3. Historische Hintergrundsinformationen
3.7. Das Kiewer Reich
Bei dem Kiewer Reich handelte es sich um das erste gemeinsame Staatsgebilde unter den Ostslawen. Der Übergang zu einer übergreifenden, herrschaftlichen Organisation unter den finnougrischen, ostslawischen und baltischen Stämmen erfolgte aus der Notwendigkeit heraus, eine dauerhafte machtpolitische Durchdringung und wirtschaftliche Erschließung der Wald- und Waldsteppenzonen zu gewährleisten. Die Reichsgründung wird in den Chroniken mit der Ankunft der Warägerbrüder Rjurik (Roderick), Sineus und Truvor 862 in Verbindung gebracht. Diese seien von den Slawen, Balten und finnougrischen Stämmen als Friedensstifter gerufen worden. Dabei habe sich Rjurik bei Novgorod, Sineus am Beloozero und Truvor in Izborsk mit ihren Sippen niedergelassen. Moderne Forscher sehen vor allem im Verfall der Sippenherrschaften und in der Herausbildung lokaler Fürstentümer und übergreifender Stammesverbände Vorstufen der Reichsgründung des 9. Jh. Nachweislich drangen auch waräger Kriegskaufleute in das Flusssystem der Wolga vor. Diese übernahmen bei dem lukrativen Handelsaustausch mit Byzanz eine führende Rolle und erschafften sich somit durch ihren Reichtum zahlreiche Machtbasen. Die Chronisten schreiben den Rjurikiden eine besondere Bedeutung bei der Reichsgründung zu. Sie hätten die einzelnen Stammesfürsten und begrenzt, die lokalen Burgherrschaften abgelöst und schon bestehende waräger Teilherrschaften zu einem lockeren dynastischen Verbund zusammengeführt. 879 starb Rjurik und dessen Nachfolger Oleg zog mit seinem Gefolge 882 nach Süden, wo er die Herrschaft der Warägerfürsten Askold und Dir in Kiew gewaltsam beendete. In den Folgejahren gelang es Oleg die Stämme der Slowenen, Krivicen und Drevljanen in eine tributäre Abhängigkeit zu seinem Fürstensitz Kiew zu zwingen. Das aufstrebende Novgorod ließ er von einem Statthalter verwalten. Nach außen musste sich das entstehende Reich unter Fürst Igor 914 der einfallenden Pecenegen und anderer Stämme erwehren. Nach innen musste die Hegemonie des Fürsten gegenüber den unterworfenen Stämmen gewaltsam durchgesetzt werden. Igors Frau und Nachfolgerin Olga bekannte sich 955 oder 957 zum Christentum, wobei sie Kontakt zu Konstantinopel aber auch zum deutschen König Otto I. aufnahm. Dagegen forcierte Olgas heidnischer Sohn Fürst Sjatoslaw wieder die Kriegsbemühungen und warf in einem Feldzug von 963-965 das Reich der Chazaren nieder. 965 gelang ihm der Sieg über die Wolgabulgaren. 969 kämpfte er als Verbündeter der Byzantiner erfolgreich gegen die Bulgaren jenseits der Donau. Auf seinem dann aber schmählich erzwungenen Rückzug wurde er schließlich 971 bei einem Überfall der Pecenegen getötet. Sjatoslaws Sohn Vladimir (der Heilige) musste sich die Herrschaft erst von Novgorod aus erkämpfen. Anschließend gelang es ihm das Reich bis in das Karpatenvorland zu erweitern und im Nordwesten die baltischen Jadwinger 982/83 zu bezwingen. Gegen die Überfälle der Pecenegen ließ er im Südwesten von Kiew zahlreiche Burganlagen errichten. 988 kam es zum Bündnis mit Byzanz, indem Fürst Vladimir die Schwester Kaiser Basileios II. heiratete und seinen persönlichen Beitritt zum Christentum nach byzantinischer Lehre vollzog. Im selben Jahr zwang er die Kiewer Bevölkerung zur Massentaufe im Dnjepr. Bereits zuvor hatten griechische Missionare das byzantinische Schrifttum und die byzantinische Kultur nach Kiew gebracht. Der Aufbau der neuen Kirche erfolgte in enger Zusammenarbeit mit Konstantinopel. So entsandten die Patriarchen griechische Metropoliten als Leiter der neuen Kirchenprovinzen. Die Christianisierung war eine Revolution von oben und so ist davon auszugehen, dass sich heidnische Bräuche in der weit verstreuten Landbevölkerung noch lange hielten. Nach dem Tode Vladimirs 1015 entbrannten bittere Kämpfe um die Nachfolge. Bis 1036 gab es de facto keinen Alleinherrscher. Doch nach dem Tode des Mitregenten Mstislaw konnte Jaroslaw (der Weise) die Zentralgewalt an sich reißen. Jaroslaw suchte den Anschluss an westliche Königshäuser, nahm selbst eine schwedische Prinzessin zur Frau und verheiratete seinen Sohn Izjaslaw mit der Tochter des polnischen Königs. Zu seinen Schwiegersöhnen zählten König Harald III. von Norwegen, König Andreas I. von Ungarn und König Heinrich I. von Frankreich. Um weiteren Unruhen nach seinem Tode vorzubeugen verpflichtete er seine Söhne zu einer Erbfolge nach dem Senioratsprinzip. Doch weil er es versäumte die Nachkommen seiner Söhne einzubeziehen, brachen zwischen diesen dennoch Zwistigkeiten aus, die die Einheit des Reichs gefährdeten. Erst 1097 wurde in Ljubec eine Einigung erzielt, indem dem Prinzip des Vatererbes der Vorrang eingeräumt wurde.
(Autor: Fortbinras)
3.7. Das Kiewer Reich
Bei dem Kiewer Reich handelte es sich um das erste gemeinsame Staatsgebilde unter den Ostslawen. Der Übergang zu einer übergreifenden, herrschaftlichen Organisation unter den finnougrischen, ostslawischen und baltischen Stämmen erfolgte aus der Notwendigkeit heraus, eine dauerhafte machtpolitische Durchdringung und wirtschaftliche Erschließung der Wald- und Waldsteppenzonen zu gewährleisten. Die Reichsgründung wird in den Chroniken mit der Ankunft der Warägerbrüder Rjurik (Roderick), Sineus und Truvor 862 in Verbindung gebracht. Diese seien von den Slawen, Balten und finnougrischen Stämmen als Friedensstifter gerufen worden. Dabei habe sich Rjurik bei Novgorod, Sineus am Beloozero und Truvor in Izborsk mit ihren Sippen niedergelassen. Moderne Forscher sehen vor allem im Verfall der Sippenherrschaften und in der Herausbildung lokaler Fürstentümer und übergreifender Stammesverbände Vorstufen der Reichsgründung des 9. Jh. Nachweislich drangen auch waräger Kriegskaufleute in das Flusssystem der Wolga vor. Diese übernahmen bei dem lukrativen Handelsaustausch mit Byzanz eine führende Rolle und erschafften sich somit durch ihren Reichtum zahlreiche Machtbasen. Die Chronisten schreiben den Rjurikiden eine besondere Bedeutung bei der Reichsgründung zu. Sie hätten die einzelnen Stammesfürsten und begrenzt, die lokalen Burgherrschaften abgelöst und schon bestehende waräger Teilherrschaften zu einem lockeren dynastischen Verbund zusammengeführt. 879 starb Rjurik und dessen Nachfolger Oleg zog mit seinem Gefolge 882 nach Süden, wo er die Herrschaft der Warägerfürsten Askold und Dir in Kiew gewaltsam beendete. In den Folgejahren gelang es Oleg die Stämme der Slowenen, Krivicen und Drevljanen in eine tributäre Abhängigkeit zu seinem Fürstensitz Kiew zu zwingen. Das aufstrebende Novgorod ließ er von einem Statthalter verwalten. Nach außen musste sich das entstehende Reich unter Fürst Igor 914 der einfallenden Pecenegen und anderer Stämme erwehren. Nach innen musste die Hegemonie des Fürsten gegenüber den unterworfenen Stämmen gewaltsam durchgesetzt werden. Igors Frau und Nachfolgerin Olga bekannte sich 955 oder 957 zum Christentum, wobei sie Kontakt zu Konstantinopel aber auch zum deutschen König Otto I. aufnahm. Dagegen forcierte Olgas heidnischer Sohn Fürst Sjatoslaw wieder die Kriegsbemühungen und warf in einem Feldzug von 963-965 das Reich der Chazaren nieder. 965 gelang ihm der Sieg über die Wolgabulgaren. 969 kämpfte er als Verbündeter der Byzantiner erfolgreich gegen die Bulgaren jenseits der Donau. Auf seinem dann aber schmählich erzwungenen Rückzug wurde er schließlich 971 bei einem Überfall der Pecenegen getötet. Sjatoslaws Sohn Vladimir (der Heilige) musste sich die Herrschaft erst von Novgorod aus erkämpfen. Anschließend gelang es ihm das Reich bis in das Karpatenvorland zu erweitern und im Nordwesten die baltischen Jadwinger 982/83 zu bezwingen. Gegen die Überfälle der Pecenegen ließ er im Südwesten von Kiew zahlreiche Burganlagen errichten. 988 kam es zum Bündnis mit Byzanz, indem Fürst Vladimir die Schwester Kaiser Basileios II. heiratete und seinen persönlichen Beitritt zum Christentum nach byzantinischer Lehre vollzog. Im selben Jahr zwang er die Kiewer Bevölkerung zur Massentaufe im Dnjepr. Bereits zuvor hatten griechische Missionare das byzantinische Schrifttum und die byzantinische Kultur nach Kiew gebracht. Der Aufbau der neuen Kirche erfolgte in enger Zusammenarbeit mit Konstantinopel. So entsandten die Patriarchen griechische Metropoliten als Leiter der neuen Kirchenprovinzen. Die Christianisierung war eine Revolution von oben und so ist davon auszugehen, dass sich heidnische Bräuche in der weit verstreuten Landbevölkerung noch lange hielten. Nach dem Tode Vladimirs 1015 entbrannten bittere Kämpfe um die Nachfolge. Bis 1036 gab es de facto keinen Alleinherrscher. Doch nach dem Tode des Mitregenten Mstislaw konnte Jaroslaw (der Weise) die Zentralgewalt an sich reißen. Jaroslaw suchte den Anschluss an westliche Königshäuser, nahm selbst eine schwedische Prinzessin zur Frau und verheiratete seinen Sohn Izjaslaw mit der Tochter des polnischen Königs. Zu seinen Schwiegersöhnen zählten König Harald III. von Norwegen, König Andreas I. von Ungarn und König Heinrich I. von Frankreich. Um weiteren Unruhen nach seinem Tode vorzubeugen verpflichtete er seine Söhne zu einer Erbfolge nach dem Senioratsprinzip. Doch weil er es versäumte die Nachkommen seiner Söhne einzubeziehen, brachen zwischen diesen dennoch Zwistigkeiten aus, die die Einheit des Reichs gefährdeten. Erst 1097 wurde in Ljubec eine Einigung erzielt, indem dem Prinzip des Vatererbes der Vorrang eingeräumt wurde.
(Autor: Fortbinras)