Wirtschafts- und Technikgeschichte

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Stratege
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Wirtschafts- und Technikgeschichte

Beitragvon Stratege » 25. September 2016 13:53

stratege hat geschrieben:Wie gesagt die deutsche Landwirtschaft war zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter die Räder gekommen, weil wegen Eisenbahn und Dampfschiffahrt einfach zu große Mengen zu entsprechend geringeren Preisen aus Indien, den USA und Russland herangeschafft werden konnten, so das die eigene Landwirtschaft schrumpfte und Ostelbien, polemisch ausgedrückt zu Beginn des Weltkrieges wahrscheinlich die größte, zusammenhängende Insolvenzmasse Europas darstellte. Man versuchte zwar die eigene Produktion durch Schutzzölle zu erhalten, das funktionierte aber nur mäßig, zumal ja auch die Bevölkerungszahl durch die Decke ging


Way of Blücher hat geschrieben:Da muss ich klar widersprechen. Lediglich die Bevölkerungszentren wie das Ruhrgebiet und Bayern hatten sicher unter der Nahrungsmittelknappheit zu leiden und dortige Landwirtschaftsbetriebe kamen in finanzielle Probleme. Mecklenburg, Preußen und Pommern waren immer noch autarke Feudalgesellschaften, die gerade genug für sich selbst und die lokalen Städte produzierten und in guten Jahren Nahrungsmittel nach Russland und Osteuropa exportierten, selten anders herum. Es gabs mal einen Witz, dass die kleine DDR nicht ewig die ganze UDSSR füttern könnte. Brandenburg/Mecklenburg war schon immer die Kornkammer Deutschlands. Dar war von 200 Jahren schon so und ist heute nicht anders. Aufgrund feudaler Verhältnisse kann man in "Ostelbien" wohl kaum von Inflation sprechen. Nebenbei war Stettin schon damals die 4. größte Industriestadt Deutschlands. Wobei es stimmen könnte, dass Stettin, Rostock, Danzig und Königsberg auch in den 1920igern noch direkten Austausch mit den Russen und Balten pflegten. Die Nachwirkungen der Hanse waren ja immer noch da.


Das ist so nicht richtig.
Preußen war bis in das 19. Jahrhundert hinein Exporteur von Agrargütern, aber das änderte sich mit Industrialisierung und Gründung des Kaiserreiches in dessen Wirtschaftsverbund es eingebunden wurde. Durch die Einführung der Eisenbahn wurden für den europäischen Markt schicht und einfach die Getreideüberschüsse der Ukraine und Russlands im weiteren Sinne zugänglich, so wie durch die Dampfschiffahrt Lebensmittelüberschüsse aus den USA und britisch Indien. Dies war zuvor nicht möglich, weil zum einen bei langen Überführungszeiten in unbeständigem Klima die Gefahr bestand, dass die Ladung einfach verschimmelte, zum anderen waren durch die längeren Reisezeiten die Transportkapazitäten entsprechend niedriger, um so höher lag der Preis für eine Verschiffung und deswegen waren diese Güter vorher auf dem europäische Markt nicht konkurrenzfähig, zumal die Überschüsse zuvor auch nicht so groß waren, da die Binnenkolonisation Russlands und der USA sich erst noch entwickelte und die Anbaumethoden ebenfalls noch nicht das entsprechende Niveau erreicht haben.
In dieser Zeit wurden aus Ostelbien Agrarerzeugnisse exportiert, allerdings nicht nach Russland oder dem Baltikum (das mag vielleicht im Mittelalter mal der Fall gewesen sein) sondern viel mehr nach Westeuropa.
Im Anschluss daran wuchs die Bevökerungszahl auf dem Gebiet des späteren Kaiserreiches von etwa 40 Millionen auf ca. 60 Millionen Menschen an, womit die Produzierten Überschüsse schon gebraucht wurden um die deutsche Bevölkerung zu versorgen, im Sinne des Außenhandels des Kaiserreichs also keine Rolle mehr spielten, zeitgleich zogen aber eben die Importmöglichkeiten aus dem Ausland um ein vielfaches an, was zu einem extremen Verfall der Agrarpreise führte und weite Teile der ostelbischen Großagrarier in den Ruin trieb oder zummindest sehr nah heran, weil sie nicht mehr zu marktüblichen Preisen produzieren konnten. Aus diesem Grund baute das Kaiserreich sein Schutzzollsystem gegen Russland auf um den eigenen Agrarsektor abzusichern, die Weimarer Republik erfand zur wiederaufpäppelung der am Boden liegenden Landwirtschaft die sogenannte "Osthilfe" (siehe auch "Osthilfe-Skandal"), beides hätte man nicht getan, wenn die eigenen Kapazitäten noch ausreichend gewesen wären. Oder anderer aspekt, was meinst du, warum das deutsche Reich im erten Weltkrieg teilweie hungerte, obwohl man nciht nur über die eigenen landwirtschaftlichen Gebiete verfügte, sonder noch reichlich Land im Osten besetzt hielt, dessen Produktionsschwerpunkt definitiv auf dem Agrarsektor lag.
Die einzigen europäischen Territorien, die am Vorabend des ersten Welltkriegs noch in größeren Stil Agrarerzeugnisse exportierten waren das Zarenreich und das Königreich Ungarn (dessen Erzeugnisse aber zu einem großen Teil direkt nach Österreich flossen, mit dem es einen Wirtschaftsraum bildete, ein Umstand, der den Ösis im Zuge der Verträge von Saint-Germain und Trianon sehr zu schaffen machte, auf einmal war nämlich der agrarische Raum Transleithaniens, der für die Versorgung Wiens enorm wichtig war abgetrennt und zerschlagen).
Sicher, Ostelbiens Agrarerzeugnisse hätten die Bevölkerung Ostelbiens nach wie vor versorgen können, die des Reiches aber eben nicht und damit reichte es eben nicht, weil es auf Grund des gemeinsamen Wirtschaftsraums des Reiches ein gesamtdeutsches Problem war und keine Frage von Regionen oder Einzelstaaten, sicherlich hatten das Ruhrgebiet, Berlin und andere Regionen größere direkte Versorgungsprobleme als etwa Pommern, was nhrungsmittel angeht, andererseits brauchten die ostelbischen Regionen aber auch die Industriegüter um ihre Infrastruktur aufrecht zu erhalten, insofern ist eine Trennung der Regionen innerhalb des Reiches so gesehen nicht möglich.

Das Stettin anno 1920 die viertgrößte Industriestadt Deutschlands gewesen sein soll kann ich mir kaum vorstellen, kann es sein, dass du es mit Breslau verwechselst? Das könnte nämlich hinkommen.
Die Grundwerte der prämodernen Gesellschaftsordnung:

Artillerie, Kavallerie, Infanterie