Way of Blücher hat geschrieben:Lenin war in erster Linie einzig mit den politischen Inhalten und Umsetzungen beschäftigt, das selbe gilt für Leo Trotzki. Die gebildeten Leute der Mittelschicht Russlands waren meistens in den Reihen der "Weißen" zu finden und in der Regel den Bolschewisten ehr abgeneigt. Inwiefern es nun bereits Bestrebungen innerhalb der führenden Kader der Bolschewisten zum Ausbau der Industrie gab, kann man nicht genau sagen, denn die waren eindeutig erstmal mehr damit beschäftigt den Bürgerkrieg zu gewinnen und internationale Fäden zu ziehen. Sicher werden die im Ausland durchaus gesehen haben was alles möglich ist.
Da ist eben wie gesagt die Frage, was man denn mit "lernen" konkret meint.
Lernen industriell zu produzieren? Diese Produnktionsweise, bezüglich ihrer Vorteile zu schätzen und zu protegieren? Der Aufbau von Planwirtschaft?
Industriell produzieren, das konnten die Russen, auch schon zu zaristischen Zeiten. Die Produktionsleistung blieb zwar gemessen an der Bevölkerung gering, aber die absoluten Basics industrieller Wirtschaft liegen in Russland, wie auch anderswo im 19. Jahrhundert, anders hätten sie den Weltkrieg auch nicht 3 Jahre lang durchkämpfen können.
Was die Bestrebungen zum Ausbau der Industrie bei den Bolschewisten angeht, würde ich einfach mal Lenins "Was tun?" (obwohl das eine extrem verkürzte version ist, da gibts wesentlich längere und inhaltsreichere Abhandlungen) exemplarisch in den Raum werfen, wo die Notwendigkeit zur wirtschaftlichen Modernisierung programmatisch angerissen wird, das ist, in seiner Urfassung von 1902, also lange vor dem Beginn der Sowjetuinion und das geht auch gar nicht anders.
Das geht deswegen nicht anders, weil jeder Theoretiker, der sich als, in wie auch immer gearteter Weise als "marxistisch" betrachtet, auf keinen Fall um die Thematik des historischen Materialismus herumkommt, nach dessen Anschauung die gesellschaftliche Entwicklung der Entwicklung der Produktivkräfte folgt, weswegen, wenn man Marx ernst nimmt die Errichtung einer industriellen Gesellschaft notwendige Grundvorraussetzung für so etwas wie Sozialismus/Kommunismus ist. Insofern ist Umsetzung politischer Inhalte in diesem Fall Gleichbedeutend mit Ausbau der Industrie, im Besondern auch der Industrialisierung der Landwirtschaft um die Urbanisierung vorranzutreiben. Diese ist zur Konzentration der Produktivkräfte notwendig und ermöglicht erst den aufbau größerer Unternehmen, dazu muss man sich vergegenwärtigen, das zum Ende des 19. hin immer noch 70-80% der Russen auf dem Land lebten (wobei ich die Zahlen für extrem hoch angesetzt halte, wo genau die Zahl stand, müsste ich auch nochmal schauen).
Will heißen, man wusste in der Sowjetuinion von Beginn an sehr gut, was Industrie ist, wie man industriell produziert und was man damit Anfangen kann, das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist viel mehr, das die Bevölkerungstruktur mit ihrer zu großen Teilen analphabetischen Landbevölkerung dem nicht entsprach, weswegen hier gedreht werden musste um weiter zu industrialisieren, was man dann auch tat, mit einigen unerwünschten und gewalttätigen Nebenwirkungen.
Industriearbeiter, die wussten, wie man Stahl kocht, hatten die Russen, darum gings nicht, darum jemanden zu finden, der eine Idee hatte, was mit dem Zeug anzustellen sei auch nicht, was man brauchte, waren primär Maschinen.
Dann noch eine Frage, wen exakt verstehst du unter "gebildeten Leuten der Mittelschicht Russlands"? Würde mich spontan interessieren, lässt für mcih nämlich darauf schließen, das du im Begriff bist den Fehler zu machen die Gesellschaftsstruktur der BRD oder der mittel- westeuropäischen Zwischenkriegszeit unreflektiert in das Russland der 1920er Jahre hinein zu interpretieren, eine generelle Abneigung gebildeten Personals aus den oberen gesellschaftlichen Schichten widerlegt sich schon dadurch, dass sich die Führungskader der Sowjets ("Avantgarde&Inteligenzija") genau daher rekrutierten.
Way of Blücher hat geschrieben:Absolut richtig, aber wie gesagt. Die Mittelschicht und die gebildete Bevölkerung stand mehrheitlich hinter den gemäßigten Weißen. Die rote Armee erschoss einfach jeden, der zu ihnen in Opposition stand, dh. die Russen haben in der Zeit des revolutionären Bürgerkrieges ihre eigene Möglichkeit zum erweiterten industriellen Aufstieg im wahrsten Sinne des Wortes: über den "Haufen" (Ural) geschossen.
An der Stelle bitte noch einmal die sgn. "Mittelschicht der gebildeten Bevölkerung" näher benennen, ebenso, was du unter "gemäßigten Weißen" verstehst, ich sehe im weißen Lager des Bürgerkriegs nämlich herzlich wenig gemäßigte Elemente, viel mehr reaktionäre Hardliner. Wenn die größten Teile der Mittelschicht (was auch immer das im Russland der 1910er/1920er Jahre gewesen sein mag) sowiso von vorn herein und kategorisch gegen die Bolschewiki waren, warum haben sie es dann noch gleich zugelassen, dass diese, obwoh ihre Machtmittel zu diesem Zeitpunnkt verdammt begrenzt waren, das Kerenskij-Regime zum Teufel jagten?
Kann also nicht so ganz stimmen.
Die Rote Armee kämpfte im übrigen zu großen Teilen unter dem Kommando ehermaliger zaristischer Offiziere, wenn sie also alles erschossen hätte, was politisch unangenehm war, hätte sie bei ihren eigenen Befehlshabern anfangen müssen, auch ist die Vorstellung dass es sich bei jedem Rotarmisten um einen überzeugten Kommunisten handelte extrem weit hergeholt, denn wenn dem so gewesen wäre, dann wäre die Einrichtung der politkommissare bei den Truppen, zwecks Durchsetzung ideoogischer Vorstellungen in der Armee völlig unnötig gewesen und auch so etwas wie der kronstädter Aufstand wäre wohl nicht vorgekommen.
Insgesamt hatten die Leute eben die Wahl zwischen den Bolschewisten und einer Restauration des Absolutismus, die einem Sieg der weißen Generäle sehr wahrscheinlich auf dem Fuß gefolgt wäre (die Liquidierung der Zarenfamilie kam sicherlich nicht von ungefähr).
Way of Blücher hat geschrieben:Stimmt nicht ganz. Es war der Zar Peter der Große, der bereits industrielle Produktionsformen massiv förderte und ganze Städte nach europäische Vorbild erbaute. St. Petersburg ist da nur die bekannteste Gründung. Z.B. wurde bereits Anfang des 18. Jahrhunderts Petrosavodsk: "die Werke Peters" auf den Resten der Stadt Onegaborg gegründet. Ziel war es durch Stadtgründungen nach industriellem Muster den Vielvölkerstaat Russlands besser beherrschen zu können, in jenem Fall halt den finnisch-ugrischen Nordosten zu kolonisieren, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Vorzüge des städtischen Lebens sollten die Leute an die russische Kultur binden. Petrosavodsk war eine Stadt, die allein für die Produktion von Eisenwaren, Waffen und der Sicherung des Herrschaftsanspruches gegründet wurde. Ein Konzept von Peter dem Großen, welches sich über all durchsetzen sollte. Die ganzen sibirischen Stadtgründungen geschahen auch nach solchen Überlegungen.
Im Bezug auf den letzten Zaren Nikolaus den II hast du allerdings absolut Recht.
Peter förderte den Ausbau des Manufakturwesens, das ist in soweit richtig, aber Manufakturwesen ist noch lange keine Industrieproduktion im modernen Stil, sondern zum einen in der Leistung deutlich zurück, zum anderen basieren Manufakturen auf überschaubaren Anzahlen von Handwerkern, deren Konzentration die Gesellschaftsstruktur für sich genommen erstmal deutlich weniger beeinflusst als ein Massenheer von Fabrikarbeitern.
Erschwerend hinzu kommt, das Peter das Manufakturwesen brauchte um nicht mehr von den Handelswegen über Schweden (Ingermanien, Finnland, Livland und Estland waren zu der Zeit ja noch schwedisch) abhängig zu sein und somit den "Großen Nordischen Krieg" überhaupft führen zu können. Nach beendigung des Krieges wurden aber die Bemühungen dahingehend zurückgefahren und ein großer Teil der petrinischen Manufakturen, musste wegen des auf einmal Auftretenden Konkurrenzdrucks Mittel und Westeuropas, aus denen man, nachdem die Ostsee wieder frei war importieren konnte staatlich subventioniert oder wieder eingestampft werden und in der Folgezeit wurde seitens des Herrscherhauses eher zaghaft versucht zu modernisieren. Alexander II. versuchte sich in Modernisierungen, wurde zum Dank dafür allerdings in die Luft gesprengt, weil die Anarchisten zu diesem Zeitpunkt verrückt spielten, unter Alexander III. und Nikoaus II. wurde dann wieder eher weniger progressive Politik unternommen. Insofern hat Peter sich sicherlich darum bemüht die Dinge zu ändern, aber die Linie ist nach seinem Tod ziemlich ins Stocken geraten und benötigte ihrer Zeit auch keine gravierenden politischen Umwälzungen, zumal in Peters System zu großen Teilen Belegschaften aus Leibeigenen zusammengetrommelt und irgendwohin zum produzieren verplfanzt wurden, von wo sie dann auch bei erster Gelegenheit wieder desertierten, auch das brachte so seine Probleme.
Way of Blücher hat geschrieben:Da empfehle ich halt das Kapitel "Stadt aus Stahl" aus der Geo Epoche "Stalin" ab Seite 72. Ich denke, dass die Russen die Amerikaner einfach an Bord geholt haben, weil die große Revolution einfach zu viele gebildete Köpfe vertrieben, oder getötet hat. Mit den bestehenden gesellschaftl. Verhältnissen kurz nach dem Bürgerkrieg und unter der Herrschaft Stalins war es schlicht unmöglich die wirtschaftl. Pläne in so kurzer Zeit umzusetzen. Der Gewaltakt Russland unter Hilfenahme amerikanischer Ingenieure und Planer zu einem Stahlstaat zu machen, hat Stalin ja seinen Spitznamen erst eingebracht. Stahl war das Symbol für Stalins Wesen und Herrschaft, Magnitogorsk seine Schöpfung.
Du wirst es nciht glauben, aber das Heftchen hab ich gelesen, müsste, wenn ich mich da nicht täusche von 2010 oder 2011 sein. Der Haken daran ist, das hier, wenn ich mich recht entsinne auf die 1930er Jahre Bezug genommen wird. Die "Entkulackisierung", "Säuberung der Partei" und das große Morden insgesamt setzten allerdings frühestend ab 1928 ein, während zwischen dem Bürgerkrieg, der 1921 endete und diesem Punkt noch einige verhältnismäßig ruhige Jahre lagen und auf die beziehe ich mich im Wesentlichen.
Wenn man dieses Thema näher ausleuchten will, muss man bei den Gewalttaten zwischen den Begeliterscheinungen der Revolution und dem, was in der Stalinzeit nach Ausschalten der Opposition passierte trennen, sonst unterschlägt man völlig die NEP, dei teilweie die Privatwirtschaft wieder einführte um eben den wirtschaftlichen Bemühungen wieder Auftrieb zu geben, das war die Politik zum Ende der Lenin-Zeit hin, von "alles erschießen, was nicht Kommunist ist" kann dementsprechend keine Rede sein, ebenso wenig vom vollkommenen Abwürgen gebildeter Schichten und ähnlichem.
Was das angeht, kommen Tendenzen zum Tragen, die mit Stalins Linie und Gewaltexzessen verbunden sind, dass sind wie gesagt zwei völlig unterschiedliche Prozesse.
Geo Epoche Stalin hat geschrieben:Das noch immer agrarisch geprägte Land der Sowjets soll innerhalb weniger Jahre zur industriellen Großmacht werden. Auch um Angriffe des kapitalistischen Auslands abwehren zu können, mit denen die Parteiführer rechnen. (...) Die UDSSR, so glaubt Stalin, wird noch lange von Feinden umgeben sein. Der Aufbau des Sozialismus in dem Riesenreich ist daher sein erstes Ziel. Nicht um die Verbesserung des Lebensstandarts der Sowjetbürger geht es den Bolschewiki dabei in erster Linie, sondern um den Ausbau der Infrastruktur und Schwerindustrie. Staudämme, Kohlekraftwerke, Eisenbahnen, Kanäle und dazu Fabriken für Geschütze, Flugzeuge, Traktoren, Panzer und Lastwagen.(...)
Aber die Aufgabe war kaum lösbar, weil in der UDSSR nicht genug Ingenieure und Architekten zu finden waren, die diese Herausforderung bewerkstelligen konnten. (...) Woher sollte das nötige technische Wissen kommen?
Oder mit anderen Worten Stalins Vorstellung vom Aufbau des Sozialismus in einem Land, aber die entspricht in der Form nicht der ursprünglichen sowjetischen Doktrin, die auf Weltrevolution und kooperation setzte. Das es nicht genügend technisches Personal gab, hatte auch weniger mit Vernichtung des Selben zu tun, als viel mehr damit, dass durch Stalins paranoide Vorstellung jederzeit einen Krieg mit dem kapitalistischen Ausland führen können zu müssen, zu viele Großprojekte auf einmal angestoßen wurden, für eine Modernisierung im gemäßigten Tempo war durhaus Personal verfügbar und es wurde ja auch fleißig welches nachgezüchtet, somit war das Problem viel eher nicht die Vorstellung, was passieren sollte, sondern der Zeitrahmen oder anders ausgedrückt, Stalin wollte instant das, was bei vernunftgemäßem Betreiben 10-20 Jahre in Anspruch genommen hätte und weil dafür das Material fehlte, mussten dann eben gnadenlos Menschen verheitzt werden, dass war das Problem damit.
Die Grundlagen der Industrialisierung der Sowjetunion, die wie oben beschrieben aber in der angestrebten Veränderung der Bevölkerungsstruktur zu suchen sind, passierten lange bevor diese Exzesse losgetreten wurden. Insofern würde ich sagen, dass man die Hilfen aus dem Ausland, sowohl Deutschlands, wie anderswo her sicherlich als Verstärker der Entwicklung ansehen sollte, aber eben nicht als deren Urheber.
Way of Blücher hat geschrieben:Wer diesen Teil der Geo Epoche liest, wird zu dem Schluss kommen, dass Stalins Herrschaft und seine Sollbestimmungen allein unter zur Hilfenahme amerikanischer Unternehmer möglich war. Das die wichtigsten Produktionsstätten für Waffen östl. des Ural, also ca. 1500 km von jeder russischen Grenze entfernt, geplant und ausgeführt wurden, lässt einzig den Schluss zu, dass Russland bereits seit 1927, also mit der Machtübernahme Stalins, sich auf einen großen Konflikt vorbereitete. Das ganz neue und industrielle System des russischen Bolschewismus war auf radikale Zeiten eingestellt.
Obwohl bereits 1926 konkrete Pläne für die Industrialisierung Russlands vorlagen, war es Stalin, der sich dieser Pläne konkret annahm.
Das sich die Mehrheit der amerikanischen Stahlunternehmen und das Know High um diese Produktionverfahren in den Händen der Verwalter und Erben des dritt mächtigsten Mannes der US, dem Stahltycoon Andrew Carnegie befand, macht die Sache umso pikanter.
Das man einen Krieg gegen die UDSSR Stalins nur gewinnen konnte, wenn man so früh wie möglich angreift und so schnell wie möglich Moskau einnehmen und den Ural überwinden kann, sollte erklären warum die Operation Barbarossa so scheinbar verfrüht startete. Der finnisch-russische Krieg ließ die Wehrmacht hoffen, dass Russlands Armee damals noch schwach genug sei. Noch. Jeder weitere Tag des Zögerns hätte den Russen in die Hände gespielt und immer mehr Waffen hätten die Fabriken der UDSSR verlassen. Und wenn man zu lange gewartet hätte, dann wären die Russen irgendwann in der Lage gewesen rechtzeitig die Probleme der russischen Armee, die sich im Krieg mit Finnland offenbarten, zu beseitigen und das neue Ausbildungsprogramm würde dann kompetente Offiziere einsetzen.
Wie gesagt, konkrete Absichten die Industrialisierung vorran zu treiben, sind das Standart Rüstzeug jedes sozilistischen Theoretikers, denn sonst würde er sich ideologisch mit seinem spiritus rector Marx anlegen und sich damit unglaubwürdig machen, insofern die Linie das da konkret etwas getan werden muss, findet sich bei Lenin, Trotzkij und ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass man sie auch in anderer Form bei Sinowjew, Bucharin und anderen findet, die Frage ist eben das wie, sofern ist das nicht ungewöhnlich und der Planmäßige Ausbau der Industrie und andwirtschaft hatte unter Lenin wie gesagt längst begonnen.
Stalin bereitete sich immer auf einen Krieg mit dem Westen vor, diese paranoide Haltung ist charakteristisch für ihn, wobei das nicht zwangsläufig gleichbedeutend damit ist, das er auch einen losgetreten hätte (bevor man mit wieder mit der "Präventivkriegsthese" kommt).
Hildermeier bezeichnet in seiner "Geschichte der Sowjetunion" dieselbe sinngemäß als ein Land, das den Ausnahmezustand zur Normalität erhoben hatte und für die Stalinzeit trifft das sicherlich zu, das ist aber meine ich vor allem als Reaktion auf die fehlgeschlagene Kominternpolitik der 1920er Jahre reflektiert zu sehen, in wessen Händen sich welches Stahlkartell in den USA befand, halte ich in diesem Zusammenhang ehrlich gesagt für herzlich irrelevant.
Was den Krieg anbelangt, sicherlich hätte mehr Zeit für die sowjetische Armee mehr Waffen bedeutet, auf der anderen Seite, bedeutet eine extrem große Armee allerdings auch sehr lange Intervalle bei der Modernisierung ihrer Ausrüstung, das ist dann die Kehrseite, hängt davon ab, was man höher bewertet, allerdings denke ich, dass man den Standpunkt des letzten Absatzes auch durchaus stehen lassen kann.