nordstern hat geschrieben:Jo, die Diplomaten hatten damals nicht soviel zu sagen. Weder in Frankreich das von dem Gedanken an Rache für 1870/71 getrieben wurde und die Chance witterte, noch in Russland das einen Krieg gegen das deutsche Kaiserreich UND Österreich-Ungarn riskierte.
Das ist in dieser Form Quatsch. Ist ja nicht so, dass das die erste Krise gewesen wäre, die dann direkt zum Krieg führte, sondern die Bosnische Annexionskrise, diverse Streitigkeiten hinsichtlich Kolonien und der Balkankriege 1 und 2 bekam man ja mit diplomatischen Mitteln auch in den Griff.
Frankreich ist in seinem außenpolitischen Aggieren nicht auf 1870/1871 monocausal zu reduzieren, sondern da spielt dann auch Bismarcks Auskreisungspolitik und das Festhalten der Wilhelminischen Diplomatie an den Bündnissen mit Österreich-Ungarn und Italien eine Rolle.
Wenn St. Petersburg sich für Krieg entschied, konnte Paris dem eine Absage erteilen, aber nur zu dem Preis damit sein eigenes Bündnissystem abzuwracken und sich gegenüber einem zentraleuropäischen Machtblock bestehend aus dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn und dem Kgr. Italien erneut zu isolieren und zwar länger, denn das hätte einerseits in Russland verständlicher Weise Verstimmung ausgelöst, zweitens wäre Russland, selbst wenn es gewollt hätte dann längerfristig überhaupt nicht in der Lage gewesen Frankreich beizustehen, denn einen Krieg allein gegen die Zentralmächte hätte es ziemlich schnell krachend verloren, noch wäre man in Russland anschließend besonders begesitert davon gewesen, sich für französische Interessen verwenden zu sollen, während Frankreich aber die eigene Balkanpolitik nicht stützt.
Das hätte kein französischer Politiker jemals geatn, weil sich Frankreich damit außenpolitisch möglicherweise auf Jahrzehnte einer Dominanz durch die Zentralmächte ausgeliedert hätte.
nordstern hat geschrieben:Noch Österreich-Ungarn, das wusste das sie ohne das Kaiserreich niemals gegen Russland bestehen könnte und das Kaiserreich natürlich selbst, in dem damals die Kriegsgeilen Offiziere das Sagen hatten.
Österriech-Ungarn hätte ohne Deutschland keine Politik gegen das Zarenreich machen können, das ist richtig. Es hätte aber durchaus die Möglichkeit gehabt, sich vom DR zu lösen und zusammen mit Frankreich Politik gegen Deutschland und Italien zu machen, da gab es durchaus Interessenüberschneidungen. Beide hatten einen stellenweise umstrittenen Grenzverlauf gegen Italien und ein gewisses Misstrauen gegenüber der zunehmenden wirtschaftliche Dominanz des DR auf dem Kontinent.
Bei Frankreich ist das offensichtlich, bei Österreich-Ungarn wird es offensichtlich, wenn man sich den Austausch um die angedachten territorialen Veränderungen während des ersten Weltkrieges anschaut, aus denen ziemlich klar hervor geht, wie besorgt man seitens Wien über ein drohnendes massives Übergewicht Deutschlands war, weswegen man nachdrücklich auf einem an Österreich, nicht an Deutschland angelehntem Polen bestand.
Welche Kriegsgeilen Offiziere hatten denn im Kaiserreich so das Sagen?
Oder fragen wir mal anders:
Wenn im deutschen Reich kriegsgeile Offiziere das Sagen gehabt hätten, warum ließen sie sich dann bis 1914 Zeit mit dem Krieg? 1905 und in den Folgejahren, wäre die Gelegenheit viel günstiger gewesen.
Russland hatte gerade den Krieg von 1904/1905 gegen Japan verloren, seine halbe Flotte lag auf dem Grund der Straße von Tsushima die Truppen waren angeschlagen, die Munition zu großen Teilen verschossen, die Finanzen waren zunächst mal, auf Deutsch gesagt im Eimer, in Petersburg und im halben Land, tobte 1905 Revolutuion, deren Niederschlagung und Stabilisierung des Reiches ihre Zeit dauerten und die Tripple Entente gab es in dieser Form zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht.
Wenn man von deutscher Seite also auf einen Krieg gebrannt hätte, warum nicht an dieser Stelle? eine effektive militärische Zusammenarbeit Frankreichs mit Russland wäre zu dieser Zeit und in den Folgejahren anders als ab 1914 schlicht nicht möglich gewesen.
An der Stelle nochmal die Frage:
Wenn im Reich irgendwelche Kriegsgeilen Militärs die Möglichkeit gehabt hätten, die Politik zu lenken, warum verzichteten sie dann 1905 auf den Krieg und einen ziemlich sicheren Sieg, um dann 9 Jahre später unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen einen vom Zaun zu brechen?
Das ergibt überhaupt keinen Sinn.
nordstern hat geschrieben:Selbst in England reagierte nicht die Diplomatie sondern die Zweckmäßigkeit des gringsten Risikos für die Kolonien und die Flotte. Wenn England nach Diplomatie entschieden hätte und nach Beziehungen, wäre es auf deutscher Seite eingetreten.
Und zwar warum?
Welche diplomatischen Beziwhungen und Verträge hatte GB denn mit Deutschland, auf Grund dessen es sich für die deutsche Seite hätte entscheiden müssen?
Mit Frankreich und Russland gab es Marinekonventionen und Kolonialabkommen in Afrika und Asien, die den Umfang der Abkommen, die man mit Deutschland hatte, wesentlich überstiegen. Mit Deutschland hatte GB nach zähem Ringen eine Übereinkunft in Sachen Baghdad-Bahn, ein Eventualabkommen, hinsichtlich der portugiesischen Kolonien in Afrika, falls Portugal in Folge eines Staatsbankrotts gezwungen wäre seinen kolonialen Besitz in Mocambique und Angola zu verkaufen und eben die Grenzkonventionen in Ostafrika und im Hinblick auf den "Caprivi-Zipfel", so wie gelegentliche handelspolitische Kooperation mit Deutschland in Fernost.
Mit frankreich hatte GB eine Marinekonvention, die die französische Flotte faktisch aus dem Kanal heraus hielt und den Schutz der Seeroute durch das Mittelmeer gewährleistete, Absprachen über die Einflussphären in Nordafrika Absprachen Über die Grenzziehung und den Kolonialbesitz auf der indochinesischen Halbinsel, inklusive der faktischen Neutralisierung Siams.
Mit den Russen wurde an einer Marinekonvention gearbeitet, außerdem bestanden vergleichbare Interessein im Hinblick auf eine zukünftige Aufteilung des Osmanischen Reiches, nachdem Britannien seine Position im Hinblick aus die Meerengen aus dem 19. Jahrhundert inzwischen revidiert hatte, so wie die Neutralisierung Afghanistans, Persiens und Tibets, um das britische Kolonialreich in Indien zu sichern.
Mit Deutschland bestanden also territorial gesehen lediglich Abkommen, zur Sicherung von ein par fitzeln wirtschaftlich relativ unbedeutenden Afrikas und über die Aufteilung der Portugiesischen kolonien im Eventualfall auf friedliche Weise.
Mit Frankreich und Russland bestanden Marinekonventionen und koloniale Regelungen, die den Briten die Seewege, so wie Ägypten mit Sudan, Indien und Birma, so wie dann auch die Seewege weiter nach Ostasien hinein sicherten.
Das sind schon etwas weitergehende Konventionen.
Darauf kommt dann noch die deutsche Flottenpolitik und der belgische Garantievertrag.
Schlussendlich, wer hätte denn den Briten garantiert, dass wenn Deutschland einen Krieg gegen Frankreich gewinnt, sich nicht Gebiete in Frankreich und vielleicht Belgien unter den Nagel reißt, Frankreich als Großmacht ersten Ranges de facto ausschaltet, und ihm einen Großteil seiner Kolonien abnimmt, womit GB sich seine diesbezügliche Abkommen mit Frankreich an den Hut hätte stecken können?
Neutralität GBs hätte sich das DR wahrscheinlich allenfalls durch eine Präzise Erklärung, im Westen und in Übersee keine Territorialgewinne anzustreben und durch Verpfändung der eigenen Kolonien als Sicherheiten dafür, sichern können.
Zu so weiten Zusagen war man denn aber auch von deutscher Seite her nicht bereit.
nordstern hat geschrieben:Aber England entschied zugunsten des Geldes.
Wenn es GB um Geld gegangen wäre, hätte es sich raus geahlten, beide Seiten hübsch mit Waffen beliefert und sich von beiden Seiten für seine Neutralität und das Offenhalten der Seewege bezahlen lassen. Da hätte ein Kriegeseintritt anno 1914 so überhaupt keinen Sinn ergeben.
Sry, aber das ist, wie du das vorbringst, alles andere als durchdacht.