Der Erste Weltkrieg

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Mr XEM
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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon Mr XEM » 28. September 2020 16:30

Stratege hat geschrieben:@nordstern da unterstellt
Ich lese da jetzt nicht raus, dass er nur von kurzfristigen Profiten spricht.

Stratege hat geschrieben:Bei der Angelgenheit ging es um strategische Erwägungen und Machtkonstellationen nicht ... um den kurzfristigen ökonomischen/pekuniären Nutzen.
Das Beides widerspricht sich nicht, sondern bedingt sich sogar. Der Machterhalt war notwendig für einen hohen ökonomischen Profit.

Stratege hat geschrieben: Wenn es explizit um Geld gegangen wäre, wäre es logisch gewesen sich heraus zu halten und von den Kriegsbedingten Notwendigkeiten beider Seiten maximal finanziell zu profitieren, staat erstmal massiv Geld für einen Krieg (und da mit Beteiligung von Bodentruppen) und dann entsprechend auch für die anschließende Versorgung der Invaliden auszugeben, bei dem der Ausgang völlig ungewiss ist.
Es bedeutet eben nicht, dass man maximal finanziell profitiert, wenn man sich raushält. Damit macht man kurzfristig Profit, langfristig wäre es für GB aber profitabler gewesen, auf der Gewinnerseite zu stehen. Man kann den Handel nur aus eine Position der Stärke heraus dominieren. Ein von Deutschland dominiertes Europa hätte Deutschland auch in eine wirtschaftlich bessere Position gebracht. Und in eine Position den britischen Machtanspruch zu anzufechten. Aber was hat den Briten diese Macht überhaupt gebracht? Wozu haben sie so ein Imperium aufgebaut? Weil es profitabel ist.

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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon Stratege » 28. September 2020 16:54

Mr XEM hat geschrieben:
Stratege hat geschrieben:@nordstern da unterstellt
Ich lese da jetzt nicht raus, dass er nur von kurzfristigen Profiten spricht.


@nordstern schrieb ganz eindeutig "England entschied zugunsten des Geldes"

Geld ist nicht = strategische Sicherheit für die Zukunft um aus dieser Profit schlagen zu können sondern Geld, zeichnet sich dadurch aus konkret vorhanden, speicherbar und jederzeit in Güter, welcher Art auch immer konvertierbar zu sein, sprich Geldfunktionen zu erfüllen.

Wenn der User an dieser Stelle geschrieben hätte, "GB entschied so, wie es wirtschaftlich für sich selbst langfristig an sinnvollsten war", wäre das noch immer der Versuch einer simplifizierenden, monokausalen (Stereotype des vergangenen jahrhunderts und der damaligen Propaganda aufgreifenden) Schlusses gewesen und als solcher zu kritisieren, aber das hat er nicht.
Der User schrieb eindeutig von Geld und um Geld ging es in der Situation und bei der Entscheidung ganz konkret nicht.
Wäre es konkret um Geld gegangen, was ein Bisschen was anderes ist, als antizipierte Entwicklungsperspektiven, wäre ein anderes Verhaltensmuster sinnvoll gewesen.


Mr XEM hat geschrieben:Das Beides widerspricht sich nicht, sondern bedingt sich sogar. Der Machterhalt war notwendig für einen hohen ökonomischen Profit.

Das bedingt sich in keiner Weise.
Bedingen würde es sich nur gegenseitig, wenn man davon ausgeht, dass ein Sieg im Rahmen dieses Krieges, geeigent gewesen wäre, den Status Quo zu sichern.
Wenn nun aber die Entente den Krieg sehr schnell gewonnen hätte und Frankreich seine territorialen Wünsche am Rhein und Russland seine Balkanpolitik hätten durchsetzen können, wozu hätten sie dann fernhin mittelfristig noch der Zusammenarbeit mit GB bedurft?
Ein großer Sieg der Entente konnte die britische Bündnissituation letztendlich genau so gefährden, wie eine Niederlage, jedenfalls was die Situation in Übersee angeht.

Was GB mit seinem Schritt konkret rettete, war nicht die eigene Großmacht, sondern zuforderst die Französische, auch wenn es das sicher nicht uneigennützig tat.



Mr XEM hat geschrieben:Es bedeutet eben nicht, dass man maximal finanziell profitiert, wenn man sich raushält. Damit macht man kurzfristig Profit, langfristig wäre es für GB aber profitabler gewesen, auf der Gewinnerseite zu stehen. Man kann den Handel nur aus eine Position der Stärke heraus dominieren. Ein von Deutschland dominiertes Europa hätte Deutschland auch in eine wirtschaftlich bessere Position gebracht. Und in eine Position den britischen Machtanspruch zu anzufechten. Aber was hat den Briten diese Macht überhaupt gebracht? Wozu haben sie so ein Imperium aufgebaut? Weil es profitabel ist.


Und eben das ist mir nicht weit genug geblickt.
GB musste ein Interesse an der Erhaltung des Status Quo ante haben, nicht daran ihn zu irgendeiner Seite hin zu verändern.
Die Situation nach 1871 übte auf Frankreich einen derartigen Druck auf, dass es letztlich gezwungen war seine Rivalität mit GB zu begraben und umstrittene Positionen da zu räumen um seine Kräfte für eine eventuelle Auseinandersetzung mit Deutschland frei zu haben.
Wäre Deutschland in einer Weise geschlagen worden, dass dieser Druck auf längere Zeit für Frankreich nicht mehr bestand, hätte Frankreich wieder Spielraum gehabt, sich Auseinandersetzungen mit GB leisten zu können.
Hätte Russland seine Ziele auf dem Balkan durchgesetzt, hätte es anschließend seine expansiven Kräfte möglicherweise wieder auf Zentralasien, Ostasien oder Persien zwecks Zugang zum Indischen Ozean gerichtet. Alle drei Alternativen wären zu Lasen britischer Positionen gegangen, weil sie entweder Indien oder die britischen Positionen in China bedroht hätten.

Und deswegen war es für GB eben nicht automatisch vorteilhaft auf der Seite der Sieger zu stehen, nur dann, wenn der Frieden so ausfiel, dass Russlands Ambitionen am Balkan nur Teilerfüllt wurden und nur dann, wenn Deutschland für Frankreich weiterhin eine derartig veritable Bedrohung bliebt, dass eine Wiederaufnahme der alten Rivalität mit GB für die französische Außenpolitik keine wirkliche Alternative darstellte.
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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon nordstern » 28. September 2020 17:26

genau.. auf Deutscher Seite riskiert man wg der französischen und russischen Flotte die eigene Marinehoheit und riskiert die eigenen Kolonien durch Frankreich und Russland (Indien). Während Deutschland bei aller Fantasy keine Bedrohung für die Kolonien oder die Marinevorherrschaft darstellt. Zudem hätte ein Deutscher Sieg eine deutsche Hegemonie auf dem kontinentalen Europa bedeutet... für den Handel nicht so gut und für die langfristige britische Marinevorherrschaft auch nicht.

Ein Beitritt auf Seiten Frankreichs/Russlands bindet diese sogar an einen was langfristig sichere Kolonien bedeutet. Also maximaler Vorteil durch Beziehungen, Einfluss und Profit bei minimalem Risiko, da Deutschland selbst wenn Frankreich und Russland besiegt wären nie die Kolonien bedrohen könnte. Und Deutschland kein Embargo verhängen kann, weil sie auf Rohstoffe aus Übersee angewiesen waren.

England hat sich also ökonomisch nachhaltig verhalten und auf Diplomatie oder Beziehungen gepfiffen.
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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon Stratege » 28. September 2020 18:18

nordstern hat geschrieben:genau.. auf Deutscher Seite riskiert man wg der französischen und russischen Flotte die eigene Marinehoheit und riskiert die eigenen Kolonien durch Frankreich und Russland (Indien).

Mit Verlaub, welche Marinehoheit?

Die britisch-französische Marinekonvention von 1912 einschließlich des Inhalts, dass Britannien den Schutz der Kanalhäfen garantierte und die französische Marine dafür weitgehend aus dem Kanal abzog und die Seewege im Mittelmeer im Sinne GBs und Frankreichs schützte, ist dabei bekannt?

Seehoheit, konnte Deutschland nur in der Ostsee geltend machen und das auch nur, weil man den neuen Kaiser-Wilhelm-Kanal als Zugangsroute exklusiv hatte, während es keine größere Herausforderung darstellte den Sund zu verminen.
Die Wiederaufrüstung der russischen Flotte nach der Niederlage gegen Japan, lief schleppend, zumal die Wiederaufrüstung und Ausdehnung des Heeres und des Eisenbahnsystems um dieses Heer auch effektiv bewegen zu können, bereits Unsummen verschlang und den Staatshaushalt mächtig strapazierte.



nordstern hat geschrieben: Also maximaler Vorteil durch Beziehungen, Einfluss und Profit bei minimalem Risiko, da Deutschland selbst wenn Frankreich und Russland besiegt wären nie die Kolonien bedrohen könnte. Und Deutschland kein Embargo verhängen kann, weil sie auf Rohstoffe aus Übersee angewiesen waren.

Ist dir vielleicht mal der Gedanke gekommen, dass alleine durch den Territorialbestand die veritablen Bedrohungen für die wirklich wichtigen britischen Kolonien Ägypten, Indien, Birma, Chineische Konzessionen, nicht von Deutschland ausging, sondern von Frankreich und GB, weil Deutschland dort überhaupt keine Positionen hatte, von denen aus es hätte aggieren können?

Zwischen Russisch-Turkistan und Britisch Indien, lagen dabals so about 20 Km Afghanistan.
Was genau hätte die Russen, wenn sie sich auf Eisenbahnbau nach Zentralasien fokussiert hätten, denn auf Dauer davon abhalten sollen, im Konfliktfall in Indien einzufallen? Da hätten sich die Briten ihre Flotte an den Hut pinnen können, weil die dann zum Schutz des Herzstücks ihres Empire nämlich ziemlich wertlos gewesen hätte und eine großes Landheer hatten de Briten bekanntlich nicht.

Birma grenzte direkt an Indochina und der Komplex nordafrikanischer Besitzungen der Briten an den der Franzosen. Beides koloniale Komplexe, die durchaus groß genug waren, ein größeres Herr längerfristig zu versorgen, so dass die fehlende Marineüberlegenheit schon einige Zeit gebraucht hätte um den Franzosen bei Auseinandersetzungen hier das Genick zu brechen.

Dazu kommt die Problematik Kanal und Atlantikhäfen.
Wir reden hier nicht von 1850, sondern von 1900-1914. Die Torpedowaffe und das U-Boot sind zu diesem Zeitpunkt längst bekannte größen, wer daran, was Torpedos anzurichten im Stande sind noch Zweifel hatte, hatte die spätestens nach der Schlacht in der Straße von Tsushima nicht mehr.
Wie würde sich eine grüßere Flotte französischer Tauch- und Torpedoboote, gegen die eine Schlachtflotte ein denkbar ungeeignetes Mittel ist, in den französischen Kanalhäfen für die britische Bedrohunglage wohl ausgenommen haben.?
Darüber hinaus baute die französische Marine vor dem Weltkrieg wenig schwere Pötte, aber sehr versiert schnelle Kreuzer.

Nun war das deutsche Kolonialreich zur Führung eines Handelskrieges definitiv nicht gut aufgestellt, schon da die Flotte zu schwerfällig und die potentiellen Posten für die Brennstoffversorgung viel zu dünn gesäht und zu weit auseinander, zumal bei der Problematik erstmal durch den Kanal oder die Dänemarkstraße durch zu müssen, bevor Operationen gegen den feindlichen Handel überhaupt möglich sind.
Von französischer Seite her, mit dem wesentlich umfassenderen Kolonialreich und weit mehr Stützpunkten, so wie schnellen Kreuzern, die im Stande gewesen wären den britischen Schlachtschiffen einfach weg zu fahren und das ganze von den französischen Atlantikhäfen oder von den provencalischen Häfen aus, wenn es ums Mittelmeer geht, ist da eine ganz andere Kiste.

Und genau deswegen bin ich wie gesagt mit der Einschätzung "Gegen Deutschland = für den ökonomischen Profit und die Stabilität"
so nicht einverstanden.
Einfach weil das postulieren würde, dass es sich da um ein uneingeschränktes Gegen Deutschland handelte. Durfte es aber wie gesagt auch nicht sein, wei aus oben genannten Gründen Frankreich und Russland nicht so viel dazu gewinnen durften, dass die Zentralmächte für sie in Zukunft kein Problem mehr darstellten.

nordstern hat geschrieben:England hat sich also ökonomisch nachhaltig verhalten und auf Diplomatie oder Beziehungen gepfiffen.

Auf welche Diplomatie und welche Beziehungen?
Darf ich das mal konkret fragen?

Das Vorfühlen von deutscher Seite hinsichtlich der Achtung der Neutralität Belgiens schloss ja keineswegs eine deutsche Kriegserklärung gegenüber Frankreich kategorisch aus.
Sofern man also von deutscher Seite her nicht bereit war, einen Angriffskrieg gegen Frankreich auszuschließen und dafür auch Sicherheiten zu stellen, so dass es hier nur zum Krieg kommen konnte, wenn Frankreich seinerseits aggressiv würde, auf welche Diplomatie oder Beziehungen soll man von britischer Seite her gepfiffen haben?

Zumal das Ausbleiben einer direkten Antwort hinsichtlich einer derartig kurzfristigen Frage sich auch nicht ohne weiteres als Absage interpretieren lässt. In parlamentarisierten Staatsgebilden und nach der Aufhebung des Veto-Rechts des House of Lords anno 1911 GB als weitgehend parlamentarisiert gelten, ist es schon üblich, dass über Kleinigkeiten wie Krieg und Frieden intern erstmal debattiert wird, was auch im Hinblick auf die Verpflichtungen aus dem belgischen Garantievertrag durchaus der Fall war.

Die Szenarien, die in Britannien hinsichtlich Krieges kursierten gingen stets von einem Angriff auf Belgien aus, zumal die Absichten dahin einmal durch das Gelände und die Festungsgeographie an der deutsch-französischen Grenze, als auch durch den Ausbau diverser ökonomisch völlig sinnloser Eisenbahnlinien im südlichen Rheinland und in der Pfalz, längst maifest waren.
Durchaus also möglich, dass man mit dem Ansinnen die Briten einfach auf dem falschen Fuß erwischte, weil sie fest von anderem ausgingen und allein deshalb zu dem zeitpunkt keine definitive Festlegung machen wollten.
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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon KirKanos » 29. September 2020 06:26

Stratege hat geschrieben:An der Stelle nochmal die Frage:
Wenn im Reich irgendwelche Kriegsgeilen Militärs die Möglichkeit gehabt hätten, die Politik zu lenken, warum verzichteten sie dann 1905 auf den Krieg und einen ziemlich sicheren Sieg, um dann 9 Jahre später unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen einen vom Zaun zu brechen?
Das ergibt überhaupt keinen Sinn.


Natürlich ergibt es keinen Sinn, wenn man ein disparates Konglomerat, wie die Machtverhältnisse des wilhelminischen Kaiserreiches, so simplifiziert. Das Militär zu dieser Zeit drängte öfter und recht regelmäßig auf Krieg. Und das nicht nur in Berlin, sondern auch in Wien (Hötzendorf, Chef des Generalstabes, forderte bei praktisch jeder Krise einen Krieg). Das deutsche Militär selbst hing der These an, dass Russland im Begriff war Deutschland militärisch hinter sich zu lassen und das ein Krieg bald erfolgen müsste, solange Deutschland noch ein gewissen Vorteil hatte. Eine Einschätzung die natürlich weit an der Wahrheit vorbeiging. Das der Zar im fernen Osten gegen Japan militärisch zur Land und zur See den Kürzeren zog, führte kurzzeitig dazu, dass man überlegte den Schliefenplan umzudrehen und sich auf Frankreich zu fokussieren.

Nun gilt es auch zu attestieren, dass das Militär auch im wilhelminischen Kaiserreiches ein Machtfaktor unter vielen war. Ein Großer, aber nicht der Einzige. Lange konnte sich mehr oder weniger zivile* Regierungen den Forderungen der Militärs entziehen, aber vielleicht schon 1914 und spätestens im späteren Kriegsverlauf übernahm das Militär praktisch die alleinige Führung. Kurz vor Stunde Null besann man sich wieder dem Primat der zivilen Regierung und hinterließ ein Scherbenhaufen. Nur um dann später dieser alle Verantwortung für Versailles zuzuschieben.

Kurzum, in Frage zu stellen, dass die Militärs keine Möglichkeit hatten die Politik mitzugestalten ist doch etwas merkwürdig. Keiner wird behaupten, dass das Militär vor dem 1. Weltkrieg alleine die Entscheidungen diktierte, aber auch nur anzuzweifeln, dass es dort eine starke Beeinflussung gab und diese auf Krieg abzielte, halte ich für abenteuerlich.

*Die meisten zivile Regierungen rekrutierten viele Ex Militärs oder wurden ganz offen von Ihnen geleitet, wie das Caprivi Kabinett. Das Militär war immer, ob direkt oder indirekt, in den Regierungen vertreten.

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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon nordstern » 29. September 2020 12:41

Du missvertehst glaube ich was ich damit meinte:

Zur damaligen Zeit war die britische Flotte die stärkste der Welt. Die zweitstärkste war die russische Flotte gefolgt von der französischen Flotte. Ein Kriegseintritt auf Seiten Deutschlands hätte damit bedeutet, das die britische Flotte mehr oder weniger alleine (die deutsche Flotte war bei aller Aufrüstung eher vernachlässigbar) gegen die französische und russische Flotte gestanden hätte. Und das in Kombination mit den Kolonien und einem möglichen Griff der Russen nach Indien war eine große und akute Bedrohung der Vorherrschaft und des Reichtums Englands.
Während ein Kriegseintritt auf der Seite der Entente für England keine finanziell nachhaltigen Folgen gehabt hätte. Deswegen entschied sich England den Entente beizutreten. Minimales Risiko bei maximalem Profit und Einfluss.

Das es später so kam das England eine gesamte Generation verheizt hat, war nicht absehbar. Ich denke aufgrund der Reaktionen vieler Politiker nach dem Krieg, das wenn England gewusst hätte was ein Beitritt bei den Entente bedeutet hätte, sich entweder neutral verhalten hätte oder auf deutscher Seite gekämpft hätte. Denn bei aller Gefahr für die Kolonien, so wäre ein Kriegsbeitritt auf deutscher Seite einem relativ schnellen Sieg gleichgekommen, weil Deutschland Russland historisch geschlagen hätte und Frankreich ein Problem gehabt hätte sich gegen Briten und Deutsche zu verteidigen. Und dadurch hätte es auch nie ein ernsthaftes Risiko für das Commonwealth gegeben. Aber die Briten gingen vermutlich davon aus, das zweifrontenkrieg und das stärkste Militär Europas mit einer sehr guten Ausbildung (Russland) Deutschland zermalmen würde und der Krieg "schnell" zuende sei.

So wage ich zu sagen, das Frankreich ohne die Briten die Front in Frankreich nicht hätte langfristig halten können. Und selbst wenn doch, wären da immer noch die britische Armee gewesen. Inwiefern diese in den Krieg eingegriffen hätte wg der französischen Flotte ist so ne Sache. Aber alleine die Tatsache das England nicht auf Seiten der Entente kämpft und es keine Seeblockade Deutschlands gegeben hätte, hätte ausgereicht um Frankreich und Russland zu besiegen meines erachtens.
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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon Stratege » 29. September 2020 12:55

KirKanos hat geschrieben:Kurzum, in Frage zu stellen, dass die Militärs keine Möglichkeit hatten die Politik mitzugestalten ist doch etwas merkwürdig. Keiner wird behaupten, dass das Militär vor dem 1. Weltkrieg alleine die Entscheidungen diktierte, aber auch nur anzuzweifeln, dass es dort eine starke Beeinflussung gab und diese auf Krieg abzielte, halte ich für abenteuerlich.

*Die meisten zivile Regierungen rekrutierten viele Ex Militärs oder wurden ganz offen von Ihnen geleitet, wie das Caprivi Kabinett. Das Militär war immer, ob direkt oder indirekt, in den Regierungen vertreten.


Zunächst mal hat doch niemand in Frage gestellt, dass das Militär in der Politik einiges mitzuteden habe. Nur "mitreden", ist eben nicht das Gleiche, wie "steuern/lenken". Ich bezweifle nicht, dass Falkenhayn und Moltke d. J. deutlich Druck in Richtung Krieg machten und dass das am Ende auch einiges an Gewicht hatte.

Ich habe nur etwas dagegen, dass es, wie bei nordstern so dargestellt wird, als wäre das Kaiserreich eine ungeschickt verbrähmte Militlärjunter gewesen, mit der zivilen Regierung als bloßen Statisten und das Land bei erstbester Gelegenheit auf den Pfiff der Generalität hin einen Krieg anzettelte. Das ist wirklich grobe Verzerrung.
Im Hinblick auf die Idee des Militärs durch einen Präventivkrieg die strategische Gesamtlage zu verbessern, bevor sie durch andere Faktoren nachteilhafter wird, war ja anno 1914 nicht neu. Mit der Idee, kam ja seinerzeit schon Alfred von Waldersee als Chef des Generalstabs Ende der 1880er anfang der 1890er um die Ecke und seit dem kam das immer mal wieder auf.
Österreich-Ungarn das Gleiche, Hötzendorff und seine andauernden Forderungen Serbien oder Italien, je nach Gelegenheit zu überfallen, hattest du bereits angesprochen.

Nur, wenn wir uns das ansehen, sind im Prinzip 25 Jahre lang führende Militärs immer wieder mit dem "Präventivkriegsgedanken" an die jeweiligen zivilen Regierungen im DR und in ÖU herangetreten, ohne sich damit durchsetzen zu können. Davon mal abgesehen, war das auch keine deutsche oder Österreichische Spezialität, die Franzosen hatten schließlich auch mal einen gewissen General Georges Boulanger , aka. "Général Revanche", als verantwortlichen Minister, der seinerzeit daran arbeitete Frankreich auf Konfrontationskurs zu bringen, auch wenn das dann noch im 19. Jahrhundert war.

Dieses gesamte Gerede hat aber letztendlich in einem Vierteljahrhundert vor dem 1. Weltkrieg zu keiner Zeit, bei irgendeiner der beteiligten Parteien dazu geführt, dass ein Kriegswunsch gegen die zivile Regierung durchsetzbar gewesen wäre.
Das gilt auch für die bosnische Annexionskrise und für die Balkankriege, bei denen es auf beiden Seiten ja durchaus genug Falken gab.

Letztendlich entscheidend für die Situation anno 1914 war dann aber doch, dass im Gegensatz zu vorherigen Krisen diesesmal zivile Regierung und Kaiser mitzogen, nicht dass das Militär mal wieder Präventivkrieg wünschte, was seit einem Vierteljahrhundert periodisch alle paar Monate immer mal wieder vorkam.

Wenn das Militär ein so gewichtiger Faktor gewesen wäre, wie @nordstern das darstellt, dass es die zivile Reichsleitung jederzeit ins Schlepp hätte nehmen können, dann hätte man 1905 Krieg geführt oder 1908 die Annexionskrise eskaliert, als der sichere Erfolg mehr oder minder auf dem Präsentierteller lag, nicht 1914, nachdem Russland sich von der Niederlage gegen Japan und der Revolution von 1905 weitgehend erholt hatte.
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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon Stratege » 29. September 2020 13:35

nordstern hat geschrieben:Du missvertehst glaube ich was ich damit meinte:

Zur damaligen Zeit war die britische Flotte die stärkste der Welt. Die zweitstärkste war die russische Flotte gefolgt von der französischen Flotte. Ein Kriegseintritt auf Seiten Deutschlands hätte damit bedeutet, das die britische Flotte mehr oder weniger alleine (die deutsche Flotte war bei aller Aufrüstung eher vernachlässigbar) gegen die französische und russische Flotte gestanden hätte. Und das in Kombination mit den Kolonien und einem möglichen Griff der Russen nach Indien war eine große und akute Bedrohung der Vorherrschaft und des Reichtums Englands.
Während ein Kriegseintritt auf der Seite der Entente für England keine finanziell nachhaltigen Folgen gehabt hätte. Deswegen entschied sich England den Entente beizutreten. Minimales Risiko bei maximalem Profit und Einfluss.


Wie du auf die Idee kommst, die russische Flotte sei die zweitstärkste der Welt gewesen, erschließt sich mir nicht. Die war zahlenmäßig immernoch ansehnlich, technisch allerdings zum einen total veraltet, weil nach der Konsolidierung Russlands nach 1905 der Wiederaufbau und die Verstärkung des Landheeres Vorrang vor der Modernisierung der Flotte hatten und zum anderen, die russische Flotte, saß weitgehend in der Ostsee und im schwarzen Meer fest.
Wie hätte die den Briten gefährlich werden sollen?

Was Frankreich betrifft, es gab für den Invasionsfall Belgien und damit den Kriegsfall gegen Deutschland zwischen Briten und Franzosen Abreden hinsichtlich der Verbrinung der BEF nach Antwerpen um den linken Flügel der Franzosen zu stützen.
Darauf verließ sich Joffre bei seiner Dislozierung nach Plan XVII, weswegen er einiges an Truppen an die direkte Grenze in Lothringen verlegte um gegen die deutsche Scharnier-Stellung im Raum Metz vorzugehen und so durch aktives Angreifen Deutschlands Ausgriff nach Belgien und Nordfrankreich wenn möglich zu behindern und zu verlangsamen um so wiederrum Zeit zu gewinnen, die russische Mobilisation abzuschließen und im Osten aktiv werden zu können.

Ohne die Briten auf dem linken französischen Flügel hätte die 5. französische Armee auf dem Flügel allein es mit der 1.-3. Deutschen zu tun gehabt. Äußerst fraglich, ob es den Franzosen dann noch gelungen wäre rechtzeitig genug Truppen aus der lothringischen Front herauszuziehen und per Bahn nach Nordwesten zu schaffen um ein Überrennen des eigenen Flügels zu verhindern, zumal man von französischer Seite zwar mit einem deutschen Angriff über Belgien rechnete aber nicht damit, dass die Deutschen ihre Reserveformationen in die Angriffsbewegung mit hinein nehmen und bis weit nach Flandern hinein ausgreifen würden.
Als der damalige französische Oberbefehlshaber Victor-Constant Michel es wagte das 1911 in Erwägung zu ziehen und den damaligen Kriegsplan Nr. XVI entsprechend zu gestalten, wurde er zum Phantasten erklärt und durch Joffre ersetzt.

Insofern hätte der Krieg ohne Englands Eingreifen durchaus binnen Monaten zu Gunsten der Zentralmächte entschieden sein können.


nordstern hat geschrieben:Das es später so kam das England eine gesamte Generation verheizt hat, war nicht absehbar. Ich denke aufgrund der Reaktionen vieler Politiker nach dem Krieg, das wenn England gewusst hätte was ein Beitritt bei den Entente bedeutet hätte, sich entweder neutral verhalten hätte oder auf deutscher Seite gekämpft hätte. Denn bei aller Gefahr für die Kolonien, so wäre ein Kriegsbeitritt auf deutscher Seite einem relativ schnellen Sieg gleichgekommen, weil Deutschland Russland historisch geschlagen hätte und Frankreich ein Problem gehabt hätte sich gegen Briten und Deutsche zu verteidigen. Und dadurch hätte es auch nie ein ernsthaftes Risiko für das Commonwealth gegeben. Aber die Briten gingen vermutlich davon aus, das zweifrontenkrieg und das stärkste Militär Europas mit einer sehr guten Ausbildung (Russland) Deutschland zermalmen würde und der Krieg "schnell" zuende sei.

So wage ich zu sagen, das Frankreich ohne die Briten die Front in Frankreich nicht hätte langfristig halten können. Und selbst wenn doch, wären da immer noch die britische Armee gewesen. Inwiefern diese in den Krieg eingegriffen hätte wg der französischen Flotte ist so ne Sache. Aber alleine die Tatsache das England nicht auf Seiten der Entente kämpft und es keine Seeblockade Deutschlands gegeben hätte, hätte ausgereicht um Frankreich und Russland zu besiegen meines erachtens.


Im Hinblick darauf, wie gut Frankreichs Chancen im Herbst 1914 ohne die Briten gewesen wären, sind wir mindestesn einigermaßen nah bei einander.
Was aber hat das mit der Sicherheit des Empire zu tun?

Deutschland verfügte nicht über die überseeischen Kapazitäten es zu gefährden und Frankreich und Russland, die über die entsprechenden Stützpunkte und Möglichkeiten verfügten, es zu gefährden konnten es sicn angesichts der Auseinandersetzung mit dem DR und ÖU ohnehin nicht leisten die Briten zu verprellen.
Der Krieg selbst drohte zu keiner Zeit eine Gefahr für den Bestand des Empire zu werden.
Was das Empire gefährden konnte war die Nachkriegssituation, nämlich dann, wenn entweder die Zentralmächte den Krieg gewannen und Deutschland bedeutende französische Positionen in Übersee und an der Kanalküste übernahm (die Verletzung der belgischen Neutralität führte durch die Kriegsverwicklung ja mittelfristig auch zur Gefahr einer Annexion des Landes oder weiter Teile davon und der Übernahme Belgisch-Kongos), oder aber, wenn die Zentralmächte den Krieg dermaßen krachend verloren hätten, dass für die Russen und Franzosen das faktische Bündnis und die Zusammenarbeit mit GB entbehrlich geworden wären.

Ergo musste GB ein Interesse daran haben, dass ein solcher Krieg von keiner Seite so deutlich gewonnen werden konnte, dass die in der Lage gewesen wäre ihre Wünsche vollständig durchzusetzen. Insofern empfahl es sich, es mit der schwächeren Seite zu halten und das waren von der Ausgangslage her, in den ersten 1-2 Kriegsmonaten deutlich Frankreich und Russland, wenn man die Geschwindigkeiten der Mobilisation und die industriellen Kapazitäten bedenkt.

Insofern halte ich die Idee, dass ein Kriegseintritt auf deutscher Seite sinnvoll und logisch gewesen wäre, ehrlich gesagt, für ziemlich abenteuerlich und wie logisch es war sich rauszuhalten, hing davon ab, wie viel Widerstandsfähigkeit man Frankreich zu traute und welche Annexionswünsche dem DR:
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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon KirKanos » 29. September 2020 18:26

Stratege hat geschrieben:Zunächst mal hat doch niemand in Frage gestellt, dass das Militär in der Politik einiges mitzuteden habe. Nur "mitreden", ist eben nicht das Gleiche, wie "steuern/lenken". Ich bezweifle nicht, dass Falkenhayn und Moltke d. J. deutlich Druck in Richtung Krieg machten und dass das am Ende auch einiges an Gewicht hatte.


Ja, dann sind wir uns ja hier einig.

Stratege hat geschrieben:Ich habe nur etwas dagegen, dass es, wie bei nordstern so dargestellt wird, als wäre das Kaiserreich eine ungeschickt verbrähmte Militlärjunter gewesen, mit der zivilen Regierung als bloßen Statisten und das Land bei erstbester Gelegenheit auf den Pfiff der Generalität hin einen Krieg anzettelte. Das ist wirklich grobe Verzerrung.


Ich weiß nicht ob es eine ganz grobe Verzerrung ist, zumindest würden einige Historiker auch ein spät wilhelminisches Kaiserreich noch als Armee mit angehängten Staat bezeichnen. Ich sehe es es auch eher so wie Du, dass das Militär eine Machtzentrale unter vielen war (Adel, Bürgertum, Arbeiter, Kirche(n)) mit dem Kaiser als Klammer der das Gefüge zusammenhielt. Und wie jeder dieser Blöcke war auch das Militär kein monolithischer Block, sondern bestand wiederum aus vielen Gruppen. Aber vielleicht trifft man den Status ganz gut wenn man das Militär als Primus unter diesen Gruppen einordnete. Die Gesellschaft war jedenfalls im hohen Maße militarisiert.

Stratege hat geschrieben:
Im Hinblick auf die Idee des Militärs durch einen Präventivkrieg die strategische Gesamtlage zu verbessern, bevor sie durch andere Faktoren nachteilhafter wird, war ja anno 1914 nicht neu. Mit der Idee, kam ja seinerzeit schon Alfred von Waldersee als Chef des Generalstabs Ende der 1880er anfang der 1890er um die Ecke und seit dem kam das immer mal wieder auf.
Österreich-Ungarn das Gleiche, Hötzendorff und seine andauernden Forderungen Serbien oder Italien, je nach Gelegenheit zu überfallen, hattest du bereits angesprochen.


Stratege hat geschrieben:Nur, wenn wir uns das ansehen, sind im Prinzip 25 Jahre lang führende Militärs immer wieder mit dem "Präventivkriegsgedanken" an die jeweiligen zivilen Regierungen im DR und in ÖU herangetreten, ohne sich damit durchsetzen zu können. Davon mal abgesehen, war das auch keine deutsche oder Österreichische Spezialität, die Franzosen hatten schließlich auch mal einen gewissen General Georges Boulanger , aka. "Général Revanche", als verantwortlichen Minister, der seinerzeit daran arbeitete Frankreich auf Konfrontationskurs zu bringen, auch wenn das dann noch im 19. Jahrhundert war.


Das stimmt ohne Frage, aber in Frankreich gab es gewachsene, zivile Strukturen und das Militär erreichte nie den Stellenwert wie im Kaiserreich.

Stratege hat geschrieben:
Dieses gesamte Gerede hat aber letztendlich in einem Vierteljahrhundert vor dem 1. Weltkrieg zu keiner Zeit, bei irgendeiner der beteiligten Parteien dazu geführt, dass ein Kriegswunsch gegen die zivile Regierung durchsetzbar gewesen wäre.
Das gilt auch für die bosnische Annexionskrise und für die Balkankriege, bei denen es auf beiden Seiten ja durchaus genug Falken gab.

Letztendlich entscheidend für die Situation anno 1914 war dann aber doch, dass im Gegensatz zu vorherigen Krisen diesesmal zivile Regierung und Kaiser mitzogen, nicht dass das Militär mal wieder Präventivkrieg wünschte, was seit einem Vierteljahrhundert periodisch alle paar Monate immer mal wieder vorkam.

Wenn das Militär ein so gewichtiger Faktor gewesen wäre, wie @nordstern das darstellt, dass es die zivile Reichsleitung jederzeit ins Schlepp hätte nehmen können, dann hätte man 1905 Krieg geführt oder 1908 die Annexionskrise eskaliert, als der sichere Erfolg mehr oder minder auf dem Präsentierteller lag, nicht 1914, nachdem Russland sich von der Niederlage gegen Japan und der Revolution von 1905 weitgehend erholt hatte.


Ich möchte Dir in den meisten Punkten recht geben, aber gerade der Schliefenplan, der sollte er Erfolg haben, musste eine schnelle Eskalation schaffen und schränkte die Möglichkeiten einer diplomatischen Lösung doch stark ein. Insofern war es schon der Druck der Militärs, der einigen Einfluss hatte, dass 1914 nicht nochmal der Krieg abgewendet werden konnte. Wie es ja schon so oft, wie Du richtig bemerkt hast, auf diplomatischen Parkett entschärft wurde. Vielleicht hatte man sich auch zu lange darauf verlassen, dass es dieses mal schon irgendwie eine diplomatische Einigung geben würde.

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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon Stratege » 29. September 2020 19:27

KirKanos hat geschrieben:Ich weiß nicht ob es eine ganz grobe Verzerrung ist, zumindest würden einige Historiker auch ein spät wilhelminisches Kaiserreich noch als Armee mit angehängten Staat bezeichnen. Ich sehe es es auch eher so wie Du, dass das Militär eine Machtzentrale unter vielen war (Adel, Bürgertum, Arbeiter, Kirche(n)) mit dem Kaiser als Klammer der das Gefüge zusammenhielt. Und wie jeder dieser Blöcke war auch das Militär kein monolithischer Block, sondern bestand wiederum aus vielen Gruppen. Aber vielleicht trifft man den Status ganz gut wenn man das Militär als Primus unter diesen Gruppen einordnete. Die Gesellschaft war jedenfalls im hohen Maße militarisiert.


Ich möchte es so sagen.
So lange Preußen Königreich (auch innerhalb des Kaisereichs) war, fiele mir exakt eine Gelgenheit ein, in der die Kriegsteilnahme eines Landes wirklich de facto durch das Verhalten der Militärs erzwungen wurde.
Das ist die Konvention von Tauroggen mit den "Befreihungskriegen" im Anschluss.
Insofern erscheint mir jedenfalls in dieser hinsicht das alte Sprichwort "Manche Staaten haben eine Armee, die Preußische Armee aber, hat einen Staat", schon ein kleines Bisschen überzogen. Die Armee hatte Ansehen in der Gesellschaft, das führte zu einem bestimmten habitus und zu einer bestimmten Sozialordnung, sie hatte im rahmen ihrer Bedürfnisse auch immer großen Einfluss auf die Gesetzgebung, und ein gewichtiges Wort beim Staatsetat mitzureden, wo sie sehr durchsetzungsfähige Positionen hatte.
Das alles zusammen kann man als eine Erscheinung betrachten, nach der man die Gesellschaft durchaus als "militaristisch" bezeichnen kann, völlig d'accord, aber das letzte Wort im Hinblick auf Krieg und Frieden hatte das Militär auch in Preußen nicht.

Was es wohl hatte, war eine höhere Eigendynamik, die dann zum Tragen kam, wenn die zivile Regierung dem nicht ausreichend entgegen arbeitete. So lange die aber als Veto-Player funktionierte (und den brauchte es in anderen Ländern vielleicht nicht in diesem Ausmaß, auch so weit d'accord), lief auch die Kriegsmaschinerie nicht einfach nach dem Willen irgendwelcher dahergleaufener militärischer Knallchargen an.

KirKanos hat geschrieben:Das stimmt ohne Frage, aber in Frankreich gab es gewachsene, zivile Strukturen und das Militär erreichte nie den Stellenwert wie im Kaiserreich.

Das mag zwar richtig sein, aber wurde Frankreich dadurch friedlicher als das DR?
Das ist mMn die entscheidende Frage und das sehe ich so nicht. Die gegen den Krieg eingestellten Teile der französischen Bevölkerung, erreichen im herbst 1914 genau so wenig, gegenüber der eigenen Regierung, wie das auf deutscher Seite der Fall war.
Und es ist ja nicht so, dass Frankreich nicht hätte verhindern können, in diesen Krieg mit hineingezogen zu werden, wie das etwa bei Belgien der Fall war. Von französischer Seite her war man lediglich nicht bereit den Preis für das Raushalten zu zahlen, nämlich die Aufgabe des Bündnisses mit Russland.

Insofern würde ich meinen, dass Stellenwert des Militärs in der Gesellschaft hin oder her, Frankreich sich da ebenso von sicherheitspolitischen Überlegungen treiben ließ, wie das auf der Deutschen Seite der Fall war.

Darüber hinaus, das deutsche Reich mit dem so hohen gesellschaftlichen Stellenwert des Militärs führte abseits der Niederschlagung von Erhebungen in den eigenen Kolonien, was ja aber allte Kolonialmächte taten, zwischen seiner Gründung und dem ersten Weltkrieg, einen einzigen ausgewachsenen Krieg, nämlich den gegen China. An dem namen auch die anderen europäischen Mächte teil.

- Frankreich führte demgegenüber in den 1880er Jahren einen ziemlich blutigen Krieg gegen das Qing-Reich um seinen Kolonialbesitz in Indochina zu vergrößern.
- Großbritannien führte die beiden Burenkriege
- Russland lies sich inzwischen in den 1870ern mit dem Osmanischen Reich und mit Japan militärisch ein.
- Italien fiel 1911 um Libyen über das Osmanische Reich her.

Wenn wir das mal rekapitulieren und die Nierderschlagung von Aufständen im eigenen Kolonialbesitz außenvor lassen und uns wirklich die kriegerischen Handlungen mit erhöhtem Blutvergießen und dezidierten Erwerbsabsichten anschauen, hat global betrachtet, bei den Entente-Staaten der Säbel letztendlich lockerer gesessen, als bei den Zentralmächten.

Trotz geringeren gesellschaftlichen Stellenwerts des Militärs, jedenfalls was GB und Frankreich betrifft.

Das kann natürlich nicht über die Fehler des deutschen Systems und der Entscheidungsträger speziell im Herbst 1914 hinwegsehen, so viel ist denn klar, nur die Vorstellung, dass eine Gesellschaft in der das Militär einen höheren Stellenweert hat, als anderswo, auch automatisch kriegerischer ist, sehe ich hier nicht bestätigt.

Hohen Wert, auf eine hochgerüstete Armee und einen für die Zeit hohen Grad an Militarisierung legte bekanntlich auch der alte Soldatenkönig. Kriege angefangen, hat er trotzdem nie.


KirKanos hat geschrieben:Ich möchte Dir in den meisten Punkten recht geben, aber gerade der Schliefenplan, der sollte er Erfolg haben, musste eine schnelle Eskalation schaffen und schränkte die Möglichkeiten einer diplomatischen Lösung doch stark ein. Insofern war es schon der Druck der Militärs, der einigen Einfluss hatte, dass 1914 nicht nochmal der Krieg abgewendet werden konnte. Wie es ja schon so oft, wie Du richtig bemerkt hast, auf diplomatischen Parkett entschärft wurde. Vielleicht hatte man sich auch zu lange darauf verlassen, dass es dieses mal schon irgendwie eine diplomatische Einigung geben würde.


In Sachen Schlieffenplan, wird mir entschieden zu viel auf die Generalität geschimpft.
Die Vorstellung etwa auch Belgien in Kampfhandlungen mit einzubeziehen, hatte auf französischer Seite auch Joffre, nur dass seinerzeit die zivile Regierung den als politisch unzumutbar kassierte und Joffre aufforderte sich was anderes auszudenken.
Hätte der Kaiser ebenso tun können. Es war sicherlich eine strukturelle Schwäche, die in der causa Schlieffenplan eine Rolle spielt, dass die zivile Regierung darüber keine Entscheidungsbefugniss hatte und der Generalstabschef dieser gegenüber nicht rechenschaftspflichtig war und die Planungen nicht darlegen musste, so dass der Regierung 1914 auch gar nicht bewusst war, dass die Truppenstärke zur Ausführung dieses Plans vollkommen inadäquat war, mit dem sie gerade im Begriff war in den Krieg zu ziehen.

Aber letztendlich, ist die hier fehlende Kontrolle keine strukturelle Schwäche des Systems gewesen, sondern einfach der Tatsache geschuldet, das KWII. mal wieder nicht in der Lage war sich durchzusetzen. Er hätte die Offenlegung anordnen und diesen Plan außer Kraft setzen, oder aber Moltke und Falkenhayn vor die Tür setzen können, wenn die nicht kuschten.
Mit einem fähigeren Kaiser, der die Courage besässen hätte, seinen Militärs den Kopf zu waschen, wäre das nicht weiter ins Gewicht gefallen.

Weiterhin was das Zustandekommen angeht, wäre auch zu bedenken, dass die Militärs mit dem planen mussten, was ihnen die Diplomatie an Ausgangslage überließ. Und das bedeutete entweder genau so zu planen, wie sie es dann tatan und das umzusetzen oder den Fokus auf den Osten zu legen und es auf einen Erschöpfungskrieg ankommen lassen, bei dem aber fraglich erscheinen musste, ob man die wirtschaftliche Basis (Munitionsproduktion, Slapeter etc.) dafür hatte.
Letztendlich und das wiederrum kann man nun nicht auf das Militär schieben, sondern es betrifft die zivile Reichsleitung, ist der gesammte Schliefenplan Produkt von Rahmenbedingungen, die auf dem Versagen der wilhelminischen Diplomatie beruhen, sich mit GB oder Russland zu verständigen und sei es auf Kosten der Allianz mit Österreich-Ungarn.
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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon Il Principe » 30. September 2020 10:41

nordstern hat geschrieben:Während ein Kriegseintritt auf der Seite der Entente für England keine finanziell nachhaltigen Folgen gehabt hätte. Deswegen entschied sich England den Entente beizutreten. Minimales Risiko bei maximalem Profit und Einfluss.


Du vernachlässigst allerdings auch einen nicht ganz unwesentlichen Punkt. Nach dem Scheitern von Verhandlungen mit Frankreich und GB während der Julikrise streckte das Osmanische Reich seine Fühler zum Deutschen Reich aus und schloss bereits am 2. August ein Bündnis ab. Auch wenn dieses selbstverständlich geheim war, dürfte in GB nach den vorigen Bündnisavanchen kaum einer von der Kriegsbeteilung des OR ernsthaft überrascht worden sein und diese auch bei seinen Überlegungen eingeplant haben. Dass dies eine enorme Gefahr für die strategisch wichtige Position GB in Ägypten und den Handel (v.a. von Rohstoffen aus Indien) durch den Suezkanal darstellte, ist wohl unstrittig. Natürlich handelt es sich beim OR bestenfalls um eine mittlere Macht, aber diese hätte bei günstigen Kriegsverlauf durchaus mit Waffen und Truppenlieferungen über den Balkan unterstützt werden können.
Sehe es daher wie Stratege und deine Annahme es ginge GB nur ums Geld fragwürdig. Neutralität wäre in diesem Fall definitiv lukrativer gewesen. Dazu kommt noch ein Punkt, der mich beim Mitlesen der letzten Beiträge schon länger wurmt. Wieso hebst du ausgerechnet und ausschließlich bei GB den finanziellen Aspekt so stark hervor. Wie Stratege schon gesagt hat, war er weder monokausal für den Kriegseintritt verantwortlich noch spielte er allein bei GB, sondern bei allen Mächten eine Rolle (unter vielen anderen). Ich will dir jetzt nicht zu nahe treten, aber mich erinnert dies stark an die deutsche Propaganda der Weltkriegs-, Zwischenkriegs- und NS-Zeit vom perfiden, verräterrischen Albion, welches als Nation von ehrlosen Krämern nur am Geld interessiert sei.

Zitat: Als "Überfall" empfanden viele Deutsche den Kriegseintritt Englands. Und die Propaganda suchte nach – fadenscheinigen – Erklärungen, warum das einstige "germanische Brudervolk" die Deutschen "verriet".
Die Briten seien ein "Händlervolk", dass nur auf den eigenen Vorteil bedacht sei und den Deutschen ihren wachsenden Wohlstand neide, schrieb der Ökonom und Soziologe Werner Sombart in seinem populären Buch für die Frontsoldaten "Händler und Helden". Im Kampf England gegen Deutschland traten in dieser Logik nicht nur Staaten gegeneinander an. Auf der englischen Seite stände eine "krankhafte" individualistische "Krämermentalität", auf der deutschen "ein vaterländischer Opfermut", so Sombart.

https://www.dw.com/de/gott-strafe-england/a-17589054

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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon nordstern » 4. Oktober 2020 02:30

Nein, weil das die Kolonien nicht bedroht. Wieso?
1. Frankreich ist Kriegsverbündeter ebenso wie Russland. Beide haben eine direkte Grenze zum Osmanischen Reich. Das Osmanische Reich muss also an 3 Fronten kämpfen. Europa, Kaukasus, Naher Osten. Aufgrund der Bedrohungsachse wäre absehbar gewesen, das Osmanien nur wenige Truppen in den Nahen Osten schickt, weil der Erzfeind Russland wesentlich geführlicher war. Was letzlich auch so eintrat. Zudem wäre Ägyptem aufgrund der Engstelle leicht zu verteidigen gewesen. Und soweit ich weis gab es keinen direkten Grenzkontakt wischen Osmanien und Indien.

2. Osmanien stellte keine Gefahr für die britische Marine dar. Und damit auch nicht für die Handelswege.

3. Der Kriegsschauplatz wäre begrenzt gewesen und nicht wie gegen Frankreich und Russland überall. Indien durch Russland bedroht und Afrika durch Frankreich und die Flotte durch die zweit- un drittstärksten Flotten der Welt. Das ist ein ganz anderes Kaliber als Ägypten mit Suezengstelle gegen Osmanien ohne große/moderne Flotte.
Ich bin Legastheniker. Wer also Rechtschreibfehler oder unklare Formulierungen findet, soll bitte versuchen die Grundaussage zu verstehen oder darf sie gerne behalten :)

Danke für euer Verständnis.

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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon VedamDren » 4. Oktober 2020 10:41

nordstern hat geschrieben:Zur damaligen Zeit war die britische Flotte die stärkste der Welt. Die zweitstärkste war die russische Flotte gefolgt von der französischen Flotte. Ein Kriegseintritt auf Seiten Deutschlands hätte damit bedeutet, das die britische Flotte mehr oder weniger alleine (die deutsche Flotte war bei aller Aufrüstung eher vernachlässigbar) gegen die französische und russische Flotte gestanden hätte. Und das in Kombination mit den Kolonien und einem möglichen Griff der Russen nach Indien war eine große und akute Bedrohung der Vorherrschaft und des Reichtums Englands.


Welche Quellen benutzt du zur Flottenstärke? Ich bin mir eigentlich recht sicher, dass die Deutsche zu diesem Zeitpunkt (Beginn 1. WK) recht deutlich die zweitstärkste Flotte war, zumindest was Großkampfschiffe angeht. Und vor allem würde mich interessieren woran du festmachst, dass die russische die zweitstärkste Flotte zu dieser Zeit war. Nämlich von der dürfte eigentlich nicht mehr viel übrig gewesen sein. Ich würde diese im internationalen Vergleich eher auf den Pätzen 6-8 einordnen. Meine Quelle wäre der Wikipediaartikel Seekrieg im Ersten Weltkrieg, der sich, die Flottenstärke betreffend, auf Jürgen Mirow: Der Seekrieg 1914–1918 in Umrissen, S. 20. bezieht.

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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon Il Principe » 5. Oktober 2020 14:06

nordstern hat geschrieben:Nein, weil das die Kolonien nicht bedroht. Wieso?
1. Frankreich ist Kriegsverbündeter ebenso wie Russland. Beide haben eine direkte Grenze zum Osmanischen Reich. Das Osmanische Reich muss also an 3 Fronten kämpfen. Europa, Kaukasus, Naher Osten. Aufgrund der Bedrohungsachse wäre absehbar gewesen, das Osmanien nur wenige Truppen in den Nahen Osten schickt, weil der Erzfeind Russland wesentlich geführlicher war. Was letzlich auch so eintrat. Zudem wäre Ägyptem aufgrund der Engstelle leicht zu verteidigen gewesen. Und soweit ich weis gab es keinen direkten Grenzkontakt wischen Osmanien und Indien.

2. Osmanien stellte keine Gefahr für die britische Marine dar. Und damit auch nicht für die Handelswege.

3. Der Kriegsschauplatz wäre begrenzt gewesen und nicht wie gegen Frankreich und Russland überall. Indien durch Russland bedroht und Afrika durch Frankreich und die Flotte durch die zweit- un drittstärksten Flotten der Welt. Das ist ein ganz anderes Kaliber als Ägypten mit Suezengstelle gegen Osmanien ohne große/moderne Flotte.


Zunächst einmal hat das OR im August 1914 keine gemeinsame Grenze mit F. Ebenso existiert keine richtige Front in Europa, da es lediglich an die neutralen Staaten Griechenland und Bulgarien grenzt. (Oder übersehe ich da etwas?)
Natürlich gebe ich dir Recht, dass Frankreich und GB für das Empire das größere Risiko darstellte (habe ich auch nie in Abrede gestellt), aber deine Behauptung, dass ein Kriegseintritt auf Seiten der Entente anstelle einer Neutralität für GB finanziell lohnend, risikofrei und letztendlich ausschlaggebend gewesen sein soll, kann ich nicht nachvollziehen. Lässt sich doch schon daran erkennen, dass GB nach dem Krieg hoch in den USA verschuldet war (für die würde ich den finanziellen Aspekt für den Kriegseintritt direkt unterschreiben). Außerdem hast du immer noch nicht erklärt, was du genau mit deiner Aussage
nordstern hat geschrieben:England hat sich also ökonomisch nachhaltig verhalten und auf Diplomatie oder Beziehungen gepfiffen.
meinst. GB hat doch gerade nicht auf Diplomatie/Beziehungen gepfiffen, sondern ist nach einem Jahrzehnt der gegenseitigen Annäherung auf der folgerichtigen Seite in den Krieg eingetreten.
Als Fazit sehe ich persönlich es eher so, dass GB daran gelegen war, den Status Quo in der Welt zu wahren und seine Stellung darin zu erhalten. Und nachdem man sich mit Frankreich und Russland in den kolonialen Streitpunkten über diesen geeinigt hatte, wurde der Status Quo im großen Ausmaßen (USA, Japan, die Schwäche und ein möglicher Zerfall des Osmanischen Reiches bedrohten ihn auf andere Weise) eben nur noch vom DR in Frage gestellt.

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Re: Der Erste Weltkrieg

Beitragvon Stratege » 5. Oktober 2020 15:17

nordstern hat geschrieben:Nein, weil das die Kolonien nicht bedroht. Wieso?
1. Frankreich ist Kriegsverbündeter ebenso wie Russland. Beide haben eine direkte Grenze zum Osmanischen Reich. Das Osmanische Reich muss also an 3 Fronten kämpfen. Europa, Kaukasus, Naher Osten. Aufgrund der Bedrohungsachse wäre absehbar gewesen, das Osmanien nur wenige Truppen in den Nahen Osten schickt, weil der Erzfeind Russland wesentlich geführlicher war. Was letzlich auch so eintrat. Zudem wäre Ägyptem aufgrund der Engstelle leicht zu verteidigen gewesen. Und soweit ich weis gab es keinen direkten Grenzkontakt wischen Osmanien und Indien.


Da kann ich nur unterschreiben, was Il Principe schon geschrieben hat.
Eine direkte Grenze mit Frankreich hatte das Osmanische Reich zu dem Zeitpunkt nirgendwo und in Europa gab es keine Front. Natürlich gab es noch die Front im Kauskasus, nur gab es da nicht allzu viel an Infrastruktur, ergo auch keine Möglichkeit allzu große Kontingente über längere Zeit vernünftig zu versorgen, was hier für beide Seiten gilt.
Europa wird für das Osmanische Reich erst mit Gallipoli und der Ausbildung des interalliierten Brückenkopfes bei Saloniki.
Auch die Anzahl an Truppen in Europa die gegen das Osmanische Reich vorgehen konnte, war auf Grund der Versorgungskapazitäten begrenzt, zumal an diesem Kriegsschauplatz das OM mit dem Kriegseintritt Bulgariens auch entlastet wurde, damit auch entsprechende Bahnlinien existierten, die es wenn notwendig auch erlaubten deutsche oder österreichische Truppen ins Osmanische Reich zu verlegen, was ja in Teilen passierte.

nordstern hat geschrieben:2. Osmanien stellte keine Gefahr für die britische Marine dar. Und damit auch nicht für die Handelswege.


Nachdem die Briten das gros ihrer Berufsarmee in Frankreich im Einsatz hatten, mit erheblichen Verlusten, in den Kolonien kämpfte und die Stabilität des Kolonialreiches ja durchaus kein Selbstläufer war, so dass man alles, was man anderswo noch hatte, ohne weiteres hätte zusammenkratzen können, stellte das OR bei seinem Kriegseintritt durchaus eine valide Bedrohung für die britsichen Positionen in Kuwait, auf der arabischen Halbinsel und in Ägypten (Suezkanal) dar.
Die Britische Herrschaft in Ägypten war ja nie wirklich vollständig stabil, 1922 brach sie so weitgehend zusammen, dass die Briten sich auf die Kanalzone zurückziehen mussten, und Ägypten in der Folge jedenfalls formal wieder zum unabhängigen Staat wurde.
Das die Ägypter sich für das Osmanische Reich schlagen würden, war natürlich unwahrscheinlich, aber für die eigene Unabhängigkeit? Das war natürlich denkbar.
Die Position in Irland was für die Briten zu dem Zeitpunkt auch alles andere als dankbar.


Was ich im Gegensatz zu Il principe etwas anders sehe, ist die Rahmenhandlung um den Kriegseintritt des Osmanischen Reiches.
Der war in dem Augeblick mehr oder minder unausweichlich, in dem Russland und ÖU aneinander gerieten, auch ohne näheres über die konkreten diplomatischen Schritte auf diesem Weg zu wissen. Die russischen Aspirationen hinsichtlich Konstantinopel waren ja nun alles andere als in irgendeiner Form ein Geheimnis.
Im Rahmen eines modernen Krieges, in dem die Eisenbahn eine durchaus leistungsfähigere Alternative für die Versorgung spielte, als Seerouten, jedenfalls wenn nicht in Übersee zu kämüfen war, war klar, dass selbst wenn die Briten und Franzosen auf die Idee gekommen wäre sich für das Osmanische Reich nötigenfalls mit Russland zu schlagen, was recht unwahrscheinlich ist und wie sehr sie dazu überhaupt in der Lage geswen wären (Stichwort Schwerpunkt West), sei dann auch mal dahin gestellt.
Das einzige effektive Gegengewicht, dass tatsächlich zu Lande realistisch in der Lage war und interessiert sein konnte weiteres Vorgehen gegen das OR als Gegengewicht zu unterbinden, waren die Zentralmächte.
Will heißen, gelang es den Entente-Mächte die Zentralmächte entscheidend zu schlagen, so dass letztere (die Frage des Fortbestands der Donaumonarchie in diesem Fall mal ausgeklammert) auf längere Zeit kaum in der Lage zu einem größeren Krieg sein würden, wäre das Osmansiche Reich den Russischen Ambitionen gegenüber ohne wirkliche Rückendeckung dargestanden.
Selbst wenn die Briten, entgegen der politischen Linine, die man in dieser Frage mittlwereile verfolgte, bereit gewesen wäre das OR zu unterstützen, fehlte es völlig an den dafür zulänglichen Landstreitkräften
Für Frankreich wiederrum war es potentiell nun überhaupt nicht interessant das OR gegen Russland zu stützen, weil man sicherlich auch nach einem potentiellen Sieg Wert darauf gelegt hätte, von deutscher Seite her möglichst nicht angreifbar zu sein, wozu es weiterhin des russischen Bündnisses bedurft hätte, im Besonderen sollte der Krieg mit einer massiven Schwächung oder dem Ende der Donaumonarchie einhergehen und diese Option damit erledigt sein.
Die Grundwerte der prämodernen Gesellschaftsordnung:

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