Europa Futura

Die AAR der anderen Art...

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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 21. Januar 2012 23:05

1.Akt
14.Szene


Es war kalt, verdammt kalt. Aber eigentlich war das nichts Besonderes. Es war Adventszeit, sprich Winter und, dass die Straßen, durch die Natascha lief, in Woronesch lagen, machte die Sache auch nicht besser. Die Hauptstadt des Fremdeshasses nannte man Woronesch - zurecht. Doch heute ging es nicht um Rassisten oder Nationalisten. Nein Natascha hatte andere Neuigkeiten und zwar von der Personengruppe, die Natascha nach Rassisten am zweit wenigsten leiden konnte: Kapitalisten.
Es war ein paar Tage her, da hatte ein seltsamer Mann bei ihr angerufen. Woher er ihre Nummer hatte wusste sie nicht. Er hatte ihr erzählt brisante Neuigkeiten zu haben - nichts Genaueres. Das war ihr seltsam vorgekommen. Doch trotzdem war sie gekommen. Der Mann, Wioretsch hatte er sich genannt, hatte ihr etwas von einer Wirtschaftregierung erzählt. Und ihr ein paar Namen und genaue Information über Wahlbetrug und eine Art neue Verfassung gegeben. Aber was war daran bitteschön besonderes? In Russland war eine solche Art von Regierung de facto schon seit dem Fall der glorreichen Sowjet Union Gang und Gäbe. In Italien sogar beinahe de jure.
Doch die Namesliste war interessant und so ging sie an diesem Abend in ihren Lieblingsklub, den Oktober-Klub. Als sie die Treppe zu der Mischung aus Disko, Bar und Denkerklub hinunter ging, drang "Brüder zu Sonne zu Freiheit" an ihr Ohr. Sie lächelte. "Abend Natascha!", begrüßte sie der Barmann. "Nabend Gregor! Was macht die alte Kriegswunde?", fragte sie scherzhaft. Gregor rieb sich sein linkes Auge, das aus eine Digitalkamera bestand, die Bilder an sein Gehirn sandte, sagte jedoch nichts und grinste einfach leicht verlegen. "Wodka?", fragte er schließlich. "Wodak E.", gab Natascha zur Antwort und bestieg einen Tisch. Es dauerte ein paar Momente, doch dann hatte sie die volle Aufmerksamkeit des kleinen Klubs. "Wer sich wirklich für Politik interessiert, der kommt mit mir ins Hinterzimmer!", rief sie mit gebieterischer Stimme durch den Raum. Ein paar gickelten auf die Aussage hin, doch eine eindeutig größere Zahl an Menschen folgte ihr, als sie vom Tisch stieg, in ein Zimmer, dass durch einen kurzen, schmalen Flur von dem Barraum getrennt war. Hier standen vielleicht 20 Sessel um eine Art Couchtisch. Natascha wartete bis auch Gregor mit 2 Gläsern in der Hand gekommen war und sich gesetzt hatte.
"Was gibt es denn Natascha?", fragte eine Frau etwa ihrem Alter, also um die 24. "Ich habe Neuigkeiten von der Kapitalistenfront." Rufe wie "Lasst hören!" oder "Erzähl!" wurden laut noch ehe Natascha überhaupt die Möglichkeit hatte fortzufahren. "Nun. Ein Mann namens Wioretsch hat sich vor ein paar Tagen zu sich gerufen und mir schockierende Neuigkeiten überbracht.", berichtete Natascha mit gespieltem Entsetzten "Die Wirtschaftsbosse wollen die Macht in Russland übernehmen!" Die Anwesenden brachen in tosendes Gelächter aus. Natascha lächelte matt und trank von ihrem Wodka. "Aber eine Interessante Sache hat er mir doch noch mitgegeben." Sie warf ihnen ein Blatt Papier auf den Tisch. "Was ist das?", fragte einer. "Eine Liste mit den zukünftigen Spitzenpolitiker Russlands." "Das sind alles Wirtschaftsbosse, oder? Maraticz, Ossenbach und Guiry." "Natürlich du Genie! Sie wollen endgültig die Regierung absetzen." "Die ist doch eh nur Schein!" "Ja das stimmt Vitali.", antwortete Natascha. "Aber wenn diese Leute an die Macht kommen, dann haben wir gar keine Rechte mehr! Diese Schweine haben keine Skrupel... Und keine Konstitutionen, an die sie sich halten müsse." "Das tun die jetzigen Politiker auch nicht." "Gar keine Konventionen!", wiederholte Natascha mit Nachdruck. "Würden unsere jetzigen Politiker zu sehr am Rad drehen, dann würde kein Land mehr mit ihnen Geschäfte machen wollen - offiziell. Aber Maraticz, der Chef von Prirodnyĭ gaz Sibirʹ, Ossenbach: Chef von Heckler&Koch und Guiry, die praktisch den ganzen südostasiatischen Textilmarkt beherrscht... diese Leute könnten im Notfall mit sich selbst Geschäft machen. Sie brauchen Russland nur als riesiges Arbeitslager." Schweigen folgte der Aussage. "Gulag." sagte einer halblaut.
"Also!", begann Natascha und sah mit gekünstelten Lächeln in der Runde umher. "Wir müssen aktiv werden!" "Sind wir doch!", protestierte Vitali "Nein! Richtig aktiv! Wir müssen Kontakt aufnehmen zu allen möglichen Organisationen, die etwas gegen die Regierung haben könnten. Und wir müssen unsere Gruppe hier vergrößern!" Natascha sah zu einem Bildnis Lenins, das an der Wand hing "Wir müssen die Leute aufwecken!", schloss sie.
Erneut Stille. Dann stand Gregor, der bis dahin nichts gesagt hatte, plötzlich auf und begann mir erhobener Faust zu singen: "Wacht auf, Verdammte dieser Erde!" und alle sangen mit.
Gesang (Öffnen)
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 30. Januar 2012 22:01

1.Akt
15.Szene


Jacopo Mirazzo kehrte der Kirche den Rücken zu. Die Messe dieses vierten Adventssonntages hatte ihm Trost spenden können, wenn auch nicht sehr lange. Schon bald drücken die verfallenen Vororte von Bari, die er durchstreifte, wieder auf seine Stimmung. Monti dieser Hundesohn! Seitdem er vor Jahren ein Kabinett aus Wirtschaftslakaien und Versagern mit abgebrochenen BWL-Studium gebildet hatte, hatte sich dieses Regierungskonzept in Italien durchgesetzt. Offiziel war es natürlich nur eine Notstandsregelung. Doch in Italien herrschte schon seit fast 15 Jahren der Notstand.
Um den Süden wurde sich nicht mehr gekümmert - genauso wenig wie um die Kultur. Stattdessen herrschten hier unten die Mafia - und die Ausländer; wenn man diese Gruppen überhaut unterscheiden konnte. Es ging den Italienern schlecht und sie hatten kein Geld auch noch ein paar faule Zuwanderer durchzufüttern. Aber nein. Anstatt den Stolz zu besitzen in ihren Ländern für ihr eigenes Volk eine ordentliche Wirtschaft aufzubauen oder ihre Probleme selbst zu lösen kamen diese Menschen hier her und setzten sich ins gemachte Nest eines westlichen Kulturstaates. Wenn die Kämpfer der Italienischen Unabhängigkeitskriege so gedacht hätten!
Wie um seine Gedanken zu unterstreichen kam eine Gruppe Kinder, offensichtlich Afghanis oder Pakistanis, um die Ecke gerannt. Stieß mit ihm zusammen und verschwand ohne ein Wort der Entschuldigung zu verlieren, aber dafür laut in einer Sprache, die er nicht verstand mit Jacopo, rufend, um die die Ecke. Wütend murmelnd setzte er seinen Weg fort, blieb dann abrupt stehen und griff sich in die Jackentasche, in der sich eigentlich sein Portemonnaie befinden sollte. Die Tasche war leer! "Verfluchte Kanaken!", schimpfte er! Es wurde Zeit, dass sich etwas änderte in Italien - bald. Und Jacopo wusste auch schon wer dafür sorgen würde, dass das auch geschah: Er!
Einen Moment überlegte er, ob er zur Polizei gehen und den Diebstahl melden sollte, doch was für einen Sinn hätte das schon? Die Beamten waren hoffnungslos überfordert. Einerseits wurden immer noch Stellen bei der Polizei abgebaut, andererseits war die Verbrechensrate in geradezu schwindelerregende Höhen geklettert - 16% Arbeitslosigkeit sei Dank. Also machte er sich auf den Weg in die Parteizentrale .
Es war ein altes Bürozimmer am Rand von Bari. Die Fenster waren blind und die Tapete sah aus als wäre sie seit den 70ern des letzten Jahrhunderts nicht mehr gewechselt worden - was vermutlich auch stimmte. In dem kleinen Raum, auf einer Reihe alter Stühle sitzend, hatte sich die Partei bereits versammelt. 14 Männer, die offenbar versuchten in ihren abgerissenen Hemden den Anschein von Seriosität zu wecken. 2 von ihnen waren in Jacopos Alter - also um die 50. Die anderen waren zwischen 17 und 25 Jahre alt. Gerade auf diese Leute war Jacopo angewiesen, wenn er seine Pläne in die Tat umsetzen wollte. Sie waren jung, voller Tatkraft und formbar - und sie hingen an seinen Lippen wenn er sprach.
Jacopo schlug sich mit der Rechten gegen die Brust als er eintrat, die Männer ihm gegenüber erhoben sich von ihren Sitzen und taten es ihm nach. Jacopo trat vor, an eine Art improvisiertes Rednerpult, und sprach zu seinen Anhängern: "Gruß euch Kameraden! Seht euch das an!", forderte sie auf und drehte seine leeren Taschen auf Links. "Könnt ihr euch vorstellen warum die so leer sind?" "Weil der Staat sich einen scheiß um uns Italiener schert!" "Wegen der Mafia!" "Die Kanaken haben dir dein Geld geklaut!", kamen Vorschläge auf. "Ihr habt alle Recht!", gab Jacopo zurück. "Hier verrottet alles! Was noch zu gebrauchen ist reißt sich die Mafia unter den Nagel und um den Rest prügeln sich die Ausländer. Und was bleibt für uns? Für uns, die wir überhaupt erst die kärglichen Erträge der Stadt erwirtschaften? Nichts! Und warum tut der Staat nichts dagegen, was ja eigentlich seine Pflicht wäre?" "Weil wir ihm egal sind!", wiederholte einer. "Nun ich glaube noch nicht einmal, dass das so ist!" Erregte Ausrufe und Kopfschütteln folgte. "Nein, Nein!", verschaffte Jacopo sich Gehör. "Das Problem ist vielmehr, dass der Staat es gar nicht mehr kann! Er ist schwach. Ein schwacher Staat mit schwachen Politikern an seiner Spitze. Was wir endlich wieder brauchen ist ein starker Mann. Einer der den Ausländern zeigt wo es lang geht und der sich mit der verdammten Mafia anlegt!" Allgemeine Zustimmung. Doch einer der Alten rief "Das wissen wir doch alle schon längst! Warum hast du uns hergerufen Mirazzo?" "Habt ihr euch denn nie gefragt warum in Italien seit 15 Jahren der Notstand herrscht?" Schweigen. "Nun wir sind alle Teile eines großen abgekarteten Plans. Einer Idee des Weltfinzanztums! Ich habe da einige interessante Dinge gehört von einem seltsamen Kerl namens Wioretsch..."
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 1. Februar 2012 21:33

1.Akt
16.Szene


Es war Diensttag, der 21.12.2027, also genau 15 Jahre nach dem Weltuntergang. Obwohl damals außer einer Überflutung auf Yucatan nicht viel passiert war, fühlte sich Patrick als würde die angekündigte Apokalypse nun einfach mit etwas Verspätung eintreffen. Nun ja, vielleicht war das etwas übertrieben, doch die eiskalte Ostssee, die ihm auf dem Deck des kleinen Bootes entgegenschlug und der heftige Seegang ließ Patrick sich wünschen, den winzigen Kahn in Stralsund nie betreten zu haben. "Für jemanden der von einer Insel stammt bist du nicht besonders seefest!", scherzte der Kapitän, der ihn am Stralsunder Hafen aufgegabelt hatte. "Ich wurde in Potsdam geboren!", protestierte Patrick, musste sich jedoch dann die Hand vor den Mund schlagen, da ihm schon wieder übel wurde.
Ihre kleine Protestaktion in Berlin war recht erfolgreich verlaufen. Als sie sich vor 2 Tagen erneut in Borstis Druckerei getroffen hatten um die nächsten Schritte zu beraten war die Gruppe schon gut doppelt so groß gewesen wie beim ersten Mal. Außerdem hatte Phillip berichtet, dass er Polizisten beobachtet hätte, die ihre Aufkleber auf Laternenpfählen und Häuserwänden überklebten oder sie mühsam entfernten. Andererseits hatte Patrick versucht mit ein paar seiner Exkollegen von der Redaktion in Verbindung zutreten, nur um festzustellen, dass die Hälfte von ihnen nicht erreichbar war. Als er dann einen von ihnen erreicht hatte erfuhr er von ihm, dass mindestens zwei der ehemaligen Journalisten in Polizeigewahrsam genommen worden waren. Da gab es für ihn kein Halten mehr. Er hatte seine Sachen gepackt und war abgehauen. Zuerst zu Joshua, wo er 2 Tage geblieben war. Dann wollte er ursprünglich eine Zeit bei Phillip pennen, doch dieser hatte zu lange rumgedruckst und seine Bedenken ausgesprochen bis Patrick leicht entnervt zu ihm gesagt hatte er solle sich keine sorgen machen und, dass er schon irgendwo anders unterkommen würde.
Phillip war nicht von der Sache überzeugt, dachte Patrick säuerlich. Er war nur ein Mitläufer, der zufällig in seinem Dunstkreis geraten war. Schade - er hätte ihm anfangs mehr zugetraut.
Nachdem Patrick noch fast eine Woche bei Matthias verbracht hatte, war er zu dem Entschluss gekommen die Wohnmöglichkeiten so oft er konnte zu wechseln und nie länger als 2 Tage im selben Haus zu schlafen. Es war ein wenig lächerlich. Zum Einen wusste er nicht einmal sicher ob man ihn suchte, obwohl er nicht wirklich daran zweifelte. Und zum Anderen würde dieses kleine Katz-und-Maus-Spiel wohl kaum jemanden ernsthaft abhalten ihn zu finden, sollte tatsächlich nach ihm gefahndet werden. Seine Sachen hatte er jedoch zum größten Teil bei Borsti deponiert - in dem halbverfallenem Haus war genug Platz.
Borsti war es auch, der ihm sein Auto geliehen hatte, damit er nach Stralsund fahren und dort aus zu diesem dubiösen "Kudda-Kalle", der von einem Kahn in der Ostsee aus einen Piratensender betrieb, übersetzten konnte. Offenbar war jedoch der Akku schon etwas schwach. Denn obwohl Borsti im erzählt hatte der Tank sei vollgeladen, hatte er es kaum bis nach Stralsund geschafft. Dort angekommen war er umgehend zum Hafen gegangen, wo ein älterer Mann, der mit seinem lockigen Bart und seiner Pfeife alle Klischees eines Seemanns erfüllte, schon auf ihn gewartet hatte. Mit einem wenig vertrauenerweckendem Kahn waren sie dann an Rügen vorbei auf die offene See hinausgefahren, wo ein heftiger Sturm sich über ihnen zusammengebraut hatte. Doch der alte Mann, Michalski hieß er, war einfach lachend und mit Kaptain Ahab mäßiger Pose hinter Steuerrad stehend weiter gefahren.
So war Patrick heilfroh als aus dem Unwetter, dass drohte zunehmend heftiger zu werden, ein Schiff auftauchte. Es sah aus wie ein Krabbenkutter mit den beiden großen Netzten an seinen Seiten. Auf seine Frage hin erklärte Michalski ihm, dass das Aussehen zur Tarnung sei und dem Besitzer des Schiffes den Namen "Kudda Kalle" eingebracht habe.
Als sie nur noch wenige Meter von dem Schiff entfernt waren wurde eine Strickleiter an der Bordwand heruntergelassen. Patrick sah zwischen der heftig im Wind schwankenden Leiter und Michalski hin und her. Der alte Seemann nickte ihm ermutigend zu und so ergriff Patrick die unterste Sprosse. Oben angekommen wurde er von einem bärtigen, langhaarigen und sehr großem Typ begrüßt, der sich als Martin vorstelle. "Komm rein - ins Warme!", lud er den sichtlich zitternden Patrick ein. "Na du hast wohl gar kein Temperaturgefühl mehr. Oder warum rennst du bei dieser scheiß kälte im T-Shirt rum?" Martin zuckte nur die Schultern und ging unter Deck. Patrick folgte ihm murrend.
Drinnen wurde er von 2 Dingen überrascht. Erstens war hier unten sehr warm, schon fast zu warm so, dass er Martins Kleiderwahl zu mindest ein wenig nachvollziehen konnte. Zweitens stelle sich Kalle, den Patrick ebenfalls für einen kernigen Norddeutschen gehalten hätte, als ein junger Däne, ungefähr in seinem Alter heraus. "Kalle, Kalle Blomkvist!", stellte er sich vor und streckte die Hand aus. "Ist das nicht ne Romanfigur?", antwortete Patrick und schüttelte Kalles Hand. "Ja, das ist so... Meine Eltern fanden das wohl lustig." "Tut mir Leid, Mann!" "Ach Astrid Lindgren ist in Dänemark gar nicht so berühmt wie man es von einem skandinavischen Land erwarten sollte", lächelte Kalle, doch er wirkte nicht wirklich überzeugend. Patrick beschloss das Thema nicht weiter zu verfolgen und fragte stattdessen: "Und wie läuft das Ganze hier jetzt?" Das Gesicht des Dänen hellte sich auf und er antwortete: "Nun da ich nicht wusste wann du kommst, werde ich erst noch ankündigen, dass du endlich da bist. Dann kommt noch ein bisschen Musik ein kleines Interview zwischen uns beiden und dann kannst du erzählen was zu willst." Patrick nickte und Kalle zog sich jetzt Kopfhörer über und setzte sich an ein Mikrofon.
"Hallo, Hallo ihr da draußen! Das Wetter ist schrecklich, der Regen ist kalt, doch die Lage ist heiß! Ich hab euch einen waschechten Enthüllungsjournalisten versprochen und hier ist er endlich! Hallo Patrick!" Patrick machte eine entsetzte Geste als Kalle seinen Namen erwähnte, doch der lächelte ihn nur an. "Jetzt gibt es aber erstmal noch ein bisschen Musik und in einer halben Stunde sind wir dann mit einem Interview zurück und Patrick hier erzählt euch die neusten Geheimnachrichten. Ich bin Kalle und ihr hört Guerilla Radio, euer ganz persönlicher Feindsender."
Musik (Öffnen)

Während er sprach fragte Patrick sich, ob es nicht vielleicht schlauer gewesen wäre wenn Kalle einen Sprecher mit weniger starken Dialekt eingestellt hätte. Der Däne drehte sich zu Patrick um nahm seine Kopfhörer wieder ab. "Mach dir keine Sorgen weil ich deinen Namen gesagt habt. Ich meine: Weißt du wie viele Patricks in Berlin leben?", meinte er lächelnd "Und weißt du wie wenige Patricks in den letzten Wochen schon ihre Wohnung verlassen mussten, weil wahrscheinlich schon nach ihnen gefahndet wird?", gab Patrick kühl zurück. "Oh...ähm...he he", machte Kalle. "Ähm... Hunger?", lenkte er ab. Patrick funkelte den Dänen zwar noch immer an, nickte aber und Kalle wuselte in einen Raum der anscheinend eine Küche war. "Pizza?", kam ein Ruf aus der Küche. "Ja, mach du mal!". Scheppern und Fluchen drangen aus dem kleinen Raum. Dann das dumpfe Brummen eines Ofens mit Umluft. "Slime?", fragte Patrick mit einem Kopfrucken in Richtung Musikanlage. Kalle nickte "Die sind ziemlich alt!", fuhr Patrick fort. "Die meisten sind tot, nicht wahr. Aber sie trotzdem gut, also damals waren sie´s zu mindest.", meinte Kalle. Jetzt war es an Patrick zu nicken.
Eine halbe Stunde und eine Tiefkühlpizza später saßen Patrick und Kalle zusammen vor dem Mikrofon.
"Hallo. Da bin ich wieder, euer Kalle! Ich hab euch einen Enthüllungsjournalisten versprochen und hier ist er:", Kalle stockte einen Moment und sah Patrick fragend an. Der nickte - es war sowieso zuspät. "Patrick! Hallo Patrick" "Hallo Kalle." "Patrick, du hast früher schon als Journalist gearbeitet, doch dann kam dir eine richtig dicke Story unter." "Das kann man wohl sagen." "Wie bist du an die Geschichte gekommen? Wer war dein Informant?" "Ja Kalle, das war schon eine seltsame Geschichte. Eines Tages hatte ich einfach einen Anruf auf dem AB meines Arbeitstelefons. Da hatte so ein komischer Kauz draufgesprochen und mir erzählt, dass er wichtige Informationen hätte." "Das klingt ja nicht besonders vertrauenswürdig." "Das nicht, aber er konnte mit ne Menge Insiderinfos geben." "Das klingt ja sehr interessant! Aber erzähl doch vielleicht einfach mal, was du von diesem Typen alles erfahren hast."
"Wer glaubt ihr regiert diesen Staat?", fragte Patrick, er fand, dass die Eröffnung, die Wioretsch damals verwendet hatte, einen sehr guten Einstieg in die Thematik darstellte.
"Einige von euch werden sagen die Regierung. Ein paar andere werden sagen die Wirtschaftseliten. Ihr denkt also, dass die Regierung so wie so nur noch eine Puppe darstellt, die von von Bankern, Großindustriellen und Co gelenkt wird. Ihr habt noch mehr Recht, als ihr es selbst glaubt!"
Und so erzählte er: Wie der Staat unterwandert worden war, wie die Wirtschaftsbosse ihn endgültig übernehmen wollten um von gar keinen Gesetzen mehr beschränkt zu werden. Er erzählte auch, wie die Rolle der PFM in diesem Spiel aussah und, dass sie nur Mittel zum Zweck war. Das erzählte er eigentlich nur, weil es zur Geschichte gehörte, doch er wurde von mehr Ohren gehört als er es geglaubt hatte.
Zuletzt geändert von Guerillonist am 14. Juli 2012 00:35, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 5. Februar 2012 17:51

1.Akt
17.Szene


King William. Er trug die Krone des Vereinten Königreichs und somit war diese Insel sein Besitz - auf dem Papier. Tatsächlich war der Status der Isle of Man schwer zu beschreiben. Sie galt als englischer Kronbesitz. War somit weder Teil der EU, sogar noch vor dem Austritts Englands aus der Gemeinschaft, noch des Vereinigten Königreichs. Aufgrund dieses Status hatte die Isle of Man lange Zeit den Ruf eines Steuerparadieses, doch hatte sich schon vor Jahren geändert. Zum Glück wie Margit fand. Die Deutschen hatten damals zuerst einen Transparenzpakt mit der Regierung der Isle of Man geschlossen, seitdem waren die Villenbesitzer nach und nach verschwunden. Margit war das nur recht gewesen. Diese Leute waren nur hier hin gekommen um ihre Millionen hier zu bunkern. Sie hatten kein Interesse an der Insel gehabt. Margit hingegen schon.
Sie setzte sich in die Bahn, löste ein Ticket und nahm am Fenster Platz. Sie war stolz mit ihren 45 Jahren die älteste Person hier auf der Insel zu sein, deren Muttersprache Manx, die keltische Ursprache der Ilse of Man, war. Während die Sprache Anfang des 21. Jahrhunderts als so gut wie ausgestorben galt, gab es mittlerweile wieder rund 5.000 Muttersprachler und jeder 2. Einwohner von Man verfügte zumindest über Grundkenntnisse in Manx. Umso mehr empfand sie es als Fas, dass noch immer der englische König, wie ein Monarch das Staatsoberhaupt war. Jedes Gesetz musste von ihm designiert werden und dadurch hatte er ein Vetorecht - und zwar keines, dass nur aufschiebenden Charakter hatte. Von diesem Recht hatte er in letzter Zeit ausgiebig Gebrauch gemacht. So hatte er zum Beispiel verhindert, dass die Währung von Man, der Isle-of-Man-Pfund, sich vom, stetig im Wert sinkenden, Pfund-Sterling loskoppelte.
Der Zug setzte sich mit einem Quietschen in Bewegung und nahm Kurs auf die Hauptstadt Douglas. Nun die Krone schien es nicht anders zu wollen, dachte Margit bei sich und packte ihre Stullen aus. Tatsächlich hatte man vielerorts schon begonnen eine Alternativwährung, den Manx-Pfund, zu verwenden. Auf dem "Festland", wie man Großbritannien hier auf Man gerne nannte, sah man so etwas gar nicht gern. Doch wenn alles so verlief wie Margit sich es vorstellte, dann musste sie das bald nicht weiter darum scheren.
Mit dem fürchterlichen Geräusch von Metall, das über Metall reibt, kam der Zug in Douglas zum Stehen. Sie stieg aus und mit schnellen Tippelschritten ging sie die Bahnhofstreppe hinunter. Sie folgte den Straßen bis sie den Tynwald erreicht hatte, das 979 gegründete Parlament der Isle of Man. In dem kleinen Parlamentsgebäude, das von außen eher einem großen Cafe ähnelte, hängte sie ihre Jacke an einen Haken und betrat den winzigen Plenarsaal. Margit war seit 3 Jahren Mitglied des House of Keys, oder Yn Chiare as Feed wie es auf Manx hieß, was so viel bedeutete wie "Vierundzwanzig" und sie auf die Mitgliederzahl bezog. Es war das Unterhaus von Man.
Bild
Margit tippelte zum Pult und räusperte sich: "Nun ich will gleich anfangen!" "Erzähl doch erstmal! Wie war Weihnachten bei dir!", wurde sie dann jedoch unterbrochen. Margit nahm dem Sprecher die kleine Unterbrechung jedoch nicht übel und antwortete freundlich "Ach, nicht übel Harold! Du weißt ja, man muss etwas kürzer treten, aber dafür war es um so besinnlicher!" "Ja, Margit!", warf jetzt eine Frau von der Seite ein "Tommy war wohl ein bisschen enttäucht über sein Geschenk, aber mit 3 Kindern muss man halt auch mal "Nein" sagen können und spätestens beim Essen waren dann alle wieder glücklich!" "Hast du wieder deinen berühmten Truthahn gemacht, Miranda?", wollte ein Mann auf der anderen Seite des Raumes wissen. "Ja, Thomas. Ich hab auch noch ein wenig eingefroren. Wenn du willst bring ich dir morgen etwas davon mit." "Na das nehm ich doch gerne an." Margit räusperte sich erneut, diesmal lauter. "Ruhe bitte! Wir haben Wichtiges zu besprechen!", schollt sie die beiden, fügte dann aber mit einem Zwinkern hinzu "Ich nehm dann auch was vom Truthahn, wenn noch was übrig ist."
Man kannte sich im House of Keys. Es gab keine Parteien und dementsprechend weder Regierung noch Opposition. Außerdem war man auf der 90.000 Einwohner Insel gut vernetzt und so kannte jeder jeden - na ja fast. "Worum es hier heute geht", fuhr Margit nun ernster fort "ist die Abspaltung unseres schönen Landes vom Vereinigten Königreich!" "Wir sind doch gar nicht Mitglied!" unterbrach Thomas sie "Du weißt was ich meine... Wir wollen prüfen, ob wir einen eigenen vollständig autonomen und völkerrechtlich anerkannten Staat gründen wollen!" "Ach das können wir doch gar nicht so entscheiden!", meinte ein anderer Mann "Ich meine: Wir sind 24!" "23", fiel Miranda ihm ins Wort "Tiffany ist krank - Magendarm." Der Mann, der gesprochen hatte drehte sich in seinem Sitz um, erspähte einen leeren Stuhl und rief aus: "Tatsache! Tiffy fehlt! Na gut dann eben 23! Noch schlimmer! Ich finde wir sollten einen Volksentscheid zu der Sache starten!" "Na gut!", lenkte Margit ein "Dann stelle ich hiermit einen Antrag auf einen Volksentscheid über die Loslösung der Isle of Man von der Brittischen Krone! Hast du so weit alles?", wandte sie sich dann an den jungen Sekretär, der sein Praktikum hier absolvierte. Der sah von seinem Laptop hoch und nickte. "Die Sache mit dem Truthahn kannst du streichen!", sagte Thomas, der zum dem Jungen herüber gegangen war. "Also dann! Bitte!", verschaffte sich Margit jetzt sichtlich entnervt Gehör. " Wer stimmt den Antrag zu?" 20 Hände wurden in die Luft gehoben. "Wer enthält sich?" diesmal waren es 2 "Wer ist - nur der Vollständigkeit halber - dagegen?" Thomas hob die Hand und Margit ihre Rechte Augenbraue. "Mir geht das irgendwie zu schnell", versuchte er sich zu erklären. "Ist ja auch egal!", seufzte Margit "Herr Vorsitzender? Zu welchem Ergebnis kommen sie?" Der alter Mann, der neben dem jungen Sekretär an einem separaten Tisch saß, wirkte tatsächlich einen Moment so, als müsse er sehr genau überlegen um zu entscheiden welche Seite mehr Stimmen bekommen hatte. Dann krächzte er jedoch, mit einer Stimme wie die einer alten Elster "Dem...äh Antrag wird stattgegeben!"
"Sehr schön!" Margit atmete auf. "Was steht als nächstes auf der Tagesordnung? ... Herr Vorsitzender?" Der Mann schreckte hoch, als sei er zwischenzeitlich eingenickt. Dann kramte er fahrig in seinen Unterlagen nahm einen Zettel hervor und hielt ihn sich vors Gesicht "Die Einfuhrgesetze von äh ... Dünge ... Düngemitteln!" Margit verzog das Gesicht. "Ok, dann können wir danach darüber beraten, wie wir die Sache mit dem Volksentscheid am besten durchführen." Mit diesen Worten nahm sie Platz und ein anderer Redner betrat das Pult.
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 10. Februar 2012 22:22

1.Akt
18.Szene


Sven versuchte sich seine Niedergeschlagenheit nicht anmerken zu lassen, als er die Sicherheitssperren des Bundestages durchquerte. Konnte es wirklich stimmen? Er nahm seinen gewohnten Sitz hinten in der Mitte des Plenarsaals ein. Ein Politiker der SPD trat vor. Es ging um den Einkauf von Überwachungskameras aus Korea. Er hörte kaum zu. Zusammengesunken saß er auf seinem Sitz und ließ die Ereignisse der letzten Monate Revue passieren. Stets war er davon überzeugt das Richtige zu tun, ja sozusagen auf der Seite der Guten zu stehen. Doch wenn er die vergangene Zeit genauer betrachtete: Durch die Krise hatten die Unternehmen Einnahmeeinbußen hinnehmen müssen. Also hatten sie Mitarbeiter entlassen. Simon Bermel hatte damals dafür plädiert als Reaktion den Mindestlohn auszusetzen, damit die Unternehmen bei gleichen Kosten mehr Mitarbeiter beschäftigen können. Damals war es ihm als geniale Idee vorgekommen. Er hatte dafür gestimmt. Nicht, dass er hätte gegen ein Vorhaben seiner Partei stimmen können.
Es muss der Wirtschaft gut gehen, damit es der Gesellschaft gut geht! Mit diesem Schlachtruf hatte die PFM die Finanztranksaktionssteuer rückgängig gemacht, den Spitzensteuersatz gesenkt, das Renteneintrittsalter erhört und den Verbraucherschutz ausgeschaltet. Und er war dabei gewesen, hatte mitgemacht. Er konnte sich noch nicht einmal auf Mitläuferschaft rausreden. Dafür war er ein zu hohes Tier in der Partei.
Aber sie hatten doch immer nur das Beste gewollt! Der Wirtschaft hatte es doch wirklich so gut gegangen wie schon lange nicht mehr. Und der Gesellschaft? Wenn es der Wirtschaft schlecht geht, geht es auch der Bevölkerung schlecht. Doch ließ sich daraus zwingend der Umkehrschluss schließen?
Sven trank einen Schluck Wasser und tat so würde er eine Zeile auf seinem Tablet-PC besonders genau lesen, doch in Wahrheit sah er sie gar nicht. Und jetzt wo es der Wirtschaft schlecht geht, und der Gesellschaft auch, war es da wirklich das Allheilmittel die letzten Beschränkungen der Wirtschaft zu lösen?
Seine Zweifel hatten schon lange vor diesem Tag bestanden, doch was er kurz vor Weihnachten im Radio, bei irgendeinem Piratensender gehört hatte... Die ganze PFM nur Verfügungsmasse? Letztlich nicht radikal genug für die Strippenzieher ? Natürlich hatte Sven schon immer gewusst, dass keine anderen Partei so eng mit den verschiedensten Konzernen verwobenen war, wie seine aber so was? Söldner hatte dieser Kerl, Patrick, sie genannt. Und so fühlte sich Sven auch im Moment. Wie ein dreckiger Söldner.
Ohne ein Wort zu sagen stand er von seinem Platz auf und wanderte ziellos durch den Bundestag. Bis er dem Bundeskanzler über dem Weg lief. Respektvoll ruckte er mit dem Kopf. "Hallo Herr Stähle! So früh schon im Bundestag?" "Die Politik ruft mich. Das Bundeskanzleramt habe ich derweil meinem Privatsekretär überlassen.", Stähle lächelte schief.
Sven hatte nie über sonderlich viel Empathie verfügt, doch selbst konnte merken, dass der Bundeskanzler in einer mindestens genauso schlechten Stimmung war wie er. Allein schon die Tatsache, dass er sich Zeit nahm um sich mir ihm zu unterhalten, statt nur mit einem knappen Nicken an ihm vorbei zurauschen war seltsam. Einen Moment lang breitete sich Schweigen zwischen den beiden Politikern aus. Dann räusperte sich Stähle: "Sie bedrückt irgendetwas! Das seh ich ihnen an! Also los nur raus damit!" Das war nun endgültig merkwürdig, dachte sich Sven, doch er nickte langsam und begann unsicher: "Nun, ich habe letztens im Radio etwas gehört..." Im knappen Sätzen erzählte er dem Kanzler, dass er gehört hatte, wie sie, die PFM, nur von Wirtschaftsbossen ausgenutzt wurden um den Staat zu unterwandern und, dass sie beseitigt werden sollten wären die Banker und Konzernchefs erst an der Macht. Eigentlich waren sie das ja schon seit Jahrzehnten.
Stähle hatte die ganze Zeit verständnisvoll gelächelt und mit jedem Wort war sein Lächeln unechter und bitterer geworden. "Aber das glauben sie doch nicht wirklich, oder ?", fragte er schließlich in einem eindeutig bedauerndem Ton. "Ich wüsste nicht warum dieser Mann lügen sollte, Herr Kanzler!", antwortete Sven vorsichtig "Wahrscheinlich wollte er sich nur wichtig machen." "Meinen sie wirklich? Und dafür gibt sich ein Mann in Gefahr wegen Betreiben eines illegalen Radiosenders ins Gefängnis zu gehen?" "Ach sie wären erstaunt was Menschen alles tun, für ein bisschen Ruhm... oder für Geld." "Ich weiß trotzdem nicht... er hat so viele Dinge gewusst. Dinge, die er nicht hätte wissen können, wären seine Quellen nicht echt." "Ich kann nur betonen: Machen sie sich keine Sorgen! Tuen sie einfach was man ihnen sagt und halten sie den Kopf in Deckung, dann passiert ihnen schon nichts." Mit diesen wenig beruhigenden Worten ließ er einen zu tiefst verunsicherten Sven zurück.
Zuletzt geändert von Guerillonist am 14. Juli 2012 00:41, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 18. Februar 2012 14:46

1.Akt
19.Szene


Zugegeben: Margit hatte es sich leichter vorgestellt. Doch wenn sie ein Ziel vor Augen hatte war sie hart - und bissig. So hatte sie in Upper Church Street einen kleinen Stand aufgebaut und verteilte Flugblätter an Passanten, auf denen sie die Abspaltung der Ilse of Man von Großbritannien bewarb. Die Reaktionen der Menschen waren unterschiedlich: Von Kopfschütteln über ehrliches Interesse bis hin zu Begeisterung war alles vertreten. Gerade hatte Margit einen pedantischen alten Mann verabschiedet, der sie alle paar Sätze unterbrochen hatte um sie mit irgendeiner Zahl zukorrigieren. Da kam ihr Kollege Thomas ihr entgegen. "Morgen Margit", begrüßte er sie mit seiner rauen Stimme. "Guten Morgen Thomas!", antwortete Margit und zuppelte ihren Schal zurecht. "Wie läuft es bei dir?" erkundigte er sich und tat sehr interessiert an einen von Margits Flyern. "Ach ganz gut.", lächelte sie und rückte einen Stapel Info-Heftchen zurecht "Das Thema kommt für viele etwas überraschend, aber ich glaube jetzt ist genau der richtige Moment." Ihre Augen begannen zu leuchten. "Vor Zwei Tagen haben sich die Kulturfreunde Manx getroffen. Da konnte ich viele Anhänger für meine Idee gewinnen. Es ist immer gut nicht nur Leute aus der Politik hinter sich zu haben." "Da hast du recht", bestätigte Thomas. Er beobachtete einen Moment lang die vorbeiziehenden Passanten, dann fuhr er fort: "Und du denkst der Zeitpunkt ist günstig?" "Ja, sicher. In der Wirtschaftskrise wird es uns viel besser gehen, wenn wir nicht mehr von Großbritannien abhängen. In manchen Gebieten ist die Arbeitslosigkeit viermal so hoch wie hier!", dann wandte sie sich an einen Mann Anfang 30, der sich über Flyer gebeugt hatte und verwickelte ihn in ein Gespräch.
Nach 3 Minuten zog der Mann mit ein paar Informationsbroschüren für sich und seine Freunde von dannen und Margit setzte das Gespräch fort als hätte es keine Unterbrechung gegeben. "Und außerdem ist die Entscheidung vom Tynwald getragen." Thomas seufzte und kratzte sich im Nacken. "Das kann man so nicht sagen... die Entscheidung einen Volksentscheid zu der Sache zu machen ist vom Tynwald getragen. Margit du weißt wie das hier abläuft: Stell einen Antrag auf Volksentscheid über was du auch immer willst und du kriegst in bewilligt." Margit schürzte die Lippen. "Mag sein!" gab sie spitz zurück. "Deshalb bin ich ja hier. Um die Leute zu überzeugen, dass es das Beste ist sich von London zu trennen."
Die beiden verfielen in unbehagliches Schweigen. Dann räusperte sich Thomas: "Der Stichtag für den Entscheid ist der 2. März nicht wahr?" Margit nickte. "Und du meinst, du schaffst es die Menschen in 2 Wochen zu überzeugen, oder ?" "Natürlich!", antwortete sie mit scharfem Unterton. "Ich frage mich nur was Westminster dazu meint...", fuhr Thomas fort und begann von einem Bein aufs andere zu treten. "Thomas?", Margit zog die Luft zwischen den Zähnen ein. Ihre Augen wurden schmal und die Geste, mit er sie ihre Rüschenbluse zurechtrückte, hätte einem Angst einflößen können, wäre Margit nur einen Kopf größer gewesen. "Was verheimlichst du mir?" verlangte sie zu wissen. "Nun, der Grund warum ich dich sprechen wollte ist...", er brach ab und zog eine zerknitterte Ausgabe der Sun aus der Tasche seines Anzugs.
In fettgedruckten weißen Lettern prangte da die Überschrift : KELTISCHE HEXE entsetzt begann Margit zu lesen: Douglas. Auf der Isle of Man, einem Kronbesitz unseres Königs William proben Möchtegern-Kelten offenbar den Aufstand. Wie erst kürzlich bekannt wurde, gewährte offenbar das Parlament der Isle of Man dem Volk der Insel eine Abstimmung über die Frage, ob sich der kleine Flecken Land vom britischen Mutterland abtrennen wolle. Die Frage warum dies erst kürzlich bekannt wurde, beantwortete unser Korrespondent mit: "Mal ehrlich, wen interessiert schon was auf der Isle of Man passiert."
Die Toris sehen die Sache jedoch anscheinend anders: "Es könnte uns ja eigentlich egal sein, aber es wäre ein Angriff auf unsere Ehre.", hieß es aus der Partei. "In einem solchen Fall muss der König klar Stellung beziehen. Er darf sich von ein paar selbsternannten Rebellen auf der Nase rumtanzen lassen."
Die Rädelsführerin dieser neuen Bewegung ist eine gewisse Margit Averloue. Die gebürtige Manxess ist Mitglied des sogenannten Tynwald, des Möchtegern-Parlaments der Insel. Offenbar hat sie ihre kleine Diskussionsrunde mit einem echten Parlament verwechselt und scheint auf ihrem Emanzipationstrip nun wohl auch die Bevölkerung anzustacheln sich gegen das Vereinte Königreich zu wenden. Misses Averloue, von der Redaktion "die keltische Hexe" getauft, ist die älteste Muttersprachlerin der Ureinwohnersprache Manx, anscheinend hat sie über diese Tatsache wohl ihr Englisch verlernt. Ein anderer Grund warum sie will, dass sich ihre Insel von unserem schönen Vaterland abtrennt fällt uns momentan nicht ein. Vom König gibt es noch keine Stellungnahme zu dieser Angelegenheit.
Ob der keltische Aufstand weitergehen wird oder ob das Parlament der Ilse of Man bald mit der Einnahme durch Buckinghamwache rechnen muss - wir wissen es nicht. Aber wir werden ab jetzt wohl ein Auge auf die kleine Insel halten, die bisher nur durch unverantwortliche Motorradrennen Schlagzeilen machte.

Margit hatte zu Ende gelesen. Für ein paar Augenblicke wirkte sie, als würde sie jeden Moment explodieren. Dann lachte sie jedoch nur einmal sehr hoch und spitz auf. Es war ein kaltes unehrliches Geräusch, dass einem einen Schauer über den Rücken laufen ließ. "Ich hatte mir schon gedacht, dass etwas kommt. Ich war ja damals sowieso dagegen, dass..." "Weißt du was?", unterbrach ihn Margit. Sie sprach etwas lauter und schneller, als es nötig gewesen wäre. "Es ist mir völlig egal, was die Sun über mich sagt... oder der König." "Und die Leute hier?", fragte Thomas. "Was soll mit denen sein? Die sind auf meiner Seite. Glaub mir." "Alle?" "Alle nicht, aber die meisten..." Dann sah sie ihr Gegenüber misstrauisch an. "Du doch auch, oder Thomas?" wollte sie dann wissen und ihre Stimme hatte einen gefährlichen Klang. "Nein!" Die unmissverständliche Antwort überraschte sie. "Margit... es macht keinen Sinn. Die Isle of Man, ein eigener Staat... wie stellst du dir das vor? Wir brauchen einfach ein wenig Hilfe von außen um unsere Angelegenheiten zu regeln. Das weißt du so gut wie ich."
Margit sah ihn nur kopfschüttelnd an. "Das Volk wird entscheiden!", sagte Thomas schließlich in versönlichen Ton. Tatsächlich brachte Margit noch ein Lächeln zu Stande, ehe Thomas in den Straßen verschwand und sie allein ließ.
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 21. Februar 2012 18:51

1.Akt
20.Szene


Die Tür zum Fiddler&Shamrock wurde von einem alten Stammgast aufgestoßen. Er ging schnurstracks zur Bar und ließ sich auf einem Hocker nieder. "Na Brian, wie läuft der Pub?", fragte er und grinste den Wirt an. Brian sah den Mann nur leicht schockiert an "Patrick? Du siehst scheiße aus!" Patricks Grinsen wurde eine Spur breiter und ließ gelbliche Zähne aufblitzen. "Du bist auch sehr sexy."
Ohne zu fragen stellte Brian ihm ein Glas auf den Tisch und schüttete ihm einen Whiskey ein - einen dreifachen. Patrick nickte dankbar und kippte den Drink. Brian musterte seinen Gast immer noch kritisch. "Also... wie... äh läuft es bei dir?" "Könnte nicht besser laufen", gab Patric zurück, griff nach der Whiskeyflasche und füllte sich nach. "Aber das heißt gleichzeitig es könnte nicht schlimmer laufen." Brian machte ein fragendes Gesicht. "Je erfolgreicher wir mit der Verbreitung unserer - nennen wir es Warnung - sind, desto ernster nimmt man uns, aber desto härter werden wir auch verfolgt", erklärte Patrick. "Mehrere haben sie schon verhaftet und was man so hört auch verurteilt." Patrick nahm erneut einen Schluck Whiskey ehe er fortfuhr "Was meiner Ansicht nach der endgültige Beweis ist, dass dieser merkwürdige Wioretsch die Wahrheit gesagt hat. Sonst würde sich gar keiner die Mühe ein paar Verrückte mit irgendeiner Verschwörungstheorie zu jagen." "Hast du nochmal was von diesem Wioretsch gehört?" "Nein, der Bastard hat sich aus dem Staub gemacht."
Die beiden schwiegen einige Momente lang. Dann sagte Patrick: "Aber wer mir eigentlich viel besser sagen kann, wie´s bei uns läuft, als ich bist du!" "Ich?" "Ja! Du bist sozusagen ein neutraler Beobachter. Also was kriegen die Leute so von uns mit?" Brian überlegte einen Moment und blies die Wangen auf. "Nun es ist im Grunde wie du sagst: Die meisten halten euch für ein paar Verrückte, die sich irgendeine Verschwörung ausgedacht haben. Aber immerhin kennt man eure - wie hast du es genannt? Warnung! Man kennt eure Warnung." "Das ist mehr als ich erwartet hatte", meinte Patrick mit einem Achselzucken und leerte den Rest Whiskey.
"Aber um nochmal auf meine Frage vom Anfang zurück zukommen: Wie läuft die Kneipe?", nahm Patrick den Faden wieder auf. "Überraschend gut - auch wenn mir das Publikum zunehmend schlechter gefällt." Patrick stutze "Wie meinst du das?" "Ne Menge verkrachte Existenzen. Arbeitslose die ihre Erinnerungen in Alkohol ertränken wollen." "Und halbirische Widerständler, die sich seit 4 Tagen nicht geduscht haben." "Die sind die schlimmsten", antwortete Brian ernst und begann ein Glas zu putzen.
Patrick hielt es für besser sich vielleicht doch nicht noch einmal nachzuschenken und verfiel in unbehagliches Schweigen. "Wie läuft das eigentlich bei euch ab?", wollte Brian unvermittelt wissen. Patrick seufzte und kramte in seinen Taschen nach einer Zigarette. Er wollte sie sich anstecken, doch Brian nahm sie ihm aus der Hand. "Du bist Nichtraucher!", schalt er. "Das war mal", murmelte Patrick, seufzte erneut und begann: "Also erstmal muss du wissen, dass wir keine zentral organisierte Gruppe sind. Wir sind eher so ne Art Verband: Menschenrechtsorganisationen, Anarchisten, Nazis, Sozialisten, Punks und Leute die einfach nur auf Verschwörungstheorien stehen. Letztens hab ich sogar nen Pfarrer gesehen. Außerdem gibt es mindestens eine Gruppe, die gar keinen Kontakt zu uns hat. Da war letztens so ne Aktion in Erfurt wo keiner von uns weiß wer die organisiert hat. Die meiste Zeit sind wir damit beschäftigt die Leute auf uns aufmerksam zu machen und zu hoffen, dass sie uns glauben." "Und was erwartest du, was die Leute tun sollen?" "Jaha, das ist die große Frage an die sich niemand von uns rantraut: Was wollen wir überhaupt erreichen? Es ist eigentlich ziemlich frustrierend. Wir organisieren Flugblattaktionen, bloggen auf allen möglichen Webseiten - glaub mir auf allen möglichen. Einer von uns ist nur damit beschäftigt Links zu unseren Bloggs auf Pornoseiten zu posten; was ne ziemliche Sisyphusarbeit ist. Sobald die Regierung unsere Bloggs entdeckt werden sie gesperrt. Also brauchen wir immer neue Plattformen für unsere Warnung. Wir gehen zu offenen Kanälen erzählen den armen Leuten da wir wollen etwas über Sicherheitsmängel auf örtlichen Spielplätzen ,oder über was weiß ich für nen Scheiß, berichten und fangen dann an, sobald die Kamera läuft, über eine Verschwörung gegen den Staat zu labern. Wir haben ja auch noch den Piratensender, wobei wir ja eigentlich keine neuen Infos haben uns deshalb war ich selbst schon seit einem Monat nicht mehr da oben in der Ostsee. Im Moment bin ich dabei zusammen mit nen paar anderen ne Zeitung zu schreiben, die wir dann den Leuten in die Briefkästen schieben.
Aber die eigentliche Frage können wir den Leuten gar nicht beantworten: Was sollen sie tun? Da wir leider nur wissen was passiert, nämlich, dass ein paar Wirtschaftsbosse sich zu Staatschefs aufschwingen wollen, aber weder wann noch wie, wissen wir auch nicht wie wir es verhindern können. Und das frustet! Wir bräuchten ein paar neue Informationen. Am besten von nem Insider. Wioretsch hat sich immer sehr... nebulös ausgedrückt. Daran arbeiten wir auch, aber wir haben leider keinen Ansatzpunkt wo wir mit unserer Suche nach Informationen anfangen können."
Wieder schwiegen beide. Brian nahm sich einen Lappen und wischte die Theke ab, ließ Patrick dabei jedoch nicht aus den Augen. Das Piepen einer SMS unterbrach schließlich die Stille. "Was steht drin?", fragte Brian sofort, und dann als er Patrick Handy sah "Und was ist das für ein altes Teil?" "Musste mein altes verkaufen", nuschelte Patrick "Außerdem ist es sicherer ein nicht GPS-fähiges Handy dabei zu haben." Er runzelte die Stirn während er die Nachricht las. "Borsti hat geschrieben... Patrick freu dich! Sven ist unser Goldjunge. Kein Plan was er damit meint." "Dann solltest du es herausfinden", meinte Brian.
Patrick seufzte und stand auf. "Vermutlich hast du Recht." "Und eine Dusche könnte auch nicht schaden..." Patrick ließ ein freudloses Lachen hören. "Brian... ich bin praktisch auf der Flucht. Ich bin schon froh wenn ich in einem richtigen Bett pennen kann und was zu beißen krieg." "Dann schlaf doch bei mir heut Nacht" "Du weißt, dass du dich damit in Gefahr begibst als Mitwisser verdächtigt zu werden." "Aber das bin ich doch eh" Patrick lachte erneut, aber diesmal ehrlich. "Dann bis heute Nacht!"
Er verließ den Pub. Die kalte Luft belebte seine Sinne. Er wusste zwar noch nicht wo er Borsti finden sollte, aber irgendwo würde er schon stecken.
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 26. Februar 2012 18:57

1. Akt
21.Szene


Ein mulmiges Gefühl beschlich Iraklis Pantagiota als er vom Fenster seines Flugzeugs aus den Flughafen Roms erspähte. Er atmete ein paar mal tief durch um sich zu beruhigen, während im Flugzeug gerade die Durchsage kam, dass die Passagiere ihre Sicherheitsgurte anlegen sollen. Der alte Grieche fühlte sich als wäre er auf seinem Gang zum Schafott. Er sah nach links wo zwei seiner Kollegen saßen. "Wir landen gleich", erwähnte er vollkommen unnötiger Weise. Die beiden anderen nickten. Sie waren wohl etwas genervt von seiner Aufgeregtheit.
"Ja wir landen", sagte Polyvios ohne Iraklis anzusehen. Stattdessen sah er mit leeren Blick den Gang entlang. "Vielleicht sollten wir die Veranstaltung heute boykottieren", schlug Iraklis zum etwa 20. Mal vor. Christos stöhnte bloß, doch Polyvios antwortete: "Das haben wir doch schon durchgekaut. Es bringt einfach nichts. Das Beste, dass wir jetzt tuen können ist einfach nachher gegen die Auflösung zu stimmen." "Ist doch eh beschlossene Sache", warf Christos resigniert ein.
Das Flugzeug, mit den griechischen EU-Abgeordneten an Bord, setzte auf dem Leonardo da Vinci International Airport auf. Nach dem EU-Austritts Brüssels hatte man den Sitz des Europaparlaments nach Rom verlegt. Eine kurze Ehre, wie Iraklis befürchtete. Nachdem auch Irland und Spanien angekündigt hatten, dass sie die europäische Gemeinschaft verlassen wollten, war die Diskussion angestoßen worden die EU ganz aufzulösen. Ein Vorschlag der schnell viele Befürworter gefunden hatte... zu schnell für Iraklis Geschmack. Er gehörte zu den wenigen Gegner einer Auflösung der Europäischen Union. Der Hauptgrund dafür war Griechenland.
Er nahm seine Aktentasche von Fließband und trat den Weg zum Ausgang des Flughafens an, dabei war er so in Gedanken vertieft, dass er kaum merkte wohin ihn seine Füße trugen. Die Stimmung in der griechischen Bevölkerung war besorgniserregend. Nichts gegen gesunden Patriotismus, aber das was im Moment im Land der Philosophen ablief... Einer der Maßnahmen, die die griechische Regierung damals beschlossen hatte um wieder in die Eurozone aufgenommen zu werden, war die Verkleinerung des Heeres, doch seit einem Jahr wuchsen und wuchsen die Rüstungsausgaben wieder. Und was war die Reaktion der griechischen Bevölkerung? Sie waren begeistert. Wenn man diese Tage durch die Straßen Athens lief waren anti-islamische Hetze und Parolen wie Makedonien ist auch Griechenland! an der Tagesordnung. Wer sich an der Situation freuen konnte war vor allem die Kirche. Sie verzeichnete Zuströme wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. "Die Rückkehr der Werte", hatte der Premierminister gelobt. Wenn das die alten Werte sind, dachte Iraklis säuerlich, dann wusste er nicht ob er noch stolzer Grieche sein konnte.
Er blinzelte als er plötzlich ins Licht des Platzes vor dem Terminal trat. Ein Taxi wartete schon auf ihm. "Senior Patagonien nehme ich an", begrüßte ihn der junge Taxifahrer. "Pantagiota, aber ja", antwortete Iraklis ohne sich seinen Ärger über den Taxifahrer anmerken zulassen. Er stieg ein und der junge Mann gab ordentlich Gas. Iraklis mulmiges Gefühl kehrte zurück, jedoch lag es diesmal eher am Fahrstil des italienischen Taxifahrers. Ein Gefühl, dass nicht dadurch besser wurde, dass der junge Mann auf einmal sein Handy aus der Tasche nahm. "Hey, sie da. Packen sie das Telefon weg!" "Keine Sorge Herr Pantagatio."
20 Minuten später stieg er heilfroh aus dem Taxi aus und betrachtete die Fassade des italienischen Parlamentsgebäudes. Mangels eines eigenen Gebäudes hatte man das Europaparlament hier untergebracht. Iraklis atmete noch ein paarmal tief durch, dann betrat er das imposante Bauwerk.

Schon nach den ersten Reden war ihm klar, dass er sich mit seiner Meinung zur EU nicht würde durchsetzen können. Aus Portugal, Kroatien und Tschechien hatte es nur wenig pro-europäischen Input gegeben. In Polen war die Stimmung offenbar ausgeglichener. Dann war Iraklis dran. Er spürte einen schalen Geschmack auf der Zunge und seine Hände zitterten leicht. Egal wie viele Reden er schon gehalten hatte, er hatte sich nie an die bangen Momente auf den Weg zum Rednerpult gewöhnt.
"Liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben heute schon viele Reden gehört, die meisten für, doch auch manche gegen die Auflösung der Europäischen Union. Dabei sind schon viele Argumente genannt worden, die ich jetzt hier nicht alle wiederholen will. Wirtschaftliche Argument, nationalstaatliche Argumente und viele andere. Doch ein Argument ist mir heute noch viel zu selten genannt worden: Das der bloßen Gemeinschaft." Verhaltener Applaus "Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus welchem Gedanken heraus wurde denn damals die EWG, die Vorläuferin der EU, gegründet. Warum haben sich damals zuerst Deutschland und Frankreich in der Montanunion zusammengetan? Aus wirtschaftlichen Interessen? Nun ja, das war vielleicht ein Hintergedanke, aber worum es eigentlich ging war die Sicherung des Friedens. Ich möchte-" Der Applaus wurde etwas enthusiastischer. "Ich möchte gerne wissen ob die, die hier fordern, dass die EU aufgelöst, ja zerschmettert wird, sich das bewusst gemacht haben. Wir sehen es heute als selbstverständlich an, dass in Europa Frieden und Freundschaft herrscht, aber das ist es ganz und gar nicht" Langsam aber sicher ließen sich mehr zum Klatschen herab "Ich glaube ja nicht, dass sich hier bald wieder alle Länder an die Gurgel springen, aber wollen wir uns wirklich wieder in Eigenbrödlerei verlieren, wie im 19. Jahrhundert? Nein, das wollen wir nicht. Wir wollen zusammen die Zukunft bestreiten auch, oder gerade, in der Kriese in der wir uns gerade befinden. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Aber wird sie dadurch geringer werden, dass wir die Leute daran hindern in Nachbarländern eine Anstellung zu nehmen?
Eines der häufigsten Argumente, die ich heute gehört habe ist das, dass sich die Staaten lieber um sich selbst kümmern als sich auch noch anderen Staaten unter die Arme greifen zu müssen. Sie glauben also, dass sich diese Krise leichter überwinden lässt, wenn man jeder nur vor der eigenen Tür kehrt anstatt zusammen zuhalten." Iraklis nahm einen Schluck Wasser.
"Dazu fällt mir eine Geschichte aus meiner Heimat Griechenland ein. Ein Vater hatte 4 Söhne, die sich jeden Tag stritten. Eines Tages störte ihn das ständige Gezanke so sehr, dass er seine Söhne zu sich rief. Er ließ den jüngsten ein Bündel Ruten holen und gab jedem seiner Söhne einen Stock in die Hand. Er forderte sie auf die Stöcke zu zerbrechen und so geschah es. Dann gab er ihnen das Bündel und forderte seine Söhne wieder auf, die Stöcke, diesmal gebündelt, zu zerbrechen. Keiner der Söhne schaffte es.
Wir haben also die Wahl: Wollen wir alle zusammenhalten, auch mit der Maßgabe, dass wir uns alle anstrengen müssen oder wollen wir, dass die Krise uns einzeln zerbricht. Ich für meinen Teil habe meine Entscheidung getroffen."
Überall in der Hall applaudierten Leute, doch die Mehrheit blieb regungslos. Es dauerte noch einige Stunden, ehe es zur Abstimmung kam. Dann wurde es spannend. Da es sich hier um eine Gewissensfrage handelte war die Wahl geheim. Iraklis ging in die Wahlkabine und machte sein Kreuz, zu der Frage "Befürworten sie die Auflösung der Europäischen Union und aller ihrer Organe?" bei Nein und warf den Zettel in die Urne.
Etwa eine viertel Stunde später wurde das Ergebnis bekannt gegeben: 68,3% stimmten für die Auflösung der EU, damit war die geforderte Zweidrittelmehrheit erreicht und der Antrag war durch. Das war das Ende der Europäischen Union und der Abend Europas ging langsam in die Nacht über...
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 3. März 2012 22:09

1.Akt
22. Szene


Mit lautem Klirren stellte Natascha ihr Glas zurück auf den Tisch. "Schön und gut, aber solche Aktionen werden nichts ändern. Nicht bei unserer Regierung", sagte sie entnervt. Das Gespräch begann langsam sich im Kreis zudrehen. "Natascha... sieh doch mal-" begann Aleksander entschuldigend, doch Natascha unterbrach ihn. "Aber?" fragte sie ungeduldig und hob eine Augenbraue. "Wir mögen diese Arschlöcher von Oligarchen ja auch nicht - ganz im Gegenteil. Aber das, was du da verlangst, ist schon etwas mehr als ziviler Ungehorsam. Was genau willst du eigentlich?"
"Revolution!" Das Wort war wie ein Gespenst über ihrem Gespräch geschwebt, doch nun hatte Natascha es endlich ausgesprochen. Ihr Gegenüber seufzte tief und betrachtete sehr interessiert seinen Wodka. "Das würde einen Bürgerkrieg bedeuten", stellte er nach einer Weile fest. "Ja, vermutlich wird sich ein Krieg nicht vermeiden lassen", gab Natascha trocken zurück und schüttete sich und Aleksander Wodka nach. "Und du glaubst wirklich, dass du die Leute für deine kommunistische Revolution begeistern kannst? Ausgerechnet in Russland?", fragte Aleksander mit einem bitteren Lächeln. "Warum denn nicht? Was könnte in dieser, vom Großkapital regierten Gesellschaft, mehr Anhänger finden, als eine solche Bewegung?" Natascha schmunzelte und nahm einen großen Schluck Wodka. "Nichts ist mächtiger als eine Idee deren Zeit gekommen ist. Vergiss das nicht!"
Aleksander sah sie kopfschüttelnd an. "Nun Genosse Lenin wäre sicher stolz auf dich, aber meinst du etwa die Leute wünschen sich die Sowjet Union zurück?" "Jetzt enttäuschst du mich aber Genosse Beljakov. Willst du Stalins Diktatur etwa echten Kommunismus nennen?" "Und selbst wenn. Hast du ein positives Gegenbeispiel?"
Statt zu antworten stand Natascha auf und ging zum Fenster. Draußen auf der Straße fand sie, was sie erwartet hatte. "Kommt her, ich will dir etwas zeigen", forderte sie Aleksander auf. Er trat an ihre Seite und spähte durch das Glas. "Siehst du ihn?" fragte Natascha und deutete auf einen Mann vielleicht Ende 30. Er hatte einen verfilzten Bart und trug abgerissene, verdreckte Kleidung. Offensichtlich war er betrunken. "Ich kenne diesen Mann", fuhr Natascha fort. "Er lungert öfters hier herum. Sein Verbrechen war sich mehr für Kunst als für Betriebswirtschaftslehre zu interessieren. Nun bekommt er die Strafe dafür seine Arbeitskraft zu verschwendet und Kunst studiert zu haben. Eine gnädige Buße für ein so schwerwiegendes Vergehen, findest du nicht?"
Ein anderer Mann kam die Straße entlang getorkelt. Er hinkte leicht und kniete sich neben den anderen Penner. "Das ist André" erzählte Natascha. "Er hat jahrelang für einen Hungerlohn in einer Ytongfabrik geschuftet. An dem Tag an dem er sich bei der Arbeit den Fuß gebrochen hat, haben sie ihn vor die Tür gesetzt. Sein Glück war wohl kein Pferd zu sein. Sonst hätte man ihn erschossen. So läuft das hier nun mal. Jeder muss sehen wo er bleibt. Das ist wirtschaftliches Denken. Wer eine Firma leiten kann, der kann auch einen Staat leiten. Warum sollte man Regierungsposten also nicht einfach an den Meistbietenden geben?"
Sie schaute Aleksander an. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. Natascha sah, dass er schwankte. "Willst du, dass es so bleibt?" Als er nicht antwortete, beugte sie sich zu ihm herüber und ihre roten Lippen berührten fast Aleksanders Ohr, als sie ihm zuflüsterte "Ich will doch nur wissen, ob ich mich ob dich verlassen kann."
Aleksander sog die Luft scharf zwischen den Zähnen ein und wandte sich zu Natascha um, sagte jedoch immer noch nichts. Er schien zu überlegen, dabei wanderte sein Blick an der Russin hinunter. Natascha folgte seinem Blick. "Wenn das der Preis ist...", sagte sie und öffnete den Reißverschluss ihrer Jacke. Sie glitt zu Boden. Dann begann sie sich ihres T-Shirts zu entledigen, doch Aleksander hob abwehrend die Hände. "Nein Natascha, lass das bitte..." "Nein?" "Ich will nicht das es heißt ich hätte meine Entscheidung nur getroffen um mit dir zu schlafen. Schon allein deshalb, weil es tatsächlich nicht stimmen würde." Natascha hob ihre Jacke auf und sah Aleksander durchdringend an. "Also, wie lautet deine Antwort? Hilfst du uns?" Aleksander seufzte tief und für einen Moment sah es so aus, als würde er nicht antworten, doch dann sagte er: "Natürlich helfe ich dir... für Russland und das russische Volk.""Hand drauf!", forderte Natascha und strecke die ihre aus. Aleksander zögerte noch einen winzigen Augenblick, dann schlug er ein und besiegelte damit den folgenschwersten Pakt seines Lebens.
"Ach, du bist ein Schatz", lachte Natascha und küsste ihn auf die Wange. "Dann kann ich dir ja jetzt unsere Sicherheiten zeigen", sagte sie und ging zu einer schweren Panzertruhe an der Wand des Raums. Sie gab die Zahlenkombination des Schlosses ein und hob den Deckel hoch. "Hier!", grinste sie und wieß in die große Truhe. Aleksander trat heran um den Inhalt zu betrachten. "AK-47", fuhr sie stolz fort "50 Kalaschnikows. Bereit für die Revolution. Und 50 weitere treffen morgen ein. Im Schrank lagern 20.000 Schuss Munition." "Schlicht... und brutal", antwortete Aleksander nur.
"Brutal? 10 Jahre Haft für Schädigung der Produktionseffizienz sind brutal. Das Menschenrechtler zusammenschlagen zu lassen ist brutal. Scharfe Schüsse in friedliche Demonstrationen sind brutal!", rief Natascha. Sie deutete auf die Gewehre. "Das ist nur die Reaktion ,die sie erwarten mussten!" "Ich glaub du verwechselst uns. Meine Leute und ich, wir sind eher... Aktivisten. Wir sind keine Guerillatruppe." Rechtfertigte sich Aleksander, doch Natascha zischte: "Du hast eingeschlagen!" und stieß ihm den Zeigefinger in die Brust." "Ich hab ja nicht gesagt, dass ich aussteige", beschwichtigte er sie. "Aber bei solchen Methoden, kann ich wirklich nur für mich allein sprechen." "Gut", sagte Natascha "Wenn mein Plan aufgeht muss eh kein einziger Schuss fallen. Wie gesagt: Die Kalaschnikows sind unsere Sicherheit. Der Plan B sozusagen. Aber ich muss alle linken Widerstandsgruppen in Woronesch hinter mir wissen, wenn das Ding über die Bühne gehen soll." "Widerstandsgruppe...", schnaubte Aleksander. "Das ist man ein ganz klein bisschen links. Trifft sich hin und wieder mit ein paar Freuden und malt ein paar lustige Plakate und schon ist man eine linke Widerstandsgruppe." "So läuft das hier nun mal." "Das hast du heute schon einmal gesagt." "Nun du bist nunmal unpleased wie die Amis sagen. Und jetzt muss ich mich mal kurz entschuldigen. Ich muss meinen Leuten ja die frohe Nachricht noch überbringen."
Natascha stieß die Tür des kleinen Verhandlungraumes auf. Im Oktoberklub herrschte lärmiger Betrieb. Die Menschen saßen an den Tischen oder drängten sich an der Bar. Mann der Arbeit hallte durch den Raum. "Mädels!", rief Natascha und sowohl die weiblichen als auch männlichen Gäste des Oktoberklubs drehten sich zu ihr um. "Die Aktion kann anlaufen! Woronesch wird bald unser sein!" Der proppenvolle Klub brach in Jubel aus. Dir Menschen prosteten sich und Natascha zu, stiegen auf ihre Stühle und Lieder wurden angestimmt, so laut, dass sie sogar die Musikanlage übertönten. Lächelnd kehrte Natascha der Menge den Rücken und ging zurück in den kleinen Raum, in dem Aleksander noch immer wartete. Sie warf ihre Jacke auf den Boden und setzte sich auf seinen Schoß. "Und wir beide reden nochmal über mein Angebot von vorhin."
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 31. März 2012 18:04

1. Akt
23. Szene


Simon Ignatius Fisher saß selbstzufrieden in seinem schwarzen Ledersessel und zündete sich eine Zigarre an. Es war die letzte von Fishers Havannas, die noch zu Zeiten Raúl Castros gedreht worden war. Genüsslich sog er den Rauch ein und paffte ihn wieder aus."Meine Damen und Herren!", sagte er verheißungsvoll "Es ist so weit!".
Aufgeregtes Getuschel erhob sich unter den Anwesenden: Konzernchefs, Banker, Großaktionäre und bedeutende Mitglieder von Fishers Pharmakonzern CMNC .
"In wenigen Minuten", fuhr Fisher fort "werde ich hinaus auf die Treppe des Bundestages treten und eine Pressekonferenz geben, in der ich die Auflösung der Regierung der BRD bekannt geben werde. Das wird ein großer Sieg für die Freiheit werden, meine Damen und Herren - für unsere Freiheit wohlgemerkt." Hier und da war Gekicher zu hören.
"Einige von ihnen werden sich jetzt sicherlich fragen Dieser Fisher, wie macht er das bloß? Sich einfach so zum Chef einer ganzen Nation ernennen.. Meine Damen und Herren, sie kennen sicherlich die 2 Geheimnisse des Erfolgs. Ersten: Geheimnisse behält man für sich ... ... ..." Erneutes Gegickel, vor allem von einigen proseccoseligen Damen in der letzten Reihe, die nicht den Eindruck machten, als seien sie hohe Tiere in der Wirtschaft.
"Aber dennoch will ich ihnen meinen Plan erklären", setzte Fisher wieder an. "Im Grunde braucht man für eine solche Staatenübernahme nur 2 Dinge: 1. Geld und 2. eine Weltwirtschaftskrise. Lassen sie uns zunächst über Letzteres reden: So eine Wirtschaftskrise hat ja die wunderbare Eigenschaft in regelmäßigen Abständen von 6-8 Jahren immer wieder aufzutauchen. Das lustige an der Sache ist, dass die Leute jedesmal wieder so überrascht tun, als hätten sie nicht geahnt, dass die Wirtschaft zusammenbrechen wird.
Der findige Firmenchef, also so jemand wie ich, weiß die Situation natürlich für sich zu nutzen. In dieser Zeit kann er massenweise Mitarbeiter entlassen, die aufgrund des technischen Fortschritts nicht mehr benötigt werden, ohne dass es den Sozis sauer aufstößt. In dieser Zeit kann man einen Haufen kleiner Konkurrenten schlucken, die mit der Krise nicht klar kommen. Sie sehen also wie nützlich so eine Krise ist.
Für meine Zwecke war aber vor allem ein Aspekt einer solchen Krise von Vorteil: Verunsicherung. Sicher es gibt immer wieder die, die nach einer Regulierung des Marktes schreien, aber zum Glück -zum Glück für uns- sind meistens die in der Überzahl, die meinen: Jetzt müssen Experten ran.
Was macht man also: Man überträgt Menschen aus der Wirtschaft politische Befugnisse, da die Menschen aus der Wirtschaft sich ja mit Dingen wie Haushaltskonsolidierung und dergleichen auskennen. Leider, oder besser gesagt: Gott sei Dank, machen die Politiker dabei aber einen entscheidenden Denkfehler. Gerade weil sich diese Menschen wirklich in der Wirtschaft auskennen sind sie nicht daran interessiert die nächste Krise zu verhindern, sondern vielmehr daran Vorbereitungen zu treffen um durch die nächste Krise zu profitieren. Und das machen sie doch tadellos!" Applaus erhob sich im Plenarsaal. Der große Kuppelbau erzeugte, so leer wie er gerade war, einen gespenstischen Wiederhall.
"Kommen wir jetzt zum anderen Punkt: Das Geld. Wissen sie, ich sehe die Sache so. Ein guter Geschäftsmann muss sein Vermögen investieren. Ich betrachte meine Ambitionen Herr in diesem Hause zu werden also eher eine Art sichere Anlage. Man muss nur wissen in was man investieren will.
Am einfachsten wäre es natürlich gewesen dieses Land einfach komplett mit Mann und Maus zu kaufen. Allerdings hatte das wohl den finanziellen Rahmen gesprengt und sich auf lange Sicht nicht gerechnet. Also macht man sich die eben angesprochene Verunsicherung der Leute zu nutze, um auf ... konventionellem Weg sein Ziel zu erreichen. Wie macht man das? Man gründet eine Partei! Die politikverdrossenen Leute, die von Linke, über Grüne und Piraten, bis hin zur NPD schon alles ausprobiert haben, sehnen sich nach der Partei. Dem großen Heilsbringer. Einer Partei, die Ahnung von der Wirtschaft hat. Also baut man sich seine Partei auf, pusht sie mit Parteispenden, Schmiergeldern und kleine Sabotageaktionen ein wenig hoch, tut in seiner Rolle als Konzernchef hin und wieder so als würde man vor einer solchen Partei kuschen und schon fressen die Menschen einem aus der Hand. Diese Partei unterstützt einen natürlich dabei, dass immer mehr Kompetenzen in an die Wirtschaft gehen, dass unliebsame Gesetzte einfach mal aufgehoben werden und dass die Opposition langsam mürbe wird.
Und jetzt sehen sie sich den Verlauf des letzten Jahres an: Massenarbeitslosigkeit, Inflation, Lohnkürzungen, ... meine Güte, man könnte ja fast von einem Notstand sprechen. Verstehen sie mich nicht falsch meine Damen und Herren, ich bin Amerikaner, mir liegt ein solches Verhalten eigentlich fern, aber was macht ein Deutscher, wenn er in Not gerät? Er wählt sich einen starken Mann zu seinem Anführer! Meine Damen und Herren, hier steht ihr starker Mann!"
Mit diesen Worten erhob sich Fisher von dem Ledersessel, den er dort hat positionieren lassen, wo sonst das Rednerpult des Bundestages stand und nahm den aufbrandenden Jubel entgegen. Langsam schritt er die Reihen ab, während er weitersprach. Etwas hatte sich in seinem Ton verändert. War er vorher getragen und ein wenig belustigt gewesen,so sprach er jetzt schneller, fast gehetzt und wie zu sich selbst, während er sagte: "Manche haben mir unmoralisches Verhalten vorgeworfen, nachdem ich ihnen meinen Plan eröffnet hatte. Viele von ihnen waren in Positionen gewesen, die der meinen durchaus ebenbürtig waren. Ihnen musste ich sagen, dass ich ja im Grunde nur das Beste für alle wollte. Dass ich glaubte, dass nur jemand der Ahnung von Wirtschaft hat in der Lage sei einen Staat zur Zufriedenheit aller zu regieren. Aber ihnen hier... Ja ihnen kann ich die Wahrheit sagen. Es ging immer nur um Macht! Um Macht und Geld! Und was die Moral angeht... Moral ist eine Erfindung der Schwachen, die sich anders nicht gegen die Starken zur Wehr setzen können. Gesetze sind eine Erfindung der Schwachen um die Starken an der vollen Entfaltung ihrer Macht zu hindern." Bei den letzten Worten schraubte sich seine Stimme fast zu einem Brüllen hoch. Er hatte jetzt die Tür erreicht, die zum Vorraum des Bundestages führte, hinter dem die Treppe lag, auf der schon ein Rednerpult für Fisher aufgebaut worden war und an deren Fuß sich schon eine Traube von Reporten versammelt hatte.
Fisher drehte sich noch einmal zu den Anwesenden um, die ihn gebannt ansahen und rief: "Heute schreiben wir Geschichte!"




Zur selben Zeit, also am 17.03.2028 um 12:30, saß Patrick im Fiddler&Shamrock und starrte gedankenverloren sein Gegenüber an.
Wie an jedem St. Patrick´s Day war auch in diesem Tag geschlossene Gesellschaft in Brians Pub. Doch während normalerweise am St. Patrick´s Day nur Menschen irischer Abstammung den Pub betreten durften, waren es diesmal die Mitglieder von Patricks Untergrundorganisation die Zutritt hatten.
So saßen Patrick, Borsti, Shaun, Joshua, der Wirt Brian und ein Mann Ende 30, namens Sven an einem Tisch im hinteren Teil der Kneipe. Patrick nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und kratzte sich über seine Bartstoppeln, ehe er sagte: "Du bist also Mitglied bei der PFM... und du willst uns helfen gegen deine eigene Partei vorzugehen." "Das ist richtig!", antwortete Sven und ruckte auf der Bank hin und her. Er fühlte sich sichtlich unwohl hier. "Na dann lass mal hören, was du uns erzählen kannst!", forderte Patrick den Politiker auf. "Das Meiste habe ich ja schon dem Herrn Michaelski -" "Borsti!", unterbrach dieser ihn, ohne von seinem Bier aufzublicken." "Ähm ja... das Meiste habe ich ja schon Borsti erzählt. Ich vermute, er hat es an sie weitergeleitet, Herr Dahlmann." "Durchaus", gab Patrick zurück und zog an seiner Zigarette. "Nun... dann muss ich das ja nicht wiederholen", fuhr Sven unsicher fort. "Aber ich habe mir schon etwas ausgedacht. Ich werde versuchen ein paar von ihren Leuten in die PFM zu schleusen. So können wir sie von innen aushöhlen... wenn sie verstehen was ich meine." Patrick machte eine ungeduldige Handbewegung und Sven redete hastig weiter: "Natürlich werde ich sie weiter über alles informieren, was ich aufschnappe. Auch habe ich noch einen Namen für sie. Eien Person auf die sie ein ganz besonderes Auge haben sollten." Er warf ein Blatt Papier auf den Tisch, dass aussah als sei es aus Wikipedia kopiert. "Fisher!", sagte Sven stolz. "Achja Fisher!", machte Patrick "Den kennen wir ja schon! Sonst noch wer?" Sven wirkte erstaunt. "Nun ja... da wären schon noch ein paar Namen... zum Beispiel-"
Ein Handy klingelte. Es war Patricks. "Verflucht, wer ruft denn jetzt an?", schimpfte er. Die Nummer war unterdrückt. Einen Moment lang betrachtete er stirnrunzelnd sein Mobiltelephon, dann hob er ab. Die Stimme, die aus dem Gerät drang kannte Patrick nur zu gut.
"Hallo Patrick Dahlmann", sagte sie. "Wioretsch?", fragte Patrick bestürzt. "Woher haben sie meine neue Nummer?" "Das tut nichts zur Sache, oder? Aber wenn sie eine neue Horrorstory miterleben wollen, dann schwingen sie ihren halbirschen Arsch zum Reichstagsgebäude und zwar schnell!" "Was ist denn da?" "Das werden sie dann schon sehen! Ach und noch was Patrick." "Was denn?" "Ich dachte sie wären Nichtraucher." Dann legte Wioretsch auf. "Verflucht, woher weiß er das alles!", murmelte Patrick.
"Wer war das?", wollte Joshua wissen. Patrick schüttelte nur den Kopf. "Wir müssen sofort zum Bundestag!" "Aber..." "Sofort!"

20 Minuten später stand Patrick mit 20 Leuten aus seiner Truppe vor dem Reichstagsgebäude. Sie waren nicht die Einzigen. Rund 500 Passanten und dazu noch eine wahre Armada von von Journalisten hatten sich vor dem Gebäude versammelt. Am Absatz der Treppe war ein Rednerpult aufgebaut und der, der nun an dieses Pult trat war Patrick allzu bekannt: Wioretsch. "Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler wird nun bald die Pressekonferenz beginnen. Ich versichere ihnen: Es handelt sich um eine Mitteilung von größter Dringlichkeit. Gedulden sie sich also noch bitte einen Moment." Dann verschwand Wioretsch im Gebäude.
"Verdammter Hund!", knurrte Patrick. "Du kennst ihn?", fragte Shaun überrascht. Patrick antwortete nicht sondern starrte weiter auf den Eingang des Bundestages. 10 Minuten vergingen, dann trat Bundeskanzler Stähle aus heraus. Er war nicht allein. Links von ihm marschierte Finanzminister Bermel, wie immer blasiert grinsend, einher und recht von ihm... "Das ist er!", rief Sven aufgereget "Das ist Fisher!" "Ich weiß! Ich weiß!", entgegnete Patrick ungehalten.
Stähle trat ans Mikrophon. Im Gegensatz zu seinen beiden Begleitern wirkte er niedergeschlagen als er zu sprechen begann. "Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger. Ich bedauere ihnen mitteilen zu müssen, dass die Bundesregierung immer noch keinen Ausweg aus der aktuellen Finanzkrise gefunden hat... noch scheint eine Besserung der Lage... in Sicht. Die Arbeitslosigkeit steigt weiter, immer mehr Betriebe müssen schließen... und der öffentliche Dienst wird von weiteren Lohnkürzungen betroffen sein.
Dennoch freue ich mich... ihnen mitteilen zu dürfen, dass... die Bundesregierung einen neuen Lösungsansatz zur Bewältigung... zur Bewältigung dieser Probleme... gefunden hat. Die Regierung hat sich zur Schaffung eines neuen Postens entschieden... der Posten des Sonderbeauftragten. Er wird die Regierung bei ihrer Suche nach neuen Lösungen in der Krise unterstützen und ist von ihr mit Sonderbefugnissen ausgestattet. Für diese Posten... wurde... Simon Ignatius Fisher ernannt... dem ich... dem ich jetzt das Wort gebe."
Stähles Stimme war immer zittriger und brüchiger geworden und bildete Patrick es sich nur ein oder schimmerte eine Träne an der Wange des Kanzlers? Aber eigentlich war er viel zu weit entfernt um solche Details erkennen zu können und so konzentrierte er sich nun auf Fisher der ebenfalls an das Pult trat und seine Rede begann:
"Meine Damen und Herren. Ich danke dem Kanzler für diese netten Worte und damit keine Missverständnisse aufkommen werde ich die Rolle meines Amtes für sie kurz erläutern.
Viele von ihnen haben sicher schon mir gehört. Mein Name ist Simon Fisher und ich leite die CMNC-Konzerngruppe. Seit 8 Jahren haben wir uns dem Motto: Working for a healty planet verschrieben. Dieses Motto leben wir in unserer Firma und ich bin stolz durch meine Arbeit Kranken und Schwachen Menschen helfen zu können.
So verstehe ich auch meine Arbeit als Sonderbeauftragter. Das Arbeiten an und für, und ich finde das sollte eine Selbstverständlichkeit sein, einer Gesellschaft, die, auch und vor allem auf Eigenverantwortung basierend, in eine Zukunft blicken und sagen kann, dass sie sich nicht vor Kommenden fürchten muss. Eine gesunde Gesellschaft basiert heutzutage, diesen Standpunkt kann man gar nicht deutlich genug hervorheben,"
"Was für ein Schwätzer", murmelte Patrick.
"in erster Linie auf einer gesunden, also einer schlanken, einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft, die sich im internationalen Handel beweisen kann. Die Schaffung einer solchen Volkswirtschaft kann nur, dafür lassen sich genügend Beweise finden, von einem Mann oder einer Frau bewerkstelligt werden, die bereits in der freien Wirtschaft, durch die Leitung eines Betriebes und die Optimierung des Absatzes, ihre Fähigkeiten, so wie eingangs erwähnt, im harten internationalem Wettbewerb und auch in Krisenzeiten, wie dieser, unter Beweiß gestellt hat. Darum begrüße ich die Entscheidung der Regierung, an der es, das will ich nicht verhehlen, auch Kritik, vor allem aus dem Lager der Opposition, die ihr parteitaktisches Kalkül offenbar über das, mir, wie bereits erwähnt, besonders am Herzen liegende Wohl des deutschen Volkes, das sich ja schon durch so viele Krisen kämpften mussten und in aus ihnen, auch das, so finde ich, muss gesagt werden, immer wieder gestärkt erhoben hat, stellt, gegeben hat, mich für dieses neugeschaffene Amt zu ernennen."
Patrick stöhnte. Von Fishers Art zu formulieren rauchte ihm der Kopf.
"Ich will ihnen, das würde ihnen auch denke ich nicht gefallen, ja es würde sie, so wage ich zu behaupten, gegen mich aufbringen, keine Heilsversprechungen, wie Demagogen von Links und Rechts dies gerne tun, machen, die ich, auf Grund natürlicher Sachzwänge, und nicht aufgrund mangelnden Willens, nicht würde halten können, machen. Lassen sie uns, wie ja oft von verschiedensten Seiten, zurecht so meine ich, gefordert wird, Klartext reden."
"Ja, bitte!", bat Patrick, der der Verzweiflung nah.
"Der Sozialstaat, in dem wir Leben, ist vollkommen überbordet. Ich, als eine Person, die ursprünglich aus den USA stammt, kann mich nur wundern, wie es sein kann, dass trotz Krise immer noch Milliardensummen für arbeitsunwillige Taugenichtse ausgegeben werden. Der Staat ist längst zu einer großen Firma geworden und nun wird es Zeit, dass er auch wie eine große Firma geführt wird!"
Patrick wurde auf einmal wieder hellhörig.
"Kennen sie einen Firmenchef, der Mitarbeiter fürs Rumsitzen bezahlt? Ich denke nicht. Das wichtigste um aus dieser Krise zu kommen ist, dass sich der Markt wieder erholt. Und das tut er am besten, wenn ihn niemand dabei stört. Meine erste Verordnung als Sonderbeauftragter wird also sein, jede staatliche Intervention in den freien Markt zu unterbinden, wirklich jede, ausnahmslos. Solche Kapriolen gehören in eine kommunistische Diktatur und nicht in einen freien, demokratischen Staat. Ein zweiter Punkt von größter Wichtigkeit ist, dass Entscheidungen schnell getroffen werden. Ich werde dafür Sorgen, dass das auch geschieht, wenn nötig ohne Zustimmung der verbitterten Opposition."
"Der Typ will eine Wirtschaftsdiktatur errichten!", rief Patrick aus. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt. "Wioretsch hatte recht!" "Hast du noch dran gezweifelt?", fragte Borsti, der neben ihm stand. "Nein, aber die Hoffnung stirbt zuletzt!", gab Patrick sarkastisch zurück. Fisher redete weiter, doch Patrick hörte ihm schon gar nicht mehr zu. "Ich hatte gehofft, dass wir mehr Zeit hätten. Jetzt kann uns auch dieser Sven nicht mehr helfen. Wenn Wioretsch in dem Punkt auch Recht hat, und ich bin mir sicher das hat er, dann hat die PFM ihren Soll erfüllt und kann abdanken." "Was können wir jetzt tun?" "Hoffen genug Leute im Vorfeld gewarnt zu haben, sodass sich jetzt ein ordentlicher Widerstand formiert."
"Was dieser Kerl erzählt...", mischte sich Joshua plötzlich in das Gespräch. "Da könnte er ja gleich sagen: Hallo ich bin euer neuer Diktator." Borsti atmete schwer aus und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Joshua", sagte er "erwarte doch nicht immer so viel Offenheit von den Menschen!"
"Jetzt beginnt die heiße Phase!", seufzte Patrick und sah wieder zu Fisher hinüber, ohne jedoch auf das zu achten, was er sagte. "Jetzt heißt es alles oder nichts", stimmte Borsti ihm zu. "Ich fürchte mit zivilem Ungehorsam kommen wir jetzt endgültig nicht mehr weiter." Wandte sich Patrick an Borsti. "Also gut ich habe genug Benzin gebunkert um mindestens -"
Er wurde unterbrochen, als ein Aufschrei durch die Menge ging. Und einen Momet später wurde Patrick auch klar warum: Ein weißer Turnschuh segelte durch die Luft und traf Fisher an der Schläfe. Begleitet wurde das Ganze von einem Sprechchor, der "Nieder mit Fisher!" skandierte. Sofort stürmten die Sicherheitskräfte, die das Gelände gesichert hatten, los in die Richtung, aus der der Schuh gekommen war. Auch aus anderen Ecken der Menschenmenge drangen Rufe. Fisher kämpfte sich mit hochrotem Kopf wieder ans Mikrophon und verkündete: "Ihr habt es so gewollt! Die Polizei wird diese Versammlung auflösen!" Damit verschwand er im Parlamentsgebäude.
"Hier könnte es gleich unentspannt werden...", drängte Borsti. Patrick sah sich hektisch um. Als sie gekommen waren, hatten vielleicht 500 Menschen auf dem Platz vor dem Bundestag gestanden. Mittlerweile hatte sich ihre Zahl verfünffacht, sodass er und seine Freunde mitten in der Menschenmenge standen. "Jetzt hilft nur noch massiver Ellenbogeneinsatz.", sagte Patrick "Schnell, wir müssen hier weg ehe die Bullen kommen."

Jetzt war es also so weit. Die Karten lagen offen, die Fronten waren geklärt. Die Zeit des Aufrüttelns war vorbei. Patrick ahnte eher, als dass er es mit Bestimmtheit wusste, dass sich ähnliche Szenen in den nächsten Tagen in vielen europäischen Hauptstädten abspielen würden. So war es eben. Dieses Kapitel der Geschichte Europas war vorüber und eines neues wurde aufgeschlagen...
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 11. April 2012 18:56

1. Akt
Resumé


Der erste Vorhang fällt. Hochverehrtes Publikum, so ist es also um Europa bestellt.
Es ist viel geschehen in diesem ersten Akt. Eine weitere Wirtschaftskrise... nur der natürliche Kreislauf unseres Wirtschaftssystems.
In ganz Europa hat diese Krise schwere Spuren hinterlassen. Die schlimmste von ihnen war vielleicht die Auflösung der EU.
Als Europa am dringendsten hätte zusammenhalten müssen ist es auseinander gebrochen.
Auch ist Fisher kein Einzeltäter. Die EU braucht er nicht um einen großen Binnenmarkt zu schaffen. Ist er sich doch sicher, dass die Regierungssitze Europas schon bald mit seinen Geschäftspartnern besetzt sein werden. Außerdem kann Deutschland für ihn produzieren was er haben will. Das Land ist jetzt seine Firma und er ist der Chef. Die Bevölkerung interessiert ihn nur soweit, als dass sie für ihn Arbeitskraft und Absatzmarkt ist und er sie deshalb einigermaßen am Leben erhalten muss.
Dieses Prinzip des Staates als Firma hat sich bereits 2021 in Russland durchgesetzt. Dort war es ein schleichender Prozess gewesen, der eigentlich schon mit der Wende begann, als die Menschen eigentlich auf ein besseres Leben hoffen konnten. Doch spätestens mit der Wiederwahl Putins war dieser Vorgang kaum noch aufzuhalten.
In Italien regiert die Wirtschaft auch schon lange ganz unverholen. De jure ist das Land zwar noch eine Demokratie, de facto sitzen aber zum Teil schon seit Jahren auf allen Ministerposten reiche Wirtschaftsfunktionäre - seit 13 Jahren gilt der Notzustand, der solche Besetzungen erlaubt.
In Deutschland und auch in anderen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich, Österreich, Dänemark etc. haben Wirtschaftsfunktionäre lange aus dem Verborgenen heraus agiert. Ein paar Parteispenden und Sondervergünstigungen hier, die ein oder andere Erpressung alá "Wenn ihr nicht tut was mir wollen verlegen wir den Firmensitz nach Bangladesh" da; schon tanzt der Staat nach ihrer Pfeife. Es geht schon lange so, doch in den letzten 10 Jahren wurde es immer schlimmer.
Schließlich war einigen der Funktionäre dieser indirekte Weg nicht mehr genug. Und der drängendste unter ihnen ist Simon Ignatius Fisher. In Brasilien hat er sein Staatsmodell erprobt. Das Land war nur ein Versuchskaninchen. Es wäre nicht rentabel gewesen, also zog Fisher sich nach wenigen Monaten zurück und ließ Brasilien im Chaos versinken, das er während dieser Monate angerichtet hatte. Wäre er nur wenige Wochen länger geblieben... wer weiß ob er seine Pläne nicht geändert hätte.
So aber fühlte er sich bereit das Selbe nun in einem lohnenswerten Land zu versuchen. Seine Wahl fiel auf Deutschland. Eine reine Zufallsentscheidung und vielleicht nicht die beste.
Und damit hat die Welt zum ersten mal einen vollen Staatsformenzyklus, wie sich Aristoteles und Polybios in erdacht haben, beschrieben. Auch wenn es vielleicht nicht ganz so einfach ist, wie sich diese antike Philosophen es überlegt haben.
Sehen wir uns den freien Menschen an: Frei zu sein, das bedeutet zu tuen kann was man will, aber auch sein zu lassen was man nicht will. Gepaart mit unserer fortschrittlichen Technik gibt es dann kaum noch unangenehme Dinge, die der Menschen zwingend tun muss. Der Mensch hat Zeit für Muße. Es ist der Zenit seiner Kultur. Denn wenn der Mensch nichts sinnvolles mehr findet, dass er mit seiner Muße tun kann, so wird er faul. Und aus Faulheit wird Dummheit. Wer jedoch dumm ist, der bedarf dem Schutz anderer, die nicht so dumm sind. Und aus Schutz wird Abhängigkeit und aus Abhängigkeit Unfreiheit. Achtet also darauf, dass eure Freiheit nicht nur auf dem Wohlwollen anderer basiert.
Und jetzt! Genug der Worte! Macht den Vorhang auf! Und dann: Bühne frei für den zweiten Akt!
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 13. April 2012 00:20

2. Akt - Bellum ominum contra omnes
1. Szene


"Bereit?", fragte Natascha und sah sich nach ihren Begleitern um. Aleksander, Vitali und Gregor nickten. Die drei sahen ziemlich gefährlich aus, wie sie da im Dunkel der Nacht standen, mit den Gewehren unterm Arm. Vor allem Gregor mit seinem Roboterauge. Natascha umklammerte ihre Kalaschnikow fester und legte den Zeigefinger an den Abzug. "Dann los!", flüsterte sie.
Es war schon spät, doch im Rathaus von Woronesch brannte noch Licht. "Juri?", wisperte sie in ihr Handy "Wir sind gleich da", kam die Antwort. "Ich seh euch nicht", gab Natascha zurück. Ein leises Lachen aus dem Handy "Zum Glück!"
Natascha lugte um die Ecke. Im Rathaus fand heute Abend eine Gala statt. Die sogenannte Politprominenz, also eigentlich die Wirtschaftselite, des ganzen Oblast war anwesend. Das Rathaus war nur von einer Seite zugänglich. Vor dem Backsteinbau war eine Art kleiner Park gelegen, an dessen Ende ein gusseisernes Tor lag. Dieses Tor war der einzige Eingang, denn die Mauer, die den Gebäudekomplex umgab, war rund 3 Meter Hoch und mit Stacheldraht gespickt. Das Tor jedoch wurde von 2 schwer bewaffneten Polizisten bewacht. Natascha beobachtete die beiden aus ihrem Versteck an einer Häuserecke. Sie machten den Eindruck zu der Sorte von Polizisten zu gehören, die erst schossen und dann fragen stellten. "Das könnte heikel werden!", meinte Aleksander, der über Nataschas Schulter spähte und Vitali und Gregor murmelten zustimmend. Die vier warteten.
Dann meldete sich Juri: "Wir sind soweit!" "Sehr gut!", antwortete Natascha. Sie streifte sich den Tragegurt ihres Gewehrs über den Kopf und warf sie Aleksander hinüber. Der blonde Russe fing sie auf und streckte Natascha eine Flasche Wodka hin. Es war der billigste Fusel den sie hatten auftreiben können - vermutlich mit Methanol gestreckt. Natascha goss sich ein wenig davon auf die Handgelenke und verrieb es auf ihren Unterarmen. Dann nahm sie einen guten Schluck und spülte ihn ein paar mal zwischen den Zähnen hindurch ehe sie schluckte. "Igitt, das Zeug ist scheußlich!", krächzte sie und hielt sich den Hals. Schließlich verwuschelte sie ihre schwarzen Haaren und ließ sich einen Träger ihres Paillettenkleids von der Schulter hängen. "Wünscht mir Glück!", flüsterte sie. Dann trat sie aus dem Schatten.
Vor sich hin summend stolperte sie auf die beiden Polizisten zu und gab sich dabei größte Mühe betrunken zu wirken. Als sie noch ein paar Schritte von den beiden entfernt war, drehte sie sich plötzlich in ihre Richtung und machte ein Gesicht als hätte sie die beiden gerade erst gesehen. Einen Moment lang stand sie schwankend da, dann fiel sie den beiden lächelnd um den Hals. "Habt ihr meine Schwester gesehen?", fragte sie in überzeugend alkoholisiertem Tonfall. "Ich fürchte nein", antwortete der eine Polizist mit ernster Miene. Auf dem Gesicht des anderen jedoch machte sich ein gieriger Ausdruck breit. Natascha tat so als würde sie stolpern und umklammerte den Arm des Polizisten, der bisher geschwiegen hatte, wie um nicht zu stürzen. "Langsam meine Süße! Du hast wohl ganz schön was getrunken", sagte der Mann und setzte Natascha vorsichtig auf dem Boden ab, wobei er es sich nicht nehmen ließ dabei, scheinbar zufällig ihre Brüste zu berühren. Natascha lachte überdreht, schlang die Arme um den Hals des Mannes und zog ihn zu ihr hinunter, bis sein Ohr an ihrem Mund war.
"Gute Nacht", flüsterte. In diesem Moment sauste etwas durch die Luft und traf Polizisten, der noch aufrecht stand, mit voller Wucht am Hinterkopf. Der andere versuchte sich so schnell er konnte von Natascha loszureißen und sich aufzurichten. Doch ehe er nach seiner Maschinenpistole greifen konnte, die an einem Tragegurt an seiner Schulter hing, pfiff ein Gewehrkolben durch die Nacht und traf den Mann an der Schläfe.
Aleksander stand schwer atmend, mit dem Gewehr in der Hand, vor dem zusammensackenden Mann. Dann streckte er den rechten Arm aus und half Natascha auf die Beine. "Widerliches Schwein", zischte sie und trat den Polizisten in die Rippen. Dann wandte sie sich an Juri. Der hielt seine Kalaschnikow noch immer mit zwei Händen am Lauf umklammert und sah auf den Polizisten, den er niedergeschlagen hatte, herab. "Gut gemacht", lobte Natscha an Juris Grüppchen, bestehend aus Juri, einem weiteren Mann und zwei Frau, gewandt. "Durchsucht sie nach Schlüsseln!", befahl sie jetzt allen. "Und du Gregor, gib mir den Rucksack!". Der angesprochene reichte Natascha einen dunkelgrünen Rucksack, der eine alte Uniform der Roten Armee enthielt, wie sie auch die anderen sieben trugen. Kurzentschlossen streifte sie ihr Kleid ab und schlüpfte in die Uniform. Zuletzt setzte sie sich die Pilotka gewagt schräg auf den Kopf. "Hab die Schlüssel!", ließ Vitali verlauten und rasselte mit einem kleinen Schlüsselbund. Er machte sich am Schloss der Eingangspforte zu schaffen. Beim zweiten Versuch hatte er den richtigen Schlüssel gefunden und öffnete das gusseiserne Tor. Die acht huschten hinein, Natascha an der Spitze.
"Sobald wir da drin gibt es kein Zurück mehr", schwor sie ihre Begleiter ein, sobald sie vor dem eigentlichen Eingang des Rathauses standen. "Wenn noch einer umkehren will, dann ist das jetzt die allerletzte Chance." Sie sah ihre Kameraden und Kameradinnen durchdringend an. Keiner machte Anstallten etwas zu sagen. Natascha grinste breit. "Dann auf!", rief sie "Für die Revolution!", stimmte Gregor ihr und selbst sein elektronisches Auge schien bei diesen Worten aufzuleuchten.
Sie traten in den Flur des Rathauses. Der Filzteppischboden dämpfte ihr Schritte während sie eine Treppe hinaufstiegen und schließlich vor einer großen Doppeltür landeten, hinter der Walzermusik zu hören war. Natascha blicke in die Gesichter ihrer Gefährten. Sie wirkten nervös, aber entschlossen. Sie atmete tief durch, nahm sie ihre Waffe in Anschlag und trat die Tür ein.
Einen Moment lang bot sich ein völlig absurdes Bild, als Nataschas Gruppe bewaffnet den Raum sprang und mit ihren Gewehren auf die Anwesenden zielten, während diese ungerührt Walzer tanzten. Dann bemerkten die ersten Tänzer die Eindringlinge und liefen kreischend im Raum umher, um unter Tischen und Stühlen Schutz zu suchen. Natascha wartete einen Moment, bis es etwas ruhiger geworden war, dann rief sie so laut sie konnte: "Im Namen des russischen Volkes! Wir erklären die Regierung des Oblast Woronesch hiermit für abgesetzt! Sie sind fürs Erste unsere Geiseln. Kooperieren sie und es muss niemandem etwas geschehen!"
Niemand wagte es auch nur einen Mucks zu machen während Natascha und ihre Kameraden durch den Raum schritten und unter die ersten Tische sahen. "Wo ist der Bürgermeister?", fragte Natascha mit erhobener Stimme. Niemand antwortete "Verdammt! Wo zum Teufel ist der Bürgermeister! Ist weiß, dass der fette Sack hier irgendwo ist", brüllte sie und trat den nächstbesten Stuhl um, der splitternd zu Boden krachte. Immer noch sagte niemand etwas. Mit einem bedrohlich Knurren zerrte Natascha eine junge Frau, etwa in ihrem Alter, unter einem Tische hervor und hielt ihr das Gewehr an die Schläfe. "Kommen sie schon Herr Bürgermeister Golubew! Sie wollen doch nicht am Tod dieses Mädchens schuld sein." Sie wartete fast eine Minute in der sich niemand rührte. Dann stöhnte sie entnervt und stieß das Mädchen zu Boden. "Schaut unter den Tischen nach!", wies sie ihre Mitstreiter an. Wenn sie aus auf die lange Tour wollten, war ihr das auch recht. Nach zwei Minuten rief Gregor von der anderen Seite des Raums: "Hier ist er!" und zog einen beleibten Mann Ende 50 mit fettigen schwarzen Haaren unter einem Tisch hervor. Natascha ging zu ihm herüber und hieb ihm ins Gesicht. "Das war dafür, dass du es zugelassen hättest, dass ich Frau erschieße!", rief sie dabei. Sie schlug erneut zu und ein Schneidezahn flog durch die Luft "Und das ist dafür, das du mitten im Winter das Waisenhaus geschlossen hast!" Sie holte abermals aus, doch Aleksander, der ihr nachgekommen war, packte sie am Arm. "Natascha...", sagte er ungeduldig. Sie atmete zweimal tief durch dann sagte sie leise und bedrohlich "Mitkommen!" Sie schritt zurück zum Eingang des Saales und Gregor, der Golubews Arm auf dem Rücken verdreht hielt und ihn vor sich her trieb, folgte ihr. "Svetlana! Vitali! Ihr bewacht unsere Gäste!", verlangte sie im Hinausgehen. Die anderen folgten ihr. "Wo ist das Büro?", fragte Natascha, nachdem sie den Saal verlassen hatten. "Am anderen Ende des Ganges", presste Golubew zwischen den Zähnen hervor. "Sehr schön. Wir werden jetzt alle zusammen eine Abdankungserkärung aufsetzen und sie werden unterschreiben, nicht wahr?", sagte Natascha in gefährlich süßen Ton und ging auf dem beschriebenen Raum zu, doch sie sollte ihn nie erreichen.
Als sie noch 5 Meter von ihm entfernt sprangen Links und Rechts von ihr die Türen an den Wänden des Ganges auf. Aus ihnen kamen rund 40 schwer bewaffnete Polizisten gesprungen und zielten auf Natascha und ihre Begleiter. "Los lassen", sagte der Hauptmann der Polizisten ganz ruhig und betonte jede einzelne Silbe. Gregor sah zwischen seinen Gefährten und den Polizisten hin und her, dann ließ er den Bürgermeister los. Der rückte sich lächelnd seine Krawatte zurecht und trat hinter die Polizisten. "So wie ich das sehe", fuhr der Polizeihauptmann ungerührt fort "haben wir hier einen versuchten Putsch in Tateinheit mit Geiselnahme und schwerer Körperverletzung an zwei Polizisten." Der Mann lächelte kopfschüttelnd "Habt ihr wirklich geglaubt ihr könntet hier so einfach reinspazieren? Wart ihr wirklich so blauäugig zu meinen, dass zwei Wachmänner der einzige Schutz einer Veranstaltung sein werden zu der die Politprominenz von ganz Woronesch eingeladen ist?" Der Polizist lachte. Aleksander starrte ihn so wütend an wie er nur konnte, doch Natascha hatte nur Augen für einen Mann in der hinteren Reihe der Polizisten. "Vater", murmelte sie. Der Mann reagierte nicht. Er blickte nur weiter starr an Natascha vorbei ins Leere.
"Abführen!", befahl jetzt der Hauptmann "Und dann kommen noch 6 Mann mit mir um die letzten beiden dieser Putschisten auch noch dingfest zu machen."
Die acht wurden noch in der selben Nacht ins Stadtgefängnis gebracht und in Isolationshaft gesteckt.
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 29. April 2012 14:35

2. Akt - Bellum omnium conta omnes
2. Szene


Seit Fishers Proklamation hatte Phillip nichts mehr von Patrick gehört - jedenfalls nicht direkt. Fisher arbeite zur Zeit an Reformprogrammen, die er Anfang April vorstellen wollte. Die große Protestwelle, die er erwartet hatte, war zwar nicht gänzlich ausgeblieben, doch war sie um einiges kleiner, als er gedacht hätte.
Phillip gähnte und sah auf die Uhr. Sie zeigte 3:21 an. Zeit für ihn, sich fertig zu machen. Er stand auf und ging ins Bad. Er duschte sich kalt an diesem Morgen, wie er es meistens tat. Einerseits wurde er so besser wach - er hatte sich noch immer nicht richtig an die Arbeitszeiten eines Bäckers gewöhnt - andererseits musste er sich so weniger Sorgen um seine Stromrechnung machen. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, drücke er sich einen Klecks Zahnpaste auf seine Zahnbürste und drückte den Startknopf. Das monotone Summen machte ihn wieder schläfrig.
Als er schließlich angezogen in die kleine und sehr spartanisch eingerichtete Küche trat, warf er durch den Flur einen weiteren Blick auf seinen Radiowecker: 3:49. Phillip warf den alten, verkalkten Wasserkocher an und nahm sich eine Fertigsuppe und das Glas mit dem löslichen Kaffee aus dem Regal. Er schmeckte scheußlich, half aber beim Wachwerden.
Nachdem er sein karges Mahl beendet hatte ging er die Treppe des Hausflures hinunter, vorbei an einer offenbar betrunkenen Gestallt mit einer schwarzen Strickmütze, die am Treppenabsatz schlief und hinaus auf die Straße. Der bitterkalte Wind ließ ihn frösteln. Es war nicht weit bis zur U-Bahnstation. Phillip setzte sich in einen der, mit Graffiti beschmierten, Wagons und der Zug setzte sich ratternd in Bewegung.
Plötzlich sah er aus der Fahrerkabine einen Fahrkartenkontrolleur kommen - Phillip hatte kein Ticket. Langsam und in dem Versuch möglichst unauffällig zu wirken stand Phillip von seinem Platz auf und bewegte sich in Richtung Toilette. Der Kontrolleur stand gerade bei einer jungen Frau, die hektisch ihre Handtasche durchsuchte und Phillip huschte schnell auf das Klo. Es stank erbärmlich, nach Pisse und Erbrochenem. Dennoch presste er sich an die rückwärtige Wand des kleine Raums und wartete, während das gelegentliche Halten des Zuges die Station abzählte. Er musste insgesamt 5 fahren.
Als der Zug gerade von der vierten losfuhr sah er unter dem Türspalt die glänzend schwarzen Schuhe des Schaffners hervorblitzen. Erst dachte Phillip der Beamte würde nur zufällig vor der Klotür stehen, doch auch nach einer Minute war er noch immer da. Verfluchte Scheiße! Ich komm hier nicht raus, wurde Phillip klar. Ob der Kontrolleur ihn vor der Toilette abfangen wollte oder ob der Mann einfach nur auf Klo musste, wusste Phillip nicht. Es war ihm auch egal. Aber konnte es sich weder leisten eine Geldstrafe für Schwarzfahren zu zahlen, noch zu spät zur Arbeit zu kommen.
Aus der Erfahrung wusste er, dass der Zug jeden Moment sein Ziel erreichen würde, als er plötzlich wütende Stimmen hörte. Das ist meine Chance, dachte Phillip und sprang aus dem Klo. Davor stritt sich der Fahrkartenkontrolleur gerade heftig mit einem Punk, dessen Frisur unpassenderweise stark an eine Mönchstonsur erinnerte - nur das sie grün war. Die Bremsen quietschten, Phillip drängte sich schnell an den beiden vorbei zum vorderen Teil des Zuges, wo er ausstieg.
Erleichtert sog er die stickige Luft der U-Bahnstation ein. "Vielleicht sollte ich mir wirklich mal eine Fahrkarte kaufen", murmelte er, wusste aber gleichzeitig, dass das viel zu teuer wäre. Wenn er auch noch 75€ für eine Monatskarte würde blechen müssen, hätte er kaum noch genug Geld um für Miete, Strom, Wasser und Essen aufkommen zu können. Ich werde wohl bald zu Fuß gehen müssen machte er sich niedergeschlagen klar. Das würde bedeuten, dass er noch früher aufstehen musste.
Pünktlich um kurz vor halb fünf erreichte er die Bäckerei. Oder besser gesagt: die Backfirma. Sein Beruf hatte wenig mit dem zu tun, was Phillip sich unter einem Job als Bäcker vorgestellt hatte. Die meiste Zeit verbrachte er damit riesige Wägen, die mit vorgebackenen Brötchen beladen waren, vom Kühlraum zum Backraum zu schieben oder nicht uniforme Brezeln auszusortieren.
Heute jedoch stand um Punkt 8 das an, wovor es Phillip immer am meisten graute: Die Teambesprechung. Ein allwöchentlicher Spießrutenlauf, der durch den neuen Filialleiter, der seit einem Monat die Außenstellen leitete und etwas spezielle Vorstellungen von Mitarbeitermotivation hatte, nicht angenehmer wurde.
Lustlos hielt er seine Chipkarte an den Scanner am Eingang und zog seine Arbeitsuniform an. Heute wurde er am Fließband abgestellt, was einen gewissen Aufstieg bedeutete - so musste er nicht ständig hin und her laufen. Stattdessen beobachtete er den vorbeielenden Backwarenstrom, sortierte hier und da mal ein Brot aus, das nicht richtig gebacken aussah oder legte ein Baguette zurecht, das schief auf dem Band lag. Das meiste erledigten jedoch die Maschinen.
So gegen sechs Uhr wurde seine Arbeit dadurch angenehmer, dass ihm gegenüber, auf der anderen Seite des Fließbands Achmad abgestellt wurde, den er von allen seinen Kollegen am besten leiden konnte. Das lag vor allem daran, dass es einer der wenigen war, den Phillip mit Namen kannte. Es war ein ständiges Kommen und Gehen in der Backfirma. "Wie geht´s deiner Tochter?" erkundigte Phillip sich ohne vom Fließband aufzusehen. "Oh, gut", gab Achmad zurück, ebenfalls ohne aufzublicken "sie liefert Top-Resultate im Kindergarten ab, weißt du?" "Freut mich zu hören... Und deine Frau?" "Hat jetzt endlich einen Zweitjob." "Dann läuft ja alles."
Um 7:45 ertönte die Werkssirene. Das Fließband lieferte noch ein paar letzte Brötchen, dann wurde es abgeschaltet. Phillip und Achmad, der ebenfalls heute zur Teambesprechung musste, hatten jetzt zehn Minuten um vor die Tür zu gehen und ihre Brote zu essen. An diesem Tag hatte Phillip für sie beide geschmiert: 2 Salamibrote - für Achmad Geflügelsalami. Dafür hatte der Kaffee gekauft, der natürlich mittlerweile kalt war, und spendierte Phillip eine Zigarette.
"Teambesprechung", sagte Phillip langsam und ließ das Wort wirken. "Teambesprechung" stimmte Achmad zu. "Was meinst du? Wer fliegt heute?", wollte Phillip wissen. "Nun wir beide haben den Nachteil schon länger dabei zu sein. Aber es gibt einige, die weniger geschafft kriegen als wir", meinte Achmad und kratze sich am Kinn, während er sich eine Zigarette aus der Schachtel nahm "Meinst du unsere Arbeitsverträge werden verlängert?", hakte Phillip nach "Wer weiß?", antwortete Achmad theatralisch. Nach einer Weile sagte Phillip: "Wir sollten reingehen, sonst kommen wir zu spät." Achmad nickte stumm und trat seine Zigarette aus.
Die Besprechung fand wie immer im großen Kreis statt. Die meisten wirkten angespannt. Sie waren alle Leiharbeiter, konnten also jederzeit entlassen werden. Für gewöhnlich tat Herr Scheer, der neue Filialleiter, das auch. Sozusagen als Ansporn für die Anderen. "Denken sie dran, dass sie Glück haben nicht zu den Abertausenden von Arbeitslosen da draußen zu gehören", begann Scheer seine Ansprache. "Ihr Job ist nichts, was man einem ungelernten Arbeiter nicht innerhalb von zwei Tagen beibringen könnte, halten Sie sich also nicht für so unentbehrlich, wie das manche hier offenbar tun. Wenn ich sehe das sowas hier an den Kunden weitergeben wird, dann drängt sich mir doch der Verdacht auf, dass hier manche ihre Position nicht zu schätzen wissen." Mit diesen Worten hielt er ein zerknautschtes Brötchen in die Luft. Na und, dachte Phillip säuerlich, Die schmecken doch eh alle nach Pappe. "Wisst ihr, wir als Firma haben eine gewisse Pflicht unseren Kunden gegenüber. Mit unserem Namen bürgen wir für Qualität. Da können wir uns so etwas nicht erlauben. Oder würde Sie als Kunde unserer Bäckereikette vielleicht so ein Brötchen kaufen wollen?", fragte er und wedelte damit in der Luft herum "Aber in diesem Fall will ich mal nicht so sein und ein Auge zudrücken." Merkliche Entspannung durchfuhr die Anwesenden. "Aber", fuhr Herr Scheer fort, "da ist mir letzte Woche noch etwas aufgefallen... etwas gravierenderes. Die aussortierten Backwaren sind ja nicht dazu da um sich daran für den Eigenbedarf zu bedienen, wie wir eigentlich alle wissen. Nun sind aber zwei Brezeln während Ihrer Schicht spurlos verschwunden", sagte er gefährlich leise und wandte sich zwei jungen Frauen zu. "Wer von ihnen meint es sich erlauben zu dürfen diese Firma zu bestehlen?", fragte Herr Scheer. Die Beiden schienen unter seinem Blick zu schrumpfen.
"Sie war´s. Sie hat´s getan!", quiekte die Eine plötzlich aufgeregt "Aber...Aber", machte die Andere uns sah zwischen ihrer Kollegin und ihrem Chef hin und her "Ich meine... sie wären ja ohnehin weggeschmissen worden, da dachte ich<" "Darum geht es hier nicht!", polterte Scheer "Ihr Handeln stellt einen irreparablen Vertrauensbruch in ihrem Verhältnis zu dieser Firma da. Frau Schäfer, sie sind entlassen und seien sie froh, dass ich von einer Anzeige absehe. Jetzt raus hier!" "Aber...", die junge Frau schien den Tränen nah, während sie mit schlurfenden Schritten den Raum verließ.
Scheer sah ihr nach, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann setzte er ein schrecklich süßliches Lächeln auf und wandte sich wieder an die Anderen. "Sie können gehen. Husch, husch, an die Arbeit!"
Gegen Mittag war Phillips Schicht zu Ende, aber nicht sein Arbeitstag. Gleich würde er im Supermarkt Regale einräumen und danach Bewerbungen schreiben um endlich einen besseren Job zu bekommen. Am Abend ließ er sich totmüde aufs Sofa fallen. Während er seinen Rechner hochfuhr überlegte er sich wie es mit ihm weitergehen sollte. Da riss ihn ein Jingel aus seinen Gedanken. Er hatte Post - und zwar von Patrick.
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 9. Mai 2012 23:25

2. Akt - Bellum omnium contra omnes
3. Szene


Natascha sang ein russisches Volklied Da jagt die Troika dahin: "Nun bin ich ein verbittertes Waisenkind! Und plötzlich schwenkt er alle drei Pferde herum. So spielerisch lenkte der junge Mann die Troika und sang dabei wie eine Nachtigall". Sie seufzte. "319", murmelte sie und begann das Lied von neuem.
Die Isolationshaft tat ihr nicht gut. Sie hatte gewusst, das es schwer für sie werden würde, aber sie hatte keine Ahnung gehabt wie schwer. Sie saß jetzt seit zwei Wochen im Woronescher Gefängnis ein, ohne Kontakt zu irgendjemandem. Seit ein paar Tagen kam einmal täglich ein Mann zu ihr. Er stellte ihr Fragen, erkundigte sich wie es ihr ging und versprach zu versuchen Nataschas Situation zu verbessern. Aber sie wusste, dass er ihr Vertauen gewinnen sollte, damit sie ihm Geheimnisse verriet.
Die Polizei von Woronesch hatte wissen wollen, wer hinter ihr und ihrem Putschversuch stand. Wer mit ihnen sympathisierte, wer sie mit Waffen versorgt hatte und solche Dinge. Sie hatte jedoch dicht gehalten. Und als sie gemerkt hatten, dass auch Prügel Natascha nicht zum Reden brachten, da hatten sie sich offenbar für andere Methoden entschieden.
"320", seufzte sie und wollte erneut von Vorne beginnen, doch sie konnte es nicht. Auf einmal stieg die ganze Wut wieder in ihr auf. Sie sprang auf die Füße und hämmerte gegen die schwere Stahltür ihrer Zelle. "Aufmachen! Aufmachen, verdammt!", schrie sie, trat gegen den Lattenrost ihres Bettes und rief noch einmal: "Aufmachen!" Dann sackte sie auf dem Bett zusammen. Außer diesem Bett, einem Waschbecken und einem Klo ohne Brille gab es nichts in der kleinen Isolationszelle. "Scheiße!", schluchzte sie und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
Sie musste wieder an ihren kleinen Bruder, ihr tote Mutter und ihren Vater denken, den vor dem schicksalhaften Wiedersehen vor zwei Wochen jahrelang nicht gesehen hatte . Vor 10 Jahren war ihre Mutter bei einem Autounfall gestorben und ihr Vater hatte sie im Stich gelassen. Sie war damals schon alt genug gewesen um sich eine eigene Wohnung zu suchen. Ihren Bruder hatte man ins Waisenhaus gesteckt. Obwohl ihr Vater noch nicht einmal Woronesch verlassen hatte, hatten sie jeden Kontakt zu ihm abgebrochen - nicht das es jemals Versuche von ihrem Vater gegeben hätte Kontakt zu ihnen aufzunehmen.
Natascha fühlte sich immer elender. Hier drinnen gab es keine Uhr oder ähnliches und sie hatte längst jegliches Zeitgefühl verloren, aber sie vermutete, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis der Mann, der ihr Vertrauen gewinnen sollte, sie besuchen kam. Sie begann leicht vor und zurück zu wippen, während sie mit verschränkten Armen auf dem Bett saß und leise Kalinka zu singen begann.
Natascha, hatte das Lied gerade zum 27mal beendet, als sie vor ihrer Tür ein Geräusch hörte. Allein das war ungewöhlich, denn diese Tür war mit Absicht so konstruiert, dass sie jegliche Geräusche von außerhalb schluckte. Oder hatte jemand geklopft? Aber wenn ja, wieso? Dann hörte sie, wie der Zellenschlüssel ins Schloss gerammt wurde und sah wie die Tür aufflog.
Doch da stand nicht der Mann Ende 30, den sie erwartet hatte, sondern... "Vater?", fragte sie ungläubig. Sie hatten so lange keinen Kontakt zu ihm gehabt. Warum war er hier? Sollte er nun auch versuchen sich bei ihr einzuschmeicheln? Da habt ihr euch den falschen Ausgesucht. Mein Vater ist der letzte, dem ich irgendetwas anvertrauen werde.. Statt zu antworten trat er in den Raum und sah sich um. Er war nicht allein. Ihm folgen ein großer schwarzhaariger Kerl, der eine camouflagefarbene Hose trug eine seine Mähne in einem festen Knoten zusammen gebunden trug und ein vollkommen ausgezehrt wirkender Juri.
"Das mit eurem Möchtegern-Putsch war nicht gerade eine besonders gut durchdachte Aktion", meinte er abfällig und schien nach irgendetwas im Raum zu suchen. Als er es offenbar nicht fand sagte er barsch: "Komm!" "Was tust du hier?", wollte Natascha wissen. "Dumme Frage! Euch Katastrophenhühner hier rausholen natürlich!" Als er aus der Zelle, auf den Gang trat, stieg er über die Leiche eines Gefängniswärters, dem Blut von einem Einschussloch an der Schläfe über Wange und Hals strömte, hinweg. "Uns befreien?" Ihn Nataschas Kopf überschlugen sich die Gedanken. War es ein Trick oder eine Falle? Natascha Vater - Peter Borobjow - war immer ein linientreuer Mann gewesen. Immer korrekt und immer darauf bedacht der herrschenden Klasse zugefallen. Er hatte sowohl die Sowjetunion und als auch die Oligarchie miterlebt und sich so eine solche Haltung angeeignet.
Er fing ihren fragenden Blick auf. "Weißt du, es hat sich einiges geändert in den letzten Moanten", sagte er schlicht. Er sah sich um: Niemand war zusehen. "Ihr habt Glück, dass heute fast alle JVA-Beamten ausgeflogen sind, weil sie für Razzien benötigt werden", fuhr Peter fort während er eine Tür an der gegenüberliegenden Wand aufschloss. Sie gab den Blick auf Gregor frei, der zusammengesunken an der Wand saß. Vor einem seiner Augen, dem elektronischen, war eine Augenklappe angebracht - offenbar war es entfernt worden. Nacheinander schloss Nataschas Vater die Zellen auf. Als letztes kam Aleksander zum Vorschein. Er war furchtbar dünn geworden, als wäre er in Hungerstreik getreten.
"Die Leute haben ganz schön unter euren Umsturzversuchen zu leiden. Der Bürgermeister lässt fast die halbe Stadt filzen", erklärte Peter, als sich alle um ihn gescharrt hatten. "Ihr habt nicht viel Zeit, also hört jetzt genau zu! Am Haupttor kommt ihr nicht vorbei, ihr müsstet aus dem Isolationstrakt raus, über die Galerie und am Schalter vorbei. Spätestens dort werden sie euch sehen und der Bürgermeister hat allen Polizisten eingebläut euch nicht entkommen zu lassen, aber es gibt noch einen anderen Weg hier raus." "Welchen?", fragte Natascha immer noch skeptisch. Ihr Vater lächelte schief "Kommt mit, ich zeig ihn euch!"
Sie verließen den Isolationstrakt, ein kleines Stück über die Galerie entlang und eine Wendeltreppe hoch. Als sie an einem Fenster vorbeikamen sah Natascha, dass die Sonne längst untergegangen war. Schließlich erreichten sie die Gefängniskantine, die wie ausgestorben vor ihnen lag. Peter ging zielstrebig auf die Küche zu. Dort öffnete er ein Fenster. "Da", sagte er und deutete hinaus. "Du spinnst wohl!", fuhr Natatscha auf. "Wir sind im 4. Stock wir werden<" "Nein", unterbrach sie ihr Vater und klopfte jetzt gegen etwas unterhalb des Fensters. Sie trat nun ebenfalls an das Fenster heran und sah noch unten.
Dort verlief ein dickes Rohr, in das offenbar alle Rohre dieser Etage, einschließlich die der Küche, mündeten. Etwa einen halben Meter links von Natascha war das Rohr an der Oberseite aufgerissen. "Du willst, dass wir hier durchkriechen?", fragte sie skeptisch. "Es ist der einzige Weg ungesehen heraus zu kommen." "Na Prima", wandte sie sich nun an ihre Begleiter "Der Klassiker! Die Flucht durch das Abflussrohr." "Hast du eine bessere Idee?", giftete ihr Vater "Ich kann euch auch gerne wieder einschließen!" Natascha seufzte und drehte sich wieder zu dem Rohr um.
"Also gut!", begann ihr Vater "Es wird etwas eng werden, aber es müsste gehen. Aber sobald das Rohr nach unten abknickt müsste ihr aufpassen und euch an den Seitenwänden abstützen, denn sonnst fallt ihr gut und gerne 20 Meter im freien Fall in die Tiefe. Und wenn ihr der Kanalisation seid, dann lauft weit genug im nicht gerade im Stadtzentrum rauszukommen, verstanden?"
Natascha sah ihren Vater lange an. Von allen Möglichkeiten wie sie aus dem Gefängnis hätte entkommen können war das hier die, die sie als letzte in Betracht gezogen hätte. Sie wusste, eigentlich hätte sie dankbar sein sollen, aber sie war mit der Situation noch zu überfordert. Also fragte sie nur:"Was ist mit dir? Sie werden schnell rausfinden, dass du einen deiner Kollegen erschossen und uns zur Flucht verholfen hast." "Ich? Ich werde verschwinden müssen. Aber mach dir darüber keine Sorgen ich komm schon zurecht. Der gute Dimitri wird mir helfen", meinte er betont lässig und klopfte dem schwarzhaarigen, der noch kein Wort gesagt hatte, auf die Schulter. "Und jetzt beeilt euch, die Zeit wird knapp." Natürlich hatte er Recht. Also kletterte Natascha vorsichtig, mit den Füßen zuerst in das Loch im Rohr. Bevor sie auch den Kopf hineinstecken konnte, hielt er Vater sie aber doch noch einmal auf, indem er sagte: "Und Natascha... " "Ja?" "Es tut mir Leid!"
Dann zwängte sich Natascha vollends in das enge, stinkende, feuchte Rohr. Da sie auf dem Rücken lag musste sie sich erst einmal umdrehen um voran kommen zu können, was fast eine Minute in Anspruch nahm. Das Rohr schien immer enger zu werden, während sie sich langsam rückwärts in Richtung des Knicks schob. Ihre Hosenbeine sogen sich voll mit einer stinkenden, ekelhaft Flüssigkeit, über deren Bestandteile sie lieber nicht weiter nachdenken wollte. Schließlich erreichte sie die Stelle wo das Rohr um 90 Grad abbog und senkrecht in die Tiefe fiel. Vorsichtig presste sie erst ihre Beine und dann ihre Arme gegen die Innenwand des Rohrs um nicht abzurutschen.
Langsam, Stück für Stück ließ sie sich in die hinabgleiten. Immer wenn ein anderes Rohr auf ihres traf hatte die eine Trittstufe, was ihr den Abstieg etwas vereinfachte, dennoch schmerzten ihre Muskeln, als sie endlich das Ende des Schachts erreicht hatte. Unter sich hörte sie den Abwasserkanal vorbeifließen. Natascha schluckte, holte noch einmal tief Luft, dann ließ sie sich fallen.
Fast zwei Meter fiel sie und klatschte in die übel riechenden Fluten und schluckte mehr davon, als ihr lieb gewesen wäre, ehe sie sich an den Rand des Kanals kämpften konnte, wo ein gemauerter Fußweg für die Kanalarbeiter war. Den bestieg sie jetzt und tastete sich vorsichtig an der Wand entlang, bis sie ein Gitter erreichte. Es war stockdunkel, doch die konnte erkennen, dass in das Gitter eine Tür eingelassen war, doch als sie daran rüttelte war sie verschlossen. Eine Sackgasse!
Natascha versuchte Ruhe zu bewahren ob des unerwarteten Hindernisses. Natürlich war der Abwasserkanal an dieser Stelle abgesperrt, sonst wäre er sicher ein beliebter Fluchtweg gewesen, aber was sollte sie jetzt tun? Hinter sich hörte sie ein Platschen als Aleksander in den Abwasserkanal sprang.
Noch sechs weitere Male platschte es, der letzte war Juri gewesen. Er brachte auch die Lösung für das verschlossene Tor: Einen Schlüssel, den er von Peter bekommen hatte. Die acht huschten durch das Tor.
Stundenlang, so kam es ihnen vor, liefen sie die dunklen Gänge der Kanäle entlang. Irgendwann jedoch sahen sie am Ende des Tunnels ein Licht schimmern. "Da muss ein Ausgang sein!" Alle atmeten erleichtert auf. Sie hatten die Dunkelheit und den Gestank hier drin gründlichst satt. Nach 10 Minuten hatten sie die Quelle des Lichts erreicht und fanden sich am Rand eines großen Klärbeckens außerhalb von Woronesch wieder. Überglücklich über ihre gelungene Flucht traten sie aus dem Kanals ans Tageslicht. Inzwischen war es wieder Tag geworden.
"Hey, was macht ihr da!", rief eine wütende Stimme hinter ihnen. Sie fuhren erschrocken herum. Ein alter Mann, der mit einem Gehstock herumfuchtelte kam auf sie zugehinkt. "Das Betreten ist hier verboten! Raus aus meiner Kläranlage!", keifte der Alte. Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Sie rannten Richtung Ausgang des Klärwerks und hinein in ein kleines Waldgebiet in der Nähe.
Sie hatten es tatsächlich geschafft. Sie waren aus dem Gefängnis entkommen.
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Re: Europa Futura

Beitragvon Guerillonist » 19. Mai 2012 13:48

2. Akt - Bellum omnium contra omnes
4. Szene


Jacopo Mirazzo war sehr zufrieden mit sich und seiner Bewegung. Wie an jedem ersten Sonntag eines Monats, hatte er zum Parteitreffen der Fronte nazionalista eingeladen. Dieser Sonntag war insofern besonders, als dass an diesem Tag die Kommunalwahlen in Bari stattfanden. Er war guter Dinge: Seine Partei war mächtig angewachsen und umfasste jetzt über 150 Mitglieder.
Vorgestern erst hatte er einen Vortrag an der Universität von Bari gehalten und danach sein Buch ritorno ai valori in der Uni-Bibliothek verkauft - es hatte reißenden Absatz gefunden. Eine Tatsache, die ihm bei seinem raschen Aufstieg sehr geholfen hatte, war, neben der Verschärfung der wirtschaftlichen Lage, dass er durch seinen zwielichtigen Informanten - diesen Wioretsch - die politischen Umwälzungen in Europa quasi prophetisch hatte voraussagen können, was ihm den Ruf eines besonders talentierten Analytikers politischer Situationen eingebracht hatte.
Die Rede, die er für heute vorbereitet hatte, sollte im großen Saal des Umberto secondo-Hotels stattfinden, das in der Innenstadt lag. Nicht nur Mitglieder der FN waren gekommen, sondern auch viele Sympathisanten und Interessierte, die seine Auffassungen teilten. Insgesamt saßen wohl an die 300 Menschen auf Holzbänken, dem Rednerpult zugewandt, als Jacopo den Raum betrat.
Er ging mit raschen Schritten zu dem Pult hinüber. Als er es erreicht hatte schlug er sich mit der Rechten Hand gegen die Brust. Die Wartenden erhoben sich wie eine Einheit von ihren Bänken und taten ihm die Geste nach, dann setzten sie sich wieder. Jacopo sah sie eine ganze Weile an, dann sagte er mit hoch erhobener Stimme - denn er hatte auf ein Mikrophon verzichtet: "Kameraden und Kameradinnen, liebes Volk von Bari! Ein langer und erschöpfender Wahlkampf liegt hinter uns. Ein Wahlkampf in dem wir uns nicht nur gegen die links-anarchistische Faulenzer und gegen die kapitalistischen Systemmedien, sondern vor allem gegen die islamistische Hetzte des Immigrantentums durchsetzen mussten."
Applaus brandete auf. Jacopo badete einige Sekunden darin, dann hob er die Hand und die Menge verstummte wieder. "Aber wir haben uns nicht unterkriegen lassen. Wir sind unseren Prinzipien Italiener zuerst und Rückkehr zu den Werten treu geblieben. Wir werden uns gleich gemeinsam das Ergebnis der heutigen Wahl ansehen. Aber zuvor möchte ich ihnen noch zwei Herren vorstellen und etwas bekanntgeben."
Bei diesen Worten standen zwei Herren, einer von ihnen vielleicht Mitte Fünfzig, der andere wohl eher Anfang Zwanzig, auf und traten zu Jacopo heran. Er begrüßte die beiden, dann stellte er seinem Publikum zuerst den älteren der beiden vor. "Das, Kameraden, ist Giovanni Trappatori, er wird ab sofort der Ortsgruppe Bari vorstehen." Getuschel ging durch den Raum. "Ich denke ihr wisst, was das bedeutet: Ja! Die Fronte nazionalista macht nun ihrem Namen endlich alle Ehre und wird sich von nun an in ganz Italien zur Wahl stellen."
Hurra-Rufe waren von allen Ecken des Raumes zu hören. Wieder ließ Jacopo sie einen Moment lang gewähren, dann brachte er sie erneut mit einer Geste zum Schweigen.
"Aber mit ganz besonderem Stolz möchte ich euch diesen jungen Mann, unser neustes Parteimitglied, vorstellen." Doch anstatt genau das zu tun trat Jacopo zur Seite und ließ den Mann selbst an das Rednerpult treten.
Er trug einen schwarzen Anzug, der im so perfekt stand, dass er nur maßgeschneidert sein konnte. Am Revers trug er eine metallene Anstecknadel mit einem Wappen, das ein weißes Kreuz auf roten Grund zeigte. Seine Stimme hatte einen seidenen, weichen Klang, als er sagte:
"Guten Abend, mein Name Vittor - aus dem Haus Savoyen." Jacopo beobachtete, wie seine Kameraden reagierten. Wenigstens sie bringen einem Adeligen den nötigen Respekt entgegen, dachte er zufrieden, als er ihr ehrfürchtigen Gesichter sah.
"Mein Großvater war Umberto der Zweite, der letzte König von Italien und dieses Hotel ist nach ihm benannt. Ich freue mich, dass es hier in Bari, wo ich seid einem Jahr studiere, endlich eine neue Partei gibt, die die wahren Interessen des Volks vertritt. Darum bin ich ihr beigetreten - als Ehrenmitglied. Ich hatte heute Morgen bereits ein sehr angeregendes Gespräch mit eurem - unserem - Parteichef Jacopo Mirazzo. Ich denke wir werden..."
Jacopos Aufmerksamkeit schweifte ab, während Vittor weiterredete. Er brachte dem Adel großen Respekt entgegen, doch dieser junge Mann war für ihn vor allem eins: Ein Zugpferd. Mit einem Nachfahren des Königs konnte er auch die Monarchisten hinter sich vereinen. Ja die Zeichen standen gut für ihn. Immer noch war die Situation in Italien schlecht, die Arbeitslosigkeit hoch, die Unterstützung für Famillien gering und was ihnen zum Leben übrig blieb, das nahmen ihnen die Ausländer oder die Mafia. Doch gerade diese Zustände, so hoffte Jacopo, würden es ihm ermöglichen seinen Traum von Italien zu errichten. In einer Rede hatte er einmal gesagt: "Es ist wie ein Fieber, wisst ihr? Es muss schlimmer werden ehe es besser werden kann. Nur dann besinnen sich die Menschen auf Tradition und Tugend zurück."
Ortsgruppen in ganz Italien befanden sich im Aufbau. Die Regierung sah das gar nicht gern. Sie wollte weiter ihren Sozialabbau und den Multikulturismus durchpeitschen. Mehr Sorgen bereiteten ihm jedoch die Kommunisten. Das verdammte Pack hatte kräftig an Stimmen zugelegt. Offenbar verloren einige Menschen in einer solchen Krise völlig den Kopf und stürzten sich in ihrer Panik ins politische Unglück.
Applaus riss ihn aus seinen Gedanken. Vittor hatte seine Rede beendet.
"Sehr schön", sagte er und klatsche ein paar mal in die Hände. Dann eröffnete er in knappen Worten das Buffet, während ein paar seiner Kameraden mit ihm den Saal umbauten und ihn für die Wahlparty vorbereiteten. Sie räumten die Bänke bei Seite und stellten einen Beamer und Lautsprecher auf, damit die Verkündigung des Wahlergebnisses für alle gut sicht- und hörbar übertragen werden konnte. Nach einer Dreiviertelstunde rief er alle wieder herein. Die Anwesenden hatten sich an Wein und italienischer Hausmannskost gütlich getan und waren dem entsprechend guter Stimmung, was durch die Aussicht auf einen Wahlsieg noch verstärkt wurde.
Plötzlich traten 2 Männer und 2 Frauen vom Lokalfernsehen ein. Verflucht, wer hat die rein gelassen?, dachte Jacopo und schlängelte sich zwischen den Wartenden zu dem Fernsehteam hindurch.
"Sie sind ja ganz schön schwer ausfindig zu machen", begrüßte ihn eine der Frauen freundlich. Jacopo blieb indes kühl und nickte nur. Er hatte in den letzten Wochen mehr als genug Interviews gegeben, so fand er. Er hasste es. Es war kein Vergleich mit dem ergreifenden Gefühl, das ihn erfasste, wenn er eine flammende Rede hielt. "Wir filmen alle Wahlparties in Bari, anlässlich der Wahl. Ich hoffe es macht ihnen nichts uns einige Fragen zu beantworten." Jacopo seufzte und schüttelte den Kopf, während hinter ihm Beamer und Lautsprecher angeschaltet wurden und die Stimme einer Nachrichtensprecherin durch den Raum drang. "Dann fragen sie, was sie wollen, bei Gott!", sagte er mürrisch.
Die Frau vom Fernsehen lächelte verschmitzt und begann in einem Ton, als hätte sie ihre Worte auswendig gelernt zu reden: "Ihr Partei, die FN, tritt dieses mal zum allerersten mal bei einer Wahl an und dennoch prophezeit man ihnen gute Ergebnisse. Was denken sie worin liegt der Erfolg ihrer Partei?" "Nun...ähm, die Leute haben halt genug von dem Einheitsbrei der etablierten Parteien. Wir hingegen bieten wirkliche Inhalte und denken an den kleinen Mann." "Ihrer Partei werden oft populistische und rechtsextreme Züge nachgesagt. Wie stehen sie zu diesen Vorwürfen?" "Diese Anschuldigungen werden von linken Systemmedien in Umlauf gebracht um davon abzulenken, das sie die Feinde unseres Staates und Volkes sind." "Wo sehen sie ihre Partei in fünf Jahren?" "Nun wir werden uns natürlich weiter auf nationaler Ebene zu etablieren versuchen."
Gerade wollte die Reporterin zu einer weiteren Frage ansetzen, aber in diesem Moment erhoben sich aufgeregte Rufe im Saal: Im Fernsehen begann die Hochrechnung. Mit den Worten "Sie entschuldigen mich!", verabschiedete sich Jacopo von dem Kamerateam, froh über den Vorwand sich loszueisen. Er drängte sich an seinen Kameraden vorbei nach vorne um einen guten Blick auf die Leinwand zu haben.
Jetzt wurde es spannend. Sie waren zusammen mit der Fiamma Tricolore angetreten, da sie beide ein ähnliches Wahlprogramm hatten und sich nicht gegenseitig die Stimmen wegschnappen wollten. Nach italienischem Wahlrecht hieß das, dass jede der beiden Parteien mindestens 2% und ihr Bündnis mindestens 10% erreichen musste um sich an der Regierung in Bari zu beteiligen. Die Nachrichtensprecherin begann die Ergebnisse zu verkünden: "Das Bündnis Mitte-Rechts aus Popolo della Liberta und Unine di Centro verliert weiter und stellt mit insgesamt 30,1% nur noch knapp die stärkste Kraft da. Dabei entfallen 18,8% auf die PdL und 11,3% auf die UdC. Die sozialdemokratische PD ist dieses mal ohne Bündnis audgetreten und erreicht nur enttäuschende 10,5%. Überraschend gute Resultate erziele das Bündnis Rechtsaußen aus Fronte nazionalista und Fiamma Tricolore. Es kam zusammen auf 24,3%. Dabei entfallen 20,9% auf die FN und 3,4% auf die FT."
Im Saal brach Jubel aus. Sie hatten als Einzelpartei das beste Ergebnis erreicht! Doch Jacopo beobachtete weiter gebannt die Hochrechnung.
"Den größten Einbruch musste das radikal-liberale Bündnis aus Radicali und ILM hinnehmen. Sie kommen zusammen nur auf 10,1% und sind damit nur knapp im Stadtrat vertreten. Die Radicali erreichte dabei 2,7% und die ILM 7,4%. Auch das Bündnis Links aus CARC, PMLI und SC konnte stark zulegen und kam insgesamt auf 16,4%. Die restlichen 8,4% der Stimmen entfallen auf kleine Splitterparteien die nicht im Stadtrat vertreten sein werden."




2 Tage später packte Jacopo seine Koffer. Er würde mit Vittore und ein paar Mitgliedern der FN nach Rom reisen und dort eine Ortsgruppe aufbauen. Die Kommunalwahlen in Italien waren die ersten gewesen, seit die meisten europäischen Länder ihr Konzept der Expertenregierung, allen voran Deutschalnd mit diesem Fisher, verkündet hatten. Den Leuten ist noch gar nicht klar, was auf sie zu kommt, dachte Jacopo, während er seiner Frau zusah, wie sie Krawatten einpackte. Ihm aber schon und er wusste das bald seine Stunde die die Stunde der FN gekommen sein würde... und wenn Gewalt nötig sein würde um sie herbeizuführen.
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