Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon Stratege » 13. Februar 2016 02:16

Str4tege hat geschrieben:
Hallo Namensvetter,

ich habe mich entschieden, das Thema von soziologischer Ordnung ausgehend zu Behandlen. Also das Kriegswesen germanischer Kleinstämme, das Kriegswesen germanischer Großstämme und das Kriegswesen germanischer Königreiche. Dies entspricht etwa den Zeiträumen 100 v. Chr- 200 n. Chr. (das Kriegswesen germanischer Kleinstämme), 200 n. Chr. -400 n. Chr. (das Kriegswesen germanischer Großstämme) und 400. n. Chr. - 900 n. Chr (das Kriegswesen germanischer Königreiche). Der soziologische Ansatz führt meines Erachtens am Weitesten, auch wenn er das Problem der Einordnung der Stämme zu den Kategorien bringt. Bislang konnte ich aber alle gefunden egermanischen Gemeinwesen eindeutig zuordnen zu den 3 o.g. kategorien. Wenn man dies 3 Phasen mal als Ordnungbegriffe nutzt, sieht man auch, dass es Vorläufer und Nachzügler gibt. Marbod hat in der Phase germanischer Kleinstämme zu Augustus und Tiberius Zeit ein Königreich gegründet und war somit seiner zeit voraus. Da das Königtum nach seinem Tod aber nicht tradiert wurde, kann man den zeitraum von 100 v. Chr- 200 n. Chr. durchaus als das Kriegswesen germanischer Kleinstämme charakterisieren. Umgekehrt waren die Friesen und Sachsen (In Norddeutschland) Nachzügler. In der Zeit der germanischen Königreiche ab 400. N Chr haben sie noch als Kleinstamm (Friesen) bzw Großstamm (Sachsen) gelebt.


Grüße zurück

Die Einteilung klingt für mich auf den ersten Blick einmal schlüssig, bringt aber nach wie vor das Problem mit sich, dass der Begriff "germanisch" geographisch gesehen immer noch als sehr divers zu betrachten ist. Nehmen wir der Einfachheit halber einfach einmal als Großstammesverbände die Sachsen und die Franken zur heraus. Diese entsprechen zwar deutlich einem frühmittelalterlichen Kontext und gehen aus der antiken Welt deutlich heraus, man mag aber aus dem Beispiel der Sachsenkriege etwa durchaus sehr verschiedene Strategien und Taktiken ableiten, einfach aus den geographischen Gegebenheiten und der Machtverhältnisse heraus.
Wenn man von "germanischen Stämmen und Reichen" spricht, und den Zeitraum erweitert, drängt sich außerdem vor allem auch der Blick nach Norden hin auf, wo wir wieder deutlich andere Vorgehensweisen vorfinden dürften, über den Osten bin ich hier nicht unbedingt im Bilde.

Es geht mir hier nicht darum den Ansatz für sich in Frage zu stellen, der ist eigentlich sehr gut, nur fürchte ich, dass die Gruppe der germanischen Stämme/Reiche wenn man diese nicht zummindest geographisch noch etwas einschränkt zu divers erscheinen um darüber sinnvolle verallgemeinernde und verifizierbare Aussagen treffen zu können.
Der Ansatz einer zummindest großräumigen geographischen Einschränkung hätte außerdem den Vorteil, dass die entsprechenden Stämme nach außen hin als mit den selben Feinden konfrontiert sind, so dass man die taktischen Ansätze in betreffenden näher betrachten könnte, Konfrontationen mit anderen germanischen Stämmen, dem Römischen Reich oder den von Osten her vorstoßenden Reitervölkern und Slavenstämmen etwa, dürfte zwangsläufig zu völlig verschiedenen taktischen Entwicklungen geführt haben, insofern käme wieder die Diversität der Verbände zum Tragen.
Westlich gelegene Stämme Reiche und Elbgermanen dürfen daher eben andere Strtegien und Taktiken hervorgebracht haben, als etwa ostgermanische Stämme oder skandinavische Stämme/Reiche.

Str4tege hat geschrieben:In diesem Ansatz stellt sich dann auch die Frage, warum man nicht das Frankreich des 15 Jahrhunderts als germanisches Königreich fassen sollte. Wenn man Frankreich bzw das Frankenreich um 500, 600, 700 n Chr als das Reich der Franken aufgefasst hat, warum nicht um 800, 900, 1000, 1100 usw.. Hier ist die Abgrenzung wiederum soziologisch zu sehen. Ein germanisches Königreich verstehe ich als Reich, das von einer oder wenigen Ethnien gegründet wurde, die auch namensgebend blieb (en). In dem Moment, wo die Staatsidentität die Identität eines Einzelvolkes überlagert hat, war es eben kein germanisches Königreich mehr. Beispielsweise war Wessex ein Königreich der Sachsen. Als Wessex schließlich Mercia, Anglia und damit ganz England eroberte, war es rein von der faktischen ethnischen Lage kein sächsisches Königreich mehr, sondern ein multiethnischer Staat (vielleicht mit einer sächsischen Militärelite). Analoges gilt auch für den Übergang des Frankenreiches in Frankreich und Deutschland im Mittelalter. Unter Pippin und Karl konnte man vielleicht noch von einem Königreich der Franken reden. Als das Ostfrankenreich sich abspaltete waren in dem neuen Staat die Franken nur eine Gruppe neben Sachsen, Thüringern, Allemannen und Bayern. Dementsprechend nannte es sich bald auch nicht mehr ostfrankenreich sondern Deutschland, bzw heiliges römisches Reich deutscher Nation, was der geänderten ethnischen Zusammensetzung rechnung trägt.


An der Stelle, auch wenn ich es für sich nicht mit Begriffsklauberei habe halte ich es im Allgemeinen vom historischen Standpunkt her für problematisch den Begriff einer "Staatsidentität" als Grundlage zu nutzen. Ich kenne mich auf dem gebiet soziologischer Arbeitstechniken nicht besonders gut aus und weiß daher nicht in wie weit der Standpunkt von dieser Seite her soziologischer Weise legitim erscheint. Wenn ich den Beitrag richtig verstanden habe geht die Abgrenzungskategorie in Richtung eines, an nationalstaatliche Kategorien agelehnte Kriterien. Solche wären jedoch, was das 18.-19. Jahrhundert angeht deutlich angebrachter, als zu diesem Zeitpunkt.
"Deutschland im Mittelalter" mag ein schwammiger Begriff sein, aber auch wenn man auf eine tiefere Ebene geht, sind auch Begriffe wie "Sachsen" oder auch "Bayern" bereits Konstrukte, die in sich ethnisch kaum als homogen oder einigermaßen homogen zu betrachten sind.
Nehmen wir einmal Sachsen, dann sehen wir beispielsweise eine räumliche Verschiebung, die das altsächsische Gebiet mehr oder minder völlig aus dem späteren Komplex "Sachsen" ausscheidet, wie geht man mit so etwas um?
Die Staatsidentität, woran genau machst du die fest? Das würde wieder das Problem der Nichtexistenz eines modernen Staatswesens/einer Staatsidentität im Sinne der Moderne oder mindestens des 18.-19. Jahrhunderts vorraussetzen. Du führst "Deutschland im Mittelalter" als Raum als ein Beispiel an, das Probblem dabei ist nur, dass es dafür eine gesammtdeutsche Identität hätte geben müssen.
Nehmen wir mal an es hätte eine Solche gegeben und sie hätte die Fränkische Identität überlagert und lassen Burgund und Italien, als nur indirekt zum Reich gehörendes Gebiet mal außen vor, dann wäre der deutschsprachige Teil des Reiches immernoch ein kulturell eindeutig germanisch dominierter Block gewesen, der dann aber nicht mehr als ein germanisches Reich durchgehen würde?
Ich bitte an dieser Stelle die ketzerische Frage zu entschuldigen, aber was, als ein germanisches Reich, so man es als Einheit betrachten mag, sollte dieses denn sonst gewesen sein?

Um von dieser historisch alles andere als Einwandfreien Interprätation eines gesammtdeutschen Reiches im Mittelalter weg zu kommen, möchte ich die Frage vielleicht einfach mal auf die Einzelstaaten Sachsen und Bayern herunterbrechen und nebenher auch auf Skandinavien verweisen, wo sich mMn eine ähnliche Problematik abzeichnet.

Der Ansatz, den du hier lieferst, krankt wie gesagt mMn an der Vorstellung eines in der Form nicht existenten Staatswesens zum einen, zum anderen Mag er auf von germanischen Völkern okkupierten Gebiete (Frankreich/England als geographische Räume) noch ein ansprechendes Theorem liefern, für mehr oder minder homogene germanisch dominierte Räume sehe ich es problematisch, weil sich hier denn bestenfalls der Name eines konstruktes ändert, die ethnisch-kulturelle Zusammensetzung des Raumes jedoch jede andere Bezeichnung als "germanisch" ad absurdum führen, so dass ich dazu raten würde diesen Ansatz vom historischen Standpunkt her zu überenken.


MfG Stratege
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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon Str4tege » 13. Februar 2016 02:25

Es ist an der Zeit das erste Material mal zu einem Zwischenstand zusammenzuziehen.

Taktik.
Germanische Kleinstämme.

Nach der Sichtung der ersten 6 im zweiten Post genannten Autoren, sieht es so aus, dass germanische Kleinstämme 3 Taktiken eingesetzt haben. Diese kann man anhand von 2 Dimensionen bewerten, nämlich Ordnung, also geordnet-ungeordnet und Offensiv-Defensiv-Ausrichtung, also offensiv-defensiv.

Von germanischen Kleinstämmen verwendete Taktiken, sortiert von offensiv nach defensiv:

1. Kampf in Angriffskeilen (Ausrichtung sehr offensiv- sehr geordnet)
2. Nächtlicher Angriff mit schwarzer Tarnbemalung an Körper und Schilden (Ausrichtung offensiv- ???)*
3. Kampf in Formation (Ausrichtung variabel - sehr geordnet)
4. Guerillataktik (Ausrichtung defensiv - eher ungeordnet (eine Armee wird in viele kleine Truppenteile aufgespilttert)

*Wird nur für den Stamm der Harier erwähnt. Fraglich ob bei Germanen allgemein genutzte Taktik.
Zuletzt geändert von Str4tege am 14. Februar 2016 00:28, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon Str4tege » 13. Februar 2016 02:39

Hallo Stratege,

Stratege hat geschrieben:Es geht mir hier nicht darum den Ansatz für sich in Frage zu stellen, der ist eigentlich sehr gut, nur fürchte ich, dass die Gruppe der germanischen Stämme/Reiche wenn man diese nicht zummindest geographisch noch etwas einschränkt zu divers erscheinen um darüber sinnvolle verallgemeinernde und verifizierbare Aussagen treffen zu können.


ich habe auch erwogen, dass die Fragestellung zu weit gefasst ist. Würde man statt der Erforschung des germanischen Militärwesens aller Zeiten zum Beispiel nur das Militärwesen der Westgoten im 6. Jahrhundert in Spanien (als beispiel einer eingegrenzeteren fragestellung) nehmen, wäre es von der zahl der Quellen viel einfacher. Allerdings sehe ich keinen militärischen Hinderungsgrund "das" germanische Militärwesen zu erforschen, da ich ja einfach verschiedene Taktiken aufzähle, ohne zu behaupten diese seien alle von allen germanen genutzt worden. Manch ein Autor, zum Beispiel Tood beschreibt sogar !das germenische Militärwesen" ganz lapidar auf wenigen Seiten, fast ohne Differenzierungen zeitlicher Art oder geographischer Art. Ich meine, dass man hier eben differenzieren sollte, nach Organisationsformen und Stämmen.

Stratege hat geschrieben:Der Ansatz einer zummindest großräumigen geographischen Einschränkung hätte außerdem den Vorteil, dass die entsprechenden Stämme nach außen hin als mit den selben Feinden konfrontiert sind, so dass man die taktischen Ansätze in betreffenden näher betrachten könnte, Konfrontationen mit anderen germanischen Stämmen, dem Römischen Reich oder den von Osten her vorstoßenden Reitervölkern und Slavenstämmen etwa, dürfte zwangsläufig zu völlig verschiedenen taktischen Entwicklungen geführt haben, insofern käme wieder die Diversität der Verbände zum Tragen.
Westlich gelegene Stämme Reiche und Elbgermanen dürfen daher eben andere Strtegien und Taktiken hervorgebracht haben, als etwa ostgermanische Stämme oder skandinavische Stämme/Reiche.


Genau dies werde ich einbeziehen. Die Entwicklung der Axt als Waffe kann man als Reaktion auf die gutgepanzerten legionäre ansehen, auf die die germanen oft trafen. Die Entwicklung der fränkischen Panzerreiter wahr wohl eine Reaktion auf die Konfronation mit den Reiterarmeen der Araber.

mfG

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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon Str4tege » 14. Februar 2016 00:49

Hallo Titus Pullo,

danke für deine umfangreichen Anmerkungen! Zum Thema ob die Germanen offen oder geschlossen kämpften:

Titus Pullo hat geschrieben:Um noch mal das eigentliche Thema zu tangieren, kann ich mir bei barbarischen Formationen gut vorstellen, dass Germanen beim Anflug römischer Distanzwaffen wie Pfeilen, Schleuderblei oder Pila in Ihrem Ansturm kurz innehielten oder verlangsamten um sich gegenseitig durch überlappende Schilddeckung zu schützen. Wie das ausgesehen haben könnte kann man ganz gut bei Kampfzsenen aus der History-Serie Vikings sehen. Ob ich soetwas allerdings einen geschlossenen Formationskampf nennen möchte oder ehr spontanen instinktiven Schutz unabhängig vom gerade eben vorhandenen Nebenmann, sei dahin gestellt.

Es wird wohl ehr eine temporäre Ansammlung einzelner Schildwall-Haufen in der LOCKEREN germanischen Formation gewesen sein, mit dem Ziel die feindlichen Geschossen abzuwehren, um danach wieder in den weiteren Ansturm zu verfallen. Oft genug berichten zeitgenössische Quellen ja vom wildem Ansturm in punktueller Schwerpunktsetzung und mit dem Ziel eine geordnete Formation an einer bestimmten Stelle zu durchbrechen. Solche, durch keilförmige Konzentration von Angreifern auf bestimmte Frontbereiche gerichteten Ansammlungen, werden dann wohl auch zu Beschreibungen wie "Eberkopf" geführt haben. Man versuchte wohl mit purer Masse und in Kombination mit Anlauf einen punktuellen Druck zu erzeugen.

Das Problem ist nur, dass es allein durch bei diesem oft beschriebenen "wilden Ansturm" sehr schwierig ist, irgend eine geschlossene Formation zu halten. Jeder der mal selbst als Rekrut oder Ausbilder auf einem Exerzierplatz stand weiß, wie lange es mitunter dauert einen Zug oder eine Kompanie auf einfache Marchformation zu drillen. Und nun stelle man sich das mal in Divisions- oder Brigadestärke vor. Hinzu kommt, dass Drill und Disziplin regelmäßig geübt und aufgefrischt werden mußten, was voraussetzt dass betreffende Kämpfer zumindest in regelmäßigen Abständen zusammen finden. Dafür dass dies überregional in Heeresstärke von Germanen praktiziert wurde, gibt es bisher jedenfalls keinerlei Hinweise.

Und auch wenn Autoren der damaligen Zeit das Wort Formation in Zusammenhang mit Barbaren gebrauchten, ist das noch lange kein Anhaltspunkt dafür, dass damit nicht auch eine [b]lockere Formation gemeint sein konnte. Ist ja auch eine Formation![/b]


Ohne Dich damit provozieren zu wollen, erkennt man in Deinem Text doch, dass Du die Fakten auf ein bestimmtes Bild hinbiegst. Das Bild ist das, der "in lockerer Formation vorstürmender Barbaren". Als Argument nennst du dann "du könntest es Dir vorstellen", "es wurde in Vikings so gezeigt" und "Es wird wohl", also 2 mal eine subjektive Meinung und eine fernsehserie. Die Schilderungen der zeitgenössischen Autoren, die die Germanen als in Formationen kämpfend bezeichen wird dann nonchalant attestiert, es könne ja auch eine "lockere Formation" sein (im Grundes also keine "richtige" Formation).

Ich bin jetzt gerade an der 7 Quelle, es ist also noch weit entfernt, dass ich abschließned urteilen könnte, wen die Quellenlage dies überhaupt zulässt. Bei der aktuellen Sichtung der Quellen muss man allerdings sagen, dass jede Quelle von römischen Autoren, die teils sogar die germanische Kriegsführung live erlebt haben (Caesar im Kampf gegen die Sueben, Sugambrer usw) eindeutig beschreiben, die Germanen hätten in fester Formation gekämft. Von "eher lockeren" Formationen ist nirgendwoe die rede. Solltest Du zeitgenössische Quellen haben die dies berichten bin ich gerne bereit sie zu sichten, insbesondere von römischen Generälen.

Es mag für viele verstörend sein - für mich übrgens auch - aber das ganze Bild germanischer Kriegsführung wie wir es kennen scheint ein Riesenfehler zu sein, man könnte auch ein Riesenbetrug sagen. Bis zu dieser Untersuchung, bis ich den Punkt systematisch recherchiert hatte war auch mein Bild germanischer Kriegsführung das locker vorgehender Haufen. Dafür gibt es eben nur nicht 1 beleg. Möglicherweis ist das Bild der barbarischen Heerhaufen auch ein literarischer Topos, das hiesst um das "Barbarentum" der Germanen gegenüber den Römern darzustelklen hat man diese als "chaotisch und wild kämpfend" dargestellt.

Ein weiterer Punkt ist die Effizienz. Von der militärischen Logik macht es überhaupt keinen Sinn, aggressiv vorzustürmen wodurch einzelne Krieger oder Kriegergruppen an den Feind gelangen, die dann einzeln niedergemetzelt wurden. Ich vermute stark, dass auch die germanischen Stämme Männer als wertvolle ressource gesehen haben, die man nicht verschleudern sollte. Fast jeder Mann war ein Bauer, also ungeheuer wichtig für den Stamm. Weiter würde ein Stamm von ungeordneten Kämpfern gegenüber den geschlossen operierenden Stämmen oder Gesellschaften sehr schnell in Nachteil kommen und Evolutionär binnen ein-zwei generationen ausgesiebt werden. Man darf nicht vergessen, dass die Gesellschaften auch in der Antike in einem Wettbewerb nach Innen und Außen standen und Germanenstämme häufigen Kämpfen ausgesetzt waren. Bei diesem Druck konnte der kleinste Nachteil den Untergang des ganzen Stammes nach sich ziehen. Kaum gluabhaft also, dass man im Krieg "Heroisch und blindwütig" agiert hat, sondern sicher zweckrational.

Der Punkt der Geschlossenheit germanischer Armeen ist für mich noch nicht abgeschlossen, aber das Bild, dass ich an diesem Punkt zeichne ist, dass die Germanen stets (!) geschlossen gekämpft haben, mit Ausnahme gelegntlicher Guerillataktik in unwegsamen Gelände (Arminius, Kniva).

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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon Fairas » 14. Februar 2016 01:27

Was meiner Meinung nach gegen Formationen spricht ist das Stammesystem der Germanen. Es mag innerhalb eines Stammes auf einander trainierter Kämpfer gegeben haben. Doch für eine ganze Armee kann ich mir das nicht vorstellen.

Wenn mir einer in der Geschichte ein Beispiel für eine Armee zeigt, die aus dem Nichts in kürzester Zeit Disziplinen und Formationen aufgebaut und trainiert hat, lasse ich mich gerne vom Gegenteil überzeugen.

Was ich mir vorstellen kann ist, dass wenn ein Feldzug Monate oder sogar Jahre gedauert hat dort mit der Zeit Strukturen entstanden sind. Aber wenn die Stammfürsten eben erst zu den Waffen gerufen hatten, wird da nichts mit Formationen in größerem Ausmaß gewesen sein.

Ich stelle mir das eher wie die Vasallenheere im Mittelalter vor. Einer ruft zu den Waffen und alle die sich verpflichtet fühlen kommen angelaufen.
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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon Horgan » 14. Februar 2016 10:53

Das Thema der Formationen wird durchaus kontrovers diskutiert. Das Stammessystem soll durchaus auch für disziplinierte taktische Formationen sprechen...
Der Histograph Tacitus bemerkt in seiner um 100 n. Chr. entstandenen Schrift über die Germanen: <<Die Schwadron oder Infanterieformation bildet nicht das Geratewohl oder das gelegentliche Zusammenfinden, sondern Familien und Verwandschaft.>> Noch 500 Jahre später bestätigt die vom Kaiser Maurikios zugeschriebene Schrift Strategikon, dass die Formationen der Germanen auf Verwandtschaftsbasis zusammengestellt wurden. Der Autor sieht in diesem Prinzip keine Beeinträchtigung der taktischen Ordnung, sondern diagnostiziert einen psychologischen Vorteil (wegen des inneren Zusammenhalts der Formationen) und bestätigt, dass die Germanen <<eine gleichmäßige und dichte Front ihrer Schlachtaufstellung im Kampf>> bilden.

(Quelle: Armin Eich - "Die Söhne des Mars: Eine Geschichte des Krieges von der Steinzeit bis zum Ende der Antike")


In der gleichen Quelle werden durchaus historische Quellen bemüht, welche die engen Formationen (die Rede ist von "Phalanx") der Germanen und Franken beschreiben.
Schon Caesar formuliert in seinen Berichten über den gallischen Krieg, dass <<die Germanen [sc. in einer Schlacht zwischen Römern und den Sueben Ariovists] [...] jedoch wie gewohnt schnell eine Phalanx bildeten und [...] den Angriff der Schwerter auffingen.>> Das heißt, die Sueben und ihre Verbündeten nahmen gegen die aggressive und dynamische Formation der Römer die seit Jahrhunderten bewährte defensive Formation der Phalanx ein.
...
<<Sie alle, Reiter wie Fußsoldaten, rückten eng zusammen und formierten sich zu einer Phalanx, zwar nicht sehr tief (das war nicht gut möglich, da es nicht gerade sehr viele waren), doch massiv durch die Verbindung der Schilde untereinander [sc. den synaspismos] und die gute Einordnung der Flanken. [...] Auf das Beste geschützt durch ihre Schilde standen sie fest und unerschütterlich und gaben nirgendwo die feste Ordnung ihrer Formation auf.>>

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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon Stratege » 14. Februar 2016 11:03

@ Str4tege

Was den Beitrag von Titus Pullo betrifft, kommt es sicherlich auch darauf an, wie man eine Formation definiert.
Ein Schildwall, der in jedem Fall von Zeit zu Zeit Anwendung fand, mag nicht den Griechisch-Römischen Traditionen einer geordneten und zahlenmäßig durchgeplanten Formation entsprechen, andererseits bildet er eben doch einen festen Block, der mehr oder minder als Einheit kämpft. Ich denke, dass dies durchaus als primitive Spielart einer Formation betrachtet werden kann, auch wenn es da im Vergleich zu anderen Kriegstraditionen deutlich an Feinausbildung fehlte.
Dann ist eben auch die Frage, wie weit man zeitlich gehen will, im frühen Mittelalter ist dieses ja nun eine mehr oder minder standardisierte Taktik, während sie in der Antike eher noch einen Ausnahmetatbestand darstellen dürfte.

Ich bin ja nun sellten völlig d'accord mit den Beiträgen von Titus Pullo, wenn gleich ich sie auch in jedem Fall, ins Besondere, was die Antike betrifft sehr schätze, was allerdings die Frage der Formationen betrifft, halte ich diesen Standpunkt durchaus für legitim, je nach Definitionsgrundlage.
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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon Str4tege » 14. Februar 2016 20:06

Hallo Horgan,

Horgan hat geschrieben:Das Thema der Formationen wird durchaus kontrovers diskutiert. Das Stammessystem soll durchaus auch für disziplinierte taktische Formationen sprechen...
Der Histograph Tacitus bemerkt in seiner um 100 n. Chr. entstandenen Schrift über die Germanen: <<Die Schwadron oder Infanterieformation bildet nicht das Geratewohl oder das gelegentliche Zusammenfinden, sondern Familien und Verwandschaft.>> Noch 500 Jahre später bestätigt die vom Kaiser Maurikios zugeschriebene Schrift Strategikon, dass die Formationen der Germanen auf Verwandtschaftsbasis zusammengestellt wurden. Der Autor sieht in diesem Prinzip keine Beeinträchtigung der taktischen Ordnung, sondern diagnostiziert einen psychologischen Vorteil (wegen des inneren Zusammenhalts der Formationen) und bestätigt, dass die Germanen <<eine gleichmäßige und dichte Front ihrer Schlachtaufstellung im Kampf>> bilden.

(Quelle: Armin Eich - "Die Söhne des Mars: Eine Geschichte des Krieges von der Steinzeit bis zum Ende der Antike")


In der gleichen Quelle werden durchaus historische Quellen bemüht, welche die engen Formationen (die Rede ist von "Phalanx") der Germanen und Franken beschreiben.
Schon Caesar formuliert in seinen Berichten über den gallischen Krieg, dass <<die Germanen [sc. in einer Schlacht zwischen Römern und den Sueben Ariovists] [...] jedoch wie gewohnt schnell eine Phalanx bildeten und [...] den Angriff der Schwerter auffingen.>> Das heißt, die Sueben und ihre Verbündeten nahmen gegen die aggressive und dynamische Formation der Römer die seit Jahrhunderten bewährte defensive Formation der Phalanx ein.
...
<<Sie alle, Reiter wie Fußsoldaten, rückten eng zusammen und formierten sich zu einer Phalanx, zwar nicht sehr tief (das war nicht gut möglich, da es nicht gerade sehr viele waren), doch massiv durch die Verbindung der Schilde untereinander [sc. den synaspismos] und die gute Einordnung der Flanken. [...] Auf das Beste geschützt durch ihre Schilde standen sie fest und unerschütterlich und gaben nirgendwo die feste Ordnung ihrer Formation auf.>>


Danke, dass ist ein sehr wertvoller Beitrag. ich denke auch, dass die soziologische Ordnung als Stamm nicht zwingend ein "unorganisiertes Militärwesen" von Hobbykriegern nach sich ziehen muss. Man muss dazu bedenken, dass zum Beispiel auch die gerade für ihre Disziplin berühmte römische Armee bis zur Heeresreform des Marius (ca. 100 v. Chr.) eine Ansammlung von "Hobbysoldaten" waren, geführt von den Bürgermeistern Roms, also Hobbygenerälen. Es gibt prinzipiell keinen Grund danzunehmen, dass ein Bürgeraufgebot eines mittelitalienischen Stadtstaates von Bürgern die gelegentlich Soldat spielen disziplinierter sein muss als ein Bürgeraufgebot eines germanischen Stammes, die gelegentlich Soldat spielen. Eher waren von der sozialen Situation her die Germanen die besseren Soldaten, da jeder germanische Mann zugleich ein Krieger war, der in der Öffentlicjkeit stets bewaffnet auftrat und gewohnt war seine rechte - notfalls - mit Waffengewalt durchzusetzen, während ein römischer Töpferer weniger vertraut mit Waffen gewesen sein dürfte.

Deine texte sind sehr wertvoll für meine Überlegungen und auch die Qulle nehem ich gerne auf, herzlichen Dank!

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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon Str4tege » 14. Februar 2016 20:12

Fairas hat geschrieben:Was meiner Meinung nach gegen Formationen spricht ist das Stammesystem der Germanen. Es mag innerhalb eines Stammes auf einander trainierter Kämpfer gegeben haben. Doch für eine ganze Armee kann ich mir das nicht vorstellen.

(...)

Was ich mir vorstellen kann ist, dass wenn ein Feldzug Monate oder sogar Jahre gedauert hat dort mit der Zeit Strukturen entstanden sind. Aber wenn die Stammfürsten eben erst zu den Waffen gerufen hatten, wird da nichts mit Formationen in größerem Ausmaß gewesen sein.

Ich stelle mir das eher wie die Vasallenheere im Mittelalter vor. Einer ruft zu den Waffen und alle die sich verpflichtet fühlen kommen angelaufen.


Das gleiche Problem müssten dann die Heere der Roms, Athens usw auch gehabt haben, da sie eben Bürgeraufgebote von Hobbysoldaten waren.

Fairas hat geschrieben:Wenn mir einer in der Geschichte ein Beispiel für eine Armee zeigt, die aus dem Nichts in kürzester Zeit Disziplinen und Formationen aufgebaut und trainiert hat, lasse ich mich gerne vom Gegenteil überzeugen.


Da die Germanen ständig Kriege mit anderen Stämmen geführt haben ist es durchaus vorstellbar, dass ihr Heerwesen sehr stark organisiert und hierarchisiert und strukturiert war. Ein germanischer Mann im Alter von 35 dürfte bis dahin (wenn er es überlebt hat) schon zig Kriegszüge und Dutzende Schlachten mitgemacht haben. Dadurch erreicht man dann irgendwann eine Professionalität, ähnlich einem Fußballprofi. Für den Erfolg bei Kriegszügen ist dann das Teamplay - wiederum vergleichbar einer Fußballmanschaft - letztendlich wichtiger als die individuellen Skills, da eine Armee mittelmäßiger aber perfekt zusammenarbeitender krieger ein Heer von brillianten aber nicht abgestimmten Kriegern überwältigen wird.

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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon Stratege » 15. Februar 2016 00:41

Möchte versuchend ergänzend einmal etwas konstruktives beizutragen:

Hans Delbrück hat geschrieben:
[...]Die psychologischen Elemente, die eine germanische Hundertschaft und eine römische Centurie konstituierten, sind durchaus verschieden, aber das Ergebins ist durchaus analog. Die Germanen exerzierten nicht, der Hunno hatte schwerlich eine bestimmte, jedenfalls keine sehr wesentliche Strafgewalt, selbst der Begriff des eigentlichen militärischen Gehorsams war den Germanen fremd. Aber die ungebrochene Einheit des ganzen Daseins, in der die Hundertschaft zusammengefasst war und die es mit sich bringt, dass auch Gemeinde, Dorf, Genossenschaft, Geschlecht in der Geschichtserzählung genannt wird, diese Natureinheit ist stärker als die Kunsteinheit, die die Kulturvölker suchen müssen durch die Disziplin zu erzeugen. In der äußeren Geschlossenheit des Auftretens, des Anmarschierens und der Attacke, in Richtung und Vordermannhalten werden die römischen Centurien die Germanischen Hundertschaften übertroffen haben; aber der innere Zusammenhalt, das gegenseitige Sich-aufeinander-verlassen, das die moralische Kraft gibt, war bei den Germanen stark genug, um auch bei äußerer Unordnung, bei völliger Auflösung und bei zeitweiligem Zurückgehen unerschüttert zu bleiben. Jeder Ruf des Hunno, das Wort "Befehl" lassen wir ganz beiseite, wurde befolgt, weil jeder wusste, daß jeder andere ihn befolgen würde. Die eigentliche Schwäche aller undisziplinierten Kriegerscharen ist die Panik: germanische Hundertschaften ware auch im Zurückgehen durch das Wort ihres Führers wieder zum stehen und zu neuem Corgehen zu bringen. (Tacitus, 6. .)
Nicht umsonst haben wir deshalb in dem voraufgehenden Kapitel zunächst die Identität von Hunno und Altermann, von Gau, Geschlecht, Hundertschaft und Dorf festgestellt: es handelt sich dabei nicht um eine formal-verfassungsrechtliche Streitfrage, sondern um die Auffindung eines großen und wesentlichen Elementes in der Weltgeschichte. Mit Händen ist es hier zu greifen, daß der Hunno nicht ein von Fall zu Fall ernannter Anführer einer wechselnd und zufällig zusammengesetzten Kompagnie, sondern der geborene Anführer eier Natur-Einheit war. Er hat denselben Namen und übt im Krieg dieselbe Funktion wie der römische Centurio, aber er unterscheidet sich von ihm , wie die Natur von der Kunst. Ein Hunno, der nicht als Geschlechts-Altermann kommandiert, hätte im Kriege so wenig ausrichten können, wie ein Centurio ohne Disziplin; da er aber der Geschlechts-Altermann ist, so erreicht er ohne Fahnen-Eid, Kriegsrecht und Fuchtel denselben Zusammenhalt und einen analogen Gehorsam, wie ihm sein römischer Namensvetter nur durch die Mittel der höchsten Strenge erziehlt.
Wenn die Römer zuweilen von der Unordnung bei den Germanen sprachen, (Tacitus, Ann 2, 45. Mauritius, G. A. 167. Agathias, Bonn. A, S. 8I cit. Müllendord, S. 180, S. 181.) oder wenn Germanicus, um den Legionaren Mut zu machen, ihnen von den Germanen erzählt, "sine pudore flagitii, sine cura ducum abire", so ist das, am römischen Maßstab gemessen nicht unrichtig - von der anderen Seite gesehen, aber gerade ein Zeugnis, wie stark der innere Zusammenhalt der Germanen wardaß sie geringe äußere Ordnung, zeitweiliges Zurückweichen und das Fehlen einer eigentlichen Befehlsführung ertragen konnten, ohne auseinander zu laufen oder auch nur an der Energie der Gefechtsführung einzubüßen.
Die taktische Formation, in der das germanische Fußvolk kämpfte, wird von den Alten "cuneus" genannt und von den Neueren mit "Keil" übersetzt. Das Wort ist jedoch irreführend, ganz wie unser Ausdruck "Kolonne", mit dem es technisch wohl am richtigsten wiedergegeben würde. Will man begrifflich "Linie" und "Kolonne" gegenüberstellen, so wird man als Aufstellung in "Linie" diejenige bezeichnen, die mehr breit als tief, in "Kolonne" diejenige, die mehr tief als breit ist. Gehen aber schon diese Begriffe sachlich allmählich ineinander über, so hat der Sprachgebrauch sich von jenem Grundgegensatz noch weiter entfernt: wir bezeichnen eine Aufstellung von nur 6 Mann Tiefe bei 12-40 Mann Breite als "Kompagnie-Kolonne". Ganz ebenso finden wir bei den Römern Aufstellungen, die wir begrifflich als "Phalanx", "Linie" bezeichnen müssen, "cuneus" genannt, z. B. nennt Livius in der Schlacht bei Cannä das punische Zentrum "cuneum nimis teneum", wo nicht nur zweifellos eine Linearaufstellung, sondern nach Livius' eigenem Zusatz, eine ziemlich flache gemeint ist. Häufig bedeutet cuneus auch überhaupt nur "Schar" (Müllenhoff, Germania S. 179)
Ist also aus dem Wort "cuneus" an sich nichts zu entnehmen, so ist doch kein Zweifel, daß dieses Wort neben der allgemeinen Bedeutung auch in der spezifisch technischen gebraucht wird. Über diesen technischen Sinn scheinen wir genau informiert zu sein durch einige Schriftsteller aus der Zeit der Völkerwanderung. Vegetius (III, 19) definiert cuneus als "eine Menge von Fußgändern, die in geschlossener Ordnung vorn schmaler, hinten breiter anrückt und die Reihen der Feinde durchbricht". Ammian (17,13) berichtet, daß die Römer, d. h. die babarischen römischen Heerhaufen, wie die "soldatische simplicitas" es nenne, im "Eberkopf" angegriffen hätte [...]


Entnommen aus: Delbrück, Hans: Geschichte der Kriegskunst, Das Altertum, Von den Perserkriegen bis zu Caesar/Die Germanen, Vom Kampf der Römer und Germanen bis zum Übergang ins Mittelalter (Doppelband) Berlin 2000 (Neuausgabe des Nachdrucks von 1966, Erstauflage der Urtexte 1900-1901 erschienen) S.34-37 im 2. Teil des Dopelbandes.

Ob das an dieser Stelle viel bringt, weiß ich nicht.

Es enthält im Wesentlichen noch einmal die Bestätigung des bereits geschriebenen, des grundsätzlichen Vorhandenseins von Formationen und der Interpretation der selben. Problematisch zu sehen ist hier vlt. dass von "den Germanen" die Rede ist, eine Betrachtung, die vor dem Hintergrund moderner Geschichtsforschung/schreibung schwerlich aufrecht zu erhalten sein wird, allerdings passt es dadurch gegebenenfalls ganz gut zum Thema, sonst eben wenig neues.

Ich würde nach wie vor dazu raten das Thema geographisch und zeitlich deutlich eher einzugrenzen.

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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon Str4tege » 3. März 2016 02:36

Stratege hat geschrieben:Möchte versuchend ergänzend einmal etwas konstruktives beizutragen:

Hans Delbrück hat geschrieben:
[...]Die psychologischen Elemente, die eine germanische Hundertschaft und eine römische Centurie konstituierten, sind durchaus verschieden, aber das Ergebins ist durchaus analog. Die Germanen exerzierten nicht, der Hunno hatte schwerlich eine bestimmte, jedenfalls keine sehr wesentliche Strafgewalt, selbst der Begriff des eigentlichen militärischen Gehorsams war den Germanen fremd. Aber die ungebrochene Einheit des ganzen Daseins, in der die Hundertschaft zusammengefasst war und die es mit sich bringt, dass auch Gemeinde, Dorf, Genossenschaft, Geschlecht in der Geschichtserzählung genannt wird, diese Natureinheit ist stärker als die Kunsteinheit, die die Kulturvölker suchen müssen durch die Disziplin zu erzeugen. In der äußeren Geschlossenheit des Auftretens, des Anmarschierens und der Attacke, in Richtung und Vordermannhalten werden die römischen Centurien die Germanischen Hundertschaften übertroffen haben; aber der innere Zusammenhalt, das gegenseitige Sich-aufeinander-verlassen, das die moralische Kraft gibt, war bei den Germanen stark genug, um auch bei äußerer Unordnung, bei völliger Auflösung und bei zeitweiligem Zurückgehen unerschüttert zu bleiben. Jeder Ruf des Hunno, das Wort "Befehl" lassen wir ganz beiseite, wurde befolgt, weil jeder wusste, daß jeder andere ihn befolgen würde. Die eigentliche Schwäche aller undisziplinierten Kriegerscharen ist die Panik: germanische Hundertschaften ware auch im Zurückgehen durch das Wort ihres Führers wieder zum stehen und zu neuem Corgehen zu bringen. (Tacitus, 6. .)


Entnommen aus: Delbrück, Hans: Geschichte der Kriegskunst, Das Altertum, Von den Perserkriegen bis zu Caesar/Die Germanen, Vom Kampf der Römer und Germanen bis zum Übergang ins Mittelalter (Doppelband) Berlin 2000 (Neuausgabe des Nachdrucks von 1966, Erstauflage der Urtexte 1900-1901 erschienen) S.34-37 im 2. Teil des Dopelbandes.

Ob das an dieser Stelle viel bringt, weiß ich nicht.

Es enthält im Wesentlichen noch einmal die Bestätigung des bereits geschriebenen, des grundsätzlichen Vorhandenseins von Formationen und der Interpretation der selben. Problematisch zu sehen ist hier vlt. dass von "den Germanen" die Rede ist, eine Betrachtung, die vor dem Hintergrund moderner Geschichtsforschung/schreibung schwerlich aufrecht zu erhalten sein wird, allerdings passt es dadurch gegebenenfalls ganz gut zum Thema, sonst eben wenig neues.

Ich würde nach wie vor dazu raten das Thema geographisch und zeitlich deutlich eher einzugrenzen.



Hallo Stratege,

Sehr interessant was Delbrück schreibt. Leider finde ich derzeit keine brauchbare Ausgabe von Delbrücks Werk über die Kriegskunst.

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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon Str4tege » 3. März 2016 02:45

Habe nun weitere Quellen gesichtet, unter anderem "Kriege im Mittelalter" von Matthew Bennet. Eins meiner Lieblingsbücher über Militärstartegie, anschaulich und doch detailliert enthält es auch Beispiele germanischer Kriegsführung von der Spätantike bis zum Frühmittelalter.

Sehr interessant sind die Schilderungen des Gotenkrieges. In diesem Krieg im 6 Jahrhundert nach Christi haben neben Goten und Oströmern auch die Franken und ihre alemannischen Verbündeten in Italien gekämpft. In 2 Schlachten bei Lucca verwendeten die Alemmanen unter Butilin Defensivstrategien in der dritten eine Offensivstrategie. In der ersten Schlacht Alemannen vs Heruler (oströmische Hilfstruppen) legten die Alemannen einen Hinterhalt, was ich als Defensivtaktik auffasse. In der 2. Schlacht Alemannen vs Oströmer stellten die Alemmannen sich mit Schildwall zwischen zwei Wäldern auf, klassische Defensivformation. In der 3. Schlacht Alemannen vs. Oströmer setzten die Alemannen die Keilerkopfformation offensiv ein. Hier zeigt sich, wie das selbe germanische Heer variabel agiert.

Allgemein zeichnet sich bei anderen Schlachten ab, dass die Nutzung der Reiterei von den Kleinstämmen zu germ. Großstämmen und Königreichen zunahm.

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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon nordstern » 3. März 2016 20:36

Ohne Quellen zu haben, erlaube mir noch die persönliche Einschätzung:

Ich glaube nicht das die Alemannen aussagekräftige Beispiele sind. Sie lebten sehr lange an der römischen Grenze, kämpften sehr lange gegen Rom und lernten Roms Kriegswesen dadurch kennen und werden sicher einiges kopiert haben. So wie z.b. Numidier, Armenier, Seleukiden und am Ende auch Karthago versuchten das Legionsmodell zu kopieren (zumindest die Ausrüstung und Kampfesweise der Soldaten, nicht Ausbildung und Struktur), wieso also nicht die Alemannen?
Interessant währe was die Germanen abgelegen der römischen Grenze taten. Wie die Germanen gegen Rom kämpften. Leider ist davon recht wenig bekannt, da z.b. niemand über das schreiben kann was im Teutoburger Wald geschehen ist oder oft Berichte durch den Sieger (Rom) oder Schriftgelertesten (Rom) verfasst wurden. Ich bezweifel jedoch das die Germanen ohne langjährigen römischen Einfluss solche Strategien gehabt haben.

Zur Kavallerie denke ich liegst du sicher Richtig. Dazu sei aber noch gesagt, das Germanien früher ein gewaltiger Wald war. Daher ist Weideland oder der Nutzen von Pferden auserhalb von Reisen sehr begrenzt gewesen, was ihre geringe Rolle im germanischen Kampfstil erklären würde und erst als es im lauf der geschichte zu größeren Reichen kam stärker fokusiert wurde. Aber auch das ist reine persönliche spekulation.
Ich bin Legastheniker. Wer also Rechtschreibfehler oder unklare Formulierungen findet, soll bitte versuchen die Grundaussage zu verstehen oder darf sie gerne behalten :)

Danke für euer Verständnis.

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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon Stratege » 3. März 2016 22:42

@ Nordstern

An und für sich logischer Gedankengang, was den Einsatz von Reiterei als wichtiger Kraft bei germanischen Verbänden betrifft, wiederspricht allerdings auffällig einzelnen Ereignissen, wie etwa der Schlacht auf dem Lechfeld. Auch wenn die sich zeitlich, zummindest den meisten geläufigen Deutungen nach, deutlich außerhalb der Spätantike befinden, denke ich, dass man eine generalisierte Aussage, dass Kavalerie bei den Germanen keine oder kaum eine Rolle gespielt habe, auch nicht so ohne weiteres halten kann. Kommt vermutlich auch wieder auf den Gegner an.
Im Übrigen, dürfte die üppige Bewaldung zwar auf einen großen Teil der germanischen Siedlungsgebiete zutreffen, jedoch kommt man kaum umhin auch hier der Diversität des Raumes Rechnung zu tragen.
Germanien wird umgangssprachlich oft auf das Territorium zwischen Rhein und Oder reduziert, was allerdings Skandinavien und den Osten, der immerhin annähernd bis Galizien reichte und vor und während der Völkerwanderung noch eine weit größere Rolle gespielt haben dürfte, müsste man sich vielleicht auch damit noch einmal näher befassen.
Zuletzt geändert von Stratege am 4. März 2016 19:57, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Abhandlung zum germanischen Kriegswesen

Beitragvon nordstern » 4. März 2016 01:58

ja.. auch ich habe mich auf Oder-Rhein begrenzt, weil alles außerhalb wieder ganz anderes Gebiet ist. Man kann keine generelle Aussage über Germanen treffen, wenn man beide Terrainzonen berücksichtigt. Die Kampfesweise der Germanen jenseits der Oder dürfte eine Mischung zwischen Germanischem und Skythischen gewesen sein, da hier das offene Terrain und weite Strecken das Pferd in eine ganz andere Position bringen.
Im westlichen Germanien währe mir jedoch kein Stamm bekannt der Kavallerie als Kampftruppe führte. Ich schätze daher, das sich die Nutzung auf Aufklärer, Boten, reiche Leute und Adilge begrenzt hat und damit Kavallerie im Kriegsfall von Adilgen gestellt wurde, aber kein Bestandteil der Hauptkampftruppe war. Nagel mich aber nicht drauf fest. Genau das dürfte jedoch das Problem der Germanen gegen die Hunnen gewesen sein, abgesehen ihrer umfassenden Panzerung.
Ich bin Legastheniker. Wer also Rechtschreibfehler oder unklare Formulierungen findet, soll bitte versuchen die Grundaussage zu verstehen oder darf sie gerne behalten :)

Danke für euer Verständnis.