrieben hatte - die Unterhäuser von Irland, Schottland und England stärker als je zuvor. Der König musste nun das Parlament in regelmäßigen Abständen einberufen und benötigte dessen Zustimmung zur Erhebung von Steuern, Abgaben und Folterei, sowie zum Unterhalt eines stehenden Heeres in Friedenszeiten. Darüber hinaus begründete das Gesetz die Immunität der Parlamentsabgeordneten: Sie genossen völlige Redefreiheit im Unterhaus und mussten sich für Vergehen künftig nur noch vor diesem selbst, aber nicht mehr vor dem König oder seinen Gerichten verantworten.

Sein Blick schweifte im Raum des Versammlungsortes des Unterhauses. Mit 68 Fuß Länge und 46 Fuß Breite ist der Saal weitaus nüchterner ausgestattet als die Lords Chamber. Die Sitzbänke wie auch alle weiteren Möbel auf der Commons-Seite des Palastes waren in Grüntönen gehalten. Grün wurde mit dem Unterhaus in Verbindung gebracht, Rot mit dem Oberhaus.

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Sidney Godolphin erblickte den Stuhl des Speakers, des Vorsitzenden des Unterhauses, am nördlichen Ende des Saales. Vor diesem speaker’s chair stand der table of the house, der Arbeitsplatz der Protokollführer. Auf diesen lag das Mace - der Amtsstab des Unterhauses, ein golden verzierter Streitkolben. An den Längswänden waren je fünf Sitzbankreihen angeordnet. Godolphin erkannte in einigen Gesichtern sein Kabinett - die Abgeordneten der Regierungspartei saßen rechts vom Speaker, jene der Opposition auf der linken Seite. Im Gegensatz zum Oberhaus gab es keine Querbänke. Der Saal war relativ klein und bot lediglich Platz für 427 der insgesamt 646 Unterhausabgeordneten. Bei Routinesitzungen waren allerdings bei weitem nicht alle Abgeordneten anwesend. Bei seinen wöchentlichen Fragestunden, den so genannten Prime Minister's Questions, und bei wichtigen Geschäften standen Abgeordnete, die keinen Platz mehr gefunden haben, an beiden Enden des Saales. Dies war heute jedoch nicht der Fall, war es doch eine normale Sitzung des House of Commons.

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Er erinnerte sich an die Worte des Königs bei der unlängst stattgefundenen Vollversammlung der Regierungsmitglieder im Januar: „Mr. Godolphin, sie wissen um unsere Situation fast genauso gut Bescheid wie unser ehrenwerter Finanzminister Mr. Smith, sind sie doch selbst ein Bankier und verstehen, mit Geld umzugehen. Machen sie dem gemeinen Mob klar, dass diese Reformen und Bauvorhaben von wichtigem Wert für die Krone sind!“ Er hatte in dem Moment nur kleinlaut beigegeben, doch nun, kurz vor seiner Rede, wurde ihm ganz flau im Magen. Wie sollte er dem Unterhaus nur weißmachen, dass diese für die Wirtschaft so wichtigen Bauprojekte durch die Staatskasse getragen werden konnten? Sein Privatsekretär hatte ihm hochbrisante Informationen von Mr. Smith gebracht, welcher wohl kalkuliert hatte, dass dieses Unternehmen mehrere Tausend Pfund Sterling kosten würde. Mit der derzeitigen Finanzlage war das unmöglich zu finanzieren, sollte er das Unterhaus wirklich anlügen?

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Selbst die mittlerweile geschlossenen Handelsabkommen hatten ironischerweise ein weiteres Loch in die Staatskasse der britischen Krone gerissen, welche nur noch 6710 Pfund Sterling betrug. Die preußischen Gesandten von dem vom Militär besessenen König Friedrich I. entgegneten dem britischen Konterfei bei einem Angebot auf ein Handelsabkommen, dass sie bei einer Zahlung von 260 Pfund Sterling bereit dazu wären. Die Briten wären dumm gewesen, hätten sie dieses Gegenangebot nicht akzeptiert, wäre dieser Geldbeitrag mit dem florierenden Handel zwischen London und Berlin doch nach wenigen Jahren wieder erwirtschaftet gewesen. Das Marathenreich gab sich mit weit weniger zufrieden, denn dieses wollte überhaupt keinen Ausgleich. Gerüchten zufolge wird vermutet, dass der britische König einige seiner Uniformen auf eines der ersten Handelsschiffe nach Fernost verladen ließ, um sie der jungen Marathenführerin Tarabai zukommen zu lassen. Es schien, als ob sie von Männern in Uniformen sehr angetan sei – ein Charakterzug, den Willhelm III. nur zu gut kannte.

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Den Vogel schoss jedoch der aufgeklärte Allein- und Gewaltherrscher von Savoyen, Victor Amadeus II., ab. Dieser, sich der Bedrohung Frankreichs wohl bewusst, hatte seinen Diplomaten die Anweisung gegeben, neben dem Handelsabkommen ein militärisches Bündnis mit London zu schmieden, dafür sollte von der Insel ein Beitrag von 3000 Pfund Sterling bezahlt werden. Die Gesandten von Willhelm III. gingen auf das Angebot nicht ein, da sie befürchteten, so zeitig in einen militärischen Konflikt mit Frankreich zu geraten. Savoyen verhandelte verbittert, versprach militärischen Zugang und variierte die zu erfolgende Zahlung, doch die Diplomaten der Krone blieben hart. Letztlich konnte ein Handelsabkommen zum Preis einer Zahlung von 530 Pfund Sterling ausgehandelt werden.

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Lediglich nach Österreich schickte Willhelm III. keinen Botschafter, da er sich alsbald seinen protestantischen Wurzeln verpflichtet sah und ein Handelsabkommen mit dem Feinde Preußens ein schlechteres Verhältnis zur Militärmonarchie an der Ostsee bedeutet hätte. Alles in allem wurde das Handelseinkommen durch die Schließung der neuen Verträge zwar anderthalbfacht, jedoch würde diese Maßnahme nie im Leben ausreichen, die dürftig gefüllte Staatskasse zu füllen.

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Godolphin fragte sich, warum nicht der König selbst seinem Parlament die Ehrerbietung machte. Auf ihn würden sie vielleicht eher hören als auf einen niederen Premierminister aus dem gemeinen Volke. Doch dann entsann er sich eines Besseren. Der letzte Monarch, der die Commons Chamber betreten hatte, war König Karl I., als er am 4. Januar 1642 den Antrag stellte, fünf Abgeordnete wegen Hochverrats verhaften zu lassen. Damals wies William Lenthall, der damalige Speaker, die Forderung jedoch zurück und weigerte sich, deren Aufenthaltsort preiszugeben. Dieses Ereignis galt als einer der Auslöser des englischen Bürgerkrieges. Seitdem hatte nie wieder ein König der Inseln den Versammlungsort des Unterhauses betreten. Sogar extra für dieses Ereignis wurde das zeremonielle Protokoll für die Parlamentseröffnung geändert.

Bei eben dieser Parlamentseröffnung fuhr der Monarch mit einer Kutsche zum Palast und betrat diesen durch den Sovereign’s Entrance. Nachdem er im Robing Room die königlichen Roben angezogen und die Imperial State Crown aufgesetzt hatte, begab er sich zur Lords Chamber und setzte sich dort auf den Thron. Er bat nun den Gentleman Usher of the Black Rod, einen hohen Beamten, der für die Sicherheit der Lords Chamber zuständig war, die Mitglieder des House of Commons in den Saal einzulassen. Es war Tradition, dass ein Mitglied des Unterhauses sich als Geisel im Buckingham Palace aufhalten muss, während der Monarch im Parlament weilt; dies sollte die sichere Rückkehr gewährleisten. Dem Gentleman Usher of the Black Rod wurde bei Ankunft die Tür der Commons Chamber vor seinen Augen geschlossen. Der Black Rod klopfte mit seinem schwarzen Stab aus Ebenholz und einem goldenen Löwen dreimal auf die Tür. Von der anderen Seite ertönte die Frage: „Who is there?“, woraufhin er mit „Black Rod“ antworteten musste. Er gab dann bekannt, dass der Monarch die Unterhausabgeordneten zu sehen wünsche. Es war üblich, dass ein oder zwei langjährige Abgeordnete dabei versuchten, den Black Rod durch Zwischenrufe aus dem Konzept zu bringen. Dieses Ritual sollte zeigen, dass das Unterhaus vom Staatsoberhaupt völlig unabhängig ist.

Allzu gern wäre Godolphin jetzt lieber in den Armen seiner Mätresse als mit all diesen Vertretern des Volkes in einem Raum. Wie sollte er den Abgeordneten die Situation nur adäquat erklären? Godolphin erspähte den Marineminister John Egerton, welcher anscheinend in einer hitzigen Debatte mit Mr. Smith, dem Finanzminister war. Er gesellte sich zu ihnen und erfuhr, worum sich diese Diskussion drehte. Anscheinend hatte ein Flottillenkommandeur namens James Berkeley in der Karibik aufgrund der Gerüchte um die Außerdienststellung der königlichen Briggs und Schaluppen beweisen wollen, dass mit kleinen Marineeinheiten durchaus größere Schiffe erbeutet werden konnten. Nach Ankunft im Hafen von Grand Bahama wurde die Besatzung der Schiffe Berkeley, Argyll und Amphion durch Marinesoldaten von Admiral John Leake festgesetzt und vernommen. Laut der Vernehmung seines Nachfolgers, Dominique Worley, hatte sich Berkeley nicht wie durch die Admiralität angewiesen mit Admiral Leake vereint, sondern eigenmächtig den Befehl auf den feindlichen Kaperverband erteilt. Dabei ist er selbst auf der Brigg Sceptre auf See gefallen, Worley konnte den Feindverband aufreiben und eine schwer beschädigte gekaperte Fleute erbeuten, welche er seinem früheren Vorgesetzten zu Ehren in Berkeley umbenannte. Dabei hatte er wohl den Fang des Jahrzehnts gemacht. Der Marineminister schilderte von der Erzählung Worleys, dass dieser noch die Gelegenheit hatte, mit dem durch das Gefecht schwer verletzten französischen Kaperkapitän Charles Fleury zu reden und von ihm im Fieberwahn erfahren hatte, dass im Bauch der Fleute ein unvorstellbar großer Schatz schlummerte. Sogleich machte sich Worley daran, den Lagerraum zu erkunden und stoß neben Tonnen von unschätzbar wertvollen Gewürzen aus Asien auch auf südamerikanische Edelsteine und Gold aus der Provinz Niederländisch-Guyana. Bei diesen Gütern hatte es keinem mehr verwundert, dass diese Niederländer eine Fleute als Linienschiff getarnt hatten. Die Situation richtig einschätzend, befahl Worley sogleich eine Inventur der Handelswaren und ließ bewaffnete Posten aufstellen um Diebstahl unter der Besatzung zu verhindern. Er setzte volle Segel in Richtung Grand Bahama und ließ seine Eskorten, die Argyll und die Amphion die See weiträumig observieren um jeder potentiellen Bedrohung ausweichen zu können.

Laut Finanzminister Smith, welcher neben dem offiziellen Bericht Worleys auch dessen Inventurlisten vor zwei Tagen durch ein Kurierschiff in die Hände bekam und auf der Stelle erste Berechnungen durch den Kontrolleur vom aufrechten Oberrichter William Cowper anstellen ließ, belief sich der Wert dieser erbeuteten Handelswaren auf circa 40.000 Pfund Sterling, welche umgehend in die Staatskasse umgebucht werden sollten. Godolphins Miene erhellte sich spürbar. Falls diese Kalkulation auch nur annähernd stimmte, war das Königreich von Willhelm III. gerettet. Eine solche Finanzspritze würde ausreichen, um die notwendigen Reformen und Bauvorhaben durchzuführen. Wer weiß, vielleicht war sogar noch eine Truppenaufstockung im Bereich des Möglichen. Das würde Armeeminister Mr. Clarke sicherlich höchst erfreuen und selbst für die Flotte wäre ein Linienschiff 4. Klasse durchaus machbar.

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Doch Egerton wollte von all dem nichts hören, er pochte auf ein Exempel. Noch nie hatte sich ein Flottillenkommandeur unter seinem Oberkommando derart außer Rand und Band benommen, Worley hätte James Berkeley als stellvertretender Kommandeur von dieser irrwitzigen Idee davon abhalten müssen, einen Verband mit einem vermeintlichen Linienschiff und zwei nicht klassifizierten Schiffen anzugreifen. Er wollte eine harte Bestrafung für den Mann, welcher in diesem Moment augenscheinlich für das Wohle der ganzen Nation gesorgt hatte. Godolphin betrachtete argwöhnisch Egertons Ausführungen. Für Godolphin war Dominique Worley ein Nationalheld. Schließlich war es ihm nicht nur zu verdanken, dass die Wirtschaft des Reiches nicht bankrott wurde. Der Sieg zur See sprach sich anscheinend auch in der Bevölkerung herum, denn laut den königlichen Statistikern stieg die Regierungsbeliebtheit schlagartig um die Hälfte auf 60 % an.

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Aus seinen Augenwinkeln sah er, wie Elliot Forbes auf die kleine Menschentraube zusteuerte. Der zuständige Gouverneur für die kolonialen Besitztümer in Amerika war nun schon seit zwei Wochen in London. Godolphin fragte sich, ob der religiöse Forbes wohl überhaupt wieder zu seinem Dienstsitz auf Jamaika zurückkehren wollte, hatte er doch bisher jeden Abreisetermin wegen einer Kirchenbesichtigung mit anschließendem Gespräch über etwaige missionarische Tätigkeiten in der Neuen Welt verschoben. Mit einem Grinsen über das ganze Gesicht fing der Gouverneur an, von der Heldentat des Dominique Worley zu schwärmen, war die gefährliche Karibik doch um einen feindlichen Kaperverband ärmer. Es war erstaunlich, dass dieser trotz seiner unverkennbaren französischen Abstammung sich einer solchen Beliebtheit erfreute, waren doch die Franzosen seit jeher der Erzfeind des Inselvolkes.

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Es kam zum entscheidenden Streitgespräch zwischen Egerton auf der einen sowie Smith, Godolphin und Forbes auf der anderen Seite. Erst nach einer Zusage für den Bau von mindestens zwei Linienschiffen 4. Klasse zeigte sich der Marineminister einsichtig. Er würde Dominique Worley einen Brief schreiben, in dem er ihn wegen seines Verhaltens vor dem unzulässigen Angriff verwarnen, jedoch gleichzeitig ein Lob für die Kaperung der wertvollen Fleute aussprechen würde. Worley bekam laut Egerton so eine zweite Chance, sich zu beweisen und das in ihn gesetzte Vertrauen mit exzellenter Diensterfüllung zu beantworten.

Pünktlich auf die Minute mahnte der Speaker die versammelten Abgeordneten zur Ruhe und eröffnete die Sitzung des Unterhauses. Er übergab das Wort an den Premierminister, woraufhin sich Sidney Godolphin vom Stuhl erhob und an den table of the house trat.

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Sein Blick ruhte kurz auf dem goldenen Streitkolben, bevor er seine Stimme in der lähmenden Stille des Saals erhob und von weit reichenden Bauvorhaben erzählte, welche nun dank des kühnen Flottillenkommandeur Berkeley in die Tat umgesetzt werden konnten. Nach seiner flammenden Rede stimmte das Unterhaus neben der Zustimmung des Ausbaus sämtlicher vorhandener ökonomischer Infrastruktur für einen Trauerstaatsakt zu Ehren des verstorbenen James Berkeley sowie der Verstärkung des Militärs in Form vom Bau von zwei Linienschiffen 4. Klasse in den Werften zu Portsmouth, der Ausbildung mehrerer Regimenter Linieninfanterie in London sowie in Kingston und Regimenter zu Pferde in Schottland - in Hoffnung darauf, dass diese Soldaten nicht benötigt wurden. Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt schon vorliegenden Angriffspläne in Kreisen der militärischen Führung sollte diese Hoffnung alsbald zerschlagen werden...

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Beitragvon Thanatus » 21. Dezember 2010 03:44

Kapitel 4 – Ruhe vor dem Sturm


Vor der Küste Flanderns, 19. März 1700

Lieutenant Tristram Smeaton kniff seine Augen zusammen und blickte gen Südosten über die Westerschelde. Er hatte alle Mühe, das schaukelnde, sich auf die Küste bewegende Beiboot der Achilles in der Dunkelheit auszumachen. Er hoffte, dass sie jetzt in dieser wichtigen gefährlichen Phase von keinem aufmerksamen Nachtspaziergänger entdeckt würden, denn dann wäre die ganze Anstrengung seiner Besatzung vergebens gewesen und sie müssten diese heikle Mission abbrechen.
Vor einer Woche hatte Smeaton einen Geheimauftrag der Admiralität erhalten. Er sollte sich mit seiner Schaluppe vom Flottillenverband unter George Rooke, welcher in der Nähe des Hafen Portsmouth operierte, loslösen und in den Hafen zu Greenwich einlaufen. Dort würde ein Agent der Krone an Bord gehen, den er unter allen Umständen an der Küste vom spanisch besetzten Flandern aussetzen sollte. Flandern. Sein Blick streifte den blass zu erkennenden Küstenstreifen. Schon seit Jahrhunderten war dieser Landstrich im ständigen Wandel.

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Nach dem Tod Karls V. wurden die gesamten ehemaligen burgundischen Besitzungen einschließlich Flandern den spanischen Habsburgern zugesprochen. Diese versuchten mit Gewalt, den sich ausbreitenden Protestantismus zu unterdrücken. Deswegen, und auch wegen der Einschränkung der alten Freiheiten kam es zum Aufstand der niederländischen Provinzen gegen Spanien. Die Provinzen der Utrechter Union sagten sich 1579 von Spanien los und konnten ihre Unabhängigkeit im sogenannten Achtzigjährigen Krieg erkämpfen. Im Westfälischen Frieden 1648 wurde die Unabhängigkeit der nördlichen Niederlande international bestätigt, während Flandern mit den südlichen Provinzen unter spanischer Herrschaft verblieb.

Aufgrund der angespannten politischen Lage konnte Lieutenant Smeaton schon erahnen, was der Plan der militärischen Führung der Krone war, schließlich war er kein Dummkopf. Anscheinend plante ihr Verbündeter, die Vereinigten Provinzen, einen Angriff auf Flandern. Aus eben diesem Grunde sollte dieser ominöse Agent die Observierung des Landes übernehmen und Schlüsselinformationen über die spanische Truppenstärke weiterleiten. Wer weiß, vielleicht würde er auch den einen oder anderen Spanier ausschalten. Dieser schwarzgekleidete Lebemann mit seiner schwarzen Maske, die die Konturen seines Gesichtes verhüllten, ließ ihm einen Schauer über den Rücken laufen. Er hatte den stillen, in sich gekehrten Agenten, dessen Namen er aus Sicherheitsgründen nicht erfuhr, nur bei der Einschiffung und bei der Ausschiffung gesehen. Er war an Bord der Achilles wie ein Geist gewesen. Als ob er einfach nicht da gewesen wäre. Bei Gott, diesem Menschen wollte man nicht seinen Feind nennen.

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Mittlerweile war das Beiboot ohne Komplikationen wieder zur Achilles zurückgekehrt und aufgenommen worden. Nach Meldung der erfolgreichen Aussetzung des Agenten durch den Bootsmaat ließ Smeaton die Achilles auf Kurs West gehen, es wartete schließlich schon der nächste Auftrag. Sie sollten sich mit George Rooke in der Straße zu Dover wiedervereinigen und dort eine Blockade gegen spanische und französische Schiffe errichten. Wenigstens würden sie – zwar nur aus der Ferne - dann wieder das geliebte Heimatland sehen können. Smeaton musste unwillkürlich grinsen – eine Schaluppe auf geheimer Mission. Anscheinend traute die Admiralität den nicht klassifizierten Schiffen nun mehr zu, seitdem der wahnsinnige Berkeley im Januar sein Himmelfahrtskommando in der Karibik durchgeführt hatte.

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Smeaton erinnerte sich an die Löslösung vom Verband unter Rooke. Kurz bevor die Achilles Kurs Ost gesetzt hatte, wurde der Flottillenverband von Rooke als Eskorte des eintreffenden Flottillenverband von Edward Russell eingesetzt. Anscheinend braute sich da in der Politik ein Sturm zusammen, auf die die militärische Führung Maßnahmen zur Verfügung haben wollte, denn dieser Konvoi, den sie da eskortiert hatten, war voller irischer Truppen. Er hatte neben den veralteten Pikeniertruppen auch Pferde auf den Oberdecks der Fregatten erkennen können. Dabei hatte Russell mit seinem Verband doch Anfang des Jahres noch in der Irischen See operiert. Er musste also in den Hafen von Waterford eingelaufen sein, um dort das II. Korps an Bord zu nehmen und nach Portsmouth einzuschiffen. Wo würden diese Truppen wohl eingesetzt werden und welcher Admiral sollte sie bis dahin mit seiner Flotte schützen? Wäre er mit der Achilles auch davon betroffen? Smeaton fiel der Name des Generals des II. Korps zwar nicht mehr ein, jedoch war er sich sicher, dass sie in den nächsten Jahren noch von seinen vermutlichen Heldentaten hören würden.

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Port Royal - Garnison des Militärgouverneurs, 02. Mai 1700

Im Lager des Militärgouverneurs in Port Royal saß Elliot Forbes in seinem Dienstzimmer. Seit nunmehr ein paar Tagen war er wieder auf der Karibikinsel Jamaika. Von den Fenstern aus sah er der Ausbildung neuer Rekruten zu Linieninfanteristen zu.

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Er wusste schon seit Wochen, was diesen unerfahrenen Männern in der Zukunft blühen sollte, hatte er doch bei seinem Besuch im Heimatland von dem Bericht eines Geistlichen namens Christopher Gambold erfahren. Dieser Pfarrer war in missionarischen Diensten der Dreizehn Kolonien, als er durch Georgia zog. Bei Ankunft im sicheren Charleston erzählte Gambold dem hiesigen General des Protektorates, James Moore, von den Zuständen in den Straßen Savannahs. Die dort herrschenden Cherokee gingen aufgrund dem Erstarken des Protestantismus gegen die weißen Siedler vor, sie töteten Geistliche, plünderten die Häuser der Gläubigen und entzündeten ihre Kirchen.

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Als Gambold sich in Savannah umsah, kamen viele Betroffene auf ihn zu und flehten ihn an, Hilfe zu holen. Geistesgegenwärtig veranlasste James Moore den Geistlichen dazu, seinen mündlichen Bericht auf Papier zu bringen und eben diesen dem Gouverneur der Dreizehn Kolonien zu senden. Dieser beantragte nun wiederum Hilfe beim Protektor, da er eine militärische Intervention nicht allein durchführen wollte, zumal das Königreich Spanien in unmittelbarer Nähe zum Krisenherd in Florida eine Kolonie ihr Eigen nannte.

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Forbes durchfuhr ein Seufzer. Dass christliche Mitbürger, noch dazu britischer Abstammung, von Wilden misshandelt und skalpiert wurden, war schon schlimm genug, aber dass diese Menschen ausgerechnet wegen ihres eisernen Glaubens an Gott und die Schöpfung umgebracht wurden, war für den religiösen Forbes untragbar. Zum Glück war seine Majestät selbst ein durchaus gütiger, wenn nicht sogar gläubiger Mensch, hatte er doch bei der Vorlage des Berichts seine Anteilnahme bekundet und seine militärische Führung mit der Formierung einer Armee betraut. Bald würde es sehr ungemütlich in der Neuen Welt werden.

Er erinnerte sich an sein Treffen vor gut einer Stunde mit dem General des Expeditionskorps. Kevin McDowell würde schon bald eine Chance bekommen, zum Wohle der Krone den Protestantismus auf dem Festland zu verteidigen. Zwar hatte McDowell noch keinerlei Führungserfahrung während eines Gefechtes, doch außerhalb des Schlachtfeldes war er ein imposanter Mann. Kein Wunder, dass ihn vor einigen Jahren ein französischer Spion die Kehle aufschlitzen wollte, verfügte er doch über außerordentliche Fähigkeiten, seine Armee so schnell wie kein anderer General marschieren zu lassen. Damals hatte ein Einheimischer aus Port Royal dem General sein Leben in den dunklen Gassen der Stadt gerettet. Gerüchten zufolge soll McDowell’s Militärinspekteur eben dieser Einheimische sein, konnte er doch jede Landschaft auf Anhieb lesen und den Weg des geringsten Widerstandes bestimmen. Seit diesem Vorfall war der General überaus bedacht, mit wem er sich einlässt. Er traute nur wenigen und erzählte nichts, was ihm Schaden bringen könnte.

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Forbes schätzte sich glücklich, einer der Vertrauenswürdigen zu sein, hatte er doch so bei dem Treffen den Plan der militärischen Führung erfahren. Dieser sah vor, dass sich das 3. Expeditionskorps unter McDowells Führung auf den Bahamas sammeln sollte. Die Flotte unter Admiral Leake war schon seit einigen Wochen im Hafen von Grand Bahama, somit war ein Transportmittel zum Festland bereits vorhanden. Die eingeschiffte Armee sollte an der Küste der Provinz Carolinas nahe der Grenze zu Georgia an Land gehen, die Grenze überschreiten und Savannah ein für alle Mal von den Rothäuten säubern. Lediglich das Transportmittel zwischen Jamaika und den Bahamas machte McDowell erhebliche Sorgen. Aufgrund des engen Zeitplans der Operation kam es nicht in Frage, ein Schiff der Flotte von Leake nach Jamaika zu beordern. Die militärische Führung hatte daraufhin sofort ein Handelsschiff, einen Ostindienfahrer, in Bau gegeben. Zugegeben, eine schlechte Tarnung für einen Truppentransporter war dies nicht, hatte doch ein Ostindienfahrer auf Entfernung eine ähnliche Silhouette wie ein Linienschiff. Ihm war es aber anscheinend nicht geheuer, auf einem mit nur 12 Kanonen bestückten Handelsschiff durch von Piraten verseuchtes Gebiet zu kreuzen. Der Bau des Handelsschiffes dauerte eh ein volles Jahr, warum also kein Flottenschiff bereitstellen?

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All diese Bedenken von McDowell waren zugegebenermaßen allerdings sehr einleuchtend, jedoch wusste Forbes es besser. Seine Augen wanderten zum Schreibtisch, auf dem ein Vertrag zum Bau eines Handelsschiffes in den Werften des Hafen Grand Bahama auf seine Unterschrift wartete. Es hatte den Anschein, als ob der König mit einer Handelsflotte einen der wertvollen Handelsplätze unter den Nagel reißen wollte. Ein weiterer Versuch, die Wirtschaft zu sanieren. Forbes war dies ganz recht, brauchte er doch unbedingt Geld zum weiteren Ausbau der unter seiner Kontrolle stehenden Provinzen.

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Wenigstens bereitete ihm Ruperts Land kein Kopfzerbrechen. Was sollte in dem kalten, kargen, von Bäumen und Pelzjägern bewohnten Landstrich auch passieren? Sein Blick ging wieder aus dem Fenster zu den angehenden Linieninfanteristen und sinnierte darüber, wohin es diese tapferen Freiwilligen noch verschlagen wird. Zu dieser Zeit ahnte Forbes noch nicht, dass sich nicht nur in der neuen Welt ein Sturm zusammenbraute, welcher das ganze Königreich mitsamt des Protektorates mit voller Wucht treffen sollte.

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Beitragvon Thanatus » 21. Dezember 2010 03:45

Kapitel V – Auf leisen Sohlen


Ruperts Land - An der Grenze zum Huronen-Territorium, 14.10.1700

Behutsam schlich Robert Watson durch das von Schnee bedeckte Unterholz. Sein Wanderstab lag schwer in der rechten Hand. Ehrlich gesagt fragte er sich selber, warum er ihn überhaupt auf seine ursprünglich missionarische Expedition in die Nadelwälder von Ruperts Land mitgenommen hat, schließlich war er gerade einmal 24 Jahre alt und ausgesprochen fit für einen Geistlichen.

Ihm fröstelte es. Der Winter hatte in diesen Breiten schneller Einzug erhalten als er es sich vor ein paar Wochen in Moose Factory erhoffte. Nur allzu gern wäre Watson wieder in England, bei seinen geistlichen Kollegen in der Kirchenschule von Oxford, welche nun sogar zur Kapitelschule ausgebaut wurde. Dabei hatte er sich doch selbst freiwillig gemeldet, als der Gouverneur von Amerika, Elliot Forbes, Missionare für die Neue Welt rekrutierte. Seine linke Hand umfasste die Bibel, das Wort Gottes, stärker. Nein, es war die richtige Entscheidung. Er war ein aufrichtiger Diener Gottes, der einerseits den mutigen britischen Siedlern religiösen Beistand gab, aber auch Kontakt zu den heidnischen Ureinwohnern suchte, um sie von ihrem Unglauben zu erlösen.

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Watson war doch auch selbst schuld, dass er frierte, hätte er doch noch genug Zeit gehabt, zu dem Kommandanten der kleinen Garnison von Moose Factory zu gehen und ihm um einen wärmenden Pelzmäntel zu beten. Schließlich war Ruperts Land mittlerweile der größte Pelzlieferant der Krone, seitdem der bestehende Pelzhändler bei der Ogoki-Trapperstation in einen Pelzmarkt umgebaut wurde und bei der neu entstandenen Mistissini-Trapperstation ein weiterer Pelzhändler im Begriff war, sich niederzulassen. In der kurzen Zeit, die Watson in Ruperts Land verweilte, hatte er sich bereits mit dem Kommandanten Geoffrey Butterworth, Anführer einer Ranger-Kompanie, angefreundet. Butterworth war außerdem Befehlshaber über ein Regiment Pikeniere. Watson hatte sie bereits einmal bei einem Formationsdrill beobachten können, jedoch zweifelte er an der Wirksamkeit ihrer Lanzen, waren sie doch auf dem Schlachtfeld so archaisch. Er glaubte nur an die Macht des Herrn und das sollte sich auch nie ändern.

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Dennoch war Watson auf der Hut. Seit Tagen nun schon verfolgte der Geistliche eine Horde Wilder, welche an der Grenze aufmarschiert war. Er schätzte die Eingeborenen auf eine Stärke von knapp 300 Mann - viele von ihnen waren mit Pfeil und Bogen bewaffnet und einige mit martialischen Äxten, diesen sogenannten Tomahawks. Sogar ein paar Reiter auf Pferden hatte er ausmachen können, diese waren sicherlich die mutigsten Krieger des Stammes. Es konnten sich hierbei nur um Angehörige der Huronen-Konföderation handeln, welche südlich von Ruperts Land ein großes Areal kontrollierte. Als Watson die Indianer vor ein paar Tagen entdeckte, wusste er nicht so recht, wie er reagieren sollte. Aufgrund seiner eigentlichen missionarischen Tätigkeit wollte er allen weltlichen Ärger entgehen, entsann sich dann aber eines Besseren. Schließlich hatte auch er in England von den Berichten seines Kollegen Gambold in Georgia erfahren, dieses Schicksal der dortigen Siedler sollte seinen Freunden in Moose Factory nicht blühen. Auch wenn derzeit ein unruhiger Frieden zwischen den Weißen und Huronen bestand, waren diese Wilden doch eine Gefahr für den aufstrebenden Protestantismus, dem wahren Glauben in dieser rauhen, unzivilisierten Welt. Immerhin war dank seines missionarischen Einsatzes schon über die Hälfte der Bevölkerung dem Herrn untertänig.

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Watson hegte keinen Argwohn gegen die Rothäute, war der Reichtum, welcher aus dieser entlegenen Kronkolonie geschöpft werden konnte, doch einem Stamm dieser Wilden, der Cree, zu verdanken, welche über 80 % der Bevölkerung ausmachten. Viele Cree-Gruppen versuchten sich in der Nähe der Handelsstationen anzusiedeln, um so zunächst an die für sie anziehenden Waren, wie Eisenwaren , Geschirr, Waffen und Mehl zu gelangen, dann aber, um den Zwischenhandel mit den weiter west- und nordwärts lebenden Stämmen möglichst zu monopolisieren. So handelten sie mit den Indianern abseits der Forts um Pelze, die sie den Europäern, vor allem der Siedler der Hudson Bay und James Bay, dem südlichen Teil der Hudson Bay, anbieten konnten. Ohne sie und die Kontrolle über die einzigen Transportwege, die mit Kanus befahrenen Flüsse und Seen, hätte es keinen Pelzhandel gegeben. In seinem tiefsten Inneren hoffte Watson entgegen all seiner Befürchtungen, dass dieser Aufmarsch der Wilden keinerlei bevorstehende Aggression gegen die Krone bedeutete. Dabei hatte Watson noch nicht die geringste Ahnung, dass in südöstlicher Richtung 650 Meilen von ihm entfernt Krieger vom Stamme der Irokesen die Grenze der Dreizehn Kolonien verletzt hatten und in Richtung Fort Albany marschierten…

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In den dunklen Gassen von Brüssel – spanisch besetztes Flandern, 23.10.1700

In aller Stille presste sich James Whitston gegen das kalte Mauerwerk der Außenmauer der Gouverneursresidenz von Brüssel. Eigentlich hatte sein Plan nur den Verlust eines Menschenleben zugelassen, doch aufgrund der geänderten Situation musste leider diese zu neugierig gewordene Wache, welche geradewegs samt einer Laterne auf ihn zukam, ebenfalls für eine höhere Sache Leid ertragen müssen. Kurz dachte er an die beschwerliche Reise, welche er seit der Aussetzung an der Küste hinter sich gebracht hatte. Das war kein Problem für Whitston gewesen, hatte er doch noch im Heimatland einen gesunden Appetit entwickelt und sich regelmäßig ertüchtigt, um die Aufträge, die von der Politik bestimmt wurden, effizient und mit großer Hingabe durchzuführen. Dennoch schien es für ihn Ewigkeiten her zu sein, seitdem er von der Achilles ausgesetzt worden war. Bei diesem Gedanken musste er schmunzeln, die Mannschaft hatte innerhalb so weniger Tage auf See solche eine Angst entwickelt, dass sie ihn bewusst mieden, ja, nicht einmal wahrnehmen wollten. Genauso hatte er es auch von seinem Spymaster gelernt, welcher in der Tradition des berühmten Anthony Standen alle angehenden britischen Spione ausbildete. Anthony Standen... das war ein wahrhaft großer Mann in den Diensten der Krone gewesen. Seiner Ansicht nach war es allein Standen zu verdanken, dass seine Majestät sich immer noch König seiner Ländereien nennen konnte.

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Mit Königin Elisabeth I. stand im Jahre 1558 eine Frau an der Spitze. Die jungfräuliche Königin, wie sie sich selbst nannte, war Symbolfigur für die Anfänge des britischen Empire. 45 Jahre lang regierte sie mit eiserner Hand. Elisabeth I. verfolgte eine gefährliche Strategie: Sie verlieh wagemutigen britischen Kapitänen so genannte Kaperlizenzen. Der Knappheit der eigenen Staatskasse wollte sie mit Raub und Plünderung begegnen. Mit den königlichen Dekreten konnten die Freibeuter Schiffe feindlicher Nationen überfallen, für Ruhm und Gewinn der englischen Krone. Auf kleinen, aber stabilen Schiffen folgten sie den Spuren der spanischen Schätze bis an die Küsten Amerikas, unter dem Kommando legendärer Kapitäne wie Francis Drake. Nach oft jahrelanger Kaperfahrt griffen die Engländer, hochgerüstet mit den modernsten Waffen ihrer Zeit, sogar spanische Festungen an.

Erst 1492 war Christoph Kolumbus an der Küste Amerikas gelandet. Seitdem hatte die spanische Krone ihre Herrschaft über Süd- und Mittelamerika immer weiter ausgedehnt. In zahllosen Gefechten hatten sich die Eroberer gegen die einheimischen Herrscher vorangekämpft. Ihr Ziel waren scheinbar unerschöpfliche Schätze an Gold und Silber - und auf diese hatten es die britischen Seefahrer abgesehen. Wie der englische Freibeuter Francis Drake. Im Frühjahr 1577 überfielen er und seine Männer in Panama eine spanische Schatzkarawane aus dem Unterholz. Drake entkam mit einer halben Tonne Gold - für sich und seine Königin.

Die Provokation der Briten war der Grund für den Angriff der Spanier im Sommer 1588. England wurde von der damaligen Seemacht Spanien bedroht. Eine gewaltige spanische Flotte hielt auf die englische Küste zu. Queen Elisabeth I. inspizierte im englischen Tilbury ihr letztes Aufgebot: Nur wenige britische Soldaten standen 27.000 Mann an Bord der spanischen Schiffe gegenüber. Wenn Elisabeth verlieren würde, würde sie auf dem Scheiterhaufen der Spanier enden. Mit einer unglaublichen Rede gab sie allen Hoffnung:

"Ich weiß, dass ich den Leib eines schwachen Weibes habe, aber ich habe auch das mutige Herz eines Königs von England."

Im Herzen des Feindes verfügte die englische Krone über eine Geheimwaffe: Spionage. Antony Standen war einer der Elitespione im Dienst Ihrer Majestät. Unter falscher Identität hatte er ein Agentennetz aufgebaut. Mit Geld und guten Worten beschaffte er die Staatsgeheimnisse der spanischen Krone. Standen gelang es, einen Spion in den Haushalt des spanischen Oberbefehlshabers, des Marquez von Santa Cruz, einzuschleusen. In den Lagern des Nationalarchivs seiner königlichen Majestät sind die Spuren seiner Arbeit bis heute erhalten: In einer Nachricht unter seinem Decknamen Pompeo Pellegrini in Codeschrift schickte der Agent seine Erkenntnisse nach England.
Männer wie Anthony Standen hatten jene Methoden entwickelt und perfektioniert, die Spione noch jahrhundertelang anwenden würden. Ihre geheimen Nachrichten schrieben sie mit unsichtbarer Tinte aus verschiedenen Chemikalien. Sichtbar wurden seine Nachrichten für den Empfänger erst durch Hitze oder geheime Reagenzien. Nur die Zentrale in London sollte die Briefe entziffern können, deren Inhalt über den Fortbestand des englischen Königreichs entscheiden könnte. Anthony Standen benutzte ausgeklügelte Zahlen- oder Buchstabencodes, lesbar gemacht mit Schablonen und Codelisten. Mit der Hilfe dieser Informationen planten die Engländer den Angriff auf die spanische Flotte - bevor sie England erreichte. Mit dem Mut der Verzweiflung griffen die Engländer an, der Untergang der spanischen Armada besiegelte aber auch das stürmische Wetter. "Ich habe meine Flotte zum Kampf gegen die Engländer ausgesandt, nicht gegen Naturgewalten.", sagte der spanische König. Die Armada ging unter - und mit ihr die letzte Hoffnung Spaniens, den Konkurrenten England zu entmachten.

Und heute sollte er, James Whitston, einer der britischen Meisterspione, wieder gegen die Spanier aufbegehren. Er hatte den Auftrag, den General der Garnison in Brüssel zu beseitigen. Whitston hatte schon selbst geschlussfolgert, dass sein Auftrag eine Art verschwiegene Bündnishilfe für die Niederländer sein würde, hatte er doch von Gerüchten einer sich formierenden Armee der Vereinigten Provinzen an der Grenze erfahren. Außerdem galt sein Ziel, Felix Gallas, als ein herausragender Verteidiger von befestigten Stellungen. Zufall? Keineswegs. Seit einer halben Stunde verfolgte er Gallas nun schon in den Gassen von Brüssel. Doch zunächst musste er sich um diese im Weg stehende Wache kümmern.

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Die Wache erreichte die Sackgasse und schlenderte die Mauerecke des kleinen Hinterhofes ab, in einer von den Ecken verbergte sich Whitston im Schatten – seine Kapuze tiefer ins Gesicht ziehend. Als die Wache an seiner Ecke ankam und im Begriff war, diese mit der Laterne auszuleuchten, sprang er mit einem eleganten Hechter dem Feind entgegen. Ihm war schon vorher aufgefallen, dass der Spanier seinen Kopf nach links geneigt hatte - er war also auf dem einen Ohr taub. Das war sein erster Angriffspunkt - er schlug mit seiner Rechten auf das linke Ohr der Wache. Zweitens – die Kehle. Stimmbänder lähmen – kein Geschrei. Whitston packte mit der Linken den Kehlkopf und drückte ihn zusammen. Drittens – offenkundig Trinker – Rippenschlag in Höhe der Leber. Whitston schlug einen heftigen Aufwärtshaken in den Unterleib des Spaniers. Dieser krümmte sich vor Schmerzen. Viertens – er zieht das linke Bein nach. Faust gegen Kniescheibe. Mit voller Wucht hieb Whitston mit seiner Linken auf die Patella, welche daraufhin aus ihrer Führung sprang. Der Spanier bedankte sich daraufhin mit einem stummen Schrei. Whitston hatte genug von diesem unfairen Kampf und schickte die Wache mit einem Seitwärtshaken auf die Schläfe in das Land der Träume. Prognose: Bewusstlos - 90 Sekunden. Kampfunfähig – eine ¼ Stunde höchstens. Vollständige Körperliche Genesung – unwahrscheinlich.

Whitston lächelte, das war genug Zeit, um seine Aufgabe zu beenden und aus der Stadt zu verschwinden. Mit unglaublicher Lautlosigkeit gelang es ihm, sich durch die Gassen von Brüssel zu bewegen. Da war sein Ziel, es schlenderte nichtsahnend durch die spärliche Dunkelheit, die der Vollmond bescherte. Seine in schwarzen Leder eingehüllten Hände umschlossen den Mund von Gallas und zogen ihn in eine dunkle Ecke, wo der britische Agent dem General einen Dolch in den Rücken zwischen die schützenden Rippenwirbel rammte, das Herz durchstoß, die Klinge verdrehte und das Genick des Goldtressenträgers mit einer schnellen Handbewegung brach. Sicher ist sicher. Die spanische Garnison in Brüssel war nun führerlos. Noch bevor der Leichnam von Felix Gallas auf die Pflastersteine der Provinzhauptstadt Flanderns aufschlug, war von James Whitston keine Spur mehr zu sehen...

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Beitragvon Thanatus » 21. Dezember 2010 03:47

Kapitel VI – Personalentscheidungen


London – Königliche Admiralität, 11.11.1700

Der Blick von John Egerton, 3rd Lord of Bridgewater, wanderte sorgfältig über die vor ihm ausgebreiteten Seekarten. Seit einer Ewigkeit studierte er nun schon im Map Room der königlichen Admiralität die vorgesehenen Expeditionspläne und vorliegenden Berichte. Als First Lord of the Admirality und somit Präsident des Council of the Marine, des Marinerates, war es schließlich seine Aufgabe, über die Vorgehen der Royal Navy auf dem neuesten Stand zu sein. Außerdem musste er als Mitglied des Regierungskabinetts über das Handeln der königlichen Flotte falls nötig Rechenschaft ablegen.

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Egerton konnte sich bei dem Gedanken an die anderen Regierungsmitglieder wie Smith und Godolphin ein Grinsen nicht verkneifen, hatte er diese doch dazu gebracht, den Bau von zwei Linienschiffen 4. Klasse in den Werften zu Portsmouth zu veranlassen. Dieser Zwischenfall mit Berkeley, Worley und dem einhergehenden Reichtum kam da wie gerufen. Seine Hartnäckigkeit hatte ihn schon oft belohnt, auch wenn es manchmal zunächst den Anschein hatte, in einer Katastrophe zu enden. Der Lord Commissioner erinnerte sich an seine Konfrontation mit König Jakob II. im Jahre 1687. Dieser hatte Egerton vom Posten des Lord Lieutenant of Buckinghamshire enthoben, weil er sich weigerte, eine Liste von Personen römisch-katholischen Glaubens anzulegen, die als Offiziere in der Miliz des Königs dienen sollten. Für Egerton war dies ein Bruch mit dem verwurzelten protestantischen Glauben, außerdem war er eh immer der Ansicht gewesen, dass Karrierechancen leistungsabhängig sein sollten. Als 1689 der heutige König Willhelm III. in Großbritannien einmarschierte und seinen Schwiegervater in das Exil schickte, wurde Egerton wieder in das Amt eingesetzt, wofür er dem König auf ewig dankbar war.

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Wie dem auch sei, für die Homefleet war diese Verstärkung eine enorme Kampfkraftsteigerung, dessen war sich Egerton nur allzu bewusst. Geheimdienstberichten zufolge würden diese jedoch auch bitter nötig seien, da eine französische Flotte samt einer Invasionsarmee zwischen Land‘s End auf Cornwall und den Scilly-Inseln gesichtet wurde. Diese Berichte bestätigten später vorbeifahrende Handelsschiffe und ein Kurierschiff der neugegründeten India Expeditionary Fleet (IEF), welche in Richtung Ostindien aufgebrochen war. Desweiteren wurde eine niederländische Flotte im Norden des Reiches gesichtet. Wer weiß, was diese Käseesser im Schilde führten.

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Schon im Vorfeld gab es hitzige Debatten um die Frage der Führungskraft der IEF. Zur Auswahl standen der fünfzigjährige 4-Sterne-Admiral George Rooke und der drei jahre jüngere – jedoch erfolgreichere – 5-Sterne-Admiral Edward Russell. Unter anderen Umständen hätte Egerton nicht gezögert und seinen langjährigen Freund Rooke die Möglichkeit gegeben, sich auszuzeichnen, jedoch wusste er um den kränklichen Gesundheitszustand seines Freundes.

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Das wäre für Rooke sicherlich kein Problem gewesen, verbrachte er doch mehr Zeit an Bord eines Schiffes als auf seiner heimatlichen Erde, fühlte sich somit auf dem Achterdeck wie zu Hause und war auch bereit dort zu sterben, falls ihn das Schicksal so ereilen sollte. Egerton jedoch hatte auch erfahren, dass Rooke bei Angriffen auf feindliche Flotten normalerweise nicht viel Geschick zeigte. Gepaart mit einer möglichen schweren Krankheit wäre ein solcher Führungsoffizier auf einer beschwerlichen Reise wie diejenige nach Ostindien ein erheblicher Risikofaktor für Mensch und Material und somit für das Gelingen der Expedition. Aufgrund dieser negativen Aspekte betraute der Marinerat Admiral Rooke mit einer Seeblockade in der Straße von Dover, damit diesem nicht vollends das Gefühl gegeben wurde, überflüssig zu sein. Rooke würde angesichts seiner Krankheitsanfällgkeit eh bald in Pension gehen. Russell hingegen wurde Admiral der India Expeditionary Fleet. Egerton griff eines der älteren Dokumente vom Tisch und las es nochmals durch.

Ehrwürdige Herren der königlichen Admiralität,

Ihr Vertrauen in meine Fähigkeiten zur See besticht mein Herz mit Freude, nun kann ich Ihnen berichten, dass die Vorbereitungen auf die geplante Reise abgeschlossen sind. Ich habe mir erlaubt, Proviant für 1200 Männer bei zwei Jahren auf hoher See aus den Versorgungsdepots des Hafens von Portsmouth requirieren und auf die Schiffe der India Expeditionary Fleet verladen zu lassen, sodass wir zu keinem Zwischenstopp an der afrikanischen Küste gezwungen sind. Es folgt eine Auflistung der Schiffe samt ihrer angeforderten Informationen:



Schiffsklasse ----------------- Schiffsname -- Bewaffnung ---- Besatzungsmitglieder

Admiralsflaggschiff 5. Klasse -- Valiant -------- 47 Kanonen ------------ 130
Fregatte 5. Klasse -------------- Doimede ------ 47 Kanonen ------------ 130
Fregatte 6. Klasse -------------- Shannon ------ 32 Kanonen ------------- 92

Die Einschiffung des II. Expeditionskorps in einer Stärke von 850 Soldaten ist ebenfalls abgeschlossen. Leider muss ich mich bei Ihnen über deren General beschweren. Bei allen Respekt, aber ich bin sehr ungehalten darüber, dass ausgerechnet ein Franzose das Kommando über eine Armee an Bord meines Schiffes hat. Nicht nur diese Sprachbarriere ist mir ein Dorn im Auge, nein, diesen listigen Franzmännern kann man doch nicht trauen! Nicht auszumalen, was geschehen würde, wenn dieser Marquis bei einer Rebellion das Kommando über die gesamte Flotte übernimmt und sich wieder seinen französischen Wurzeln besinnt! Ich ersuche Euch hiermit, dem ehrenwerten Armeeminister Clarke über meine Beschwerde zu informieren.

Das Kartenmaterial für die Expedition ist durch ihren bewaffneten Kurier ebenfalls sicher an Bord meines Schiffes gelangt. Wenn Ihr diesen Brief nun liest, befinde ich mich samt meiner Flotte schon auf hoher See. Für König und Vaterland!

Edward Russell, 1st Earl of Orford
Admiral der IEF


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Seufzend ließ Egerton das Dokument auf den Kartentisch fallen. Er hatte schon von diesem französischen Überläufer gehört. George Clarke hatte ebenfalls eine schwierige Entscheidung getroffen. Sollte er seinen besten General, John Churchill, weit weg von den wichtigsten Schlachtfeldern in Indien einsetzen oder sich der latenten Gefahr dieses Franzmannes entledigen, indem er ihn gerade weit entfernt von seinem ursprünglichen Heimatland einsetzte ? Anscheinend hatte sich der Armeeminister für Letzteres entschieden.

Egerton rümpfte beim Gedanken an die sogenannte Armee, welche sich an Bord der India Expeditionary Fleet befand, die Nase. Laut seiner Auffassung konnten diese Soldaten froh sein, wenn sie bei der Landung in Bengalen tatsächlich diese Wilden vorfanden, welche nur über primitive Waffentechnologie verfügten. Andernfalls könnte sich dieser Franzose angesichts der erbärmlichen Ausrüstung seiner Truppen auf herbe Verluste einstellen. Doch dieses Problem hatte Egerton nicht weiter zu interessieren, dies war das Belangen des Armeeministers. Die Aufgabe der Royal Navy bestand in diesem Falle lediglich aus dem Transport der Truppen. Ein letztes Mal vollzog er mit seinem Zeigefinger auf der Weltkarte die Route, die die IEF zurücklegen sollte: Den Atlantik gen Süden durchquerend, an Madeira und den kanarischen Inseln vorbei bis zum Cape Verde. Von dort weiter durch den Golf von Guinea , das Cape of Good Hope und Cape Agulhas umrundet in die Straße von Mosambik und von dort in den Indischen Ozean.

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Egerton ging zum Kartenständer, nahm eine der angefertigten Pläne für navale Operationen heraus und rollte sie auf dem Kartentisch aus: Im Indischen Ozean angelangt in Richtung Osten gen Ceylon in den Golf von Mannar, von dort durch die Palkstraße in den Golf von Bengalen. Die Landung erfolgt in Westbengalen an der Mündung des Flusses Hugli.

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Sichtlich zufrieden ergriff er sein Glas, welches noch halb mit Bourbon gefüllt war. Es würde noch ein langer Tag werden, musste er doch noch die Pläne für die maritimen Operationen aufgrund der veränderten Lage in der Karibik studieren…

Währenddessen unweit entfernt im War Office – Dienstzimmer des Armeeministers

George Clarke saß mit verschränkten Händen vor seinem Gesicht im hölzernen Stuhl. Für ihn gab es eindeutig zu viele Probleme zur selben Zeit, die Entscheidung zwischen John Churchill und Henri de Massue war dagegen ein reinstes Kinderspiel. Vor ein paar Tagen hatte er Nachrichten aus den Kolonien, dass die Irokesen die Grenzen von New York überschritten hatten und sich bei Fort Albany sammelten. Soweit ihm bekannt war, sind in Fort Albany keine regulären Truppen der Dreizehn Kolonien stationiert, es wäre den Wilden somit ein Leichtes, diese Stadt einzunehmen.

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Der Verwalter der Dreizehn Kolonien forderte mit den Nachrichten natürlich sofort Bündnishilfe ein. König Willhelm III. brachte es nicht über das Herz, die tapferen Siedler in der Neuen Welt ihren dunklen Schicksal zu überlassen und sicherte sofort die Entsendung einer Armee an. Eine Armee, die es noch nicht gab. Bei Gott, woher sollte er denn eine Armee dorthin beordern? Er griff zur aktuellen Fassung der Auflistung der militärischen Verbände und überflog sie.

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I. Korps „Homeland“ unter Führung von John Churchill in London

3 Regimenter Linieninfanterie
33rd Foot Guard
2 Regimenter zu Pferde ( auf den Weg von Schottland nach London)

II. Expeditionskorps „India“ unter Führung von Henri de Massue auf hoher See an Bord der IEF

1 Batterie Halbkanonen
2 Regimenter Yeomanry
3 Regimenter Pikeniere
3 Regimenter Milizinfanterie

III. Expeditionskorps „America“ unter Führung von Kevin McDowell in Port Royale

1 Kompanie Ranger (Ruperts Land)
2 Regimenter Pikeniere (Ruperts Land sowie Bahamas)
1 Regiment Linieninfanterie (Bahamas)
1 Batterie Halbkanonen (Bahamas)
1 Regiment koloniale Dragoner (Bahamas)
1 Regiment Milizinfanterie (Jamaika)
2 Regimenter Linieninfanterie (Jamaika)


Das II. Expeditionskorps war bereits auf den Weg nach Indien, außerdem wäre es sehr unklug, das sich neu formierende I. Korps aufgrund der angespannten Lage in Europa von eben diesem Kontinent in die Neue Welt zu verlagern, gerade jetzt, wo die Vereinigten Provinzen den Spaniern den Krieg erklärt hatten und Österreich in einen Konflikt mit Preußen und Polen-Litauen geriet. Außerdem ging von dieser französischen Invasionsarmee vor der Küste Cornwalls eine bedrohliche Gefahr aus.

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Somit blieb lediglich das III. Expeditionskorps übrig, jedoch waren dessen Truppen über den gesamten Kontinent verstreut. Wenigstens waren die Vorbereitungen für die Befreiung Georgias nicht unnütz gewesen. Die Dreizehn Kolonien hatten neben Bittstellung für Bündnishilfe ein Schreiben brisanten Inhaltes beigelegt. Falls die Krone die Möglichkeit hatte, Georgia und das Cherokee-Territorium von den Wilden zu befreien und Neufrankreich den Franzosen abtrotzen konnte, würden sich die derzeit noch relativ unabhängigen Dreizehn Kolonien dem Königreich anschließen. Da dies für einen enormen Aufwind für die Wirtschaft sorgen würde, war dieses Unterfangen vom König höchstpersönlich veranlasst worden.

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Es blieb Clarke wohl nichts anderes übrig, als die für die Befreiung Georgias geplante Armee zu teilen. Er blickte auf die noch leere grobe Umrisskarte des amerikanischen Kontinents auf seinem Schreibtisch und griff zu Federkiel und Tintenfass.

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Als Clarke sich in seinen Stuhl zurücklehnte und sein Werk betrachtete, lag Skepsis in seinen Augen. Er hatte das III. Expeditionskorps in zwei Brigaden geteilt, jeweils ihrem derzeitigen Standort auf den Bahamas und Jamaika zugeordnet. Ihm gefiel die Führerlosigkeit der 2. Brigade nicht. An der Stärke gemessen konnte sie es locker mit den feindlichen Kräften in Georgia aufnehmen, doch auch nur, wenn der Befehlshaber kein Narr war. Einen General in dieser Armee zu rekrutieren schied ebenfalls aus. Vor ein paar Wochen hatte John Smith nach Absprache mit dem König eine Sperre für Beförderungen erlassen um somit zusätzliche Belastungen für die Staatskasse zu vermeiden. Clarke konnte somit nur hoffen, dass der hiesige Colonel ein gescheiter Mann war.

Im Gegensatz dazu wurde die 1. Brigade von McDowell geführt, zweifelsohne einen kompetenten General. Jedoch lies die militärische Stärke noch zu wünschen übrig, derzeit waren lediglich 2 Regimenter koloniale Linieninfanterie in Jamaika fertig ausgebildet – zu wenig für einen Angriff auf zwei Heere von blutrünstigen Wilden. Sicher, Clarke hätte die jamaikanische Milizinfanterie ebenfalls für den Angriff wappnen können, doch wollte er die Karibikinsel inmitten einer von Piraten verseuchten Gegend nicht gänzlich ungeschützt lassen. Nach Clarkes Auffassung würde es der 1. Brigade nicht schaden, die Operation für ein halbes Jahr zu verschieben und mit der doppelten Anzahl von Regimentern New York von den Rothäuten zu befreien.

Insgesamt wird diese Operation eine heikle Angelegenheit, das Transportproblem ist ebenfalls noch nicht geklärt. Die einzigen Schiffe liegen alle im Hafen von Grand Bahama vor Anker, mehrere davon noch beschädigt und somit im Trockendock zur Reparatur. Doch darum sollte sich der Marineminister den Kopf zerbrechen, Clarke selbst hatte für dieses Problem keine Nerven mehr, musste er sich doch noch um eventuelle Vorbereitungen auf eine französische Invasion des Heimatlandes kümmern…

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Re: [AAR] An Empire on which the Sun never sets !

Beitragvon Thanatus » 8. Februar 2011 13:14

Kapitel VII – Sehnsucht in der Fremde


Auf hoher See - Irgendwo im Nordatlantik, 09. April 1701

Mein geliebter Ehemann,

die Tage in London vergehen wie im Fluge. Seitdem sich unser Sohn Michael entschlossen hat, in eure Fußstapfen zu treten, vergeht kein Tag, an dem Elizabeth und Mary ihren Bruder vermissen, George möchte Michael wie immer nacheifern, doch ich habe ihm eingebläut, dass er mit seinen 14 Jahren noch zu jung für die Armee ist. Als ich das letzte Mal von unserem Ältesten gehört habe, war er samt dem 1. Infanterieregiment kurz vor der Übersetzung auf die Bahamas. Ich mache mir große Sorgen um ihn, könntet Ihr denn nicht dafür sorgen, dass er unter eure Fittiche kommt? Ich weiß, das hätte Michael sicherlich nicht gewollt, aber er ist doch noch so unerfahren und wir würden uns doch nie verzeihen, wenn ihm etwas zustoßen würde. Ihr wolltet ja auch nie, dass einer eurer Söhne einmal euch nachfolgt um mit einer Waffe dem König zu dienen. Wenigstens ist er auf den Bahamas sicher, weit weg von diesen wilden Kreaturen in dieser sonderbaren neuen Welt.

Hier in der Heimat treibt die Regierung weiterhin ihre Aufrüstung voran, Hunderte junger Männer wurden als Infanteristen für den Dienst an der Waffe verpflichtet und in den Straßen patrouillieren neben den freiwilligen Constables nun auch berittene Soldaten aus Schottland. Vor zwei Wochen war ich für ein paar Tage mit den Kindern bei meiner Schwester in Oxford – leider konnten wir die mittlerweile fertig gestellte Kapitelschule nicht besuchen. Ihr werdet es nicht glauben, aber unser gütiger König hat doch tatsächlich dem sofortigen Ausbau zu einem Theologischen Kolleg zugesagt! Welch ein Segen, Gott möge ihn dafür reich beschenken.

Die Teehäuser unserer Hauptstadt sind mittlerweile überfüllt von jungen Offizieren, die den Geschichten ihrer älteren Vorgesetzten lauschen und sich gegenseitig damit überbieten, welche Heldentaten ihre Einheiten im bald sicher eintretenden Krieg vollbringen würden. Ich habe gehört, dass unsere Verbündeten, die Niederländer, Brüssel von den Spaniern befreit haben. Laut der London Gazette soll es ein Gemetzel gewesen sein. Es wird gemunkelt, dass die Spanier aufgrund des plötzlichen Todes des hiesigen Generals führerlos waren. Selbst die Gouverneursresidenz soll beschädigt worden sein. Mittlerweile reden die Stammtische schon davon, dass unser geliebter König seinen Verwandten auf dem Festland bald zur Hilfe kommen wird, um mit ihnen gemeinsam die uns bedrohenden Franzosen anzugreifen. Um nicht zuletzt diesen drohenden Krieg zu finanzieren, haben Gesandte des Königs mit dem Führer des Osmanischen Reiches, Mustafa II., ein Handelsabkommen geschlossen. Europa ist in dieser Zeit ein Pulverfass, welches zu explodieren droht. Ich bin froh, dass wenigstens Ihr, mein Geliebter, euch in der Karibik in Sicherheit befindet.

Übrigens habe ich mir erlaubt, in den kalten Wintermonaten einen Pelzmantel aus Ruperts Land zu kaufen – keine Sorge, aufgrund der Subventionen des Pelzhandels war dieser besonders günstig. Dem Tag entgegensehnend, an dem ich Euch wieder wohlbehalten in meine Arme schließen kann und wir einen Ausflug zum derzeitig noch im Bau befindlichen Opernhaus in Edinburgh machen können, verbleibe ich

In Liebe

Eure Catherine


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An Bord des Handelsschiffs Thunderer konnte General Kevin McDowell, Oberbefehlshaber des III. Expeditionskorps, ein sehnsüchtiges Seufzen nicht unterdrücken. In den Gemächern des Kapitäns an einem Kartentisch sitzend vermisste er seine Frau und seine Kinder, die er nun schon seit mittlerweile zwei Jahren nicht mehr in die Arme schließen konnte. In diesen Momenten verfluchte er sich selbst - seine Entscheidung Offizier der Krone zu werden und dem Vaterland dort zu dienen, wo es gerade nötig war. Ein gescheites Familienleben war bei diesen Umständen nicht möglich, insgeheim hoffte McDowell, eines Tages als Berater des Armeeministers nach London versetzt zu werden um mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu können. Doch bevor dies geschehen konnte, so war sich McDowell sicher, musste er sich beweisen. Seine Gedanken schweiften Monate zurück zum Zeitpunkt der Einschiffung im Hafen von Kingston auf Jamaika.

Eigentlich konnte sich McDowell glücklich schätzen – dank der Einschätzung der militärischen Führung war die Operation aufgrund der eventuellen zahlenmäßigen Unterlegenheit der von ihm geführten Truppen um ein halbes Jahr verschoben worden. Dies hatte mehrere positive Auswirkungen.

Die Einschiffung der nun vier anstatt nur zwei kolonialen Linieninfanterieregimenter lief exakt nach Zeitplan, da zum Zeitpunkt der abgeschlossenen Truppenausbildung auch der Bau von einfachen Straßen in Jamaika fertiggestellt wurde. Die installierten Abwassergräben sorgten dafür, dass die Straße nicht weiter als Auffangbecken für Regenwasser fungierte und sich in eine teuflische Moraststrecke verwandelte. Somit war eine schnelle Verlegung der Truppen von Port Royal nach Kingston gesichert.

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Außerdem erreichte rechtzeitig vor der Einschiffung neuartige Militärausrüstung den Hafen von Kingston. Anscheinend hatte es ein Forscher namens Isaac Newton geschafft, ein sogenanntes Spundbajonett zu entwickeln. Durch das Aufpflanzen dieses Bajonetts auf eine Muskete wurde diese zu einer effektiven Nahkampfwaffe – vor allem gegen Kavallerie-Angriffe. Die Ausbildung an diesem Seitengewehr musste jedoch nun an Bord des Schiffes ablaufen. Schon nach der ersten Ausbildungseinheit trat einer seiner Regimentskommandeure an McDowell heran, um mit Kritik an diesem Nahkampfaufsatz nicht zu sparen. Zwar verfügt der gemeine Infanterist nun über einen kurzen Spieß, um die feindliche Kavallerie und Infanterie abwehren zu können, jedoch ist es bei aufgepflanzten Spundbajonett unmöglich , die Waffe nachzuladen, geschweige denn abfeuern zu können. Man müsste schon sehr töricht sein, um eine Waffe mit blockiertem Lauf abzufeuern. Außerdem könnte es schwierig werden, das Spundbajonett nach einem blutigen Einsatz wieder aus der Muskete zu ziehen. Ob diese These stimmen möge, werde sich schon bald zeigen, so McDowell. Außerdem zeigte er sich optimistisch, dass Mr. Newton sich dieser Kritik schon bewusst war und seinen Nahkampfaufsatz weiterentwickeln würde.

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Das Transportmittel jedoch machte ihm Sorgen. Mit ihren 12 Kanonen war die Thunderer eventuell auftauchenden Piraten in diesen Gewässern klar unterlegen. Als der Ausguck der Thunderer vor ein paar Stunden im Westen Aufbauten am Horizont erblickte, hatte McDowell schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Nachdem der Mann im Krähennest jedoch den Union Jack erkannte, atmeten die Matrosen des Handelsschiffes sichtlich auf. Wie sich herausstellte, hatte Admiral Leake ein Teil seiner Flotte unter das Kommando des jungen Lieutenant in Command Worley gestellt, um dem Handelsschiff Thunderer Geleitschutz zu geben. Diese Flottille bestand aus der Fleute Berkeley, den zwei Schaluppen Amphion und Argyll und dem Handelsschiff Phoebe. Sicherlich war diese Eskorte nicht gerade das, was man als kampfkraftstrotzend bezeichnen konnte, jedoch würden sich Piraten es sich nun zweimal überlegen, einen Konvoi anzugreifen, der aufgrund der hohen Aufbauten der Ostindienfahrer und der Fleute aus der Ferne wie ein Kampfverband aussah.

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McDowell überflog nochmals den Brief seiner geliebten Ehefrau. Ich bin froh, dass wenigstens Ihr, mein Geliebter, euch in der Karibik in Sicherheit befindet. Diese Zeilen wirkten wie ein Nachhall auf seine Ohren. Einerseits bedauerte er es, dass Catherine so unzureichend über seine Aktivitäten informiert war, schließlich befand er sich auf den Weg nach New York, dessen Hauptstadt Albany und der Hafen mittlerweile von den Irokesen überfallen und verwüstet worden war. Andererseits war es für ihre Nerven sicherlich besser, sie in Sicherheit wiegen zu lassen. Vor allem, weil sie anscheinend nicht wusste, dass ihr Sohn Michael mit dem 1. Infanterieregiment noch eher als er selbst auf den Kontinent eingesetzt werden sollte…

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Normandie – 31 Kilometer nordöstlich von Le Havre, 19. April 1701

Ohne jegliche Emotionen wischte James Whitston seinen blutbeschmierten Dolch am weißen, über einen Stuhl geworfenen Uniformrock des Goldtressenträgers ab. Als er zum dominierend großen Bett des imposanten Schlafzimmers zurückkehrte und dort den Franzosen in seinem Schlafgewand in vollkommener Stille schlummern sah, konnte er sich alsbald ein Grinsen kaum verkneifen. Das Laken sowie das Kopfkissen waren durch das aus den Halsschlagadern dringende Blut mittlerweile tiefrot gefärbt – eine unterschwellige eindeutige Botschaft an jegliche Feinde der Krone.

Whitston betrachtete das Gesicht seines Opfers – dies also war der berühmte 48-jährige Rittmeister. Claude de Villars galt als geborener Reiter und hatte im Dienste des französischen Militärs schnell Karriere bis hin zum Maréchal de camp im Jahr 1687 gemacht. Er konnte im französisch-niederländischen Krieg einige Siege feiern, als er Kavallerieeinheiten befehligte. Nicht nur wegen seiner galanten Art eines wahren Franzosen war er der Inbegriff eines schneidigen Kavallerieoffiziers – tapfer wie auch verrückt. Villars zählte zurecht zu den großen Strategen des Krieges. Diese Umstände hatten ein Attentat auf ihn geradezu heraufbeschworen.

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Auf den Tag genau vor 13 Monaten war Whitston an der Küste Flanderns gelandet. Seine Reise hatte ihn zunächst nach Brüssel geführt, wo er den hiesigen Garnisionskommandanten ausschalten sollte. Nach getaner Arbeit hatte er damit begonnen, ein Netz aus Informanten aufzubauen, denn ohne Informationen - so hatte es ihm sein Spymaster gelehrt – stünde er allein auf verlorenem Posten. In den Wintermonaten hatte er die Belagerung der Stadt durch eine niederländische Armee unter Führung des Generals Hendrick van Nassau – Ouwerkerk hautnah miterlebt. Da Whitston mit dem Mord an General Felix Gallas dessen spanische Armee um eine Koryphäe der Verteidigungstaktik gebracht hatte, war die Einnahme von Brüssels nur eine Frage von Tagen. Nachdem die niederländischen Halbkanonen ihren Beschuss auf die Stadt eingestellt hatten, rückten Ouwerkerks Pikeniere, Linieninfanterie und Miliz vor und machten mit den spanischen Besetzern kurzen Prozess.

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Als das Wetter am Anfang des Jahres 1701 milder wurde, hatte sich Whitston nach Frankreich aufgemacht. Nachdem das Ausspähen von Fort Maubeuge ereignislos verlief, da es verlassen war, wandte sich Whitston zunächst nach Lille. In der dortigen Poststation ließ er einen Brief zurück, welcher einen an seine Mittelsmänner in England adressierten und natürlich codierten Bericht enthielt. Als Whitston nach dem Überqueren der Somme schließlich Paris einen Besuch abstattete, erfuhr er durch einen Kontaktmann, dass die Garnison der Stadt auf den Weg nach Le Havre war.

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Als Whitston dies erfuhr, erinnerte er sich daran, dass sich im Sommer des vergangenen Jahres in Le Havre bereits schon einmal ein größerer französischer Truppenverband versammelt hatte, kurz darauf eingeschifft wurde und zuletzt vor der Küste Cornwalls gesehen wurde. Er musste der Sache auf den Grund gehen und machte sich sogleich auf den Weg durch die Picardie und Normandie zur Küstenstadt.

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Die von Claude de Villars geführte Armee lagerte auf einem Gut nahe dem Ort Lillebonne. Das Château d'Ételan war normalerweise der Sitz des Fürsten von Lillebonne, welcher im Jahr 1700 zum Herzog ernannt wurde. In jener Nacht wurden die Gemächer des Schlosses jedoch als Unterkünfte der französischen Offiziere bereitgestellt, um das Gebäude herum hatten die gemeinen Soldaten Zelte errichtet. Für Whitston war es ein leicht gewesen, unbemerkt in das Schloss einzudringen. Die Tatsache, dass das Anwesen über einen gut gefüllten Weinkeller verfügte, stellte sich als begünstigender Faktor heraus, waren die Franzosen doch nicht gerade abgeneigt gegenüber ein Glas – oder mehrere.

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Der Rittmeister hatte wohl etwas zu viel getrunken, zumindest lag eine leere Weinflasche auf den dunkelrot eingefärbten Dielen nahe dem Himmelbett, in dem der Goldtressenträger vor sich hin schnarchte. Die Tat war schnell und präzise ausgeführt – business as usual. Whitston fragte sich, wie lange er wohl noch auf dem Festland eingesetzt werden sollte. Nicht etwa, weil er Sehnsucht nach einer auf ihn wartenden Familie hatte, schließlich war er als Waisenkind unter den Fittichen seines späteren Spymaster aufgewachsen. Dabei hatte sich nie ein Vater-Sohn-Verhältnis aufgebaut, es war eher von eiskaltem Gehorsam geprägt gewesen.

Nein, er war des seit Monaten eintönigen Geschmack von Coq au vin, Pot-au-feu, Tarte Tatin und der übermäßigen und reichlichen Verwendung von Kalbfleisch und dicken Rahmsaucen überdrüssig. Whitston sehnte sich nach Full English Breakfast, Yorkshire Pudding, Sunday Roast und Dandelion and Burdock. Es sollte jedoch noch einige Zeit bis dahin verstreichen, denn der Schurke Frankreich kannte keine Teatime

[to be continued]
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