Der Frieden von Brest-Litowsk

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derdorfbengel
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Re: [Hearts of Iron IV] Schnelle Frage, schnelle Antwort

Beitragvon derdorfbengel » 7. November 2018 20:45

nordstern hat geschrieben:
c4-- hat geschrieben:
derdorfbengel hat geschrieben:Irgendwie komme ich noch nicht ganz dahinter, was bei Dir vorgeht.
Der Separatfrieden zwischen Russland und Deutschland ist nach Deiner Ansicht ein "Mittel zum zweck" der westlichen Entente?


Er meint und hat damit m.E. natürlich völlig recht, die Aufrechterhaltung der russischen Grenzen aus dem Frieden von Bresk-Litowsk 1917 beim Vertrag von Versailles 1919.

Tatsächlich sehe ich keinen einzigen praktischen Grund, warum die Alliierten den Russen auch nur einen Zentimeter mehr Land hätten zugestehen sollen als sie mussten, schließlich war Sowjetrussland nicht ihr Verbündeter und, das ist ja gerade mein Punkt, ist es nie gewesen; nur das zaristische Russland und die darauf folgende provisorische Regierung standen auf Seiten der Entente.


Das habe ich auch nie Infrage gestellt. Und ich habe das ja auch Geopolitisch begründet. ABER auf der anderen Seite fühlten sich die Russen dadurch verraten von der Entente. Klar, vertraglich bestand kein Grund die Grenzen von 1914 wiederherzustellen oder dem Russen gar deutsche Gebiete zu geben. Aber ethisch eigentlich schon. Ob das Bündnis zwischen dem Zarenreich und Frankreich durch den Putsch hinfällig wurde ist so ne Sache. Theoretisch ist die Sowjetunion rechtsnachfolger des Zarenreich und übernimmt damit die Rechten und Pflichten und eben auch diplomatischen Beziehungen. Das Bündnis wurde ja nie aufgekündigt. Ansonsten hätte man z.b. die Weimarer Republik nicht für die Kriegsverbrechen des Kaiserreiches bezahlen lassen dürfen. Oder das Dritte Reich für das Kaiserreich/die Weimarer Republik. In der Nachkriegszeit wurde extra vertraglich festgehalten das die BRD NICHT Rechtsnachfolger des Dritten Reichs ist. Der Grund war, man wollte einen 3.Weltkrieg verhindern. Später kam natürlich noch dazu, das Deutschland als Puffer zum Ostblock wirtschaftlich nicht komplett zugrunde gerichtet werden sollte. Ansonsten müssten wir Reparationszahlungen zahlen... Alle Forderungen z.b. Polens oder Griechenlands sind rechtlich irrelevant... nur moralisch haben sie eine Berechtigung. Deswegen kann Deutschland auch nicht zum Zahlen gezwungen werden, wenn es nicht will. Und meines erachtens sollte es das auch nicht. Denn dadurch kann es passieren, das juristisch ein Präzidenzfall geschaffen wird, der Deutschland zwingt auch allen anderen Ländern Entschädigungen zu bezahlen.

Was zur Folge hat, das sie natürlich versuchten ihren Einfluss in Europa auszuweiten ohne sich den Entente auszusetzen. Und wie geht das besser als mit dem entmachteten Deutschland das auf Rache sinnt? Vorallem wenn besagtes Deutschland führend im Bereich Industrialisierung und Fertigung ist in Europa und man selbst da sehr große Lücken hat. Das war eine Zweck-Ehe...
Und ja Polen war ein Wunsch der Entente. Die Idee dahinter war, ein Land zwischen Deutschland und Russland als Puffer zu etablieren, weil befürchtet wurde das ein diplomatischer Zusammenschluss beider Länder die Vormachtherrschung Frankreichs... und damit auch Englands... in Europa gefährete.
Nach dem 2.Weltkrieg "lernten" sie aus dem Fehler und etablierten Polen erneut. Aber diesmal auf Grundlage einer besseren wirtschaftlichen Ausgangslage (Schlesien, Ostpreussen), obwohl Schlesien im Volksentscheid für einen Verbleib in Deutschland stimmte. Man wusste das Polen ohne die schlesische Industrie zwischen der Sowjetunion und Deutschland langfristig nicht überleben würde. Dazu kam vermutlich noch, das Polen auf die Vormachtstellung Russlands in Europa weiter zurückdrängen würde. Deswegen kam es ja auch zur westlichen Beteiligung im Krimkrieg. Man wollte nicht das mit einem russischen Sieg über die türkischen Truppen auf dem Balkan der Einfluss Russlands in Europa weiter steigt. Russland führte sich ja nach Napoleon wie ne Art europäische Polizei auf... vergleichbar der USA heute.



Was mich persönlich interessieren würde, aber hier nicht so rein passt, ist: Deutschland hat seine Panzer in Russland (bei Kazan) entwickelt und getestet. Ebenso wurde dort in zahlreichen Übungsgefechten gegen sowjetische Truppen der Blitzkrieg geübt. Die sowjetische Heeresführung wusste also genau wie Deutschland Krieg führt. Zudem haben sie erlebt das Deutschland diese geübte Taktik sehr erfolgreich in Polen und Frankreich eingesetzt hat. Wieso haben sie daraus nicht gelernt und diese Taktik gekontert 1941? Wieso haben sie den selben Fehler gemacht wie Polen, Frankreich und England und dabei fast ihre gesamte Armee verloren und damit den Krieg binnen weniger Monate... sie hätten es doch Wissen müssen.

Das selbe gilt jedoch auch für die Amerikaner. Die wussten auch um die Blitzkriegtaktik und dennoch wurden die Amerikaner in ihrem ersten Gefecht gegen deutsche Truppen fast vollständig aufgerieben. Einzig das Eingreifen britischer Panzertruppen verhinderte dies. Wobei ich da gehört habe, das die Briten die Amerikaner warnten und diese die Warnung in den Wind schlugen nach dem Motto: Ihr seit nur Engländer, wir Amis können das besser und fallen dem nicht zum Opfer.


Nordstern, Du übergehst immer diesen kleinen, aber so wichtigen Punkt: das Bündnis zwischen der Westentente und Russland hat Russland mit dem Frieden von Brest-Litowsk selbst verlassen. Dabei ist völlig gleich, ob man das jemals irgendwie mit einem Papier sich gegenseitig erklärt hätte. Der gemeinsame Kampf gegen einen Feind ist der Inhalt eines Bündnisses.

Russen, die sich da "verraten fühlen", können das zwar gerne fühlen. Aber die andere Seite wird dieses Gefühl nicht teilen, und das ganz nachvollziehbarerweise.
Wenn es einen "Verräter" gibt, dann hat nach den allgemein anerkannten Standards Russland das Bündnis "verraten".

Zu den Panzertests würde ich Principe zustimmen. Im Übrigen ist es doch nicht so, dass die Sowjets nichts von der deutschen Kriegsführung gewusst und verstanden hätten. Woher kommt nun wieder diese Idee?

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Re: [Hearts of Iron IV] Schnelle Frage, schnelle Antwort

Beitragvon Il Principe » 8. November 2018 10:55

Was mir gerade noch auffällt. Der wesentliche Unterschied zwischen dem Frieden von Brest-Litowsk und deinen Beispielen von Separatfrieden mit Polen und Frankreich im Zweiten Weltkrieg ist, dass es sich bei erstgenannten um einen Friedensvertrag und bei den beiden anderen um Waffenstillstandsverträge handelt, die somit unterschiedlicher Rechtsnatur sind. Bei der Frage der Rechtsnachfolge von Staaten stellt sich außerdem immer die Frage, ob die neuen Staaten von den jeweiligen (früheren) Vertragspartnern als legitim anerkannt werden. Bei der SU war dies anfangs eben nicht der Fall, wohingegen die Exilregierungen von Polen und Frankreich (und nicht etwa Petains Vichy-Frankreich) als legitime Verhandlungspartner von den Alliierten akzeptiert wurden. Den Konflikt kann man auch ganz gut am Beispiel Volksrepublik China und Republik China (Taiwan) verdeutlichen. Bis 1971 war Taiwan Ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, musste nach zunehmender Anerkennung der Volksrepublik ihren Sitz aber an Rotchina abgeben.

PS: Eventuell könnte ein Admin die ganze Diskussion in den Historischen Bereich verschieben. Hat mit Hearts of Iron schon seit mehreren Seiten nichts mehr zu tun.

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Re: [Hearts of Iron IV] Schnelle Frage, schnelle Antwort

Beitragvon derdorfbengel » 8. November 2018 13:56

Il Principe hat geschrieben:Was mir gerade noch auffällt. Der wesentliche Unterschied zwischen dem Frieden von Brest-Litowsk und deinen Beispielen von Separatfrieden mit Polen und Frankreich im Zweiten Weltkrieg ist, dass es sich bei erstgenannten um einen Friedensvertrag und bei den beiden anderen um Waffenstillstandsverträge handelt, die somit unterschiedlicher Rechtsnatur sind. Bei der Frage der Rechtsnachfolge von Staaten stellt sich außerdem immer die Frage, ob die neuen Staaten von den jeweiligen (früheren) Vertragspartnern als legitim anerkannt werden. Bei der SU war dies anfangs eben nicht der Fall, wohingegen die Exilregierungen von Polen und Frankreich (und nicht etwa Petains Vichy-Frankreich) als legitime Verhandlungspartner von den Alliierten akzeptiert wurden. Den Konflikt kann man auch ganz gut am Beispiel Volksrepublik China und Republik China (Taiwan) verdeutlichen. Bis 1971 war Taiwan Ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, musste nach zunehmender Anerkennung der Volksrepublik ihren Sitz aber an Rotchina abgeben.

PS: Eventuell könnte ein Admin die ganze Diskussion in den Historischen Bereich verschieben. Hat mit Hearts of Iron schon seit mehreren Seiten nichts mehr zu tun.


Diese Rechtsnachfolge-Frage ist tatsächlich sehr komplex. Mir fällt dabei auch sofort das Verwirrspiel um die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches ab 1945 ein. War die BRD der legitime Rechtsnachfolger? War es die DDR? War es keiner von beiden? Waren es beide? Und wenn dies ja, wie sollte gemeinsame Nachfolge umgesetzt werden können?
Aus der Komplexität der Frage kamen so amüsante Dinge heraus wie die "Deutsche Reichsbahn" der DDR. Ein aberwitziges Konstrukt, um sicherzustellen, dass die DDR Anspruch auf das Wagenmaterial erheben konnte, obgleich sie die Rechtsnachfolge des DR ablehnte (und sich darum von allen internationalen Verpflichtungen wie Opferentschädigung uä. befreit sah).

Letztlich entscheidet in Rechtsfragen zwischen Staaten aber kein unparteiischer Richter, sondern was?

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Re: Der Frieden von Brest-Litowsk

Beitragvon nordstern » 9. November 2018 13:06

Wobei ich da aber auch anderes gelesen habe. Z.b. das sich die BRD in ihrer Gründung nicht als rechtsnachfolger des DR sah. Während die DDR zwar nie Anspruch erhob auf den Anspruch, aber auch nie sich Distanzierte bis glaube ich 1973. Der Grund war vermutlich, das sich DDR und die Sowjetunion darus erhofften, das im Falle einer Widervereinigung die DDR die BRD schlucken würde als inoffizieller Nachfolger, den man ja hätte geltend machen können und damit Westdeutschland in den Einfluss des Ostblocks gekommen wäre.
Ich bin Legastheniker. Wer also Rechtschreibfehler oder unklare Formulierungen findet, soll bitte versuchen die Grundaussage zu verstehen oder darf sie gerne behalten :)

Danke für euer Verständnis.

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Re: Der Frieden von Brest-Litowsk

Beitragvon c4-- » 20. November 2018 16:55

Rechtsnachfolge ist immer eine Sache, die mindestens zwei Dimensionen hat, eine rechtliche und eine politische, wobei die politische meist vollkommen überwiegt und häufig erst aus einer politischen Festlegung die rechtlichen Konsequenzen gezogen werden.

Im Falle Russlands war für "den Westen" die Weiße Garde Verfechter der legitimen russischen Ordnung, erst nach dem Ende des Bürgerkriegs hat man die Sowjetunion irgendwie akzeptiert.
Im Falle Deutschlands hat jeder Block "sein Deutschland" als das "einzig wahre" angesehen. Rechtliches hat da keine echte Rolle gespielt. Diese rechtlich völlig unklare Lage hat sich erst geändert, als die BRD die DDR geschluckt hat, was ein politischer Vorgang war.

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Re: Der Frieden von Brest-Litowsk

Beitragvon nordstern » 28. November 2018 11:57

Ne... die Lage war vollkommen klar: Nach dem Völkerrecht ist ein Staat automatisch Rechtsnachfolger wenn die Bevölkerung, die Landesform identisch mit dem vorherigen Reich sind oder bei Abweichungen vertraglich festgehalten wurden. Im Falle der BRD und DDR waren damit beide Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs, ohne das sie es wollten oder nicht wollten. Die DDR hat dem nie wiedersprochen, weil sie sich die Option wahren wollten im Falle eines wiedervereinigten Deutschlands, dies unter den Namen der DDR als Rechtsnachfolger zutun. Erst 1973 wiedersprach die DDR dem. Die BRD hat dem ebenfalls nie aktiv wiedersprochen, aber auch nie einen Anspruch daraus geltend gemacht. Defakto ist damit die BRD Rechtsnachfolger des deutschen Reichs.

Das Thema Reparationszahlungen wurde umgangen indem das Wort Friedensvertrag schön diplomatisch ausgelassen wurde. Offiziell weil es ja keine zivile Regierung mehr gab und "nur" die militärische Regierung kapitulierte. Inoffiziell jedoch, weil durch das Wort Friedensvertrag automatisch auch Reparationszahlungen möglich gewesen wären, was die Siegermächte verhindern wollten.

Wegen aktueller Situation ist dabei auch die Vertragslage mit Polen sehr interessant. Polen hat im Grenzanerkennungsvertrag ausdrücklich auf jede Art der Reparationszahlungen verzichtet. Wenn die rechtspopulistische Partei in Polen nun tatsächlich Reparationszahlungen durchsetzen will, würden sie damit den Grenzanerkennungsvertrag einseitig auflösen. Und das wiederrum hätte zur Folge, das Polen keinen völkerrechtlichen Anspruch mehr auf Schlesien, Pommern und Ostpreußen hätte. Wenn die Rechtspopulisten also wirklich so dumm sind die Reparationszahlungen offiziell und ggf. auch rechtlich einzufordern kann ich nur sagen: Gerne bezahlen wir das... aus den Steuereinnahmen von Schlesien, Pommern und Ostpreußen. Wieso? Weil Polen dann das einzige Dokument das den Grenzverlauf und die Gebietsabgabe der östlichen Provinzen an Polen festlegt auflösen würde und damit jeglichen Anspruch auf diese Gebiete verliert.

Interessant ist die Lage auch in Kaliningrad (also Königsberg, russsische Exklave). Russland hat Kaliningrad nie vertraglich zugesprochen bekommen. Stattdessen wurde der Besatzungsstatus verängt über die strategisch wichtige Stadt, weil die Sowjetunion sie als Stützpunkt behalten wollte. Dieser Besatzungsstatus hat Russland auslaufen lassen und nicht verlängert. Damit hat rein rechtlich gesehen Kaliningrad die Möglichkeit sich der BRD anzuschließen. Tatsache ist jedoch, das aus diplomatischen Gründen die Bundesregierung dies nie eingefordert hat und auch nie entsprechende politische Bewegungen in der Exklave unterstützt hat. Ich weis nicht wann, aber irgendwann wird damit Deutschland den Anspruch verlieren, aufgrund des Gewohnheitsrechts im Völkerrecht. Das selbe Recht, das auch dazu führt das wir Frieden mit Ländern haben mit denen wir nie Frieden geschlossen haben.. wie Malta z.B. weil es politisch nicht tragbar wäre wenn ein Land wie Deutschland einen Friedensvertrag mit Malta schließt... oder San Marino, etc.
Ich bin Legastheniker. Wer also Rechtschreibfehler oder unklare Formulierungen findet, soll bitte versuchen die Grundaussage zu verstehen oder darf sie gerne behalten :)

Danke für euer Verständnis.