[AAR] Empire - Sie trugen die Krone

AAR zum Spiel u.a. Empire: Total War

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 28. April 2012 20:40

III. DER KRIEG IM OSTEN (AB 1711)

Hatte Leopold I. bisher bei vielen Gelegenheiten klar seine Familieninteressen in den Vordergrund gestellt, zeigte er sich mit seiner diplomatischen Kehrtwende im Jahre 1710 bemüht, die Reichsinteressen zu wahren. Schon seine Teilnahme am Feldzug gegen die Preußen 1705 war kein Zufall gewesen. Der Römische König und Kaiser demonstrierte hier eindeutig seine Absicht, dem Kaisertum wieder zu hohem Ansehen zu verhelfen. Selbstverständlich suchte er zunächst und vor allem Macht und Ansehen seiner eigenen Territorien zu heben, aber diese benötigte er ja, um als Kaiser mit dem nötigen Nachdruck auftreten zu können. Man kann daher die österreichische Großmachtpolitik kaum von der Reichspolitik des Kaisers trennen. Gewiss dachten Männer wie Eugen, Sinzendorff und Starhemberg eher in erbländischen als in reichischen Kategorien, aber auch ihnen war die Bedeutung und Wichtigkeit der Kaiserkrone für ihren Herrscher und dessen europäisches Ansehen bewusst, und sie verkannten auch nicht, wie sehr die Großmachtstellung Österreichs erst durch die enge Verbindung zum Reich gestützt, wenn nicht gar erst ermöglicht wurde.

Leopold I. hatte - vor allem gemeinsam mit Bayern - den preußischen Übergriff auf Sachsen zurückgewiesen. Dass der Kaiser sich aber weiter nicht gewillt zeigte, dass von österreichischen Truppen "beschützte" Sachsen wieder an August zu übergeben, erzürnte nicht nur den sächsischen Kurfürsten, sondern beunruhigte auch die übrigen deutschen Länder. Die Beziehungen zu Preußen hatten sich in den vergangenen Jahren nicht nur wieder normalisiert, sie waren sogar besser als zuvor, sah man in Friedrich I. doch einen geeigneten Ausgleich zum jetzt als zu mächtig empfundenen Leopold. Bayern hielt sich weiter eng an Österreich, jedoch Württemberg und Hannover näherten sich Preußen an, während sich der Kölner Erzbischof (Westfalen) nach Westen - zu Frankreich - orientierte, um einer zu starken Dominanz Österreichs etwas entgegen zu setzen.

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Der Schulterschluss zwischen Österreich und Preußen, im Vertrag vom 15. November 1710 besiegelt, war ein überraschender, jedoch folgerichtiger Schwenk in Leopolds Außenpolitik. Auch Polens August hatte versucht, mit Wien zu einem Bündnis - gegen Preußen - zu kommen. Der Kaiser hatte einige Zeit abgewartet, zu wessen Gunsten sich der Krieg zwischen Preußen und Polen entwickeln würde und ergriff nun für Friedrich I. Partei, weil dieser unterzugehen drohte.: Polnische Truppen standen im Winter 1710 bereits nahe vor Berlin. Ein geschlagenes Preußen und ein derart mächtiges Polen an den Grenzen war für das Habsburger Reich, das sich zudem Augusts Kurfürstentum Sachsen einverleibt hatte, aber nicht akzeptabel. Durch den Bund mit Preußen hatte sich Österreich außerdem wieder eingereiht in die Riege der deutschen Nationen - im Westen lauerte mit Frankreich ein gefährlicher Konkurrent, der selber allzu seinen Einfluss über den Rhein hinweg geltend machen wollte.

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Der protokollarische Vorrang des Kaisers vor allen übrigen Herrschern Europas allein war schon ein nicht unwichtiger Faktor, den Leopold I. bewahren musste. Sein außenpolitischer Schwenk stellte auch den Versuch dar, das Reich mit politischem Leben im Sine einer stärkeren Stellung des Kaisers zu erfüllen - freilich nicht ohne Vorbehalt. Denn wie sonst soll man die Tatsache erklären, dass gerade zur Zeit der aktivsten Reichspolitik der Regierungschef Sinzendorff erreichte, dass künftig alle diplomatischen Korrespondenzen von der österreichischen Hofkanzlei geführt werden sollten, mit Ausnahme des Schriftwechsels zwischen Kaiser und Reichsfürsten, der bei der Reichskanzlei verblieb.

Die Priorität der österreichischen Politik war damit dokumentiert, der Reichsvizekanzler sollte, als ein von außen, aus dem Reich Gekommener, eine Randfigur bleiben. So hat der Kaiser sich auch tatsächlich der Person Schönborns als des Instruments seiner Reichspolitik zwar bedient, zum engsten Kreis seiner Vertrauten gehörte der Reichsvizekanzler, der selbst durchaus ein Verfechter der kaiserlichen Politik war, aber wohl nicht. Das österreichische Selbstbewusstsein war 1710 deutlich spürbar und stand nicht im Gegensatz zum politischen Schulterschluss mit den Reichsfürsten. Militärisch hatte Wien einiges aus der effektiven Kriegsführung der Preußen gelernt und kopiert, zum Beispiel die Ausbildung der Infanterie, sich in Gefechtssituationen auch in Quadratformationen aufzustellen. So konnten die Fußtruppen feindliche Kavallerieangriffe weitaus effektiver abwehren als in der in dieser Hinsicht verletzlichen Linienformation.

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Österreich musste nun eine gemeinsame Kriegsführung der Reichsmitglieder auf die Beine stellen. Wenn auch Leopold schon in seinen ersten Skripten an die Reichsstände eine seit langem nicht mehr gebräuchliche scharfe Sprache anschlug, unter der Androhung der Exekution die rückständigen Reichskontingente und Matrikularbeiträge anmahnte und die Autorität und Rechte des Reiches betonte, so erreichte er damit eher wenig. Denn anfangs tat sich der Reichstag schwer, die benötigten Gelder für den Krieg gegen Polen zur Verfügung zu stellen. Dass dies gelang, war nur dem persönlichen Eingreifen des Kaisers zu verdanken. Es gelang Leopold I. indes nicht, gegen den Widerstand der großen Reichsstände eine einheitliche zentrale Reichsarmee aufzustellen. Er blieb angewiesen auf die Kontingente der armierten Stände und den Finanzbeitrag der kleinen Territorien. Immerhin wurde zum ersten Mal eine Reichsgeneralität und ein Reichskriegsrat als Aufsichtsgremium geschaffen und in einem Geflecht von Verträgen wurde der gegenseitige Zugang militärischer Kräfte auf das Territorium der jeweils anderen Reichsmitglieder, zum Passieren bzw. zum Schutz derselben, geregelt.

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Schon 1681 war es vor dem Hintergrund wachsender französischer Bedrohung zur Verabschiedung einer Militärordnung, die später Reichskriegsverfassung genannt wurde, gekommen. Danach hatten die Reichskreise eine Armee von zusammen 40.000 Mann zu stellen. Neben einer Reichskriegskasse wurden auch Kreiskriegskassen eingerichtet. Aber auch diese Regelung führte nicht zu einem stehenden Reichsherr. Viele Fragen, wie die Bestellung der Generalität, blieben ungeklärt. Beispielsweise an den Türkenkriegen, die nicht als Reichskriege geführt wurden, war die Reichsarmee nicht beteiligt. Dies war Sache der habsburgisch-kaiserlichen Truppen, der Kontingente anderer Territorien und die einiger Reichskreise. Das österreichische Heer war 1710 so weit aufgebaut und ausgebildet, dass man sich in Wien den Krieg gegen Polen (das immerhin mit Russland verbündet war) zutraute. Man wollte nur die Finanzierung dafür nicht alleine schultern, verschlangen die Unterhaltungskosten des Heeres doch bereits sämtliche freien Mittel im Haushalt des Schatzamtes.

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Beitragvon Mark » 29. April 2012 15:29

Im folgenden Frühjahr 1711 wurde der nach dem Bund mit Preußen fällige zweite Schritt dann auch offiziell getan. Leopold I. ließ in seiner Funktion als gewählter Kaiser über das Heilige Reich den polnischen König - der wegen seiner Kurwürde für Sachsen zugleich ja auch Reichsfürst war - auffordern, seine Truppen unverzüglich von preußischem Boden zurückzuziehen und die Feindseligkeiten einzustellen. Da August II. als Gegenleistung für einen solchen Schritt aber wieder nur die vage Aussicht auf die Wiederherstellung seiner Stellung in Sachsen erhielt, konnte er - seine Truppen standen immerhin kurz vor Berlin und dem Sieg über Preußen - diese Aufforderung nur scharf zurückweisen.

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Damit hatte Leopold I. sein politisches Ziel erreicht: Der militärische Schutz Preußens war Österreich im Namen der übrigen Reichsmitglieder Württemberg, Bayern, Westfalen, Hannover und des mit Hannover verbundenen Großbritannien anvertraut worden. Friedrich I. selbst begrüßte Wiens Kriegseintritt an seiner Seite sowieso. Wie erwartet schloss sich daraufhin der russische Zar seinem polnischen Alliierten an, den er schließlich noch als potenten Verbündeten im Nordischen Krieg gegen Schweden benötigte. Das von Polen abhängige Kurland hatte indes gar keine andere Wahl, als dem Waffengang Augusts II. gegen die deutschen Länder zu folgen.

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Berlin war bedroht, wo eine 2.500 Mann starke polnisch-litauische Armee unter Marschall Dobromil Krakowski bereitstand, die bald verstärkt werden sollte. Es kam darauf an, Berlin zu retten, denn nach einem Sieg über Preußen hätte König August II. alle Kräfte an der Nordfront gegen Österreich zusammenziehen können. Da Friedrich I. gezwungen war, zugleich seine Küste vor einer Invasion von der Ostsee aus zu schützen, mussten die Habsburger Alliierten bei Berlin in die Offensive gehen.

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Guido von Starhemberg verfügte über etwa 4.200 Mann. Eile war bei dem Aufmarsch geboten gewesen, und es war sehr günstig, dass schwere Artillerie und Nachschub auf dem Wasserweg befördert werden konnten. Starhemberg hatte den langen Marsch seiner Armee gut organisiert. Seit dem Abschluss des Bündnisvertrags mit Preußen hatte er alle notwendigen Vorbereitungen getroffen. Er hatte die Zustimmung und Hilfe aller deutschen Fürsten gewonnen. Die Brücken waren in einem guten Zustand, und die Verpflegung stand überall, wo sie gebraucht wurde, bereit. Deutsche Banken hatten die nötigen Kredite bewilligt, und alles war bar bezahlt worden. So wurde die Armee auch von der Bevölkerung freundlich aufgenommen. An der preußischen Grenze wurde die Truppe mit neuen Stiefeln ausgerüstet. Die Disziplin war gut, denn es war für ausreichende Bekleidung, Verpflegung und Unterkunft gesorgt.

Das große Zusammentreffen der österreichischen und polnischen Truppen erfolgte am 16. Mai 1711 etwa 32 Kilometer östlich von Berlin. Die Polen und Litauer lagerten im freien Gelände auf Stoppelfeldern hinter einer sumpfigen Niederung. Hinter ihnen lag bewaldetes Gebiet. Das war eine starke, an den Flanken gesicherte Stellung, die vor der Front durch den Sumpf geschützt wurde. Die Österreicher waren aber artilleristisch überlegen.

Zuerst gingen die Infanterieverbände in ihre Stellungen, damit der Hauptangriff erfolgen konnte. Ein vier Stunden dauerndes Artillerieduell verursachte schwere Verluste auf beiden Seiten. In dieser Zeit wurden bei den Truppenteilen Feldgottesdienste abgehalten. Starhemberg inspizierte seine Verbände, und einmal schlug eine Kanonenkugel so dicht neben ihm ein, dass eine Staubwolke ihn vor den Blicken seiner Soldaten verbarg. Die Sonne schien heiß und alles wartete mit großer Spannung auf den Anfang der Schlacht. Kurz nach Mittag konnte ein Ordonnanzoffizier die Meldung überbringen, Starhemberg habe die Bereitstellung eingenommen, und Krakowski befahl den Angriffsbeginn.

Nach Auffassung von Krakowski hatte Starhemberg seine Truppen nicht richtig aufmarschieren lassen, die Kavallerie stand wie üblich jeweils an den Flügeln. Krakowski hatte seine Reiter dagegen in der Mitte postiert, weil ihm das Gelände gut für einen Kavallerieangriff geeignet erschien. Die Polen reagierten auf die günstige Situation und ritten eine Attacke in das Zentrum der Habsburger Linie.

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Ungeachtet dessen stießen die österreichischen Kolonnen in die Ebene vor und gingen fächerförmig auseinander, um die Schlachtordnung einzunehmen. Die Hauuptkräfte im Zentrum konnten mit einiger Mühe den gegnerischen Kavallerieangriff abwehren. Von hinten war bereits die polnische Infanterie herangerückt, um den Rückzug der Kavallerie zu decken. Viele Männer fielen im Abwehrfeuer der Österreicher, aber zwei weitere Brigaden füllten die Lücken. Es entwickelte sich ein blutiges Gefecht der in Linien angetretenen Musketenschützen.

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Nun befahl Starhemberg, die gegnerischen Kräfte im Zentrum zu binden und daran zu hindern, an anderer Stelle in die Schlacht einzugreifen. Während also die harten Kämpfe im Zentrum den ganzen Tag weitergingen, rückte der linke Flügel der Österreicher vor und erfüllte seinen Auftrag. Krakowski dagegen ritt an der ganzen polnischen Linie entlang und inspizierte jeden einzelnen Truppenteil , ohne die Lage an irgendeiner Stelle in der Hand zu haben oder die Gesamtsituation zu überblicken. Zwar war es im Zentrum ein heißes Gefecht, und an einigen Stellen gerieten die Polen ins Schwanken, wurden aber nicht zurückgetrieben. Starhemberg ließ nun Infanterie und Kavallerie eng zusammenarbeiten, wie sie es in der Ausbildung gelernt hatten. Die Reiter waren geübt worden im Umgang mit Karabinern, Musketen mit kurzen Läufen, die man auch vom Sattel aus abfeuern konnte.

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In vorderster Linie griffen im Zentrum nun die Reiter an, denen die österreichische Infanterie folgte. Zwischen den einzelnen Infanterieverbänden wurden Lücken gelassen, durch die sich die Kavallerie im Notfall zurückziehen konnte, um sich für neue Attacken bereitzustellen. Die polnische Infanterie, die nach Starhembergs Meinung "vom Kämpfen nichts weiter wussten, als dass man an seinem Posten zu sterben bereit sein muss", bewährte sich in dieser Phase der Schlacht nicht.

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Sobald die Mitte der polnischen Front durchbrochen war, verlor Krakowski die Nerven und ordnete den Rückzug seiner Armee an. Um 21 Uhr boten die polnischen Offiziere Starhemberg die Kapitulation an. 2.300 polnische Soldaten waren getötet oder verwundet worden, weitere 200 unverwundete Männer gerieten in Gefangenschaft.

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 30. April 2012 19:52

Die Schlacht von Berlin hatte tiefgreifende Folgen. Anfang 1711 hatte August II. kurz davor gestanden, seine ehrgeizigen Ziele zu verwirklichen und die Herrschaft über Sachsen, Preußen bis hin nach Polen zu gewinnen bzw. zu vereinen. Berlin war schon so gut wie in seiner Tasche, und der polnische König ging davon aus, dass selbst der österreichische Kaiser dazu gezwungen war, sich seinem Aufstieg zu beugen. Aber nach dem Feldzug blieb August II. in der Defensive, da er wusste, dass seine Armee und seine Finanzen erschöpft waren, und suchte, seine Grenzen zu erhalten. Mit seinem Feldzug und besonders jenen Stunden vor Berlin vertrieb Guido von Starhemberg einen Schatten, der jahrelang über Preußen gelegen hatte.

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Innerhalb der Wiener Regierung entbrannte eine leidenschaftliche Debatte darüber, wie es nun weitergehen solle. Kaiser Leopold I. neigte der Einschätzung zu, dass man mit dem Sieg von Berlin wieder das Gleichgewicht zwischen Preußen und Polen hergestellt habe, einen guten Zustand zum Erhalt des Status Quo. Auf der Seite der Falken führte Prinz Eugen von Savoyen das Wort. Sie meinten, dass Polen wegen der Besetzung von Ostpreußen noch immer eine ernsthafte Gefahr für den Fortbestand des Königreichs Preußen darstelle und Österreich unbedingt die derzeitige Übereinstimmung mit den Kurfürsten nutzen müsse, seinen Einfluss zu Lasten von August II. zu vergrößern. Auch der Wiener Schatzmeister Theodor von Strattmann, der das Vertrauen des Kaisers besaß, schlug sich auf die Seite der Kriegsbefürworter. Strattmann wies darauf hin, dass das Habsburger Reich in den vergangenen Jahren eine Armee aufgebaut habe, die den Haushalt über die Maßen belasten würde, wenn sie jetzt nicht zur Vergrößerung des eigenen Territoriums eingesetzt werden würde. Mit der Arbeit des Schatzmeisters war der Kaiser im besonderen Maße zufrieden, denn Strattmann hatte erst 1711 seine Talentstufe von vier auf sechs Sterne gesteigert und führte das Schatzamt mit hoher Professionalität.

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Leopold I. zögerte lange mit seiner Entscheidung, beugte sich nach einigen Monaten dann aber doch der Kriegspartei Eugens. Wegen des ungewöhnlich harten Winters zwischen den Jahren 1711 und 1712 verzichtete man aber auf einen sofortigen Angriff. Eugen von Savoyen verstärkte in dieser Zeit vorsorglich die Garnisonen in Siebenbürgen, weil man bei der bevorstehenden Intensivierung des Kriegs gegen Polen auch mit mehr Entschlossenheit des polnischen Verbündeten Russland rechnen musste. Es erschien unwahrscheinlich, dass die Soldaten des Zaren einen Angriff auf Klausenburg wagen würden, es konnte aber auch nicht ausgeschlossen werden.

Eifersüchtig registrierte der Marineminister Bach die wachsende Bedeutung des Prinzen im Wiener Kabinett und setzte einen Präsentationstermin beim Kaiser entgegen, bei dem er Leopold I. den neu entwickelten Sextanten vorführen ließ. Das war ein nautisches und optisches Messinstrument, mit dem man den Winkel zwischen den Blickrichtungen zu relativ weit entfernten Objekten, insbesondere den Winkelabstand eines Gestirns vom Horizont, bestimmen konnte. Das erste Konzept für ein Gerät zur Winkelmessung mit Hilfe von Spiegeln stammte von Isaac Newton, der seinen Entwurf 1700 an die Royal Society einreichte. Seine Skizzen blieben jedoch unbeachtet und wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht. Die ersten Sextanten waren noch aus Holz gebaut. Auf See verzog sich das Holz durch die Luftfeuchtigkeit, so dass die Instrumente bald aus Metall gefertigt wurden. Aber auch so blieb der Sextant ein recht empfindliches Instrument, bei dem schon eine kleine Verformung des Zeigers oder eine kleine Verstellung des Spiegels durch ein Fallenlassen zu einer falschen Positionsbestimmung führen konnte, die um viele Kilometer neben der tatsächlichen Position lag. Trotzdem ersetzte der Sextant schnell das mittelalterliche Astrolabium, erhöhte es doch die Geschwindigkeit aller Schiffe auf der Kampagnenkarte um 10%.

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Hatte Bach gehofft, mit der Ausbildung der Führungskräfte zur See am Sextanten beim Kaiser Eindruck zu schinden, musste er 1712 erkennen, dass Prinz Eugen es war, der die Aufmerksamkeit des Wiener Hofes auf sich lenkte. Ein Jahr nach Starhembergs Sieg vor Berlin wollte Eugen von Savoyen endlich auch persönlichen Ruhm ernten und überschritt mit 6.500 Mann von Schlesien aus die Grenze zum Königreich Polen. Im Juni 1712 plünderten seine Soldaten Krakau und verwüsteten das südliche Polen. Wer war dieser ehrgeizige Militär?
Eugen von Savoyen gehörte dem europäischen Hochadel an. Seine Familie besaß Verbindungen zu den spanischen und österreichischen Habsburgern genauso wie zu den französischen Bourbonen und den deutschen Häusern Wittelsbach und Baden-Baden. Von diesen "internationalen" verwandtschaftlichen Beziehungen profitierte Eugen vor allem zu Beginn seiner militärischen Karriere. Bei der Wahl seiner Dienstherren achtete er nicht darauf, in welchem Land er Dienst tun wollte – eine Einstellung, die keine Besonderheit für den europäischen Adel der Frühen Neuzeit war.

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Weil er auf eine erfolgreiche militärische Laufbahn hoffte, bot er seine Dienste dem Haus Österreich an, obwohl er dem Haus Savoyen-Carignan entstammte, einer in Frankreich ansässigen Nebenlinie des in Italien souverän herrschenden savoyischen Herzogsgeschlechtes. Eugen vertrat zeit seines Lebens treu die Interessen seines österreichischen Dienstherrn, war aber dennoch stolz auf seine franco-italienische Herkunft. Viele seiner Familienmitglieder schlugen eine militärische Karriere in den verschiedenen europäischen Heeren ein. Eugens Großvater hatte Spanien und Frankreich gedient, in dessen Armee später auch Eugens Vater Dienst tat. Eugen konnte diesem Karriereweg nicht folgen, da die Familie inzwischen in Ungnade gefallen war. Er musste sein Glück deshalb wie seine Brüder außerhalb Frankreichs suchen.

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Im Juli 1683 erfuhr Prinz Eugen vom Tod seines Bruders Oberst Ludwig Julius von Savoyen. Dieser war in einem Gefecht gegen die Krimtataren in Österreich schwer verwundet worden und erlag Tage später seinen Verletzungen. Eugen verließ heimlich Paris. Er hoffte, das kaiserliche Dragonerregiment seines Bruders zu erhalten, und ging nach Passau zu Kaiser Leopold I. Als junger Oberstleutnant zog Eugen dann mit dem Entsatzheer nach Wien und kämpfte in der Schlacht am Kahlenberg an der Seite seines Cousins Ludwig Wilhelm von Baden. Er hat sich offenbar bewährt und genoss die Protektion des Badeners, der Spanier und die Gunst des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel. Ende 1683 erhielt er daher als Oberst ein eigenes Dragonerregiment.

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In den folgenden Jahren hat er noch den Wechsel in die Dienste Savoyens oder Spaniens in Erwägung gezogen. Als er 1685 nach Madrid reiste, wurde er sogar zum spanischen Granden erhoben und erhielt den Orden vom Goldenen Vlies. Die Versuche seiner Mutter, ihn mit spanischen Damen zu verheiraten, scheiterten. Er blieb letztlich in österreichisch-habsburgischen Diensten.

Immerhin wurden maßgebliche Kreise auf ihn aufmerksam, und der Hofkriegsratspräsident Ernst von Starhemberg empfahl ihn 1697 für den Oberbefehl im noch immer andauernden Türkenkrieg. 1697 wurde er zunächst Stellvertreter des Oberbefehlshabers in Ungarn während des Großen Türkenkrieges. Er konnte die Truppen reorganisieren und ihre zurückgegangene Kampfkraft wiederherstellen. Seinen Ruf als Feldherr begründete der entscheidende Sieg in der Schlacht bei Zenta (in der Vojvodina) am 11. September 1697, wo er die Hauptmacht des osmanischen Heeres bei einem Flussübergang vernichten konnte.

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All dies veranlasste Eugen von Savoyen Ende des Jahres 1702 dazu, nach Wien zu gehen, um auf Veränderungen bei den für das Militär zentralen Positionen zu drängen. Dies hatte zunächst nur wenig Erfolg. Aber am 27. Juni 1703 wurde er dann selbst zum Präsidenten des Hofkriegsrates in Wien und zum Generalleutnant, in Österreich damals der höchste militärische Titel als Stellvertreter des Kaisers im Oberkommando der Armee, ernannt. Er vereinte nun den Posten als Minister und den des Generals. Zunächst kümmerte er sich um eine vorerst improvisierte Reorganisation des Militärwesens und nahm bei der Frage der Finanzierung keine Rücksichten auf überkommene Rechte der Stände.

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Eugen von Savoyen tat den nächsten Schritt seiner Karriere mit dem gelungenen Sturm auf die Festung Warschau, die beiden Seiten hohe Verluste abverlangte. Ungeachtet dessen erntete der Prinz dafür viel Lorbeeren am kaiserlichen Hof, denn die Eroberung des polnischen Kernlandes war ein Erfolg von großer symbolischer Strahlkraft. Eugen hatte mit dem schnellen Angriff vermieden, in einem womöglich wieder harten Winter mit einer so großen Streitmacht vor den Mauern von Warschau ausharren zu müssen (eigentlich wird der "Winterverschleiß in der Total War Reihe erst mit dem Nachfolger Napoleon eingeführt). Und er hatte August II. den wohl entscheidenden Schlag versetzt, bevor dessen Verbündeter, Zar Peter I. eingreifen konnte.

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 1. Mai 2012 16:53

Die eigentlichen Probleme entstanden erst nach der militärischen Einnahme von Polen, denn die Soldaten der Habsburger waren Besatzer und der Bevölkerung überhaupt nicht willkommen. Die einfache Bevölkerung verweigerte sich der Zusammenarbeit mit den neuen Herren und provozierte immer wieder drakonische Maßnahmen durch die österreichischen Truppen unter Eugen von Savoyen. Politisch war die Situation in Polen schon vorher, unter August dem Starken, nicht einfach gewesen. Eugen erbte quasi diese Probleme nun von dem Wettiner August. Dessen Großmachtspläne dagegen schienen nach dem Verlust Polens endgültig gescheitert.

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So sieht's aus, wenn die Unterschicht nicht im grünen Bereich ist: bei einer Zufriedenheit von Null oder Negativ. In der ersten Runde, in der dieser Zustand besteht, kommt es zu Streiks, so wie hier. Werden die Ursachen für die Unzufriedenheit nicht beseitigt, folgen in der zweiten Runde Ausschreitungen mit Toten und Beschädigungen in der Stadt. In der dritten Runde darf man dann mit einer handfesten Rebellion und dem Auftauchen eines marodierenden Heeres in der betroffenen Provinz rechnen.

August hatte 1704 noch den Plan gefasst, seinen Sohn mit der österreichischen Erzherzogin zu vermählen, um sich damit besser gegen das immer stärker werdende Preußen behaupten zu können. Zudem erhoffte er sich davon im Falle eines Aussterbens des Hauses Habsburg die Möglichkeit zum Gewinn der Kaiserkrone für sich selbst oder seinen Sohn – diese Absichten mussten jedoch bald wieder aufgegeben werden. Die Anfragen zu einem gegen Preußen gerichteten Bündnis wurden von Leopold I. aber zurückgewiesen, obwohl dieser zu der Zeit ja sogar einen Reichskrieg gegen Friedrich I. anführte.

Weil sein evangelisches Kurfürstentum Sachsen seit 1705 unter Kontrolle der Habsburger stand, musste sich August der Starke auf sein Königreich Polen als neue Basis seiner Macht konzentrieren. Mit dem Übertritt Augusts zum Katholizismus verlor Sachsen die Führungsrolle unter den evangelischen Reichsständen an Brandenburg-Preußen. Unweigerlich entfremdete der Glaubenswechsel, der nur aus machtpolitischem Kalkül heraus geschehen war, den Landesherren von seinen protestantischen Untertanen in Sachsen. Seine Konvertierung zeigte bereits an, dass August sich zukünftig weniger als Kurfürst denn als polnischer König ansehen würde. Nun beschränkte sich sein Territorium auf die Provinzen Ostpreußen, Galizien, Litauen und Wolhynien.

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Diese Spießgesellen, pandurische Freischärler, sind allerdings keine Rebellen, sondern "irreguläre" Truppen von polnischer Seite. In Empire schleicht die KI ganz gerne mit solchen Mini-Armeen auf der Karte herum und plündert einem die Städte. Dem kann man ganz gut mit kleinen Garnisonen in diesen Vorstädten begegnen. Hier sieht man, wie gleich zwei meiner Garnisonen (eingekreist) zum Abfangen einer nahen feindlichen Einheit gerufen werden.

Eugen von Savoyen stützte sich als neuer Statthalter in Polen hauptsächlich auf österreichische Beamte, denn die polnischen Beamten, die Kronarmee und die Staatskasse unterstanden in Polen dem Sejm, dessen Politik von den mächtigen Magnatenfamilien bestimmt wurde. Ihre Neigung zur Bildung von Konföderationen verwandelte das Königreich in ein Pulverfass. Der Reichstag Polens war durch diese Privatinteressen relativ handlungsunfähig die Krone selbst hatte nur beschränkte Einkünfte, die dem Kronschatzmeister unterstanden. Eugen von Savoyen strebte er daher die Entmachtung des Reichstages in einem Staatsstreich an. Seine Vertreter forderten dort die Verschmelzung der Habsburger Truppen mit der polnischen Kronarmee, nachdem man 1713 sämtliche polnische Festungen besetzt, Lager anlegen und Verhaftungen hatte vornehmen lassen.

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Da dies ein erster Schritt zur Errichtung einer absolutistisch orientierten Erbmonarchie in Polen bedeutet hätte, provozierte es 1714 den Aufstand der Konföderation von Tarnogrod. Es war hauptsächlich ein Aufstand des Kleinadels gegen Eugen, bedeutende Magnaten wie zum Beispiel Litauens Hetman Ludwik Pociej (ein Freund Peters I.) versuchten eher zu vermitteln. Die österreichischen Truppen blieben zwar in allen größeren Gefechten siegreich, konnten den Aufstand aber nicht beenden.

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Nach 1714 zeichnete sich jedoch eine gewisse Stabilisierung seiner Regierung in Polen ab, wodurch zwar einige Reformen möglich wurden – aber für solche im Sinne des Absolutismus bestand keine Aussicht. Mehrere Reichstage platzten, und Eugen bemühte sich ergebnislos, dem Erzherzog die Nachfolge zu sichern. Wenigstens erholte sich Polen in den folgenden Jahren wirtschaftlich von den Auswirkungen des Krieges. Der Gutsadel produzierte intensiv, der Warenaustausch zwischen Polen und Österreich, durch Zollabkommen erleichtert, stieg. Vorzugsweise kamen dabei die Rohstoffe aus Polen und Fertigprodukte aus Sachsen. Paläste, Parks und zahlreiche neue Kirchen zeugten davon, dass Polen nach wie vor über Ressourcen verfügte. Nur fehlte es in der, sich ständig in innerer Blockade und Ohnmacht befindlichen, Adelsrepublik am Willen, etwas daraus zu machen. Eine zentrale Wirtschafts- und Finanzpolitik war in Polen nicht durchsetzbar, ein großer Teil der Steuern (siehe Haken bei "Provinz von der Steuer befreien") blieben auf dem Einzugswege hängen und merkantilistisches Denken beschränkte sich auf das Eigeninteresse der Magnatenfamilien. Es dauerte aber noch Jahre, bis sich der Widerstand der polnischen Bevölkerung legte. Österreich konnte seine Herrschaft hier nur dank der Repression durch seine Besatzungstruppen ausüben.


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Was also tun, wenn die eigene Bevölkerung nicht zufrieden ist und streikt? Tarifverhandlungen? Steuerfreies Urlaubsgeld? Nein, wir sind eine absolute Monarchie und lösen das vor allem mit Soldaten, die wir in Polen stationieren. Aber ok, ganz so verkehrt war die Idee gar nicht: Ich befreie die Provinz Polen zusätzlich noch von der Zahlung von Steuern (unterster Pfeil), das reicht so gerade, um den extremen Wert von -27 Unzufriedenheit aufgrund des Widerstands gegen Fremdherrschaft (mittlerer Pfeil) auszugleichen. Der taucht vornehmlich in eroberten Hauptstädten auf und verringert sich nur langsam über die Zeit. Es wird also nichts mit unbegrenzter Steuerfreiheit - irgendwann später wird Polen ein völlig gewöhnlicher Teil des Habsburger Reiches sein.

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 2. Mai 2012 19:45

Weil der Widerstand der Polen so groß war und sich auch mit der Zeit kaum verflüchtigte, waren dem Expansionsdrang Österreichs vorläufig Fesseln angelegt, wollte man nicht den finanziellen Kollaps und den Verlust der jüngsten Landgewinne riskieren. Es musste erst eine mehrjährige Phase der Konsolidierung erfolgen, bevor Eugen von Savoyen an die Fortsetzung des Krieges denken konnte. Im militärischen Bereich war das zum Beispiel die Einführung der speziellen Kompanien ungarischer Grenadiere nach französischem und preußischem Vorbild.

Seit 1667 mussten sich in jeder französischen Infanterie-Kompanie vier Soldaten auf den Umgang mit Granaten spezialisieren und wurden deshalb als Grenadiere bezeichnet. Ab 1713 wurden auch in Österreich-Ungarn Grenadier-Einheiten aufgestellt. Der Begriff wurde in dieser Zeit aus dem Französischen auch in die deutsche Sprache übernommen. Für die Aufstellung einer Grenadier-Einheit wurden die stärksten, geschicktesten und oft die größten Soldaten ausgesucht (ein Beispiel waren die „Langen Kerls“ in Preußen).
Die Grenadiere bildeten eine militärische Elite: Sie wurden bei Belagerungen mit besonders gefährlichen Aufgaben betraut und an Schwerpunkten des Kampfes in der Schlacht eingesetzt. Zu ihrer Bewaffnung gehörte neben etwa einem Dutzend Granaten eine Muskete mit Bajonett und ein Säbel. Oft konnte man die Grenadiere auch rein äußerlich von den anderen Soldaten unterscheiden: Um beim Werfen der Granaten nicht behindert zu werden, trugen sie stets schmale Kopfbedeckungen statt der damals üblichen, breiten Hüte (Dreispitz).

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Auch im Bereich der Philosophie und der Große Denker der Zeit kamen weitere neue Ideen und Theorien auf, die sich nicht unbedingt mit dem Absolutismus vertrugen. Der Utilitarismus (lateinisch: Nutzen) formulierte als Grundlage für die ethische Bewertung einer Handlung das Nützlichkeitsprinzip. Den Kern des Utilitarismus kann man in der Forderung zusammenfassen: „Handle so, dass das größtmögliche Maß an Glück entsteht!“ Insofern war der Utilitarismus eine Ethik des Hedonismus bzw. der Eudaimonie.

Die Anfänge utilitaristischen Denkens in Europa fanden sich in Thomas Hobbes' "Leviathan", dessen grundlegende ethische Aussage darin bestand, dass „richtiges“ Verhalten jenes sei, das unser eigenes Wohlergehen fördere. In der Schrift „Über die Freiheit“ maß John Stuart Mill Freiheit und insbesondere der Meinungsfreiheit einen grundlegenden Wert bei. Um die Wahrheit zu erkennen, müssten alle relevanten Argumente geprüft werden. Dies sei jedoch unmöglich, wenn Meinungen und Argumente politisch unterdrückt werden. Die richtige Bestimmung des größten Glücks setzte also die Freiheit der Meinungsäußerung voraus. Die Folgen dieses Fortschritts waren für das Habsburger Reich also zwiespältig: Wirtschaft, Baukosten und Prestige wurden verbessert, in der einfachen Bevölkerung wuchs aber weiter der Ruf nach politischen Reformen (-1 Zufriedenheit).

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Ebenso verhielt es sich mit dem Fortschritt "Regierung durch Konsens", den man 1715 in Österreich aus den Werken von John Locke aufgriff. Der Engländer Locke schrieb seine Werke vor dem Hintergrund der Konflikte zwischen Parlament und Krone. Zu seiner Zeit waren es keine abstrakten Überlegungen, sondern argumentatorische Waffen im Konflikt um die neue Gesellschaftsordnung. Dabei stand das absolute Recht des Königs gegen die Ansprüche des Bürgertums auf Regierungsbeteiligung und eigene Rechte gegenüber dem König. Locke begründete, warum die Macht des Herrschenden eingeschränkt sein soll.

Er ging von natürlich gegebenen Rechten der Menschen aus, setzte bestimmte Annahmen über den Zustand des Menschen in Abwesenheit des Staates und leitete von diesen ab, wie die Menschen im Naturzustand zusammenlebten. Über die Anhäufung von Eigentum bildeten sich Gesellschaften. Mithilfe seiner Vertragstheorie begründete Locke, wie diese sich Gesellschaftsverträge und somit Regierungen gaben. Da Regierungen nur geschaffen wurden, um bestimmten menschlichen Zwecken zu dienen, konnte er im Folgenden legitime und illegitime Regierungen unterscheiden. Gegen illegitime Regierungen sah er ein Recht auf Revolution. Das führte - neben dem Stärken von Wirtschaft und Fortschritt - mal wieder zu -1 Zufriedenheit der Bevölkerung wegen des drängenden Wunsches nach politischen Reformen.

Das Recht zur Revolution ergab sich für Locke zwingend aus seinem Verständnis der Naturrechte. Freiheit, Gleichheit und Unverletzlichkeit von Person und Eigentum erklärte er zu den höchsten Rechtsgütern. Locke definierte aber auch eine legitime totale Einschränkung der Freiheit: Sklaverei. Menschen könnten andere Menschen in dem Moment legitim versklaven, in dem letztere einen ungerechten Krieg beginnen und verlieren. Der Sieger hatte, um den Krieg zu beenden, in diesem Moment nur die Wahl, seinen Gegner entweder zu töten oder zu versklaven.

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Zu guter letzt dann noch die Fortschritte im Bereich der Industrialisierung. Im Theoretischen war es 1714 der in England lebende Sozialwissenschaftler Bernard Mandeville, der mit seiner "Bienenfabel" die Basis für eine andere Sichtweise der Ökonomie als die des Utilitarismus legte. Darin verwendete Mandeville erstmals den Begriff der Arbeitsteilung (Division of Labour) und beschrieb er als einer der ersten, dass die Wirtschaft ein Kreislaufsystem sei. Er stellte die provozierende These auf, dass nicht die Tugend, sondern das Laster die eigentliche Quelle des Gemeinwohls sei. Die provokanten ethischen Anschauungen, die Mandeville in der Bienenfabel formulierte, lösten schon unter den Zeitgenossen eine lebhafte Diskussion aus, in der seine Ansichten fast durchweg abgelehnt wurden. Dass persönliche Tugend (Genügsamkeit, Friedfertigkeit) für Fortschritt und Prosperität der Gesellschaft weniger förderlich seien als Luxus, Verschwendung, Krieg und Ausbeutung, konnte bei idealistischen und kirchentreuen Kreisen nur Widerspruch hervorrufen. Man erklärte die Bienenfabel für geeignet, „alle Religion und bürgerliche Herrschaft“ umzustürzen. Widerspruch erntete er vor allem bei dem Ökonomen Adam Smith - der sich ebenfalls mit der Arbeitsteilung beschäftigte. Er konzentrierte sich dabei aber auf die Spezialisierung und seinen Nutzen auf die Arbeitsproduktivität.

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Die Zeitersparnis durch Spezialisierung erklärte Smith in seinem berühmten Stecknadel-Beispiel. Ein einzelner ungelernter Arbeiter könne an einem Tag nur wenige Stecknadeln herstellen. Wird dagegen die Arbeit aufgeteilt in mehrere Handgriffe (Draht ziehen, abzwicken, zuspitzen, Kopf oben drauf, Verpacken, ...), so könnten beispielsweise fünf Arbeiter tausende von Stecknadeln an einem Tag herstellen. Smith sah aber auch bereits die Gefahren der Arbeitsteilung. Menschen würden verdummen, wenn sie nur einen einzelnen Handgriff andauernd ausübten. Die berufliche Befriedigung durch eine umfassende Tätigkeit sei durch einfache und monotone Handgriffe nicht mehr gegeben. Als Gegenmaßnahme forderte Smith eine verbesserte Ausbildung.

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 2. Mai 2012 19:51

Auch die Landwirtschaft, die Assoziationen des Traditionellen erwecken mag, wurde der Industrialisierung des 18. Jahrhunderts unterworfen. Seit dem hohen Mittelalter war man bereits zur Methode der Dreifelderbewirtschaftung übergegangen, die in Europa die Grundlage für ein starkes Bevölkerungswachstum schuf - zumindest bis zum Ausbruch der Pest Mitte des 14. Jahrhunderts. Nach der allgemeinen Verbreitung der Kartoffel in Europa wurde die Brache durch eine Ackernutzung (vor allem mit Rotklee, Kartoffeln oder Rüben) ersetzt. Dieses System wurde auch als verbesserte Dreifelderwirtschaft oder Vierfelderwirtschaft bezeichnet. 1721 fügte man während der so genannten Landwirtschaftlichen Revolution teilweise ein weiteres Anbaujahr mit Futterpflanzen zur Versorgung der Nutztiere in die Fruchtfolge ein. Einzelne Kulturen verlangten eine längere Anbaupause, da einmal aufgetretene Schädlinge, die im Boden überwinterten, regelrecht „ausgehungert“ werden konnten, zum anderen wurden Krankheiten, insbesondere Pilze, durch einen Anbau kurz hintereinander stark gefördert.

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Nachdem Eugen von Savoyen Polen für die Habsburger erobert hatte, war im Krieg zwischen Preußen und Polen wieder ein Gleichgewicht der Kräfte hergestellt worden. Das war durchaus die Absicht der österreichischen Intervention auf Seiten Friedrichs I. gewesen. Noch immer bedrohte August II. von Königsberg aus das westliche Preußen, doch Friedrichs Truppen konnten das befestigte Königsberg umgehen, seitdem die Habsburger Warschau und das zentrale Polen kontrollierten. Das ermöglichte es den preußischen Truppen, das Umland von Königsberg zu besetzen, insbesondere die polnischen Nachschubwege von den östlich gelegenen Provinzen Litauen und Wolhynien. Ausgangspunkt der preußischen Aktivitäten in dieser Region wurde das 1716 besetzte Tilsit.

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Leopold I. hatte dafür gesorgt, dass sich innerhalb des deutschen Reichsverbundes bzw. an den Grenzen des Habsburger Reiches kein übermächtiger Konkurrent entwickeln konnte. Sein Augenmerk galt dabei im Besonderen dem Preußen Friedrich I. sowie dessen Widersacher August dem Starken. Etwas außerhalb des österreichischen Blickwinkels entwickelte sich nach der Schwächung seines preußischen Nachbarn nun aber das Kurfürstentum Hannover zu einem bedeutenden Akteur im Heiligen Reich.

Erst 1692 wurde war Hannover von Kaiser Leopold I. als die neunte Kur des Heiligen Römischen Reiches kreiert worden. Der im Fürstentum Calenberg regierenden Linie der Welfen wurde diese neunte Kurwürde verliehen. Dies wurde möglich durch einen Vertrag zwischen dem Römisch-deutschen Kaiser und den beiden Linien des Hauses Lüneburg, nach dem gegen Erteilung der Kurwürde an das Haus Hannover unter eventueller Beteiligung von Celle eine ewige Union zwischen den Häusern Habsburg und Lüneburg stattfinden sollte. Für alle künftigen Königswahlen sagte Lüneburg fest die Zustimmung zur Wahl des habsburgischen Erstgeborenen zu. Umgangssprachlich wurde das Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg auch Kurfürstentum Hannover oder kurz Kurhannover genannt. Das welfische Teilfürstentum Calenberg-Göttingen wurde von Kaiser Leopold I. als Dank für die Unterstützung im Reichskrieg von 1705 mit der Kurwürde belohnt. Der Reichstag stimmte der Erhebung erst 1708 zu.

Die Union mit Großbritannien verwandelte Kurhannover in ein Nebenland, dessen Adel ohne starke fürstliche Führung Freiheiten ausnutzte. In wirtschaftlicher Hinsicht profitierte das Land von neuen handelspolitischen Beziehungen. Das überaus agrarisch geprägte Land produzierte weit mehr Produkte, als es für den eigenen Gebrauch benötigte, und fand im britischen Empire einen Abnehmer seiner Überschüsse. Die im Entstehen begriffene Industrie Großbritanniens konnte im Gegenzug das Kurfürstentum mit fehlenden Gütern versorgen. Erschien Kurhannover in politischer Beziehung zunächst fast ausschließlich als Trabant Großbritanniens, so hob sich dennoch das Ansehen und die Bedeutung des Landes im Reich infolge dieser Verbindung beträchtlich. Sein Einfluss in innerdeutschen Angelegenheiten blieb nur hinter dem von Habsburg und Brandenburg-Preußen zurück.

Im Jahre 1717 starb der Welfe Georg Wilhelm I. im biblischen Alter von 93 Jahren und hinterließ seiner jüngsten Tochter Sophie Dorothea das Kurfürstentum. Die Dame erschien charakterlich wenig geeignet, als Königin das Erbe anzutreten.

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Erst allmählich zeigte es sich, dass Statthalter und Geheimer Rat fortan die eigentlichen Regenten in Hannover waren. Der Geheime Rat behielt die Verhandlungen mit den Ständen, die Kontrolle der Landesverwaltung, der Finanzen, der Rechtspflege, der geistlichen, Militär- und auswärtigen Angelegenheiten sowie unter Vorbehalt kurfürstlicher Bestätigung die Ernennung der Beamten mit Ausnahme der höchsten Chargen, also die eigentliche Regierung des Landes, unter der Bedingung regelmäßiger Berichterstattung an den Landesherrn in seiner Hand. Die unter ihm stehenden Kollegien für die einzelnen Ressorts, Kanzlei, Kammer, Konsistorium und Kriegskanzlei standen mit ihm durch die ausschließlich aus seiner Mitte entnommenen Departementschefs in steter unmittelbarer Verbindung. Die reichen Einkünfte aus den Domänen, aus direkten und indirekten Steuern, die selbst während der glänzenden Hofhaltung der Fürsten der letzten Generation zeitweise Überschüsse ergeben hatten, wanderten, unter Abzug der verhältnismäßig beträchtlichen Ausgaben für das Beamtentum und die in Hannover weiter bestehenden Hofhaltung, in die Kasse des Kurfürsten-Königs und ermöglichten trotz bedeutenden Aufwandes für das Stehende Heer die Begründung eines bedeutenden Hausschatzes.

Auch die Regierung in Österreich wurde 1721 von einem Korruptionsfall, der sich bis in die höchsten Kreise zog, erschüttert. Der Regierungschef seiner Majestät, Philipp von Sinzendorff, wurde von Leopold I. (der für sein allzu langes Festhalten an Vertrauten bekannt war) schließlich entlassen. Damit fand eine beispielhafte Karriere innerhalb der österreichischen Politik ihr vorläufiges Ende. Begonnen hatte das politische Wirken von Sinzendorff bereits über 25 Jahre zuvor. Kaiser Leopold I. wurde bald auf den jungen Mann aufmerksam und ernannte ihn 1694 zum Kämmerer.

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In der Folge wurde Sinzendorff mit verschiedenen diplomatischen Missionen betraut. Bereits 1695 wurde er zum Mitglied im Reichshofrat ernannt. Dieser ernannte ihn 1705 zum Hofkanzler und später zum Obersthofkanzler. Er war für 25 Jahre eine zentrale Person insbesondere in der Außenpolitik des Habsburgerreiches. Im Jahr 1706 verhandelte er in mit Preußen über die Beendigung des Reichskrieges und sorgte beim Kaiser für das Umschwenken in der Haltung zu Berlin. Er war neben Eugen von Savoyen auch 1717 Verhandlungsführer bei den Verhandlungen zu einem Frieden mit Polen, der aber an überzogenen Forderungen von Seiten Sinzendorfs scheiterte. Zurück in Wien wurde er zum Geheimen Konferenzminister ernannt. Er war seither nicht mehr nur für die Außen- sondern auch für die Innenpolitik zuständig. Seit 1721, kurz vor seiner Entlassung war er auch Direktor der österreichischen Orientalischen Handelskompanie.

Zum Nachfolger Sinzendorfs ernannte Leopold I. den progressiven Franz Telemann, eine überraschende Entscheidung des Kaisers, die für -1 Zufriedenheit des Adels führte. Man konnte nur mutmaßen, ob es Leopold darum ging, mit Telemanns Ernennung die +1 Zufriedenheit der Unterklasse zu erhalten. Denn das war ein zweischneidiges Schwert, wie die Kritiker dieser Entscheidung bemerkten. Mit dem Entgegenkommen in dieser Personalie befeuerte Leopold I. nämlich das Drängen der Bürger nach weitergehenden politischen Reformen noch um weitere 3%.

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 3. Mai 2012 19:02

Hintergrund der Wiener Querelen war die Rivalität zwischen Leopolds deutschen Ministern und seinen spanisch-italienischen Beratern, die seit 1713 in Wien den Spanischen Rat bildeten. Diesem oblag die Verwaltung der ehemals spanischen Territorien in Italien und die Koordination der Zusammenarbeit mit der spanischen Linie der Habsburger. Ein niederländischer Rat war für Belgien zuständig. Trotz eklatanter Unfähigkeit der spanischen Räte blieben diese blieben diese hoch in der Gunst des Kaisers und vermochten es, selbst die Stellung des Prinzen Eugen durch eine üble Intrige ernstlich zu erschüttern. Im Verhalten des Kaisers kam zum Ausdruck, wie schwer ihm der Abschied und ein offizieller Verzicht auf Spanien fiel. Aber eine Vereinigung der Habsburger Reiche Spanien und Österreich hätte kein europäischer Nachbar hingenommen.

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Verschlimmert wurde die Situation in Wien noch durch die Spaltung der deutschen Minister in eine mehr österreichische und an mehr an der Reichspolitik orientierten Gruppe. In der letzteren war der Reichsvizekanzler Schönborn der führende Kopf.

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Die außenpolitischen und reichspolitischen Schwierigkeiten, denen sich der Kaiser um 1720 gegenüber sah, waren schon deshalb schon kaum voneinander zu trennen, weil der brandenburgische Kurfürst gleichzeitig als König in Preußen souverän und eigenständiger Faktor im europäischen Mächtespiel war. Ebenso waren die Kurfürsten von Hannover und - zumindest dem Anspruch nach - Sachsen durch ihre Personalunion mit den Thronen von England und Polen mehr noch Faktoren der europäischen Politik als der Reichspolitik. Dazu kam weiter, dass auch die mächtigeren unter den Reichsfürsten, wie etwa die Wittelsbacher - die seit 1724 in einer Hausunion vereinigt waren - ebenfalls eine eigenständige und oft gegen den Kaiser gerichtete Außenpolitik betrieben. Die Darstellung der Kurfürstentümer als eigene Fraktionen in Empire entspricht da schon den Gegebenheiten.

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Die jülich-bergische Frage etwa, die einen scharfen Gegensatz zwischen Kurpfalz und Brandenburg-Preußen begründete, war genauso ein Thema der europäischen wie der Reichspolitik. Selbst konfessionelle Erwägungen sollten die Reichspolitik noch beeinflussen.
Leopold I. war mit seiner Strategie zur Aufwertung der kaiserlichen Stellung im Reich ja durchaus erfolgreich. Nach wie vor konnte Wien zumindest auf die kleinen Reichsstände, die im Kaiserhof ihren Hauptschutz gegen die größeren Nachbarn erblickten, rechnen. Aber die Zeiten änderten sich, und es zeichnete sich schon ab, dass Leopold mit seiner Reichspolitik trotzdem Schiffbruch erleiden könnte.

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Hannover und Braunschweig-Wolfenbüttel führten ab 1718 einige Reichsexekutionen (nicht zu verwechseln mit dem obigen Bild von der Exekution meines enttarnten Spions im polnischen Königsberg!) durch, die sich indirekt auch gegen Preußen, vor allem aber gegen Westfalen richteten. Dabei wurde der Landgraf von Hessen-Kassel gezwungen, die Festung Rheinfels an den Landgrafen von Hessen-Rheinfels-Rothenburg zurückzugeben.

Das Konzept mit Hannover als nordwestdeutschen Juniorpartner des Kaisers schien nach wie vor zu funktionieren und der kaiserlichen Autorität zum Erfolg zu verhelfen. Aber durch die Verbindung mit der Großmacht England hatte Hannover inzwischen viel Eigengewicht erhalten und entwickelte sich allmählich zum neuen, gefährlichen Gegenspieler des Kaisers.

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 3. Mai 2012 19:04

Schon vor der Exekution hatte George I. von England gezeigt, dass er keineswegs ein blinder Gefolgsmann des Kaisers war. Anlass dafür war der so genannte Erzamtsstreit mit dem Kölner Erzbischof, der trotz des scheinbar läppischen Anlasses - in Wirklichkeit waren Prestigefragen von höchster Bedeutung - den Reichstag lahm zu legen drohte. Georg hatte sich trotz eines eigenhändigen Reverses, in dem er das Gegenteil versprach, geweigert, nach der Restitution des brandenburgischen Kurfürsten, der dabei den Titel eines Erztruchessen des Reiches von Westfalen zurückerhielt, den ihm (im Preußisch-Sächsischen Krieg von 1705) nach der Ächtung Friedrichs I. übertragenen westfälischen Titel eines Erzschatzmeisters an den Erzbischof zurückzugeben und sich wieder mit der für Kurhannover eigens geschaffenen Erzbanneramtswürde zu begnügen. Nach der Belehnung Hannovers - sie brachte dem Kaiser westdeutsche Hilfstruppen für den Krieg gegen Polen ein - blockierte Westfalen-Köln deshalb den Reichstag. Hannover, dessen Reichstagsgesandter Freiherr von Wrisberg ein temperamentvoller, antikaiserlicher und antikatholischer Scharfmacher war, weigerte sich, den Titel an den Kölner Erzbischof Joseph Clemens zurück zu geben.

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Wegen der Blockade im Reichstag sah sich Leopold I. nun, im Winter 1721 einer neuen Herausforderung alleine und ohne deutsche Rückendeckung gegenüber. Die Niederlagen des polnischen Verbündeten August II. hatten den russischen Zaren Peter auf den Plan gerufen, der nicht auf den polnischen Waffenbruder verzichten konnte. Es tobte ja noch immer der Nordische Krieg gegen Schweden, dessen König Karl XII. regelmäßig (und ohne Erfolg) bei Leopold I. um ein Bündnis ersuchte.

Peter der Große entschied sich, nicht das von Prinz Eugen mit starken österreichischen Kräften verteidigte Polen zu attackieren, sondern im südlichen Siebenbürgen (heute Rumänien) einzumarschieren. Hier hatte das Habsburger Reich zwar ebenfalls Grenzgarnisonen stationiert, aber bei weitem nicht so viele, weil man in Wien nicht glaubte, dass feindliche Truppen das schwierige Gelände zwischen Moldawien und Siebenbürgen für einen Angriff durchqueren würden.

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Die Österreicher wählten eine defensive Stellung hinter aufgeschichteten Deckungen, hinter der die eigene Infanterie Schutz vor feindlichem Beschuss erhalten sollte. Die russischen Truppen waren gut motiviert und marschierten trotzdem auf den Schutzwall zu, um das Gefecht zu eröffnen. Der russische Befehlshaber hielt seine Kavallerie als taktische Reserve im Hintergrund, weshalb die österreichischen Reiter über den rechten Flügel eine Attacke auf sie ritten.

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Die Kavalleristen zückten mit lautem Hurra ihre Säbel und fochten von ihren Sätteln aus Mann gegen Mann, bis sie schließlich die Russen in die Flucht schlugen. Nachdem die russischen Reiter des Schlachtfelds verwiesen waren, drehten die Österreicher bei und eilten zurück, um der gegnerischen Infanterie in den Rücken zu fallen und die Schlacht zu entscheiden.

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Aber die Wende kam überraschend und herb. Die russischen Fußtruppen gaben sich nicht geschlagen und stürmten ungerührt den rechten Flügel der österreichischen Linie. Hier besiegten sie sowohl die Habsburger Reiter als auch die Fußtruppen, die auf dieser Seite des Schlachtfeldes teils nur aus leicht bewaffneten und schlecht ausgebildeten Milizen und Gesindel bestand. Während die Habsburger Linieninfanterie sich im Zentrum noch gut verteidigte und dem Feind schwere Verluste abtrotzte, brach der rechte Flügel der Verteidiger bereits zusammen.

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Von da an wurde die Niederlage unvermeidlich. Vom rechten Flügel aus drängten die russischen Truppen zur Mitte hin und rollten so quasi von der Seite die Verteidigungslinie der Österreicher auf. Schließlich stand der Kern der Verteidiger, die königlichen Truppen aus Ungarn, nur noch am linken Flügel, im Angesicht einer Übermacht russischer Fußtruppen, die weiter auf sie zustürmten.

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Die Niederlage war überraschend und deutlich. Das russische Heer hatte es mit 3.000 Soldaten geschafft, die Garnison von Klausenburg, immerhin 3.700 Mann stark, bei verhältnismäßig geringen Verlusten zu überwältigen. Der Verlust von Siebenbürgen war damit nicht mehr zu verhindern.

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Österreich hatte in den vergangenen Jahren derart stark aufgerüstet, dass die staatlichen Kassen inzwischen geleert waren. Und trotz des starken Heeres befand sich das Habsburger Reich 1721 in der prekären Situation, dass russische Truppen in Siebenbürgen eingefallen waren und von dort aus sogar das Königreich Ungarn bedrohten.

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 4. Mai 2012 19:06

Es musste etwas geschehen, ein Gegenschlag, aber dazu mussten neue Geldquellen eröffnet werden. Der kaiserliche Hof fand einen neuen Handelspartner, die junge, aufstrebende Macht der indischen Marathen.

Maratha war ein Staat in Zentralindien, der sich um 1720 anschickte, einen Großmachtstatus zu erreichen. Von ihm ging gleichzeitig mit dem Verfall des Mogulreiches eine Erneuerung des hinduistischen Einflusses in Indien aus. Ursprünglich waren die Marathen ein Klanbündnis, das im Bergland einige Festungen besaß. Ihr Anführer Shivaji proklamierte sich 1674 nach altem vedischen Ritual zum König, hatte aber dem Expansionsdrang des Mogulreiches wenig entgegenzusetzen. 1689 wurde der Sohn und Nachfolger Sambhaji auf einem Vergnügungsausflug gefangen, gefoltert und hingerichtet. Auf Sambhaji folgte sein Bruder Rajaram, der den Kleinkrieg gegen die Moguln fortsetzte. Als Sambhajis Sohn Shahu 1707 aus der Mogulhaft entlassen wurde, kam es zu einer Spaltung der Marathen zwischen ihm und den Söhnen Rajarams bzw. dessen Witwe Tara Bai (hier im Bild). Sie bzw. ihr Premierminister (Peshwa) führten die Marathenmacht ab 1720 trotzdem zu ihrem Zenit.

Nach der Abdankung Nizam-ul-Mulks (er schuf sich einen quasi-selbständigen Staat in Hyderabad) und der Plünderung Delhis war das Mogulreich nur noch ein ausgehöhlter Baum, dessen Äste abfielen und von den Marathen eingesammelt wurden. Statt eines zentralistischen Marathen-Staates bildete sich jetzt allmählich eine Konföderation von Kleinkönigen heraus, zusammengehalten durch die Autorität des Peshwa. Vier Klans ragten dabei heraus - die Königin war nur noch ein nominelles Oberhaupt und der Peshwa hatte damit zu tun, ihren Ehrgeiz auszubalancieren.

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Die Marathen waren aber nicht mehr alleine auf dem indischen Subkontinent. Die europäischen Mächte Frankreich, Niederlande, Portugal und Großbritannien hatten bereits ihren Fuß auf das Land gesetzt, angelockt von den wertvollen Waren und der Aussicht auf leicht zu erobernde Beute. Schon 1661 hatte der englische König Karl II. der Ost-Indien-Kompanie" Privilegien erteilt und verlieh ihr dazu die Zivilgerichtsbarkeit, die Militärgewalt und das Recht, mit den „Ungläubigen“ in Indien Krieg zu führen und Frieden zu schließen. Zudem überließ er der Kompanie die Stadt Bombay als Dank für die geleistete Arbeit und den abgelieferten Profit zum Lehen. Das machte aus dem Handelsunternehmen quasi einen eigenen Kolonialstaat in Indien. Später erhielt die Kompanie von Jakob II. sogar noch das Recht, Festungen zu bauen, Truppen auszuheben und Münzen zu schlagen, um sie der Konkurrenz der Niederländischen Ostindien-Kompanie gleichzustellen. Die Geschäfte der Gesellschaft blühten in nie gekanntem Ausmaß und man erhielt einen bedeutenden Einfluss auf die politischen Verhältnisse in Indien.

Aber zurück zu Österreich-Ungarn, das an seiner östlichen Grenze im Krieg mit Polen und Russland lag. Leopold I. hatte zu entscheiden, wie das Heer auf den russischen Einmarsch reagieren solle. Problematisch war nämlich, dass sich ein Großteil der eigenen Streitkräfte im Raum Warschau befand und damit zu weit entfernt, um in Siebenbürgen einzugreifen. Für die Aushebung einer zweiten Armee besaß Österreich allerdings nicht mehr genügend Mittel. Der Kaiser musste also entscheiden, ob das Heer zunächst die Polen vor Warschau oder die Russen in Klauenburg angreifen sollte. Leopold I. gab vor, dass zunächst Warschau vor einem polnischen Gegenangriff gesichert werden solle, um anschließend Ostpreußen zu befreien. Erst dann sollte mit den dabei gewonnenen Mitteln ein österreichisch-ungarisches Heer gebildet werden, das Siebenbürgen zurückerobern sollte.

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Das unter Prinz Eugens Befehl stehende Heer in Polen, bestehend aus Österreichern, Schwaben, Westerwäldern, Hannoveranern, Preußen und Dänen, sammelte sich am 21. Juli 1722 und brach nach Osten hin auf. Es traf, etwa 6.000 Mann stark, am 6. August im Raum Bialystok ein. Bei den kaiserlichen Truppen befehligte Prinz Eugen die Mitte beim Angriff. Es war ein heißer Sommertag, als die Hauptschlacht um 11:00 Uhr begann.

Die Verteidiger hielten mit Abwehrfeuer die Dörfer, aber bei Bialystok erfolgte der Angriff der des rechten Flügels der Österreicher. Die Kavallerie schlug die polnischen Verteidiger blutig zurück, so verlor das dort in Stellung gegangene Regiment seinen Kommandeur sowie seine beiden Stellvertreter.

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An ihrem rechten Flügel gingen die Polen dagegen sogar zum Gegenangriff über, den jedoch Eugen mit seiner Kavallerie zurückwarf. Die fortgesetzten österreichischen Angriffe hatten aber zur Folge, dass General Banas, der Befehlshaber in Bialystok, sämtliche Infanteriereserven des Zentrums an die Flügel beorderte. Es war eine fatale Entscheidung, die Dörfer halten zu wollen und dort unnötigerweise Truppen zu konzentrieren, die auf der in der Mitte völlig überdehnten Front bessere Dienste geleistet hätten. Bis etwa 14:00 Uhr wogte der Kampf hin und her. Polen und seine Hilfstruppen aus Kurland hatten durch die Besetzung leichte Vorteile errungen, waren auch noch immer an Artillerie überlegen, die in ausgebauten Schutzstellungen eingegraben war und munter feuerte.

Eugen von Savoyen nahm die Kampfhandlungen um 14:30 Uhr wieder auf und überwand gegen 16:00 Uhr endgültig die aufgebauten Hindernisse und das Sumpfgelände mit seiner Infanterie. Einzelne Attacken polnischer Kavallerie wurden abgeschlagen. Das brachte die Wende. Eugen setzte seine gesamte Kavallerie am rechten Flügel ein, um das gegnerische Zentrum zu umgehen und von hinten zu attackieren. Dem Angriff folgten von vorne 800 Mann Infanterie. Banas konnte diesem Aufgebot lediglich 450 Mann Infanterie und seine Kanonen entgegensetzen. Der Großteil der kaiserlichen Kavallerie war noch frisch, während die polnischen Fußtruppen schon seit Stunden eingesetzt worden waren und somit müde und zum Teil auch dezimiert waren.

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Dennoch gelang es den Polen, den ersten Angriff abzuwehren. Angeblich sagte Eugen von Savoyen nach dem ersten missglückten Angriff zu einem fliehenden deutschen Offizier: "Mein Herr, Sie unterliegen einem Fehler, der Feind liegt in dieser Richtung …“. Doch der zweite Angriff durchbrach die gegnerischen Linien. Die polnische Artillerie wurde ihrem Schicksal überlassen. Diese „feinen polnischen Truppen", so Prinz Eugen, wurden trotz Gegenwehr bis auf den letzten Mann an Ort und Stelle getötet. Man konnte am Tag nach der Schlacht an den Haufen von vielen Hunderten Leichen sehen, wo sich ihre letzten Positionen befunden hatten. Die fliehende polnische Infanterie wurde von der kaiserlichen Kavallerie verfolgt und in die Sümpfe getrieben, wo ein nicht unerheblicher Teil niedergemacht wurde.

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 4. Mai 2012 19:09

Die zähen Kämpfe zogen noch bis zirka 20:00 Uhr hin, weil eine einheitliche Kommandostruktur fehlte und die eingeschlossenen Soldaten bis zur letzten Patrone kämpfen wollten. Der deutsche Generalleutnant bot den Polen eine zeitweilige Feuereinstellung an, um die Verwundeten aus den brennenden Häusern bergen zu können. Diese Pause nutzte Prinz Eugen, um den General Banas zur Kapitulation zu überreden, um das sinnlose Opfern seiner Soldaten zu beenden. Er sah die Unvermeidbarkeit der Niederlage ein und um 21:00 Uhr legten die Polen die Waffen nieder. Es ging anschließend das Gerücht um, dass Abteilungs- und Regimentsfahnen in Bialystok verbrannt wurden, damit sie dem Feind nicht in die Hände fielen. So soll das 1. polnische Regiment seine Waffen zerbrochen und seine Fahnen in die Flammen eines brennenden Hauses geworfen haben.

Eugens Manöver schnitt sowohl Warschau als auch Ostpreußen vom polnischen Zugriff ab und kesselte die Polen in Königsberg ein. Die polnischen Truppen steckten bei ihrem Rückzug nun die Mühlen und Gehöfte in Brand, um sie für den Feind als Deckung unnütz zu machen, und zogen sich geordnet zurück. Prinz Eugens Kavallerie war nach den Strapazen und Verlusten der Schlacht von Bialystok faktisch als geschlossener Kampfverband nicht mehr vorhanden und konnte nicht weiter die Verfolgung aufnehmen. Der Sieg aber war auf Seiten von Österreich.

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Spätestens nach der Niederlage von Bialystok musste man sagen, dass das polnische Großreich - korrekter gesagt: das durch die Lubliner Union von 1569 geschaffene Doppelreich Polen-Litauen - zu den Absteiger-Staaten der Epoche zählte. Jenes meist als Adelsrepublik gekennzeichnete Gemeinwesen mit einem gewählten König an seiner Spitze wurde weitgehend von dem vom Adel dominierten Reichstag (Sejm) regiert. Noch am Beginn des 17. Jahrhunderts stand dieser noch kurz davor, einen piastischen Prinzen, den Königssohn Wladyslaw, in Moskau als Zaren zu inthronisieren. Die wettinische Union von 1697 sollte einen weiteren Schritt Polens auf seinem Weg zur Großmacht markieren. Der sächsische Kurfürst August, der sich gegen viele (polnische und nichtpolnische) Bewerber durchsetzte, wusste natürlich auch um die strukturellen Probleme des polnisch-litauischen Doppelreichs. Aber als gewählter König hatte August II. dann kein groß angelegtes Reformprogramm oder eine Antwort auf die Konkurrenz, die ihm 1701 mit der Erhebung von Kurfürst Friedrich zum König in Preußen erwuchs.

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Für den Wettiner August stand der Aufstieg in den exklusiven Kreis der Mächtigen im Zentrum seiner Überlegungen, dem der Landesherr des allerprotestantischsten Fürstentums sogar seine Konfession opferte. Zu aller Unfähigkeit, die strukturellen Probleme Polens wirklich mit Entschlossenheit und gestalterischer Kraft anzupacken, kam als weiteres Moment hinzu, dass es nun durch seine Wehrlosigkeit für das europäische Bild von Polen und für das eigene Selbstbewusstsein schlicht verhängnisvoll war, dass Polen im Nordischen Krieg und in der Auseinandersetzung mit Österreich eine so schlechte Figur machte.

Der erste Wettiner konnte nicht nur der verbreiteten Ansicht nicht entgegenwirken, dass in Polen fast jede politische Entscheidung käuflich sei, sondern er war auch nicht in der Lage, eine Verfassungsreform im Sinne eines wirklich funktionierenden ständeparlamentarischen Systems zu betreiben oder den Staat mit dem Ziel der Errichtung von effizienten Zentralbehörden und der Wiederherstellung seiner Wehrfähigkeit zu modernisieren. August II. hatte die innere Ordnung Polens nie in den Griff bekommen, hatte die Sonderinteressen verschiedener sozialer Gruppen nicht abbauen können, hatte die konfessionellen Gegensätze eher noch verschärft als gemildert. Jetzt musste Polen große Teile seiner Gebiete im Kampf abtreten und sogar eine Teilung befürchten, die es als nationales Staatswesen von der Landkarte verschwinden lassen würde.

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Weil August II. recht unverhohlen erbdynastische Projekte betrieb, Warschau verloren und gegen Preußen und Habsburg auf dem Rückzug war, überraschte es nicht, dass er in Polen nicht sonderlich populär war. Selbst dem von der schwedischen Aggressionsmacht im Nordischen Krieg auf den polnischen Thron gehievten Stanislaw flogen zeitweise deutlich mehr Sympathien entgegen als dem rechtmäßig gewählten Monarchen. Die Abdankung Augusts von Altranstädt, 1712 nach dem Verlust Warschaus und unter dem Druck österreichischer Waffen, blieb zwar nur Episode, weil Leopold I. keinen Einfluss auf die polnischen Fürsten auszuüben vermochte und Zar Peter I. seit seinem Eingreifen 1721 in Siebenbürgen stark in den innerpolnischen Angelegenheiten mitsprach und den Wettiner nachhaltig protegierte. Die russische Absicht lag auf der Hand: Peter der Große plante, ein russisches Protektorat über Polen zu errichten. Noch hatte es aber längst nicht den Aggregatszustand erreicht, den der Zar sich erhoffte.

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Wie schwach und defizitär aber auch nach seiner Re-Installierung als König sein Renommee in Polen war, sollte sich 1723 nach dem Bekanntwerden von auf den König zurückgehenden Teilungsplänen zeigen, als sich eine weite Aufstandsbewegung, die Konföderation von Tarnogrod, formierte. Die konnte August II. nur mit russischer Hilfe niederschlagen, und in Konsequenz war Polen nun vollends der russischen Kontrolle unterworfen. Mit dem staatlichen Niedergang Polens, der ein Beleg dafür war, dass landfremde Dynastien längst nicht immer ein Segen für das "zweite" Territorium sind, folgte ein innenpolitischer Niedergang.

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 6. Mai 2012 11:05

Polen lag im Nordischen Krieg gegen Schweden, sein Vorstoß, sich im Krieg mit Preußen Zugang bis zu Augusts Kurfürstentum Sachsen zu verschaffen, schlug auf sie zurück, und im Krieg gegen Österreich hatte es Warschau verloren. Alleine zwischen 1700 und 1725 soll Polen bis zu einem Viertel seiner Bevölkerung in den Auseinandersetzungen verloren haben. Das Land entwickelte sich dadurch in Permanenz zu einem Durchmarschgebiet aller möglichen Heere. Warschau war von den Österreichern inzwischen so weit befriedet worden, dass Prinz Eugen von Savoyen den Vormarsch auf Galizien fortsetzen konnte und Lemberg sich angesichts der hoffnungslosen militärischen Lage den kaiserlichen Truppen gegen Zusicherung des unversehrten Abzugs kampflos ergab und Lemberg räumte.

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Aus dem einstigen Musterland der konfessionellen Toleranz drohte die Hochburg einer militanten Gegenreformation zu werden, in der der Abfall vom Katholizismus mit Landesverweisung bestraft, die Abhaltung nichtrömischer Gottesdienste dramatisch erschwert und protestantische Kirchen zerstört wurden. Dieser Prozess kulminierte 1724 im so genannten Thorner Blutgericht. Thorn hatte 1588 die Religionsfreiheit erlangt und war im wesentlichen protestantisch. Im Zuge der Gegenreformation kamen jedoch Jesuiten in die Stadt und eröffneten eine Schule.

Mit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts, als der für diesen Zweck katholisch gewordene Kurfürst August der Starke von Sachsen zum polnischen König gewählt worden war, machte sich in Thorn ein empfindlicher gegenreformatorischer Druck bemerkbar. Eine starke polnische Garnison, die Krongarde, kam in die Stadt und legte ihr drückende Lasten auf. Zwischen den Schülern der Jesuitenschule und protestantischen Gymnasiasten gab es wiederholt Reibereien. Anlässlich der Fronleichnamsprozession am 16. Juli 1724 stürmten Protestanten das Jesuitenkloster und verwüsteten es.

Die polnische Regierung des Königs ließ daraufhin nach kurzem Prozess vor einem Assessoralgericht den Bürgermeister Johann Gottfried Rösner sowie neun weitere Bürger – nachdem sie die Bekehrung abgelehnt und Fluchtmöglichkeiten nicht genutzt hatten – hinrichten. Ferner verfügte er die Herausgabe auch der letzten protestantischen Hauptkirche, der Marienkirche, an die Franziskaner, nachdem schon zuvor Jesuiten und Benediktinerinnen zwei städtische Hauptkirchen in Besitz genommen hatten. Noch am Tag der Hinrichtung durch polnische Truppen unter wurde in der Marienkirche die nach der Reformation erste katholische Messe festlich gefeiert. Zudem sollte der Rat der Stadt künftig mehrheitlich mit Katholiken besetzt sein. Tatsächlich blieb es jedoch bei einer lutherischen Ratsmehrheit.

Die Hinrichtung erregte europaweit Aufsehen und fand ihren Niederschlag in über 165 Flugschriften und hunderten von Zeitungsartikeln. Preußen versuchte die religionsverwandte Minderheit in Polen für einen Anschluss der betroffenen Gebiete zu instrumentalisieren. England entsandte einen Sondergesandten an den Reichstag in Regensburg und den Warschauer Hof. Die Ereignisse in Thorn beeinträchtigten das Bild Polens in Europa erheblich, so prangerte Voltaire unter Hinweis auf die Ereignisse von 1724 die religiöse Intoleranz der Polen an und pries die österreichische und die russische Armee als „Trägerinnen der Zivilisierung Polens“.

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Eugen von Savoyen übernahm als Gouverneur das Kommando über Festung und Stadt Lemberg, bemannt wurde sie mit 4.400 Mann. Dem Prinzen war klar, dass über kurz oder lang die Polen versuchen würden, Lemberg zurückzuerobern. Er ließ daher die teilweise verfallenen Befestigungswerke und die Artillerie wieder instand setzen. Auch neue Werke wurden gebaut, Nachschub an Vorräten und Pferden mussten herangeführt werden. Mit der Bitte um die Entsendung von Truppen tat sich Kaiser Leopold I. schwer, weil ihm die Rückeroberung von Klausenburg aus russischer Hand mehr am Herzen lag.

Auch die polnischen Fürsten Galiziens waren von der mangelhaften Unterstützung ihres gewählten Königs enttäuscht. Sie weigerten sich aber trotzdem, die Habsburger Herrschaft über Lemberg anzuerkennen, und dabei ging es ihnen hauptsächlich um die Verteidigung ihrer Privilegien. Die Stände beschlossen, eine eigene Armee aufzustellen. Diese bestand aus Freiwilligen, bisherigen Milizen und Angehörigen der bislang im Dienst Augusts stehenden Regimenter.

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Die Stände erklärten im Namen August II. den Krieg zur Erhaltung der Freiheit wider den Prinzen Eugen von Savoyen. Der musste um seine Eroberung Galizien tatsächlich bangen, denn eine nennenswerte Unterstützung durch Wien erfolgte nicht. Eugens Truppen besetzten das Fort in der Nähe der Stadt Lemberg. Durch zurückgelassene Pferde der Polen konnten hunderte Kavalleristen ausgerüstet werden, auch Artillerie war ausreichend vorhanden. An der Organisation der Verteidigung waren insbesondere die Gilden und der niedere Klerus stark beteiligt. Insgesamt betrug die Zahl der Verteidiger wie auch der Angreifer jeweils um die 4.500 Mann.

Anfangs blockierte die polnische Armee die Stadt nur, weil sie für einen Angriff noch zu schwach war. Auch waren zunächst nur wenige Kanonen vorhanden, um die Befestigungen unter Beschuss zu nehmen. Während die Stimmung in Lemberg klar für den Widerstand war, war die Lage im übrigen Galizien für die Aufständischen weniger günstig. Nur wenige Städte schlossen sich an und Aufstände der Bauern blieben weitgehend aus. Die polnischen Truppen gingen also dazu über, die Dörfer der eigenen Landsleute zu plündern und anzustecken. Damit zogen sie die Abneigung der eigenen Bevölkerung auf sich, aber sie erschwerten die Versorgung der Festung Lemberg.

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Eryk Cziupierdo übernahm 1724 das Kommando der polnischen Truppen. und befahl den Angriff auf Lemberg. Sie führten aber zu viele Kavalleristen und zu wenig Artillerie in die Schlacht, weshalb sie wenig gegen die gut organisierte Defensive Eugens ausrichten konnten. Unter schweren Verlusten an Soldaten, Pferden und Material kam der Angriff auf Lemberg an den Mauern der Festung zum Erliegen. Cziupierdo musste erfolglos den Rückzug anordnen.

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 7. Mai 2012 20:22

Die folgenden Monate nutzten die polnischen Stände zur Vorbereitung eines zweiten Angriffs, der erfolgversprechender sein sollte. Unterstützung erhielten sie bei der Belagerung Lembergs im November 1724 nämlich von rund 1.500 ukrainischen Soldaten, die Zar Peter I. ausgehoben hatte.

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In diesem Fall hatten die Polen auch an genügend Artillerie gedacht und legten ihr Augenmerk auf starke Infanterieverbände, die für das Erklimmen von Festungsmauern ausgebildet worden waren. Der eigentliche Sturm begann mit der Eröffnung der Laufgräben und der Beschießung der Stadt Lemberg. Auch Eugen von Savoyen hatte die vergangenen Monate dazu genutzt, die Verteidigungsanlagen wieder herzurichten und die Mauern mit Mannschaften und Artillerie zu besetzen. Diese funktionierten ebenso wie die aus Medieval 2 bekannten Verteidigungsanlagen: Wurde die Mauer mit Truppen besetzt, übernahmen diese automatisch das Bedienen der dortigen Waffen - in der früheren Story die Ballistentürme, in diesem Fall die Kanonen, wie hier im Bild.

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Auch die Truppen der polnisch-russischen Streitkräfte setzten Artillerie ein. Aus sicherer Entfernung nahmen die die Festungsmauern von Lemberg unter Beschuss, um eine Bresche zu schlagen. Derweil machten sich die Fußtruppen der Angreifer daran, mit Hilfe von eisernen Haken, die über die Zinnen geworfen und festgezurrt wurden, die Mauern zu erklimmen. Oben entbrannte ein gnadenloser Nahkampf der Soldaten unter Einsatz des Bajonetts.

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Der Widerstand in der Stadt nahm dabei religiöse Züge an. Die Belagerten hofften auf ein Wunder und in den entscheidenden letzten Tagen der Belagerung wurde der Oberbefehl symbolisch auf die Jungfrau Maria übertragen.

Nachdem die Belagerer unter schweren Verlusten eine Bresche in die Befestigung geschossen hatten, begann der Sturm auf die Stadt. Die Verteidiger zogen sich in die Neustadt zurück und erwiderten das Feuer auf die einströmenden Polen. Erschöpft und ob des gut organisierten Widerstands innerhalb der Festungsmauern brach der Angriff der polnisch-russischen Koalition dann zusammen und musste abgebrochen werden.

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Die Führer der Angreifer galten als Aufständische - sie wurden inhaftiert oder hingerichtet - und die Städte, die die polnischen Aufrührer unterstützt hatten, verloren ihre bisherigen Privilegien. Eugen von Savoyen ließ in der Stadt die Befestigungen neu erbauen und erweitern, wodurch zahlreiche Bürger ihre Wohnungen verloren. Die Provinz Galizien verlor insgesamt seine Vorrechte, alle regionalen politischen Institutionen wurden aufgehoben und die Universitäten des Landes geschlossen.

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Lemberg war nach dieser zweiten, erfolgreichen Verteidigung für Österreich gesichert. Das galt aber noch nicht für die Provinz Galizien als ganzes. Hier gaben noch immer die Widersacher der polnischen Stände den Ton an, dabei unterstützt von den Soldaten des Zaren. Die Situation zwang Eugen von Savoyen dazu, sich weiter defensiv zu verhalten. Im Kampf um Siebenbürgen einzugreifen und seinen Kaiser Leopold I. gegen die Russen zu unterstützen, war ihm noch nicht möglich.

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In gleich zwei Königreichen endete 1724, während der kriegerischen Ereignisse in Galizien, eine Epoche und es begann zugleich eine neue. Gemeint ist der Tod zweier Monarchen, derer von Frankreich und Preußen, denen jeweils ein Erbe auf den Thron folgte.

In Frankreich verstarb Ludwig XIV., der bekannte Sonnenkönig von Versailles. Ludwig XIV. stand für den monarchischen Absolutismus schlechthin, er hatte diesen zwar nicht begründet, aber in Frankreich ausgebaut und verfestigt. Auf dem Feld der Innenpolitik zeichneten ihn insbesondere die effektive Stärkung der königlichen Zentralverwaltung aus, um so traditionelle Machtrivalen, wie Schwertadel und Provinzialstände, zu schwächen. Dazu baute Ludwig konsequent ein straffes Netz aus dreißig Intendanten auf, die als Funktionsträger des Königs fungierten und so erfolgreich den Willen der Krone in den Provinzen durchsetzen konnten (immerhin bestand ganz Frankreich in Empire aus nur einer einzigen Provinz, die es gut zu verwalten und zu schützen galt). Dies war sicherlich einer der wichtigsten Fortschritte seiner Herrschaft. Zu den Schattenseiten seiner Herrschaft gehörten zweifellos die Repressionen gegenüber den Hugenotten, die beispielhaft für die religiöse Intoleranz der Epoche stehen und in ganz Europa auf ähnliche Weise stattfanden.

Die größten Erfolge konnte Ludwig XIV. im Bereich der Außenpolitik vorweisen. Er hinterließ ein mächtigeres, größeres und auch strategisch abgesichertes Frankreich, das nun endgültig als eine der führenden Seemächte anerkannt war. Abgesichert nicht zuletzt deshalb, weil es ihm in den letzten Jahren seiner Herrschaft gelungen war, die habsburgische Einkreisung zu beenden. Allerdings musste Ludwig dafür lange Kriege führen, deren Kosten die große Masse der Bevölkerung zu tragen hatte. Dennoch waren die Steuern seiner Zeit sicher nicht – wie gern behauptet – ruinös für die Untertanen. Der Sonnenkönig wurde immer wieder, je nach Epoche und politischer Ausrichtung, höchst unterschiedlich bewertet. So galt er den Republikanern als ein Scheusal der Autokratie und die nationalistischen Deutschen stilisierten ihn zum Raubkönig, der Deutschland im Würgegriff gehalten habe. Tatsächlich lieferte Ludwig durch seine aggressive Expansionspolitik den Deutschnationalen ein Argument für die deutsch-französische Erbfeindschaft.

Ihm auf den Thron folgte sein gleichnamiger Sohn, der bislang der Herzog von Anjou gewesen war. Nach dem 14. König mit dem Namen Ludwig war er gemäß der Zählweise also der 15. Ludwig. Ludwig XV. wurde vom Volk „der Vielgeliebte“ - und später „der Ungeliebte“ - genannt, und am bekanntesten war er wohl für seine Beziehung zur Marquise de Pompadour, die geradezu zum Inbegriff der Mätresse wurde.

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In den ersten Jahrzehnten seiner Regierung war die Kolonialpolitik in Nordamerika sein Anliegen. Zur Sicherung der dortigen Kolonien und Handelswege entstanden Forts und Befestigungsanlagen, so erhielt etwa Montreal eine steinerne Stadtmauer, im Osten Neufrankreichs entstand unter großem Aufwand die Festung Louisbourg, und auch Québec wurde befestigt. Die Gebiete der bourbonischen Mächte grenzten somit das englische Gebiet in Amerika komplett ein und waren territorial gesehen gewaltig. Anders in Indien: Von Frankreichs erheblichem Einfluss in Indien, welchen Ludwig XV. in den so genannten Karnataka-Kriegen verlor, blieben ihm nur die eigentlichen Besitzungen und die weitläufigen Handelsprivilegien erhalten.

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 8. Mai 2012 18:54

Die zweite bedeutende Thronfolge des Jahres 1724 ereignete sich im preußischen Berlin, wo die Regentschaft Friedrichs I. - des ersten Königs in Preußen - zu Ende ging. Seit Jahren schon war seine Regierung nicht nur wegen seiner oft von Rückschlägen charakterisierten Kriege belastet. Es war ausgerechnet sein Sohn Friedrich Wilhelm, der sich schon früh als Kritiker des Monarchen und der wohl bessere Herrscher der beiden auswies.

Friedrich I. war noch der kurbrandenburgische Kronprinz, als seine Frau Sophie Charlotte, die hannoversche Herzogin von Braunschweig-Lüneburg, Friedrich Wilhelm auf die Welt brachte. Das Kind besaß, ganz im Gegensatz zu seinem Vater, eine kräftige Konstitution. In seinen ersten Lebensjahren wurde Friedrich Wilhelm am hannoverschen Hof seiner Großmutter, der späteren Kurfürstin Sophie von Braunschweig-Lüneburg, erzogen. Schon als Kind fiel er durch seine eigenwillige impulsive Natur auf. So vertrug er sich nur schlecht mit seinem fünf Jahre älteren Cousin und Spielgefährten, Georg August, dem späteren Georg II., König von Großbritannien, den er des öfteren verprügelte. Die beiden entwickelten aufgrund dessen eine lebenslange persönliche Feindschaft.

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Nach seiner Rückkehr aus Hannover wurde Friedrich Wilhelm von der Hugenottin Marthe de Montbail, der späteren Madame de Roucoulle als Gouvernante betreut, die später auch dessen Sohn Friedrich erzog und Zeit ihres Lebens kein Deutsch lernte. Wie die meisten seiner Standesgenossen sprach Friedrich Wilhelm daher ein eher schlechtes, einfaches Deutsch, durchsetzt mit vielen französischen Wörtern.

1702 wurde Kronprinz Friedrich Wilhelm Mitglied des Geheimen Staatsrats, ein Jahr darauf Mitglied des preußischen Kriegsrates. Bis zu seinem Regierungsantritt nahm der Kronprinz an vielen Sitzungen teil, womit er sich ein großes Detailwissen in inneren Regierungsfragen und dem Heerwesen erwarb. So blieb ihm nicht die Misswirtschaft des Drei-Grafen-Kabinetts unter Führung des von Wartenberg verborgen. Ende 1710 deckte eine Untersuchungskommission, angeordnet von Friedrich Wilhelm, die ganze üble Wirtschaft des Drei-Grafen-Kabinetts auf. Die Drei Grafen wurden daraufhin endlich von König Friedrich I. fallengelassen und Ende Dezember 1710 abgesetzt. Friedrich war nach Erhalt des Untersuchungsberichts von dem Ausmaß der Korruption völlig überrascht. Auch wenn sich bei Friedrich Wilhelm eine zunehmend kritische Beurteilung der Regierung seines Vaters einstellte, blieb ein Vater-Sohn Konflikt dennoch aus, da sich vom Selbstanspruch des Kronprinzen her ein offener Widerstand gegen den Monarchen verbot.

Ende April 1716 brach der Kronprinz zum Feldzug gegen Polen auf und marschierte in Tilsit ein. In dieser Zeit sorgte er für intensive Exerzierübungen der preußischen Regimenter, die die anwesenden alliierten Truppenführer mit verständnisloser Verwunderung und Spott zur Kenntnis nahmen. Der Feldzug begründete die lebenslange Freundschaft mit Leopold I. von Anhalt, der seitdem zu Friedrich Wilhelms Beraterkreis gehörte. Ein Jahr später, im Sommer 1717 reiste der König zu diplomatischen Verhandlungen nach Holland. Friedrich Wilhelm trat seine zweite Statthalterschaft an. Hier erlebte er die militärische Hilflosigkeit Preußens, als russische Truppen im Kampf gegen Schweden im Großen Nordischen Krieg ungefragt durch preußisches Territorium zogen. Die Neutralität Preußens wurde dadurch verletzt, ohne dass Preußen sich dessen hätte erwehren können. Dieser Vorfall bestärkte die Überzeugung des Kronprinzen, er müsse nach von fremden Subsidien unabhängiger eigener Stärke streben.

Als Friedrich 1724 an Lungenversagen starb, hinterließ er seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm I. einen bankrotten Staat mit 20 Millionen Reichstalern Schulden. Bedingt durch seine sehr praxisorientierte Ausbildung hatte der Kronprinz zum Zeitpunkt kurz vor der Regierungsübernahme bereits feste Vorstellungen seines späteren Staats-, Wirtschafts- und Militärverständnisses. Friedrich Wilhelm richtete sein Augenmerk auf den Aufbau Preußens als unabhängige Militärmacht und Merkantilstaat, schuf ein umfassendes Staatsfinanzwesen und führte straffe Sparmaßnahmen am preußischen Hofe ein.

Er verstand sich als absolutistisch regierender Herrscher und übernahm die Leitung der Staatsgeschäfte selbst. Schon bei seinem Regierungsantritt 1724 beschied er einigen Ministern, er verlange „weder Rat noch Räsonnement, sondern Gehorsam“. Er bezeichnete es als Grundsatz für jeden Herrscher, dass er „seine Affären alle selber tun müsse“. Dass er trotz der despotischen Merkmale seiner Herrschaft sich nicht zu einem Tyrannen entwickelte, lag wohl vor allem an seinem tiefen Glauben an Gott.

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Der Siegeszug Eugens von Savoyen in Galizien musste deshalb ins Stocken geraten, weil Kaiser Leopold I. die verfügbaren finanziellen Mittel in die Rekrutierung und Ausrüstung eines zweiten Heeres zur Wiedereroberung von Siebenbürgen steckte. Die kaiserliche Schatulle war 1725 geleert, doch nun standen bei Preßburg 4.500 Soldaten bereit, gegen die Russen zu marschieren. Angeführt wurde das Heer von Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, wegen seiner Erfolge 1683 gegen die Türken vor Wien auch Türkenlouis genannt. Die Türken hatten ihn wegen seiner roten Uniformjacke, die weit über die Schlachtfelder zu sehen war, den Roten König genannt.

In jungen Jahren war Ludwig von Baden-Baden der Erste Kreisgeneralfeldmarschall der Truppen des Schwäbischen Reichskreises und Reichsgeneralfeldmarschall des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation geworden. Aufgrund seiner Verdienste und der in Abwesenheit entstandenen Verwüstungen seiner Besitzungen, vermittelte Kaiser Leopold I. ihm seinerzeit eine sehr lukrative Ehe mit einer der Töchter des verstorbenen Herzogs Julius Franz von Lauenburg. Anders als von Leopold I. geplant, verliebte Ludwig sich jedoch in die jüngere der beiden Schwestern, welche eigentlich für seinen Cousin Prinz Eugen von Savoyen vorgesehen war. Da die Zuneigung auf Gegenseitigkeit beruhte, war man sich schnell einig, was der älteren der beiden Schwestern sehr missfiel. Zutiefst gekränkt lehnte diese den Prinzen Eugen als Partner mit der Begründung ab, dieser sei kein regierender Fürst.

Kurz nach seiner Heirat mit Sibylla Augusta musste Ludwig von Baden-Baden jedoch wieder in den Krieg gegen die Osmanen ziehen. In der Schlacht bei Slankamen konnte er 1691 seinen größten Triumph erzielen und wurde von Kaiser Leopold I. zum Generalleutnant aller kaiserlichen Truppen ernannt. Dieser Titel wurde im 17. Jahrhundert nur fünfmal verliehen. Und später wurde Ludwig als Anerkennung seiner Leistungen im Kampf gegen die Osmanen der Orden vom Goldenen Vlies verliehen.

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Prinz Eugen war nicht weniger erfolgreich und war derjenige, der im Krieg mit Polen neuen Ruhm erntete. In den Jahren um 1720 stand Ludwig von Baden-Baden fortan im Schatten seines Cousins Prinz Eugen. Entsprechend froh war Ludwig über die Entscheidung des Kaisers, ihn mit dem Angriff auf das russische Klausenburg zu beauftragen. In Siebenbürgen stießen heimische Verstärkungen zum österreichisch-ungarischen Heer Ludwigs, so dass er schließlich rund 5.500 Mann unter Befehl hatte. Bei Klausenburg standen die beiden Heere sich wenige Kilometer voneinander entfernt gegenüber.

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Um keine Zeit mit der Erstürmung des befestigten Schlosses und der nahebei liegenden Sternschanze zu verlieren, umgingen Ludwigs Truppen diese Befestigungen und rückten durch einen Wald gegen das nahe gelegene Dorf vor, um von dort die Höhenzüge zu gewinnen. Die Nachhut der Armee unter Oberst Graf Mercy meldete um acht Uhr dem Markgrafen, dass die russischen Truppen in Massen ausschwärmen würden. Der Markgraf wollte von den feindlichen Truppen nicht im Marsch attackiert werden und befahl augenblicklich den Halt vor dem Dorf, um den Gegner zu erwarten. Die Kavallerie wurde am linken Flügel in Marsch gesetzt, während die Masse der Infanterie den Berg erstieg, von wo aus man einen Blick über die Ebene mit dem Dorf hatte. Da auch die Russen ihre Kavallerie in der Ebene konzentrierten und die Masse ihrer Infanterie auf den Berg vorrückte, protzte die österreichische Artillerie ab und baute die Kanonenstellungen auf.

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Gegen 10 Uhr waren die Positionen bezogen und es entstand eine fast einstündige Pause während der beide Seiten in einer Entfernung von ca. 1 500 Schritt sich auf die Schlacht vorbereiteten ohne einen Schuss abzugeben.

Gegen 11 Uhr begann der Markgraf mit Kanonenfeuer die Kampfhandlungen – es war ein sonniger Herbsttag. Das Gefecht begann bei der Anhöhe vor dem Dorf, wo die Habsburger Truppen einen Flankenangriff der Russen zurückschlugen. Als nacheilende russische Verbände von deutschen Reservetruppen zurückgeschlagen wurden, verbreiteten sie Panik in den eigenen Reihen. Die Russen konnten die Truppen erst am innerhalb des Dorfes wieder sammeln.

Währenddessen attackierte die zahlenmäßig überlegene Kavallerie der Habsburger Armee die russischen Reserven außerhalb des Dorfes in der Ebene mit Karabinerbeschuss, wobei sie sich durch die enge Formation selbst behinderten. Nachdem es der österreichischen Artillerie noch gelang, durch Beschuss und Inbrandsetzung des Dorfes Chaos in die russischen Reihen zu tragen, marschierten die Fußtruppen der Habsburger in das Dorf ein und lieferten sich schwere Feuergefechte mit den Verteidigern. Beide Seiten erlitten dabei schlimme Verluste.

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Schließlich geriet die gesamte – bereits demoralisierte und weitgehend führerlose russische Infanterie in Panik und flüchtete unter hohen Verlusten die Wiesen hinunter in die Wälder, wo die Reste sich im Schutz der Kavallerie und der Reserven zurückzogen. Teile der Truppen warfen auch ihre Waffen weg und flüchteten nach Osten. Ludwigs Armee hielt den Berg bzw. das Dorf noch weitere fünf Stunden besetzt und setzte dann die in der Nacht vom 13. auf 14. Oktober 1725 den Marsch auf Klausenburg fort.

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 8. Mai 2012 18:58

Am nächsten Morgen erreichten die übermüdeten, aber siegreichen Truppen Ludwigs von Baden-Baden die Stadt und mussten feststellen, dass sich ihnen rund 700 russische Soldaten in den Weg stellten. Das russische Heer unter General Alexander Menshikov, einem engen Weggefährten von Zar Peter, war zahlenmäßig klar unterlegen, denn Markgraf Ludwig führte trotz der Verletzten, die er zur Versorgung ihrer Wunden hatte zurücklassen müssen, noch immer 3.000 Mann an.

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Trotz der Erschöpfung der Männer gelang es Ludwig, sie zum disziplinierten Einnehmen der Kampflinie zu bewegen und die Artillerie rechtzeitig vor Beginn der Schlacht in Stellung gehen zu lassen. Menshikov führte eine Mischung aus Linieninfanteristen und Kosaken ins Feld, die aber von der nicht wankenden Disziplin der Habsburger Soldaten und dem konzentrierten Artilleriefeuer gleichermaßen böse erwischt wurden.

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Die Kosaken, die in der Schlacht vor Klausenburg ausnahmsweise auch zu Fuß kämpften, wichen rasch vom offenen Feld in die Wälder zurück, um Schutz vor dem gegnerischen Kanonenfeuer zu erhalten. Ludwig von Baden-Baden befahl mehreren Regimentern nachzusetzen und schickte einen Pulk Ulanen vor, ein Regiment Berittener aus meist kroatischen und bosnischen Männern, die mit Lanzen bewaffnet waren. Sie gaben der Artillerie Signale, wohin das Feuer in die Wälder zu lenken sei.

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Weil sie die Umzingelung und Vernichtung im Wald befürchten mussten, entschlossen sich die Kosaken zum Rückzug. Sie waren kampferprobt, aber keine Fanatiker - sie hatten nicht vor, dort zu sterben, wo sie stehen. Sie bevorzugten den eher irregulären Kampf, bei dem es Beute zu machen gab. Wer konnte, schlug sich nach Osten durch zu den eigenen Truppen. Der Weg nach Klausenburg war nun endlich frei für Ludwig von Baden-Baden. Stolz meldete er nach Wien, dass seine Soldaten Siebenbürgen nun wieder für den Kaiser in Besitz genommen hatten.

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Re: [AAR] Empire - Sie trugen die Krone

Beitragvon Mark » 9. Mai 2012 20:47

Es war dem Einfluss und der beharrlichen Arbeit von Peter dem Großen zu verdanken, dass Russland überhaupt eine so wichtige Rolle spielen konnte. Denn das Moskowiter Großfürstentum war hundert Jahre zuvor noch eine nachrangige Regionalmacht im Schatten des aktiveren und potenteren polnischen Nachbarn gewesen. Lange hatte es unter dem Terror Iwans IV. des Schrecklichen gelitten - eine Phase, die Smuta genannt wurde, die Zeit der Wirren. Anfang des 17. Jahrhunderts stand Russland am Rand der völligen Zerstörung und brauchte bis etwa 1650, um sich halbwegs von dieser Krise zu erholen. Die Wende zum Positiven nahm ihren Ausgang von einer Militärreform, die die traditionelle Adelsreiterei (in Medieval2 die berittenen Bojaren) durch stehende Infanterietruppen ergänzte und die die Wiederaufnahme der Expansion Richtung Westen ermöglichte. Die markanten Punkte dieser Westexpansion waren der Erwerb der östlichen Ukraine samt Kiew sowie von Smolensk zu Lasten Polens. Das waren nicht irgendwelche Erwerbungen, sondern solche, die dank der dortigen Bildungseinrichtungen zu einem eminent wichtigen Einfallstor für westliche Einflüsse in das Moskauer Zarenreich wurden.

Das enge Bündnis von Zaren und Geistlichkeit ermöglichte wiederholt die Niederschlagung lokaler Aufstände. Überall im russischen Staat, vor allem an seiner Spitze, sollte in Konsequenz dessen der Vorrang der geistlichen vor der weltlichen Macht greifen. Die daraus resultierenden Spannungen mussten nachhaltige Folgen für die russische Gesellschaft haben. Kirchenrechtliche Reformversuche führten in den 1660ern zu heftigen Reaktionen und geradezu zu einer schismatischen Abspaltung des konservativen Teils des russischen Klerus und des Kirchenvolks, die unter dem Begriff Altgläubige zusammengefasst wurden.

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Nonkonformisten gab es in allen Staatswesen Alteuropas. Das Entscheidende in Russland war, dass die russischen Altgläubigen für eine grundsätzlich xenophobe Stimmung sorgten und die in der russischen Mentalität tief wurzelnde Ablehnung des Fremden und die Überlegenheit des Russischen nochmals verstärkten. Das war ein Grund dafür, dass alle späteren Europäisierungs- und Modernisierungsversuche es schwer hatten und rasch an mentale Grenzen stießen.

Man würde in die Irre gehen, wenn man daraus aber schließen würde, Russland habe sich seit 1650 im Wesentlichen mit sich selbst beschäftigt. Es gab zwar noch keine stringente Außenpolitik, aber günstige Umstände, die es Russland erlaubten, sich nach Westen vorzuschieben. Das waren vor allem die Schwäche des polnisch-litauischen Doppelreichs und die Schaukelpolitik des ukrainischen Kosakenstaats. Dieser Kosakenstaat, der nicht zufällig mit einem Ritterorden verglichen worden ist, führte mit seinen Gliedern - ausnahmslos ledigen Männern - vor allem eins: Krieg vornehmlich gegen die Tataren und die Osmanen. Im Schutzbündnis mit den glaubensverwandten orthodoxen Nachbarn suchte die Ukraine den Schulterschluss mit Moskau und führte das Zarenreich weg von seiner bislang wohlwollenden Haltung zu den Türken, hin zur deutlich verschärften Osmanenpolitik.

In der Ära von Zar Aleksej I. Michailovitsch war die Hofkultur schon westlich geprägt, aber die Resistenz gegenüber dem Modernisierungsprozess durfte nicht unterschätzt werden. Da die gesamte Schulbildung in den Händen der Kirche lag, blieb die breite Bevölkerung von der Europäisierung von Teilen der Elite völlig unberührt und damit auch unbeeindruckt. Der Zar musste diesem Dilemma immer wieder Rechnung tragen: "Westreisen" wurden zu einem Privileg weniger, der Besitz polnischer und lateinischer Bücher wurde per Ukas unter Strafe gestellt, ebenfalls verboten war es, Dinge, die jemand im Ausland gesehen hatte, öffentlich zu loben. 1675 kam es sogar zu einem Erlass gegen "europäische" Kleidung. Das in dieser Frage unentschlossene und halbherzige Handeln der Zaren fand mit Peter I. sein Ende.

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Überzeugt von einer Idee, setzte er sie rücksichtslos und bedenkenlos durch - Konflikte mit den Kräften der alten Ordnung riskierend, innenpolitische Probleme aber auch wieder höchst geschickt mit Solidarisierungen aufgrund außenpolitischen Engagements auffangend. Seine außenpolitischen Leitideen waren der russische Zugang zu den Meeren und die Integration Russlands in den Kreis der europäischen Großmächte. Dabei leiteten ihn nicht etwa Emotionen im Sinn einer nebulösen Europaideologie, sondern ganz entschieden zweckrationale Überlegungen: Russland musste geistig und materiell gestärkt werden, um es fit zu machen für den Wettbewerb mit und gegebenenfalls auch gegen Europa.

Zu Beginn der Empire-Partie hatte Peter I. bereits einige Reformschritte in die Wege geleitet. Außenpolitisch hatte sich der Zar mit Dänemark und Polen (-Sachsen) über ein offensives Vorgehen gegen Schweden verständigt - 1701 brach dann auch der Nordische Krieg gegen das Königreich Schweden aus.

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Der militärische Erfolg im Nordischen Krieg katapultierte das Zarenreich, dessen Herrscher 1722 den Kaisertitel annahm, innerhalb kürzester Zeit in den exklusiven Kreis jener Mächte, die eine Führungsfunktion in der Staatenfamilie einnahmen. Dieser Kreis bedurfte nach dem Ausscheiden der Niederlande, Schwedens und Polens ohnehin der Auffüllung, und dieses Vakuum hat Peter I. schnell und richtig als solches erkannt. Die Präsenz Russlands an den europäischen Höfen nahm sprunghaft zu, auch die Beziehungen zu Berlin und Wien wurden wieder aufgenommen. Weil Peter I. sich im Krieg vor allem gegen Schweden und das Osmanische Reich sah, suchte er über das geschlagene Polen hinweg den Ausgleich mit dem Habsburger Österreich. Der Frieden von 1726 bedeutete die Rückkehr zum Status Quo zwischen den beiden Mächten, Siebenbürgen blieb bei den Habsburgern.

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Für Peter den Großen war es von Bedeutung, nach dem Niedergang des polnischen Reiches die eigenen bisherigen Erfolge abzusichern - unter anderem durch Maßnahmen wie die Errichtung von Marineakademien und Navigationsschulen, um seine Armee und insbesondere seine Marine auf dem Stand zu halten. Hinzu kam, dass die Entschlossenheit wuchs, zumindest das unmittelbare Vorfeld Russlands einer informellen Kontrolle zu unterwerfen. Hier war zweifellos am wichtigsten, dass Polen-Litauen im Sinn einer "negativen" Außenpolitik über den dortigen Reichstag und die Diplomatie in einem Abhängigkeitsverhältnis gehalten wurde. Vor diesem Hintergrund drängte sich der Friedensschluss zwischen Österreich und dem polnischen Vasallen Kurland auf, obwohl Polen-Litauen vorerst im Krieg mit Österreich verblieb.

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Bevor die Phase des Ostkrieges abgeschlossen wird und es in das nächste Kapitel geht, muss ich an dieser Stelle unbedingt noch den wohl wichtigsten militärischen Fortschritt in Empire vorstellen: Das gliedweise Feuern der Infanterie - ein Drill, der die Durchschlagskraft der Linienformation ganz erheblich steigert.

Bei der ohnehin nur kurzen wirksamen Schussentfernung des Gewehrs kam es darauf an, nach dem Abfeuern schnell und gleichzeitig wieder geladen zu haben, denn sonst war der Schütze wehrlos. Um dieses zu üben, erhielt das Exerzieren bei stehenden Truppen eine besondere Bedeutung. Es kam dabei weniger auf die Schnelligkeit, als auf die Genauigkeit und Gleichzeitigkeit der einzelnen Bewegungen an. Dem einzelnen Soldaten sollte durch eine genaue Zergliederung der Bewegungen eingeprägt werden, was er bei jedem Handgriff mit seiner Waffe zu beobachten habe - damit war der Anstoß zu allgemeingültigen Exerziervorschriften gegeben, die die Grundlagen der späteren Reglements bildeten.

Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte man in einigen Armeeführungen Europas erkannt, dass der Erfolg eines Infanteriekampfes davon abhänge, das in kurzer Zeit möglichst viele Geschosse wirken. Da die ballistische Leistung nicht gesteigert werden konnte, war das nur durch ein schnelles, exaktes, gleichmäßiges Laden und Feuern möglich, das bei der erschwerten Sicht in der Pulverqualmwolke nur durch einen unablässigen, harten Drill erreicht werden konnte. Zur Unterstützung hatte man 1698 den stählernen Ladestock eingeführt: Man brauchte ihn, um in der gebotenen Eile nicht mehr auf die Gefahr des Zerbrechens achten zu müssen. Die Erkenntnis war schlicht, dass "die Schlachten durch Feuerüberlegenheit gewonnen (werden). Von den Angriffen gegen feste Stellungen abgesehen, wird die schneller ladende Infanterie allemal über die langsamer ladende siegen."

Zwischen diesem Formalexerzieren und dem Gefechtsexerzieren, der »Chargierung« bestand ein großer Unterschied. Mit Exerzierpatronen konnte eine gut gedrillte Mannschaft bis zu sechsmal in der Minute laden. Daneben gab es Pulverpatronen ohne Kugeln für das Exerzieren im Feuer. Dabei galten vier bis fünf Schuss als gute Leistung, mit scharfem Schuss in gemeinsamer Feuerabteilung waren drei Schuss zu erreichen. Schon Prinz Eugen von Savoyen ließ den Querarm des Dillenbajonetts verlängern, damit ohne Gefahr auch mit aufgepflanztem Bajonett geladen werden konnte. Vom Jahre 1725 feuerte in Österreich das erste Glied immer mit aufgesetztem Bajonett, später dann alle Glieder.

Während beim Einüben der Rekruten und den Handgriffen die Ladebewegungen mit einer Menge von Einzelkommandos gemacht wurden, bis der Soldat die Sache mechanisch wie ein Uhrwerk und höchster Eile beherrschte, hörte er in der Chargierung und im Gefecht kein Kommando. Sofort nach dem Abfeuern des Schusses begann das Laden. Jeder hantierte so schnell er konnte und schulterte das Gewehr, wenn er fertig war, damit der Vorgesetzte sah, wann die Abteilung wieder feuerbereit war.

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