Die Eodos-Saga

Die AAR der anderen Art...

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Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 30. Mai 2013 23:07

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Die Welt von Eodos


Eodos

Eodos (Öffnen)
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Eodos - beschriftet (Öffnen)
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Eodos - politisch (Öffnen)
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Ahnentafel der Menschen (Öffnen)
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Die Völker

Auf Eodos leben - je nach dem, wen man fragt - 5 bzw. 6 Rassen. Denn manche zählen die Halblinge, die halb Elb halb Mensch sind als eigene Rasse. Andere wiederum verweisen darauf, dass sie keiner der fünf Rassen waren, die am Allquell erwachten. Daher zählen diese Personen sie nicht als eigenständige Rassen, sondern sehe sie als Unterart der Elben bzw. Menschen. Faktisch haben sie sich jedoch schon vor langer Zeit als solche etabliert.
Die Menschen (Öffnen)
Die Menschen sind Volk, das sich am weitesten auf Eodos verbreitet hat. Dazu trug einmal der Exodus bei, aber andererseits auch die Tatsache, dass schon zuvor viele Menschen den Allquell verlassen hatten, um sich eine neue Heimat zu suchen. Heute unterscheidet zwischen 16 Völkern der Menschen, wobei man oft von den fünf großen und elf kleinen spricht. Etwa 39,6 Millionen Menschen leben in Eodos. Ihr Aussehen ist von Volk zu Volk sehr unterschiedlich. Die Völker der Menschen sind:
  • Die Westmenschen - 19,9 Mio; Sie besiedeln die großen Königreiche im Westen Eodos'. Ihre Gesellschaften sind meistens hierarchisch organisiert und das Volk ist in verschiedene Stände unterteilt, zwischen denen es kaum möglich ist zu wechseln. Sie folgen den Lehren Enuins, des großen Propheten, der im Jahre 60 v. E. aus dem Allquell aufgestiegen ist. Sie sind im Durchschnitt etwa 1,74 Meter groß und haben eine helle Haut und braunes bis rötlich-blondes Haar.
  • Die Filipi - 10,8 Mio - Sie leben in den Flusslanden im Südosten Eodos'. Das komplette Volk der Filipi wird von einem Hochkönig regiert, dessen Sitz in Sai-Filip ist. Das Volk ist in 5 Kasten unterteilt. Ein Wechsel zwischen den Kasten ist zwar möglich, aber eher selten. Die Lehren des Datsu gemäß, verehren sie nur Jurna, Elopara und Eumedes. Filipi sind mit etwa 1,68 Metern in Durchschnitt eher klein und haben meist dunkelbraunes oder schwarzes Haar, so wie eine gelblich bis orangefarbene Haut.
  • Die Thebiter - 4,8 Mio - Sie leben in den Landen südlich der Khafardwüste. Aus den vielen Stadtstaaten der Thebiter haben sich im Laufe der Jahrhunderte zwei Hochkönigreiche gebildet. Sie verehren Eo und Ia direkt, aber auch Aïmundur und selbst Balothâ. Die Dreizehn spielen in ihrer Religion nur eine untergeordnete Rolle, meist als Stadtgötter. Mit einer Durchschnittsgröße von nur etwa 1,63 sind sie sehr klein für Menschen. Sie haben eine bronzenfarbene Haut und braune schwarze Haare.
  • Die Sechsstädter - 2,1 Mio - Wie ihr Name vermuten lässt leben sie in den Sechsstädten, jenem Knotenpunkt zwischen Flusslanden, Khafardwüste und den Königreichen des Westens. Sie sind als gewiefte Händler berühmt und berüchtigt und ihre Gesellschaft gilt als relativ liberal. Sie folgen den Lehren Enuins. Mit etwa 1,72 Meter sind sie mittelgroß, sie haben meist schwarzes bis dunkelblondes Haar.
  • Die Thur - 0,5 Mio - Obwohl sie nur etwa 500.000 Menschen zählen, werden die Thur meistens zu den großen Fünf unter den Menschenvölkern gerechnet. Sie verließen als letztes Volk vor dem Exodus den Allquell. Sie verehren die Dreizehn und darüber hinaus viele Heilige der Altmenschen. Ungefähr 1,80 wird ein Thur groß. Ihre Haare haben die sonderbare Eigenschaft sich schon in jungen Jahren weiß zu färben. Sie leben sehr abgeschieden im Norden der Toldai-Berge und schotten sich von anderen Völkern ab.
  • Die Bergmenschen aus dem Hadurangebirge - 210.000
  • Die Nomaden der Khafardwüste - 200.000
  • Die Koschomai - 160.000
  • Altmenschen - 150.000
  • Nordmenschen -150.000
  • Menschen der Nun-Ebene - 140.000
  • Hirten von Weit-Farwacht - 120.000
  • Vagaren - 110.000
  • Summasen - 100.000
  • Ureinwohner von Sommerfels - 90.000
  • Pelong-Nun -50.000


Die Elben (Öffnen)
Die Elben sind am zweitweitesten in Eodos verbreitet. Die besiedeln den Osten des Kontinents. Elben sind etwas kleiner als Menschen, wobei es auch innerhalb der Elben große Unterschiede gibt. Sie allen haben spitze Ohren und meist eine helle Haut, bis auf die Südelben. Man teilt sie in zwei Hauptvölker und die verschiedenen Anderselben. Insgesamt gibt es etwa 19 Millionen Elben. Sie alle verehren die Dreizehn.
  • Altelben - 14 Mio - Sie sind die direkten Nachfahren der Elben, die bis zum Exodus am Allquell lebten. Doch auch sie verließen dieses Gebiet bald nach dem großen Krieg gegen die Menschen. Allerdings geordneter und sie erhielten sich dabei ihre Gebräuche und Kulturen. Einst lebten sie über viele Königreiche und Fürstentümer verstreut, doch das elbische Kaiserreich schickt sich an ihr Volk zu einen. Sie haben fliederfarbene oder himmelblaue Augen, meist helle Haare und werden etwa 1,70 Meter groß.
  • Seeelben - 3,5 Mio - Sie stellen die wichtigste Abwanderungsgruppe der Elben vor dem Exodus dar. Einst lebten sie im Schatten der Haffelben und des Königreichs von Qara. Doch seit dem Zusammenbruch dieses Königreiches im Jahre 1656 v. E. und dem damit beginnenden Niedergang der Haffelben-Kultur breiten sie sich an der Geraden Küste aus. Sie sind etwa 1,65 Meter groß, meist etwas wettergegerbter als ihre Verwandten, die Altelben und haben häufig Augen in verschiedenen Grüntönen.
  • Waldelben - 680.000
  • Weißelben - 460.000
  • Haffelben - 190.000
  • Südelben - 170.000


Alben (Öffnen)
Die Alben ( von den Menschen und Zwergen manchmal fälschlicher Weise als Dunkelelben bezeichnet, obwohl die Elben mit ihnen weniger gemein haben als mit den Menschen ) leben im Nordosten von Eodos in einem einzigen riesigen Reich. Die Hierarchie der Alben und Verwaltungsstruktur der Alben ist kompliziert doch an ihrer Spitze steht die Matriarchin und unter ihr der Patriarch. Sie haben eine extrem blasse Haut. Die farbe ihrer Haare reicht von Pechschwarz zu grellem Rot. Ihr Iris sind ausschließlich schwarz, was sie in den Augen anderer Völker beängstigend wirken lässt. Mit diesen Pflegen sie jedoch so wie so keinerlei Kontakt. Außerdem wären die Alben für ihre offene Einstellung der Magie gegenüber bekannt - wenn den anderen Völkern Eodos irgendetwas über die Alben bekannt wäre. Es gibt etwa 3,2 Millionen von ihnen.


Halblinge (Öffnen)
Halblinge sind halb Mensch, halb Elb. Die Menschen nennen sie Halbelben, die Elben Halbmenschen, die Alben Zwitter, bei den Zwergen und Trollen aber heißen sie Mischlinge. Ihre Geschichte war sehr wechselhaft und vor allem dadurch geprägt, dass die anderen Rassen sie nicht anerkennen und auf sie herabsehen. Einige von ihnen leben über ganz Eodos verstreut, die meisten jedoch in dem Königreich Ruhath, dass sie sich im äußersten Osten von Eodos geschaffen haben. Da einzig sie von allen Mischrassen selbst fortpflanzungsfähig sind, ist ihre Zahl mittlerweile auf über 1,6 Millionen angestiegen.


Zwerge (Öffnen)
Die Rasse der Zwerge aus dem hohen Norden von Eodos befindet sich in keinem guten Zustand. Gab es zur Zeit des Exodus noch rund 3 Millionen von ihnen hat sich ihre Zahl mittlerweile mehr als halbiert. Ihre Rasse gliedert sich in zwei Völker: die Erdzwerge und die kleinere Gruppe der Küstenzwerge. Sie allen folgen dem Dwarlkult und die nach ihm benannte Stadt ist die größte der Zwerge. Zwerge sind im Schnitt etwa 1,50 Meter groß, haben eine wettergegerbte Haut und filzige Haare und Mähnen, noch etwa 1,4 Millionen von ihnen ziehen durch die kalten Lande des Nordens.


Trolle (Öffnen)
Die größte Rasse nach ihrem Körper, die kleinste nach ihrer Zahl. Etwa 160.000 Trolle leben südlich der Inneren See, und an den Osthängen des Hadurangebirges. Sie werden circa 2,50 Meter groß, haben einne dunkle, gräuliche Haut und ebensolches Haar. Sie leben in elf halbnomadischen Stämmen.

Die Götter

Einst gab es ihrer 15, doch seit der Vernichtung von Aumrum und Boroc sind nur noch 13 von ihnen übrig. Hier sind ihre Namen in der Reihenfolge, wie sehr sie nach der Art Aïmundurs kommen.
Telocath (Öffnen)
Telocath - Der Wundenschließer kommt von allen Göttern am meisten nach Aïmundur. Seine Sphären sind das Leben und dessen Erhaltung und dadurch Frieden und Heilung

Aïheren (Öffnen)
Aïheren - Der den Funken wirft. Seine Sphären sind das Licht und die Gestirne, er bringt Ordnung in die Welt.

Gerezon (Öffnen)
Gerezon - Der die Geschlechter veredelt. Seine Spähren sind viele gute Tugenden, wie Duldsamkeit, Nachricht und Bescheidenheit.

Aïjanna (Öffnen)
Aïjanna - Die mit dem inneren Funken wärmt. Ihre Spähre ist die Liebe

Ansivi (Öffnen)
Ansivi - Der Tiefgründige. Seine Spähren sind Philosophie und Weisheit

Jurna (Öffnen)
Jurna - Die durch die Erde Fleiß belohnt. Ihre Sphäre sind die Ernte und der Fleiß

Elopara (Öffnen)
Elopara - Die nicht unterscheidet. Sie besteht genau je zur Hälfte aus Aïmundur und Balothâ. Ihre Sphäre ist die Gerechtigkeit.

Eumedes (Öffnen)
Eumedes - Der den auch die lieben, die ihn nicht kennen. Seine Sphäre ist Reichtum, Wohlstand und Gewinnsucht.

Quira (Öffnen)
Quira - Die deren Worte sich winden. Ihre Sphäre sind Schmeichelei, nette Worte, Lüge und Betrug.

Baljo (Öffnen)
Baljo - Der mit Wut vertilgt. Seine Sphäre ist der Ruhm, der Krieg und der Totschlag.

Jiupp (Öffnen)
Jiupp - Der sich selbst nicht kennt. Sein Sphäre ist Brutalität und Wahn.

Jurtelo (Öffnen)
Jurtelo - Der durch die Erde Wunden reißt. Seine Spähren sind Zerstörung, Feuer, Naturkatastrophen, Verzweiflung und das Chaos.

Ith (Öffnen)
Ith - Das Schweigen. Es kommt von allen Göttern am meisten nach Balothâ. Ith' Sphäre ist der Tod und die Stille.


Manche Kulturen verehren jedoch auch Eo und Ia selbst oder aber Aïmundur oder gar Balothâ selbst. Andere verehren Heilige, Ahnen oder aber schattenhafte Naturgeister deren Existenz mehr als fragwürdig ist.
Den Göttern selbst ist es laut ihrem eigenen Ratschluss aus dem Jahre 2112 nach Anbeginn der Zeit verboten die Welt zu betreten. Doch hast heißt nicht, dass sie keinen Einfluss auf das Geschehen der Welt haben nehmen können.

Größen und Maße

Die Völker von Eodos verwenden verschiedene Maßeinheiten. Hier sind die wichtigsten aufgelistet.
Längeneinheiten
Bei den Westmenschen
  • 1 Finger = 2cm
  • 1 Fuß = 30 cm
  • 1 Klafter = 6 Fuß = 1,80 m
  • 1 Schritt = 80,25 cm
  • 1 Meile = 1000 Doppelschritt = 1,605 km
    Andere Meilen
  • Elbische Meile = 10.000 elbische Fuß = 3,02 km
  • Troll-Meile = 1000 Troll-Doppelschritt = 2,247 km
  • Zwergenmeile = 1 zwergische Wegstunde = 5,632 km
  • Albische Meile = 10.000 albische Fuß = 2,94 km

Jahreszählung: Da Aïmundris 3 Monde hat und ein Monat die Zeit beträgt, in der sich zwei dieser Monde kreuzen, ergeben sich zwei verschiedene Monatslängen: 32 und 36 Tage. Ein Mondjahr ( wie es z.T. von Elben und Alben verwendet wird ) beginnt und endet, wenn alle drei Monde übereinander stehen und dauert 288 Tage. Ein Sonnenjahr dauert hingegen 365 Tage.


Auch das Jahr eins unterscheidet sich von Volk zu Volk. Die Elben und die meisten Menschen zählen die Jahre seit dem Exodus der dem großen letzen Krieg zwischen Elben und Menschen folgte. Nach dieser Zeitrechnung befinden wir uns zu beginn der Eodos-Saga im Jahre 632. Sie wird v.R für vor dem Exodus bzw. n.E. für nach dem Exodus abgekürzt.
Eine andere Zählweisen sind zum Beispiel die der Thebiter ab der Gründung von Ahd im 2507 v. E. oder die der Filipi seit der Einigung ihre Reiche 209 n.E. Eine besondere Zählweise stellt die der Alben dar, die seit dem mythischen Beginn der Zeit rechnen, der angeblich im Jahre 7253 v. E. stattgefunden haben soll. Sie kennen also als einziges Volkes keine "negativen" Jahreszahlen. Diese Zählung ist jedoch vor allem im klerikalem Kontext bei vielen Rassen verbreitet und gilt als absolut. Nach diesen Zeitrechnung schreiben wir also das Jahr 7885 der Schöpfung.

Namensregister

Menschen aus Farstrid (Öffnen)
Drenyr Drenyr ist 17 Jahre alt. Er ist mittelgroß, hat hellbraune Haare und grün-graue Augen. Er lebt auf einem Hof nahe der Stadt Harlar im Königreich Farstrid. Er hat einen älteren Bruder namens Hestryr. Und zwei jüngere Geschwister namens Kerllach und Fawelle. Seine Eltern heißen Mallach und Nolla.
Hestryr Drenyrs älterer Bruder
Karllach Drenyr jüngerer Bruder
Fawelle Drenyrs kleine Schwester, sie wurde von Banditen entführt. Ihr Schicksal ist ungewiss
Girda Drenyrs Schwägerin, Frau seines Bruders Hestryr
Jüren Ein Fischhändler aus Harlar
Offe Der Schmied von Harlar
Momme Der Onkel von Drenyrs Schwägerin Girda. Er leitet eine gut gehende Taverne im Hafen von Aldhavn
Mimir Ein Norsung und Anwärter auf den Titel des Jarls von Kaldgrav. Er ist einer der Hauptmänner auf der Firnburg
Kneifer, Taldyr & Fokke Ein paar von Drenyrs Kameraden


Menschen des Wu-Archipels (Öffnen)
Hiro Ein neunzehnjähriger Fischer. Er empfindet die Besetzung seiner Heimat durch die Filipi als große Belastung. Sein Traum ist es deshalb diese zu stürzen und dabei Ruhm und Ehre zu erlangen. Er lebt im kleinen Fischerdörfchen Kegorae auf der Hauptinsel Tokay. Dort versucht er eine Rebellentruppe aufzubauen.
Masha Masha ist 19 Jahre alt, der beste Freund Hiros und Mitglied in dessen Rebellentruppe
Rigome Wird von allen nur Riri genannt. Sie ist 17 und gilt als hübschestes Mädchen des Dorfes. Mitglied von Hiros Bande.
Gaito 18 Jahre alt, betreibt mit seinem Zwillingsbruder Mihiko eine Werkstatt in Kegorae. Mitglied von Hiros Bande
Mihiko Zwillingsbruder von Gaito. Betreibt mit ihm eine Werkstatt. Mitglied von Hiros Bande
Penku Ein fünfjähriger Waise. Lebt bei seinem Onkel in Kegorae. Mitglied von Hiros Bande
Segota Ein alter merkwürdiger Mann, der Hiro angeboten hat ihn auszubilden. Er behauptet einmal Anführer der Schwarzrosengärtner gewesen zu sein. Er ist auf seinem Auge blind und drogen- und alkoholabhängig.


Leute aus Ahd (Öffnen)
Hammuris Ist einer der Hofpriester des Großkönigs von Kazahd, dem größeren der beiden Thebiterreiche. Er ist 49 Jahre alt, hat einen dunklen Bart nach Art der Priester und lebt im Heiligen Bezirk von Ahd. Er mag es sich mit den Missionaren der Enuin-Lehren zu streiten
Hochkönig Argtenkaz der Zweite Regiert seit dem Jahre 614 das Reich von Kazahd. Er folgte seinem Vater Mzelech III.
Culcis Ein "Stummer" und Leibwächter von Hammuris
Omib Ein Vagare und Leibwächter von Hammuris
Thomais Einer der Missionare der Enuinlehren. Er ist mit 26 Jahren noch ein recht junger Berufener
Nzufech Hohepriester von Ahd
Chaldheram Ältester Priester des Zikkuratzirkels
Harubar Jüngster Priester des Zikkuratzirkel
Igomephris Weiterer Priester des Zikkuratzirkels
Nebarkazar Asketischer Priester des Zikkuratzirkels
Tschaharab Ehemaliger Felpriester und Offizier. Jetzt Mitglied des Zikkuratzirkels
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Die Eodos-Saga 1

Beitragvon Guerillonist » 30. Mai 2013 23:12

Die Eodos-Saga, Kapitel I
632 n.E.


„Am Anfang war das Nichts. Und es erstreckte sich von überall nach nirgendwo und es gab nichts außer dem Nichts selbst. Doch etwas war im Nichts, das eigentlich nicht war, doch der Wille war nicht Nichts zu sein, sondern zu sein.
Und der Wille setzte das Nichts in Bewegung und es begann zu schwingen. Und aus dem Willen gebar das Nichts zu Anfang Eo und Ia – der Raum und die Zeit. Und mit Ias ersten Atemzug, der weit durch die Hallen Eos hindurch hallte, begann die Rechnung der Zeit.“
Auch der Atem der vielen Zuhörer hallte durch die Hallen. Allerdings nur den der kleinen Kirche. Er bildete in der kalten Luft kleine Dampfwölkchen, die sich an der gewölbten Decke sammelten, ehe sie auseinander stoben.
„So war das Sein ins Nichts getreten. Doch noch unterschied es sich nicht viel vom Nichts. So schuf Eo aus sich selbst den Stoff aller Dinge der Schöpfung und Ia gab ihm Ordnung und Bewegung. Und bis dahin hatte sie 15 mal geatmet.
Doch die Materie war nicht überall über Eo gleich verteilt. Denn gerade dies macht das Sein aus und unterscheidet es vom Nichts, dass es nicht an allen Stellen genau gleich ist. Und bald verklumpte der Stoff des Seins, bildete Haufen und formierte sich in zahlreichen Kugeln, die über ganz Eo verteilt sind. Und manchen dieser Kugeln ward Feuer gegeben um Eo zu erhellen. Sie waren die ersten Sterne. Und bei ihrer Geburt hatte Ia 62 mal geatmet.“
Der Priester hielt kurz inne. Jetzt kam eine wichtige Stelle.
„Und es war zur Zeit von Ias 148. Atemzug, da kam der Wille über den größten der Sterne und beseelte ihn, den Sohn Ias und Eos. Und es war dies die Geburt von Aïmundur, dessen Wille der Wille allein ist. Denn er will nur, dass der Wille sich erfüllt.
Und Ia atmete ein und aus. Und Aïmundur suchte sich die Erde um sie mit Willen zu füllen. Und Ia atmete ein und aus und Aïmundur nahm von der Materie und blies ihr den Willen ein und so entstand das erste Leben. Mit eigenem Willen nur dem Willen selbst untertan. Und damit es wachsen und gedeihen konnte, nahm Aïmundur die Erde und gab ihre eine feste Bahn um den hellsten Stern, den er fand – im Zentrum Eos. Und er beschloss, dass die Zeit die die Erde brauchen sollte, um ihren Stern einmal zu umrunden, der Dauer der ewig gleichmäßigen Atemzüge Ias entsprechen solle. So entwickelte sich das Leben und in immer neuen Formen und es wurde allen Facetten des Willens ein Haus.
Doch wie das Leben entstand, da neidete das Nichts dem Sein, dass es anders war als es selbst. Und der Wille wurde im Nichts zum Unwillen. Und zum Unwillen nicht Nichts zu sein und doch nicht zu sein auf das das Sein nicht sei und auch das Nichts nicht ist.“
Drenyr rieb sich die Stirn. Diese Stelle bereitete ihm immer Kopfschmerzen. Der missbilligende Blicke seines Vaters flackerte für einen Moment zu ihm herüber.
„Und so entstand Balothâ, dessen Wille der Unwille ist. Weder ist er Nichts noch Sein. Sondern das Unsein und wo er auf das Sein stößt ist wieder Nichts. Und es geschah dieses als Ia 191 mal geatmet hatte. Und Balothâ drang in das Sein ein und fraß die Hälfte der Zeit und die Hälfte des Raumes bis zu Ias 209. Atemzug. Doch dann erhob Aïmundur sich, um seine Schöpfung fürchtend, und er rang mit Balothâ. 101 mal atemete Ia ein und 101 mal atemte Ia aus und noch immer rangen die beiden. Doch dabei waren sie bis an den Rand Eos gekommen und Aïmundur, der erkannte, das sie einander ebenbürtig waren und weiteren Schaden von seiner Schöpfung um jeden Preis abwenden wollte, schleuderte sie beide, wie sich im Ringen mit einander verwoben waren, aus dem Sein in das Nichts.
Da hielt Ia zum ersten und einzigen Male den Atem an und für eine flüchtige Ewigkeit war es still im Sein. Dann jedoch drangen Eo und Ia in das Nichts vor, bis sie Aïmundur dort fanden. Doch da im Nichts alles gleich ist, unterschied er sich nicht mehr vom Nichts und hatte sich mit Balothâ verbunden. Wie die beiden jedoch wieder ins Sein traten, da riss es sie mit aller Heftigkeit wieder auseinander und sie wurden in 15 Teile zersprengt. Um diese Teile zu retten, verbanden sich Eo und Ia und umgaben die Teile schützend vor dem lauerndem Nichts. Und so war die Schöpfung, das Sein, die Dimension der Wahrhaftigkeit – kurz Eoia um die 15 Teile Balothâs und Aïmundurs gewoben. Wie sie jetzt aber sicher waren, ergriffen Wille und Unwille wieder von den 15 Teilen Besitz. Je mehr wurden sie vom Willen beseelt, desto mehr sie aus Aïmundurs Leib entstanden waren und je mehr um Unwillen, desto mehr sie aus Balothâ hervorgegangen waren. Doch keines der Teile war vollkommen aus Aïmundur oder Balothâ geschaffen. Doch als sie nun wieder eigenes Denken hatten, da begannen die Teile umher zu wandern und die Dinge nach ihrem eigenen Gutdünken zu gestalten. So entstanden die 15 Götter und es war zur Zeit von Ias 313. Atemzug, im Jahre 6940 vor dem Exodus vom Allquell.“

Wie ein hundertköpfiges Ungetüm, dass aus seinem Winterschlaf erwachte, erhob die Gemeinde ihre Köpfe und begann, die Kirche zu verlassen, während der Priester und der Chor ihnen zum Abschied Segnungen nachsangen. Obwohl Drenyrs Vater ihm stets einbläute, dass man die Götter und ihre Regeln achten musste und Drenyr auch fand, dass er das durchaus tat – soweit möglich zumindest – war er froh, dass die Messe vorbei war. Wenn aus Enuins heiligen Schriften vorgetragen wurde – und hierzu gehörte die Mundurate, die Geschichte des Allschöpfung – musste die Gemeinde stets auf den harten Holzbänken knien.
Drenyr rieb sich die Schienbeine, während er auf seinen Vater, seine Mutter, seine beiden Brüder und Fawelle seine kleine Schwester wartete. Drenyr war der zweitälteste, Hestryr, sein großer Bruder war 21, er selbst war 17. Kerllach, der jüngere Bruder, war 16 und Fawelle 14.
Vor dem Eingangsportal der Kirche hatte sich bereits eine Menschentraube gebildet. Dort war nämlich ein flaches mit Wasser gefülltes Becken, durch das die Gläubigen als symbolische Reinigung und in Gedenken an Enuin wateten. Da sich jedoch jeder zunächst die Schuhe ausziehen musste und sich dann an der anderen Seite die Füße mit den bereitgelegten Handtüchern trocknete, ehe er die Schuhe wieder anzog, staute es sich hier.
„Warum musste Enuin eigentlich aus einem See aufsteigen? Hätten es nicht auch ein paar Pelzstiefel sein können?“, hatte Hestryr einmal zu Drenyr an einem bitterkalten Tag gesagt, nachdem sie die Kirche mit eiskalten Füßen verlassen hatten. Auch jetzt warf er seinem Bruder einen vielsagenden Blick zu, während er die Schuhe auszog. Drenyr tat es ihm nach. Er klemmte sich die Stiefel unter den Arm und watete durch das knöcheltiefe Wasser. Es war verdammt kalt und so beeilte er sich, schnell eines der Handtücher zu bekommen, um seine Füße zu trocknen.
Draußen begrüßte ihn Hestryr mit den Worten: „Hach... was gibt es schöneres als jedes Jahr die selben Geschichten mit anzuhören?“ Im Gegensatz zum Inneren der Kirche war hier auf dem Kirchhof das Reden erlaubt, auch wenn der Priester es sicherlich lieber hören würde, wenn Hestryrs Stimme nicht ganz so sehr vom Sarkasmus triefte. „Wenn dich Vater so sprechen hören würde...“, mahnte Drenyr, jedoch mit einem Lächeln und wandte sich wieder zum Portal um, um nach seinem Vater Ausschau zu halten.
Die Kirche war ein schmales Gebäude aus schwarzer Basaltlava. Sie war etwa 30 Schritt lang und vielleicht 12 Schritt breit. Auf dem Vorbau des Portals ruhte der siebeneckige Kirchturm, auf dessen Zinnen sieben Fackeln brannten. Obwohl er nur etwa 16 Schritt hoch war, dominierte er die Silhouette von Harlar. Die Stadt lag etwa 45 Meilen nordöstlich der Königsstadt Aldhavn – also gut drei Tagesmärsche von ihr entfernt. Drenyr lebte und arbeitete auf dem Hof seiner Eltern vor den Toren der Stadt. Das Leben war nicht immer leicht, doch als Freisassen ging es ihnen deutlich besser als den meisten Hörigen.
Drenyrs Vater, ein breitschultriger, wenngleich etwas magerer Mann namens Mallach und seine Frau Nolla, kamen durch das Portal, dich gefolgt von ihren beiden jüngsten Kindern. „Geht ihr schon mal vor“, meinte Mallach zu Drenyr und Hestryr. „Ich muss noch mit Jüren sprechen, ehe ich nach Hause kann... und passt mir auf meine beiden Mädchen auf“, fügte er hinzu, ehe er seiner Frau einen Kuss auf die Wange drückte und ging.
„Ihr habt gehört, was euer Vater gesagt hat: Gehen wir!“, sagte Nolla nicht unfreundlich, raffte ihr Kleid und ging voran. Kerllach und Fawelle folgten ihr auf den Versen, Drenyr und sein ältester Bruder blieben jedoch etwas hinter den dreien zurück.
„Was meinst du?“, fragte Drenyr. „Wegen Jüren? Er soll Vater bloß 'nen fairen Preis machen“, antwortete Hestryr und ballte demonstrativ die Fäuste. „Fischhändler wie er haben jetzt Hochzeiten – kein Wunder bei der schlechten Ernte. Den Fischen kann's ja egal sein. Die beißen egal ob der Roggen auf den Feldern verdorrt oder nicht. Aber wir werden nicht die einzigen sein, die Schwierigkeiten haben, sich bis zur Aussaat über Wasser zu halten. Wenn nichts hilft, muss ich wohl bald wieder jagen gehen.“ Hestryr dachte über die Worte seines Bruders nach. „Mutter gefällt es nicht wenn, du das machst. Und Vater wird dich grün und blau schlagen, wenn du noch einmal in Graf Albargs Wald jagen gehst.“
Graf Albarg gehörte die Grafschaft Middenwald, zwischen Aldhavn und Firnwacht. Der König, dem die Wälder um Harlar gehörten, gewährte den Freibauern zumindest das Recht Vögel und Wildschweine in seinen Wäldern zu jagen – letzteres hauptsächlich, da die Biester sonst die gesamte Ernte fressen würden. In Graf Albargs Wäldern hingegen stellte es schon eine Straftat dar auch nur Pilze zu sammeln.
„Uns wird wohl kaum was Anderes übrig bleiben, wenn wir nicht all unsere Ersparnisse für Räucherlachs ausgeben wollen.“, meinte Drenyr eindringlich. Als sein Bruder ihn jedoch streng ansah, fügte er rasch hinzu: „Aber ich muss ja nicht in Albargs Wäldern jagen. Das Wild ist bestimmt genau so gern in König Hergasts Wäldern.“
Das war nun allerdings gelogen. Viele Freisassen waren diesen Winter auf die Jagd gegangen und das Wild hatte sich noch Osten, Richtung Hadurangebirge zurückgezogen. Dorthin wo eben Graf Albargs Ländereien lagen.
„Wir sollten uns keine Sorgen machen“, sagte Hestryr versöhnlich. „Nicht heute – Es ist schließlich ein hoher Feiertag.“ „Und das aus deinem Mund“, lachte Drenyr. „Der schlimmste Fasten- und Ruhetagsbrecher diesseits der Olve erzählt mir, man solle sich an einem Feiertag keine Sorgen machen.“ „Genau!“, bestätigte Hestryr mit einem Zwinkern.
Damit waren die Brüder fürs Erste versöhnt und sprachen auch zunächst nicht mehr über das Thema. Zu Hause setzten sie sich still auf eine Bank und warteten auf ihren Vater, der etwa eine Viertelstunde später erschien. Unter dem Arm hatte er etwas in Wachspapier eingeschlagenen Räucherfisch. Drenyr rümpfte die Nase, ob des strengen Geruchs. Drenyrs Mutter machte zusammen mit seiner Schwester und Hestryrs Frau Girda, die im siebten Monat schwanger war, ein Feuer im Ofen und briet den Fisch zusammen mit ein paar schrumpligen Möhren – die letzten aus dem Keller. Das ganze servierte sie mit kaltem Fasskraut. Zwei Fische, ein paar Rüben und etwas Kraut – keine besondere Mahlzeit für sieben Personen, besonders an einem Festtag. Alle aßen schweigsam, bis Drenyr sagte: „Mir ist kalt.“ Seine Stimme war völlig ausdruckslos und er hielt den Blick auf sein karges Mahl gesenkt. „Können wir nicht etwas Holz nachlegen?“, fragte Fawelle, den Faden aufnehmend. Nolla, setzte zu einer Antwort an, doch ihre Ehemann kam ihr zuvor, indem er entgegnete: „Wir müssen sparsam mit dem Holz sein. Der Frühling lässt dieses Jahr auf sich warten. Besser es ist jetzt ein wenig kalt, als dass wir in ein paar Tagen erfrieren. Drenyr stocherte in den Resten seines Essens herum. Der eh schon trockene Fisch war durch das Braten noch trockener geworden. Für die Kochkünste seiner Mutter würde er sich wohl nie erwärmen können, aber früher gab es wenigstens genug um nicht hungrig ins Bett gehen zu müssen.
„Wie viel Geld haben wir noch?“, wollte er unvermittelt wissen. Sein Vater atmete tief durch, dann antwortete er: „18 Kupferpfennig.“ Drenyr schüttelte den Kopf. „Mit eineinhalb Groschen kommen wir nie im Leben über den Winter“, stellte er fest. „Wir müssen halt sparsam sein“, war die Antwort seines Vaters. „Noch sparsamer?“, fragte Drenyr, heftiger als er gewollt hatte. „Was kommt denn als Nächstes? Eine Möhre für alle, aber damit muss man sich dann einen Tag lang hinmachen, oder was?“ „Möhren sind aus“, warf seine Mutter ein, was vielleicht nicht wirklich die passende Erwiderung darauf war. Drenyrs Vater sagte nichts mehr, sondern leckte nur mit abwesendem Blick seinen Teller aus. „Ich werde jedenfalls nicht darben, so lange ich noch irgendwie an etwas Essbares kommen“, murmelte Drenyr halblaut und verschränkte die Arme. Hestryr warf ihm einen verärgerten Blick zu, sagte jedoch nichts. Keiner schnitt das Thema wieder an.
Doch war das Problem damit noch nicht aus der Welt und in der Nacht konnte Drenyr nicht gut schlafen, da er ständig darüber nachdenken musste, wie er am besten den Wildhütern des Grafen entgehen sollte.
Hätte er jedoch gewusst, was auf ihn, ja was auf ganz Eodos zukommen würde; seine Sorgen wären ihm gerade zu lächerlich erschienen.




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Re: Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 1. Juni 2013 15:57

Die Eodos-Saga, Kapitel II

Der nächste Tag begann früh für Drenyr, da er vorhatte, sein Vorhaben jagen zu gehen, in die Tat um zusetzten, ehe seine Eltern oder Geschwister aufwachten. Möglichst darauf bedacht, keinen Lärm zu machen zog er sich an und schlich aus dem Zimmer, das er sich mit seinem jüngeren Bruder und seiner Schwester teilte. Dann durch den Raum in dem Hestryr und seine Frau schliefen und schließlich in den Gemeinschaftraum. Hier lagen seine Eltern um die warmen Plätze am Ofen. Auf Zehenspitzen schlich er zu der Werkzeugzeile, wo unter anderem sein Bogen hing. Drenyrs Vater Mallach zuckte, als sich sein Sohn an ihm vorbei stahl und Drenyr blieb reflexartig stehen. Doch Mallach dreht sich nur im Schlaf um und schlief einfach weiter. „Puh!“, machte Drenyr, als er den Bogen und ein wenig Proviant ergriff und sich zur Tür begab. Leise öffnete er sie, dann war er draußen.
Die feuchte Spätwinterluft schlug ihm entgegen. Bis zum Neujahrsfest und damit zum Frühjahrsbeginn, würde es noch eine Zeit dauern. Und bis sie die ersten Erträge einfahren konnten ohnehin. Er war froh niemanden geweckt zu haben. Zwar würde er seinen Jagdausflug – egal ob erfolgreich oder nicht – wohl kaum geheim halten können, aber wenn er seine Eltern einfach vor vollendete Tatsachen stellte, dann würden sie sicher nicht wirklich wütend sein. Und außerdem: Es ist leichter Vergebung zu erlangen, als eine Erlaubnis.
So ging Drenyr zum Gartenschuppen herüber, in dem er seine Pfeile aufbewahrte. Er war eigentlich kein Jäger. Wie seine Eltern verstand er sich eher darauf dem Boden Erträge abzuringen, als Wild zu erlegen. Doch hier oben im Norden waren viele Menschen gleichzeitig Jäger, vor allem wenn die Zeiten schlecht waren. Und diese Zeiten waren definitiv schlecht. Zwar drohten sie noch nicht zu verhungern, doch war es gestern das erste mal seit Wochen gewesen, dass Drenyr sich zumindest einigermaßen satt gefühlt hatte. Aber selbst, wenn sie ohne Hungerleiden über den Winter kommen würden, würde ihr ganzes Erspartes für Pökelfisch und Sauergurken drauf gehen, was in Drenyrs Augen auch nicht gerade ideal war.
Im Schuppen war es dunkel. Er wusste zwar wo die Pfeile hingen – hinten rechts an der Wand – doch musste er sich den Weg dorthin ertasten. „Hach, scheiß Heugabel!“, fluchte er, als eine davon umwarf. Er hoffte, dass der Lärm niemanden wecken würde. Dann hatte er den Köcher mit den Pfeilen gefunden und nahm ihn an sich.
Mit einem kurzen Blick zum Haus vergewisserte er sich, dass noch alle schliefen, dann lief er los. Allerdings nur etwa eine halbe Meile weit, dann verfiel er in einen strammen Schritt. Eine halbe Meile sollte weit genug sein, damit sich zu Hause alle einig wären, dass es die Mühe nicht wert sei, ihn zu verfolgen. Das nasse Gras war noch halb gefroren und knirschte unter seinen Füßen, während er sich Richtung Wald begab. Im Westen schimmerte noch ein Mond, allerdings so blass, dass Drenyr nicht erkennen konnte welcher. Die Sonne hingegen würde noch ein wenig brauchen, bis sie hoch genug stand, um Wärme zu spenden.
Bis zum Mittag wanderte er Richtung Osten, ohne dass irgendetwas Außergewöhnliches passiert wäre, oder er auf Wild gestoßen wäre. Also ließ er sich auf einem moosbewachsenem Findling nieder und aß seine Wegzehrung: Eine halbe Dörrbirne und ein kleines Stück Räucherfisch. Dann ging es weiter.
Da er den Wald mittlerweile recht gut kannte, wusste Drenyr, dass er sich nicht mehr weit von der Grenze zur Grafschaft Middenwald befand - Graf Albargs Land. Tatsächlich stieß er nach ein paar weiteren Minuten auf einen Grenzstein, in dem das Wappen der Grafschaft – drei Tannen, auf drei Hügeln – eingemeißelt war. Er seufzte kurz, dann setzte er seinen Weg fort. Nun jedoch vorsichtiger. Der Graf hatte eine Menge Wildhüter, die durch den Wald schlichen und sich auch nicht scheuten vom Knüppel Gebrauch zu machen.
Das Land wurde jetzt mit jeder Meile hügeliger und stieg immer weiter an, kein Wunder, schließlich fand er sich im Vorgebirge des Hadurans. „Immerhin hat mich noch kein Wildhüter entdeckt“, dachte Drenyr einige Zeit später. Doch wurde er auch zusehends nervöser, da er noch immer kein Wild – oder auch nur die Spur davon - gefunden hatte. Der Illusion vor Mitternacht wieder zu Hause zu sein, gab er sich schon nicht mehr hin. Doch hoffte er wenigstens nicht in dem Teil des Waldes schlafen zu müssen, der Graf Albarg gehörte.
Die Sonne zeichnete schon lange Schatten, als Drenyr im schlammigen Waldboden zu seinen Füßen eine Spur sah. „Ah Hirsche!“, murmelte er. Das war gut. Die die weiblichen Tieren waren zu dieser Jahreszeit hochträchtig und dem entsprechend leicht zu jagen. „Außerdem“, sagte er sich. „Hab ich gehört, dass ungeborenes Hirschkalb bei Hofe als Delikatesse gilt. Andererseits müsste ich dann eine gute Erklärung parat haben, wo ich die Hirschkuh her habe. Die darf ich weder in Middenwald noch auf den Ländereien des Königs jagen – im Winter schon dreimal nicht. Verflucht schade drum! Das hätte sicher nen guten Batzen gegeben.“
Während er mit solchen Gedanken beschäftigt war, folgte er der Spur, die ihn mal hier hin, mal dort hin führte. Mehrmals verlor er sie, doch er fand sie immer wieder. Sie führte ihn auf eine kleine Lichtung, dann plötzlich: „Blut“, knurrte Drenyr und betastete einen großen schwarz-roten Flecken im Gras. Irgendjemand oder irgendetwas hatte den Hirsch wohl schon vor ihm erlegt. Drenyr wollte gerade zu einer gemurmelten Schimpftirade ansetzen, da stieg ihm plötzlich ein wohliger Geruch in die Nase. Es hoch nach Braten und brennendem Holz. Drenyr sah nach Westen, wo die Sonne schon den Horizont berührte. Das beste wäre wohl einfach nach Hause zu gehen, andererseits... Einen Moment lang rang er mit sich, dann siegte die Neugier. Langsam und vorsichtig schlich er in die Richtung aus der der Geruch kam. Jetzt konnte er auch kehlige Stimmen hören, und als er noch näher ran kam, sah er auch, dass aus einer Art steiler Senke Feuerschein herauf drang. Er kniete sich an den Rand der Senke und lauschte angestrengt.
„Da heat quiekt wi'n Sa!“, lachte der Eine. Die Männer sprachen einen merkwürdigen Dialekt, deshalb war es schwer ihrem Gespräch zu folgen. „Als wir'n abemurkst hea'n.“ Die anderen lachten. „Senn Herr wird si'a zufrinn senn. So teapfa wi a da Hürsch vatedit hat“, meinte ein Anderer, ebenfalls mit belustigtem Unterton. Drenyr kroch vorsichtig über den Rand der Senke, sodass er die Männer sehen konnte. Es waren acht oder neun. Alle mit groben Leinenwämsern bekleidet. Auf dem Kopf hatten sie grüne und lilafarbene Filzhüte, unter denen Haare hervorquollen, die aussahen, als würden sie das Material für eben jene Hüte liefern. „Na Haupsach, Ragten's zufrinn mi uns!“, sagte einer. „Da kaenn akk zufrinn senn!“, verkündete der erste Sprecher. „Wi hea'n senn Befeahl aus'füht. Un wa unsa klenn Held ageht. Da kaenn froh senn, da a nit aukk aufa Spieß kommt.“ Dabei klopfte er auch etwas, dass Drenyr für einen Haufen Lumpen gehalten hatte, das aber, wie ihm nun schlagartig klar wurde, die Leiche eines Mannes war. „Je'enfeall hea'n wi un unsa Hürsch verdient.“
Drenyr wusste nicht wer diese Männer waren und er hatte auch nicht das Gefühl, ihre Bekanntschaft machen zu wollen. Langsam und möglichst lautlos zog sich zurück, da: „Hey! Seht en ma! Da schlett ena um'et Leaga!“
Einen Moment lang sahen der Mann und er sich wie versteinert an, dann sprang Drenyr auf und sprintete davon. Die wütenden Schreie der Männern in seinen Ohren, beschleunigte er seinen Schritt noch weiter, doch selbst als er sie nicht mehr hören konnte, wurde er nicht langsamer. So lief er zwei Meilen oder vielleicht auch drei, ehe er erschöpft stehen blieb und sich an einem Baumstumpf abstützte um nicht zusammen zu sacken. Von den seltsamen Kerlen war nichts mehr zu sehen oder zu hören. Trotzdem beschloss Drenyr nach einer kurzen Verschnaufpause, weiter zu ziehen. Es war bereits dunkel und er war noch immer in Middenwald und hatte keine Lust, doch noch in der Dunkelheit von einem Wildhüter - oder noch schlimmer diesen Kerlen - aufgegriffen zu werden. Seine Füße waren schwielig gelaufen und seine Beine fühlten sich leicht wackelig an, als er endlich die Grenze zum königlichen Gebiet überschritt. „Wenigstens, kann ich hier ruhig schlafen“, dachte er sich, ließ sich wo er war ins kalte Gras fallen und schlief nur kurze Zeit später ein.

Am nächsten Morgen war es eine Waldmaus die ihn weckte, indem sie versuchte ein Stück von seinem Ohr abzuknabbern. „Blödes Mistvieh!“, rief er und verscheuchte die Maus mit einer Handbewegung. Drenyr setzte sich bibbernd auf. „Uh ist das kalt... kann es nicht endlich mal wärmer werden“, brachte er zwischen klappernden Zähnen hervor. Es war keine gute Idee gewesen sich ins feucht Gras zu legen, denn nun war seine ganze Kleidung kalt und klamm und Drenyr hatte das dumpfe Gefühl, sich eine gehörige Erkältung eingefangen zu haben, als er mit steifen Gliedern aufstand.
„Ich sollte wohl wieder nach Middenwald zurück und versuchen diesmal irgendetwas zu erlegen“, sagte Drenyr sich. Andererseits war ihm die Lust an seiner Jagd gründlich vergangen und er wollte sein Glück nicht auf die Probe stellen, indem er sich an zwei Tagen hintereinander verbotener Weise auf Graf Albargs Land herumtrieb. Schließlich kam er zu der Auffassung, dass eine Schelle seines Vaters weit weniger schmerzen würde, als eine Tracht Prügel mit dem Keule eines Wildhüters oder gar eine Auspeitschung gegen Wilderei. Also machte er sich auf den Heimweg, wobei er es nicht allzu eilig hatte. Dabei kehrten seine Gedanken immer wieder zu den merkwürdigen Kerlen zurück. Sicher waren es Wilderer gewesen, dachte sich Drenyr. Nur ihre Sprache war seltsam gewesen. Offenbar kamen sie nicht aus der Gegend – waren vermutlich nicht mal Westmenschen, wie die Menschen, die damals beim Exodus König Ingwar gefolgt waren, sich selbst nannten. Sie stellen in den meisten der großen Königreiche zwischen dem Summa und dem Haduran die Mehrheit und auch Drenyr gehörte zu ihnen. Auch wenn im Königreich Farstrid viele Nordleute lebte – Norsinger wie sie sich nannten. König Hergast selbst hatte Blut der Nordleute in seinen Adern. Doch diese Männer waren auch keine Nordleute gewesen. Drenyr kannte die Norsinger, obwohl sie nur selten so weit in den Süden herunter kamen. Wenn dann meistens nach Aldhavn, um allerhand einzukaufen, das es im Norden nicht gab. Sie selbst lebten selten weiter südlich als im Fürstentum Hyrkliff. Diese ruppigen Fremden jedoch mussten einen anderem Volk angehören. Drenyr hörte bald auf sich den Kopf darüber zu zermartern. Er würde ohnehin zu keiner Antwort kommen und außerdem war er schon erschöpft genug.
Es war schon wieder beinahe Mittag, als Drenyr zum Waldrand kam. Nach zwei Minuten erreichte er auch die Grenze ihrer Äcker und ging über den schmalen Feldweg zu ihrem Haus. Er war noch einige Schritte von der Tür entfernt, als diese krachend aufflogt und sein Vater wutschnaubend hervor kam. „Drenyr!“, brüllte er seinen Sohn an. „Wo bei den sieben guten Göttern hast du gesteckt!?! Warst du wieder auf der Jagd? Wenn du wieder in Graf Albargs Wäldern gewildert hast, werde ich... dann gnade dir Telocath!“ „Hör zu, Vater“, versuchte Drenyr ihn zu beschwichtigen. „Ich war auf der Jagd, aber-“ „Weißt du eigentlich in welche Gefahr du uns alle damit bringst?“, polterte Mallach. „Aber ich habe nicht-“ „Wenn der Graf verlangt, dass wir für das Wild bezahlen und die Schuld nicht begleichen können, was dann?“ „Hör mir doch erst einmal zu“, versuchte Drenyr gegen die Tirade seines Vaters anzukämpfen, doch weiter sollte er nicht kommen, denn in diesem Moment waren weitere Stimme zu hören. Raue die klangen wie Mühlsteine, die übereinander rieben.
Drenyr wirbelte herum. Die Fremden. Sie waren ihm gefolgt. Wie hatten sie es bloß geschafft, dass er sie nicht bemerkt hatte? Sie trugen Keulen und Speere in den Händen. Einer hatte einen Bogen. Mallach mustere die Fremden eindringlich. Dann rief er: „Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“ Er war nicht der Mann, der vor einem Haufen verdreckter Gestalten mit Knüppeln und Spießen kuschte. Tatsächlich war Mallach von Natur aus recht draufgängerisch, außer es ging um daran sich mit der Obrigkeit anzulegen. Dann war das genaue Gegenteil der Fall.
„Wir sind Freibrüder“, antwortete der mit dem Bogen und blieb etwa 20 Schritt von ihnen entfernt stehen. Im Gegensatz zu seinen Kameraden sprach er dialektfrei. „Und wir wollen ein wenig... Vorräte besorgen – um über den Winter zu kommen. Wenn du verstehst“ „Wenn Ihr Vorräte wollt, dann geht gefälligst in die Stadt und kauft Euch welche, wie jeder anständige Mann auch“, schnauzte Mallach sie an, dabei trat er einen Schritt vor, an die Seite seines Sohnes.
Der Mann mit dem Bogen grinste schmierig. „Mhh... also ich glaube nicht das wir das tun werden. Was meint ihr?“, wandte er sich an seine Kameraden, die ebenfalls grinsten und den Kopf schüttelten. „Ich warne euch“, sagte Drenyrs Vater gefährlich ruhig. „Entweder ihr verschwindet von hier, oder ich werde euch dorthin prügeln, wo ihr hergekommen seid.“ Der Mann mit dem Bogen wollte etwas erwidern, doch einer seiner Kameraden kam ihm zuvor. „Weniga Gequatsche! Meahr Plündern!“, rief er und stürmte vor.
Drenyr setzte reflexartig einen Pfeil an die Sehne und schoss. Das Projektil blieb in der Schulter des Mannes stecken, der laut aufjaulte, seine Keule fallen ließ und sich am Boden wälzte. Der Bandit mit dem Bogen legte jetzt seinerseits einen Pfeil an, doch Drenyr zielte bereits auf ihn. Der Mann lächelte. „Komm schon Junge. Lass den Bogen fallen und dir passiert nichts.“ „Lass du ihn doch fallen!“, entgegnete Drenyr wütend. Der Mann lachte, ohne den Pfeilschaft von der Wange zu nehmen. „Wirsind acht – sieben wenn man Krögen hier abzieht“, sagte er und nickte zu dem Mann herüber, der jetzt auf dem Boden saß und sich die Wunde hielt, in der noch immer der Pfeil steckte. „Ich bin zwar nicht besonders gut mit Zahlen, aber wenn ich mich nicht irre sind sieben zu zwei kein Unentschieden.“ Er lachte dreckig. Dann wurde er grimmig: „Also leg den Bogen weg, Bursche! Ich kann mir kaum vorstellen, dass du jetzt schon sterben willst.“
Drenyr rührte sich nicht, er war wie versteinert, während er und sein Vater den Räuber gegenüber standen. Der Mann mit dem Bogen, machte einen Schritt nach vorne. Drenyr zog die Sehne fester und bellte: „Egal wie viele ihr seid. Dich erschieße ich, wenn ihr noch einen Schritt näher kommt.“ Offenbar war der Mann der Anführer. Er hoffte, dass ihm sein eigenes Leben mehr wert sei als etwas Plündergut. „Dann...“, begann diser langsam und mit einem seltsam gequältem Gesichtsausdruck. „muss ich es wohl darauf ankommen lassen.“ Der Mann ließ die Sehne los. Drenyr ließ sich sofort fallen ohne selbst du schießen. Der Pfeil des Räuberhauptmanns sauste durch die Luft und streifte seine Wange. DieRäuber stürmten auf ssie zu. Er sah sich nach seinem Vater um, der mit einem von ihnen rang. Andere traten die Tür ins Haus ein. Drenyr wollte sich hochrabbeln, doch von hinten packte ihn eine Hand bei den Haaren und zwang ihn den Kopf in den Nacken zu legen.
„So so. Du wolltest mich also erschießen, Bürschchen“, knurrte die Stimme des Räuberhauptmanns in seinem Ohr. Dann spürte er kalten Stahl auf der Kehle. „Na das werden wir mal sehen.“ Drenyr spürte wie das Messer durch seine Haut schnitt, dann hörte er plötzlich wütende Rufe. „Verdammt“, rief der Bandit und stieß Drenyr von sich, der hart auf dem Boden aufschlug. Aus dem Augenwinkel sah er, mehre Männer aus Harlar herbei eilen. Dann wie die Tür zu ihrem Haus erneut aufflog und die Banditen herausgestürmt kamen. Sie trugen Töpfe, Pfannen und Fisch in den Händen. Einer trug seine Schwester über dem Arm. Die Räuber flohen mit ihrer Beute in den Wald, weg von den wütenden Städtern. Der letzte, der aus dem Haus kam, trug einen Spieß in Händen. Drenyr sah, wie der Mann an seinem Vater, der blutend am Boden lag, vorbei lief und ihm mit voller Wucht den Spieß in den Bauch stieß. Dann verlor er das Bewusstsein.




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Re: Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 4. Juni 2013 15:57

Die Eodos-Saga, Kapitel III

Am anderen Ende von Eodos hatte Hiro Akusai ganz andere Probleme, die er in seinem Kopf hin und her wältze.. Auch wenn der leichte Rausch, den das Rauchen der Lilienkrautblätter bei ihm ausgelöst hatte, diese ein ein wenig erträglicher machte. Fragte man Hiro, so würde er selbstverständlich antworten, dass er nur aus Protest rauchte. Die Filipi hatten im gesamten Archipel den Anbau von Lilienkraut verboten. So natürlich auch in Kegorae, dem Dorf in dem Hiro lebte. Es lag an der Südspitze der Insel Tokay, der Hauptinsel des Koschomo-Archipels, das die Filipi einfach Wu-Archipel, also Ost-Archipel nannten. Die Hauptstadt nannten sie gleichsam in ihrer trockenen Art Wu-Sai – Ost-Stadt, während sie bei Hiros Volks natürlich Tokay-He-Ronokabo - Kronstadt auf der Großinsel – hieß.
Die Spitze der Lilienkrautstange glühte auf und tauchte Hiros Gesicht in ein schwaches Rot, als er daran zog. Dann gab er die Stange an seinen Freund Masha weiter. Sie saßen zu sechst in der verlassenen Fischerhütte außerhalb des Dorfes. "Dann erkläre ich die heutige Sitzung für eröffnet", ließ Hiro verlauten und lächelte leicht in die Runde. "Das Thema des heutigen Treffen soll es sein, konkrete Vorgehensweisen zu erörtern, wie wir uns von der Fremdherrschaft der Filipi befreien können. Gaito, du solltest Kontakt zu Widerstandsgruppen in der Umgebung aufnehmen, was hast du herausgefunden?“, fragte Hiro und versuchte mit einer Haltung und seinem Auftreten zu unterstreichen, dass er der Anführer der Widerstandsgruppe von Kogorae war, schließlich war heute Rigome, das erste Mal hier. Rigome, die alle nur Riri nannten, war ein 17jähriges Mädchen aus Kegorae und nach allgemeiner Auffassung das schönste Mädchen des Dorfes – und das einzige in Hiros Alter. Also versuchte er bei ihr ein wenig Eindruck zu schinden. Auch wenn er sich bei ihr nicht ganz sicher war, ob sie sich ihnen wirklich aus Überzeugung oder eher aus Langeweile angeschlossen hatte.
Gaito räusperte sich. „Nun, natürlich war nicht so einfach gewesen, man kann nie wissen wer ein Agent der Filipi ist, aber als ich vor drei Tagen auf dem Markt in Ryuchu war und ein paar unauffällige Fragen gestellt habe, ich suche nach einem Priester der weißes Lilienkraut verkaufe, da wurde ich von einem Gemüsehändler an die Taverne verwiesen. Ich solle dort nach einem Mann namens Tigertatze Ausschau halten. Ich ging also in besagte Taverne – ein sehr schönes Lokal muss ich dazu sagen. Ein Mädchen hat dort so herrlich Trembolo gespielt, da ist einem das Herz so richtig -“
„Gaito, komm zum Punkt! Wir müssen bis morgen früh alles besprochen haben“, unterbrach ihn Hiro mit in einem aufgesetzt nachsichtigen Tonfall. Er sah kurz zu Riri herüber, die leicht lächelte und von der Lilienkrautstange zog. Leicht verärgert fuhr Gaito fort. „Jedenfalls wurde mir gesagt, ich solle warten und Tee trinken. Welchen ich denn gerne hätte. Und als ich Gelben Tee bestellte, da lächelte der Wirt und sagte mir, dass Tigertatze bald Zeit für mich hätte. Schließlich kam auch ein Mann mit Augenbinde, der allerdings meinte, er sei nicht Tigertatze und mir seinen Namen nicht nennen wollte. Als ich ihm allerdings von uns erzählte – nichts Konkretes natürlich – da meinte er , er könne uns helfen, wenn wir ihm im Gegenzug auch einen Gefällen täten.“
„Was will er für uns tuen?“, fragte Masha aufgeregt. „Er sagt, er kenne einen Schwermeister, der durch das Land ziehe und Rebellen ausbilde. Und er könne dafür sorgen, dass er nach Kegorae komme.“ Die anderen jubilierten ob dieser Nachricht. Die Schwertmeister waren die angesehensten Krieger der Inseln. Einen von ihnen zum Meister zu haben wäre großartig. Auch Hiro lächelte beifällig, hob aber dann die Hand, sodass die anderen verstummten und fragte dann leicht gönnerhaft: „Sehr gut Gaito, aber was will der Mann als Gegenleistung?“ Gaito zog die Brauen hoch. Dann antwortete er: „Wenn wir annehmen sollen ihn in zwei Tagen in der Taverne treffen. Er braucht ein paar Leute, die für ihn eine Lieferung nach Tokay-He-Ronokabo bringen können. Wir sollen sie dort einem Händler übergeben, der Mitglied der Schwarzrosengärtner ist.“
Oh machten die Anwesenden und selbst Hiro konnte nicht verbergen, wie beeindruckt er war. Die Schwarzrosengärtner waren der Geheimbund im Kampf gegen die Oberherrschaft der Filipi. Sie hatten sich nur wenige Monate der Besetzung Des Koschomo-Archipels vor 37 Jahren gegründet und kämpfen seither gegen die Filipi. Zu ihren berühmtesten Heldentaten gehörten die Seeschlacht von Wenkay im Jahre 599, die sie mit Fischerbooten geschlagen hatten und die Beseitigung des damaligen Gouverneurs Hujing zwei Jahre später. Ihren Namen hatten sie von dem Zeichen des Fürstenrat: die schwarze Rose, die nun gleichsam zum Symbol des ganzen Volkes der Kochomai geworden ist. Da sie ihre Aufgabe darin sahen, dieses Volk, seine Sitten und Gebräuche zu pflegen, wie ein zerbrechliche Pflanze, nannten sie sie die Gärtner der schwarzen Rose oder einfach kurz die Gärtner. Mit ihnen in Kontakt zu treten, war für jede der vielen kleinen, verstreuten Rebellengruppen des Archipels der beste Weg, wirklich etwas zu erreichen. Das dieses Ziel für Hiro und seine Leute schon nach nur wenigen Wochen Realität werden sollte, schien ihn als unglaublicher Glücksfall. Ein wenig zu unglaublich.
„Ich weiß nicht was ihr dazu meint“, begann er vorsichtig. „Aber ich habe irgendwie ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Ich meine: Wenn der Mann den Gaito getroffen hat, wirklich Kontakt zu den Schwarzrosengärtnern hätte... also ich glaube nicht, dass er ihm dann davon erzählt hätte.“ Sofort schrien seine Freunde ihn nieder. Doch es war Riri, die ihn umstimmte in dem sie eine Schnute zog und schmollte: „Jetzt hab dich nicht so Hiro. Das ist unsere Chance etwas zu bewegen.“ Dabei fasste sie ihn an der Schulter und sah ihn aus großen dunklen Augen an. „Mhhh... na gut“, lenkte er schließlich, gespielt widerstrebend, ein.
Etwa eine halbe Stunde später war alles besprochen, was zu besprechen war. Man einigte sich darauf, dass man in zwei Tagen alle zusammen nach Ryuchu reisen wollte, um den Transport für den Mann zu übernehmen. Rigome hatte darauf bestanden mitzukommen und Hiro hatte die anderen davon überzeugen können, dass sie alt genug war um sie zu begleiten.
Nur Hiro und Masha blieben in der Fischerhütte zurück. Sie setzten sich ins Mondlicht vor der Hütte und zündeten sich eine weitere Stange Lilienkraut an. „Du magst sie“, stellte Masha nach einigen Minuten behaglichen Schweigens fest. „Wen?“, fragte Hiro unschuldig. „Riri! Du hättest dich sehen müssen, wie du ihr andauernd Blicke zuwirfst.“ „Jeder mag Riri“, war Hiros Antwort. Einen Moment lang herrschte Stille in der Masha den Rauch des Krauts einsog, dann sagte er: „Sie ist aber auch verdammt heiß.“ Die beiden Freunde saßen sich kurz mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann lachten beide los. Damit war das Thema für den Abend vom Tisch. Sie rauchten noch eine weitere Stange, wie letzte die Hiro auf dem Schwarzmarkt gekauft hatte, dann gingen sie nach Hause.
Zwar war der Rausch den Lilienkraut verursachte längst nicht so stark wie der von Alkohol, aber er reichte, damit Hiro sich angenehm benommen fühlte, als er die Tür zu seinem kleinen Häuschen aufschloss. Er war stolz, mit seinen 19 Jahren der Besitzer eines eigenes Hauses zu sein – auch wenn es sehr bescheiden war. „Jetzt ein Glas Crombeerwein“, seufzte er. Doch eigentlich meinte er es nicht wirklich, schließlich trank er aus Prinzip keinen Alkohol. Früher, bevor die Filipi gekommen waren, gab es so gut wie gar keinen Alkohol im Archipel. Wenn doch, dann war er schwarz gehandelt, denn es ist den Koschomai eigentlich verboten Alkohol zu trinken, doch mit den neuen Herren war auch der Wein und der Schnaps gekommen. Und da die alten Gesetze nun eh nicht mehr galten, war bei vielen Koschomai auch die Hemmschwelle Alkohol gegenüber gesunken. Hiro hatte früher hin und wieder ein Gläschen oder auch ein paar mehr getrunken, doch vor etwa einem Jahr, hatte er ganz damit aufgehört. Es gehörte sich nun mal nicht für jemanden, der für die alten Sitten eintrat. Er hielt sich an Lilienkraut, auch wenn das bedeutete, dass er es entweder von Schwarzhändlern kaufen oder es selbst anbauen musste – beides war natürlich illegal. Von den Händlern der Filipi kaufte er kein Kraut. Auch es Prinzip, wie er sich sagte, doch in Wahrheit war es eher seinem schmalen Münzbeutel geschuldet.
Nach einiger Zeit in der er wachgelegen und sich ausgemalt hatte, wie sein Leben sein würde, wären die Filipi erst einmal fort – natürlich durch seine Taten – schlief er ein, in Gedanken bei Riri.




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Re: Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 11. Juni 2013 00:10

Die Eodos-Saga, Kapitel IV

Obwohl die Sonne bereits aufgegangen war, räkelte sich Hiro noch im Bett. Es fehlte ihm irgendwie die rechte Lust aufzustehen und seiner Arbeit nachzugehen. Schließlich sah er jedoch ein, dass es keinen Zweck hatte, sich weiter zu drücken. Also stand er auf, wusch sich ausgiebig und kleidete sich danach an. Wie die meisten der etwa 80 Einwohner Kegorae war Hiro Fischer. Und den Vormittag, bevor der sich nach Ryuchu aufmachen würde, sollte er besser nutzen, um seine Netze auszuwerfen.
Sein kleines Fischerboot lag an einem schmalen Steg vor seiner Hütte vertäut. Mit einer langen Stange stakte er es auf die seichte See hinaus, dorthin wo er vor zwei Tagen Krabbenkörbe ausgelegt hatte. Kleine Bojen zeigten die Position der Körbe an. An den Bojen waren Seile befestigt und an diesen hingen wiederum die Krabbenkörbe. Hiro holte sie ein. „Oh“, machte er und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er in den Körben neben ein paar gewöhnlichen Krebsen auch einen Königshummer fand. Die etwa drei Fuß langen Tiere hatten eine purpurne bis fliederfarbene Schale und galten in feinen Kreisen als Delikatesse. Sie waren ziemlich selten und ihr Fleisch war noch zarter, als das gewöhnlicher Hummer, obwohl die Tiere sehr stark waren. „Na damit lässt es sich eine Weile auskommen“, grinste Hiro und hielt den Korb mit dem großen Hummer auf Augenhöhe. Das Tier war vermutlich um einiges mehr wert, als der Rest des Fangs. Der Hummer versuchte, mit seinen kräftigen Scheren die Gitter des Korbs zu zerschneiden, doch sie waren zu dick. „Das nützt dir nichts“, erklärte Hiro dem Tier, während er zurückstakte. „Du kommst in den Kochtopf.“ Er leerte die Körbe zu Hause in ein Becken mit abschließbarem Gitterdeckel aus, in dem die Krabben bis zu ihrem Verkauf leben würden und schüttete noch etwas Fischmehl hinein, damit die Tiere nicht verhungern oder über einander herfallen würden. Dann schloss er das Gitter, damit niemand den Fang so einfach stehlen konnte und stakte sein Boot wieder auf das Meer hinaus, um die Körbe erneut auszulegen.
Eigentlich hätte er auch noch seine Netzte ausgeworfen, doch dafür war die Zeit heute zu knapp. Also stakte er sich einfach erneut zu seiner Hütte zurück und zog sich im Inneren frische Kleidung an. Seine Arbeitskleidung, die nach Tang und Fisch roch, verstaute er unter dem Bett. Mit den sauberen Kleidungsstücken ging Hiro vor das Haus.
Es war ein kleines aber schönes Haus, fand Hiro, das im typischen Koschomo-Stil erbaut war: Vier Eckpfeiler aus rotem Holz bildeten das Grundgerüst für die Konstruktion. Der Fußboden lag etwa zwei Fuß über der Erde um, das Haus vor Hochwasser zu schützen und wurde von den vier quaderförmigen Eckpfeilern und mehreren runden Pfählen getragen. Das Dach war blass gelb gestrichen und hatte die Form einer flachen Pyramide.
Hiro überlegte kurz dann seufzte er und ging ums Haus, wo er einige kleine Fässer aufbewahrte. Er nahm das größte davon, ging zu dem Becken, in dem er seinen Fang abgeladen hatte, schloss das Gitter auf und nahm den Königshummer heraus. Das Tier versuchte ihn mit seinen Scheren zu schneiden, als er es hervor holte, doch Hiro hielt ihn so, dass der Hummer ihn nicht packen konnte und ließ das Tier vorsichtig in das Fässchen gleiten, dass er mit Meerwasser befüllte, ehe er es mit einem Deckel versah in den mehrere Löcher gebohrt waren, damit Luft in das Innere des Fasses gelangen konnte.
Mit dem Fässchen unterm Arm begab sich Hiro zu dem Treffpunkt, den er mit seinen Freunden verabredet hatte – die alte Fischerhütte, abseits des Dorfes, in der sie immer ihre Treffen veranstalteten. Masha war bereits dort, als Hiro ankam. Er saß auf der Treppe der Hütte und spielte mit einer Korallenhalskette, die er in den Händen hielt. „Was willst du mit dem Fass?“, fragte Masha, als er seinen Freund kommen sah. „Sieh dir mal an, was ich gefangen habe!“, forderte der ihn auf und öffnete den Deckel. Masha bekundete ein zufriedenstellendes Maß an Beeindruckung für den purpurnen Riesenhummer und fragte dann: „Willst du ihn in Tokay-He-Ronokabo verkaufen?“ Hiro nickte und antwortete: „Ja. Weder hier noch in Ryuchu würde ich einen wirklich guten Preis für ihn bekommen.“
Die beiden mussten nicht lange warten bis Gaito und Mihiko kamen. Die beiden waren Brüder, die in einer Werkstatt in der Dorfmitte arbeiteten. Sie reparierten alles mögliche egal ob aus Holz oder Metall. Gaito hatte ein Bündel unter dem Arm, das er vor den anderen ausbreitete. Sechs Dolche kamen zum Vorschein. „Die könnten wir brauchen“, meinte er mit gewichtiger Miene. „Aber verbergt die gut“, fügte er hinzu, denn die Filipi verboten den Koschomai das Tragen von Waffen. Hiro nahm die Klinge und ließ sie in einer Falte seines schlichten Gewands verschwinden. „Ich danke dir Gaito“, sagte er ernst. Dann glitt sein Blick jedoch an Gaito vorbei und ein breites Lächeln erschien auf seinen Lippen. Gaito drehte sich um und sah Riri. Sie trug ein seidenes Kleid mit Blütenmuster und in den Händen ein hölzernes Tablett mit Gebäck. Ihre schwarzen Haare hatte sie sich in einem Zopf zusammengebunden und über die Schulter gelegt. „Was bringst du noch Gebäck, junge Dame? Den Kriegern des Fürsten? Auf dass wir nicht leeren Magens fallen, denn alle Hoffnung auf Sieg ist vergebens“, zitierte Hiro aus dem Epos der acht treuen Schwertmeister. „Meine Mutter wollte ich mich erst nicht gehen lassen und als ich ihr dann sagte, ich würde ein paar Freunde besuchen, bestand sie darauf, dass ich euch etwas Gebäck mitbringe“, erwiderte Riri lächelnd und hielt ihnen das Tablett hin. Alle griffen nach den Keksen und lobten höflich das Backtalent von Riris Mutter. „Wer fehlt noch?“, fragte sie, als sie das Tablett an der Hüttenwand abstellte. „Penku“, antwortete Hiro und reichte Riri einen Dolch. Riri steckte die Waffe weg und seufzte dann: "Mutter macht sich sorgen um mich, dass heißt - ich fürchte sie will mich verheiraten. Ständig will sie wissen wo ich hin gehe und ob es dort hübsche und wohlhabende Männer gäbe. Vater fängt auch schon davon an." Hiro fragte sich warum sie das ihm erzählte. Er suchte nach einer passenden Erwiderung und wollte gerade etwas sagen, da hörten sie eine Stimme: „Wartet! Ich komme.“
Es war Penku, der plumpe fünfjährige Junge, winkte mit den Armen während er zu ihnen herüber gestolpert kam. Hiro seufzte. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob es nicht vielleicht für alle Beteiligten das Beste wäre, er würde Penku aus der Widerstandsgruppe ausschließen. Zwar stimmte es, dass er jeden Mann – und in Riris Fall auch jede Frau – brauchen konnte, aber von Zeit zu Zeit hatte er den Eindruck, dass Penku ihnen mehr schadete als nutzte. Andererseits war er von Grund auf ehrlich und immer begeistert bei der Sache. Außerdem tat Penku, der bei seiner Tante und bei seinem Onkel lebte, da seine Eltern gestorben waren und niemanden mehr hatte, ihm auch ein wenig Leid. Also begnügte er sich damit, etwas spitz anzumerken: „Nun, da unser jüngstes Mitglied auch endlich erschienen ist, können wir ja los.“ „Entschuldigung“, meinte er etwas lahm und nahm einen Dolch von Gaito entgegen. Dann zogen sie los, nach Ryuchu.
Mit etwa 250 Einwohnern war das Dorf, dass sie nach etwa einer Stunde erreichten, ungefähr dreimal so groß wie Kegorae. Außerdem war es um einiges planmäßiger entstanden. Während Hiros Heimatdorf aus einer Ansammlung von 21 verschieden großen Hütten bestand, die ohne erkennbare Ordnung an der Küste standen, sah man den geraden Straßen Ryuchus an, dass die Häuser mit bedacht angelegt worden waren. Die Taverne, in der Gaito auf den Mann, der ihnen Hilfe angeboten hatte, getroffen war, lag an einer Ecke der zentralen Kreuzung. Ein Glockenspiel ertönte, als sie eintraten.
Hiro entschied sich für einen Tisch direkt neben dem Eingang. Er ließ sich daran nieder und stellte das Fässchen mit dem Hummer zu seinen Füßen ab. Die anderen fünf setzten sich gebannt wartend zu ihm. Riri zuppelte nervös an ihrem Haar herum und und Penku begann sich ständig umzuschauen. „Und jetzt?“, fragte Masha schließlich im Flüsterton nachdem sie fünf Minuten lang nur schweigend dagesessen hatten.
„Abwarten und Tee trinken“, antwortete eine etwas zittrige Stimme hinter ihnen. Alle fuhren erschrocken herum. Keiner von ihnen hatte den faltigen Wirt bemerkt, der an ihren Tisch getreten war. Der Mann, der offenbar nicht mitbekommen hatte, was für einen Schock er den sechsen eingejagt hatte, fragte beflissentlich: „Was für einen Tee, darf ich den Herren und der Dame denn bringen?“ „Gelben, bitte“, antwortete Gaito selbstsicher, worauf hin der Mann zufrieden nickte und sich umdrehte, um den Tee zu holen.
Hiro sah sich in der Taverne um. Sie war klein, sah aber gepflegt aus. In der Ecke war eine Art kleiner Bühne, auf der ein Trembolo, ein traditionelles Saiteninstrument, in seiner Halterung stand. Außer ihnen schien niemand hier zu sein. Der Tee kam, doch war es nicht der Wirt, der ihn brachte. Stattdessen kam ein hagerer Mann um die 50 an ihren Tisch. Mehrere Narben zogen sich durch sein Gesicht und das linke Auge fehlte offenbar, denn ein schwarzes Leinenband war darüber gebunden. Doch war dies weniger erschreckend als der grimmige Ausdruck, der aus seinem rechten Augen schimmerte. „So so... ihr seid also der Widerstand von Kegorae“, sagte der Mann mit einer fast unnatürlich rauen Stimme und stellte das Tablett mit dem Tee so heftig auf dem Tisch ab, dass eine der Tassen umfiel. Der Mann, der dunkle und leicht ausgefranste Kleidung trug, zog sich einen Stuhl heran und mustere jeden von ihnen mit seinem verbliebenem Auge eher sprach. „Ich hatte mir eigentlich etwas... mehr erhofft aber sei´s drum. Ich vermute euer Freund hat euch bereits erzählt, was ihr für mich tun sollt“, meinte er zog eine Flasche hervor, die an seinem Gürtel hing. Der süßliche Geruch von Crombeerwein stieg in ihre Nasen, als er sie öffnete und einen Schluck trank. Hiro gefiel die Art das Mannes ganz und gar nicht. Irgendetwas war faul mit ihm. „Nun, ich für es gerne noch einmal von Euch hören, wenn Ihr so frei wäret“, entgegnete Hiro in forderndem Tonfall. Der Mann zuckte mit den Schultern. „Nun es ist ganz einfach – sogar jemand wie du würde das hinkriegen. Ich habe hinten im Hof einen Karren stehen, der bis zum Rand mit Heu gefüllt ist und ich möchte, dass in jemand nach Wu-Sai bringt. Natürlich geht es nicht um das Heu, sondern darum, was in dem Heu ist. Was das ist brauch dich nicht weiter kümmern. Und es wäre auch am besten für dich, wenn du auch nicht versuchst es herauszufinden. Verstanden? Den Händler den du es bringen sollst findest du auf dem südlichen Markt, frag nach Edoso!“
Das gefiel Hiro nun noch weniger. Er kniff die Augen zusammen und erwiderte: „Nun wenn ihr uns schon über die halbe Insel schickt, ohne uns zu sagen, was wir überhaupt transportieren, verratet Ihr uns vielleicht wenigstens Euren Namen?“ „Warum sollte ich? Ich weiß ja auch nicht du heißt“, stellte der Mann fest und nahm einen weiteren Schluck. „Hiro Akusai“, kam die Antwort. „Tja... ich werde dir trotzdem nicht sagen, wie ich heiße, Hiro Akusai.“ „Und wieso nicht?“ „Weil ich im Gegensatz zu dir nicht so dumm meinen Namen überall herumzuposaunen, wenn ich Mitglied einer Untergrundorganisation bin. Außerdem, was würde das ändern, wenn du meinen Namen weißt, he? Von mir aus kannst du mit Mazu nennen. Oder Reiko, wenn dir das besser gefällt.“ Er schüttelte leicht den Kopf, als müsste er einem kleinem Kind einen einfachen Sachverhalt erklären, dann wechselte er abrupt das Thema, indem er fragte: „Und was bei allen Ahnen ist das da?“ Dabei tippte er mit der Fußspitze gegen das Fass mit dem Hummer. „Ein Königshummer“, erklärte Hiro gereizt. „Ich werde ihn in Tokay-He-Ronokabo verkaufen – was auch immer Euch das angeht“, fügte er hinzu. „Auch noch Gewinn aus der Sache schlagen...“, teilte der Mann mit gespielter Entrüstung der leeren Taverne unter neuerlichen Kopfschütteln mit, ehe er einen weiteren Schluck nahm. „Wozu überhaupt die ganze Sache mit dem Transport? Wenn Ihr uns und unsrem Volk wirklich helfen wolltet, würdet ihr das auch tuen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.“
Der Mann beugte seine Gesichte zu dem Hiro vor, der seinem grimmigen Blick standhielt. „Da wo ich herkomme, macht man das so: Eine Hand wäscht die andere. Wenn es dir nicht passt, kannst du ja wieder abhauen... Und außerdem“, sagte er und lehnte sich wieder im Stuhl zurück. „woher soll ich sonst wissen, dass ihr keine Filipi-Spione seid?“ Das selbe könnte man auch dich fragen, schoss es Hiro durch den Kopf. Doch stattdessen fragte er: „Und wer ist eigentlich dieser Tigerklaue, von dem der Wirt Gaito erzählt hat?“ „Ja, das würde ich auch gerne wissen“, mischte sich dieser ein. „Der lokale Rebellnführer. Mitglied der Schwarzrosengärtner“, antwortete der Mann abwehrend an Gaito gewandt, dann fixierte er wieder Hiro und brummte: „Und jetzt genug mit dieser Fragerunde: Bringt ihr die Lieferung nach Wu-Sai, ja oder nein?“
„Eine letzte Frage hätte ich noch“, entgegnete Hiro, dessen Augen sich zu Schlitzen verengten und ließ die linke Hand Richtung Dolch wandern. „Warum nennt ihr Tokay-He-Ronokabo ständig Wu-Sai? Diesen Namen benutzen nur die Filipiunterdrücker.“
„Bei den Ahnen!“, stöhnte der Mann und legte seine rechte Handfläche auf sein Gesicht. „Wie alt bist du?“, wollt er wissen von Hiro wissen. „19, aber was tut das zur -“ „Also bist du erst Jahre nach der Besetzung des Landes durch die Filipi auf die Welt gekommen“, unterbrach der Mann ihn. „Lass dir etwas sagen: Ich bin 51. Ich war 14 als die Filipi kamen und habe damals sogar in Tokay-He-Ronokabo gelebt. Aber die Stadt hat sich verändert. Du würdest es wahrscheinlich nicht einmal bemerken, da du es nicht anders kennst. Aber für die, die Stadt und die Inseln noch von Früher kennen, ist es ganz offensichtlich. Nein! Die Stadt in die ich euch schicke ist nicht mehr Tokay-He-Ronokabo. Da so sie einst stand, gibt es jetzt nur noch Wu-Sai...“
Als er geendet hatte, starrte er für einen Moment abwesend die gegenüberliegende Wand an, als könne er dort ein Abbild von früher sehen. Dann sah er wieder in die Runde und fragte barsch: „Also was ist nun? Ich frage euch zu letzten Mal: Übernehmt ihr den Transport oder nicht?“
Hiro blickte zwischen seinen Kameraden und dem einäugigen Fremden hin und her. Dann seufzte er und versprach: „Wir werden uns so bald wie möglich auf den Weg machen. Der Karren steht hinten im Hof sagtet Ihr? Nun, kommt dann gehen wir ihn uns einmal anschauen.“ Doch als sie alle aufstanden hielt der Mann sie zurück: „Und was wollt ihr darstellen, wenn ihr mit sechs Leuten in Wu-Sai auftaucht? He?!? So eine Gruppe für einen Karren Heu erregt überall Aufmerksamkeit. Es werden nur zwei von euch gehen. Wie wäre es mit euch beiden?“, fragte er und deutete auf Gaito und Mihiko. „Ihr seid doch sicher Brüder. Ihr könntet gehen.“
Mihiko öffnete den Mund um etwas zu entgegnen, doch Hiro kam ihm zuvor: „Nein! Ich werden. Schließlich bin ich auch der Anführer. Ich werde Masha mitnehmen.“ Dieser nickte eifrig und stellte sich an Hiros Seite. Natürlich hätte Hiro auch liebend gerne Riri mitgenommen. Allerdings fürchtete er, dass es Schwierigkeiten geben könnte und er wollte sie nicht in Gefahr bringen. Der Fremde schüttelte noch einmal den Kopf, dann brummte er: „Von mir aus. Jetzt kommt mit mir!“
Sie folgten dem Mann in den Hinterhof der Taverne. Dort stand ein Karren mit Heu, vor den ein Kaûgaû gespannt war. Die Kaûgaûs ähnelten Vögeln. Nur mit dem signifikantem Unterschied, dass sie an Stelle von Flügeln, ein zweites paar Beine besaßen. Sie waren etwa so groß wie ein Pony, hatten ein braunes bis rötliches Gefieder und einen breiten Schnabel, der mit dünnen Zähnchen bestückt war. Sie waren die beliebtesten Reittiere der Koschomai, da sie mit ihren Krallen trittsicherer waren als Pferde. Allerdings waren sie nicht unbedingt geeignet um auf ihnen in die Schlacht zu reiten, da die Biester verdammt stur sein konnten.
Das rostbraune Exemplar, das vor den Heukarren gespannt war, drehte seinen Kopf zur Seite um Hiro und Masha mit einem gelben Auge zu inspizieren, als sie auf den Kutschbock stiegen. Hiro nahm die Zügel in die Hand. „Und vergesst nicht: Es braucht euch nicht zu interessieren, was ihr da transportiert“, rief der Mann ihnen nach, als sie vom Hof rollten.
„Du hast den Hummer in dem Lokal vergessen“, merkte Masha an, als die Ryuchu verlassen hatten. „Ich weiß“, brummte Hiro. Nach den Worten den Mannes „ Auch noch Gewinn aus der Sache schlagen“ war ihm die Lust, das Tier zu verkaufen gehörig vergangen. Außerdem wäre tatsächlich seltsam erschienen, wenn ein Bauer - als der er sich ja nun ausgeben würde - einen Königshummer dabei hätte.
Sie holperten quälend langsam, wie Hiro fand, die Straße nach Tokay-He-Ronokabo entlang, sodass sie bei Sonnenuntergang noch weit von der Stadt entfernt waren. Eine halbe Stunde später zog Hiro die Zügel an und brachte das Kaûgaû zum Stehen. Sie pflockten das Tier an und setzten sich auf den Heuwagen. Unruhige Gedanken trieben sich in Hiros Kopf umher; schließlich brachen sie hervor und er sagte: „Jetzt will ich aber endlich wissen, was wir hier transportieren!“ „Ja, ich auch“, stimmte Masha mit gerunzelter Stirn zu. „Zu Ith mit diesem alten Kauz und seiner Geheimniskrämerei!“
Die beiden durchwühlten das Heu, bis sie auf dem Boden des Wagens ein Säckchen fanden. „Oh, oh!“, machte Masha, als er es öffnete und Hiro stieß einen Pfiff aus. Zum Vorschein kam Lilienkraut. Doch nicht irgendwelches, nein, schwarzes! Schwarzes Lilien war selten und teuer und vor allem verboten. Während das normale grüne und das sanfte weiße zumindest durch Filipihändler gehandelt werden durften, war schwarzes Lilienkraut vollkommen verboten. Der Grund dafür lag auf der Hand: Weißes Lilienkraut war sehr mild und wurde vor allem von Priestern für medizinische Zwecke genutzt oder um es bei hohen Feiertagen in Tempeln zu verbrennen. Grünes Lilienkraut wurde hauptsächlich als Rauschmittel oder als Hausmedizin gebraucht. Schwarzes Lilienkraut jedoch erzeugte einen weit stärkeren Rausch als grünes, sogar noch stärker, als das der Cannabispflanze, die die Thebiter anbauten. Jedoch machte es die Menschen auch krank und schon so mancher hatte im Rausch sich oder anderen schwere Verletzungen zugefügt. Deshalb war es schon früher zusammen mit Alkohol verboten gewesen. Die Filipi hatten Alkohol legalisiert, das Verbot von schwarzem Lilienkraut jedoch aufrecht erhalten.
„Was ist das?“, fragte Hiro, als er einen Zettel bemerkte, der zwischen dem Kraut steckte. Er zog ihn hervor und begann zu lesen.
Ihr dummen Bastarde!, lautete seine erste Zeile. Ich hatte euch doch gesagt, es braucht euch nicht zu interessieren, was in dem Heu verborgen ist. Wenn ihr jetzt aber daran denkt umzukehren und meinen Auftrag nicht zu erfüllen, dann denkt lieber noch mal. Ich habe eure Freunde in meiner Gewalt und wenn ihr nicht wollt, dass ihnen etwas zustößt, dann erledigt was ich euch aufgetragen habe. Der Händler wird euch ein Siegel geben. Bringt es mir zusammen mit dem Geld und euren Freunden wird nicht passieren.
Hiro war fertig mit lesen und gab den Zettel an Masha weiter. Ihm war speiübel. Sie waren auf einen Drogenhehler hereingefallen. Bei den Ahnen, wie dumm musste man eigentlich sein? Auch Masha wurde mit jeder Zeile die er las blasser. „Was machen wir jetzt?“, fragte er entsetzt. Hiro dachte im ersten Moment daran umzukehren, den Mann zu überwältigen und seine Freunde zu befreien. Doch was wenn er ihnen etwas antäte? Oder wenn er einem Kartell angehörte und die anderen Drogenhehler ihn rächen würden?
Hiro atmete ein paar Mal tief ein und aus, dann antwortete er mit ernster Stimme: „Uns bleibt wohl keine Wahl: Wir machen, was der Kerl verlangt.“




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Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 14. Juni 2013 20:46

Die Eodos-Saga, Kapitel V

Drenyr saß zusammen mit seinem Brüdern und drei Männern aus der Stadt in der Küche und schwieg die Tischplatte an. Heute hatten sie seinen Vater zu Grabe getragen. Eigentlich, das wusste Drenyr, sollte er dankbar sein, dass ihn nicht das selbe Schicksal ereilt hatte, doch im Moment fühlte er sich einfach nur elend. Auch wagte er es nicht, aufzusehen und die mitleidvollen Gesichter der Männer aus der Stadt, das besorgte Kerllachs und vor allem nicht das vorwurfsvolle Gesicht Hestryrs anzusehen. Auch wenn er es nicht offen gesagt hatte, so spürte Drenyr doch, dass sein älterer Bruder ihm die Schuld an dem Tod ihres Vaters gab. Das Schlimmste daran war, dass Drenyr das Gefühl hatte, dass sein Bruder ihn zu Recht als schuldig erachtete. Wäre er nicht verbotenerweise zur Jagd aufgebrochen, dann hätten die seltsamen Banditen nie ihr Bauernhaus gefunden.
Jüren räusperte sich und sagte: „Ich werde wohl nun besser gehen. Lebt wohl!“ Auch die anderen Männer erhoben sich und folgten dem breitschultrigen Fischhändler aus der Türe. Was für eine Ironie des Schicksals, dachte Drenyr, der noch immer das Holz des Tisches fixierte. Hätte sein Vater für den Räucherfisch bezahlt, den er bei Jüren gekauft hatte, wäre Drenyr jetzt ebenfalls tot und vermutlich auch der Rest seiner Familie. Doch Mallach hatte Jüren angeboten die Schulden bei ihm abzuarbeiten, anstatt den Fisch direkt zu bezahlen. Und so waren die Männer an jenem schicksalhaften Nachmittag vor drei Tagen vorbeigekommen um seinen Vater abzuholen. Es waren Jüren der Fischhändler, Offe der Schmied und Nis der Dratzieher gewesen. Drenyr dankte den sieben guten Göttern, dass Offe die Angewohnheit hatte nie ohne seinen Schmiedehammer Harlar zu verlassen. Jüren und Nis waren zwar nicht mit mehr bewaffnet gewese,n als einem Topf und einem geräuchertem Aal, aber offenbar hatten die Banditen bei ihrem Anblick Panik bekommen.
Als die drei gegangen war, trat ein langes Schweigen ein, das erst nach etlichen Minuten von Hestryr unterbrochen wurde: „Und was willst du jetzt tun, Drenyr?“ Der Angesprochene sah endlich vom Tisch auf und antwortete ehrlich: „Ich weiß es nicht. Ich meine: Wie soll es jetzt weitergehen?“ „Vater ist tot, Mutter ist verwitwet und meine eigene Frau ist schwanger. Wohl oder übel: Ich werde den Hof übernehmen müssen.“ Drenyr nickte nur stumm auf diese Aussage seines Bruders hin. Nichts anderes war zu erwarten gewesen oder hätte Sinn gemacht. So schrecklich die Ereignisse der letzten Tage auch waren, das Leben musste weitergehen. Ohne ein weiteres Wort stand Hestryr auf und verließ den Raum, dabei nahm er Kerllach mit sich und ließ Drenyr allein mit seinen Gefühlen.
Kaum hatte sein großer Bruder den Raum der verlassen, da atmete Drenyr zitternd aus und seine Augen füllten sich mit Tränen. Ihm war plötzlich als bekäme er keine Luft mehr. Heftig atmend stürmte er nach draußen und Tränen rannen über seine Wangen. Vater war tot! Und er war mit schuld daran. Drenyr fühlte sich als würde ein schwarzes Leichentuch auf ihm liegen; ihn zu Boden drücken und alle seine Gedanken und Bewegungen lähmen. Ziellos wanderte er ums Haus und ohne, dass es ihm wirklich bewusst war, führten ihn seine Schritte zu dem Friedhof außerhalb der Mauern Harlars. Plötzlich stand er wieder vor dem Grab seines Vaters.
Kerllach hatte geweint, als sie Mallach zu Grabe getragen hatten und auch Drenyr hatte schwer mit sich zu kämpfen gehabt. Hestryr, der zusammen mit ihm die Leichenbare getragen hatte, hatte einfach nur stur geradeaus geblickt, mit einer Miene die wirkte als sei sie aus Stein gemeißelt.
Drenyr blickte nur schweigend auf die Schiefertafel, in die der Name seines Vaters geritzt war. Ihm kam alles zu sinnlos vor auf einmal und er fühlte sich schuldig. Er betete zu Aïheren, er möge ihm sagen was zu tun sei, doch keine Stimme erklang aus dem Himmel oder in seinem Inneren, die ihm den Weg wies. Er stand nur dar und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Was war es, das er wollte? Am liebsten wollte er, dass alles wieder so sei wie früher. Doch selbst den Göttern ist es verwehrt Geschehenes ungeschehen zu machen. Und da war auch noch seine Schwester Fawelle, die von den Räubern entführt worden war. Wenn er doch wenigstens seine Schuld tilgen könnte. Er lauschte tiefer in sich hinein und dort fand er unter all der Trauer, die ihn zu ertränken drohte, noch etwas anderes. Etwas heißes, glühendes von schöpferischer und zerstörerischer Kraft: Zorn. Zorn auf die Männer, die seinen Vater ermordet und seine Schwester entführt hatten.
Die Sonne glühte im Westen rot auf, als sie den Horizont berührte. Und mit einem Mal mal war es würde jemand Ordnung in das Gewühl von Drenyrs Gedanken und Gefühlen bringen und sie verdichteten sich zu seinem Plan. Die Zeit konnte er nicht zurückdrehen. Aber er konnte sich Rache nehmen. Und Rache wollte er sich nehmen. Ein Plan reifte in Drenyrs Gedanken, wie er gleichzeitig seinen Vater rächen, seine Schwester retten und seine Schuld tilgen konnte. Ein grimmig entschlossener Ausdruck trat in seine Züge, als er den Feuerball betrachtete, der hinter den Hügeln versank.
„Du wirst in Frieden ruhen“, versprach er seinem Vater, dann ging er zum Haus zurück.
Drinnen saß jetzt Hestryr am Küchentisch und unterhielt mit seiner Frau Girda. Sie wirkte blass und abgezehrt, obwohl das Kind, das sie unterm Herzen trug, ihren Bauch schon merklich wölbte. Der Angriff vor ein paar Tagen hatte sie sichtlich mitgenommen. Die beiden wandten sich um, als Drenyr eintrat. „Gut, dass du da bist“, sprach sein Bruder ihn sehr ernst an. „Ich muss etwas mit dir bereden“ „Ich auch mit euch – vor allem mit dir. Aber fang du ruhig an.“ Hestryr nickte und atmete tief durch. „Es geht um dich und um unsere Schwester. Ich habe mit den Männern aus Harlar gesprochen und wir sind uns einig, dass die Banditen sich bald melden und Lösegeld für Fawelle fordern werden. Jedenfalls hoffen wir, dass sie das tun werden, denn wenn nicht...“
Er brauchte den Satz nicht zu beenden. Auch Drenyr konnte sich lebhaft ausmalen was mit seiner vierzehnjährigen Schwester passieren würde, sollten die Räuber nicht auf das Lösegeld aus sein.
„Jedenfalls“, fuhr Hestryr fort. „sollten sie das tun, dann werden wir ohnehin die Summe, die sie fordern werden, kaum aufbringen können. Wir werden wohl nicht drumrum kommen, uns Geld zu leihen... so oder so. Aber je weniger wir jetzt ausgeben, desto besser. Ich meine: es gibt im Moment hier auf dem Hof kaum Arbeit, solange wir auf den Frühling warten. Aber wenn jemand von außerhalb vielleicht sogar ein wenig zu unserer Haushaltskasse beisteuern könnte... Es ist ja nichts Ungewöhnliches, mit 17 von zu Hause auszuziehen und nach Arbeit zu suchen.“
Drenyr wusste, worauf diese Rede hinaus lief. Er hatte sie erwartet und sich entsprechend darauf vorbereitet. Er hob die Hand, um seinen Bruder zu unterbrechen und sprach dann langsam und deutlich: „Ich weiß, was du mir sagen willst: Wir haben nicht genug Vorräte, um uns alle über den Winter zu bringen. Und wenn jemand gehen und nach Arbeit suchen muss, dann am besten ich. Du musst dich um den Hof kümmern und Kerllach ist der jüngste von uns drei.“
Hestryr schien erleichtert, dass Drenyr die Lage offenbar genauso beurteilt wie er selbst. „Aber ich kann nicht machen, was du von mir verlangst, Hestryr.“ „Aber warum denn ni-“ „Lass mich bitte ausreden! Ich werde gehen, keine Frage, aber nicht, um mir eine Arbeit zu suchen, die ich vielleicht den Rest meiner Tage ausüben werde. Denn vorher muss ich noch etwas erledigen.“ „Und das wäre“, fragte Hestryr argwöhnisch. „Vater rächen!“ Hestryr lachte unwillkürlich bitter auf. „Du? Und wie willst du das anstellen. Drenyr... du bist kein Krieger, du hast kein Geld, um Söldner anzuwerben. Willst du alleine diesen Räubern nachjagen?“ „Und willst du Vater rächen und Fawelle befreien?“ Hestryr sah seinen Bruder durchdringend an. „Natürlich will ich das. Ich will, dass diese Verbrecher leiden und ich will, dass unserer Schwester nichts passiert, aber wie bei den sieben guten Göttern, stellst du dir das Ganze vor?“ „Ich weiß es nicht“, antwortete Drenyr wahrheitsgemäß. „Aber ich weiß, dass ich es tuen muss und dass ich es tuen werde.“ „Das ist Wahnsinn“, murmelte Hestryr und schüttelte den Kopf, aber Drenyr spürte, dass er gewonnen hatte. Und tatsächlich sagte Hestryr nach einem kurzen Schweigen: „Nun ja... ich bin dein Bruder, nicht dein Vater. Ich kann dir nichts verbieten. Sobald du aus dieser Tür heraustrittst schon dreimal nicht mehr... Meinst du denn wirklich du kannst es schaffen?“ „Ich muss“, wiederholte Drenyr.
Er sah wie die Augen seines Bruders feucht wurden. „Wie... wie willst du anfangen? Die Wälder durchforsten, bis du die Banditen findest?“ „Nein“, entschied Drenyr. „Du hast recht. Ich bin weder ein Krieger noch reich genug, um Söldner anzuwerben. Also muss ich zunächst eines von beidem werden. In Harlar werde ich wohl wenig Erfolg haben, deshalb werde ich nach Aldhavn gehen und mein Glück dort versuchen.“ Hestyr nickte, als wolle er sagen: Verstehe. Dann fragte er unvermittelt: „Wann wirst du gehen?“ „Noch heute Abend. Es gibt keinen Grund, noch länger zu warten.“ „Ich hole Kerllach“, sagte Hestryr und verschwand im hinteren Teil des Hauses. Drenyr stand auf und auch Girda erhob sich. „Ich... bin noch nicht lange Mitglied deiner Familie, Drenyr. Aber ich habe Mallach wie meinen eigenen Vater geliebt und du bist für mich wie mein eigener Bruder. Ich hoffe du hast Erfolg und, dass dir nichts Schlimmes passiert“, brachte sie mit belegter Stimme hervor. „Wenn du nach Aldhavn kommst, frage nach meinem Onkel Momme und sag ihm, ich schicke dich. Er arbeitet im Hafen und wird dir sicher helfen können“, erklärte sie ihm. Drenyr dankte ihr und Hestryr und Kerllach kamen herein. „Hestryr hat mir alles erzählt“, sagte Drenyrs jüngster Bruder nur. „Willst du jetzt sofort gehen?“ Drenyr nickte. „Ich packe deine Sachen“, bot sich Girda an und stand auf. Dann fiel Drenyr auf wer fehlte: „Wo ist Mutter?“, wollte er wissen. „Sie schläft“, war Hestryrs Antwort. „Seit Vaters tot ist, heult sie sich ohnehin schon die Augen aus. Glaub mir, es ist besser für alle, wenn sie diesen Abschied jetzt nicht mitbekommen muss.“ Drenyr wusste, dass sein Bruder Recht hatte. Dennoch hätte er sich gerne von seiner Mutter verabschiedet, ehe er ging.
Hestryr trat vor und legte Drenyr eine Hand auf die Schulter. „Es macht mich traurig, dass du gehst. Aber es macht mich auch stolz. Drenyr, ich war noch nie so stolz auf dich“, verkündete er mit bebender Stimme. Dann nahm er ihn den den Arm und klopfte ihm auf den Rücken. „Pass auf dich auf!“, flüsterte er, dann löste er die Umarmung. Ein wenig peinlich berührt räusperte er sich und sagte laut: „Wenn du auf dem Rückweg hier vorbei kommst, dann komm uns gefälligst besuchen, sonst gibt es Ärger, verstanden?“ „Verstanden“, antwortete Drenyr mit einem traurigen Lächeln. Dann umarmte er Kerllach, der ihn fast eine Minute lang nicht loslassen wollte. Etwas unwohl standen die drei Brüder in der Küche, bis Girda Drenyr einen Sack mit einem Hemd, einer Hose und ein wenig Wegzehrung reichte. Sie umarmte ihn kurz, dann trat Drenyr zur Tür. „Keine Angst ich werde auf mich aufpassen. Und wenn ich wieder komme, habe ich Fawelle bei mir und Vaters Mörder sind tot.“ Er sah noch einmal in ihre Gesichter in denen sich Trauer, Sorge und Hoffnung mischten, dann trat er mit den Worten: „Ich bin wieder da, ehe das Laub von den Bäumen fällt.“ aus der Türe hinein in die Welt von Eodos.




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Re: Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 2. Juli 2013 21:25

Die Eodos-Saga, Kapitel VI

Zunächst jedoch führte sein Weg Drenyr doch nach Harlar hinein. Er war nämlich keineswegs wirklich so zuversichtlich, wie er sich seinen Brüdern gegenüber gegeben hatte. Er hatte kaum Proviant und keine Waffen außer seinem Bogen, den er aus dem Schuppen geholt hatte.
So ging er durch das Holztor der Stadt und nahm den Weg zur Kirche hinauf. Es war bereits Nacht und das Gebäude war vollkommen leer, als er eintrat – zumindest fast. Ein einzelner Mann kniete vor dem Altar und betete. Drenyr zog seine Schuhe aus und durchschritt das flache Wasserbecken am Eingang. Nachdem er die Schuhe wieder angezogen hatte, trat er an die Seite des Mannes, der auf dem harten Steinboden kniete. Es war der Priester Tharon, wie Drenyr nun erkannte. Er war es, der seinen Vater diesen Morgen die letzte Ehre erwiesen hatte. Tharon beendete sein Gebet und stand auf, als er merkte, dass jemand neben ihn getreten war. „Ah Drenyr. Es freut mich, dass du gerade in dieser schweren Stunde den Weg in die Kirche gefunden hast. Nimm dir doch eine Kerze und zünde sie an, wenn du willst. Auch wenn Aïheren deinem Vater sicherlich auch ohne sie den Weg weisen wird.“ „Ich bin nicht hier um Totengeleit für meinen Vater zu erbeten...“ „Sondern?“, wunderte der Priester sich. Drenyr musste überlegen. Was wollte er eigentlich? Zuspruch? Einen Rat? "Ich suche wohl eher Gerezons Segen.“ „Du suchst die Geduld, um mit der schwierigen Situation fertig zu werden?“, fragte Tharon verständnisvoll. „Ich suche Tapferkeit und Ausdauer!“ „Für welches Unternehmen?“, wollte der Priester mit plötzlichem Argwohn wissen und zuppelte an dem Heptagon, das an einer Kette um seinen Hals hing.. „Ich will Gerechtigkeit!“, war Drenyrs Antwort. Der Priester zog die Stirn kraus. „Gerechtigkeit ist Elopara Sphäre. Aber das, was für sie Gerechtigkeit ist, müssen die Menschen nicht zwangsläufig auch für Gerechtigkeit halten“, gab Tharon zu bedenken. „Willst du mir nicht sagen, was für ein Unternehmen zu planst?“ „Ich will Rache nehmen, an den Männern, die meinen Vater ermordet haben.“ Der Priester seufzte, als hätte er es geahnt. „Telocath lehrt uns, dass Rache nie etwas Gutes bringt.“ „Und Baljo lehrt uns, dass wir nur indem wir Rache nehmen verhindern können, dass weitere böse Taten verübt werden.“ „Junge!“, brauste der Priester plötzlich auf. „Ich verstehe, dass du wütend bist, aber so einen Frevel dulde ich nicht in meiner Kirche. Hast du denn nichts von Enuins Lehren behalten? Wie die sechs bösen Götter uns verführen wollen?“ „Ich kenne Enuins Lehren“, fauchte Drenyr. „Ich bin nicht gekommen, um mit euch zu sprechen, Vater.“ Dieser Titel, mit dem er den Mann dutzende Male angesprochen hatte, tat auf einmal weh, als er ihm über die Lippen kam. „Ich suchte Gerezons Segen.“ „Mir scheint, es ist eher Baljos Segen, du suchst. Den wirst du hier nicht finden. Nicht in meiner Kirche und nicht im Königreich Farstrid.“ „Wenn die Welt so heilig wäre wie Eure Worte...“, spuckte Drenyr aus.
Tharon seufzte erneut und wirkte mit einem Mal sehr müde. „Drenyr... ich weiß, die Welt ist nicht immer so,wie wir sie uns wünschten – eigentlich ist sie es nie. Aber ich bin Priester geworden, weil ich glaube, dass es hinter all dem einen Plan gibt und dass Enuins Lehren die Menschen bessern können. Ich kann dir meinen Rat geben, aber dich nicht zwingen ihn anzunehmen. Dennoch würde ich mich freuen, wenn du ihn hören möchtest.“ „Sprecht... Vater.“ „Lass ab, von deinem Racheplan! Bete zu Telocath, er kann alle Wunden heilen. Auch die des Geistes.“
Drenyr drehte sich auf dem Absatz um. „Ich danke Euch. Aber ich fälle meinen eigenen Entscheidungen“, sagte er, ohne den Priester anzusehen. Dann ging er forschen Schritts aus der Kirche, das Wasserbecken vor dem Eingang übersprang er einfach.
Dann führte ihn sein Weg zu Offe dem Schmied. Schon von weitem hörte er das Schlagen des Hammers auf dem Amboss. Offe stand vor seinem Haus und schlug auf etwas ein, das wie eine Greifzange aussah. Der Schmied arbeitete oft Nachts. Angeblich weil er so die Temperatur des Metalls besser an dessen Farbe erkennen konnte. Neben ihm stand sein Sohn Ullach, der ein Jahr jünger war als Drenyr, und betätigte einen Blasebalg um die Kohlen im Ofen zu befeuern. Offe sah auf und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, als er Drenyr kommen sah. „Drenyr? Was kann ich für dich tun?“, fragte er mit einem Stirnrunzeln. „Offe, ich brauche deine Hilfe“, antwortete Drenyr ohne Umschweife. Der Schmied brummte kurz. Seine Familie und die Drenyrs waren sich nie außergewöhnlich nah gewesen. Zwar hatten sie ihm hin und wieder Sensen oder auch mal eine Pflugschar zur Reparatur gebracht, aber ansonsten hatten sie nicht allzu viel mit dem Schmied zu tun gehabt. Doch Offe schien auch an Drenyrs Situation zu denken, denn nach kurzem Zögern antwortete er: „Wenn es in meiner Macht steht.“ „Ich brauche ein Schwert.“ „Ein Schwert“, entsetzte sich der Schmied. „Weißt du, was ein Schwert kostet? Ich habe mein Lebtag noch keines geschmiedet. Allein die Materialkosten...“ „Dann irgendeine andere Waffe!“ „Wozu?“, mischte sich jetzt Ullach ein. „Ich werde Rache üben, an den Männern, die meinen Vater umgebracht haben.“ „Du? Du? Drenyr der Bauer? Du willst diese Männer erschlagen? Und dafür willst du ein Schwert von mir haben?“ „Von mir aus auch eine Axt“, war Drenyrs Antwort. „Und wenn ich dir eine geben würde. Was stellst du dir vor, wie dein kleiner Rachfeldzug laufen wird? He? Die werden dich lynchen und deine Leiche in einen Baum hängen. Schlag dir diesen Unsinn aus dem Kopf!“
Erst Hestryr, dann Tharon und jetzt auch noch Offe, dachte Drenyr säuerlich. „Willst du mir nun helfen oder nicht?“ Der Schmied lachte laut auf. „Eine Hilfe für dich wäre es dich an einen Baum zu binden, bis dir diesen Scheiß anders überlegt hast.“ „Offe!“, sagte Drenyr drohend. Der Schmied schüttelte den Kopf. "Wenn du dich in dein Unglück stürzen willst, ist das deine Sache. Aber ich werde dir nicht dabei helfen, dich umzubringen." Drenyr sah ihn nur böse an. „Du das nicht, Drenyr. Das wird nicht gut ausgehen“, warnte Offe noch einmal, doch Drenyr ignorierte ihn. Er musste es tun. „Ich verlange nicht, dass ihr das versteht. Ich habe keine Wahl, was die Sache angeht. Trotzdem danke, für deinen Rat, Offe.“; sagte Drenyr etwas steif und wandte sich enttäuscht zum Gehen.“ Offe sagte nichts. „Mögen die guten Götter mit dir sein!“, rief Ullach ihm nach, doch Drenyr sah sich nicht noch einmal um.
Er ging noch lange durch die dunkle Nacht, obwohl es beißend kalt war. Doch er hatte Angst. Angst, dass er umkehren würde, wenn er nicht weit genug von der Stadt entfernt wäre. Er war verunsichert. „Sie haben recht“, teilte er schließlich der schwarzen Nacht mit. „Aber das ist mir egal!“ Und dann ging er weiter. Als er sein Lager ausbreitete und sich darauf niederließ, schimmerte der Osten bereits rot.
Ein paar harte Stöße in seine Rippen weckten ihn. Als er die Augen aufschlug, sah er das faltige Gesicht eines alten Mannes, der ihn mit seinem Gehstock anstieß. „Verflucht, der Kerl lebt ja noch!“, krächzte der Greis und wich zurück, als Drenyr sich aufsetzte. Dann grinste er ihn schmierig an. „Nichts für ungut“, sagte er. „Aber für ein paar schöne Lumpen, wie die, die du da trägst, könnt ich ne Weile gut auskommen.“ „Hau ab, Krähe!“, fauchte Drenyr ihn an und stand auf. Der Alte verzog das Gesicht, spuckte aus und trollte sich dann fort.
Drenyr zuckte zusammen, als die Muskeln in seinem Rücken sich spannten – der Boden war verdammt hart gewesen. Außerdem war ihm eiskalt, obwohl die Sonne bereits hoch im Himmel stand. In der Hoffnung, dass ihm beim Gehen etwas wärmer werden würde, klaubte er seine Sachen zusammen und setzte seinen Weg nach Aldhavn fort.
Die Landschaft um ihn fiel flach nach Westen hin ab. Pappeln und Birken säumten den Weg, wenn dort nicht gerade Weiden angelegt waren oder Felder darauf warteten, bestellt zu werden. Auf einer hügeligen Heide machte er Rast und aß etwas von dem wenigen Proviant, den er bei sich trug. Als die Sonne versank erreichte er ein kleines Dorf, das aus etwa einem Dutzend Häusern bestand, die sich entlang der Straße aufreihten. Wenn alles gut lief, würde er morgen schon Aldhavn erreichen, überlegte Drenyr, als er sich auf ein paar Strohballen fallen ließ, die hinter einer Scheune lagen.
Wieder war es ein alter Mann, der ihn am nächsten Morgen weckte, doch diesmal nicht mit einem Stock, sondern mit wütenden Rufen. „Runter von meinem Stroh, du Landstreicher!“, brüllte er. Und Drenyr sprang mit einen Mal hellwach von den Ballen, packte seine wenigen Habseligkeiten und lief zur Straße zurück. Das wütende Geschrei des Bauern, dem das Stroh gehörte, verfolgte ihn noch eine ganze Weile, während er die Straße weiter nach Westen herabging, doch es hatte sich gelohnt diesmal im Stroh statt auf dem Boden zu schlafen. Sein Rücken fühlte sich nämlich bedeutend besser an, als am Vortag.
Am späten Nachmittag jedoch, aß er sein letztes Bisschen Wegzehrung und Aldhavn war noch immer nicht in Sicht. Allerdings begegneten ihm immer mehr Reisende auf den Straßen, woraus er schloss, dass die Stadt nicht mehr weit entfernt sein konnte. Ein Kutscher, der auf seinem Fuhrwerk Bretter transportierte, bestätigte Drenyrs Vermutung, als er ihn nach der Stadt fragte. Tatsächlich sah er wenig später Möwen über sich kreisen und am Abend hörte er dann auch von Ferne das Meer rauschen. Und schließlich, als er aus einem kleinen Buchenwäldchen heraustrat, sah er Aldhavn. Mit rund 24.000 Einwohnern war sie nicht nur die größte Stadt des Königreichs Farstrid, sondern auch die mit Abstand größte, die Drenyr je gesehen hatte. Sie war halbkreisförmig um die Bernsteinbucht angeordnet. Dort standen auch Kais und Piers aufgereiht und im Nordwesten auf einem kleinen, aber steilen Hügel lag die Nixenburg – der Hauptsitz des Königs. Der größte Teil der Häuser drängte sich hinter der etwa 15 Fuß hohen Steinmauer, die mit einer hölzernen Brustwehr gekrönt war. Die Armenviertel jedoch breiteten sich vor dem Wall aus, mit kreuz und quer verlaufenden Gassen und Sträßchen, in denen ein weithin sichtbares Gewimmel herrschte. Unterbrochen wurde die wirre Anordnung der kleinen Hütten vor der Stadt nur von einigen Feldern, die dort angelegt waren, und der breiten Hauptstraße, die zum Osttor von Aldhavn führte. Auf dieser Straße, die, wie ein Fluss in den viele kleine Bäche münden, immer breiter wurde, je mehr Nebenstraßen sich ihr anschlossen, befand Drenyr sich und betrachtete die Stadt eine Weile lang schweigend, dann schickte er sich an, auch das letzte Stück Weges zurückzulegen.
Der stete Strom von Reisenden war schon so gut wie erloschen und Drenyr bezweifelte, dass er es schaffen würde ins Innere der Stadtmauern zu gelangen, ehe die Tore geschlossen wurden. Also musste er wohl oder übel hier in der Vorstadt eine Bleibe für die Nacht suchen. „Eher übel als wohl“, murmelte Drenyr leise, als er in die Nebengässchen sah. Hier an der Hauptstraße standen noch die besseren Häusern und selbst die machten keinen allzu einladenden Eindruck. Er hoffte nur, dass es hinter der Stadtmauer besser aussähe.
Eher planlos steuerte Drenyr eines der vielen Gasthäuser an, die den Weg säumten. Es trug den Namen „Bärentatze“, was durch eine eben solche verdeutlicht wurde, die an einem Band über dem Eingang hing.
Drinnen war es laut, voll und es stank fürchterlich nach Schweiß und schalem Bier. Aber immerhin vertrieben die vielen Menschen hier die Kälte. Etwas unsicher setzte sich Drenyr wortlos auf einen der wenigen freien Stühle, die er fand. Die drei Kerle, die mit ihm am Tisch saßen, sahen auf und blickten ihn misstrauisch an. „Dich hab ich hier noch nie gesehen“, meinte ein hagerer Mann, mit einer Narbe über den Lippen. Seine violett verfärbten Zähne verrieten, dass er gerne Bitterwurz kaute. „Ich komme auch nicht von hier“, entgegnete Drenyr ohne den hageren Kerl anzusehen. „Händler haben wir hier öfters, gell?“, warf ein anderer, glatzköpfiger Mann ein. „Aber wie son Händler schauste mir nicht grade aus. Was treibst du hier?“ Drenyr holte Luft, entschied sich aber dann nichts zu sagen. Seine Geschichte ging niemanden etwas an – diese drei Schmierlappen schon gar nicht. „Verflucht ich hab dich was gefragt! Antworte gefälligst!“, polterte der Glatzkopf plötzlich und hieb mit der Hand auf den Tisch. Der andere Mann packte ihn am Kragen und drohte ihm mit der Faust. „Was sind denn das für Manieren, he? Da wo wir herkommen stellt man sich erstmal vor, wenn man sich an einen Tisch setzt. Und man beantwortet verdammtnochmal Fragen!“ Drenyr hob abwehrend die Hände. „Mein Name ist Drenyr Sohn von Mallach. Und was ich hier treibe geht euch nichts an!“ Die beiden warfen sich einen vielsagenden Blick zu, dann ließ der mit der Narbe ihn los. „Na geht doch! Warum nicht gleich so?!?“, meinte er und griff nach seinem Krug. „Und wo kommst du her?“, fragte der dritte Mann, freundlicher als seine beiden Freunde. „Aus Harlar, östlich von hier.“ „Kenne die Stadt“, entgegnete der Mann und strich sich durch den drahtigen Bar. Dann fügte er hinzu: „Und brauchst keine Angst vor Sloren hier zu haben.“ Dabei nickte er seinem vernarbten Freund zu. „Wenn er dir nochmal blöd kommt, hau ihm einfach aufs Maul.“ Darauf lachten die Drei. Drenyr wusste nicht recht, was er darauf erwidern sollte und blieb stumm. „Mit dir ist ja auch nicht viel los“, meinte der Bärtige kurz darauf mit einem Kopfschütteln an Drenyr gewandt. „Ich brauche nur einen Platz, um die Nacht zu verbringen; mehr nicht“, war dessen Antwort. Sloren lachte: „Dann bist du hier richtig. Die Bärentatze bietet Zimmer für jeden Geldbeutel“ „Eigentlich... habe ich gar kein Geld und darum -“ „Du hast kein Geld?“, unterbrach der Glatzkopf ihn. „Dann solltest du lieber gehen, Junge! Der Wirt hier drin geht ganz rabiat mit Zechprellern um, das kannst du mir glauben.“ „Ich dachte ich suche mir eine Arbeit um meine Schulden-“ „Arbeit? Ja was meinst du wohl, warum wir alle hier sind, in diesem stinkenden Loch? Hier gibt’s keine Arbeit mehr. Die haben alle die Bauern weggenommen, die vor der schlechten Ernte geflohen sind. Ab Frühling, wenn diese Ackergäule wieder auf ihren Höfen sind, dann findest du hier vielleicht was. Aber jetzt? Vergiss es. Und jetzt verpiss dich! Wenn du Geld willst, geh betteln! Oder geh zur Kirche. Wenn du genug Predigten über dich ergehen lässt, dann kriegste vielleicht sogar nen Kanten Brot.“ Der Mann hatte seinen Krug geleert und schlug ihn nun scheppernd auf den Tisch. „Mehr Bier!“, brüllte er durch den Schankraum. Drenyr hatte das Gefühl er sollte nun wirklich besser gehen. Stumm erhob er sich und begab sich zur Tür. Sein Aufenthalt in Aldhavn fing ja vielversprechend an...




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Re: Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 1. August 2013 17:51

Die Eodos-Saga, Kapitel VII

Die äußere Mauer von Wu-Sai erhob sich vor Hiro und Masha, die auf dem Kutschbock ihres Heuwagens saßen und sich in eine lange Reihe Wartender vor dem Tor eingereiht hatten. So mussten sie zwar lange warten, allerdings hoffte Hiro, dass die Wachen sie aufgrund der hohen Anzahl an Menschen, die in die Stadt wollten, einfach durchwinken würden. Außerdem hatten sie so Zeit, die Stadt von außen zu bestaunen. Allein die schiere Größe reichte aus, um den beiden Fischern Ehrfurcht einzuflößen. Dabei war sie mit ihren etwa 28.000 Einwohnern sogar noch klein, wenn man sie mit anderen Städten im Filipireich wie Kiïto oder gar Sai-Filip verglich.
Allerdings war Tokay-He-Konokabe kräftig gewachsen, seit sie Wu-Sai war. Nämlich von etwa 19.000 Einwohnern, die hier vor der Besatzung gelebt hatten, auf die jetzigen 28.000. Die meisten der neuen Einwohner waren Filipi. Tatsächlich war dies, soweit Hiro wusste, die einzige Ansiedlung auf den Inseln mit einem signifikantem Anteil an Filipi in der Bevölkerung. Um die neuen Gebäude, aber auch um jene die zuvor außerhalb der alten Stadtmauer gelegen hatten, hatte man eine neue, höhere Mauer gebaut. Aus abgeschliffenem Basalt errichtet, erhob sie sich gut 20 Fuß hoch und umspannte die gesamte Stadt. Hiro war widerwillig beeindruckt von der Baukunst der Filipi.
Die Schlange der Wartenden bewegte sich vorwärts und Hiro trieb sein Kaûgaû bis unter das Tor, wo zwei Wachen mit gekreuzten Lanzen sie aufhielten. Sie trugen dunkelgrüne Lamellenpanzer und Helme, deren Form der traditionellen Kopfbedeckung der Filipi nachempfunden war. Diese bestand aus eine Art Matte aus Riesenschilf – einer bambusartigen Wasserpflanze – die man leicht einrollte und vorne und hinten zusammenband.
„Halt!“, befahl eine der Wachen in der Sprache der Filipi, die sich in Hiros Ohren einen lächerlichen Singsang-Klang hatte. Der Wachmann gab seinem Kameraden ein Zeichen woraufhin dieser um den Karren ging. Hiro rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her, ließ sich aber ansonsten seine Aufregung nicht anmerken. „Und ihr kommt von wo her?“, erkundigte sich der Wachmann, während sein Kollege sich den Karren besah. „Aus Takeshi“, nannte Hiro den Namen eines Städtchens im Inselinneren. „Und eure Namen?“ „Ich bin Mazu“, log Hiro. „Und das ist mein Bruder Reiko.“ „So, so“, machte der Wachsoldat und nickte seinem Kameraden zu, der daraufhin seine Lanze in das Heu stieß. Einen Moment lang blieb Hiros Herz stehen, dann: „Nichts!“ „In Ordnung, ihr dürft passieren.“
Sobald sie außer Hörweite waren, gab Hiro einen deutlich vernehmbaren Seufzer von sich und grinste Masha an, der unsicher zurücklächelte. „Ich hoffe, dass war schon der schwierigste Teil“, meinte er. „Was soll denn jetzt noch groß passieren?“, fragte Hiro selbstsicher und streckte die Arme aus. „Also, suchen wir diesen Edoso. Einer der Händler wird ihn sicher kennen. Was hat der Kerl gemeint? Wir sollen am Südlichen Markt nach ihm fragen?“ Masha nickte: „Das waren seine Worte.“
Hiro folgte dem Strom der Masse, in der Hoffnung, er würde ihn zum Markt führen und dem war auch tatsächlich so. Während ihr Karren langsam dahin holperte, bekam Hiro einen Eindruck davon, was der Mann gemeint hatte, als er gesagt hatte, diese Stadt sei nicht mehr Tokay-He-Konokabe. Vor allem hier außerhalb der alten Stadtmauer war die Mehrzahl der Gebäude im Filipi-Stil errichtet worden. Auf Pfählen ruhende, bräunliche Hütten aus Holz und Riesenschilf. Die Dachflächen waren an den Enden leicht eingerollt, ähnlich wie die Hüte der Filipi, und schimmerten in Blau- und Grüntönen. Die meisten Häuser hatten eine schmale Veranda an der Seite. Der Südliche Markt war ebenfalls ein Bauwerk der Filipi. Beherrscht wurde das etwa 100 mal 300 Meter große Areal von einem wuchtigen, mehrstöckigen Bau, dass den Markt an der Nordseite begrenzte. Hiro sah sich um, auf der Suche nach irgendetwas, dass ihm verraten könnte wo dieser Edoso steckte. Da er keinen weitern Anhaltspunkt hatte, sprach er kurzerhand den nächstbesten Händler an; einen dicklichen Mann, der gerade Apfelsinenkisten stapelte: „Verzeihung. Wir suchen einen bestimmten Händler. Sein Name ist Edoso. Kennt ihr ihn?“ Der Mann verzog das Gesicht. „Das kann wohl jeder hier von sich behaupten.“, meinte er. „Könnt ihr mir auch sagen, wo ich ihn finde?“ „Seh ich vielleicht so aus, als würde ich mich mit solchen Lumpengesindel abgeben?“, brauste der Händler auf und verschränkte die Arme.
„Öhm...“, machte Hiro – er wusste nicht was er darauf entgegnen sollte. „Kennt ihr vielleicht jemanden, der wissen könnte, wo man ihn findet?“, kam Masha ihm zu Hilfe. „Haut ab, ihr Hunde! Mit diesem Pack will ich nichts zu schaffen haben. Verschwindet!“
„Was war dass denn?“, wollte Hiro wissen, nachdem er ihren Karren ein paar Meter weitergefahren hatte. „Jedenfalls nicht sonderlich freundlich“, war Mashas Antwort. „Ich vermutete dieser Edoso ist so was wie ein stadtbekannter Drogenhändler.“
Wie um Mashas Vermutung zu unterstreichen, tauchte auf einmal ein blasser, hagerer Mann mit fettigen langen Haaren vor ihnen auf. Er trug abgerissene Kleidung und verströmte einen Duft der verdächtig an Urin erinnerte. „Ihr sucht Edoso?“, fragte er grinsend. „Kann ihn euch zeigen. Ja! Kenne seine Plätze. Weiß, wo er zu finden ist.“ „Dann zeig uns den Weg!“, verlangte Hiro brüsk. „Leider kann ich mich nicht mehr so gut erinnern, fürchte ich“, meinte der Mann und kratzte sich am fettigen Schopf. „Hättet ihr vielleicht etwas, um meinem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge zu helfen.“
„Ich werd dir schon helfen!“, knurrte Hiro und wollte nach dem Dolch greifen, den er unter seiner Kleidung verbarg, doch Masha hielt seine Hand zurück und schüttelte leicht den Kopf. Auch auf dem Marktplatz standen Wachen verteilt. Und die beiden erregten schon mehr als genug Aufmerksamkeit mit ihrem Heukarren, den sie offensichtlich planlos hin und her lenkten. Masha griff in die Tasche und warf dem schmierigen Kerl ein paar Münzen hin die dieser mit einer spöttischen Verbeugung auffing. „Ich glaube meine Erinnerung kehrt grade zurück... hier entlang!“
Er führte sie über den Marktplatz, an dem wuchtigen Bau im Norden vorbei. Hier standen besonders viele Wachen, was Hiro und Masha nervös machte. Ihr Führer ließ sich davon jedoch offenbar nicht stören. Im Gegenteil: Er schwatze munter als wären sie auf einem Feiertagsspaziergang. „Das ist das Kontor der östlichen Handelsgilde, wisst ihr? Hier hat der Gildenmeister seinen Sitz. Also der Kerl der eigentlich die Fäden in der Hand hält. Denn wen kümmert's schon, was der Gouverneur macht.“ Er lachte und führte sie weiter durch Gassen die beinahe zu schmal für ihren Karren waren. Vor einem windschiefem mehrstöckigen Gebäude hielt er an. Es war eine der Mietskasernen, in der die Unterschicht der Stadt lebte. Aus der Kellerwohnung stieg beißender Rauch. „Hey Edoso! Edoso mein alter Kumpan. Ich bin's“, rief der Kerl. Eine krächzende Stimme antwortete aus dem Keller. „Yakuze? Ich hab dir doch gesagt, du bekommst keinen Stoff mehr von mir, ehe du elender Süchtling nicht endlich deine Schulden bei mir bezahlt fast. Schlurfende Schritte waren zu hören und ein faltiges Gesicht mit trüber Brille erschien – eine Erfindung der Filipi. „Ich hab dir neue Kunden mitgebracht“, antwortete Yakuze immer noch unentwegt grinsend. „Na immerhin etwas“, murrte der Alte. „Aber denk bloß nicht, dass ich dir deshalb auch nur einen Draken erlasse.“ „Na komm schon!“, schmollte Yakuze enttäuscht. „Die Hälfte des Umsatzes, den sie bringen.“ „Nein!“, krächzte Edoso entschieden zurück. „Ein Viertel!“ „Nein!“ „Ein Zehntel... komm schon, dass ist nur fair.“ „Mach, dass du verschwindest, du schleimige Kanaille!“
Das penetrante Grinsen war endlich von Yakuzes Gesicht gewischt. Mit hängenden Schultern und saurer Miene trottete er davon. Dann wandte sich Edoso den beiden Neuankömmlingen zu. „Also was kann der alte Edoso für euch tun? Ich habe eine große Auswahl an Kräutern und Pilzen. Und unten bei mir köchelt ein ganz besonderes Süppchen. Das schießt euch direkt hoch auf einen Mond.“ „Nein, danke!“, erwiderte Hiro leicht angeekelt. „Wir sind nur hier, um eine Ladung abzuliefern.“ „Ja, natürlich. Wie dumm von mir. Deshalb auch der Karren, nicht war. Hatte mich schon gewundert, wer hier in der Gegend so viel Heu brauchen könnte.“ Er lachte einen Moment lang ihn sich hinein, dann fragte er: „Und für wen dürft ihr beiden den Laufboten spielen?“
Hiro ärgerte sich über Edosos Art, versuchte jedoch ruhig zu bleiben. „Ein Mann aus Ryuchu. Er wollte uns seinen Namen nicht nennen.“ Die Miene des Drogenhehlers hellte sich auf und er begann zu gackern. „Ach Segota schickt euch! Ja dann brauch ich euch beide vermutlich nicht mal zu bezahlen. Sehr schön. Sehr schön. Dann hat er euch wahrscheinlich auch nicht gesagt, was ihr hierher transportiert habt, oder? Oder seid ihr der Versuchung erlegen selbst nachzuschauen?“
„Ja“, gab Hiro zu, der keinen Grund sah, zu lügen. „Nun,ihr wärt wahrscheinlich auch so darauf gekommen, sobald ihr die Gegend hier gesehn habt, nicht wahr?“, fragte Edoso mit meinem schiefen Lächeln und legte den Kopf schräg. „Und ich vermute, ihr seid auch kein Schwarzrosengärtner“, meinte Hiro. Die Antwort war ihm natürlich sonnenklar, aber irgendein Teil von ihm klammerte sich an die verzweifelte Hoffnung, dass ihre Fahrt nicht vollkommen umsonst gewesen war. Edoso lachte erneut sein gackerndes Lachen. „Immer noch die selbe Masche... Ich züchte viele Pflanzen hier. Man könnte mich also durchaus als Gärtner bezeichnen, schwarze Rosen habe ich allerdings nicht im Angebot. Und jetzt genug geplaudert! Holt meine Lieferung aus dem Karren, dann bekommt ihr von mir Geld, das ich Segota schulde.“ Masha tat wie geheißen, während Hiro nur geknickt da stand.
Geld und Drogen wechselten ihren Besitzer und Edoso überreichte ihnen ein Siegel in das eine Lilie eingraviert war. „Damit Segota auch weiß, dass ihr die Lieferung mir überbracht habt.“
Hiro und Masha kletterten wieder auf den Kutschbock. „Wir sollten das Stroh lieber hierlassen“, meldete sich Masha nach einer schweigsamen Minute zu Wort. „Ich meine: kommt doch komisch rüber, wenn wir das Stroh, dass wir verkaufen wollten am Abend wieder aus der Stadt rausbringen.“ „Vermutlich hast du recht“, seufzte Hiro. Er hielt das Kaûgaû an und kletterte auf die Ladefläche. Zusammen mit seinem Freund schob er das Heu einfach da wo er war auf die Straße. Es dauerte keine Minute, bis die ersten Gestalten aus ihren Häusern hervorkamen, eilig zu dem Heu liefen, sich ein Bündel davon unter den Arm klemmten und wieder in ihren Häusern verschwanden.
Hiro lenkte den Wagen über die Straße und den Markt zurück zu dem Tor, durch das sie gekommen waren. Sein erster Besuch in Wu-Sai war kurz und ernüchternd gewesen, doch es sollte nicht der letzte gewesen sein.
Zumindest ließen die Wachen – noch die selben wie am Morgen – sie ohne Fragen oder Kontrolle passieren. Zum Glück! Denn weder Masha noch Hiro hatten daran gedacht, dass ziemlich schwierig sein, würde den Soldaten glaubhaft zu machen, dass sie für ihr Heu ein ganzes Säckel voll Münzen bekommen hatten.
Ihre Rückreise nach Ryuchu verlief ähnlich ereignislos wie die Hinreise. Nur ging es diesmal etwas schneller, da das Kaûgaû nun nicht mehr das Gewicht des Heus ziehen musste. Dennoch war das Vieh deutlich langsamer als ein Pferd. Hiro lenkte den Wagen und Masha vertrieb sich die Zeit mit Dingen wie das Geld zu zählen – der Münzwert belief sich auf 200 Draken – oder seinen flaumigen Oberlippenbart zurecht zu legen.
Die Sonne hatte sich im Osten noch nicht ganz vom Horizont gelöst, als sie am nächsten Tag Ryuchu erreichten. Hiro stoppte den Karren am Ortsrand und sah einen Freund an. „Und jetzt lass uns das verdammte Geld übergeben und machen, dass wir von hier verschwinden.“
Mit pochendem Herzen und die Hände an den Dolchen gingen sie zu der Taverne hinüber, in der sie Segota zu ersten Mal getroffen hatten. Der alte Mann erwartete sie bereits. Er hatte ein selbstzufriedenes Lächeln aufgesetzt und nippte an seinem Tee als sie reinkamen. Hiro ging forschen Schritts auf ihn zu und knallte das Geldsäckel so heftig auf den Tisch, dass einige der Münzen über den Tisch kullerten. „Und jetzt lasst unsere Freunde gehen!“, forderte er Segota auf und fuhr mit der Rechten an den Dolch. Masha stand hinter ihm mit verschränkten Armen. „Ich nehme also an, ihr habt doch nachgesehen, was ihr für mich transportieren solltet – ich bin ein wenig enttäuscht muss ich gestehen“, war die Reaktion des Mannes. Und tatsächlich wirkte er auch ein wenig enttäuscht, als er die beiden Knaben musterte. „Ich hatte euch doch gesagt, ihr solltet es lassen. Wie dem auch sei. Geschäft ist Geschäft und zumindest ich halte mich an meinen Teil der Abmachung“, erklärte er ihnen in ruhigem Ton und strich die Münzen ein, die vor ihm auf dem Tisch lagen. „Also, wo sind sie?“, hakte Hiro in scharfem Ton nach. „Natürlich nicht hier, dummer Junge. Los folgt mir!“ Sein verbliebenes Auge funkelte spöttisch, als er sich erhob und zur Tür ging. Hiro straffte den Rücken und folgte dem Alten zur Türe, Masha ihm nach. Draußen jedoch erwartete sie ein unangenehme Überrachung.
Sie waren noch keine zehn Schritte gegangen, da tauchten aus einer Seitengasse plötzlich vier Soldaten auf und vertraten ihnen den Weg. „Segota Taisho!“, stellte einer der Männer fest und zog eine Rolle aus einer Tasche um seine Schulter. Er las vor: „Im Namen des Kaisers und des Gouverneurs verhafte ich Euch wegen Drogenhandels und Erpressung in einer Vielzahl von Fällen und wegen Entführung und Festhaltung des Mädchens Rigome Tagezi.“
Die Mienen von Hiro und Masha hellten sich auf. Der Alte wurde verhaftet!. Doch schon einen Moment später entglitt das Lächeln wieder ihren Gesichtszügen, als der Soldat fortfuhr. „Ferner verhafte ich hiermit Hiro Akusai und Masha Septu wegen Beihilfe zum Drogenhandel. Ihr drei werdet mir nach Wu-Sai folgen, wo euch kriminellem Koschomo-Pack der Prozess gemacht wird.“ Hiro schluckte und wurde aschfahl. Der Handel mit verbotenen Drogen konnte mit jahrelanger Kerkerhaft oder gar dem Tod geahndet werden. Ihm wurde schwindelig. Segota indes blieb offenbar gelassen. Er wirkte eher nachdenklich als entsetzt. Mit seiner üblichen rauen Stimme fragte er: „Woher wisst ihr eigentlich, dass ich ein Mädchen Namens Rigome gefangen halte?“ Der Soldat lächelte. „Ihre Mutter hat sich Sorgen gemacht, weil ihre Tochter nicht nach Hause kam. Wir haben ihre Spur verfolgt und sie führte uns zu Euch. Ihr solltet Euch wirklich nach treueren Gefährten umsehen, Taisho. Obwohl jetzt braucht Ihr sie ja eh nicht mehr. Was die beiden hier angeht.“ Er nickte zu Hiro und Masha herüber. „Da hat uns unser Mann in Wu-Sai den entscheidenden Tipp gegeben.“
„Und wie wollt ihr etwas beweisen?“, fragte Masha trotzig in einem plötzlich Anfall von Wagemut. „Sieh ihn ihren Taschen nach!“, befahl der Soldat ohne den Blick von Segota zu nehmen. Zwei seiner Kameraden traten vor. Er hielt Hiro fest, der andere durchwühlte seine Taschen. Er zog den Dolch und das Siegel hervor. „Hab das Ding!“, verkündete er triumphierend. „Das sollte als Beweis genügen“, sagte der Soldat mit der Schriftrolle und nahm das Siegel von seinem Kameraden entgegen. „Das Siegel eines Drogenhändlers. Wirklich dumm, sich mit so etwas erwischen zu lassen.“ „Nein, Ihr versteht nicht. Wir mussten diese Drogen überbringen, sonst-“ „Schweig!“, unterbrach der Mann ihn ärgerlich. „Spar dir deine Lügen für den Richter!“ Dann wandte er sich seinen Kameraden zu. „Abführen!“, befahl er.
„Bitte“, meldete sich plötzlich Segota zu Wort. „Ich bin längst nicht mehr der Jüngste und brauche einen Stock, wenn ich weite Strecken gehen soll“ Seine Stimme jetzt gar nicht mehr so rau - eher schwach. „Es ist nur eine Meile bis zum Karren!“, entgegnete einer der Soldaten verärgert. „Dennoch“, beharrte der Alte. „Mir kommt jede Meile vor wie eine Ewigkeit. Dahinten sehe ich doch schon meinen Stock“, sagte er und deute auf einen Stab, der an der Wand der Taverne lehnte. „Na gut Alter, hol deinen Stab. Auch wenn ich glaube, es ist weniger dein Alter, als viel mehr dein Drogenkonsum der dir zu schaffen macht.“ Segota nickte dankbar und ging seinen Stock mit kleinen Trippelschritten holen. Die Soldaten nahmen ihn wieder in ihre Mitte und machten sich mit den Dreien auf den Weg zum Karren. „Nochmals Danke!“, sagte Segota wieder mit rauerer Stimme, als sie das Dorf verlassen hatten und vor der Kutsche standen, mit der sie nach Wu-Sai zurück gebracht werden sollten. „Hauptsache wir kommen schnell hier weg“, meinte der angesprochene Soldat mürrisch. „Das muss sicher weh tuen“, meinte der Alte. „Hä? Was soll weh tuen?“ „Na das!“
Und mit diesen Worten rammte Segota das Ende seines Stabes mit voller Wucht in die Kehle des Soldaten und brach ihm den Kehlkopf. Seine Kameraden reagierten schnell, doch nicht schnell genug. Einer senkte seinen Speer um den Alten aufzuspießen, doch dieser entwandt ihm die Waffe einfach, drehte sie um und stieß sie stattdessen in den Hals ihres Besitzers. Ein dritter Soldat hatte sein Schwert gezogen und ging auf Segota zu. Der wich ihm jedoch mit einer spektakulären Flugrolle aus und durchbohrte - noch in der Luft - das linke Auge des Mannes mit dem Speer. Der letzte Soldat stieß nach Segota, als dieser landete, doch der beugte sich blitzschnell zurück und so streifte der Stoß, der ansonsten sein Herz getroffen hätte, ihn nur an der Schulter. Doch dabei verlor er das Gleichgewicht. Der Soldat wollte erneut zustechen, doch Masha rammte ihn zur Seite, was den Krieger gerade lange genug ablenkte, damit Segota sich aufrappeln konnte. Er trat dem Soldaten die Waffe aus der Hand und eher dieser noch ein Schwert ziehen konnte, zertrümmerte Segota ihm den Kehlkopf mit einem Handkantenschlag. Der Mann hielt sich gurgelnd die Kehle, dann brach er zusammen.
Der alte Mann stand schwer atmend ihm Kreis der vier toten Soldaten. Hiro und Masha neben ihm starrten ihn mit offenen Mündern an. Segota taste nach der Schulter, wo der Speerstoß ihn gestreift hatte, spürte Blut und fluchte dann: „Verdammt! Ich werde langsam wirklich alt... Danke übrigens, Junge. Ich fürchte fast, jetzt schulde ich dir was.“
„Das war...“, begann Masha. „Wo habt Ihr gelernt so zu kämpfen?“, fragte Hiro. „Nun es war nicht alles gelogen was ich euch erzählt habe“, erklärte Segota. „Holen wir erstmal eure Freunde, dann werde ich alles erklären.“
20 Minuten später saßen sie wieder in der Taverne von Ryuchu und tranken Tee. Die Stimmung war mehr als merkwürdig. Riri, die beiden Brüder und Penku, die tagelang von Segota gefangen gehalten worden waren, saßen wie vom Donner gerührt da und starrten schweigend vor sich hin. Segota zählte das Geld und wirkte offenbar zufrieden. Hiro saß mit verschränkten Armen da und fixierte den Mann ihm gegenüber.
„Ihr sagtet, es sei nicht alles gelogen gewesen, was ihr uns erzählt hattet“, nahm er den Faden wieder auf. Segota seufzte. „Schätze mal ich bin euch eine ehrliche Antwort schuldig. Dabei hatte ich gehofft das vermeiden zu können – verdammte Soldaten... Wenn ihr es genau wissen wollt: Edoso ist natürlich kein Schwarzrosengärtner. Er ist nur ein schmieriger kleiner Drogenhändler. Aber er macht gute Preise.“ „Warum handelt ihr mit verbotenen Drogen?“, wollte Masha wissen. „Warum? Warum? Weil es lukrativ ist, so einfach. Außerdem zweige ich mir manchmal etwas für meinen eigenen Bedarf ab. Und wenn man seine Kuriere hat, ist es sogar ungefährlich. Außer sie schauen nach, was sie transportieren. Für diesen Fall brauche ich natürlich einen Pfand. Hättet ihr dummen Hunde nicht im Heu nachgeschaut und hätte die Mutter dieses Görs“ Er nickte zu Riri herüber. „mir nicht die Soldaten auf den Hals gehetzt, dann wäre ja auch alles glatt gelaufen. Ihr hättet nicht mal bemerkt, dass ihr Drogen geschmuggelt hättet.“ Das bezweifelte Hiro nun stark. Selbst ein Blinder hätte erkannt, was für einem Gewerbe Edoso nachging. Der Drogenhändler hatte es ja offen zugegeben.
„Und was hättet ihr dann getan? Ihr sagtet es sei nicht alles gelogen gewesen. Hättet ihr uns wirklich zu diesem Tigerklaue geschickt. Ist er wenigstens ein Schwarzrosengärtner?“, fragte Hiro in dem ein kleines Fünkchen Hoffnung aufkeimte.
„Nein“, machte Segota diese Hoffnung zu Nichte. „Es gibt überhaupt keinen Tigerklaue. Er ist ein Phantom, das ich mir ausgedacht habe.. Und selbst wenn es ihn gäbe, wäre er kein Mitglied der Schwarzrosengärtner.“
„Wie meint ihr das?“, fragte Hiro argwöhnisch. „Ganz einfach“, antwortete Segota. „Die Schwarzrosengärtner gibt es nicht mehr. Schon seit Jahren nicht mehr. Die Filipi haben sie vor Jahren vernichtet. Sie halten ihren Sieg nur noch geheim, damit junge Möchtegernrebellen wie ihr ihnen leichter ins Netz gehen, wenn sie anfangen nach den Gärtnern zu suchen.“
„Woher wisst Ihr das so genau“, verlangte Hiro zu wissen. Der Alte ließ ein langes Seufzen hören. „Ich war ihr letzter Anführer.“ Das überraschte nun alle. Selbst Riri und die anderen Gefangen sprangen auf und bestürmten Segota mit Fragen. Er hob die Hand um ihre Fragenflut einzudämmen. „Warum sollten wir euch trauen?“, fragte Hiro. „Ihr habt uns schon einmal belogen!“ „Hört euch meine Geschichte an und dann entscheidet, ob ihr mir glaubt.
Es war vor drei Jahren. Die Gärtner planten – das heißt: ich plante – ein Attentat auf Gouverneur Shi-Fau. Wir hatten alles durchgeplant. Der Gouverneur war zusammen mit seiner Frau auf einer Reise über Tokai. Dabei wollte er sich die Dörfer der Insel ansehen. In einem dieser Dörfer – Takeshi – legten wir uns auf die Lauer. Da der Gouverneur natürlich Geleitschutz hatte, war die Hälfte aller Gärtner dort. Der Plan war, den Gouverneur bei seinem Einritt in das Dorf zu überfallen, ihn zu töten und seine Frau – die Cousine des Kaisers – gefangen zu nehmen und als Druckmittel zu verwenden.
Wie die Filipi von unserem Hinterhalt erfahren hatten, weiß ich bis heute nicht. Jedenfalls wurden die Lauernden selbst zu Belauerten. Shi-Fau kam nicht, stattdessen ein General der Filipi im Gewand des Gouverneurs. Als wir den Treck angriffen, im Glauben Shi-Fau zu attackieren, kamen plötzlich Dutzende Elitekrieger der Filipi aus den Wäldern und nochmal so viele aus den Häusern von Takeshi gestürmt. Wir mussten also nach innen und außen kämpfen, denn auch der Zug mit dem angeblichen Gouverneur bestand ausschließlich aus Kriegern. 200 Männer waren ausgezogen um Shi-Fau zu töten. Sie alle wurden eingekreist und nur 5 Mann konnten entkommen. Ich war einer von ihnen, obwohl ich dabei ein Auge verlor. Ich bin nicht stolz darauf, dass ich vom Schlachtfeld floh, aber ich musste so schnell wie möglich unser Hauptquartier erreichen, um die anderen zu warnen. Doch ich kam zu spät. Als ich in unserem Lager ankam, waren bereits alle meine Kameraden tot. Der Kaiser persönlich hatte eine Armee unter dem Befehl General Sen-Shens ausgesandt, um uns alle zu vernichten. Das war das Ende der Schwarzrosengärtner.“
Hiro überlegte. Von dem missglückten Hinterhalt der Gärtner bei Takeshi von vor drei Jahren hatte er selbstverständlich gehört. Damals hatten 300 Mann eine Abteilung der Rebellen vernichtet – bis auf den letzten Mann, so hatten die Filipi verlauten lassen. Konnte es wirklich sein, dass dieser drogensüchtige, alkoholabhängige alte Kauz diesem Gemetzel entkommen war? Und noch mehr: Dass er der ehemalige Anführer der Schwarzrosengärtner war?
„Warum erzählt ihr uns das alles?“, fragte Hiro und sah Segota durchdringend an. Der Alte verschränkte die Arme und machte ein Gesicht, als hätte Hiro ihn beleidigt. „Ich sagte doch bereits, dass ich entschlossen bin meinen Teil der Abmachung einzuhalten – vor allem da du mir vielleicht heute das Leben gerettet hast, Masha. Eine Ausbildung hatte ich euch versprochen und eine Ausbildung sollt ihr bekommen.“
„Ihr meint...“ „Ich bin vielleicht alt, aber immer noch ein guter Kämpfer und ein erfahrener Lehrmeister allemal. Wenn ihr mir vertraut, werde ich euer Lehrmeister sein. Segota der Schwertmeister, Haupt der Schwarzrosengärtner.“
Hiro und Masha wandten sich zu den anderen um und sie zogen sich in eine Ecke der Taverne zurück, um sich mit ihnen zu beraten. „Was meint ihr?“, fragte der selbsternannte Anführer des Widerstands von Kegorae. „Können wir ihm diesmal trauen.“ „Er macht mir Angst“, war Penkus spontane Reaktion. „Ich weiß nicht – er hat uns vier Tage lang in seinem Haus eingesperrt“, war Gaitos Beitrag. „Er hat uns zwar gut behandelt und uns gesagt es sei nur zu unserer Sicherheit, aber uns allen war klar, dass wir in Wahrheit seine Gefangenen sind.“ „Wer einmal gelogen hat, wird nochmal lügen“, fügte sein Bruder hinzu. „Andererseits steht außer Zweifel, dass er ein großer Schwertmeister ist. Dieser Teil seiner Geschichte muss also wahr sein“, gab Riri zu bedenken. „Ich frage mich vor allem:Was sollte es ihm nützen, uns noch einmal auf eine ähnliche Weise reinzulegen. Er kann uns wohl schlecht für weitere Botengänge missbrauchen, jetzt da wir wissen, dass er Drogen schmuggelt“, überlegte Masha laut. „Vielleicht“, quiekte Penku. „Ist er ja... ist wisst schon... Vielleicht mag er ja Knaben.“ „Du meinst der Alte will uns vergewaltigen?“, fragte Hiro nachdenklich. „Unwahrscheinlich. Das hätte er doch schon längst tuen können.“ Bei diesem Gedanken wurde Penkus teigiges Gesicht noch blasser.
„Also stimmen wir ab?“, fragte Gaito. „Ich bin dagegen ihm zu trauen“, fügte er hinzu. „Ich auch“, sagte Penku. Hiro fuhr sich durchs kurz geschorene Haar. „Ich weiß nicht... ich glaube eigentlich nicht, dass er uns etwas antun will. Aber ich traue dem schrägen Kauz auch nicht.“
„Ich finde, wir sollten ihm die Chance geben. Nicht weil ich den Alten leiden könnte“, erklärte Masha. „Sondern weil, wenn seine Worte wahr sind, wir wohl kaum je mehr die Gelegenheit bekommen, von so einem Lehrmeister ausgebildet zu werden.“
„Wenn seine Worte stimmen“, bemerkte Mihiko düster. „Dann frage ich mich, ob das was wir tun überhaupt noch einen Sinn hat... ich schließe mich jedenfalls der Meinung meines Bruders an.“
„Ich weiß ja nicht, was ihr macht, aber lass mich in jedem Fall von ihm ausbilden“, sagte Riri selbstbewusst und verschränkte die Arme.
„Also Hiro“, fragte Gaito. „Wie steht es jetzt mit dir?“ Hiro atmete tief durch, sah seinen Freund Masha und dann Riri an und verkündete schließlich: „Ich mach's!“
„Dann steht es patt“, bemerkte Mihiko. „Gaito, Penku und ich sind dagegen. Du ,Hiro, und Masha und Rigome sind dafür.“ „Dann gibt es nur eins“, sagte Masha. „Wir müssen uns aufteilen. Die eine Hälfte geht mit Segota, die andere kehrt nach Kegorae zurück.“ „Das gefällt mir zwar nicht, aber ich sehe keine andere Möglichkeit“, meinte Hiro.
Alle waren einverstanden. Penku und die beiden Brüder würden ins Dorf zurückkehren und dort schauen was sie tun könnten. Hiro, Masha und Rigome würden mit Segota kommen. Masha teilte ihren Entschluss dem alten Krieger mit.
„So sei es! Ich könnte sowieso höchsten drei Schüler auf einmal ausbilden.“ Als er dann jedoch hörte, dass einer dieser drei Schüler Riri war, schnaubte er: „Das Mädchen? Man wird wohl nehmen müssen, was man kriegen kann. Nur bitte du mir einen Gefallen, Rigome.“ „Und zwar?“ „Schreib einen Brief an deine Eltern, dass es dir gut geht. Ich will nicht schon wieder die Armee in der Stadt haben.“




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Re: Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 14. August 2013 18:00

Die Eodos-Saga, Kapitel VIII

Schon wieder wurde Drenyr äußerst unsanft aus seinem Schlaf gerissen – irgendwie passierte ihm das ständig in letzter Zeit. Diesmal jedoch war das Ganze noch etwas harscher als die letzten Male. Es war nämlich ein Tritt in die Rippen mit einem schweren Stiefel, der ihn aus der Welt der Träumenden riss. Drenyr heulte laut auf und hielt sich die Seite, während er aufsah und in das grimmige Gesicht eines Wachmanns blickte. Zumindest wirkten die zu Schlitzen verengten Augen und der herabgezogene Mund, den er hinter dem Helm erkennen konnte sehr grimmig. Der Wachmann trug ein Kettenhemd und darüber einen Waffenrock, auf dem das Emblem des Fürstentums Aldhavn prangte: Oben ein schmales Feld mit einer gewundenen Seeschlange – das Symbol des Königreichs – und darunter die Meerjungfrau mit Dreizack und Schild – das Symbol der Nixenburg.
„Hier wird nicht gepennt!“, fuhr die Stadtwache ihn an. „Wenn ich dich noch einmal erwische, wie du auf Straße schläfst, dann setzt's ne ordentliche Tracht Prügel, verstanden?“ Drenyr hätte dem Wächter am liebster mit einer Flut wenig schmeichelhafter Ausdrücke überhäuft, da er es aber nicht auf die Konfrontation mit jemandem abgesehen hatte, der einen Streitkolben am Gürtel trug, begnügte er sich damit aufzustehen und zu verschwinden.
Nachdem Drenyr vorige Nacht aus dem Gasthaus mehr oder weniger geflohen war, war er durch die Straßen geirrt auf der Suche nach einem Schlafplatz. Wann er schließlich völlig übermüdet eingeschlafen war, wusste er nicht mehr.
Drenyr brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Dann fand er aber die Hauptstraße wieder und machte sich steifen Gliedern auf den Weg. Es wunderte ihn, dass man ihn nicht in der Nacht bestohlen hatte – alle seine Sachen waren noch da; sogar die Pfeile. Vielleicht bot er aber auch einfach mittlerweile einen so erbärmlichen Eindruck, dass niemand auf die Idee gekommen wäre, er hätte etwas bei sich, das es wert gewesen wäre gestohlen zu werden. Ein Blick in ein Regenfass untermauerte seine Theorie: Er noch schlechter aus, als er sich fühlte. Dabei war Drenyr sich mittlerweile sicher, dass er krank war, obwohl das Wetter langsam wärmer zu werden schien.
Er wusch sich an dem Fass, dann setzte er seinen Weg Richtung Tor fort. Die Wachen schenkten ihm keine besondere Beachtung und so kam er ins Innere der Stadt.
Seine Hoffnung vom Vorabend bestätigte sich: Es sah tatsächlich hinter der Stadtmauer besser aus. Die Häuser waren gerader, gepflegter und im Allgemeinen auch größer. Das Scheppern eines Schmieds, der Eisen bearbeitete und das dumpfe Hacken eines Metzgers, der auf der Theke vor seinem Haus Fleischwaren zerteilte, drangen über den allgemeinen Lärm der vielen Menschen hier an sein Ohr. Gerne hätte sich Drenyr eine fette Wurst gekauft. Sein Magen rumorte und verlangte nach etwas, das er verdauen konnte. Aber er hatte weder Geld noch Zeit dafür. Es galt, möglichst schnell den Hafen zu finden. Dort wollte er Momme den Onkel seiner Schwägerin Girda finden. Sie hatte Drenyr versprochen, dass er ihm helfen würde. Zwar hatte Drenyr keine Ahnung, wie diese Hilfe aussehen könnte, doch wo sollte er sonst anfangen?
Er war in Aldhavn, der mit Abstand größten Stadt des Königreichs Farstrid. Wenn er irgendwo jemanden finden konnte, der ihm bei seinen Racheplänen helfen könnte dann hier. „Wir werden deine Mörder zur Strecke bringen und Fawelle befreien“, versprach er seinem Vater, einem plötzlichen Impuls folgend und ohne zu wissen wer wir sein sollte.
Der Weg zum Hafen führte immer die Hauptstraße entlang. Aldhavn war eine große Stadt voller Händler aus allen Winkeln von Eodos – zumindest sah es für Drenyr danach aus. Stahlblonde Norsinger boten Eisbärenpelze feil. Tusche aus Seebank wurden zum Verkauf angeboten. Und ein dicklicher Mann, der grüne und rote Kleider und einen quadratischen Hut trug, rief sogar: „Bester Wein aus Flori! Nur 15 Kupferpfennig die Karaffe.“ Je mehr er sich dem Hafen näherte, desto mehr nahm das Gewimmel zu. Allerdings schien die Qualität der Häuser, bis auf einige extrem imposante Ausnahmen, wieder abzunehmen.
Schließlich erreichte er den Pier, wo eine große Anzahl an Schiffen aller Größen vertäut lag. Er sprach den erstbesten Seemann an, den er traf: „Entschuldigung. Ich suche einen Mann Namens Momme. Er soll hier im Hafen arbeiten. Wisst Ihr wo ich ihn finde?“
„Na davon kannst du ausgehen“, lachte der Mann. „Jeder Seemann, jeder Hafenarbeiter, jeder Händler und jede Nutte hier im Hafenbezirk kennt ihn.“ Er deute auf ein großes, einladend wirkendes Gasthaus, weiter unten am Hafen. „Das ist seins. Die Gütige Meerjungfrau. Bester Laden hier am Hafen, und sogar für Unsereins bezahlbar.“ Mit diesen Worten ließ er Drenyr stehen, um ein dickes Tau einzurollen, dessen Ende er in der Hand hielt. Drenyr ging zu besagtem Gasthaus hinüber. Ein Schild, das eine barbusige Meerjungfrau zeigte, die einen jungen Mann aus den Fluten zog, hing über dem Eingang.
Obwohl es noch nicht einmal Mittag war, war schon viele der Tische und Stühle hier drin besetzt. Ihre Zahl wirkte jedoch gering, aufgrund der schieren Größe des Gasthauses, dessen Schankraum sich offenbar über zwei Etagen erstreckte. Ein beleibter Mann, vielleicht in den Vierzigern, mit einem rötlich-blonden Kinnbart stand hinter der Theke und putze einen Steinkrug.
„Seid Ihr, Momme?“, fragte Drenyr vorsichtig. „Das bin ich wohl. Und das Ihr lass mal schön stecken! Bin nicht der König dieser Stadt, obwohl sich manche der Seeleute wünschen es wäre so. Was kann ich für dich tun?“ „Deine Nichte schickt mich.“ „Birgitt?“ „Nein! Girda!“ „Ach, Girda! Ja wie geht es denn der Kleinen?“, erkundigte sich Momme. „Ich... weiß es nicht. Die Zeiten sind schwer. Aber sie ist wenigstens unversehrt. Zumindest war sie das, als ich aufgebrochen bin. Sie ist meine Schwägerin, musst du wissen.“ „Ah, dann musst du... Drenyr sein.“
Es war offensichtlich, dass Momme ein ausgezeichnetes Namensgedächtnis hatte. Eine Eigenschaft, die ihm als Wirt sicher gute Dienste leistete.
„Und mit welchen Auftrag schickt dich Girda?“, wollte er wissen. „Mit keinem. Aber sie hoffte, dass du mir vielleicht helfen könntest.“ Momme zog die Stirn kraus und fragte: „Wobei?“
Drenyr erläuterte, was auf seinem Hof passiert war und warum er nach Aldhavn gekommen war. Als er fertig war mit seinem Bericht, schimmerte eine Träne in seinem rechten Auge. Schnell wischte er sie ab. „Das tut mir wirklich Leid, was mit deinem Vater und deiner Schwester passiert ist“, sagte Momme und es klang auch wirklich danach. „Ich weiß nur nicht, wie genau ich dir helfen soll. Ich könnte euch natürlich etwas Geld leihen, damit du deine Schwester freikaufen kannst, sollten die Banditen Lösegeld fordern, aber dann hättest du deinen Vater immer noch nicht gerecht.“
„Könntest du mir nicht Geld leihen, um eine Söldnertruppe aufzustellen?“, fragte Drenyr. Momme lachte und antwortete: „Nein! So viel Geld kann ich dir auch nicht leihen. Weißt du was es schon allein kostet ein einziges Mietschwert einzustellen? Und du bräuchtest mindestens ein halbes Dutzend. Das Beste, was ich dir anbieten kann, ist wohl eine Weile hierzubleiben. Wenn du irgendwo in der Stadt jemanden findest, der dir auf deinem abenteuerlichem Feldzug behilflich sein kann, dann hier.“
Momme, so dachte Drenyr in späteren Zeiten manchmal, hatte vielleicht doch seinen Beruf verfehlt und hätte lieber Prophet werden sollen. Denn kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, flog die Türe auf und eine hünenhafte Gestalt erschien im Eingang. Der breitschultrige Mann ging zur Theke und ließ sich neben Drenyr nieder. „Tag, Momme“, begrüßte er den Wirt mit seiner sonoren Stimme. „Das Übliche, Mimir?“, fragte der Gasthausbesitzer worauf der Mann nickte. Er hatte stahlblondes Haar, dass ihm in leichten Locken bis auf die Schultern wallte. Verstohlen fuhr sich Drenyr durch seine eigenen hellbraunen, mittlerweile etwas verfilzten Strähnen. Das Haar des Mannes wirkte reinlich, worin es sich von seinem Gesicht und seinen nackten Unterarmen unterschied, die staubig waren und an denen der Schmutz krustete. Außerdem wirkte seine Haut leicht fleckig, als würde sie mehr Sonne abbekommen, als sie eigentlich vertrug. Seine Hände steckten in Lederhandschuhen und wirkten so kräftig als könne er damit leicht Walnüsse knacken. Sein Nacken war der eines Stiers. Seine ganze Erscheinung sowie sein Name, Mimir, wiesen den Kerl klar als Norsung aus.
Momme servierte ihm einen Krug schäumendes Bier. „Ach! Ehrenfelser Fahnenbräu. Das beste Bier auf dieser Seite des Gebirges. Eine Schande, dass wir das auf der Burg nicht bekommen“, seufzte er nachdem er einen tiefen Schluck daraus genommen hatte. Dann nickte er zu Drenyr herüber. „Wer ist das denn eigentlich?“
„Mein Name ist Drenyr“, kam dieser dem Wirt zuvor. „Mein Vater war Mallach - bevor er gestorben ist. Und Ihr seid?“
„Ich bin Mimir. Und bevor mein Vater gestorben ist, war er Dunemir, der Jarl von Kaldgrav. Jetzt ist er Dunemir, ein Gast an Gerzyrs ewiger Tafel, den ihr Gerezon nennt.“ „Euer Vater war Jarl?“, erkundigte Drenyr sich. „Wenn er jetzt doch ist, macht euch das nicht auch zum Jarl?“ Mimir schüttelte den Kopf. „Das wäre so, wäre ich der einzige Sohn gewesen, den meine Mutter ihm gebar. Doch ich habe auch noch einen älteren Bruder. Er ist jetzt Jarl von Kaldgrav. Eigentlich ist es Sitte, dass alle Söhne eines Jarls um seine Nachfolge kämpfen, aber ich habe meinem Bruder freiwillig Platz gemacht. Ich neide ihm das Stück Eis und Schnee in der nordischen Tundra, dem er jetzt karge Erträge abringt, nicht.“
„Wie ist Euer Vater gestorben?“, erkundigte sich Drenyr. „Krankheit! Auch wenn Mutter immer noch steif und fest behauptet, es seien die Zwerge gewesen.“ Drenyr musste kurz lächeln. Zwerge? Die Mutter dieses Kerls war doch sicher ein wenig zu alt, um an solche Ammenmärchen zu glauben. Doch das Lächeln verging ihm sofort als Mimir fragte: „Und was ist mit deinem Vater, Drenyr? Er ist noch nicht lange tot. Ich kann es an der Art hören, wie du seinen Namens aussprichst.“ Drenyr schluckte unwillkürlich. „Banditen. Vor einigen Tagen wurde mein Vater von Banditen erschlagen. Sie haben auch meine Schwester entführt. Darum bin ich hier.“ „Rache?“ „Ja!“, bestätigte Drenyr. Mimir legte die Stirn in Falten und musterte den jungen Mann vor sich. „Du bist ziemlich schmächtig“, meinte er schließlich. „Nicht so sehr wie die Weber oder Drahtzieher hier in der Stadt, aber auch kein Soldat. Was für Banditen waren das denn?“ „Fremde. Sie sprachen einen seltsamen Dialekt. Ich bin bei der Jagd in Middenw... also bei der Jagd im Osten auf sie getroffen. Ich... wusste nicht, dass sie mich verfolgen... ich meine: Wie auch? Als sie mich, dann bis zu unserem Dorf verfolgt hatten, da...“ „Und diese Banditen“, bohrte Mimir nach. „trugen sie vielleicht braune oder grüne Filzhüte?“ „Äh... ja, ein paar von ihnen schon.“ „Und sie kamen aus Osten sagst du?“ „Ja...“
„Haduranen...“, knurrte Mimir. „Was?“, fragte Drenyr, der ihn nicht verstanden hatte. „Haduranen! Gebirgsmenschen aus dem Haduran. Diebischen Bergvolk – ach was sagt ich? Mörderisches Bergvolk!“ Mimir nahm einen weiteren tiefen Zug aus seinem Krug. „Du willst deinen Vater rächen, sagtest du?“, fragte Mimir nach. „Und meine Schwester retten“, bestätigte Drenyr.
Ein schwermütiges Lächeln huschte über Mimirs Gesicht. „Dann habe ich vielleicht ein Angebot für dich: Du erinnerst dich noch, dass ich gesagt habe, dass ich meinem Bruder sein Jarltum nicht neide, ja? Nun ich werde dir auch sagen warum: Während er sich im hohen Norden den Arsch abfriert nur um einem gealtertem Großjarl seine Aufwartung zu machen, der wiederum König Hergast zur Treue verpflichtet ist, bin ich dem König direkt untergeben. Mehr oder weniger zumindest.“ „Wie meint Ihr das? Kommt zum Punkt!“, forderte Drenyr. „Nun ich mache mir zwar nicht viel aus Titeln, aber mein eigener lautet: Herr Mimir, Königlicher Ritter zu Firnburg-Aukenstein. Mein Kommandant ist Burgvogt Nis, in seiner Rolle als Stellvertreter des Königs. Ich bin ein Hauptmann der Firnwache. Von der Firnwache hast du doch schon einmal gehört, oder?“ Drenyr schüttelte den Kopf, doch Momme war es der antwortete: „Die Firnwache ist die Burgmannschaft der Firnburg, der großen Festungsstadt im Osten von Farstrid. Ihre Aufgabe ist es, im Namen des Königs das Königreich nach Osten, zum Hadurangebirge hin, abzusichern.“
„Und das heißt im Klartext, dass es unsere Aufgabe ist, diesen menschlichen Abschaum von Bergleuten davon abzuhalten, die Grenze zu passieren. Leider drängen sie in letzter Zeit viel stärker als noch vor einigen Jahren nach Westen. Und sie haben begonnen, die Mark Firnburg im Norden und Süden zu umgehen. Der Fürst von Karlgart erledigt seinen Teil der Grenzsicherung zwar so gut er kann, der Markgraf von Flensen jedoch... Nun sagen wir einfach: Es ist ihm durchaus bewusst, dass sein Land für die Haduranen nur eine Einfallspforte ist, durch die sie weiter nach Süden und Westen ziehen. Wie dem auch sei: Die Firnwache sucht immer neue Rekruten. Wenn du dich uns anschließt, können wir dir helfen deine Schwester zu befreien und du kriegst deine Rache. Na was sagst du?“
Drenyr musste über dieses Angebot nicht lange nachdenken: „Ich mach's!“




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Re: Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 17. August 2013 19:33

Die Eodos-Saga, Kapitel IX

Hammuris schritt durch die luftige Säulenhalle des Königspalastes von Ahd. Hochkönig Argtenkaz II. residierte hier und Hammuris war einer seiner Hofpriester – eine wichtige Position im Reiche von Kazahd. Denn die Thebiter waren ein sehr religiöses Volk und zogen bei allen wichtigen Fragen des Lebens die Götter zu rate. Für sie zählten im Übrigen auch Aïmundr und Balothâ zu ihnen, obwohl sie in den meisten Kulturen als tot galten.
Nichtsdestotrotz hatte der Hochkönig ausländischen Missionaren aus dem Norden erlaubt, in seiner Stadt zu predigen – gegen gutes Geld versteht sich. Der Zutritt in den Heiligen Bezirk blieb ihnen jedoch verwehrt. Der Bezirk war ein ummauertes Areal, auf dem höchsten Hügel von Ahd. Er beherbergte die Zikkurat, den Königspalast und in ihrer Mitte den Garten von Jurnas – Göttin der Fruchtbarkeit, der Ernste, der Jagd und Stadtgöttin von Ahd.
Jede große Stadt der Thebiter hatte einen der Dreizehn zu ihrem Stadtgott erklärt. In ihrer jeweiligen Stadt kam den Göttern ein aufwendiger Kult zu, in den anderen Städten war jedoch die Verehrung für sie eher gering. Die Missionare vertraten natürlich eine völlig andere Ansicht, was die Wertigkeit der Götter anging vor allem die der „Sieben Guten Götter“, wie sie sie nannten. Hammuris wurde nie müde ihnen zu lauschen – das Meiste von dem, was sie sagten fand er schlichtweg amüsant. Anderes allerdings hatte durchaus Hand und Fuß oder war zumindest als Denkanstoß zu gebrauchen. Auch würde es sicher Spaß machen, sich mit einem der gebildeteren von ihnen über Religion zu streiten.
Um diesem Zeitvertreib nachgehen zu können, verließ er den Heiligen Bezirk und folgte der Feststraße bis zum Königsmarkt, dem größten der Stadt. Hier war der beste und zu gleich der schlechteste Platz, um eine Predigt zu halten. Der beste, weil nirgendwo in der Stadt; nirgendwo in ganz Kazahd, mehr Menschen zusammenkamen. Der schlechteste, weil es dadurch so laut war, dass man oft sein eigenes Wort nicht mehr verstand.
Die Menge teilte sich vor Hammuris, als der in Weiß und Gold gewandete Priester würdevoll über den Marktplatz schritt, so groß war die Ehrfurcht vor dem hohen Geistlichen. Obwohl es vielleicht auch ein wenig der Respekt vor den beiden riesenhaften Kerlen war, die ihm folgten. Sie hießen Culcis und Omib und waren seine Leibwächter. Einer vom Hohepriester und einer vom König gestellt, sollten sie für Hammuris' Sicherheit sorgen. Culcis war ein Mitglied der Stummen, der Elitewachen der Zikkurat. Damit sie die Geheimnisse des Tempels nicht verraten konnten, schnitt man ihnen die Zungen ab – daher der Name. Am Hofe hingegen schwor man auf ausländische Söldner. Diese galten als verlässlicher, da sie keine Ambitionen hatten, sich in innenpolitische Angelegenheiten einzumischen. Das galt auch für Omib, der ein Vagare war; ein Mitglied jenes hochgewachsenen, dunkelhäutigen Menschenschlages, der die vergleichsweise fruchtbare Küstenregion östlich der Khafardwüste bevölkerte. Er war im Übrigen nicht viel gesprächiger als Culcis.
Hammuris stellte sich so nah wie möglich vor die Tribüne eines Missionars und lauschte seinen Worten. Er schien aus dem Schöpfungsmythos zu erzählen und war gerade bei der Geburt der 15 Götter angelangt.
„... nach eigenem Gutdünken zu gestalten. So entstanden die 15 Götter und es war zur Zeit von Ias 313. Atemzug, im Jahre 6940 vor dem Exodus vom Allquell.“ Das war die Zeitrechnung der Westmenschen. Die Thebiter rechneten selbstverständlich ab der Gründung von Ahd, 2507 Jahre vor dem Exodus vom Allquell.
„Für einige Zeit waren es die Götter zufrieden, wie es um die Schöpfung stand und sie wanderten für viele Jahre frei umher, ohne einander groß zu beachten. Doch wie die Jahre voranschritten, erkannten sie die Notwendigkeit die Schöpfung zu hegen und zu verändern und nach ihrem eigenem Willen, wollten sie sie formen. Es war 6209 Jahre vor dem Exodus, da die Götter die Erde, den einzigen Planten auf dem es Leben gab, zu ihrem Ratssitz bestimmten.“ Hammuris fragte sich nicht zum ersten Mal, woher die Priester der Westmenschen so genaue Jahresangaben zu kennen glaubten.
„60 Atemzüge Ias lang, hielten die Götter Rat. Doch schließlich entbrannte Streit zwischen ihnen, denn die Geister von Aïmundr und Balothâ wirkten noch in ihnen. Manche waren der Ansicht, die Schöpfung müsse erweitert werden, da sie ihnen alles bedeutete. Andere aber wollten die Schöpfung wieder vernichten, da sie sie über unvollkommen hielten. Die Götter verließen die Erde wieder, doch nicht lange. Denn alle waren sich einig, dass Wille und Unwille Geschöpfte brauchten, die sie beseelen könnten. So taten sich je drei Götter zusammen und erschufen die fünf Völker. Boroc, Ith und Elopara erschufen die Alben. Ansivi, Quira und Baljo die Elben. Die Zwerge wurden von Eumedes, Aïhere und Gerezon. Jurtelo, Jiupp und Aïjanna ersannen die Trolle. Die Menschen wurden als letztes erschaffen; von Aumrum, Telocath und Jurna. Und diese Geschöpfe versammelten die Götter um ihren Ratsitz auf der Erde herum und dieser befand sich in Eodos, dort wo heute der Allquell sprudelt.
Zunächst unterstanden die Völker noch vollends dem Willen ihrer jeweiligen Erschaffer, doch dies führte wieder zu Streit zwischen den Göttern, so dass sie in ihrer Weisheit schließlich beschlossen, den Rassen von Eodos eigenen Willen einzuhauchen, wie ihn auch die Tiere hatten, doch veredelt durch den göttlichen Funken und durch den Willen selbst. Danach schufen und arbeiteten die Götter nach 60 weitere Jahre an der Erde, ehe Elopara als erste die Schöpfung im Jahre 6009 vor dem Exodus für beendet erklärte. Doch einige der Götter waren es nicht zufrieden, dass die Erde so war, wie sie war. Und jene in denen Balothâ, das Urübel, noch stark war, beschlossen, wenn schon nicht die ganze Schöpfung, so doch zumindest die Erde, in einem großen Krieg zu vernichten. So kam es zur Sonderung unter den Göttern. Sieben von ihnen wollten die Erde vernichten, Sieben sie beschützen und erweitern. Der Krieg, der darauf folgte, war grausamer und schrecklicher als je ein Krieg zuvor oder hernach. Viele Wesen wurden damals vom Antlitz der Erde getilgt. Alle Völker kämpften auf Seiten der Götter, die die Erde erhalten wollten, außer die Alben. Denn nur die bösen Götter, die nach der Vernichtung der Erde trachteten, hatten an ihnen geschaffen. So tobte der Krieg neun bittere Jahre lang, bis schließlich, Elopara, die als einzige bisher neutral geblieben war, Partei für die Erde ergriff. Damit liefen auch die Alben zu den Beschützern der Erde über und die bösen Götter waren auf einmal allein. Da kam es zu einer letzten großen Schlacht in der alle Götter kämpften. Und wie ihre Leiber mit einander rangen, da lösten sie sich auf und für einen kurzen Moment entstanden Aïmundr und Balothâ wieder. Sie beschlossen einen Waffenstillstand: Die Schöpfung solle weder erweitert noch verkleinert werden, bis zu jenem Letzten Tag, an dem sich alle Schicksale erfüllen werden. Dann zerriss es die beiden wieder. Das war das Ende des großen Götterkrieges und das endgültige Ende von Aïmundr und Balothâ.“
Der Missionar hatte seine Rede offenbar beendet, darum begann Hammuris langsam zu klatschen. Da es um die beiden Geistlichen herum still geworden war, konnte der Missionar diese eher spöttische Geste kaum überhören. „Mein Bruder“, begann er freundlich an Hammuris gewandt. „Ihr seht aus, als wolltet ihr etwas sagen.“ „Sicher mein Sohn. Was für eine schöne Geschichte. Wirklich, so eine interessante Auslegung der mythischen Geschehnisse habe ich selten gehört.“
„Es ist die Wahrheit, wie Enuin, sie uns lehrte“, gab der Mann zurück und wirkte plötzlich gereizt. „Sicher doch, der Mann, der aus dem See gestiegen ist und behauptete, er sei ein Gesandter der Götter. Ich habe Eure Kollegen schon viel über ihn reden hören.“ „Was meint ihr mit behauptet?“ „Bitte, doch nicht vor all den Leuten“, bat Hammuris mit einem kaum merklichen Zwinkern. „Wenn Ihr mir einfach folgen würdet.“
Der Missionar stieg von seinem Podium und folgte dem Priester, der ziellose durch einige Seitengassen schlenderte. Omib und Culcis folgten ihnen auf den Versen. Offenbar hatte Hammuris seine Beschäftigung für diesen Abend gefunden. Nach einer Weile sagte er: „Der Exodus vom Allquell muss eine ziemlich schreckliche Erfahrung für Euer Volk gewesen sein, mein Sohn.“ „Das war er in der Tat. Obwohl er über 600 Jahre her ist, sind seine Gräuel noch nicht vergessen, Bruder.“ „Und dieser Enuin... er scheint eurem Volk sehr wichtig zu sein“, hakte der Priester nach. „Natürlich! Er ist der göttliche Prophet. Ein Gesandter der Sieben Guten Götter selbst“, antwortete der Missionar mit frommer Inbrunst. „Aber war es nicht letzten Endes Enuin, der für den Exodus verantwortlich war. Hätten sich die Menschen nicht seinen Lehren angeschlossen, wäre es vielleicht nie zu einem so schrecklichen Krieg mit den Elben gekommen und der Exodus, wäre euch erspart geblieben.“
Hammuris hätte erwartet, dass der Missionar an diesen Worten schwer zu kauen gehabt hätten, doch er antwortete ohne zu zögern: „Hätte es den Exodus nicht gegeben, würden wir noch immer zusammengepfercht an den Ufern des Allquell leben und es kaum wagen mehr als 100 Meilen von ihm entfernt Siedlungen zu gründen. Nun aber herrschen unsere Könige und Fürsten über ein gewaltiges Territorium und nicht einmal alle Elbe der Welt könnten uns zur Gefahr werden.“
Hammuris musste zugeben, dass er – zumindest ein ganz klein wenig – beeindruckt war von dieser Antwort. Zum Einen war sie überraschend eilfertig gekommen. Was aber noch viel wichtiger war, war, dass es nicht die Worte eines Fanatikers waren, der in allem vielleicht eine göttliche Prüfung oder dergleichen gesehen hätte. Es war eine durchaus objektiv sinnvolle Sicht auf die Dinge, die der junge Missionar, da zu haben schien. Anstatt sich seine Gedanken anmerken zu lassen, entgegnete Hammuris einfach nur: „Mögen die Götter geben, dass ihr Recht habt, mit eurer Einschätzung, was die Elben angeht. Aber, wie ist eigentlich Euer Name, Sohn?“
„Mein Name lautet Thomais und Eurer, Bruder?“ „Hammuris delei Abheram delei Tervis. Also könnt Ihr mich einfach Hammuris nennen. Es war interessant mit euch zu reden... Thomais. Ich werde Euch vielleicht noch einmal die nächsten Tage einen Besuch abstatten, doch fürs Erste muss ich wieder in den Palast zurück, der König hält heute Abend eine Zeremonie ab, der ich beizuwohnen gedenke. Lebt wohl!“
Und mit diesen Worten ließ er den Missionar auf der Straße stehen und wandte sich dem Heiligen Bezirk zu.




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Re: Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 27. August 2013 20:58

Die Eodos-Saga, Kapitel X

Drenyrs Kehle war trocken und seine Glieder fühlten sich an, als wären sie mit Blei gefüllt, doch immerhin schien das Fieber wieder gesunken zu sein. Vier Tage war es nun her, dass er Mimir in Aldhavn getroffen hatte. Ohne lange zu überlegen, hatte er sich von dem Norsung für die Wachtruppen der Firnburg rekrutieren lassen. Noch am Abend waren sie mit drei weiteren Rekruten aufgebrochen. Sie hießen Fokke, Taldyr und Kneifer. Letzterer trug seinen Namen weil er die Angewohnheit hatte beim Sprechen die Augen zusammenzukneifen, als würde ihn das Licht blenden. Drenyr hatte keine Ahnung, wie sein richtiger Name war. Mimir hatte ihn als Kneifer vorgestellt und auch die anderen beiden nannten ihn so. Taldyr und Kneifer stammten aus Aldhavn. Fokke war ein Fischerssohn aus dem Umland. Die drei schienen anständige Kerle zu sein – im Grunde ihrer Herzen zumindest.
Gleich in der ersten Nacht war Drenyr ins Fieber gefallen. Er hatte versucht, es sich nicht anmerken zu lassen, doch gegen Mittag war er zusammen gebrochen und als Mimir ihm aufgeholfen hatte, hatte der Norsung gemerkt, wie Drenyr Haut glühte. „Bei Gerzyrs moosigem Bart. Jetzt weiß ich auch, warum du schwitzt wie ein Ebermann!“, hatte er geflucht. Er hatte Drenyrs Gepäck auf den Maulesel geladen, den sie mit sich führten, doch darauf bestanden, dass sie ihr Marschpensum für diesen Tag einhielten. Die nächsten Tage waren schlimm gewesen, doch nun schien es bergauf zu gehen mit Drenyrs Gesundheit. Darüber war er natürlich äußerst froh. Schon allein, weil er vor den anderen drei nicht schwach erscheinen wollte.
Sie saßen gemeinsam ums Feuer und reichten den Weinschlauch umher. Drenyr trank zwei kurze Schlucke ehe er ihn an Kneifer weiterreichte. „Wie heißt eigentlich das nächste Kaff, durch wir durchkommen?“, wollte er wissen, nachdem er sich einen tiefen Schluck genehmigt hatte. „Harlar“, antwortete Drenyr, denn er erkannte die Hügel hier und wusste, dass Harlar nicht mehr weiter als drei oder vier Meilen entfernt sein konnte. Und da es mit immerhin knapp 1000 Einwohnern die größte Stadt der Umgebung war, würden sie wahrscheinlich dort ihre Vorräte auffüllen, ehe sie Middenwald durchquerten, wo es – soweit Drenyr wusste – keine einzige Stadt mit mehr als vier- oder fünfhundert Einwohnern gab. „Woher weißte das?“, fragte Kneifer und kniff die Augen noch enger zusammen als üblich. „Ich lebe dort“, sagte Drenyr etwas schärfer als beabsichtigt, woraufhin sich Kneifers Augen zu derart engen Schlitzen verengten, dass Drenyr bezweifelte, dass er noch etwas sah. Doch es war Mimir, der antwortete: „Jetzt nicht mehr; nicht für die nächsten drei Jahre, bis deine Dienstzeit zu Ende. Solange ist die Firnburg dein neues Zuhause.“
Er hatte bei diesen Worten nicht von der Streitaxt aufgeblickt, die er seit etwa einer halben Stunde mit einem rauen Lederriemen schärfte. Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen. „Bestimmt kalt da oben“, merkte Fokke zum etwa zwanzigsten Mal heute an; anscheinend immer noch in der Hoffnung jemand würde ihm sagen, dass es dort oben ein angenehmes, sonniges Klima gab. Doch wie immer bekam er keine Antwort. Dieser Ort hieß sicher nicht umsonst Firnburg, wie Drenyr bei solchen Gelegenheiten dachte.
Ein paar Minuten lang war nichts zu hören außer dem Knistern des Feuers und dem schleifenden Geräusch von Mimirs Axt. Dann fragte Taldyr: „Warum seid ihr eigentlich hier?“ Er räkelte sich am Feuer und wie immer wenn er eine Frage stellte, wirkte er so, als würde ihn die Antwort eigentlich überhaupt nicht interessieren. Mit seinen perfekt sitzenden Kleidern und den stets gepflegt wirkenden rötlich-blonden Haaren, sowie seiner betont gelassenen Art, schien er – wie Drenyr neidlos anerkennen musste – eine Wirkung auf Frauen zu haben, die Drenyr sich selbst voll Bedauerns absprach. Wenn man Kneifer glauben durfte, war er sich dieser Wirkung auch nur allzu bewusst und sie war auch der Grund, warum er Aldhavn so unbedingt verlassen wollte. Zwar hatte Kneifer eher kryptische Andeutungen gemacht, aber anscheinend gab es mehr als einen Vater in der Stadt, der nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechend war.
Da Taldyr und Kneifer sich schon vorher gekannt hatten, war es klar, dass die Frage an Fokke und Drenyr gerichtet war. Der Fischerssohn antwortete zuerst – wenn auch nur nach kurzem Zögern: „Nun mein Vater hat nicht allzu viel Geld. Und ich bin das jüngste von fünf lebenden Kindern. Eigentlich wollte ich dem Orden des Telocath beitreten und Heiler werden, aber dafür muss man lesen und schreiben können und die Göttliche Sprache beherrschen. Bei den Drechslern sollten sie mich auch nicht. Außerdem wollte ich immer schon die Berge im Hadurangebirge sehen.“ An dieser Stelle huschte ein Lächeln über seine Lippen. „Und als dann Hauptmann Mimir“ - denn so hatten sie ihn nun zu nennen - „nach Aldhavn gekommen war und mich auf dem Mark angesprochen hat... da musste ich nicht lange überlegen. Ich meine, als armer Fische bekommt man in seinem Leben nur einmal die Chance, ein Krieger zu werden... ich fürchte nur, es ist bestimmt kalt da oben“, fügte er nach einem Moment an.
Taldry ließ ein Lächeln aufblitzen in dem deutlich ein wenig Herablassung durchschimmerte, ehe er sich aufrechter hinsetzte und dann fragte: „Und du, Drenyr? Du redest nicht viel... über dich schon gar nicht. Was ist deine Geschichte?“
Drenyr sah ihn einen Moment lang durchdringend an, so dass das Lächeln ein wenig als Taldyrs Gesicht schwand, dann raunte er: „Mein Vater... die Wilden aus dem Hadurangebirge haben ihn erschlagen und meine Schwester entführt. Mimir hat gesagt, die Männer oben auf der Firnburg würden gegen diese Bastarde kämpfen. Deshalb bin ich hier.“
Ein besonders lautes Ratschen ertönte, als Mimir ein letztes Mal mit dem Leder über die Axtschneide fuhr, ehe er aufstand und verkündete: „Ich übernehme die erste Wache. Ihr macht das Feuer aus und geht schlafen, später wecke ich dann einen von euch, der mich ablöst.“

Es sollte eine kurze Nacht für Drenyr werden, denn schon etwa eine Stunde später, rüttelte Mimir ihn wach. „Was ist los? Bin ich mit der Wache an der Reihe?“, fragte er den Norsung. Doch der bedeutete ihm nur leise zu sein und ging dann ums erloschene Feuer, um auch Kneifer, Fokke und Taldyr zu wecken.
Während sie sich müde erhoben, wandte sich Mimir wieder an Drenyr: „Du kommst von hier. Kannst du mir sagen, ob heute irgendein Fest oder etwas in der Art bei euch ist?“ Drenyr runzelte die Stirn. „Nein“, antwortete er. „Bis zum Frühjahrsfest sind es noch ein paar Tage. Außerdem war letztens erst das Schöpfungsfest.“ „Dann frage ich mich, was das zu bedeuten hat.“ Mit diesen Worten streckte er den Arm aus und deutete auf einem Punkt in der dunklen Landschaft wo ungefähr der Hof von Drenyrs Familie lag. Da sah er es und es lief im eiskalt den Rücken herab: Feuer! Dort unten brannte es. „Das ist unser Hof!“, stieß Drenyr keuchend hervor. Wie von Sinnen machte er einen Schritt vorwärts, dann noch einen, plötzlich lief er einfach los. Er hörte Mimirs Fluchen hinter sich und ein paar Sekunden später schwere Schritte, die ihm folgten. Auf dem halbem Weg den Hügel hinunter hatte der Hauptmann ihn eingeholt. „Junge!“, schallt er ihn. „Was denkst du eigentlich, was du da machst?“ Hinter ihm kamen jetzt auch Fokke, Kneifer und Taldyr den Hügel hinunter. „Das ist unser Hof“, wiederholte Drenyr. „Es brennt! Seht ihr das denn nicht?“
„Das sehe natürlich, aber hör mir zu! Es gibt zwei Möglichkeiten, warum es brennen könnte: Einmal, dass es einfach nur ein Unfall war. Dann kannst du so gut wie nichts tun, außer dich vielleicht in eine Eimerkette zu stellen. Die zweite Möglichkeit ist, dass die Kerle, die deinen Vater ermordet haben, zurückgekommen sind und das Haus angesteckt haben – das ist ihre Art, reinen Tisch zu machen. In dem Fall kannst du schon dreimal nichts machen.“ Drenyr sah Mimir verdrießlich an. „Also komm“, sagte der Norsung ruppig. „Gehen wir gemeinsam zu deinem Hof. Aber Vorsicht, falls diese Mistkerle noch in der Nähe sind, um sich das Spektakel anzusehen.“
Etwas langsamer, doch immer noch im Laufschritt setzte Mimir seinen Weg fort, aber jetzt folgten ihm die anderen anderen vier auf dem Fuß. Mimir machte ein grimmiges Gesicht, ließ sich aber ansonsten nichts anmerken. Fokke wirkte etwas verängstigt, mit seinen weit ausgerissenen Augen. Taldyrs vollkommen ausdrucksloses Gesicht ließ keinen Schluss über seine Gedanken zu. Kneifer aber fing nach ein paar Minuten an zu klagen ihm sei kalt und er habe keine Lust nachts durch die Wildnis zu laufen. Das ging eine Weile so, bis es Mimir zu bunt wurde, er sich umdrehte, Kneifer auf den Hinterkopf schlug und „Psst!“, machte.
Der Weg war weiter, als Drenyr gedacht hätte. Die Nacht war wolkenverhangen und deshalb absolut schwarz, so war das Licht des brennendem Haus heller und näher erschienen. Drenyr hatte anfangs noch gehofft sich zu täuschen und, dass in Wahrheit ein anderer Hof brannte, doch mit jedem Schritt, den sie sich näherten, schwand diese Hoffnung mehr und mehr. Als sie nach etwa einer halben Stunden an dem Hof ankamen war das Feuer schon merklich nieder gebrannt. Die letzten hundert Schritt sprintete Drenyr und rief durch die Nacht: „Hestryr! Mutter! Kerllach!“ Einige bange Momente lang, kam keine Antwort, dann hörte er eine Stimme antworten: „Drenyr?“ Es war Girda, die gerufen hatte. Drenyr erkannte ihre Silhouette im Feuerschein. Um sie herum standen oder liefen Menschen, zum Teil mit Eimern in den Händen. Doch Drenyr nahm diese Leute kaum wahr. Von hinten trat Mimir an seine Seite. Er musterte die Situation mit dem geübtem Blick eines Mannes, der erfahren hatte, was es bedeute, in Gefahr den Überblick über die Lage zu verlieren. „Wo sind meine Brüder? Wo sind Hestryr und Kerrlach?“, wollte Drenyr wissen. Girda zögerte. „Wo?!?“, schrie er sie an. „Die beiden sind... wohlauf... sie sind da hinten.“ Sie deutete mit der Hand auf zwei Gestalten, die in ein paar Schritt Entfernung im Gras knieten. Drenyr ging auf sie zu. Seine Brüder knieten im Gras und was zwischen ihnen lag, ließ Drenyr auf die Knie sinken.
Der Leichnam seiner Mutter war kaum noch zu erkennen. Ihre Haar und ihre Kleidung waren größtenteils verbrannt oder hatten sich mit dem Fleisch verbunden. Die Haut war rötlich-schwarz und hatte Blasen geworfen. Große Teile der Gesichtshaut waren gänzlich verbrannt. Die Augen schienen in den Höhlen geschmolzen zu sein. Keiner der drei sagte auch nur ein Wort.
Ich habe mich nicht einmal von ihr verabschiedet, schoss es Drenyr durch den Kopf. Dann spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Es war Mimir. „Es tut mir Leid“, war alles was er sagen konnte. Drenyr fühlte sich einfach nur leer. Innerhalb von nur wenigen Tagen hatte er seine beiden Eltern verloren. Wo war die Gerechtigkeit in dieser Welt?
Als er aufsah, fiel sein Blick auf einmal auf eine Gestalt, die kaum zu erkennen war im der Licht der mittlerweile niedergebrannten Feuer. Sie stand am nahe gelegenem Waldrand, an einen Baum gelehnt, mit verschränkten Armen stand und feist grinste. Auf ihrem Kopf saß ein bräunlicher Filzhut. Es einer der Männer die vor wenigen Tagen ihren Hof überfallen hatten. In diesem Moment verbrach etwas in Drenyr. Etwas, das seinen Lebtag nicht mehr zusammenwachsen sollte. Langsam, wie in Trance erhob er sich. Er tastete nach hinten, als wolle er sich beim Aufstehen an Mimir abstützen. Dabei fand seine Hand, was er suchte. Einen langen Dolch, der im Gürtel des Hauptmanns stecke. Er zog ihn heraus, ohne dass Mimir, der mit bekümmerten Gesicht in die Flammen starrte, etwas gemerkt hätte. Er machte einen wankenden Schritt nach vorne, an seinen Brüdern vorbei. Seine Augen tränten vom Rauch und der Trauer. Er steckte den Dolch in seinen Gürtel und zog einen Pfeil aus dem Köcher, den er noch immer umgeschnallt hatte. Er legte ihn an die Sehne. Plötzlich fiel der Blick der feisten Gestalt auf Drenyr und ihre Miene änderte sich schlagartig von einem Grinsen zu einer erschrockenen Maske. Ein Sirren ertönte. Der Räuber wollte hinter den Baum springen. Da war ein dumpfer Aufschlag zu hören, als sich der Pfeil in seine Schulter bohrte. Einen Moment später stand Drenyr über ihm. Er sah den Mann einen Moment lang mit Abscheu in den Augen an, dann trat er zu. Dreimal, viermal in die Rippen des Mannes, bis er spürte, wie sie brachen. Der Gebirgsmann wand sich winselnd am Boden, doch Drenyr packte ihn bei der Kehle, den Schatten, der sich in seinem Rücken bewegte nicht bemerkend.
„Wo habt ihr verdammten Banditen meine Schwester hingebracht?“, knurrte Drenyr den Mann an. Der röchelte und spuckte Blut. Drenyr lockerte den Griff um seine Kehle, so dass er zu Atem kommen konnte. Einen Moment lang atmete der Gebirgsmann schwer, dann breitete sich unerklärlicher Weise ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Drenyr starrte ihn nur entgeistert. Dann hörte ein Geräusch hinter sich. Er schnellte herum, nur um zu sehen wie ein Dolch auf seine Brust zuraste... und eine handbreit vor ihr stehen blieb. Der Mann, der den Dolch in der Hand hielt – ebenfalls Haduraner – stand noch einen Moment lang halb gebückt über ihm, dann fiel er zu Seite. Eine Axt steckte in seinem Rücken. Einen Augenblick später trat Mimir an seine Stelle und zog die Axt aus dem Leichnam. Taldyr, Kneifer und Fokke tauchten hinter ihm auf; Messer in den Händen. Plötzlich war von Links ein heiserer Schlachtruf zu hören und zwei der Brandstifter stürmten aus dem Unterholz. Mimir machte mit beiden kurzen Prozess.
Es waren um sie herum hektische Schritte zu hören und Drenyr war sich sicher, dass ihre Kameraden gerade das Weite suchten. Mimir stand über ihm. Er half Drenyr, der mittlerweile auf dem Rücken lag, auf die Beine und verpasste ihm eine saftige Ohrfeige. „Nie wieder, Junge!“, schnauzte er ihn an und nahm ihm den Dolch aus der Hand. „Du hättest sterben können! Meinst du eigentlich ich habe Lust, jeden Monat den ganzen Weg von der Firnburg nach Aldhavn zu reisen, nur weil unsere Rekruten nicht auf sich selbst aufpassen können und wir Nachschub brauchen.“ Dann fügte er in etwas versöhnlicherem Ton hinzu: „Aber zumindest mangelt es dir nicht an Mut. Und bei den Göttern! Du hast verflucht nochmal allen Grund, diese Bastarde zu hassen. Dann wissen wir immerhin, dass du keine Fahnenflucht begehen wirst.“ Sein Blick flackerte kurz zu Fokke hinüber, erst dann fiel er auf den Banditen, der immer noch um Atem ringend am Boden lag. „Er gehört du ihnen? Weiß er, wo sie deine Schwester hingebracht haben?“, fragte er. „Ich hatte noch keine Zeit ihn zu vernehmen“, entgegnete Drenyr und beugte sich wieder über den Mann. „Also wo ist meine Schwester? Du weißt, wer sie war. Du warst damals da! Rede endlich!“
In seinem seltsamen Dialekt antwortete der Haduraner mit rasselnder Stimme: „Meins du wi hea'n die klinne Schlam'e noch bei uns? He? Sie hae'n wi länst vakauft.“ Drenyr hieb dem Mann ins Gesicht. „Sprich nicht so von meiner Schwester. An wen habt ihr sie verkauft?“ „An Ragten unsan Anfüh'a. Un der hea't se schon witter vakauft, könnt ich minne Klöten drauf vawetten.“
Drenyr stand angewidert auf. „Ich fürchte, er sagt die Wahrheit“, meinte Mimir. „Die Haduranen verkaufen ihre Gefangenen meistens sofort – vor allem wenn es Mädchen sind. Außerdem, glaube ich kaum, dass dieses Stück Dreck seinen Herren decken würde, wenn er dafür Schmerzen befürchten müsste.“
Der Gebirgsmann grinste breit und entblößte faulige Zähne. „Un jez brint mich zu nem Gericht oda so. Wo son Richter mi sa't wa für en böse Mann ich bin und mich dann in en gemü'liches Gefänis steckt. Is bessa als die scheiß Be'ge.“
„Nun“, begann Mimir in die Leere blickend, und so laut, dass alle ihn hören konnten. „So wie ich die Sache sehe, Drenyr, hat dieser Mann deinen Hof angezündet und ist mitschuldig für den Tod deiner beiden Eltern. Laut dem königlichen Recht steht darauf der Tod durch Aufschlitzen der Kehle. Und als einer der Hauptmänner der Firnwache ist es mir erlaubt, über die Gebirgsmenschen des Haduran an Richters oder des Königs Statt, Recht zu sprechen.“ Das Grinsen verschwand endgültig aus dem Gesicht des Mörders. „Drenyr! Ich denke niemand hat ein größeres Recht, das Urteil zu vollstrecken als du... wenn du das willst.“ Er hielt dem Jungen den Dolch wieder hin.
Drenyr kannte genug Geschichten über große Helden oder solche aus der Kirche gehört, um zu wissen, dass ein wahrer Held für persönliches erlittenes Unrecht stets Gnade walten ließ. Ein Mann wie der tugendhafte Ritter Zirfal, aus einer von Drenyrs Lieblingssagen, würden den Mann in ein Gefängnis werfen oder sonst etwas unternehmen um ihn unschädlich zu machen. Doch ein Held würde ihn niemals töten.
Unglücklicherweise war Drenyr kein Held. Er nahm den Dolch und stelle sich hinter den Mann. Er zog ihn an den Haaren auf die Knie und drückte den kalten Stahl an seine Kehle. „Möge das Ith dich holen!“, waren seine letzten Worte an den Mann. Dann öffnete er dessen Halsschlagader. Von dieser Nacht an war Drenyr ein anderer Mann.




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Re: Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 7. September 2013 19:43

Die Eodos-Saga, Kapitel XI

Der süßliche Geruch des Weihrauchs erfüllte die Luft und umwehte die Anwesenden. Hammuris stand vor dem Altar mit einem goldenen Dolch in der Hand. Neben ihm waren noch gut ein Dutzend weiterer Priester, ein vielköpfiger Chor, der Hohepriester Nzufech so wie Hochkönig Argtenkaz persönlich anwesend. Der Monarch thronte auf seinem goldenem Stuhl am Ende des Raumes und betrachtete das Opfer mit Argusaugen. Als Hochkönig wurde er als der göttliche Spross der Flussgötter Trephuat und Sirgit angesehen. Sollte bei diesem Opfer etwas schief gehen, dann würde es also nicht nur als Beleidigung der beiden Götter sondern auch als Beleidigung des Königs selbst aufgefasst werden. Und wer den König beleidigte, der sollte lieber schnell seinen Frieden mit der Welt machen.
Dafür, dass die Gefahr bestand für einen falschen Schritt gevierteilt zu werden, war Hammuris ziemlich entspannt. Das hier war schließlich nicht sein erstes Opfer. Der Choral erhob einen tiefen kehligen Gesang, als Hammuris die Klinge nacheinander in zwei Tonkrüge tauchte, die mit den Wassern der beiden Flüsse gefüllt waren. Dann wandte er sich um und präsentierte die nasse Klinge den Gläubigen, die vor der Zikkurat versammelt waren. Sie erhoben Lobgesänge, als sie das schimmernde Edelmetall sahen. Hammuris unterdes schritt würdevoll zu dem Altar, wo zwei seiner Priesterkollegen sich damit abmühten eine Zeige auf den rötlichen Sandstein des Opferaltars gedrückt zu halten.
Die eigentliche Opfer dauerte nur Augenblicke. Hammuris hob den Dolch mit beiden Händen hoch. Rief Trephuat und Sirgit herbei und rammte die Klinge dann in den Hals der Ziege. Das Tier erschlaffte augenblicklich. Er verneigte sich kurz und gab das goldene Messer an einen der jüngeren Priester weiter, der es säuberte, ehe er es Hammuris zurückgab, der es in einer gepolsterten Schatulle verschloss.
Damit war der Höhepunkt des Gottesdienstes vorbei. Die Menge begann, sich zu zerstreuen. Die Flussgötter waren besonders beim einfachen Volk, bei den Bauern und Tagelöhnern, beliebt. Sie versprachen eine reiche Ernte und ihr Kult war unkompliziert und frei von philosophischen Fragestellungen oder allzu einschränkenden Lebensvorschriften. Hammuris hingegen bevorzugte Balôtha. Der dunkle Gott des Unseins war für den gebildeten Geist um einiges interessanter; die Ansichten seines Kults gerade zu anarchistisch.
Aber natürlich sollte ein Priester genauso wenig einen Lieblingsgott haben, wie ein Kind eines seiner Eltern dem anderen vorziehen sollte, schalt sich Hammuris bei solchen Gedanken selbst.
Sobald er die Zikkurat zusammen mit den anderen Priestern verlassen hatte, traten Omib und Culcis wieder an seine Seite. Da die beiden keine Priester waren, war es ihnen genauso wenig erlaubt die Zikkurat zu betreten wie dem Pöbel.
Die beiden Leibwächter wichen ihm auf dem Weg durch Jurnas prächtigen Garten bis zu seinen Gemächern im Palast keinen fußbreit von der Seite. Erst als er sein Zimmer erreichte und die verzierten Zedernholztüren schloss, war er sie los. Hammuris atmete auf. Langsam machte sich das Alter bei ihm bemerkbar. Nicht, dass die anderen Priester seines Ranges wesentlich jünger gewesen wären. Hammuris gehörte zur höchsten Priesterkaste nach dem Hohepriester und dem Hochkönig. Dieser Kaste – dem Zikkuratzirkel – gehörten insgesamt nur sechs Priester an. Keiner war jünger als 45 Jahre. Aus ihren Reihen würde der nächste Hohepriester vom König berufen werden. Und angesichts der Tatsache, dass der amtierende Hohepriester schon 76 Jahre lang auf Erden weilte, war es vermutlich nicht mehr lange, bis die nächste Ernennung anstand. Die übrigen Hofpriester des Zirkels wurden langsam unruhig. Hammuris konnte das spüren. Als Favorit galt zwar Chaldheram, der mit 61 der älteste Priester im Zirkel war, doch auch die anderen malten sich ihre Chancen aus. Hammuris war da keine Ausnahme. Doch fürs erste wäre er schon froh die schwere Zeremonienrobe gegen ein leichteres Gewand eintauschen zu können.
„Saherab!“, rief er und stellte sich in die Mitte des Raumes. Eine Tür öffnete sich und ein achtzehnjähriger Bursche trat heraus. Er hatte kurzes gelocktes Haar und war für sein Alter recht klein und schmächtig. Als Priester war ihm die Haltung von Sklaven verboten – von persönlichen Bediensteten war hingegen keine Rede.
„Entkleide mich!“, forderte Hammuris auf und streckte die Arme seitlich auf, worauf der junge Mann nickte und sich ans Werk machte. Tatsächlich war es so gut wie unmöglich das schwere Priestergewand alleine an- oder abzulegen. Darum war es auf Saherabs Hilfe angewiesen. Außerdem war es natürlich einfach bequemer. Der Junge nahm den Priester Stück für Stück seiner prachtvollen Kleidung ab und verstaute sie auf einem eigens dafür vorgesehenen Ständer. Der hohe goldene Hut, der schwere Umhang aus burgunderfarbenem Samt, die mit Silber und Gold bestickte Stola, der Chorrock, der mit Goldplättchen belegt war und das weiße Unterkleid mit dem bestickten Saum landeten auf besagten Ständer.
Hammuris stand jetzt nur noch mit einem schlichten Unterrock aus Baumwolle bekleidet da. Er war nass geschwitzt. Wie alle Thebiter war er natürlich warme Temperaturen gewöhnt, doch die drückende Hitze in der Zikkurat und unter dem vollen Ornat waren selbst für ihn eine Belastung. „Ich werde mich jetzt baden und danach will ich noch einen kleinen Spaziergang machen, ehe ich mich zur Konferenz der Zirkelpriester begebe. Lege mir bitte Kleidung heraus, die für beide Anlässe geeignet ist.“ „Natürlich, Halim!“ „Du bist ein guter Junge“, antworte Hammuris lächelnd, wobei er Saherab eine Hand an die Wange legte. Dann drehte er sich um, um sich ins Bad zu begeben.
Nachdem er Schweiß, Schmutz und Rauch abgewaschen hatte, betrat er wieder den Hauptraum seiner Gemächer, wobei er sich vorher gründlich abtrocknete um den Boden nicht zu beschädigen. Dieser bestand aus verschiedenfarbigen Hölzern die auf dem Boden anmutige Muster bildeten. Saherab hatte ihm einen frischen Unterrock herausgelegt so wie ein weißes Kleid, das mit goldenen Borden abgenäht war. Der junge Mann hatte gut gewählt, wie Hammuris fand. Als er hörte wie sein Herr sich im Hauptraum umzog, kam er aus seiner Kammer um ihn zu helfen. Für dieses relativ einfache Gewand, brauchte er Saherabs Hilfe eigentlich nicht, dennoch ließ er sich behilflich sein. „Was kann ich sonst noch für Euer Wohlbefinden tun, Halim?“ „Du? Nichts, aber ich danke dir mein Sohn.“
„Ihr seht bedrückt aus“, stellte Saherab fest. Hammuris seufzte, und sank auf eine Liege, die hinter ihm stand. Er packte seinen Diener an einer Hand, um ihm zu bedeuten, er solle sich ebenfalls setzen. „Wo soll ich da anfangen, mein Saherab? Du hast natürlich recht.“ Er musterte den Knaben, dann fuhr er fort. „Ich glaube, du bist ein gescheiter Kerl, also mag ich es dir erklären: Der mächtigste Mann in Kazahd ist der Hochkönig – möge sein Name ewig wären – doch wenig hinter ihm kommt der Hohepriester. Er ist der religiöse Führer des Volkes – zusammen mit dem König. Er ist Mittler zwischen den Welten und Lehrer in allen Glaubensfragen. Seine Aufgabe ist es, den Schwachen zu helfen, die Menschen anzuleiten und die Gunst der Götter für unser Volk zu gewinnen. Doch wie ich bereits sagte, geht mit dem Amt des Hohepriesters auch große Macht einher. Nicht alle wollen diese Macht zu Gunsten der Menschen einsetzen. Unser jetziger Hohepriester führt sein Amt gut aus“ ... oder zumindest nicht überdurchschnittlich schlecht „aber ist alt... und krank und wird sein Amt bald räumen müssen.“
„Und dann werden die Priester aus dem Zirkel um seine Nachfolge kämpfen“, führte Saherab den Gedanken zu Ende. „Und Ihr fürchtet diesen Kampf, Halim?“ „Den Kampf und seinen Ausgang. Es könnte recht brutal werden. Nzufech ist seit 35 Jahren Hohepriester, seine potenziellen Nachfolger lechzten förmlich nach seinem Posten.“ „Ihr auch?“, fragte Saherab scheinbar unschuldig. Hammuris antwortete auf diese Frage nicht. Tatsächlich war er sich selbst nicht darüber im Klaren, wie weit er gehen würde, um Hohepriester zu werden. Doch die Sache versprach, schmutzig zu werden. Nzufech war einfach schon zu lange im Amt und Argtenkaz war ein schwacher König. Die Stellung als Hohepriester war wohl nie attraktiver gewesen.
„Ich glaube jedenfalls, ihr wäret ein guter Hohepriester“, verkündete Saherab nach einer Weile unangenehmen Schweigens. Hammuris lächelte und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Für solche Worte liebe ich dich“, sagte er und erhob sich. „Aber jetzt musst du mich entschuldigen, ich möchte rechtzeitig von meinem Spaziergang zurück sein. Wenn ich wieder komme erwarte ich, dass du gekocht hast.“ Saherab nickte ergeben und Hammuris verließ das Zimmer.
Sofort traten wieder seine beiden Leibwächter an seine Seite. Der Priester seufzte. „Wir werden noch ein wenig spazieren, ehe ich mich zur Versammlung begebe.“ Die beiden gaben kein Zeichen, ob sie ihn verstanden hatten, doch Hammuris nahm einfach einmal an, dass dem so war und setzte sich in Bewegung.

Schon wenige Schritt vom Tor des Heiligen Bezirks entfernt, erreichte er das Ziel seines Spaziergangs. Es war der junge Missionar Thomais. Sein dunkelgrauer Soutane sah selbst gegen das vergleichsweise einfache Gewandt, das Hammuris gerade trug, doch ein wenig armselig aus. „Mögen die Sieben Guten Götter Euch segnen“, begrüßte Thomais ihn. Der Priester lächelte und fuhr mit der Hand durch seinen aufwendig gelockten Bart. „Möge Aïmundr Euch die Tatkraft und Balôtha die Ruhe gewähren!“, gab er zurück. Thomais lächelte ob dieses scherzhaften Schlagabtauschs bei der Begrüßung. Er hatte an einer Häuserwand gelehnt, stellte sich nun jedoch aufrecht hin. „Bruder, wie kommt es eigentlich, dass ihr Thebiter einen Gott wie Balôtha anbetet und ihm eure Verehrung erweist? In meiner Religion gilt er als Schöpfer der bösen Götter und Quell allen Übels, der Aïmundrs Plan der Schöpfung in Unordnung gebracht hat.“
„Die Frage mag ich dir gerne beantworten, mein Sohn: Wir trennen nicht zwischen guten und bösen Göttern; wie ihr es tut. Noch trennen wir zwischen den großen und kleinen Göttern wie etwa die Filipi. Wenn es überhaupt Hauptgötter in unserer Religion gibt, so sind das Balôtha und Aïmundr. Denn sie sind, wie du richtig sagtest mein Sohn, die Quelle aller anderen göttlichen Entitäten. Über ihnen stehen nur noch Eo und Ia und das allumfassende Nichts.“
„Aber ist es nicht schwer ein sittliche Leben von Priestern und Gläubigen zu verlangen, wenn ihr auch Götter wie Jiupp – den Dämon des Wahnsinns – oder Jurtelo zu den Göttern zählt? Muss man nicht von Priestern, die Eumedes und Quira anbeten, geradezu erwarten korrupt zu sein?“
„Ich fürchte die Lehren, die ein Priester vertritt, müssen nicht immer seinem Lebenswandel entsprechen – im Guten wie im Bösen. Auch wenn man natürlich schon erwarten sollte, dass ein Geistlicher nicht gerade das Gegenteil seiner Lehre lebt. Aber wie ist es euch? Sind alle eure Priester und Ordensleute immer im Einklang mit Enuins hehren Lehren und denen der Götter, die ihr die Guten nennt.“
Thomais lachte. „Bruder, wenn dem so wäre, würde ich Leib und Leben dafür einsetzen, dass alle Könige und Fürsten dieser Welt durch Priester der Euniun-Lehren ersetzt werden. Nichtsdestotrotz: Gute Lebensregeln helfen den Menschen, ein gutes Leben zu führen. Die meisten wollen ja von sich aus immer gut und gerecht handeln und sind dankbar für die Anleitungen der Götter. Und wer diese Regeln einmal nicht befolgt, dem hält Enuin stets die Hand offen umzukehren. Dadurch, dass wir die Götter, die zu Missgunst und Gewalt auffordern, aus unserem Pantheon verbannt haben, bleiben nur noch die Lehren, die zu Frieden und Miteinander auffordern“
„Wurden nicht schon mehr als ein Krieg dieser Religion wegen geführt? Wie passt das zusammen?“
„Bruder, du sagtest es bereits: Ein Priester kann nicht immer dem Weg seiner Götter vollständig folgen. Schon gar nicht, kann es ein König, der vor den Göttern ein Laie ist. Aber denke doch nur, wie viele Kriege nicht geführt worden sind, aufgrund von Enuins Lehren. Natürlich kann über diese Kriege, die nie eingetreten sind, niemand schreiben, doch leben die Westlichen Königreiche in relativem Frieden – die meiste Zeit zumindest.“
Hammuris, dachte darüber nach. Da Enuin sechs der Dreizehn Götter aus dem Pantheon nicht einfach nur gestrichen, sondern sie aufs Ärgste verteufelt hatte, war es oft zu Konflikten zwischen den Anhängern Enuins und denen anderes Religionen gekommen. Manchmal waren die Gläubigen Enuins die Aggressoren gewesen, manchmal die Völker, die durch ihren Kult ihre Götter beleidigt sahen. Aber wie bemaß man eigentlich die Kriege, die durch eine Religion nicht verursacht, sondern verhindert worden waren? War es in den Westlichen Königreichen wirklich ruhiger als es ohne Enuin gewesen wäre? Wenn Hammuris an die alten Zeiten dachte, als die Stadtstaaten und Kleinkönigreich der Thebiter noch unabhängig gewesen waren und oft untereinander Krieg geführt hatten, dann konnte er diesen Gedanken zumindest nicht völlig von der Hand weisen auch wenn er nicht vollends überzeugt war.
„Du bist ein kluger Mann, mein Sohn. Zumindest für einen Menschen, der einer so seltsamen Lehre folgt.“ Ehe er weitersprechen konnte, meldete sich Omib zu Wort – das erste Mal seit Tagen, dass er sprach. „Die Versammlung beginnt bald. Wir müssen zurück.“ Dabei sah er den Priester nicht an, sondern starrte nur regungslos ins Leere.
„Das nächste Mal, werden wir uns über Balôtha unterhalten, da gibt es einiges für dich zu lernen, mein Sohn“, sagte Hammuris mit einem milden Lächeln und ließ sich von seinen Leibwächtern zur Zikkurat geleiten.

Die Versammlung fand in einem der unteren Teile des Gotteshauses statt. Hammuris war der letzte, der den runden Raum mit der niedrigen steinernen Decke betrat, doch offenbar nicht mit großer Verspätung. Der Raum hatte zwei Türen; schmucklos aus schwerem dunklem Holz. Vor einer standen die Wachen der sechs Priester, die andere führte weiter ins Tempelinnere. Auch der Raum an sich zeigte wenig Zugeständnis an Verzierung und unterschied sich damit deutlich vom Rest der Zikkurat. Sechs steinerne Bänke waren um einen steinernen Tisch errichtet. Lediglich das Fries an der Decke, das den stilisierten Kampf zwischen Aïmundr und Balôtha darstellte, schmückte den ansonsten kargen Raum.
Hier saßen sie alle aufgereiht, die höchsten Priester von Ahd: Harubar, ein recht großer und muskulöser Mann Mitte vierzig, Tschaharab, der eine lange Narbe im Gesicht trug und lange als Feldpriester und Offizier gedient hatte, Igomephris ein Mitfünfziger mit einem beachtlichen Leibesumfang. Im krassen Gegensatz dazu stand der 53jährige und hagere – ja asketisch wirkende – Nebarkazar. Chaldheram trug als einziger volles Ornat, was seine würdevolle Stellung als wahrscheinlichster Nachfolger des Hohepriester unterstrich. Und dann war da natürlich noch Hammuris.
„Ah ja, sehr schön, sehr schön. Nun da Halim Hammuris auch eingetroffen ist, können wir mit unserer Sitzung anfangen“, verkündete der alte Priester und sah in die Runde.
„Wie wir alle wissen ist unser geliebter Hohepriester Nzufech schwer krank. Ich habe vorhin noch mit ihm gesprochen. Er sagt. er fühle sich jeden Tag matter. Nun ist der Tod eines so verdienten Hohepriesters wie Nzufech es sicher war, ein schwerer Schicksalsschlag, doch sollten wir trotzdem damit anfangen Überlegungen für seine Nachfolge anzustellen – ehe er diese Welt verlässt. Sicher: Es ist der König der auf göttliches Mandat hin den neuen Hohepriester bestimmt, doch wer könnte den Willen der Götter besser vorausahnen als wir?“
Chaldheram lächelte. Eines musste man ihm lassen: Er schaffte es seine Wünsche so zu formulieren, dass es klang als würde er sie nur aus frommen Motiven heraus hegen. Natürlich hatte er recht. Eigentlich stand dem Hochkönig als Vertreter der Götter das Recht zu, den Hohepriester zu ernennen. Doch in der Geschichte des Landes hatten sich schon deutlich standhaftere Herrscher als Argtenkaz II. dem Wunsch des Priesterkollegs beugen müssen, was die Nachfolge des Hohepriesters anging. Kein Zweifel: Wen auch immer der Zirkel unter sich als Nachfolger Nzufechs ausmachte, Argtenkaz würde ihn ernennen.
„Und haben Euch die Götter bereits offenbart, welchen von uns sie als geeignetsten Kandidaten erachten?“, fragte Igomephris. Natürlich hätte er auch einfach fragen können: Wen schlagt ihr vor?. Aber es war ein Spiel, das sie alle mitspielten – mitspielen mussten, obwohl sie unter sich waren.
„Die Geschichte lehrt uns, dass ein Hohepriester vor allen anderen Dingen eines besitzen muss: die Weisheit eines langen Lebens“, antwortete Chaldheram ganz so als wäre ihm gar nicht klar, dass er sich damit selbst als Nachfolger vorschlug.
„Doch tut es dem Volk am besten, wenn die Hohepriester ihr heiliges Amt möglichst lange ausüben können, Halim Chaldheram. Auch Nzufech kam in jungen Jahren in sein Amt. Darum würde den Göttern vielleicht ein junger Hohepriester besser gefallen“, konterte Harubar, der jüngste mit gespielt nachdenklichem Ton.
„Auch mir scheint es so, als würden die Götter einen jüngeren Mann bevorzugen, der unser Volk mit der Kraft seines Geistes und Körpers zu führen vermag“, meinte Igomephris. „Ist das so?“, machte Nebarkazar. „Mir scheint es allerdings auch richtig, dass ein Mann mit größter Lebenserfahrung Priester werden wollte – ja das scheint mir der Plan der Götter zu sein.“
„Der Götter sind viele. Götter des Krieges und Götter des Friedens müssen gleichermaßen geehrt werden. Mir scheint, die Götter wollen diesmal einen Hohepriester im Amt sehen, der unser Volk auch im Krieg zu führen vermag“, ließ Tschaharab verlauten, der als einziger eine militärische Ausbildung genossen hatte.
Nun war es an Hammuris seine Meinung kundzutun. Er hatte vier Möglichkeiten: Er konnte sich selbst vorschlagen, mit welchem Argument auch immer. Allerdings stünde er dann alleine dar. Er konnte Tschaharab unterstützen. Damit hätten alle drei Kadiaten neben sich selbst je einen weiteren Unterstützer. Damit würde er den Status Quo fürs Erste aufrechterhalten. Oder er konnte Chaldheram oder Harubar unterstützen. Damit wäre zwar noch nichts entschieden, doch mit zwei Unterstützern im Rücken, hätte einer der beiden einen großen Vorteil. Er zögerte. Saherabs Worte fielen ihm wieder ein. Was wollte er eigentlich? Da er selbst nur sehr geringe Aussichten hatte zu gewinnen, vor allem einen langen Streit vermeiden. Und wenn er sich zwischen Chaldheram und Harubar entscheiden musste, dann nahm er lieber den älteren der beiden. Denn wer konnte schon sagen, ob Hammuris Chancen auf einen Sieg bei einer erneuten Vergabe des Amtes in ein paar Jahren nicht besser stünden?
Also begann er: „Die Götter lehren uns viele unterschiedliche Dinge. Oft scheinen sie einander zu widersprechen, doch mit jeder Lehre und jeder Weisheit kommen wir der Wahrheit näher. Darum scheint mir der Wille der Götter zu sein, dass ein Mann der möglichst viele Lehren kennt Hohepriester werden sollte.“
Man konnte förmlich sehen, wie die Anspannung von Chaldheram abfiel. Seine Stimmung wurde noch von Tschaharab gesteigerte, der einknickte und sagte: „Zwar bin ich immer noch der Meinung, dass ein Hohepriester seinem Volk auch in kriegerischen Zeiten mit Rat und Tat zur Seite stehen sollte. Doch abgesehen davon ist der Erfahrene natürlich dem Unerfahrenem vorzuziehen.“
Damit war es so gut wie beschlossene Sache: Chaldheram würde Nzufechs Nachfolge antreten.
Auch von Hammuris fiel die Anspannung ab. Seit Tagen hatte ihn der Gedanke an diese Versammlung zunehmend nervöser gemacht. Er hätte nicht gedacht, dass alles so reibungslos und vor allem schnell ablaufen würde. Das er sich selbst nicht als Kandidaten hatte einbringen können, war zwar ein kleiner Wermutstropfen, doch damit würde Hammuris fürs Erste leben können.
Chaldheram lächelte mild und sagte: „Nun da wir jetzt den Willen der Götter ausgelotet haben, lasst uns überlegen, wer unter uns ihren Erwartungen am ehesten entspricht.“
Doch Chaldheram sollte nicht mehr dazu kommen, sich selbst als geeignetsten Kandidaten vorzuschlagen. Denn in diesem Moment flog die Tür auf, die ins Tempelinnere führte. Alle schraken zusammen. In der Tür stand ein großer schlanker Mann, dessen Gesicht von einem schwarzen Schleier verdeckt wurde. Er zögerte keinen Moment lang, sondern zog ein Messer aus der Tasche und warf es quer durch den Raum. Mit einem furchtbar schmatzenden Geräusch blieb es in Chaldherams Kehle stecken. Alle schrien panisch durcheinander, während der vermummte Mann sich zur Flucht wandte. Einen Moment später flog die andere Tür krachend auf und die Leibwächter der Priester stürmten herein. Sofort nahmen sie die Verfolgung des Attentäters auf. Nur zwei blieben zurück um zu sehen, was sie für Chaldheram tun konnten. Doch Hammuris wusste genug von Medizin, um zu erkennen, dass man den alten Priester nicht mehr würde retten können. Er rang einen Moment mit sich, dann folgte er den Wachen.
Die Treppen im Inneren des Zikkurats waren schmal und steil und schnell verlor Hammuris den Anschluss an die Leibwächter, die ihrerseits hinter dem Attentäter zurückfielen. Immer wieder wurde der schmale Korridor von großen Sälen und Säulenhallen unterbrochen. Hammuris konnte nur noch am Geräusch der Schritte erahnen, welchen Weg die Leibwächter genommen hatten. Doch wer auch immer die vermummte Gestalt war, sie schien sich in Richtung des Daches zu bewegen. Und dort oben würde sie in der Falle sitzen.
Normalerweise hätte Hammuris die Verfolgung schon nach der Hälfte der Stufen völlig entkräftet aufgegeben, doch er wollte unbedingt als erster erfahren, wer Chaldheram umgebracht hatte und warum.
Nur noch langsam und keuchend kam er voran, als er links von sich Schritte hörte. Lob sei den Göttern, sie sind auf einer der Zwischenterrassen. Wüste Kampfgeräusche drangen an das Ohr des Priester, während er völlig abgekämpft durch einen dunklen Gang hastete der, wie er wusste, zu einer der Terrassen führte.
Als er nach draußen kam, sah er gerade noch wie der Attentäter von zehn Wachmännern umringt auf der Brüstung stand. Er sitzt in der Falle!, freute er sich und wollte zu den Männern hinüber gehen. Doch noch ehe er einen Schritt tun konnte, rammte einer der Leibwächter de, Mann sein Schwert durch die Brust. Der Meuchelmörder ließ einen gurgelnden Laut vernehmen, kippte nach hinten über und fiel gut 50 Fuß tief auf die nächsttiefere Terrasse.
„Du Trottel! Du elender gottverdammter Trottel! Ist Jiupp in dich gefahren, oder warum hast du das getan?“, schrie Hammuris den Mann, der den Attentäter umgebracht hatte, an und schritt nun endlich zum ihm herüber. Der Angesprochene drehte sich um und zuckte mit den Schultern. Er war ein breitschultriger Mann mit rotbraunen Haaren aus den Westlichen Königreichen. „Wieso?“, antwortete er in gebrochenem Thebitisch. „Er war Bedrohung. Ich habe beseitigt Bedrohung. Der bringt niemand keinen mehr um.“
„Nur wird er un auch niemand keinem mehr verraten, warum er Chaldheram umgebracht hat, oder wer sein Auftraggeber war. Hast du einmal daran gedacht?“ Der Mann sah zerknirscht drein antwortete jedoch nicht. Kopfschüttelnd beugte sich Hammuris über die Brüstung und sah auf den zertrümmerten Körper des Meuchelmörders hinab. Zumindest so viel war sicher: Der würde wirklich niemanden mehr töten. Und auf noch etwas konnte man Gift nehmen: Das würde noch eine ganze Menge Ärger am Hof geben.




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Re: Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 3. Dezember 2013 16:26

Die Eodos-Saga, Kapitel XII
~Albrecht


Jurnas gab den Hopfen! Gerezon das Bier! Mit einem guten Tropfen spricht Ansivi zu dir!“ Albrecht sang aus voller Kehle, wenn gleich ein wenig schief, mit, ehe er den vollen Humpen an die Lippen setzte. „Trink, trink, trink!“, feuerten seine Zunftgenossen ihn an, während er den Krug immer weiter kippte und schließlich mit einem lauten Ahh kopfüber auf den Tisch knallte um zu zeigen, dass er leer war.
Albrecht war jetzt 24 Jahre alt und hatte an diesem Morgen seiner Meisterprüfung vor der Ehrenfelser Brauzunft bestanden. Jetzt durfte er sich offiziell Braumeister nennen. Das musste natürlich gefeiert werden – selbstverständlich mit allen Zunftgenossen. So hatte sich die Zunft nicht lumpen lassen und wie es ihre Art war, den Großen Ratsherrlichen Saal in der Vorderen Klostergasse – den größten der Stadt - gemietet und alle möglichen Leute zum Feiern eingeladen. Albrecht selbst trank von seinem Meisterstück: Ein 50 Maß Fass voll besten Ehrenfelser Fahnenbräus. Das Brandzeichen der Zunft zierte die Dauben. Es zeigte einen Ritter, der in der linken Hand einen Wimpel und in der rechten einen Krug Bier hielt.
Albrecht war stolz auf sich; auf sein Bier, auf seine Zunft und auf seine Stadt. Und er war in bester Stimmung. Nicht nur, weil er nun schon das zweite Maß Bier heruntergekippt hatte. Trotz seiner jungen Jahre hatte sich das Haupthaar des Braumeisters bereits zu lichten begonnen. Dafür war sein gewaltiger Schnurrbart umso prächtiger. Seinen Berufsstand konnte man nicht nur an seiner Kleidung, zu der auch eine braune Brauerschürze zählte, ablesen. Auch seine kräftigen Oberarme und der unverkennbare Wohlstandsbauch, ließen keinen Zweifel an seiner Berufung.
„Trude, du bringt mir ja noch nen Humpen, gell?“, versicherte er sich bei Gertrud der einladend kurvigen Schankmaid. „Jetzt könn ma richtig ins G'schäft einsteigen – in den Export mein ich“, verkündete Albrechts Sitznachbar Karl zum vierten Mal an diesem Abend. „Ich hab Ratherrn Dinkelbrecher gesprochen. Er meint, er könne mit Gadham a gude Vertrag abschließen. 200 Fässer wolln se kaufen für die Geburt von dem Balg. Die wissn was gudes Bier is. Drum kaufens ja auch bei uns und nehmen nicht das Bier dass sie dort braun.“ „Jo, wir machen das schon!“, entgegnete Albrecht und klopfte seinem Zunftgenossen auf die Schulter. Ihm persönlich wäre es freilich schon genug, dass er und seine Gilde die königlichen Haus- und Hoflieferanten des Königs von Wardland waren. Aber so viele junge Brauer, wie hier in der Zunft arbeiteten, mussten natürlich mit Aufträgen versorgt werden. Außerdem konnte die Stadt nur durch den Außenhandel ihren Reichtum mehren. Die Bürger von Ehrenfels hatten das schon früh erkannt und so war in der einstigen Königspfalz bald schon ein wohlhabendes Patriziat aufgestiegen.
Albrecht selbst war es zufrieden einen guten Beruf zu haben, bei dem obendrein auch noch garantiert war, dass er immer genug Bier hatte.
Die Glocke klingelte, die normalerweise ertönte, wenn ein neues Fass angestochen wurde und der alte Hilderich, der Albrecht gegenüber saß rief „Ruhe! Alle mal Ruhe!“ Während sich schräglinks von Albrecht, am Kopf der Tafel der Zunftmeister erhob, um ein paar Worte an die Versammelten zu richten. Gerald Bierbrauer – dessen Namen allein von der langen Brautradition seiner Familie zeugte – stand auf und mit seinem breiten Kreuz und dem buschigen Bart war er, trotz der Tatsache, dass er schon ein wenig Schwierigkeiten hatte gerade zu stehen, eine beeindruckende Erscheinung. „Meine lieben Freunde und Zunftgenossen. Ich freue mich sehr, verkündigen zu dürfen, dass wir ab heute einen neuen Meister in unseren Reihen begrüßen können. Umso mehr, als dass es sich dabei um meinen ältesten Sohn handelt.“ Tosender Applaus für Albrecht und ein gönnerhaftes Lächeln seines Vaters folgten diesen Worten. Der junge Braumeister, der mittlerweile einen neuen Krug vor sich stehen hatte, prostete seinem Vater zu. „Ich will euch auch nicht länger aufhalten, denn ich weiß ja wie wenig Lust ihr haben müsst, dem Geschwätz eines alten Zunftmeisters zu lauschen.“ Allseits Gelächter. „Aber bevor ich den Tanz eröffne, möchte unser geschätzter Ratsherr noch einige Worte an uns richten.“
Aus dem Schatten des Eingangsbereichs löste sich bei diesen Worten eine hochgewachsene Gestalt mit glattem ordentlich gescheiteltem Haar und einem streng gestutzten Kinnbart. Ratsherr Dinkelbrecher war das Haupt der bürgerlichen und zunftmäßigen Vertretung der Stadt und entsprechend trat er auch auf.
„Meine hochverehrten Bürger von Ehrenfels. Zu aller Erst möchte ich natürlich Albrecht, dem Sohn meines geschätzten Freundes Zunftmeister Gerald, meine Glückwünsche zur Erringungen des Meistertitels aussprechen.“
Er lächelte gönnerhaft und die Anwesenden ließen sich erneut zu Applaus für den frischen Braumeister hinreißen. Doch die Art, wie Dinkelbrecher dies sagte, ließ Albrecht vermuten, dass nun ein „Aber“ folgen würde und es ließ auch tatsächlich nicht lange auf sich warten. „Aber leider habe ich auch eine traurige Nachricht zu machen. Der Hof in Gadham hat den Großauftrag für unsere Brauereien zurückgezogen.“ Allerseits war enttäuschtes Aufstöhnen und auch Verärgerung zu hören.
„Wieso? Wir machen das beste Bier diesseits des Allquells!“, wandte sich Albrecht, der das Gefühl hatte, dass man von ihm eine Reaktion verlangte, an den Ratsherren. Dinkelbrecher zog die Mundwinkel schief. „Die verdammte Konkurrenz schläft leider auch nicht – und sie liefert billiger.“ „Wer?“, fragte Albrecht jetzt ehrlich entrüstet, obwohl er glaubte, die Antwort schon zu kennen. „Die Brauerzunft aus Rading!“
Rading! Schon die Erwähnung dieses Namens löste bei den Anwesenden wütende Proteste aus. „Rading, schon wieder. Diese Panscher!“, ereiferte sich Albrechts Vater und Karl rief über den allgemeinen Lärm hinweg: „Zu Ith mit den verdammten Sauhunden!“
Ja, die Feindschaf zwischen Rading und Ehrenfels war alt. Sie hatte vor beinahe 200 Jahren als gewöhnliche Konkurrenz zwischen zwei handeltreibenden Städten begonnen. Der Wettbewerb hatte sich schließlich zur offenen Fehde entwickelt die im Jahre 599 – also 33 Lenzen – ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hatte, als ein Söldnerkommando, bezahlt von radingschen Patriziern, die Handelskontore der Ehrenfelser in Seebank und Weißenturm niedergebrannt hatte. Herubar, der damalige König des Königreichs Ethrien, zu dem auch Rading gehörte, hatte all sein diplomatisches Können aufbringen müssen, um einen Zweifrontenkrieg gegen die Dykmark und Wardland zu vermeiden. In der Dykmark waren seitdem Biere aus Ethrien und dem Wardland verboten – sehr zum Ärger beider Braustädte.
„Das dürfen wir ihnen nicht durchgehen lassen!“, rief Albrechts Vater und aus dem Durcheinander der Stimmen drang so etwas sie zustimmendes Gemurmel von verschiedenen Plätzen der Tafel.
„Ich fürchte“, meinte der Ratsherr. „Es ist das gute Recht der Adeligen von Gadham ihr Bier zu kaufen, bei wem sie wollen.“ Seine Worten sollten vordergründig beschwichtigend wirken, doch mit der Art, wie er das sagte, schaffte er es genau das Gegenteil bei den betrunkenen Brauern zu erreichen, ohne dass sie merkten, dass sie beeinflusst wurden. Und tatsächlich rief einer vom hinteren Ende der Tafel: „Wollen wir doch mal sehen, ob sie es schaffen zu liefern! Wenn ich ihre Lieferung in die Finger bekomme, dann spüle ich ihre Pisse von Bier die Holder runter... obwohl mir die armen Fische leidtun!“, fügte er hinzu, was allgemeines Gelächter hervorrief. „Ihre Lieferung sabotieren“, sagte Dinkelbrecher wie zu sich selbst, doch laut genug, damit man ihn verstand. „Ein schlauer Plan... sie werden ihre Fässer sicher mit Fähren auf der Holder transportieren.“
„Dann müssen wir da zuschlagen!“, ereiferte sich jetzt Albrecht, der sich mittlerweile bei seiner Brauerehre gepackt fühlte.
„Dann nehme ich an, dass die Brauerzunft von Ehrenfels sich sobald als möglich auf den Weg machen wird? Vielleicht morgen schon?“, hakte der Ratsherr nach. Die Brauer sahen einander an. Dann schüttelten sie sich vor Lachen. „Verzeiht Ratsherr“, erklärte Albrechts Vater mit bräsiger Stimme. „Aber ich fürchte nach dieser Nacht werden wir morgen erst einmal ausschlafen müssen. Dann können wir uns zusammensetzen und dann entscheiden wir, wann wir losziehen.“ „Aber...“, begann Ratsherr Dinkelbrecher. „Nichts da“, widersprach Gerald. „Das Bier soll für die Geburt von König Therdans ersten Kindes geliefert werden. Und als die Händler mit der Bestellung zu uns kamen war seine Frau gerade erst schwanger geworden. Es wird noch über ein halbes Jahr dauern, bis die Lieferung ankommen muss. Ich denke wir haben noch ein wenig Zeit.“
Dinkelbrecher schien nicht glücklich mit der Antwort, doch widersprach er nicht. Er folgte sogar nach einem Moment des Zögern Geralds Einladung, als der ihm einen Stuhl und einen Krug Bier anbot.
Als Albrecht Bierbrauer Stunden später den Großen Saal zusammen mit seinem Vater verließ, war er sich nichts sicher, ob sich die Anzahl der Monde in den letzten Stunden spontan auf sechs verdoppelt hatte oder nicht. Entsprechend schlugen die beiden auch nicht gerade den aller direktesten Weg zurück nach Hause ein. Eigentlich wären es nur etwa 400 Schritt Fußwegs gewesen, den sie hätten zurücklegen müssen. Doch an der ersten Abzweigung entschied sich Gerald noch ein paar Minuten mehr frische Luft zu brauchen und wandte sich deshalb nach links statt nach rechts. Aus dem kleinen Umweg wurde dann aus Versehen eine Wanderung durch die halbe Stadt, die sie am Dom und der Königspfalz vorbeiführten. Als sie schließlich zurück zu ihrem Haus – ein schmuckes Anwesen mit mehreren Stockwerken und einem kleinen Innenhof – zurückgefunden hatten, graute im Osten schon der Morgen.
Albrecht verabschiedete seinen Vater am Treppenabsatz und stieg dann die Stufen zu seinem Zimmer hinauf. Als er eintrat hörte er den gleichmäßigen Atem seiner Frau Hilda. Müde und ohne die Kleidung abzulegen ließ er sich ins Bett fallen und schloss die Augen. Neben sich hörte er ein Stöhnen und das Rascheln der Federdecke, als Hilda sich halb aufrichtete und schlaftrunken murmelte: „Albrecht, du riechst nach Bier und Schweiß. Zieh dir wenigstens deine Sachen aus, bevor du sich ins Bett legst!“ Er murmelte etwas Zustimmendes und drehte sich dann von ihr weg. Die Knuffe in seine Rippen, mit denen sie ihn zum Aufstehen bewegen wollte, waren das letzte, das er spürte, bevor er einschlief.




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Re: Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 3. Januar 2014 18:48

Die Eodos-Saga, Kapitel XIII
~Albrecht


Als Albrecht erwachte hatte er einen schalen Geschmack im Mund und etwas schien, hinter seiner Stirn hin und her zu kreiseln. Wie er sich im Bett streckte, merkte er, dass seine Frau nicht mehr neben ihm lag. Vorsichtig öffnete er die Lider und sah in Hildas zusammengekniffene Augen. Sie hatte die Arme verschränkt und für eine kleine, leicht rundliche Frau mit einem hellbraunen Bauernzopf im Nacken hatte sie in diesem Moment erstaunliche Ähnlichkeit mit einem wütenden Drachen. Während Albrecht sich im Bett aufsetzte, tappte sie ungeduldig mit der Fußspitze. „Morgen, mein Schatz!“, grinste der Brauer sie etwas dümmlich an und merkte, dass sich seine Zunge ein wenig pelzig anfühlte.
Der Drache vor Albrecht nahm tief Luft und spie ihm dann seinen Feueratem ins Gesicht: „Albrecht! Du weißt ganz genau, ich habe kein Problem damit, wenn du abends spät nach Hause kommst. Und auch nicht wenn du mal ein Bier über den Durst trinkst – vor allem an einem so wichtigen Tag wie gestern, aber..“
Albrechts Aufmerksamkeit verlor sich in der Kühle des Morgens. Er ließ seine Frau reden, während er die Dielen zu ihren Füßen musterte und die Gedanken schweifen ließ. Er war gestern zwischenzeitlich ziemlich wütend gewesen. Warum war das nochmal? … Ach ja! Die Radinger! Dumme Panscher! Was hatten sie nochmal ausgefressen..? Albrecht fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht. Die Lieferung für den Hof an Gadham – ja das war es gewesen. So schlimm wäre das wohl eigentlich nicht... aber ausgerechnet Rading! Außerdem würde er ja vielleicht eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten und Zunftmeister werden. Da musste man doch gegen so etwas vorgehen – vermutlich. Wir sollten uns jedenfalls mal beraten... doch, das ist eine gute Idee. Schön gemütlich zusammensitzen und bei einem Bier über das Thema debattieren.
„Albrecht!?“ Der Angesprochene schreckte aus seinen Gedanken hoch. Erst jetzt hatte er gemerkt, dass Hilda aufgehört hatte zu reden. Offenbar erwartete sie eine Antwort von ihm. Also stand er auf, sagte: „Ich finde, du hast vollkommen Recht, Schatz!“, küsste sie auf die Wange und ließ sie dann stehen um ein Bad zu nehmen. Hilda sah ihm mit einer Mischung aus Überraschung und Argwohn nach, als er die Treppe herunterschlurfte.
Das Wasser im Zuber war zumindest noch lauwarm, allerdings nicht mehr wirklich sauber. Offenbar war er nicht der erste, der heute Morgen gebadet hatte. Was soll's, dachte er sich und stieg in die Wanne. Zum Ausgleich ging er heute – für seine Verhältnisse – besonders großzügig mit der Kernseife um und nahm sogar ein frisches Tuch, um sich abzutrocknen. Danach holte er sich frische Kleidung aus der Truhe und legte die vom Vortag vor den Zuber um der Dienstmagd Liesl zu bedeuten, dass sie gewaschen werden sollten. Dann ging er ins Speisezimmer.
An der Tafel entdecke er zu seiner Freude neben seinem Vater und seiner Frau auch einen Krug kühles Bier. Er nahm einen großen Zug von dem Gerstensaft und spürte wie seine Lebensgeister wieder erwachten. Dann setzte er sich hin.
Liesl kam mit Albrechts Stiefmutter Sieglinde, Geralds zweiter Frau, herein. Albrechts Mutter war schon vor acht Jahren bei der Geburt seines jüngsten Bruders Gunner gestorben. Mit Sieglinde hatte Albrecht eine dreijährige Tochter namens Jurnia.
Hilda indes wirkte immer noch leicht verärgert, war aber bereit ihre Aufmerksamkeit lieber dem Wurstsalat, den Liesl auftischte, zu widmen, als ihrem bierseligen Gatten. Nach und nach kamen auch die anderen Bewohner des Hauses: Die beiden kleinen Brüder von Albrecht, seine Schwester, seine Halbschwester, seine Tante und Streunerich, der Hund, ins Speisezimmer. Der große graue Vierbeiner ließ seinen Kopf mit den herabhängenden Lefzen auf die Bank neben Albrecht sinken und schielte begehrlich den Wurstsalat an.
Zwischen zwei Bissen Laugengebäck fragte Albrecht: „Was tun wir jetzt wegen der Radinger? Wir sollten die Braumeister der Stadt versammeln und darüber beraten, ob und wie wir gegen sie vorgehen.“ „Wir setzen heute einen neuen Sud an. Da werden ohnehin viele von ihnen dabei sein“, entgegnete sein Vater und schnitt sich ein Stück Weichkäse ab, um ein Radieschen darin zu tunken. „Ich empfehle Bienen“, meinte Hilda scherzhaft und die Versammelten kicherten. Albrecht hätte sich fast an einem Stück Wurst verschluckte, hätte seine Frau ihm nicht kräftig auf den Rücken geklopft.
Dazu musste dann die Geschichte kennen, wie die Ehrenfelser Brauer im Jahre 573 den Raub ihrer Fässer durch die Radinger verhindert hatten. Damals hatten sich gerade ein paar Brauer aus Ehrenfels persönlich aufgemacht, um eine große Lieferung Bier nach Stabendorf zu bringen, statt einen Fuhrmann zu beauftragen. Dabei erfuhren sie, dass eine Gruppe Händler aus Rading, die in der Nähe gewesen war, versuchen wollte ihre Fässer anzustechen und das Bier auszukippen, damit sie nicht rechtzeitig würden liefern können. Nun hätten sie Ehrenfelser natürlich einfach in der Nacht eine Wache aufstellen können. Doch Heinrich, dem damaligen Zunftmeister der Brauer, war eine andere Idee gekommen. Die Ehrenfelser hatten nämlich noch ein paar leere Fässer bei sich. Heinrich nun wies seine Brauer an, in den Wald zu gehen, um Bienen zu sammeln. Sie kamen mit mehreren Nestern voll wütender Insekten wieder. In jedes leere Fass warfen sie ein oder zwei Nester hinein. Wie der Abend kam, stellten sie die so präparierten Fässer am Wegesrand auf und legten sich selbst mit den echten Bierfässern in einigen Schritt Entfernung hin. Man kann sich denken, welch freudige Überraschung die Radinger erwartete, als sie die Fässer mit den Bienen anstachen, die zuvor extra noch einmal hin und her gerollt worden waren, damit die Kleinen auch wirklich schön wütend seien.
Die Lieferung konnten die Ehrenfelser jedenfalls pünktlich ausliefern und Zunftmeister Heinrich wurde für diesen Streich zu einer kleinen Legende in Ehrenfels. Nach seinem Tod hatte man sogar eine kleine Staue von ihm auf dem Marktplatz aufstellen lassen. Die Radinger jedoch bestritten hartnäckig, dass sich so etwas jemals zugetragen hatte und warfen den Ehrenfelsern ihrerseits Verunglimpfung vor.
Albrecht fürchtete jedoch, dass Bienen diesmal nicht genug sein könnten und schwelgte noch ein wenig in der alten Zeit, die er nie erlebt hatte, als die Feindschaft zwischen den beiden Städten sich noch auf solche Kabbeleien erschöpft hatte. Als die Stadtbewohner noch wie Pech und Schwefel zusammengehalten hatten und es noch keinen Zwist zwischen den Zünften gegen hatte – zumindest glaubte Albrecht, dass es damals so gewesen sei.
Etwa eine Stunde später standen Albrecht und Gerald vor dem großen Gildenbrauhaus. Wie die meisten Brauerfamilien der Stadt hatten die beiden zwar auch eine eigene kleine Brauerei zu Hause; um wirklich große Mengen an Bier zu brauen, die von der ganzen Gilde gemeinsam zubereitet wurden, nutzte man aber das gemeinschaftliche Gildenhaus. Es lag am Großen Marktplatz im Schatten der Königsburg, die, wie um zu zeigen, wer die eigentliche Macht im Königreich für sich in Anspruch nahm, auf einem Hügel über den Gebäuden der Handwerker thronte. Da König Sigismund II. zur Zeit allerdings in Oberwerth an der Holder residierte, lag die politische Macht in der Stadt im Moment de facto bei den Gilden und Räten. Gut, dass Sigismund die Holder der Kleinitz vorzieht, dachte Albrecht, in Gedanken bei dem kleinen Flüsschen Kleinitz, dass die Stadt in ein Ost- und ein Westviertel trennte. So mischt er sich wenigstens nicht sooft in unsere Angelegenheit.
Nachdem sie Diederich von der Kesselschlägerzunft, deren Zunfthaus neben dem ihren lag, begrüßt hatten, traten die beiden durch die Tür.
Drinnen roch es schon nach warmen Malz und Hopfen. Die unverkennbare Note von Hefe, die die Ehrenfelser in ihr Bier zu mischen pflegten, drang aus einem Topf in der Ecke. Über den großen Sudkessel gebeugt stand Karl und rührte in der Maische.
„Gestern noch gut nach Haus' g'kommen?“, grüßte er Vater und Sohn grinsend und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Besser als man erwarten sollte“, antwortete Albrecht und stieg zu seinem Zunftgenossen hinauf, um ihn abzulösen. Dankbar überreichte Karl das Ende des Rechens an Albrecht weiter und massierte sich die kräftigen Oberarme.
„Ist das schon das Bier für den Hof in Gadham?“, fragte eine Stimme hinter Albrecht. „Na! Des ist kein Export!“, entgegnete Karl energisch und drehte sich zum alten Hilderich um, der gerade die Tür herein kam. Sein faltiges Gesicht hinter dem krausen Bart war rot von der Kälte draußen. „Was machen wir denn jetzt wegen der Radinger“, erkundigte er sich während er zu einem Fass an der Wand herüberwuselte.
„Darüber müssen wir noch uns noch beraten“, meinte Gerald und schickte sich an die Leiter zum Obergeschoss hochzusteigen. „Dann aber direkt mit den anderen Zünften. Ich will nicht, dass die Weber wieder querschießen“, brachte Karl vor. „Und ich will, dass sich zuerst unsere Zunft eine einheitliche Meinung bildet“, rief eine Stimme vom Dachgebälk. Wenige Augenblicke fiel von dort ein Bündel Hopfen herunter und Geralds Stiefel erschienen wieder auf der Leiter.
Albrecht war in Gedanken, während er weiter in dem Kessel rührte. Jetzt wo sich das Bier aus seinen Adern zurückzog, war er sich nicht mehr allzu sicher, ob es wirklich nötig sei, den Radingern den Auftrag für Gadham abzujagen. Er sprach den Gedanken aus. Der alte Hilderich lachte und kam mit vier Krügen schäumenden Fahnenbräus zu ihm herüber. „Dann musst du mehr trinken!“, entschied er und knallte einen der Krüge neben ihn auf einen Tisch. Hilderich ging auf die 60 Lenze zu und war in dem Jahr Braumeister geworden in dem die Radinger die Kontore der Ehrenfelser in Seebank niedergebrannt hatten.
Das Zunfthaus füllte sich mit immer mehr Gesellen und Meistern und die heiße, dampfige Atmosphäre wurde immer intensiver. Albrechts Arbeitstag hatte sich durch seine Beförderung zum Meister nicht grundlegend verändert: Er leitete zwei Lehrlinge an, in welchem Verhältnis sie Hopfen und Malz zu mischen hätten und stellte gegen Nachmittag einen Gesellen in den Senkel, der es tatsächlich geschafft hatte einen Hefeklumpen ins Feuer fallen zu lassen. Ansonsten tat er eigentlich nichts anderes als vorher auch.
Gegen Abend – er hatte schon mehrere Krüge schäumenden Bieres heruntergespült – entschied Albrecht, dass er ein wenig frische Luft gebrauchen könnte. Also unternahm er einen Spaziergang über den Marktplatz. Das letzte bisschen Schnees knirschte unter seinen Stiefeln, während er eine Runde drehte. Die Statue von Zunftmeister Heinrich schien Albrecht zuzuzwinkern und Albrecht zwinkerte zurück. Der Gildenbaum auf der Mitte des Platz reckte sich hoch über die Dächer der Zunfthäuser und schien keck zur Königsburg herüberzublicken.
Da König Sigismund II. zugleich Herzog von Ehrenfels war, war der höchste adelige Verwalter, der zur Zeit das alte Gemäuer bewohnte, Sigismund Burgvogt. Sigismund II. hatte die Burg, wie auch alle seine Titel, von seinem Vater König Sigismund I. geerbt, der vor vier Jahren verstorben war. Der junge Monarch war kein wirklich schlechter König, hatte aber noch große Schwierigkeiten an die Beliebtheit seines Vater, den man den Volkskönig Sigismund genannt hatte, anzuknüpfen. Vor allem verstand er es weit weniger gut, als sein Vater mit den Gilden und Zünften umzugehen. Aber zur Zeit weilte er ja ohnehin in Oberwerth am Zusammenfluss von Pikk und Holder. Sollten die Brauer sich also entscheiden etwas – was auch immer – gegen Rading zu unternehmen, würden sie den König also vermutlich noch nicht einmal um Erlaubnis bitten müssen.
Als eine komplette Runde gegangen war und wieder vor der Tür des Zunfthauses stand, sah er eine kräftige Gestalt die Straße entlang kommen. „Hilde!“, rief er freudig überrascht und winkte seiner Frau zu. Die beschleunigte ihren Schritt und kam ganz nah an ihren Mann heran, sodass sie ihm ins Ohr flüstern konnte: „Albrecht! Der Dinkelbrecher war grade bei uns und hat nach dir gefragt. Er hat einen Zunftrat einberufen und schickt in diesem Moment einen Boten zu euch, um Vertreter der Brauerzunft zur Versammlung zu berufen. Es geht darum, ob die Stadt es euch erlauben will, gegen die Radinger vorzugehen.“
Albrecht runzelte die Stirn, die wohlige Wärme des Bieres schien aus seinen Adern gewichen zu sein. „Aber wir haben ja noch nicht einmal selbst darüber beraten, ob wir das überhaupt wollen“, sagte er. Was bezweckt Dinkelbrecher wohl damit?. „Ich weiß“, redete Hilde hektisch weiter. „Er scheint irgendetwas im Schilde zu führen.“ Der Brauer packte seine Frau an den Schultern: „Danke, Schatz! Ich gehe sofort rein und erzähle den anderen davon.“ Albrecht wollte sich schon umdrehen, da hielt seine Frau ihn auf. „Warte!“ Sie kramte etwas unter der Schürze ihres Wamses hervor. Zum Vorschein kam ein dick mit Wurst belegter Semmel. „Ich dachte, wenn ich ohnehin schon vorbeikomme, bringe ich schnell noch was zum Essen mit. Sonst fällst du mir eines Tages noch vom Fleisch.“ Albrecht lachte. Genau wegen solcher Einfälle liebte er sein Frau so. Er nahm den Semmel entgegen, verabschiedete sich mit einem schnauzbärtigen Kuss von seiner Frau und betrat wieder die Brauerei.
„Hey! Hört mal her!“, rief Albrecht und läutete eine kleine Glocke am Eingangsbereich, die dort eben zu diesem Zweck hing – sich in der lärmigen Brauerei Gehör zu verschaffen. Die Zeit bis alle verstummt waren und ihn anblickten nutze Albrecht um herzhaft von dem Semmel abzubeißen.
„Der Ratsherr hat ein Zunftversammlung zu der Frage einberufen, ob es der Brauerzunft erlaubt werden sollte, gegen die Radinger vorzugehen, da wir...“ Ein Gewirr von Stimmen brandete auf, sodass Albrecht die Glocke ein zweites Mal klingeln musste, um weiterreden zu können. „Da wir selbst noch keine Entscheidung in dieser Frage gefunden haben, sollten wir das schleunigst tun, ehe Dinkelbrechers Boten hier aufkreuzen.“ Wieder redeten alle durcheinander. Albrecht war bereits drauf und dran ein drittes Mal zu läuten, da räusperte sich sein Vater und es wurde schlagartig still. Gerald Bierbrauer, der Zunftmeister der Brauer von Ehrenfels, war wohl die einzige Person in ganz Eodos, die keiner Glocke bedurfte, um sich in diesem Raum Gehör zu verschaffen. König Sigismund hätte in diesem Moment mit seinem ganzen Gefolge hier drin auftauchen können und keinen der Brauer hätte es wohl sonderlich interessiert, doch das Wort des Zunftmeister galt etwas. „Albrecht hat Recht. Vor allem damit, dass wir uns beeilen müssen. Wir haben jetzt keine Zeit für Diskussionen. Wir werden einfach per Handzeichen über die Frage abstimmen. Wer ist dafür, dass die Brauzunft von Ehrenfels Unternehmungen in die Wege leitet ,um den Auftrag, den uns die Radinger gestohlen haben, wiederzubekommen?“
Fast alle hoben die Hand. Einige warteten darauf was Gerald tat und rissen den Arm hoch, als der Braumeister eben dies auch tat. Nur wenige standen mit verschränkten Armen da und machten zweifelnde Gesichter. Einer von ihnen war Albrecht. Gerald runzelte die Stirn: „Mein Sohn?! Ja willst du denn den Radingern einfach kampflos das Feld überlassen?“, entrüstete sich der Zunftmeister.
„Nein, Vater! Aber... ich weiß nicht. Dinkelbrecher macht nichts, wenn nicht auch etwas für ihn dabei rumkommt. Und ich überlege die ganze Zeit, was für Gründe er wohl haben könnte, uns zu einer so raschen Entscheidung in der Sache zu drängen.“
Gerald schien ernstlich über die Worte seines Sohnes nachzudenken. Einige der Brauer stimmten Albrechts Argument zu, doch andere wollten seinen Einwand nicht gelten lassen und die Diskussion ging weiter. Dabei schaukelte sie sich immer weiter auf und wäre wohl fast in einer Schlägerei geendet, wäre nicht mit einem Mal die Tür zur Brauerei weit aufgeflogen. Zwei Männer traten ein und einer der beiden verkündete: „Auf Einladung des Ratsherren und Zunftmeister der Färberzunft, Isemir Dinkelbrecher, bitte ich drei Abgesandte der Bierbrauerzunft mir zum Ratssaal zu folgen. Dort wird zur Stunde über die Frage entschieden, ob es der Brauerzunft erlaubt werden soll, eine Fehde gegen die Brauer von Rading zu beginnen.“
Jetzt reden sie schon von einer Fehde, die wir beginnen sollen, dachte Albrecht. Auch wenn der Bote das Verhältnis zwischen den beiden Brauereien mit diesem Wort eigentlich sehr treffend beschrieben hatte. Gerald verschwendete keine Zeit, sondern rief: „Albrecht! Hilderich! Ihr begleitet mich!“ Bei diesen Worten war er schon halb zur Tür hinausgetreten. Mit großen Schritten nahm der Zunftmeister Kurs auf die Klostergasse, sodass seine Begleiter sich beeilen mussten, Schritt zu halten.
Das namensgebende Kloster hatte früher auch einmal Bier gebraut, als noch Brüder vom Valtizinerorden, dort gelebt hatten. Doch die Hospitaliter, ein Mönchsorden, der sich ganz Telocath und der Krankenpflege verschrieben hatte, lebte nun seit mehr als 50 Jahren dort. Dem Kloster gegenüber lag der Große Ratsherrliche Saal.
Erinnerungen an letzte nach kamen in Albrecht hoch, als er hinter seinem Vater und den zwei Boten zur Tür hinein kam. Er blieb noch einen Moment stehen, um Hilderich, der ein wenig hinterher hinkte, die Tür aufzuhalten. Dann trat er durch die Diele in den eigentlichen Saal. Wie am Vortag war es wieder laut und dampfig hier drin doch diesmal hing nicht so sehr der Geruch von Bier, sondern der von Schweiß und Ärger in der Luft.
Gerald sah sich um und entdeckte Ansgar. Der pausbackige blasse Mann, war das Haupt der Küfergilde und verstand sich deshalb schon von Berufswegen gut mit den Brauern. Denn wo viel Bier gebraut wird, werden auch viele Fässer gekauft. Außerdem war er ein alter Freund der Familie. „Gerald! Albrecht! Ah, und Hilderich, du lebst ja auch noch!“, begrüßte er sie mit einer hohen Fistelstimme, die so gar nicht zu seinem opulenten Äußeren passen wollte. Hilderich hob die Nasenflügel, überging ansonsten aber den Seitenhieb auf sein Alter. „Wo wart ihr solange?“, fuhr der Küfer hektisch fort. „Wieso so lange?“, fragte Gerald verdutzt. „Na die anderen sind schon seit bald einer Stunde hier. Im Grunde ist alles beschlossene Sache. Ja habt ihr denn gestern Abend keine Einladung zu dieser Versammlung mehr bekommen?“ Gerald schüttelte den Kopf. Er sah sich zu Albrecht und Hilderich um, die es ihm nachtaten.
Während sein Vater sich von Ansgar eine Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse geben ließ, sah Albrecht sich in dem Saal um. Alle waren sie da: Die Kesselschläger, die Bäcker, die Drahtzieher, die Töpfer, die Schlachter, natürlich die Färber und selbst ein Gerbe, stand etwas abseits in einer Ecke.Als letztes fiel Albrechts Blick auf die Weber und seine Augen verengten sich. Hatte die Feindschaft zwischen den Radingern und den Ehrenfelsern, abgesehen von Zwischenfällen wie dem von 599, noch zumindest etwas anekdotenhaftes an sich, so war die Beziehung zwischen Webern und Brauern in Ehrenfels von einem knallharten Machtkampf geprägt. Die Weber und die Brauer waren die zwei größten Zünften in Ehrenfels. Zwischen ihnen wurde die eigentliche Politik in der Stadt ausgemacht. Mit Isemir Dinkelbrecher hatten die Weber es geschafft einen Mann aus den Reihen ihrer Verbündeten – den Färbern – zum Ratsherren zu machen. Einer der Gründe warum Albrecht ihm misstraute. Er machte seinen Vater auf die Gestalten aufmerksam, die sich da am anderen Ende des Saales umherdrückten. „Die werden noch unser Leichentuch weben!“, schnaubte der Zunftmeister.
„Ich habe Plätze für euch freigehalten“, verkündete Ansgar und sie folgten ihm zu drei freien Stühlen aus dunklen Holz. Ansgar saß neben ihnen. Da die Küferzunft eine relativ kleine Gilde war, war Ansgar ihr einziger Abgesandter. „Ich habe mich bisher enthalten“, meinte der Fassmacher. „Da ich erst wissen wollte, wie ihr zu der Sache steht.“ „Das war gut, Angsar“, dankte Gerald ihm. „Wir hatten selbst viel Streit in der Sache, aber ich glaube wir haben uns entschieden.“
Aus der Menge löste sich eine einzelne hochgewachsene Gestalt und trat in das freie Halbrund zwischen den Stuhlreihen. „Da nun endlich alle Eingeladenen anwesend sind, können wir ja vielleicht zum Abschluss dieser Beratung kommen und uns endlich wieder unserem ehrlichem Tagewerk widmen“, sagte Dinkelbrecher mit einem süffisantem Grinsen. „Es lag nicht an uns, dass wir so spät gekommen sind“, entrüstete sich Gerald, doch der Ratsherr winkte den Einwurf mit einer Handbewegung und einem Lächeln ab. Selbstgefälliger Fatzke, dachte Albrecht.
„Ich nehme an, dass die Brauer sich seit gestern Abend entschieden haben, ob sie sich nun ihren Auftrag von den Radinger Brauern zurück holen möchten“, fuhr Dinkelbrecher unbekümmert fort. „Allerdings habe ich wenig Zweifel, dass sie das tun werden. Schließlich kenne ich die Ehrenfelser Brauer als eine stolze Gilde, die sich ihre Kundschaft von keinem streitig machen lässt - erst recht von keinem Radinger.
Gerald stand auf: „Nu mei, meine Herren. Ich denke wir sollten die Situation, nicht schlimmer sehen, als sie ist. Vor ein paar Jahrzehnten, hätten wir gar keine Aufträge von einem so weit entfernten Hof wie dem in Gadham bekommen. Und, dass sie sich an uns gewendet haben, zeigt doch was für einen ausgezeichneten Ruf unser Fahnenbräu in Eodos genießt.“
„Ein Ruf, den ihr sicher verteidigen wollt“, warf der Ratsherr ein. Gerald atmete tief ein. Vorhin, in der Brauerei mit ihrer aufgeheizten Atmosphäre, hätte er noch ganz klar für ein Eingrifen plädiert. Doch die Art, wie diese Versammlung hier anlief, hatte ihn vorsichtig gemacht. Albrecht merkte, wie sein Vater schwankte. Da erleichterte einer der Weber ihm die Entscheidung, indem er laut verkündete: „Wenn es nach uns ginge, dann sollte man euch verbieten, euer Gesöff überhaupt zu exportieren. Ist schon schlimm genug, dass wir uns damit rumschlagen müssen.“
Der Zunftmeister straffte in vornehmer Verachtung den Rücken. Dann fuhr er fort: „Ja und gerade wegen dieses ausgezeichneten Rufs, dürfen wir unsere Handelspartner nicht an Rading verlieren. Deshalb werden wir uns den Auftrag von diesen Panschern zurückholen, koste es was es wolle. Zum Wohle unserer Brauerzunft und für den Wohlstand und das Ansehen unsere schönen Stadt.“
Verhaltener Applaus folgte dieser Ankündigung. „Also stimmt die Brauzunft wohl für ihren eigenen Antrag“, schloss Dinkelbrecher. „Ich nehme an, die Küfer unterstützen den Antrag der Brauer.“
„Das tuen wir“, antwortete Ansgar. „Sehr schön“, meinte der Ratsherr. „ Damit hätten wir wohl einen Gleichstand zwischen der Fraktion der Brauer und der Fraktion der Weber, die den Antrag ablehnt. Es fehlt nur noch die Stimme der Färberzunft: Und im Namen der Färber, stimme ich ebenfalls für den Antrag der Brauer. Damit gewähre ich ihnen im Namen der hohen und freien Bürgerschaft von Ehrenfels das Recht im Namen der Stadt eine Fehde mit den Radingern zu beginnen, ihre Lieferungen zu sabotieren oder zu tun, was auch immer sie für nötig halten um den Radingern das Geschäft zu vermiesen.“
Albrecht stutze. Die Färber stellten sich den Webern entgegen? Irgendetwas an der Sache hier war faul. „Ich nehme an“, rief der Brauer plötzlich. „Dass auch der König, sollte er überraschend nach Ehrenfels zurückkehren, erfahren wird, dass alle Handlungen der Brauerzunft gegen die Radinger, die volle Unterstützung des Rates und des Ratsherren genießen, nicht wahr?“
Isemir Dinkelbrecher, der schon im Aufbruch begriffen war, drehte sich noch einmal zu dem jungen Brauer um. Mit hochgezogener Augenbraue und dem süffisantesten Grinsen zudem er im Stande war, versicherte er: „Aber natürlich, wird er das erfahren.“




Kommentare
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Re: Die Eodos-Saga

Beitragvon Guerillonist » 2. Februar 2014 14:47

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