Die Feierlichkeiten anläßlich des ersten Sieges eines relativ unbekannten Rennfahrers namens Cynredd ap Ifon - im Folgenden nur noch Cynni genannt, wer kann diesen unmöglichen Namen denn auch aussprechen geschweige denn schreiben? - erreichten gerade ihren Höhepunkt, als die immer wieder lästige Presse diese Gelegenheit zu einem Kurzinterview zu nutzen versuchte. Nach der Eingangsfrage - "Was ist das für ein Gefühl, als einziger die Zielflagge zu sehen? Wertet das den Sieg nicht enorm ab?" - war das Interview auch recht schnell beendet. Blöde Bande, müssen echt immer das Haar in der Suppe suchen! Gut, das Haar hatte natürlich auch die Dicke eines Taues, aber wen interessiert das?
Dennoch, irgendwie befand sich Cynni in einer leicht melancholischen Stimmung und dachte über die Anfangszeiten nach. Die Zeiten, in denen er mit wachsender Begeisterung diverse Autos in die Boxenmauer gesetzt hätte, wenn die blöden Dinger die drei Meter Abstand auch mal aus eigener Kraft hätten überwinden können...
Nun, eigentlich begann die ganze Sache durch einen Zufall. Kann es sein, daß fast alle Begebenheiten irgendwie auf einem Zufall beruhen? Egal, jedenfalls schwankte Cynni mal wieder zwischen der Notwendigkeit, gewisse Aufgaben des sogenannten Real Lifes zu erfüllen, dem Bedürfnis, sich mal wieder allerhand nutzloses Wissen anzueignen sowie der Interessantesten aller Möglichkeiten, nämlich mit wildfremden Menschen über alberne Themen zu kommunizieren...Ehrlich gesagt, er schwankte natürlich nur zwischen Variante 2 und 3, nur um Mißverständnissen vorzubeugen...Da fiel sein Auge auf eine Ankündigung in einer Zeitung. Sinngemäß sollte es wohl in Paris erstmalig ein Automobilrennen geben! Dazu gab es dann noch ein Gewinnspiel, irgendwas in Richtung "Liegt Paris in Frankreich oder Italien?" Nur für den Fall, daß sich Variante 1 durchsetzen könnte, beschloß Cynni, an diesem Gewinnspiel teilzunehmen. Gewinnen ja eh immer die anderen, aber wenigstens blieben ihm so die "Aufgaben des Real Life" für weitere 5 Minuten erspart.
Drei Wochen später fand sich dann eine Gewinnbenachrichtigung im Briefkasten! Gewonnen hatte Cynni eine Reise nach Paris inklusive Stadtführung und allem Pipapo, gesponsert von der französischen Zeitung "Le Petit Journal", die sich auch für die Organisation des Rennens verantwortlich zeigte, sowie einer dubiosen Firma namens Scotte. Was auch immer das sein mochte.
Anfang Juli 1894 erreichte Cynni also die französische Hauptstadt. Das Programm war einfach nur klasse, keine Frage. Was man da alles zu sehen bekam! Was einem so alles geboten wurde! Unglaublich. Und dann kam noch so eine Type an und versprach eine "Besischtigüng ünsere Voiturettes". Voiturettes? In den tiefsten Tiefen seiner Erinnerung kramte Cynni nach seinen Französischerinnerungen...Oh, es geht zur Weinverköstigung! Unglaublich, wie solch einfache Worte die Laune in höchste Motivationshöhen erhöhen können!
Zwei Stunden später erreichte Cynni einen Gebäudekomplex, der sich allerdings grundlegend von Weinbergen des Rheinlandes unterschied. Komische Franzosen! Auch die Begeisterung, mit der man hier auf Kutschen ohne Pferde zeigte und sich in allergrößte Lobpreisungen ergoß, erweckte in Cynni ein latentes Unbehagen. Was ihn zu der Frage veranlaßte, was denn nun mit seinen Umdrehungen wäre! Die Antwort, daß "1 PS nischt vüle Ümdrehüngen ßulasse", beeindruckte ihn nicht, aber überhaupt nicht. Streng genommen war Cynni ein wenig angepißt, was ihn zu der Behauptung veranlaßte, daß er ganz andere Umdrehungen gewöhnt sei. Der Blick, den sich die Reiseführer daraufhin zuwarfen, irritierte ihn durchaus. Die Frage, ob Cynni vielleicht die Voiturette mal ausprobieren wolle - man könne auch über einen Vertrag reden -, verblüffte ihn. Aber einen Weinvertrag? Nun ja, warum nicht.
Zwei Tage später sollte die erste Probe beginnen. Und dies war der Moment, an dem Cynni begriff, daß es mit seinen Französischkenntnissen weiß Gott nicht sonderlich weit her war. Statt der erwarteten Flasche Wein fand er sich nämlich in dieser blöden Kutsche wieder...Leider war Scotte wohl doch kein 1A-Weinproduzent, sondern doch nur ein Automobilteam, welches daran dachte, an dem Rennen teilzunehmen. Und wie der blöde Zufall so wollte, fehlte ihnen ein Zweitfahrer.
Ärgerlicherweise bewiesen die Testfahrten sehr schmerzlich, daß es sich bei Scotte auch nicht um ein 1A-Team handelte. Nur mit größter Anstrengung und allergrößten Beschimpfungen und Prügelandrohung setzte sich die Kiste überhaupt in Bewegung! Die Anzahl der Versuche, die Anzahl der Fehlschläge ließen sich kaum noch zählen, bis eeeeeeeeeendlich sich das Biest majestätisch in Bewegung setzte und über die Straßen von Paris bretterte. Nach zehn Minuten ging der Zeitnehmer in seinen wohlverdienten Feierabend, so daß die Rundenlänge grob auf 15 Minuten geschätzt werden mußte. Cynni war sich nicht ganz sicher, ob die Anstrengungen zu Halluzinationen geführt haben konnten, jedenfalls meinte er die Schnecke, die am Start noch friedlich vor sich hinkroch, fern am Horizont entschwinden gesehen zu haben...
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