KirKanos hat geschrieben:Ich weiß nicht ob es eine ganz grobe Verzerrung ist, zumindest würden einige Historiker auch ein spät wilhelminisches Kaiserreich noch als Armee mit angehängten Staat bezeichnen. Ich sehe es es auch eher so wie Du, dass das Militär eine Machtzentrale unter vielen war (Adel, Bürgertum, Arbeiter, Kirche(n)) mit dem Kaiser als Klammer der das Gefüge zusammenhielt. Und wie jeder dieser Blöcke war auch das Militär kein monolithischer Block, sondern bestand wiederum aus vielen Gruppen. Aber vielleicht trifft man den Status ganz gut wenn man das Militär als Primus unter diesen Gruppen einordnete. Die Gesellschaft war jedenfalls im hohen Maße militarisiert.
Ich möchte es so sagen.
So lange Preußen Königreich (auch innerhalb des Kaisereichs) war, fiele mir exakt eine Gelgenheit ein, in der die Kriegsteilnahme eines Landes wirklich de facto durch das Verhalten der Militärs erzwungen wurde.
Das ist die Konvention von Tauroggen mit den "Befreihungskriegen" im Anschluss.
Insofern erscheint mir jedenfalls in dieser hinsicht das alte Sprichwort
"Manche Staaten haben eine Armee, die Preußische Armee aber, hat einen Staat", schon ein kleines Bisschen überzogen. Die Armee hatte Ansehen in der Gesellschaft, das führte zu einem bestimmten habitus und zu einer bestimmten Sozialordnung, sie hatte im rahmen ihrer Bedürfnisse auch immer großen Einfluss auf die Gesetzgebung, und ein gewichtiges Wort beim Staatsetat mitzureden, wo sie sehr durchsetzungsfähige Positionen hatte.
Das alles zusammen kann man als eine Erscheinung betrachten, nach der man die Gesellschaft durchaus als "militaristisch" bezeichnen kann, völlig d'accord, aber das letzte Wort im Hinblick auf Krieg und Frieden hatte das Militär auch in Preußen nicht.
Was es wohl hatte, war eine höhere Eigendynamik, die dann zum Tragen kam, wenn die zivile Regierung dem nicht ausreichend entgegen arbeitete. So lange die aber als Veto-Player funktionierte (und den brauchte es in anderen Ländern vielleicht nicht in diesem Ausmaß, auch so weit d'accord), lief auch die Kriegsmaschinerie nicht einfach nach dem Willen irgendwelcher dahergleaufener militärischer Knallchargen an.
KirKanos hat geschrieben:Das stimmt ohne Frage, aber in Frankreich gab es gewachsene, zivile Strukturen und das Militär erreichte nie den Stellenwert wie im Kaiserreich.
Das mag zwar richtig sein, aber wurde Frankreich dadurch friedlicher als das DR?
Das ist mMn die entscheidende Frage und das sehe ich so nicht. Die gegen den Krieg eingestellten Teile der französischen Bevölkerung, erreichen im herbst 1914 genau so wenig, gegenüber der eigenen Regierung, wie das auf deutscher Seite der Fall war.
Und es ist ja nicht so, dass Frankreich nicht hätte verhindern können, in diesen Krieg mit hineingezogen zu werden, wie das etwa bei Belgien der Fall war. Von französischer Seite her war man lediglich nicht bereit den Preis für das Raushalten zu zahlen, nämlich die Aufgabe des Bündnisses mit Russland.
Insofern würde ich meinen, dass Stellenwert des Militärs in der Gesellschaft hin oder her, Frankreich sich da ebenso von sicherheitspolitischen Überlegungen treiben ließ, wie das auf der Deutschen Seite der Fall war.
Darüber hinaus, das deutsche Reich mit dem so hohen gesellschaftlichen Stellenwert des Militärs führte abseits der Niederschlagung von Erhebungen in den eigenen Kolonien, was ja aber allte Kolonialmächte taten, zwischen seiner Gründung und dem ersten Weltkrieg, einen einzigen ausgewachsenen Krieg, nämlich den gegen China. An dem namen auch die anderen europäischen Mächte teil.
- Frankreich führte demgegenüber in den 1880er Jahren einen ziemlich blutigen Krieg gegen das Qing-Reich um seinen Kolonialbesitz in Indochina zu vergrößern.
- Großbritannien führte die beiden Burenkriege
- Russland lies sich inzwischen in den 1870ern mit dem Osmanischen Reich und mit Japan militärisch ein.
- Italien fiel 1911 um Libyen über das Osmanische Reich her.
Wenn wir das mal rekapitulieren und die Nierderschlagung von Aufständen im eigenen Kolonialbesitz außenvor lassen und uns wirklich die kriegerischen Handlungen mit erhöhtem Blutvergießen und dezidierten Erwerbsabsichten anschauen, hat global betrachtet, bei den Entente-Staaten der Säbel letztendlich lockerer gesessen, als bei den Zentralmächten.
Trotz geringeren gesellschaftlichen Stellenwerts des Militärs, jedenfalls was GB und Frankreich betrifft.
Das kann natürlich nicht über die Fehler des deutschen Systems und der Entscheidungsträger speziell im Herbst 1914 hinwegsehen, so viel ist denn klar, nur die Vorstellung, dass eine Gesellschaft in der das Militär einen höheren Stellenweert hat, als anderswo, auch automatisch kriegerischer ist, sehe ich hier nicht bestätigt.
Hohen Wert, auf eine hochgerüstete Armee und einen für die Zeit hohen Grad an Militarisierung legte bekanntlich auch der alte Soldatenkönig. Kriege angefangen, hat er trotzdem nie.
KirKanos hat geschrieben:Ich möchte Dir in den meisten Punkten recht geben, aber gerade der Schliefenplan, der sollte er Erfolg haben, musste eine schnelle Eskalation schaffen und schränkte die Möglichkeiten einer diplomatischen Lösung doch stark ein. Insofern war es schon der Druck der Militärs, der einigen Einfluss hatte, dass 1914 nicht nochmal der Krieg abgewendet werden konnte. Wie es ja schon so oft, wie Du richtig bemerkt hast, auf diplomatischen Parkett entschärft wurde. Vielleicht hatte man sich auch zu lange darauf verlassen, dass es dieses mal schon irgendwie eine diplomatische Einigung geben würde.
In Sachen Schlieffenplan, wird mir entschieden zu viel auf die Generalität geschimpft.
Die Vorstellung etwa auch Belgien in Kampfhandlungen mit einzubeziehen, hatte auf französischer Seite auch Joffre, nur dass seinerzeit die zivile Regierung den als politisch unzumutbar kassierte und Joffre aufforderte sich was anderes auszudenken.
Hätte der Kaiser ebenso tun können. Es war sicherlich eine strukturelle Schwäche, die in der causa Schlieffenplan eine Rolle spielt, dass die zivile Regierung darüber keine Entscheidungsbefugniss hatte und der Generalstabschef dieser gegenüber nicht rechenschaftspflichtig war und die Planungen nicht darlegen musste, so dass der Regierung 1914 auch gar nicht bewusst war, dass die Truppenstärke zur Ausführung dieses Plans vollkommen inadäquat war, mit dem sie gerade im Begriff war in den Krieg zu ziehen.
Aber letztendlich, ist die hier fehlende Kontrolle keine strukturelle Schwäche des Systems gewesen, sondern einfach der Tatsache geschuldet, das KWII. mal wieder nicht in der Lage war sich durchzusetzen. Er hätte die Offenlegung anordnen und diesen Plan außer Kraft setzen, oder aber Moltke und Falkenhayn vor die Tür setzen können, wenn die nicht kuschten.
Mit einem fähigeren Kaiser, der die Courage besässen hätte, seinen Militärs den Kopf zu waschen, wäre das nicht weiter ins Gewicht gefallen.
Weiterhin was das Zustandekommen angeht, wäre auch zu bedenken, dass die Militärs mit dem planen mussten, was ihnen die Diplomatie an Ausgangslage überließ. Und das bedeutete entweder genau so zu planen, wie sie es dann tatan und das umzusetzen oder den Fokus auf den Osten zu legen und es auf einen Erschöpfungskrieg ankommen lassen, bei dem aber fraglich erscheinen musste, ob man die wirtschaftliche Basis (Munitionsproduktion, Slapeter etc.) dafür hatte.
Letztendlich und das wiederrum kann man nun nicht auf das Militär schieben, sondern es betrifft die zivile Reichsleitung, ist der gesammte Schliefenplan Produkt von Rahmenbedingungen, die auf dem Versagen der wilhelminischen Diplomatie beruhen, sich mit GB oder Russland zu verständigen und sei es auf Kosten der Allianz mit Österreich-Ungarn.