[Geschichte] Aufstieg des Dämonenkönigs

Die AAR der phantastischen Art...

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[Geschichte] Aufstieg des Dämonenkönigs

Beitragvon Mimir » 21. September 2014 01:43

Vor kurzem habe ich angefangen "Kamidori Alchemy Meister" zu spielen, eine Art Strategie/ Rollenspiel aus Japan vom Entwickler Eushully. In diesem Spiel gab es einen kleinen Randdialog, der in mir den Wunsch ausgelöst hat auch mal wieder einen AAR anzufangen... oder besser gesagt eine Geschichte. Es ist zwar kein AAR, aber ich denke mal, dass die Geschichte hier im Fantasy Bereich trotzdem gut aufgehoben ist. "Aufstieg des Dämonenkönigs" basiert also nicht auf einem Spiel oder sonstwas, es spielt in einer Welt, die ich mir zum Teil selbst ausgedacht habe, allerdings übernimmt diese Welt Elemente aus "Kamidori Alchemy Meister", so sind zum Beispiel die Alchemisten in dieser Geschichte an die Alchemisten aus dem Spiel angelehnt und auch sonst gibt es hin und wieder ein paar Gemeinsamkeiten. Die Geschichte wird sich um Thelios drehen, einen Erzengel der aus dem Himmelsreich verbannt wurde und nun auf Amtheon wandert, der Welt der sterblichen, auf der Suche nach einem Weg, der ihn in den Himmel zurückbringt. Das wars dann auch schon mit den Erklärungen, ich wünsche viel Spaß beim lesen

Personenregister (Öffnen)
Himmelsreich:
Asbael - Erzengel und rechte Hand von Azrael
Azrael - Erzengel und Anführer der Seraphim, Zwillingsbruder von Raphael
Lucifer - Engel und Teil der Cherubim, rechte Hand von Thelios
Lyaena - Engel und Teil der Cherubim
Muriela - Erzengel und ehemalige Anführerin der Seraphim, sie fiel im Kampf gegen die Dämonen
Nuvaz - Gott von Amtheon und Anführer der Engel
Raphael - Engel und Teil der Seraphim, Zwillingsbruder von Azrael
Remiel - Engel und Teil der Seraphim
Thelios - Ehemaliger Erzengel und Oberhaupt der Cherubim, jetzt ein gefallener Engel
Uriel - Erzengel und ehemalige Anführerin der Seraphim

Ahn' Sherov:
Asasel - Drache und treuer Weggefährte von Lilith
Asmodäus - Teufel und General der Dämonen
Astaroth - Leviathan und treuer Weggefährte von Astarte
Astarte - Teufel und General der Dämonen, niemand weiß
Behlez - Teufel und General der Dämonen, niemand weiß
Burkoth - Behemoth und treuer Weggefährte von Asmodäus
Lilith - Teufel und General der Dämonen
Sh'arkrul - Lamassu und Fürst von Drzhov
Shimurgh - Greif und treuer Weggefährte von Behlez
Venyaz - Succubi und Fürstin von Ez' Shenon
Veynlaz - Elf und Erzdämon, der für den Dunklen Krieg verantwortlich war

Menschen:
Aléon de Prucoix - Inquisitor des Heiligen Reichs
Aurica Vladion - Soldatin der Inquisition
Canea - Eine Heilige der Kirche des Nuvaz, sie sorgte für Frieden zwischen den Völkern von Dergnov
Feon de Lanceux - General des Heiligen Reichs und Teil der Inquisition
Naleya Armeogh - Alchemistin in Amderad
Temeria - Hänlderin in Amderad und Naleyas Freundin


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Re: [Geschichte] Aufstieg des Dämonenkönigs

Beitragvon Mimir » 21. September 2014 01:45

Prolog (Öffnen)
Prolog:


In der Mitte der drei großen Kontinente, welche den Hauptteil der Landmasse Amtheons bildeten, liegt ein gewaltiges Meer, das die Kontinente voneinander trennt und durch seine stürmische Natur und gefährlichen Einwohner die Reise zwischen den Kontinenten nahezu unmöglich macht. In der Mitte des Ozeans jedoch, praktisch in der Mitte der Welt, wird das Meer ruhiger und auch die meisten der Meeresräuber ziehen nicht bis dorthin, wodurch diese Gegend praktisch ein kleines Paradies inmitten des höllischen Ozeans ist. Dort liegen eine Reihe von großen und kleinen Inseln, welche den Einwohnern der Kontinente nur als 'Inselreiche' bekannt sind und eigentlich als Orte aus Legenden und Sagen gelten. Es gibt insgesamt fünf große Inseln und auf jeder, hat sich ein anderes Reich niedergelassen. Auf der kleinsten der Inseln, in der Mitte der anderen vier, ist die Heimat der Menschen und des Heiligen Reichs Demeor. Die Menschen waren, trotz ihrer kleinen Heimatinsel, das zahlreichste aller Völker der Inselreiche und hatten sich im Laufe der Jahre auch auf den anderen Inseln niedergelassen. Zwar konnten die Menschen so gut wie keine Magie nutzen, aber dafür haben sie etwas, in ihren Augen weit wertvolleres, erfunden; die Alchemie, welche bei anderen Völkern als eine Unterart der Magie gilt. Trotz eifriger Bemühungen der restlichen Völker war es nie einer der anderen Rassen gelungen, auch nur einen einzigen Alchemisten hervorzubringen, weshalb deren Errungenschaften und Erfindungen weiterhin etwas waren, auf dass ausschließlich das Heilige Reich Demeor zugriff hatte. In der Hauptstadt von Demeor befindet sich außerdem die Kathedrale des Nuvaz, dem Erbauer der Welt und dem einzig, wahren Gott von Amtheon. Es heißt, dass man von dieser Kathedrale aus mit den Einwohnern des Himmels kommunizieren kann, allerdings war dies bisher nur einer einzigen Person gelungen, einer jungen Alchemistin, die während des Dunklen Krieges von der Kathedrale aus Nuvaz um Hilfe angerufen hatte. Das Heilige Reich selbst wurde einst von einem Erzengel gegründet, der dann nach einigen Dekaden erneut in den Himmel aufstieg und die Herrschaft an einen jungen Mann abtrat, welcher zum ersten Paladin wurde. Seither herrschten die Menschen über die Kirche des Nuvaz, deren Glaube auf jeder der Inseln weit verbreitet war und beinahe jede Rasse folgte ihm. Eine Ausnahme bildete hier ein Großteil der Elfen, welche auf der nördlichen Insel lebten. Der Name dieser Insel lautete Thórvallen und war von Menschen größtenteils unberührt und unerforscht, lediglich die Elfen kannten sich hier aus, waren allerdings nicht allzu erpicht darauf die Geheimnisse ihrer Heimat mit den Menschen zu teilen. Allerdings lag dies nicht an Feindschaft oder Misstrauen zwischen den Völkern, sondern lediglich an der angeborenen Geheimnistuerei der Elfen. Und trotzdem hatten die Elfen sich letztendlich dazu bereit erklärt den Menschen etwas von ihrer eigenen Magie beizubringen; der Geisterbindung, durch die es dem Zauberer möglich war, Geister und Elementare zu loyalen Dienern zu machen. Seither verband die beiden Rassen eine tiefe Freundschaft und die Elfen waren die treuesten Verbündeten der Menschen, auch wenn die meisten von ihnen noch immer an ihre alten Götter glaubten. Weiterhin unterhielten sie äußerst gute Handelsbeziehungen, die Elfen waren geradezu verrückt nach den Waren der Alchemisten und die Menschen konnten einfach nicht auf die Gewürze und seltenen Rohstoffe Thórvallens verzichten. Misstrauen herrschte jedoch zwischen Demeor und den Einwohnern der östlichen Insel, deren Name Dergnov lautete und die war Heimat der Gnome, Zwerge, Goblins und Orks war. Die Gnome hatten jahrhundertelang Krieg mit den Goblins und Orks geführt, während die Zwerge untereinander heftige Bürgerkriege geführt hatten, Chaos herrschte auf Dergnov. Das alles änderte sich mit der Ankunft der Heiligen Canea, die eine Expedition Demeors auf die Insel führte. Ihr gelang es den Glauben an Nuvaz zu verbreiten und den Kämpfen ein Ende zu bereiten, seither herrschte Frieden auf Dergnov und den Menschen wurde ein Teil der Westküste zugesprochen, als Dank für ihre Hilfe. Trotzdem kam es immer wieder zu Reibereien zwischen den Völkern, wenn es auch nie zu ernsten Konflikten kam, und es gab auch einige Einwohner Dergnovs, die meisten von ihnen Orks und Zwerge, denen die Einmischung der Menschen überhaupt nicht gefallen hatte. Weit friedlicher und harmonischer ging es da schon auf der westlichen Insel zu; Corpheus. Hier lebten die Menschen bereits seit hunderten Jahren, zusammen mit den Ceruanern. Bei diesen handelte es sich um drei Meter große Menschen mit grauer Haut und den Füßen und Gesicht eines Elefanten. Sie waren äußerst friedliebend und waren hoch erfreut, als die Menschen auf ihre Insel kamen. Schon bald hatte sich eine tiefe Freundschaft zwischen den Völkern entwickelt und Handel blühte auf. Ebenso stand es mit Ahn' Sherov, dem südlichen Reich und Heimat der Dämonen. Viele Jahre lang verband Ahn' Sherov und die Menschen der Handel zwischen ihren Völkern, doch eines Tages änderte sich das alles. Ein Elf namens Veynlaz kehrte Thórvallen den Rücken und ließ sich auf der südlichen Insel nieder. Veynlaz war ein mächtiger Magier, der in Ahn' Sherov schnell Einfluss und Macht gewann, bis er sich eines Tages zum Erzdämon erklärte, zum Herrscher von Ahn' Sherov, ohne dass irgendjemand Einspruch erhob. Niemand dachte sich etwas dabei und viele waren von Veynlaz' Leistung beeindruckt. Dämonen und Elfen verstanden sich grundsätzlich nicht besonders gut, weshalb es wahrlich unglaublich war, dass ein Elf als Erzdämon anerkannt wurde. Die Rassen der Inselreiche dachten, dass unter Veynlaz' Herrschaft die Dämonen und Elfen sich einander annähern und endgültig feste Freundschaft zwischen allen Völkern herrschen würde. Diese Hoffnungen wurden jedoch schon bald zerschmettert, Veynlaz erklärte Krieg, nicht etwa gegen eines der Reiche, nein. Er erklärte Krieg gegen Nuvaz und dessen Diener, wodurch er sich jede einzelne Rasse zum Feind machte. Die vier Teufel, die besten und mächtigsten Dämonen von Ahn' Sherov, wurden mit ihren Bestien losgelassen und griffen die anderen Inselreiche an, jeder mit einer Legion von Dämonen unter seinem Kommando. Dergnov fiel unter dem unerbittlichen Ansturm von Lilith, ihrem Drachen Asasel, und Unmengen von Feuerelementaren und Höllenhunden. Thórvallens Verteidiger wurden von Behlez und seinem Greifen, Shimurgh, sowie einem Heer von Luftelementaren und Incubi zurückgedrängt. Auch Corpheus hatte Probleme, denn hier war Asmodäus mit seinem Heer aus Erdelementaren, Lamassu und seinem persönlichen Behemoth, Burkoth, gelandet. Am schwersten jedoch, traf es die Einwohner von Demeor. Sie mussten sich der Angriffe von Astarte und ihrem Leviathan Astaroth erwehren, die zusammen mit Wasserelementaren und Hydren eine Verwüstung anrichteten, die noch Dekaden später überall zu sehen war. Da die stärkste aller Teufel ihre Truppen nach Demeor führte vermuteten viele, dass die Vernichtung der Kathedrale des Nuvaz und der Fall von Demeor das Hauptziel des Erzdämons sei. Nach sieben Jahren des Kriegs, sah es letztendlich so aus, als wenn Veynlaz sein Ziel erreichen und seine Heerscharen die Inselreiche allesamt vernichten würden, als endlich die Erlösung kam. Über den Schlachtfeldern der vier Inseln erschienen goldene Portale im Himmel und die Legionen des Nuvaz griffen in die Kämpfe ein. Hunderte Engel, angeführt von den dreizehn Erzengeln, eilten den sterblichen Völkern zur Hilfe und stellten sich gegen die Dämonen. Auf Thórvallen stellten sich die Zwillinge Raphael und Azrael Behlez und Shimurgh entgegen, nachdem sämtliche Engel unter ihrem Kommando in der Schlacht gefallen waren. Es gelang ihnen Shimurgh zu erschlagen und seine Seele in einem Kristall einzusperren, den sie danach tief in den Wäldern Thórvallens versteckt haben. Behlez war gezwungen sich nach Ahn' Sherov zurückzuziehen und die Zwillinge wurden für ihren Mut in die Reihen der Seraphim erhoben, der Leibwache des Nuvaz. Die Ceruaner brauchten nicht einmal die Hilfe der Engel in der Schlacht, denn als sich das erste himmlische Portal öffnete, verschwanden Asmodäus und der Behemoth spurlos, aus Angst den Kriegern des Himmels gegenüberzutreten. Im Osten half Muriela, Anführerin der Seraphim, den Einwohnern von Dergnov dabei ihre Heimat zurückzuerobern, wurde jedoch in der letzten Schlacht von Lilith erschlagen. Trotzdem mussten sich auch Lilith und Astarte letztendlich in den Süden zurückziehen, denn dort führte Nuvaz persönlich eine Offensive gegen den Erzdämon und stürmte zusammen mit seinen Seraphim die Zitadelle von Veynlaz. Niemand weiß, was genau in der Zitadelle geschehen war, es ist lediglich bekannt, dass nur Nuvaz und der Erzengel Uriel die Zitadelle lebend verließen. Sie erzählten niemandem, was dort vorgefallen war, oder was mit Veynlaz und den Teufeln geschehen war. Uriel wurde für ihre Taten im Süden jedoch zur neuen Anführerin der Seraphim ernannt und der Dunkle Krieg kam zu seinem Ende. Nuvaz und seine Engel halfen den sterblichen Völkern noch zehn Jahre lang mit dem Wiederaufbau, ehe sie sich wieder in den Himmel zurückzogen und die jungen Rassen sich selbst überließen. Seit diesem Tag herrschte wieder Frieden auf den Inseln und die Inselreiche begangen wieder, sich langsam mit den Dämonen anzufreunden und ihnen ihre Taten während des Dunklen Kriegs zu vergeben. Dieser geriet in Vergessenheit und hunderte Jahre lang herrschte Frieden und Freundschaft, sowohl auf Amtheon, als auch im Himmelsreich. Es gab zwar noch immer vereinzelte Konflikte und kleinere Kriege, aber nichts, im Ausmaße des Dunklen Kriegs. Das sollte sich jedoch bald ändern. Die Welt stand erneut vor einem großen Krieg und einer gewaltigen Katastrophe, und alles nahm seinen Anfang auf der Insel Thórvallen...
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Re: [Geschichte] Aufstieg des Dämonenkönigs

Beitragvon Mimir » 23. September 2014 01:21

Kapitel 1 - Ein Himmlischer Auftrag (Öffnen)
Kapitel 1 – Ein Himmlischer Auftrag:


Amderad war eine kleine Ortschaft an der Südküste von Thórvallen und gehörte zu den neueren, menschlichen Siedlungen im Reich der Elfen. Sie existierte gerade einmal dreißig Jahre und war daher nicht besonders groß, es gab ein paar hundert Einwohner, die meisten von ihnen Fischer oder Steinarbeiter, aber auch einige Händler. Der 'Hafen' Amderads bestand aus zwei hölzernen Stegen, die ins Meer hinein führten und knapp zwei Dutzend Fischerbooten, die dort lagen. Eine hölzerne Palisade umringte die Ortschaft dort, wo es kein Meer als natürlichen Schutz gab und es gab insgesamt drei kleine Tore, die aus Amderad hinausführten. Das erste war im Osten und brachte einen direkt auf die Hauptstraße, die nach Panyeon führte, die größte Stadt der Menschen auf Thórvallen. Im Norden konnte man durch das Tor die Flüsterwälder erreichen. Dort gab es hin und wieder wilde Tiere, Gerüchten zufolge gar einige Monster, aber trotzdem wagten sich immer wieder mutige Menschen dorthin, um die seltenen Kräuter und Pflanzen zu sammeln, die dort wuchsen und auf die Heiler und Alchemisten niemals verzichten könnten. Das letzte Tor befand sich im Westen und führte direkt in Richtung eines großen Gebirges, wo sich der Steinbruch und die Mine befanden in denen die meisten Einwohner der Stadt ihr Geld verdienten. Das meiste Material, welches hier abgebaut wurde, verkaufte man an die Händler, die es wiederum in die größeren Städte brachten und dort weiterverkauften, aber ein Teil der Erze ging an die hiesige Schmiede oder die Alchemisten Werkstatt. Die Schmiede befand sich im Westen, ganz in der Nähe des Westtores und gehörte einem alten, freundlichen Mann, der schon seit der Gründung von Amderad hier lebte und als Schmied für die Ortschaft arbeitete. Er war äußerst beliebt bei den Einwohnern der Ortschaft und hatte viele Kunden, was man von der Alchemisten Werkstatt nicht gerade behaupten konnte. Diese lag im Norden von Amderad und war ein kleines Gebäude, das man leicht mit einem gewöhnlichen Wohnhaus hätte verwechseln können, wenn nicht ein Teil der Wand durch ein großes Fenster ersetzt worden wäre, durch das man in den Laden sehen konnte. Direkt hinter dem Fenster, waren einige Waren ausgestellt worden und über der Tür prangte ein großes Schild, auf dem 'Geöffnet' stand. In der Werkstatt selbst waren weitere Waren ausgestellt, ein paar Rüstungen und Waffen, aber hauptsächlich diverse Stoffe und Fläschchen mit seltsamen Flüssigkeiten. An der hintersten Ecke des Ladens gab es eine Tür, die in einen kleinen Gang führte, wo es wiederum zwei Treppen gab, eine führte nach unten, in die eigentliche Werkstatt, wo die Alchemisten ihre Waren herstellen und Experimente durchführen konnten, und die zweite führte nach oben, in den Wohnbereich der Werkstatt. Hinten an der Wand des Ladens stand außerdem ein Tresen, auf dem weitere Waren platziert worden waren und hinter diesem Tresen saß ein junges Mädchen, mit dem Kopf auf der Theke, und seufzte bereits seit mehreren Stunden vor sich hin. Sie hatte schulterlange, rote Haare und grüne Augen, gekleidet war sie in ein schwarzes, langärmeliges Hemd, über dem sie eine rote Weste aus Stoff trug, dazu kamen eine Lederhose und schwarze Lederhandschuhe. Am Tresen lehnte ein einfaches Schwert in seiner Scheide, die an einem Gürtel befestigt war. Bei dem Mädchen handelte es sich um Naleya Armeogh, der Alchemistin, der diese Werkstatt gehörte. Sie war vor kurzem erst siebzehn Jahre alt geworden und war somit erst seit etwas mehr als einem Jahr volljährig, auch wenn sie äußerlich bereits weit erwachsener aussah, als man von jemandem in ihrem Alter erwarten würde. Es war nun drei Jahre her, dass Naleyas Eltern gestorben waren und Naleya sich entschlossen hatte, nach Amderad zu ziehen. Ihre Eltern waren Priester in Panyeon gewesen, bis sie eines Tages bei einem Unfall ums Leben kamen. Eine Freundin von Naleya war zu dieser Zeit kurz davor, nach Amderad zu ihrer schwerkranken Tante zu ziehen und hatte Naleya angeboten, sie zu begleiten. Naleya nahm an und wohnte nun seit beinahe drei Jahren in dieser kleinen Ortschaft. Als sie noch in Panyeon gewesen war, hatte sie beinahe jeden Tag geübt und studiert um eines Tages eine Alchemistin zu werden. Vor einem Jahr war es dann soweit gewesen, sie bestand ihre Prüfung und wurde als echte Alchemistin anerkannt. Allerdings hatte sie darauf verzichtet ihre Werkstatt in Panyeon zu eröffnen und sich stattdessen entschlossen, sich in Amderad niederzulassen, ein gewaltiger Fehler, wenn sie so im Nachhinein darüber nachdachte. In so einer kleinen Gegend brauchte fast niemand einen Alchemisten, weshalb es nicht gerade viele Aufträge für Naleya gab, glücklicherweise konnte sie sich mit den wenigen Aufträgen die sie bekam geradeso über Wasser halten. Im Prinzip waren Alchemisten gewöhnliche Handwerker, die alles mögliche herstellten, von Waffen und Rüstungen, über Schmuck, bis hin zu Medizin und Farbstoffen. Der Unterschied, zu den anderen Handwerkern und Schmieden bestand darin, dass ein Alchemist Magie nutzen konnte, um seinen Arbeiten zu etwas ganz besonderen zu machen. Zum Beispiel konnten sie Magie in eine Waffe einweben, wodurch diese niemals rostete, oder sie konnten Kleider erschaffen, deren Farbe sich je nach den Gefühlen, die ihr Träger verspürte, veränderte. Leider brauchten die Einwohner von Amderad weder Waffen, wenn man einmal von der kleinen Stadtwache absah, noch irgendwelche eleganten Kleider, sie interessierten sich lediglich für die praktischen Dinge im Leben, und Naleya verfluchte sie dafür. Allerdings musste sie sich eingestehen, dass sie wahrscheinlich ohnehin nicht dazu in der Lage gewesen wäre, solche Wunderwerke der Alchemie zu erschaffen. Sie war schon immer eher mittelmäßig, wenn es um Magie ging, sie hatte eigentlich schon Glück, dass sie überhaupt zur Alchemistin ernannt worden war, wenn sie es sich recht überlegte. Plötzlich öffnete sich die Tür zum Laden und eine kleine Glocke läutete, woraufhin Naleya aus ihren depressiven Gedanken aufgeschreckt wurde und mit einem strahlenden Lächeln den Kopf hob.
„Willkommen! Wie kann ich... ah... du bist es.“ Naleyas gute Laune verflog so schnell wie sie gekommen war und sie seufzte, als sie sah, wer da in ihren Laden geschneit war. Es war Temeria, Naleyas beste Freundin und eine Händlerin in Amderad. Temeria hatte lange, blonde Haare und blaue Augen. Heute trug sie ein einfaches, blaues Stoffhemd, über dem sie einen schlichten, braunen Mantel trug, sie lächelte Naleya freundlich an.
„Ich wünsche auch dir einen wunderschönen Morgen, Naleya.“
„Ja... guten Morgen Temeria.“ murmelte Naleya und stützte ihren Kopf auf einer Hand ab, während sie fortfuhr. „Ich hatte schon gedacht, dass sich endlich mal ein Kunde hierher verirrt hat, aber ich bezweifle, dass du heute ausnahmsweise mal etwas kaufen willst.“
„Tut mir leid, aber ich bin aus einem anderen Grund hier.“
„Das dachte ich mir schon.“ Naleya seufzte noch einmal, ehe sie mit beiden Händen auf den Tisch schlug und aufsprang. „Verdammt noch mal!“ rief sie und sah äußerst wütend aus. „Warum kommt nie jemand zu mir, um etwas zu kaufen? Dauernd fragen mich Leute, wie es mir geht und ob ich zurechtkomme, aber niemand kauft etwas! Warum?“
„Vielleicht...“ begann Temeria zögernd, brach jedoch ab, wahrscheinlich um ihre Freundin nicht zu verletzen. Diese ließ jedoch nicht locker, jetzt wo Temeria einmal angefangen hatte.
„Vielleicht was? Weißt du, woran es liegen könnte? Bitte sage es mir! Ist die Qualität meiner Waren zu schlecht? Ich wusste es! Daran liegt es, oder? Ich muss wirklich härter arbeiten und besser werden...“ Naleya plapperte vor sich hin und schien ziemlich aufgelöst zu sein, weshalb Temeria ihr gegen die Stirn schnipste, woraufhin die Alchemistin verstummte.
„Es liegt nicht an der Qualität der Waren, Naleya, sondern an den Waren selbst. Sieh dich doch einmal um.“ meinte sie und deutete auf die verschiedenen Dinge im Laden. „Hier draußen braucht niemand Waffen oder Rüstungen, oder diese seltsamen Färbemittel, selbst Medizin wird selten benötigt. Die Leute wollen Werkzeuge und andere, nützliche Sachen, die sie für ihre Arbeit verwenden können.“
„Aber das ist so langweilig.“ antwortete Naleya und verzog das Gesicht woraufhin Temeria lachte.
„Mag sein, aber so ist das Leben in einer kleinen Ortschaft nun einmal. Du hättest nach Panyeon ziehen sollen, wenn du Aufregung und Spannung haben willst.“
„Ich weiß.“ seufzte die Alchemistin und rieb sich müde die Augen. „Wie geht es deiner Tante?“ fragte sie schließlich und ging zum Tresen, wo sie eine Schublade öffnete.
„Es geht ihr immer besser.“ antwortete Temeria mit einem Lächeln. „Die Medizin, die du uns gegeben hast wirkt, sie kann vielleicht schon bald wieder das Haus verlassen.“
„Freut mich zu hören.“ meinte Naleya und lächelte ebenfalls, während sie Temeria ein Fläschchen mit einer grauen Flüssigkeit gab. „Hier, nimm noch eine davon mit. Euer Vorrat sollte bald zuende gehen.“
„Vielen Dank, wie viel...“
„Gar nichts.“ Temeria seufzte.
„Und du wunderst dich, warum Leute bei dir nichts kaufen? Du willst doch gar kein Geld.“
„Das stimmt nicht! Aber... ich kann doch nicht Geld für Medizin verlangen! Außerdem habt ihr zwei so viel für mich getan, wenn überhaupt schulde ich euch etwas.“
„Wie hast du nur jemals die Prüfung bestanden? Ich dachte immer, als Alchemist muss man gierig und hinterlistig sein.“ meinte Temeria scherzend, während sie Naleya die Medizin abnahm.
„Was glaubst du, warum ich so schlecht abgeschnitten habe?“ fragte Naleya und lachte.
„War das nicht, weil du dich verschlafen hast, und deswegen die Hälfte der schriftlichen Prüfung nicht ablegen konntest?“ Naleya zuckte bei den Worten ihrer Freundin zusammen und wandte den Blick ab, während sie ein wenig rot anlief. Das ganze war ihr noch immer ziemlich peinlich. Nun war es an Temeria zu lachen. „Trotzdem, es ist beeindruckend, dass du bestanden hast, obwohl du kaum etwas im schriftlichen Teil geleistet hast. Du musst die Prüfer im praktischen Teil wirklich von deinem Talent überzeugt haben.“
„Ach, das war nur Glück.“ murmelte Naleya, sie konnte nicht gut mit Lob umgehen und Temeria wusste das, deswegen wechselte sie auch schon das Thema.
„Natürlich. Aber gut, lassen wir das, ich bin schließlich nicht nur zu dir gekommen um mich mit dir zu unterhalten.“
„Nicht? Warum denn noch?“
„Um dir etwas zu sagen. In sechs Tagen kommt die Hámmeth-Karawane nach Amderad.“
„Wirklich?“ fragte Naleya und ihre Augen strahlten förmlich. Die Hámmeth-Karawane war eine riesige Ansammlung von Händlern, die meisten von ihnen Elfen, die durch alle Inselreiche zogen und in jeder noch so kleinen Siedlung handelten, immer auf der Suche nach etwas neuem, oder auch nur etwas, dass ihnen gefiel. Es würde das erste mal sein, dass die Karawane nach Amderad kam und für Naleya wäre es eine große Chance, endlich einige ihrer Waren zu verkaufen. Da die Karawane viele wertvolle Dinge mit sich führte, mussten sie sich verteidigen können und deswegen brauchten sie eigentlich immer Waffen und Rüstungen. Wenn sie Naleyas Arbeiten also als gut befanden, dürfte es kein Problem sein, ihnen etwas zu verkaufen.
„Ja, ich habe heute davon erfahren. Sie werden Morgen aus Panyeon abreisen und uns aufsuchen. Danach werden sie die Flüsterwälder durchqueren und in ihre Heimat zurückkehren, ehe sie dann erneut nach Panyeon reisen, um die nächste Reise über die Inseln zu beginnen.“ Temeria schien kurz über etwas nachzudenken, ehe sie sich wieder an Naleya wandte. „Ach ja, wirst du in nächster Zeit in den Wald gehen?“
„Was? Die Flüsterwälder? Ja, ich muss wieder Zutaten sammeln, warum?“
„Sei vorsichtig, es heißt, dass in letzter Zeit seltsame Dinge im Wald geschehen. Gestern erst ist ein Trupp der Inquisition in den Wald gezogen, zwei Dutzend Mann und keiner weiß warum.“ Naleya schluckte nervös. Die Inquisition war die absolute Elite des Heiligen Reichs. Es war nicht nur ungewöhnlich, dass sie sich in der Nähe einer so unwichtigen Siedlung wie Amderad befanden, es war auch äußerst beunruhigend, dass sie in so großer Zahl unterwegs waren. Immerhin gehörten sie zu den besten Kämpfern Demeors, was könnte dort im Wald lauern, dass die Aufmerksamkeit von gleich zwei Dutzend von ihnen verlangte?
„Danke für die Warnung, ich werde vorsichtig sein.“ meinte Naleya und stand auf. „Auch wenn ich mich frage, warum die Inquisition hier ist.“
„Vielleicht hängt es mit den Aufständen zusammen. Weißt du nicht mehr? Erst vor kurzem hieß es, einige Rebellen könnten sich in den Flüsterwäldern niedergelassen haben.“ Naleya verzog leicht das Gesicht, das hatte sie tatsächlich vergessen.
„Die Rebellen sind auch so eine Sache... wie kann man nur einfach so gegen die Kirche vorgehen?“
„Das ist ja gerade das seltsame, niemand weiß, warum die Rebellen so handeln, wie sie es nun einmal tun. Das einzige, was sie uns wissen lassen, ist dass sie Nuvaz nicht als Gott akzeptieren und seine Kirche absetzen wollen.“ Naleya strich sich kurz nachdenklich durchs Haar. Die Rebellen nannten sich selbst 'Der Kult des Gefallenen' und sie waren sehr gut organisiert und ausgerüstet, auch wenn die Kirche das Gegenteil behauptete. Naleya hatte zwar keine Ahnung von der ganzen Sache, aber sie war sich ziemlich sicher, dass es so sein musste, denn trotz allem was die Priester und Bischöfe sagten, errang der Kult in letzter Zeit immer mehr Siege, gegen die Truppen der Kirche. Schließlich seufzte die Alchemistin und griff nach ihrem Schwert, es brachte ja doch nichts, sich darüber Gedanken zu machen.
„Noch einmal danke dafür, dass du mich von der Karawane informiert hast. Ich werde mich dann mal daran machen, ein paar Zutaten zu sammeln.“
„Willst du etwa heute schon in den Wald?“
„Natürlich, je eher, desto besser, oder nicht?“
„Ach, das kann doch bis Morgen warten, die Zutaten werden dir schon nicht wegrennen.“ sagte Temeria mit einem Lächeln. „Wie wäre es, wenn wir heute zusammen etwas essen gehen? Du hast in letzter Zeit so viel gearbeitet, dass ich kaum mit dir reden konnte.“ Naleya überlegte kurz, nickte dann jedoch.
„In Ordnung, gehe ich eben Morgen in den Wald. Wollen wir gleich los?“
„Von mir aus können wir... obwohl, wir müssten erst bei meiner Tante anhalten, ich will ihr die Medizin geben und außerdem muss ich mir noch etwas anderes anziehen.“
„Kein Problem, ich kann warten... oh, ich muss nur daran denken, den Laden abzuschließen. Du bezahlst, nicht wahr?“
„Ich... was?“
„Du hast mich eingeladen, Temeria! Da wirst du doch wohl bezahlen.“ Die Händlerin seufzte, lächelte dann jedoch.
„Nun gut, dieses eine mal kann ich bezahlen, als Dank für die Medizin.“ Miteinander redend verließen die beiden Freundinnen die Werkstatt. Zu diesem Zeitpunkt wusste Naleya noch nicht, wie sehr die Entscheidung, an diesem Tag essen zu gehen, ihr Leben verändern würde.



Die Sonne war gerade aufgegangen und beleuchtete eine große Lichtung inmitten des Waldes, wo sich eine kleine Herde Rehe befand. Bis zu diesem Zeitpunkt war es ein ruhiger Morgen gewesen, doch nun schreckten die Tiere plötzlich auf, spitzten die Ohren, und flüchteten von der Lichtung, in das Nahe Dickicht des Waldes. Es dauerte auch nicht lange, bis auf der gegenüberliegenden Seite das erschien, was die Rehe verschreckt hatte, eine Gruppe von Menschen und Engeln betraten die Lichtung und sahen sich vorsichtig um. An der Spitze der Gruppe gingen ein Dutzend Menschen, gekleidet in scharlachrote Rüstungen mit goldenen Verzierungen und roten Umhängen. Auf dem Kopf trugen sie einen ebenfalls roten Helm mit Nasen- und Wangenschutz, auf denen sich goldene Linien schlängelten. Aus dem Helm ragte eine lange, weiße Feder in die Luft und wehte in der leichten, morgendlichen Brise hin und her. Die Hälfte von ihnen war mit aufwendig verzierten Partisanen bewaffnet, während die andere Hälfte schwere Armbrüste in den Händen hielt, alle trugen jedoch schwere Rucksäcke auf den Rücken, in dem sich Proviant für ihre lange Reise befand. Alle Soldaten sahen sich aufmerksam um und gingen äußerst langsam und vorsichtig voran, sehr zum Missfallen des Mannes der ihnen folgte und sich in Gesellschaft von vier Engeln befand. Die Engel trugen weiße Plattenrüstungen und große, spitze Helme, sie alle hatten zwei Flügelpaare auf dem Rücken und trugen verzierte Hellebarden, die mit der Spitze in die Luft zeigten. Zwei der Engel waren weiblich und hatten lange, blonde Haare und graue Augen, während die Haare der männlichen Engel braun und schwarz waren, während ihre Augen blau zu leuchten schienen. Der Mensch, der mit ihnen ging, war ein junger Mann mit edlen Gesichtszügen und kurzen, braunen Haaren. Er trug ebenfalls eine der scharlachroten Rüstungen, jedoch mit aufwendig verzierten Schulterplatten und ohne Helm, an seiner Hüfte ruhte eine schwarze Schwertscheide, aus der ein Griff ragte, in den ein Rubin eingearbeitet war. Bei dem jungen Mann handelte es sich um Feon de Lanceux, dem jüngsten General in der Geschichte der Kirche und einem angesehenen Mitglied der Inquisition. Umso mehr ärgerte es ihn, dass gerade er diesen Auftrag erhalten hatte und er verfluchte innerlich seine Vorgesetzten, während er sich gelangweilt umsah. Hinter ihm und den Engeln kamen zwei weitere Menschen, die eine schlichte, schwarze Truhe trugen, dann folgten zehn weitere Krieger in roter Rüstung, die sich ebenso aufmerksam umsahen, wie die an der Spitze.
„Ihr seht... unruhig aus, General Lanceux.“ erklang eine emotionslose Stimme, direkt neben Feon, woraufhin dieser sich umwandte. Es war der Engel mit schwarzem Haar, der ihn angesprochen hatte.
„Ich würde nicht sagen, dass ich beunruhigt bin, Lord Remiel.“ meinte Feon und zuckte mit den Schultern. „Nur ein wenig unzufrieden, dass ist alles.“
„Unzufrieden?“ fragte der Engel und zog überrascht eine Augenbraue in die Höhe. „Ihr habt die Gelegenheit unter den Seraphim zu dienen, im direkten Auftrag Eures Gottes. Was daran, stimmt Euch unzufrieden?“
„Oh, es ist selbstverständlich eine Ehre, dass man mir dermaßen vertraut und mir eine so... wichtige Aufgabe gibt.“ begann Feon, seufzte dann jedoch. Er konnte einfach nicht so tun, als wäre er begeistert von der ganzen Sache. Trotzdem traute er sich nicht ganz, seine Meinung zu sagen, er würde es am liebsten vermeiden, mit einem Engel zu streiten, alleine schon, weil es so unglaublich selten war, einen auf Amtheon wandern zu sehen. Feon war äußerst überrascht gewesen, als eines Tages vier Engel in seinem Hauptquartier aufgetaucht waren und ihm sagten, sie hätten eine wichtige Aufgabe, für die Inquisition und dass die Großinquisitoren Feon als geeigneten Kandidaten vorgeschlagen hatten. Remiel schien zu ahnen, dass Feon innerlich mit sich rang und lächelte nachsichtig.
„Macht Euch keine Sorgen, nichts was Ihr sagt, könnte mich beleidigen. Sprecht ruhig Eure Meinung, ich bin mir sicher, es wäre für uns alle das beste.“
„Nun gut, wenn Ihr das sagt.“ meinte Feon, machte eine kurze Pause und sprach dann endlich aus, was ihm seit Beginn der Reise gestört hat. „Wie gesagt, ist es mir eine große Ehre, dass man mir so viel Vertrauen entgegenbringt, aber mir erschließt sich einfach nicht der Sinn, hinter der ganzen Aktion. Die Truhe hat beinahe zwanzig Jahre unberührt in der Kathedrale von Panyeon gelegen, niemand hatte sich je für sie interessiert. Warum also ist es so wichtig, sie ausgerechnet jetzt von dort fortzuschaffen? Und dann auch noch in ein geheimes Kloster, von dem nur die wenigsten wissen?“ Remiel ließ Feon ausreden und musterte ihn eine Weile, ehe er antwortete. Als er es schließlich tat, schwang in seiner Stimme ein freundlicher Unterton mit, auch wenn seine Augen so kalt wie zuvor waren.
„Es stimmt, die letzten zwanzig Jahre hatte sich niemand für die Truhe interessiert... nein, so ist das nicht richtig. Die letzten zwanzig Jahre wussten diejenigen, die sich für die Truhe interessieren nicht, wo sie sich befand. Das hat sich jetzt geändert. Die Rebellen... dieser Kult des Gefallenen, wie sie sich nennen, Ihr Aufstand begann vor knapp einem halben Jahr, nicht wahr?“ Feon nickte, dachte kurz nach und runzelte dann misstrauisch die Stirn.
„Lord Remiel? Wenn ich mich nicht irre... vor einem halben Jahr gab es doch auch einen Zwischenfall im Himmelsreich, nicht wahr? Wir haben nur Gerüchte gehört, aber es heißt, es gab einen...“
„Was auch immer Ihr gehört habt, es entspricht nicht der Wahrheit.“ schnitt Remiel ihn ab, mit freundlicher Stimme, allerdings mit einem Blick der zu sagen schien, dass Feon die Sache auf sich beruhen lassen sollte. Der General schluckte eine Erwiderung hinunter und nickte lediglich. „Gut, zurück zum Thema. Der Aufstand begann vor einem halben Jahr und eines der ersten Opfer der Rebellen, war ein Kloster auf Corpheus. Dort gelangten die Aufständischen in den Besitz einiger, für sie wichtiger, Informationen, unter anderem haben sie herausgefunden, dass die Truhe sich in Panyeon befand. Deswegen ist es wichtig, sie so schnell wie möglich an einen sichereren Ort zu schaffen.“ meinte Remiel.
„Und irgendein kleines Kloster ist sicherer, als Panyeon?“ Man konnte Feon deutlich ansehen, dass er ziemlich skeptisch war, was Remiel ein glockenhelles Lachen entlockte.
„Allerdings. Wir haben bereits vorgesorgt. Ein Dutzend Seraphim befindet sich schon seit mehreren Wochen im Kloster und ist bereit, die Truhe zu beschützen, sobald sie angekommen ist.“ Feon erstarrte, und sorgte somit fast dafür, dass die Träger der Truhe in ihn hineinliefen.
„Ein Dutzend Seraphim? Zusätzlich, zu den Kriegern, die das Kloster bereits bewachen? Was transportieren wir hier eigentlich?“ fragte er und warf einen neugierigen Blick auf die Truhe. Er hatte eigentlich mit etwas langweiligem und wertvollen gerechnet, irgendeine Reliquie vielleicht, die aus Angst der Anführer der Kirche heraus viel zu gut bewacht wurde. Aber nun glaubte Feon langsam, dass es sich um etwas weit gefährlicheres handeln könnte. Die Seraphim waren praktisch die Leibwache des Nuvaz, sie gehörten zu den schlagkräftigsten Kriegern, die es im Himmelsreich gab, wenn ein Dutzend von ihnen abgestellt wurde, um eine Truhe zu bewachen, musste sich wirklich etwas unglaublich wichtiges in ihr befinden. Das bestätigte ihm auch der Blick, den sich die Engel zuwarfen, ehe Remiel den Kopf schüttelte.
„Das braucht Ihr nicht zu wissen... nein, es ist sogar besser, wenn Ihr es nicht wisst. Ihr würdet es nicht verstehen können. Die meisten von uns verstehen es selbst noch immer nicht.“ murmelte der Engel, mehr zu sich selbst, als zu Feon. Diesen hatten die gemurmelten Worte jedoch nur noch neugieriger gemacht.
„Was versteht Ihr selbst nicht?“
„Nun...“ Remiel zögerte und tauschte einen weiteren Blick mit den anderen Engeln, die lediglich leicht mit den Schultern zuckten. „Ich schätze, ich kann Euch zumindest ein wenig erzählen. Vor beinahe zwanzig Jahren gab es einen schrecklichen Zwischenfall im Himmelspalast. Ein Erzengel hat den Verstand verloren, durch Einfluss von dämonischer Magie, so heißt es zumindest. Er hat viele Engel ermordet und Forschungen an ihren Leichen durchgeführt. Der Engel wurde für seine Taten bestraft und seine Bücher, in denen er seine Forschungsergebnisse aufgezeichnet hatte, wurden beschlagnahmt. Mehr braucht Ihr nicht wissen.“
„Oh... also transportieren wir die Forschungsergebnisse des verrückten Engels?“ Feon erhielt keine Antwort und seufzte lediglich, er hatte auch nicht wirklich damit gerechnet. „Könnt Ihr mir zumindest sagen, was Ihr an der ganzen Sache nicht versteht?“
„Der Erzengel in Frage, war ein uralter Veteran, einer der ältesten Engel, die es gab. Er war im Dunklen Krieg dabei gewesen, deswegen kann ich einfach nicht verstehen, wie dämonische Magie ihm dermaßen zusetzen konnte.“ Remiel schüttelte den Kopf und seufzte. „Es wird einfach nicht besser, erst Lord Thelios und jetzt auch noch Lady...“ Er riss die Augen auf, als ihm bewusst wurde, was er da gerade gesagt hatte und verstummte, ehe er Feon einen strengen Blick zuwarf. „Ihr werdet niemandem sagen, was Ihr heute hier gehört habt, verstanden?“
„Natürlich, Lord Remiel. Wir wollen schließlich nicht, dass die Leute anfangen an der Heiligkeit der Engel zu zweifeln.“ meinte Feon, mit einem Grinsen, woraufhin Remiel das Gesicht verzog.
„Ein wenig mehr Respekt und Ergebenheit gegenüber dem Heiligen könnte Euch durchaus guttun, General.“
„Verzeiht mir, Lord Remiel. Ich wollte keinesfalls respektlos erscheinen.“ sagte Feon und deutete eine Verbeugung an. „Aber Ihr müsst zugeben, dass es beim einfachen Volk Zweifel sähen könnte, wenn sie herausfinden, dass Engel von dämonischer Magie beeinflusst werden können. Das könnte einigen... zwielichtigen Gruppierungen zu Gute kommen.“ Feon zögerte kurz, ehe er sich entschloss eine weitere Frage zu stellen. „Ähm... Lord Remiel?“ Der General war nun schon deutlich nervöser als vorher. Wenn er nicht aufpasste, könnte man seine nächste Frage durchaus als Ketzerei auslegen.
„Was gibt es denn noch, General?“
„Nun... in den letzten Jahren haben sich die Naturkatastrophen rund um die Inselreiche gehäuft. Es heißt, das ganze fing ein paar Jahre vor meiner Geburt an. Ich habe aber gelernt, dass Nuvaz die Inselreiche gesegnet hat und sie dadurch vor Erdbeben, Überflutungen und so weiter geschützt sind. Wie kann es also sein, dass sowas in letzter Zeit immer häufiger vorkommt?“ Zu Feons Überraschung sah Remiel nicht verärgert oder misstrauisch aus, sondern... besorgt? Der Engel biss sich auf die Lippe und wandte den Blick ab, ehe er leise eine Antwort flüsterte.
„Das wissen wir auch nicht. Die Cherubim sind seit Jahren damit beschäftigt, eine Antwort zu finden, aber sie kommen einfach nicht zu einem Ergebnis.“ Damit fand das Gespräch ein Ende und Feon sowie Remiel gingen ihren eigenen Gedanken nach, während sie endlich die Hälfte der Lichtung erreichten. Die Cherubim waren eine weitere Gruppierung der Engel, von denen es hieß, dass sie über die zahlreichen Bibliotheken des Himmels wachten und eine Art Forscher waren, die versuchten die Geheimnisse der Magie und der Welt zu entschlüsseln. Plötzlich verkrampfte sich Feon und hielt an, ein kurzer Blick zur Seite zeigte ihm, dass Remiel ebenfalls etwas gespürt hatte.
„Vorsicht Männer, ich...“ begann Feon, kam jedoch nicht weiter. Die Luft wurde plötzlich von einem Sirren erfüllt und dutzende Pfeile gingen auf den Trupp der Inquisition nieder. Die meisten Geschosse prallten von den Rüstungen der Soldaten ab, aber zwei Pfeile bohrten sich in den Hals einer Armbrustschützin direkt vor Feon, die gurgelnd zu Boden ging. Remiel rief einen Befehl in einer Sprache, die Feon nicht verstand und der Engel mit den braunen Haaren rannte nach vorn, so schnell, dass Feon seinen Bewegungen kaum folgen konnte. Der Engel blieb vor den Soldaten stehen und streckte seine linke Hand nach vorn, woraufhin eine goldene Rune in der Luft erschien, die dafür sorgte, dass die nächste Salve von Pfeilen in der Luft hängen blieb und kurz darauf wirkungslos zu Boden fiel. Die Soldaten brauchten keine Befehle von Feon um zu wissen, was sie zu tun hatten. Diejenigen unter ihnen, die mit Partisanen bewaffnet waren gingen in die Knie und richteten die Spitzen ihrer Waffen in Richtung des Waldes, während die Armbrustschützen hinter ihnen Aufstellung nahmen und in den Wald ziehen. Der braunhaarige Engel zog sich langsam ebenfalls hinter die Krieger mit den Partisanen zurück, während er wachsame Blicke auf den Waldrand warf. Eine weitere Salve von Pfeilen fiel wirkungslos vor den Männern und Frauen der Inquisition zu Boden, woraufhin etwas im Gebüsch vor ihnen raschelte. Kurz darauf stürmten knapp drei Dutzend Gestalten aus dem Wald und hielten auf die Reihen der Inquisition zu. Die meisten Angreifer trugen schlichte Kleidung und hatten einfache Speere und Äxte, aber Feon erkannte auch knapp ein halbes Dutzend unter ihnen, die jeweils zwei Kurzschwerter in den Händen hielten und schwarze Lederrüstung trugen, sowie ein Tuch, das ihre Gesichter verdeckte. Die spitzen Ohren ließen keinerlei Raum für Zweifel, Elfen gehörten zu den Angreifern, was zumindest erklärte, warum die Angreifer einen so geschickten Hinterhalt legen konnten. Wenn Feon nicht mit der Elite der Kirche hier wäre, die sowohl die beste Ausbildung als auch die beste Ausrüstung hatte, wären nach den ersten Salven wohl ein gutes Dutzend Männer zu Boden gegangen... nun gut, die Engel hatten auch geholfen, aber Feon war sich ziemlich sicher, auch ohne deren Hilfe mit der Situation zurechtzukommen.
„Feuer!“ rief Remiel, ehe Feon etwas sagen konnte, woraufhin dieser das Gesicht verzog und den Engel missmutig ansah. Es gefiel ihm nicht, dass der Seraphim den Befehl über die Soldaten übernahm, aber andererseits war er derjenige von ihnen, der über Jahrzehnte Kampferfahrung verfügte, weshalb der General nicht protestierte, als seine Männer abdrückten und ihre Bolzen in die anstürmenden Feinde jagten.
„Worauf wartet ihr noch? Bewegt euch gefälligst und helft den...“ begann Feon und drehte sich zu den Soldaten um, die hinter ihm waren, als plötzlich Schatten auf die Lichtung fielen und die Soldaten in den Himmel deuteten und panische Rufe hören ließen. Feon hob seinen Blick gerade rechtzeitig, um einen Schritt nach hinten zu springen und einem Schwertschlag auszuweichen, der direkt auf seinen Kopf gezielt hatte. Mit einer schnellen Bewegung zog er sein Schwert, dessen Klinge ebenso schwarz war wie die dazugehörige Scheide, und richtete sich auf, um seinem Gegner gegenüberzutreten. Gerade, als er zum Angriff übergehen wollte versteinerte er förmlich und starrte seinen Angreifer ungläubig an. Vor ihm stand ein weiblicher Engel, in schlichter, schwarzer Kleidung und richtete eine goldene, gezackte Klinge auf ihn. Begleitet wurde sie von fünf weiteren Engeln, die inzwischen die Seraphim und Soldaten der Inquisition im Kampf gebunden hatten. Was ging hier vor sich? Warum wurden sie von Engeln angegriffen? Feon warf einen Blick auf die vier Flügelpaare seines Gegners und seine Verwirrung stieg nur noch weiter. Sie waren von einem reinen weiß, also handelte es sich auch nicht um gefallene Engel, von denen man hin und wieder in Legenden hörte, also waren seine Feinde tatsächlich ganz gewöhnliche Engel! Und nicht nur das, anhand der Anzahl der Flügel konnte man erkennen, dass es sich um einen ziemlich alten und mächtigen Engel handeln musste. Ehe der General noch weiter über die Situation nachdenken konnte, schoss sein Gegner nach vorn und Feon gelang es geradeso die Hiebe des Engels zu parieren, an einen Gegenangriff war jedoch nicht zu denken. Dann wandte die Engelsfrau jedoch kurz den Blick zur Seite und streckte einen der Träger nieder, die inzwischen die Truhe abgestellt hatten. Dadurch war sie einen Augenblick abgelenkt und Feon ging zum Angriff über. Die Frau wich mit einer schnellen Drehung aus, weshalb das Schwert des Generals sich lediglich in ihre Schulter bohrte und nicht, wie beabsichtigt, in die Brust. Die Engelsfrau riss vor Überraschung die Augen auf, zog dann jedoch die Klinge des Generals aus ihrer Wunde und schlug ihrerseits nach ihm. Der Angriff kam viel zu schnell für Feon und hätte ihn wohl enthauptet, wenn Remiel nicht plötzlich vor ihm erschienen wäre und den Schlag abgefangen hätte.
„Ihr habt gute Arbeit geleistet, General.“ meinte Remiel, in dessen Stimme eine nervöser Unterton mitschwang, während er und die beiden weiblichen Engel sich der Engelsfrau mit dem goldenen Schwert näherten und sie umringten. „Aber jetzt passt auf die Truhe auf, dieser Kampf ist nichts für Euch. Ihr könnt schon froh sein, überhaupt solange gegen einen Erzengel bestanden und sie auch noch verletzt zu haben.“
„Erzengel? Das kann doch nicht...“ weiter kam Feon nicht, denn einer der anderen, feindlichen, Engel hatte gerade den zweiten Träger niedergestreckt und kniete nun vor der Truhe. Dem Engel gingen seine langen, braunen Haare bis zum Rücken und seine Flügel schienen silbern zu schimmern. Der silberflügelige Engel schloss die Augen und begann irgendwelche seltsamen Worte zu murmeln, während eine Engelsfrau mit blonden Haaren sich Feon in den Weg stellte und eine Hellebarde auf ihn richtete. Der General zögerte nur kurz, dann ging er zum Angriff über. Er merkte schnell, dass dieser Engel bei weitem nicht so stark war, wie der, mit dem er eben gekämpft hatte. Ihre Bewegungen waren nicht so schnell und sie schien nicht ganz so erfahren zu sein, trotzdem war sie ein ebenbürtiger Gegner für Feon, der sein gesamtes Können abrufen musste, um mit ihr mithalten zu können. Er parierte gerade einen Stoß der Hellebarde, als die Frau einen Schritt auf ihn zuging und ihm mit ihrer Faust gegen die Brustplatte schlug. Eigentlich hätte so ein Angriff keinerlei Wirkung gehabt, allerdings leuchtete ihre Faust golden auf, kurz bevor sie das Metall traf und Feon wurde mehrere Schritte nach hinten geschleudert, wo er auf dem Boden liegen blieb und benommen versuchte sich aufzurichten. Auf einmal hörte Feon einen triumphierenden Ruf, vom Engel der vor der Truhe kniete, dann gab es ein helles, goldenes Leuchten und eine unsichtbare Kraft traf den General, der es gerade geschafft hatte sich aufzurichten, und schleuderte ihn wieder zu Boden. Es dauerte eine ganze Weile, ehe Feon wieder mehr sehen konnte, als helle Lichtflecken die direkt vor ihm zu schweben schienen, dann richtete er sich jedoch auf und sah sich um. Ein Großteil der Angreifer lag tot auf der Lichtung, darunter zwei der feindlichen Engel, allerdings keiner der Elfen, zumindest soweit Feon das beurteilen konnte. Die Hälfte seiner Soldaten war entweder tot oder verletzt und der braunhaarige Engel, der Remiel begleitet hatte, lag ebenfalls tot auf dem Boden. Remiel selbst, und die beiden weiblichen Seraphim, stützten sich auf ihre Waffen und bluteten aus zahlreichen Wunden. Von den restlichen Angreifern war keine Spur zu sehen. Feons Blick wanderte zur Truhe und er keuchte entsetzt auf, als er sah, dass sie geöffnet war. Er wollte gerade zur Truhe hinüber gehen, als sein rechtes Bein nachgab und er zu Boden fiel. Plötzlich schossen starke Schmerzen durch sein Bein und er sah an sich hinunter, was er sogleich bereute. Aus seinem Knie ragte ein langer, dicker Holzsplitter und sorgte dafür, dass er das Bein kaum bewegen konnte, ohne extreme Schmerzen zu verspüren.
„Bleibt liegen, General.“ meinte Remiel mit müder Stimme und näherte sich Feon. „Ihr habt getan, was Ihr konntet.“
„Was ist... mit der Truhe?“ presste Feon zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, woraufhin Remiels Miene sich verdüsterte.
„Leer, sie haben den Inhalt an sich genommen und sind abgehauen.“ Feon verzog ebenfalls das Gesicht, woraufhin Remiel ihn schwach anlächelte. „Macht Euch keine Vorwürfe, General. Wir hatten nicht erwartet, dass sie hier sein würde. Ihr könnt nichts dafür.“ Nach diesen Worten wandte er sich ab und nickte den anderen Seraphim zu, die sich zu ihm gesellten. „Es tut mir leid General, aber ich werde mir die Hälfte Eurer kampffähigen Leute ausleihen müssen.“
„Was? Warum denn das?“ Remiel sah ihn kurz verwirrt an, ehe er antwortete.
„Um die Rebellen zu verfolgen natürlich. Sie sind ebenfalls schwer verletzt und werden nicht weit kommen, wir werden sie schon wieder einfangen, macht Euch keine Sorgen.“ Feon zögerte kurz, nickte dann jedoch.
„Natürlich, wartet kurz, dann werde ich Euch begleiten.“
„Nein.“ sagte Remiel mit strenger Miene. „Ihr werdet Euch ausruhen. Ihr habt heute einen Kampf gegen einen Erzengel überlebt, stellt Euer Glück nicht zu sehr auf die Probe.“ Feon wollte noch etwas sagen, ließ es dann jedoch bleiben. Der Engel hatte recht, mit seinem Bein wäre er bei der Verfolgung sicherlich keine große Hilfe und würde wahrscheinlich mehr Schaden anrichten, als zu helfen.
„Nun gut, dann wünsche ich Euch viel Glück, Lord Remiel. Passt auf Euch auf.“ Der Engel nickte, während sich sechs Soldaten zu ihm und den anderen Seraphim gesellten.
„Ihr ebenfalls. Kümmert Euch um die Verletzten und geht zum Kloster, es ist nicht mehr allzu weit, vielleicht noch zwei Tage. Wenn Ihr da seid, berichtet den Seraphim dort was geschehen ist und sagt ihnen, dass sie Verstärkungen schicken sollen.“ Mit diesen Worten wandte Remiel sich endgültig ab und verschwand in die nahen Büsche, dicht gefolgt von zwei Soldaten in roten Rüstungen, während die anderen vier den weiblichen Seraphim folgten, die sich ebenfalls aufteilten. Feon seufzte, als einer seiner Männer mit einem Stück Stoff in der Hand zu ihm kam.
„Bringen wir es hinter uns.“ murmelte Feon und schloss die Augen, während der Soldat den Holzsplitter aus seinem Knie zog, und das Stoffstück um die Wunde wickelte. Der General keuchte vor Schmerz auf und riss etwas Gras aus dem Boden, beruhigte sich dann jedoch und lächelte den Soldaten schwach an. „Danke, hilf jetzt den anderen.“
„Jawohl, General.“ Feon beobachtete, wie der Mann davonrannte und einer Frau dabei half, sich aufzurichten. Diese hatte augenscheinlich Schwierigkeiten damit und war immer wieder kurz davor hinzufallen. Letztendlich holte Feon einmal tief Luft und richtete sich auf. Zwar schmerzte sein Knie noch immer höllisch, aber immerhin gab es nicht mehr nach, das war schonmal ein Anfang.
„Aufgepasst! Kümmert euch so schnell wie möglich um die Verletzten, sorgt dafür, dass sie reisefähig sind. Wir brechen in vier Stunden auf, drei von euch werden hierbleiben und auf die Toten aufpassen und auf diejenigen, die zu schwer verletzt sind, um zum Kloster zu reisen. Wir haben keine Zeit zu verlieren, Lord Remiel und die Seraphim verlassen sich auf uns.“ Seine Männer bestätigten mit lauten Rufen, dass sie verstanden hatten und machten sich an die Arbeit, während Feon mit nachdenklicher Miene dorthin sah, wo Remiel im Wald verschwunden war und sich fragte, was im Namen Gottes hier eigentlich vor sich ging.



Naleya kniete vor einem Strauch, an dem sich dutzende Dornen befanden und schob vorsichtig die dünnen Zweige zur Seite. An ihrer Hüfte hing ihr schlichtes Schwert und auf dem Boden neben ihr, stand ein großer Korb, in dem sich bereits einige Pflanzen und Früchte befanden. Dazu kamen ein paar Stücken Fleisch und Fell eines Wolfes, der Naleya angefallen hatte, kaum dass sie tiefer in den Wald getreten war. Vor einem Jahr hätte sie noch Panik bekommen und wild um sich geschlagen, aber inzwischen war sie die wilden Tiere der Flüsterwälder gewöhnt und wusste, wie man sich am besten gegen sie verteidigen konnte. Sie war zwar bei weitem keine meisterhafte Schwertkämpferin, aber als Alchemist musste man zumindest wissen, wie man sich im Notfall verteidigen kann und das konnte Naleya ziemlich gut, zumindest solange ihre Gegner weiterhin einfache Wölfe oder kleine Gremlins waren, die sich hin und wieder in den Wäldern blicken ließen. Mit einem schiefen Lächeln im Gesicht dachte sie an den gestrigen Abend zurück und an ihr Essen mit Temeria. Es war nett, sich mal wieder mit ihrer alten Freundin unterhalten zu können, das letzte, richtige Gespräch zwischen ihnen war knapp zwei Monate her gewesen. Temeria kam zwar hin und wieder in den Laden um zu sehen, wie es Naleya ging, aber diese war ständig am arbeiten, weshalb es nie Zeit für mehr als knappe Begrüßungen gab. Kurze Zeit später fand Naleya, wonach sie im Busch gesucht hatte und löste vorsichtig eine goldene Frucht von einem der Zweige, die sie behutsam in ihren Korb legte, ehe sie sich daran machte, den Rest des Busches abzusuchen. Manchmal war es allerdings auch eine Qual, mit Temeria, dachte Naleya sich und verzog unwillkürlich das Gesicht. Gestern hatte Temeria mal wieder ihr Lieblingsthema angesprochen: Naleyas Liebesleben. Ihre Freundin machte sich ziemliche Sorgen, weil Naleya bislang noch nicht einmal Anzeichen gezeigt hatte, sich für irgendjemanden großartig zu interessieren, egal ob Mann oder Frau und versuchte hin und wieder Naleya mit einem der Männer Amderads zu verkuppeln, bislang jedoch erfolglos. Dabei war es nicht so, dass Naleya keinen Freund haben wollte, bislang fand sie einfach nicht die Zeit, sich wirklich mit der ganzen Sache zu befassen. Ihre Arbeit nahm jeden wachen Augenblick in Anspruch und wenn sie ehrlich war, mochte Naleya das auch so. Sie musste nicht unbedingt jemanden an ihrer Seite haben, sie kam ganz gut alleine zurecht und es reichte ihr zu wissen, dass Temeria für sie da wäre, wenn sie einmal Hilfe bräuchte. Nachdem sie drei weitere Früchte vom Busch geholt hatte, beendete Naleya die Untersuchung des Busches, schnappte sich ihren Korb und setzte ihre Wanderung durch den Wald fort. Es war ungefähr gegen Mittags und sie würde für den Rückweg ungefähr vier Stunden brauchen, also überlegte sie, ob sie nicht vielleicht schon umkehren sollte, als etwas ihren Blick fing. Auf einer Wurzel, ganz in der Nähe schimmerte etwas im Licht und Naleya ging näher heran um es sich anzugucken. Kaum war sie nahe genug um es zu erkennen, sah sie sich erschrocken um. Das war eindeutig Blut, aber von was? Es sah so aus wie menschliches Blut... wenn da nicht eine Art Schimmern wäre, dass vom Blut auszugehen schien. Naleya hatte so etwas noch nie zuvor gesehen und ohne groß nachzudenken zog sie ein Fläschchen aus einer Taschen ihrem Gürtel und füllte es mit dem Blut, ehe sie das Fläschchen wieder verschwinden ließ. Erneut sah sie sich um. Das Blut war noch frisch, also konnte es durchaus möglich sein, dass, wer oder was auch immer es sein mochte, der Verletzte sich noch in der Nähe befand. Einen winzigen Augenblick zögerte die Alchemistin, dann gewann jedoch ihre angeborene Neugier und sie sah sich ein wenig genauer um, bis sie in der Nähe mehr Blut sah. Sofort folgte sie der Blutspur, wenn auch vorsichtig und mit gezogenem Schwert. Immerhin wusste sie nicht, was sie am Ende der Spur erwarten würde und sie hatte keine Lust, plötzlich einem wütenden Bären oder einem ganzen Rudel Wölfe unvorbereitet über den Weg zu laufen. Nachdem sie der Spur zehn Minuten lang gefolgt war fragte Naleya sich langsam, ob sie überhaupt etwas finden würde und begann bereits sich und ihre Neugier zu verfluchen, als sie in der Nähe ein Stöhnen hörte. Die Alchemistin hielt inne und sah sich um, dann bemerkte sie, dass etwas hinter einem nahen Baum hervorragte und zwar... Flügel mit weißen Federn. Sofort steckte Naleya ihr Schwert weg, rannte um den Baum herum und schaffte es gerade noch rechtzeitig anzuhalten. Direkt vor ihrer Kehle schwebte die Spitze eines goldenen Schwertes, auf der sich bereits getrocknetes Blut befand, allerdings hatte Naleya nur Augen für die Besitzerin des Schwertes. Es war eine äußerlich junge Frau mit kurzen, blonden Haaren und grauen Augen, sowie spitzen Ohren. Sie trug schlichte, schwarze Kleidung und aus ihrem Rücken ragten insgesamt sechs, schneeweiße Flügel und auch wenn ihre Flügel und Kleidung mit Blut verschmiert waren, minderte das nicht den erhabenen und eleganten Anblick, den diese Frau bot. Die Frau blinzelte ein paar mal, ehe sie ihr Schwert sinken ließ und den Kopf zurücklehnte.
„Du solltest vorsichtiger sein, Mensch.“ murmelte sie erschöpft. „Ich hielt dich für einen meiner Verfolger.“ während sie sprach presste die Engelsfrau eine Hand auf ihre rechte Seite und Naleya bemerkte den tiefen Schnitt, der dort prangte.
„Ihr seid verletzt.“ meinte Naleya, mit besorgter Stimme, setzte ihren Korb auf den Boden und legte ihr Schwert ab.
„Ich weiß, es ist nicht allzu schlimm, mache dir darüber keine Sorgen, Mensch.“ Naleya ignorierte die Worte der Frau und sah sich um, als sie nicht fand, wonach sie suchte zückte sie ein Messer, zog ihre Weste aus und schnitt Stoffstreifen aus dieser, die sie dann vor sich hinlegte. „Was machst du da?“ fragte die Frau mit schwacher Stimme und sah Naleya verwundert an.
„Ich weiß nicht viel von Engeln und davon, wie eure Körper funktionieren, aber ich denke, es wird schon funktionieren. Seid unbesorgt, ich werde mich so gut es geht um Eure Wunden kümmern.“ meinte Naleya, während sie die goldenen Früchte nahm und über den Stoffstreifen zerquetschte, um diese im Saft der Früchte zu tränken. Die Frau schüttelte lediglich den Kopf.
„Lass es sein, Mensch. Wenn du mir hilfst, wirst du nur Probleme kriegen.“ Naleya lachte auf.
„Was für Probleme könnte ich kriegen, wenn ich einem Engel helfe?“ fragte sie, während sie den Saft der Frucht auf dem Streifen verteilte und ihn einrieb. Ihr Lächeln verblasste jedoch, als sie die ernste Miene des Engels sah.
„Ich bin... nicht ganz das, was du dir unter einem Engel vorstellst. Ich bin ein Feind der Kirche.“ erklärte die Frau und schloss die Augen. „Wenn du mir hilfst, machst du dir die Inquisition zum Feind, also laufe lieber weg, bevor...“ sie verstummte und öffnete ungläubig ihre Augen, als sie etwas kaltes spürte, dass auf ihre Wunde drückte. Direkt vor ihrem Gesicht befand sich Naleya, die ihre Stofffetzen auf die Wunde des Engels presste und einen größeren Streifen nutzte, um sie festzubinden. Naleya lächelte den Engel wieder an. „Was machst du da?“ fragte die Frau und richtete sich ein wenig mehr auf.
„Es ist mir egal, ob Ihr Probleme mit der Kirche habt, oder ob Ihr ein Engel, Dämon, Elementar, Mensch oder sonst irgendwas seid. Ihr braucht meine Hilfe und Ihr scheint kein schlechter Mensch... Engel zu sein, also helfe ich Euch.“ Die Frau blinzelte kurz verwirrt, brach dann jedoch in Gelächter aus.
„Du bist ein... interessanter Mensch.“
„Vielen Dank.“ Die beiden schwiegen eine Weile, dann stand der Engel plötzlich auf und Naleya tat es ihr gleich.
„Meine Blutung hat bereits gestoppt... waren das Malneonbeeren?“ Naleya nickte. „Beeindruckend, die sind nicht leicht zu finden, es muss eine Weile gedauert haben, bis du so viele hattest.“
„Ich war heute schon sieben Stunden unterwegs.“ meinte die Alchemistin und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Erneut kehrte schweigen ein, bis die Frau wieder das Wort ergriff.
„Ich danke dir für deine Hilfe, Mensch. Ich bin Uriel, Anführerin... ehemalige Anführerin der Seraphim.“
„U-uriel?“ stotterte Naleya und riss die Augen auf. „Doch nicht etwa... Uriel, wie in 'Erzengel Uriel'... oder?“ Uriel lächelte lediglich als Antwort und Naleya war kurz davor in Ohnmacht zu fallen. Nicht nur war ihr ein Engel begegnet, es war auch noch ein Erzengel! Die Alchemistin konnte nicht fassen, wie viel Glück sie hatte. Aber wenn es wirklich Uriel war, dann blieben noch immer einige Fragen offen. „Ähm... wenn Ihr mir eine Frage erlauben würdet... warum habt Ihr Probleme mit der Inquisition? Werdet Ihr verfolgt?“
„Ja, werde ich. Und warum? Nun... ich habe ihnen etwas gestohlen, etwas äußerst wertvolles.“
„Etwas wertvolles? Wertvoll für was? Für die Inquisition?“ Uriel schüttelte den Kopf.
„Für die Inquisition ist es wertlos, oder besser gesagt es ist ihnen ein Dorn im Auge. Es ist wertvoll für... meine Verbündeten.“ Mehr sagte Uriel nicht und Naleya war sich nicht sicher, ob sie weitere Fragen stellen sollte. „Wie lautet dein Name, Mensch?“ Naleya zuckte zusammen, sie war gerade vollkommen in ihren eigenen Gedanken gewesen und hatte über die Worte der Frau nachgedacht.
„Ich bin Naleya Armeogh, eine Alchemistin aus Amderad, freut mich Euch kennenzulernen.“ Naleya streckte ihre Hand aus, Uriel schlug jedoch nicht sofort ein, sondern sah sie nur eine Weile lang verwirrt an, ehe sie sagte
„Oh, natürlich.“ und die Hand schüttelte. „Freut mich ebenfalls, dich kennenzulernen, Naleya.“ Die Alchemistin wollte noch etwas sagen, aber Uriel hob ihre Hand und bedeutete ihr zu schweigen. Kurze Zeit später hörte Naleya, wie sich etwas in der Nähe durch die Büsche schlug.
„Was ist das?“ fragte sie angespannt und packte ihre Sachen zusammen, um im Notfall schnell wegrennen zu können.
„Meine Verfolger.“ Uriel biss die Zähne zusammen und warf einen Blick auf ihre Wunde, dann einen Blick zu Naleya und zögerte. „Du sagtest, du bist eine Alchemistin?“
„Was? Ähm, ja, warum?“
„Bist du gut?“
„Wie bitte?“
„Bist du gut?“ fragte Uriel erneut, dieses mal in drängendem Tonfall.
„Ähm... j-ja, ich denke schon, ich kann das meiste...“
„Sehr gut.“ meinte Uriel, zog etwas aus einer Tasche hervor und hielt es Naleya vors Gesicht. Es war eine Halskette, an der ein kleiner, Obelisk aus Obsidian hing, in den grüne Runen eingraviert waren. Naleya spürte, wie Unmengen von Magie vom Obsidian auszugehen schienen.
„Was ist das?“ fragte sie, während Uriel ihr die Halskette in die Hand drückte und sich abwandte. „Ist das der Gegenstand, den Ihr von der Inquisition gestohlen habt?“ Uriel nickte und drehte ihren Kopf zu Naleya.
„Hör mir gut zu, Naleya. Was ich dir jetzt sage ist äußerst wichtig, also vergiss es nicht, ja? Ich werde meine Verfolger aufhalten, während du zurück nach Amderad rennst, verstanden?“
„W-was? Ihr seid verletzt, ich kann Euch doch nicht...“
„Das ist der Befehl eines Engels!“ fuhr Uriel mit kalter Stimme dazwischen und Naleya schluckte nervös. „Ich mag Probleme mit der Inquisition haben, aber meine Befehle haben die Autorität von Nuvaz, denke daran!“ Naleya nickte. „Sehr gut, also; du rennst zurück nach Amderad. Warte einen Tag, wenn ich nicht zu dir komme, gehe davon aus, dass ich getötet oder gefangen wurde, oder fliehen musste. Sollte ich nicht zu dir kommen, musst du mir versprechen, dass du dein möglichstes als Alchemistin tust, um das Siegel zu lösen, dass auf dem Obelisken liegt. Kannst du mir das versprechen?“
„Ich soll... das Siegel lösen? Aber... warum?“
„Weil es wichtig für ganz Amtheon ist, dass das Siegel gelöst wird, verstanden?“ Naleya zögerte kurz, nickte dann jedoch.
„Ich verspreche Euch, dass ich das Siegel lösen werde, solltet Ihr nicht morgen bei mir auftauchen, um die Halskette abzuholen.“
„Danke.“ sagte Uriel mit einem Lächeln und atmete erleichtert auf. „Dann gehe jetzt.“
„Wartet! Was... was soll ich machen, nachdem ich das Siegel gelöst habe?“ Uriel sah sie kurz verwirrt an, lachte dann jedoch.
„Das wirst du schon sehen, er wird dir sagen, was du tun musst.“
„Was? Wer?“
„Gehe jetzt, sofort!“ Naleya wollte noch etwas sagen, sah dann jedoch wie sich Gestalten in roten Rüstungen aus dem Gebüsch schälten. Sie warf einen letzten Blick zu Uriel, die ihr Schwert erhoben hatte und auf die Soldaten wartete, dann drehte sie sich um und rannte in Richtung Amderad davon, ohne zu wissen, dass sie gerade dabei war, für immer in die Geschichte Amtheons einzugehen.
Zuletzt geändert von Mimir am 25. September 2014 22:16, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: [Geschichte] Aufstieg des Dämonenkönigs

Beitragvon Mimir » 24. September 2014 02:12

Kapitel 2 - Das Geheimnis der Halskette (Öffnen)
Kapitel 2 – Das Geheimnis der Halskette:


Naleya rannte eine ganze Stunde lang ununterbrochen durch den dichten Wald, ehe sie letztendlich erschöpft anhielt, um sich ein wenig auszuruhen. Sie war vollkommen außer Atem und ihre Lungen fühlten sich an, als wenn sie brennen würden. Sie stützte sich an einem nahen Baum ab und sah sich ein paar Minuten lang um, während sie immer wieder tief ein- und ausatmete. Es schien nicht so, als wenn sie verfolgt wurde, zwar hatte sie nicht wirklich damit gerechnet, aber es beruhigte sie trotzdem zu sehen, dass wirklich niemand hinter ihr her war. Das hielt allerdings nicht lange an, denn nun begann sie, sich um Uriel Sorgen zu machen. Zwar war sie allem Anschein nach wirklich ein Erzengel, aber sie war auch schwer verletzt gewesen, also musste es ihren Verfolgern bereits einmal gelungen sein, sie in die Ecke zu drängen. Naleya überlegte kurz, ob sie nicht umkehren und versuchen sollte, der Frau zu helfen, schüttelte dann jedoch den Kopf. Uriel hatte sehr deutlich gemacht, dass sie keine Hilfe wollte und dass es wichtiger war, die seltsame Halskette vor ihren Verfolgern zu verstecken... also vor der Inquisition. Die Alchemistin schluckte nervös, während sie die Halskette aus einer Tasche zog und sie sich genauer ansah. In was für eine seltsame Situation hatte sie sich da wieder manövriert? War es wirklich richtig, die Halskette zu nehmen und Uriel zu helfen? Als sie der verletzten Frau begegnet war, hatte sie sich nicht wirklich Gedanken darüber gemacht, was richtig und was falsch war, selbst als Uriels Warnung hörte. Naleya war es einfach wichtiger gewesen, der Verletzten zu helfen. Erst jetzt, wo sie genug Zeit hatte über die ganze Situation nachzudenken fragte sie sich, ob sie nicht vielleicht gerade dabei war, einen großen Fehler zu begehen. Immerhin stand die Inquisition unter dem direkten Befehl des Paladins, dem Herrscher von Demeor und Oberhaupt der Kirche des Nuvaz. Da der Paladin der Auserwählte Nuvaz' auf Erden war, waren viele der Meinung, dass seine Befehle denen des Gottes selbst gleichkamen, was letztendlich bedeutete, dass die Inquisition im Sinne des Nuvaz handelten. Allerdings hatte auch Uriel behauptet, sie handele im Interesse des Gottes und auf Naleya nicht wirklich den Eindruck gemacht, als wenn sie lügen würde. Also wie sollte sie die ganze Situation verstehen? Konnte es sein, dass sowohl Inquisition als auch Erzengel den Befehlen des Gottes folgten und sich dabei gegenseitig in die Quere kamen? Eigentlich unvorstellbar, aber eine bessere Erklärung wollte Naleya momentan nicht einfallen, die einzige andere Möglichkeit, die ihr in den Sinn kam war, dass eine der beiden Seiten sich gegen Gott gestellt hatte, und das konnte sie sich weder bei Engeln noch bei der Inquisition vorstellen. Die Antwort auf die Frage, was hier eigentlich los war, befand sich immerhin direkt vor ihr, was schonmal ein Anfang war. Naleya hatte keinerlei Zweifel, dass die Halskette die Ursache des ganzen war, auch wenn sie nicht wirklich etwas besonderes daran erkennen konnte. Dem Obelisken, der an der Kette hing, schienen Unmengen von Magie innezuwohnen, aber das war nicht wirklich ungewöhnlich, es gab viele Artefakte in Form von Halsketten oder Ringen, in denen mächtige Zauber wohnten. Der einzige, wirkliche Unterschied zu solchen Artefakten den Naleya erkennen konnte, waren die grünen Runen, die in das Obsidian eingraviert waren und zu pulsieren schienen, dass, und der Fakt, dass sie deutlich einen starken Siegelzauber spüren konnte, der auf dem Obelisken lag. Nachdem sie den Obelisken eine Weile lang gründlich begutachtet hatte, steckte sie ihn wieder weg und setzte sich wieder in Bewegung, mit entschlossener Miene im Gesicht. Als sie Uriel versprach, das Siegel zu lösen, hatte sie es zwar durchaus ernst gemeint und nicht daran gedacht, das Versprechen zu brechen, aber erst jetzt war sie wirklich entschlossen, das ganze auch durchzuziehen. Naleya war zwar ein wenig misstrauisch wegen der ganzen Sache, aber sie war auch neugierig, sehr neugierig, und wollte unbedingt wissen, was es mit diesem seltsamen Artefakt auf sich hatte. Was für ein Zauber konnte wohl in diesem Stein eingeschlossen sein, dass er versiegelt werden musste? Handelte es sich vielleicht um Geheimnisse der Engel, die darin verschlossen waren? Mächtige Zauberformeln? Bauanleitungen für außergewöhnliche Konstruktionen? Rezepte für neue Medizin? Naleya wollte es herausfinden, weshalb sie schon halb hoffte, dass Uriel nicht auftauchen würde, um sich die Halskette zurückzuholen, schämte sich jedoch sofort dafür. Sie hoffte natürlich, dass der Elfe nichts schlimmes passierte, aber wenn sie irgendwie ein paar Tage verhindert wäre, vielleicht, weil sie sich irgendwo verstecken musste, dann wäre das Naleya äußerst willkommen. Leise vor sich hinsummend ging sie weiter in Richtung Amderad und ging im Kopf bereits mögliche Vorgehensweisen durch, um das Siegel zu brechen. Ein paar Stunden später, die Sonne begann bereits, hinter dem Horizont zu verschwinden, erreichte Naleya die Palisade von Amderad, wo zwei Soldaten der Stadtwache standen und gelangweilt Löcher in die Luft starrten. Als Naleya das Tor erreichte winkten ihnen die Wachen zu und lächelten sie an.
„Guten Abend, Naleya. Alles gefunden?“ fragte eine der Wachen, ein älterer Mann mit grauem Vollbart, der sich auf seinen Speer stützte, während er Schweiß von seiner Stirn wischte. Es war Spätsommer und da selbst im Winter relativ hohe Temperaturen herrschten, war es sogar Abends noch unerträglich heiß. Im schattigen Wald, hatte Naleya davon nicht viel mitbekommen, aber jetzt, wo sie sich wieder in Amderad befand, wurde auch ihr wieder bewusst, wie heiß es doch eigentlich war.
„Ja... größtenteils zumindest.“ sagte Naleya und lächelte ebenfalls. Sie hatte zwar nicht viele Leute in Amderad, die sie wirklich zu ihren Freunden zählen würde, aber zu den meisten Einwohnern unterhielt sie immerhin freundliche Beziehungen. „Ein paar Malneonbeeren musste ich leider opfern.“ Erst jetzt schienen die Wachen zu bemerken, dass aus Naleyas Weste einige Streifen geschnitten waren und traten besorgt etwas näher.
„Was ist denn mit dir passiert? Wurdest du angegriffen?“ fragte der ältere Mann, woraufhin Naleya verlegen lächelnd abwinkte.
„Ach was, nein, keine Sorge! Das heißt... ich wurde schon angegriffen, von einem Wolf, aber mit dem bin ich problemlos fertig geworden.“
„Wirklich? Was ist dann mit deiner Weste passiert?“ fragte der jüngere der beiden Männer, woraufhin Naleya kurz zögerte. Es gab zwar keinen wirklichen Grund zu lügen... aber einerseits würde ihr eh niemand glauben, dass sie einen Erzengel getroffen und gerettet hatte und andererseits, könnte es die Inquisition zu ihr führen, wenn sie so etwas rumerzählte. Also überlegte sie kurz, ehe sie sich eine Geschichte einfallen ließ, in der zumindest ein wenig von der Wahrheit steckte.
„Ich habe einen Jäger gefunden, der von einem Bären verletzt worden war. Leider hatte ich kein Verbandszeug dabei, also habe ich meine Weste genutzt und ein paar Malneonbeeren geopfert, um ihm zu helfen.“ sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie war nicht sonderlich stolz darauf, aber im Lügen war sie immer recht gut gewesen.
„Ein verletzter Jäger? Wo ist er? Wir werden sofort Hilfe schicken.“
„Das wird nicht nötig sein.“ sagte Naleya und lächelte die Wachen beruhigend an. „Er war nicht alleine, sondern mit ein paar anderen Jägern unterwegs, einer von ihnen war ein Elf. Ich habe ihn bis zu seinem Lager gebracht, seine Freunde kümmern sich jetzt um ihn.“
„Oh... gut, das ist beruhigend. Aber es ist ein wenig seltsam, dass ein Jäger von einem Bären verletzt wurde... hier gab es in letzter Zeit nicht allzu viele Bären und ein erfahrener Jäger weiß eigentlich, wie man mit ihnen umgehen muss.“
„Er... na ja, ich will nicht schlecht von ihm reden, aber er wirkte nicht wie ein erfahrener Jäger. Ich denke eher, dass es seine erste Jagd war und er ein wenig übermütig wurde, er war nicht viel älter als ich.“ sagte Naleya und sah zu Boden, während sie darüber nachdachte, dass die Wahrheit noch viel seltsamer für die Wachen sein würde, als ihre erfundene Geschichte. Der alte Mann schien ihr ihre Geschichte jedenfalls abzukaufen, denn er ließ ein abfälliges Grunzen hören und sagte
„Typisch für die heutige Jugend, rennen der Gefahr hinterher, nur um sich beweisen zu können. Zu meiner Zeit...“
„Wurde gerade das Feuer entdeckt.“ kanzelte ihn sein junger Kollege ab und streckte ihm die Zunge raus, woraufhin der Mann wütend in seinen Bart murmelte. „Wir haben dich schon lange genug aufgehalten.“ sagte der junge Wachmann schließlich an Naleya gewandt und warf einen belustigten Blick zu seinem Kollegen, der noch immer beleidigt zu sein schien. „Ich werde versuchen, ihn wieder ein wenig aufzumuntern, ich bin mir sicher, du musst die gesammelten Zutaten irgendwie präparieren, damit sie nicht schlecht werden.“
„Oh... ja, stimmt. Danke, dass du mich daran erinnert hast.“ sagte Naleya und lachte auf. „Daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Also gut, man sieht sich!“
„Auf Wiedersehen.“
„Viel Spaß bei der Arbeit.“ Nachdem sie sich von den Wachen verabschiedet hatte betrat Naleya Amderad und folgte der Straße eine Weile lang, bis sie sich teilte, und die Alchemistin nach links abbog, in eine kleinere Seitenstraße. Ein paar Minuten später erreichte sie auch ihr Ziel, einen kleinen Platz, auf dem ein gutes Dutzend Marktstände platziert waren, die jedoch schon leergeräumt waren. Die letzten Händler verließen gerade den Marktplatz, unter ihnen war auch Temeria, die Naleya fröhlich zuwinkte. Sie verabschiedete sich kurz von ihrer Gesprächspartnerin, einer älteren Frau, in der Naleya eine Fischhändlerin erkannte, und ging zur Alchemistin hinüber.
„Hallo Naleya! Wie ich sehe, bist du unversehrt... oh! Bei Nuvaz, was ist mit deiner Weste passiert?“ fragte sie erschrocken, als sie vor Naleya stand.
„Mach dir keine Sorgen, das war ich selber.“ beruhigte Naleya ihre Freundin und lächelte, als sie sah, wie besorgt Temeria sie musterte. „Ich musste einem verletzten Jäger helfen, der sich bei der Bärenjagd ein wenig überschätzt hat, nichts besonderes.“
„Ah... ich verstehe.“ sagte Temeria und seufzte. „Du hast mir einen ziemlichen Schreck damit eingejagt!“
„Tut mir leid... auch wenn ich nichts dafür kann, dass du in solchen Situationen überreagierst.“
„Ich reagiere nicht über, ich mache mir nur Sorgen um meine beste Freundin.“ wehrte Temeria ab und verschränkte ihre Arme vor der Brust, lächelte jedoch. „Immerhin hast du es früher auch immer geschafft, dich in irgendwelche gefährlichen Situationen zu bringen. Ich erinnere mich noch, als du zehn warst und dich in der Reliquienkammer von...“
„Temeria!“ fuhr Naleya dazwischen, lief rot an und legte ihrer Freundin die Hände vor den Mund. Sie erinnerte sich nur äußerst ungern an die Nacht in Panyeon, die sie ausversehen in der Reliquienkammer der dortigen Kathedrale verbracht hatte. Eigentlich wollte sie ihren Eltern einen Streich spielen und dachte, dass die Kammer ein gutes Versteck abgeben würde. Jedoch war es niemandem gelungen sie zu finden und die Kammer wurde abgeschlossen, als alle die Kathedrale verließen. Egal wie laut Naleya rief, niemand hatte sie gehört und so musste sie wohl oder übel dort übernachten, zwischen unheimlichen Gemälden, Statuen und Rüstungen. Am meisten Angst hatte sie jedoch vor einer schlichten, schwarzen Truhe gehabt, die in einer Ecke der Kammer gewesen war. Damals glaubte sie, dass irgendetwas in der Truhe zu ihr sprach, mit einer flüsternden Stimme. Selbst als sie sich die Ohren zugehalten hatte, fand das Geflüster kein Ende und Naleya hatte vor lauter Angst angefangen zu weinen und konnte nicht schlafen, selbst, als das Geflüster irgendwann verstummt war. Als man die Kammer am nächsten Tag aufschloss, hatte man Naleya sofort gefunden, aber als sie den Erwachsenen von der Stimme erzählte, wurde sie nur ausgelacht und man sagte ihr, sie habe sich das ganze in ihrer Angst nur eingebildet. Selbst Temeria hatte ihr nicht geglaubt, nutzte die Situation jedoch noch immer gerne, um Naleya aufzuziehen.
„Schon gut, ich höre ja schon auf.“ meinte die Händlerin und lachte. „Ich wollte eh nur darauf hinaus, dass du damals ziemlichen Ärger von deinen Eltern bekommen hast, wegen der ganzen Sache.“
„Oh... ja.“ murmelte Naleya und senkte den Blick. Nie hatten ihre Eltern mehr mit ihr geschimpft, als am Tag, als sie aus der Kammer geschlichen kam und von ihren Erlebnissen berichtete. Nicht etwa, weil sie Angst um die Gegenstände dort hatten, sondern weil sie sich unglaubliche Sorgen um Naleya gemacht hatten. Wie sie später zu hören bekam, war eine ganze Truppe der Stadtwache von Panyeon damit beschäftigt gewesen, die Stadt nach ihr zu durchkämmen, und Naleya war gezwungen, sich beim Anführer der Truppe für den Ärger zu entschuldigen, den sie verursacht hatte.
„Kommst du noch mit, etwas essen? Oder vielleicht etwas trinken?“ fragte Temeria und wechselte somit das Thema. Naleya dachte kurz nach, schüttelte dann jedoch den Kopf.
„Tut mir leid, ich bin ein wenig erschöpft und möchte heute einmal früh schlafen gehen... aber ich wollte mir Morgen einmal freinehmen, hast du da Zeit?“ Temeria überlegte kurz und nickte dann.
„Geht in Ordnung, ich hole dich dann gegen Nachmittag ab.“
„Gut, ich freue mich schon.“
„Ich auch, und ich sehe schon, dass du mich loswerden willst.“ meinte Temeria scherzhaft und streckte ihrer Freundin die Zunge raus.
„Das stimmt gar nicht!“ sagte Naleya, die zwar wusste, dass ihre Freundin einen Scherz machte, das ganze aber doch nicht auf sich sitzen lassen wollte. „Es ist nur so...“
„Dass du früh schlafen willst, aber trotzdem noch die gesammelten Materialien wegpacken musst, ich weiß.“ Temeria seufzte. „Ich denke es ist gut, dass du dir Morgen freinimmst. Ich habe immer wieder Angst, dass du dich überarbeitest.“ Naleya lachte unbeholfen und kratzte sich am Hinterkopf.
„Ich will nicht sagen, dass es nicht anstrengend ist... aber so ist die Arbeit als Alchemistin nun einmal, das lässt sich nicht ändern.“
„Ich weiß, ich weiß. Also gut, dann wünsche ich dir eine gute Nacht, wir sehen uns Morgen.“
„Bis dann.“ sagte Naleya und winkte ihrer Freundin zum Abschied, die sich abwandte und in Richtung Hafen verschwand, wo ihre Tante wohnte. Nachdem Naleya nun alleine auf dem kleinen Marktplatz stand streckte sie sich kurz, ehe sie über den Platz ging und schließlich bei ihrer Werkstatt ankam, die am äußersten Rand des Markts stand. Während sie die Tür aufschloss dachte sie, nicht zum ersten mal, darüber nach, dass sie vielleicht auch nicht gerade den besten Platz für ihre Werkstatt gewählt hatte. Es wäre vielleicht besser gewesen, ihn in der Nähe des Hafens zu errichten, oder beim zweiten, größeren Marktplatz, der in der Mitte von Amderad war. Dort waren immerhin häufiger Reisende anzutreffen, als so nahe an der Nordpalisade der Ortschaft. Kaum hatte sie den Laden betreten, schloss sie auch schon wieder hinter sich ab, durchquerte den Raum und ging die Treppe hinunter in den Keller, wo sich ihre eigentliche Werkstatt befand. Sie sah sich kurz um und lächelte, wie jedes mal, wenn sie hier hin kam. Zwar besaß sie die Werkstatt schon seit knapp einem Jahr, aber sie freute sich noch immer jedes mal wie ein kleines Kind, wenn sie hier hineinging. Seit sie mit ihren Eltern einmal in Panyeon bei einem berühmten Alchemisten zu Besuch war, hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als selber Alchemistin zu werden und eine eigene Werkstatt zu besitzen. An den Wänden der Werkstatt hingen kleine Lampen, in denen blaue Edelsteine schwebten, von denen ein sanftes, warmes Licht ausging. Es handelte sich dabei um gewöhnliche Steine, die mit Magie aufgeladen wurden, was ihnen das Aussehen von Edelsteinen verlieh und dafür sorgte, dass sie in der Dunkelheit leuchteten. Solche Steine waren leicht herzustellen und äußerst beliebt, denn das Leuchten hielt bis zu sechs Monate an, weshalb man kaum noch gewöhnliche Öllampen benutzen musste, nur eine der vielen, nützlichen Erfindungen, welche die Welt der Alchemie zu verdanken hatte. In der hintersten Ecke des geräumigen Kellers, war ihre Schmiede, mit Esse, Blasebalg und Amboss, klein, aber genug, um das wichtigste herzustellen. Die gesamte linke Wand des Kellers war mit Schränken und Regalen zugepflastert, auf denen Körbe und Kisten in verschiedensten Größen standen, die mit Kräutern, Früchten, Beeren und anderen Pflanzen gefüllt waren, aber es gab auch welche in denen sich seltene Erze und Steine befanden, und in einigen Kisten wurden Felle und Knochen aufbewahrt. Trotz der geringen Anzahl von Kunden legte Naleya viel wert darauf, dass es in ihrer Werkstatt nie an Materialien mangelte. Neben der Schmiedeecke und den Schränken gab es außerdem noch einen Tisch, auf dem mehrere seltsam geformte Glasbehälter und Fläschchen standen, das war die 'Mischecke', wie Naleya es immer nannte. Hier stellte sie Farbstoffe und Medizin her, oder experimentierte mit verschiedenen Flüssigkeiten und Pflanzen herum. Der letzte, und vielleicht wichtigste, Teil der Werkstatt war ein runder Tisch, der in der Mitte des Raums stand und auf dem mit blauer Farbe seltsame Runen gezeichnet waren. Dieser Tisch war dazu da, um magische Gegenstände zu untersuchen, oder eigene zu kreieren. Naleya strich kurz mit der Hand über den Tisch und ihr Lächeln wurde breiter. Es war lange her, dass sie ihn benutzen musste, umso mehr freute es sie, dass sie in den nächsten Tagen wohl die meiste Zeit an ihm verbringen würde... vorausgesetzt, Uriel tauchte wirklich nicht auf, um die Halskette zu holen. Schließlich ging Naleya zu den Schränken und begann ein Lied vor sich hinzusummen, während sie die Zutaten in die Körbe und Kisten sortierte. Als sie fertig war zögerte sie kurz, stellte den Sammelkorb in die Ecke und zog das Fläschchen hervor, dass sie mit dem Blut des Erzengels gefüllt hatte. Sie starrte es eine ganze Weile an und rang innerlich mit sich. Als sie das Blut eingesammelt hatte, wusste sie nicht, worum es sich handelte, jetzt wo sie es wusste war sie sich nicht sicher, ob sie es behalten, oder doch lieber entsorgen sollte. Es fühlte sich einfach... falsch an, Blut eines Engels auch nur rumstehen zu haben, geschweige denn, es für irgendwelche Experimente zu nutzen. Andererseits, wann bekam man schonmal die Möglichkeit, diese heiligen Wesen ein wenig genauer zu untersuchen? Naleyas Lehrer, der sie in die Künste der Alchemie eingeweiht hatte, sagte immer, dass bei Alchemisten eine Schraube locker war, dass sie einen Tick hatten, der sie dazu trieb immer neue Dinge zu erfinden und eine Art Zwang auslöste, alles zu untersuchen und alles zu wissen, was es zu wissen gab. Naleya seufzte schließlich und musste sich, nicht zum ersten mal, eingestehen, dass ihr Lehrer recht hatte. Es konnte sich noch so falsch anfühlen, Blut eines Engels zu besitzen, sie konnte einfach nicht anders, als es zu behalten und zu untersuchen. Also legte sie das Fläschchen auf den Tisch ihrer Mischecke, ehe sie die Treppe hinauf in den Laden ging. Dort ging sie zum Tresen hinüber, öffnete eine Schublade und zog die Halskette hervor, die sie noch einmal genau beobachtete, bevor sie lächelte und das Schmuckstück in die Schublade legte. „Warte nur ab, ich werde schon noch rausfinden, was für Geheimnisse du verbirgst.“ murmelte sie, während sie die Schublade schloss. Dann streckte sie sich, gähnte und machte sich auf den Weg zur Treppe. Kaum war sie in ihrem Zimmer angekommen, zog sie auch schon ihre Sachen aus, schleuderte sie in eine Ecke und ließ sich ins Bett fallen, und keine zwei Minuten später, war sie auch schon eingeschlafen.

„Du siehst schrecklich aus.“ Naleya verzog das Gesicht, als sie die Begrüßung ihrer Freundin hörte. Es war zwar bereits spät am Nachmittag, aber Naleya war trotzdem gerade erst aufgestanden und hatte es geradeso geschafft sich zu waschen, ehe Temeria vor ihrer Tür stand.
„Ich liebe dich auch.“ murmelte sie als Antwort, während sie sich die Augen rieb.
„Ich dachte, du wolltest früher ins Bett gehen?“ fragte Temeria belustigt und trat einen Schritt zur Seite, damit Naleya ihren Laden verlassen konnte.
„Habe ich auch gemacht.“ antwortete die Alchemistin, während sie den Laden abschloss und seufzte dann. „Ich bin auch sofort eingeschlafen, aber ich bin immer wieder aufgewacht.“
„Albträume? Weil ich die Reliquienkammer erwähnt habe?“ bohrte Temeria nach und sprach 'Reliquienkammer' dabei so gruselig wie möglich aus. Naleya entschloss sich den Scherz zu ignorieren, ihr war nicht danach zumute.
„Keine Albträume, aber... seltsame Träume.“ Temeria wurde schlagartig ernst.
„Was war an ihnen seltsam?“
„Na ja, es ist... nichts passiert. Ich war nur in einem vollkommen weißen Raum und eine Stimme hat in einer fremden Sprache ständig etwas gesagt, natürlich habe ich kein Wort verstanden.“
„Hm... weißt du, was ich glaube?“
„Nein, was denn?“
„Dass du dich überarbeitet hast! Verrückte Träume kommen immer dann, wenn man sich nicht genug ausruht.“ sagte Temeria fröhlich und legte einen Arm um Naleyas Schulter.
„Ich glaube nicht, dass das so funktioniert.“ meinte die Alchemistin, wurde jedoch ignoriert.
„Überhaupt stelle ich mir die Frage, wie man in einer Sprache träumen kann, die man gar nicht kennt. Hast du die Sprache vorher schon einmal gehört?“
„Nein, noch nie, ich kann es mir auch nicht erklären.“ Temeria seufzte.
„Vergessen wir die ganze Sache am besten und konzentrieren uns darauf, einen schönen Abend zu haben, ja?“
„Ja... ich denke, das ist eine gute Idee.“ meinte Naleya und gähnte. Sie hatte sich noch nie in ihrem Leben so müde gefühlt, ob es vielleicht an der Hitze lag? Sie trug ein dünnes, langärmeliges Hemd aus blauer Seide, wodurch sie ziemlich viel Luft bekam, und trotzdem fühlte sie sich so, als wenn sie jeden Augenblick einen Hitzeschlag kriegen könnte. Temeria hingegen trug eine ärmellose Bluse und einen kurzen Rock mit hohen Strümpfen, sie schien keinerlei Probleme mit der Hitze zu haben... als Naleya die Kleidung genauer beobachtete bemerkte sie auch den Grund dafür und ihr fiel ein, woher sie die Sachen kannte. „Oh... die Bluse und der Rock... die habe ich doch mal für dich gemacht, oder?“
„Hat ja lange genug gedauert.“ meinte Temeria lachend. „Ja, hast du. Vielen Dank dafür übrigens, die eingewobenen Zauber funktionieren auch noch so wie sie es sollten.“ Langsam konnte Naleya sich wieder an die ganze Sache erinnern, sie hatte die Kleidung vor ein paar Monaten für ihre Freundin hergestellt und dabei einen Zauber benutzt, der vor Wärme schützte, kein Wunder, dass Temeria so problemlos mit der knallenden Sonne zurechtkam.
„Ich hätte mir auch solche Kleider machen sollen.“ sagte die Alchemistin mit einem Seufzen und fächerte sich mit der Hand ein wenig Luft zu, woraufhin Temeria sie verdutzt ansah.
„Du meinst... du hast keinen dieser Zauber in deinem Hemd zu stecken?“
„Leider nicht.“ Naleya schnitt eine Grimasse, während sie das sagte und versuchte die sengende Hitze zu ignorieren. „Für den Zauber und das Einweben in die Kleidung braucht man Azurerz aus den G'lor Bergen, meine letzten Vorräte davon, habe ich für deine Sachen benutzt. Ich hoffe, die Hámmeth-Karawane bringt mehr davon hierher, sonst muss ich wohl Panyeon, um es mir zu holen.“ Die G'lor Berge waren eine Gebirgskette, die sich auf Dergnov befand und die unter der Kontrolle der Goblins stand, die damit mehr Gold anhäuften, als sie jemals ausgeben könnten, denn die Berge waren der einzige Ort, an dem man das magische Azurerz abbauen konnte, dass Grundlage für viele Eiszauber war, die vor allem bei den Magiern der Menschen und Zwerge äußerst beliebt waren.
„In dem Fall danke ich dir vielmals, für dein großzügiges Opfer und hoffe, dass du nicht wegen mir an einem Hitzeschlag stirbst.“ sagte Temeria, ging vor Naleya, drehte sich um und verbeugte sich tief vor ihrer Freundin, was dieser ein Lachen entlockte.
„Ich werde es schon aushalten, diese Hitze ist nichts, für eine Alchemistin!“ sagte sie, voller Überzeugung und ignorierte dabei, dass sie sich so fühlte, als wenn sie in ihrer Kleidung gekocht worde. Nach einer Weile erreichten die beiden Freundinnen das Gasthaus, in dem sie auch Vorgestern waren und traten ein. Obwohl es beinahe Abends war, waren kaum Gäste zu sehen, was Naleya ein wenig verwunderte, normalerweise wimmelte es hier nur so von Leuten.
„Ah, willkommen!“ begrüßte der Gastwirt sie, mit einem breiten Lächeln im Gesicht. „Setzt euch, setzt euch!“ sagte er und führte sie zu einem Tisch, in der Mitte des Gasthauses, wo die beiden sich niederließen.
„Hier scheint heute nicht viel los zu sein, woran liegt das?“ fragte Naleya neugierig, woraufhin der Wirt seufzte.
„Also habt ihr zwei noch nichts davon gehört? Wundert mich nicht, es ist auch erst eine Stunde her. Eine Handelsflotte, hat im Hafen angelegt, oder besser gesagt, die Reste einer Handelsflotte. Drei heruntergekommene Schiffe haben es geschafft, die meisten Männer von Amderad sind sofort zum Hafen gerannt, um den Verletzten zu helfen.“
„Den Verletzten?“ fragte Temeria besorgt und der Wirt nickte.
„Wie es scheint, wurde die Flotte angegriffen, wahrscheinlich von Rebellen, aber ich weiß nicht, was die Matrosen gesagt haben. Fest steht nur, dass viele Schiffe verloren gegangen sind, und dass es kaum jemanden ohne Verletzung gibt. Wir werden die Verletzten in den Häusern nahe des Hafens unterbringen, viele haben freiwillig ihre Häuser dafür bereitgestellt. Aber genug der düsteren Geschichten, was darf ich euch bringen?“
„Ich nehme ein Bier und... irgendwas zum essen, Hauptsache es ist Fleisch.“ meinte Naleya mit einem Seufzen, was dem Wirt ein Lachen entlockte.
„Heute noch nichts gegessen? Sonst bestellst du irgendwas einfaches.“
„Unsere Schlafmütze ist gerade erst aufgestanden.“ warf Temeria ein und lächelte Naleya freundlich an, die einfach irgendetwas vor sich hin grummelte. „Ich nehme auch ein Bier und... Thunfisch.“
„Wie immer also, vielen Dank für eure Bestellung, das Essen kommt sofort.“ meinte der Wirt und wandte sich ab, auf dem Weg drehte er noch einmal den Kopf nach hinten. „Wie ihr seht hat es durchaus Vorteile, dass ich Heute keine Kundschaft habe.“ sagte er noch scherzend, ehe er in der Küche verschwand. Als er weg war, wandte Temeria sich sofort an ihre Freundin und in ihren Augen glänzte es förmlich.
„Hast du das gehört?“ fragte sie, und wirkte auf Naleya wie ein kleines Kind.
„Was genau meinst du?“ fragte sie, so desinteressiert wie möglich, allerdings nützte es nichts, Temerias Begeisterung war nicht mehr zu stoppen.
„Die Handelsflotte natürlich! Glaubst du wirklich, dass es die Rebellen waren? Ich kann mir das nicht wirklich vorstellen, die haben doch nie im Leben eine Flotte, die groß genug ist um so ein Unternehmen zu wagen, unsere Handelsflotten sind immerhin gut geschützt!“
„Meinst du? Vergiss nicht, dass Lioxport sich vor ein paar Monaten den Freien Städten angeschlossen hat.“ sagte Naleya, und ließ sich auf das Gespräch mit ihrer Freundin ein. Bei den Freien Städten handelte es sich um die Städte, Ortschaften oder Dörfer, die entweder vom Kult des Gefallenen erobert worden waren, oder sich ihm freiwillig angeschlossen hatten. Wie viele es insgesamt waren wusste man nicht, aber zumindest drei der größeren Städte Demeors, hatten sich zu den Rebellen bekannt, unter anderem Lioxport, die größte Hafenstadt des Reichs.
„Stimmt, aber es heißt, der Admiral der Kriegsflotte, die dort vor Anker lag, habe sich nicht den Rebellen angeschlossen, und sich einen Weg aus dem Hafen erkämpft. Also haben die Rebellen nicht viele Kriegsschiffe in die Finger bekommen.“
„Wenn du meinst.“ murmelte Naleya und zuckte mit den Schultern.
„Dann bleibt also die Frage... wer hat die Handelsflotte überfallen? Waren es vielleicht Piraten? Oh! Oder vielleicht haben sich Seemonster bis zu den Inselreichen vorgewagt? Ich habe viele Geschichten über große Seeschlangen und...“
„Weißt du...“ unterbrach Naleya ihre Freundin und lächelte. „Mit deiner Neugier, wärst du eine großartige Alchemistin geworden. Hast du nie darüber nachgedacht, Alchemie zu studieren.“
„Niemals!“ meinte Temeria und lachte. „Zumindest nicht, seit ich bei dir gesehen habe, wie viel Arbeit eigentlich dahinter steckt, das könnte ich nie im Leben durchhalten. Ich finde schon das Leben als einfache Händlerin zu stressig. Als Alchemistin würde ich wahrscheinlich nach ein paar Tagen durchdrehen.“
„Das kannst du jetzt nicht wissen, du solltest es einmal ausprobieren!“ versuchte Naleya ihre Freundin zu überzeugen, auch wenn sie es nicht wirklich ernst meinte. „Am besten fängst du mit den einfachen Aufgaben an und lernst, wie man einen Laden ordentlich hält, also aufräumen, Staubwischen, und so weiter. Ich kenne da zufällig einen Laden, der mal wieder geputzt werden müsste.“ Temeria tat eine Weile lang so, als wenn sie ernsthaft darüber nachdenken würde, bevor sie mit gespieltem Bedauern den Kopf schüttelte.
„Tut mir wirklich leid, Naleya. Aber du weißt ja, ich bin so furchtbar ungeschickt, wenn es ums Aufräumen geht, und ich will ja nicht den Laden meiner besten Freundin in nie zuvor gesehenes Chaos stürzen.“
„Wäre auch zu schön gewesen.“ sagte Naleya und seufzte. Kurze Zeit später kam auch schon das Essen und Bier der beiden und ihr Gespräch verstummte. Den Rest des Abends redeten sie eigentlich nur noch über belanglose Dinge und scherzten umher, während sie immer mehr Bier tranken und sich das Gasthaus langsam füllte. Als Naleya und Temeria schließlich spät am Abend bezahlten und das Gasthaus verließen, hörte die Alchemistin auf dem Weg nur noch, wie einer der Gäste kopfschüttelnd sagte, einer der Matrosen habe behauptet, ihre Flotte sei von einem riesigen Kraken angegriffen worden, woraufhin das gesamte Lokal in Gelächter ausbrach, so unvorstellbar war die ganze Sache. Naleya kümmerte sich nicht groß darum, dafür hatte sie viel zu viel getrunken und war deswegen ziemlich froh, dass Temeria, die Alkohol ein wenig besser vertrug als ihre Freundin, sich die Mühe machte, sie nachhause zu bringen.
„Ich wünsche dir eine gute Nacht, wir sehen uns dann Morgen.“
„Ja... gute Nacht.“ murmelte Naleya. Dann drehte Temeria sich um und ging in Richtung ihres Hauses davon, während die Alchemistin die Tür zu ihrem Laden abschloss und die Treppe hinaufging. Erst, als sie in ihrem Bett lag ging ihr auf, dass es den ganzen Tag lang keine Spur von Uriel gegeben hatte. Einen Augenblick lang machte sie sich Sorgen, kam dann jedoch zu dem Schluss, dass ein Erzengel schon auf sich selbst aufpassen konnte. Wahrscheinlich war sie nur gezwungen gewesen, sich vor ihren Verfolgern zu verstecken und konnte deswegen nicht nach Amderad kommen. Müde nickte Naleya vor sich hin und überzeugte sich selbst davon, dass es wohl so gewesen sein musste, ehe sich ein Lächeln auf ihre Lippen stahl. Das bedeutete, dass sie Morgen damit anfangen konnte, die Halskette zu untersuchen und ihr Geheimnis zu lüften. Mit diesen Gedanken schlief sie letztendlich ein, und in ihrem angetrunkenen Zustand kam es ihr überhaupt nicht in den Sinn, dass sie sich das ganze vielleicht leichter vorstellte, als es eigentlich war.



Feon atmete erleichtert auf, als er und seine Begleiter endlich aus dem Wald traten und vor einem kleinen Hügel standen, auf dem ein vergleichsweise großes, steinernes Kloster stand. Es machte keinen sonderlich wichtigen Eindruck, aber das täuschte. Hier bewahrte die Inquisition einige der größten Heiligtümer der Kirche auf und mächtige, magische Bücher, die auf keinen Fall in falsche Hände geraten durften. Bewacht wurde das Kloster von fünfzig Soldaten der Inquisition, die sich durch jahrelange, treue Dienste diesen Posten verdient hatten, und das Vertrauen, dass damit einherging. Selbst innerhalb der Inquisition gab es nur wenige, die von diesem Kloster wussten, weshalb es eine äußerst große Ehre war, hier als Wache zugeteilt zu werden, auch wenn es so gut wie immer ereignislos war. Zusätzlich zu den Soldaten, gab es dutzende, magische Fallen und Zauber die auf dem Kloster lagen, um Diebstähle zu verhindern. Allerdings half das natürlich nicht viel, wenn die Gegenstände, die beschützt werden sollten, schon auf dem Weg dorthin gestohlen wurden, sinnierte Feon, während er sich müde die Augen rieb. Es war spät am Abend und der Überfall lag bereits drei Tage zurück, womit sie einen Tag länger für die Reise gebraucht hatten, als Feon dachte. Sie waren durch die Verletzten nur äußerst langsam vorangekommen, aber immerhin hatten sie es geschafft, sämtliche Leute so zusammenzuflicken, dass sie die Reise zum Kloster überstehen konnten, es war ihnen sogar gelungen, die Toten mitzunehmen, auf provisorischen Tragen. Auch den toten Engel, obwohl Feon sich nicht sicher war, ob sie damit das richtige getan hatten. Immerhin waren die Engel heilige Wesen, wer wusste schon, wie die anderen Engel darüber denken würden, wenn Menschen einen der Ihren durch die Gegend schleiften. Anscheinend hatte man ihre Ankunft schon erwartet, denn plötzlich landeten ein halbes Dutzend Engel vor Feon und seinen Leuten, allesamt in den Rüstungen der Seraphim. Der General wollte gerade eine müde Begrüßung murmeln, als er sich den Engel, der vor ihm schwebte genauer ansah und erstarrte, ehe er sich tief verbeugte.
„Mein Lord... es ist eine Ehre, Euch zu begegnen.“ flüsterte er, mit vor Ehrfurcht bebender Stimme und traute sich nicht, den Blick zu heben.
„Ihr dürft mir ruhig in die Augen sehen, General.“ erwiderte der Engel, mit hoher, freundlicher Stimme und Feon tat, wie ihm geheißen wurde, wenn auch mit einigem Zögern. Der Engel vor ihm hatte kurze, blonde Haare und blaue Augen, sowie die gewöhnliche Rüstung der Seraphim, alles in allem nichts, was Feon sonderlich beeindruckt hätte, wenn man ihn mit den Engeln verglich, die ihm bisher begleitet hatten, sie sahen alle so aus wie er, perfekt, erhaben, wunderschön. Was ihm jedoch förmlich die Sprache verschlug, waren die Flügel. Ganze fünf Paare, ragten aus dem Rücken des Engels und ließen damit keinerlei Zweifel übrig, dass es sich bei ihm um einen uralten, mächtigen Vertreter seiner Rasse handeln musste. Die Frau, gegen die Feon zuerst gekämpft und die von Remiel als 'Erzengel' bezeichnet wurde, hatte gerade einmal vier Flügelpaare gehabt, also musste sein gegenüber noch ein ganzes Stück über ihr stehen, zumindest, wenn das wenige, was Feon über Engel wusste tatsächlich stimmte. Sein Gegenüber ließ den Blick über Feons Truppe schweifen und blieb eine Weile lang am toten Engel hängen, ehe er mit einer Stimme sprach, die dermaßen von Trauer getränkt war, dass Feon kurz davor stand, zu weinen und er sah, dass einigen seiner Männer tatsächlich Tränen in den Augen standen. „Wie ich sehe, hat es einer der Unseren nicht geschafft... und auch viele treue Soldaten sind gefallen.“ Der Engel schloss die Augen und murmelte etwas in einer fremden Sprache, ehe er den anderen Engeln ein Zeichen gab, woraufhin sie behutsam die Leiche ihres Gefährten aufhoben und davonflogen. „General, bitte erzählt mir, was geschehen ist.“ sagte der Engel, an Feon gewandt. „Ich weiß, Ihr seid erschöpft, aber es ist wichtig, dass ich erfahre, was vorgefallen ist.“
„Natürlich, Lord...?“ begann Feon und sah den Engel fragend an.
„Mein Name ist Asbael, ich bin ein Erzengel und rechte Hand von Lord Azrael, dem Anführer der Seraphim.“
„Ich verstehe. Lord Asbael... könntet Ihr dafür sorgen, dass meine Männer versorgt werden? Sie haben viel hinter sich und sollten sich endlich ein wenig ausruhen können.“ Asbael warf kurz einen Blick über die Menschen, ehe er verständnisvoll lächelte.
„Natürlich, General. Soldaten der Inquisition!“ sprach er und wandte sich an die niedergeschlagen wirkenden Männer, die sich erst nicht getraut hatten, die Engel wirklich anzusehen, nun richteten sich jedoch alle Blicke auf Asbael. „Ihr habt Nuvaz treu gedient und euer bestes getan, ihr habt euch eine Pause verdient! Folgt meinen Gefährten, sie werden euch zeigen, wo ihr euch ausruhen könnt.“
„Vielen Dank, mein Lord.“ murmelten die Soldaten unterwürfig und verbeugten sich, ehe sie den Engeln folgten, die sie in Richtung Kloster führten. Nachdem sie alleine waren, nickte Asbael Feon zu und die beiden folgten den Soldaten, wenn auch deutlich langsamer.
„Und nun erzählt mir bitte, was geschehen ist, General.“ Feon holte tief Luft und begann dann seinen Bericht. Er ließ nichts aus und schilderte jedes noch so kleine Detail, dass ihm in Erinnerung war. Er fing einige Minuten vor dem Überfall an, erzählte von seinem Gespräch mit Remiel und endete mit den letzten Worten, die Remiel zu ihm gesagt hatte, ehe er die Verfolgung der Rebellen aufnahm.
„Mehr weiß ich leider nicht, Lord Asbael.“ sagte er zum Abschluss und biss sich ungeduldig auf die Lippe. Asbael bemerkte es und lächelte den General an.
„Macht Euch keine Sorgen, Ihr hattet nie eine Chance, niemand konnte damit rechnen, dass sie dort auftauchen würde.“ sagte Asbael, woraufhin Feon das Gesicht verzog.
„Lord Remiel sagte etwas ähnliches. Wer ist 'sie'? Wer hat uns da angegriffen?“ Der Engel sah ihn eine Weile lang an, ehe er den Kopf schüttelte.
„Es tut mir leid, General. Ihr verdient es die Wahrheit zu wissen, das tut Ihr wirklich, immerhin habt Ihr viele Kameraden verloren und seid selber geradeso mit dem Leben davongekommen. Trotzdem darf ich es Euch nicht sagen.“
„Ich... ich verstehe.“ sagte Feon und wandte sein Gesicht ab, damit Asbael nicht seinen misstrauischen Gesichtsausdruck sehen konnte. Ihm gefiel die ganze Sache überhaupt nicht. Warum konnte Asbael ihm nicht sagen, wer der Angreifer war? Offensichtlich war die Frau eine Bedrohung für die Kirche, ob Engel oder nicht. Vielleicht wollte Asbael nicht, dass bekannt wurde, dass sich Engel gegen die Kirche gewendet hatten? Feon konnte es selbst noch nicht wirklich begreifen und er war direkt dabei gewesen, viele Menschen würde so eine Nachricht wahrscheinlich in eine tiefe Glaubenskrise stürzen, wenn sie erfahren würden, dass sich die treuesten Diener von Nuvaz untereinander bekämpften. Trotzdem gefiel es ihm nicht, dass so ein großes Geheimnis daraus gemacht wurde und er hatte das Gefühl, als wenn Asbael ihm irgendetwas wichtiges verschweigen würde... Feon lachte leise auf und schüttelte den Kopf. Jetzt fing er schon an, an den treuesten Dienern Nuvaz zu zweifeln, er sollte am besten aufhören so viel nachzudenken.
„Ist etwas, General?“ fragte Asbael, und sah ihn verwundert an.
„Nein, nichts. Wann werdet Ihr aufbrechen, Lord Asbael?“
„Aufbrechen?“ fragte Asbael und zog fragend eine Augenbraue hoch, woraufhin Feon verwirrt stehen blieb. „Wovon redet Ihr, General?“
„Nun... Lord Remiel hat Verstärkung angefordert, Ihr werdet ihm doch sicherlich helfen, oder nicht?“ Asbael zögerte kurz, schüttelte dann jedoch den Kopf.
„Ich fürchte, Ihr irrt Euch, General.“ sagte er und Bedauern schwang in seiner Stimme mit. „Für Remiel ist es bereits zu spät. Wenn die Halskette in ihre Hände gefallen ist, können wir uns sicher sein, dass wir bereits gescheitert sind. Wir werden uns schon Morgen zurückziehen und einen neuen Plan aufstellen.“
„W-was? Ihr wollt Euch zurückziehen? Aber... was ist mit Lord Remiel?“
„Wie ich bereits sagte, für ihn ist es schon zu spät. Wenn er nicht schon tot ist, wird er es bald sein. Der Gegner, der ihn erwartet, ist zu mächtig für ihn... zu mächtig für mich.“ Feon starte den Engel aus großen Augen an, wovon redete er da?
„Aber... warum ist Lord Remiel den Rebellen dann gefolgt? Wenn er wusste, wie mächtig...“ Feon verstummte, als er den traurigen Gesichtsausdruck von Asbael sah. „Er... er wusste es nicht? Er wusste nichts, von der Gefahr? Wo wir schon dabei sind, was ist eigentlich diese...“ weiter kam der General nicht, denn plötzlich stand Asbael direkt vor ihm und hielt ihm eine Hand auf die Stirn.
„Remiel dachte, er müsse nur einer Verräterin gegenüberstehen, weil er nicht die ganze Wahrheit kannte. Es tut mir leid, General, aber es gibt Dinge, die Ihr nicht wissen dürft... von denen selbst ein Engel wie Remiel nichts wissen darf. Zumindest kennt er nicht die ganze Wahrheit. Ich habe die Bedrohung, die sich in der Truhe befand vielleicht ein wenig... runtergespielt. Aber das ist unwichtig. Schlaft jetzt.“ Ehe Feon etwas erwidern konnte, wurde ihm schwindlig und er fühlte sich unglaublich müde, dann wurde ihm schwarz vor Augen und er fiel in einen tiefen Schlaf.



Ungefähr zur selben Zeit stand Naleya vor ihrem Verzauberungstisch und starrte missmutig auf den kleinen, schwarzen Obelisk, der in dessen Mitte lag. Seit zwei Tagen versuchte sie schon, das Siegel zu lösen, dass auf dem Schmuckstück lag und sie war keinen Schritt weitergekommen! Sie hatte bereits sämtliche Gegenzauber ausprobiert, die sie kannte und war inzwischen dazu übergegangen, zauberbrechende Tränke zusammenzubrauen und über den Obelisken auszuschütten, alles ohne Erfolg. Trotzdem dachte sie nicht einmal im Traum daran aufzugeben, sie würde das Geheimnis des Schmuckstücks lüften, und wenn es das letzte war, was sie tat! So wie sie sich derzeit fühlte, könnte es auch wirklich das letzte werden, was sie jemals in ihrem Leben tun würde, sie hatte die letzten Tage überhaupt nicht geschlafen, sondern jede Sekunde damit verbracht, über dem Obelisken zu hängen und ihn zu begutachten. Nur zweimal hatte sie eine Pause gemacht, beide male um kurz etwas zu essen, ehe sie sich wieder vor den Tisch stellte. Sie wollte es einfach nicht akzeptieren, dass dieses dämliche Stück Stein, ihr nicht seine Geheimnisse offenbarte. Als Uriel ihr das Versprechen abgenommen hatte, dachte Naleya eigentlich, dass es leicht werden würde, das Siegel zu lösen, ein schwerer Irrtum, wie sich nun zeigte. Nachdem alles nicht funktioniert hatte, war sie dazu übergegangen den Zauber auf dem Stein zu untersuchen und sich die Runen genauer anzusehen, aber auch das half nicht. Sie konnte weder mit der Magie, noch den Runen etwas anfangen und das, obwohl sie bereits ein Dutzend Zauberbücher durchgewälzt hatte, auf der Suche nach Anhaltspunkten. Wütend murmelte sie einige Formeln vor sich hin und wedelte mit ihren Händen in der Luft über dem Tisch, woraufhin die Halskette ein wenig in die Luft schwebte und anfing sich zu drehen, während blaue Runen um sie herum aufleuchteten, die Naleya aufmerksam studierte, ehe sie frustriert die Hände auf den Tisch schlug und die Kette zurückfallen ließ.
„Verfluchter, dämlicher, bescheuerter, dickköpfiger, hartnäckiger Stein! Sage mir gefälligst, was ich wissen will!“ schrie sie den Obelisken an. Zwei ganze Tage! Achtundvierzig Stunden! So lange stand sie vor dem Ding und war noch immer keinen Schritt weiter! Es war das frustrierendste Erlebnis ihrer Karriere als Alchemistin, noch nie hatte eine Aufgabe ihre Geduld dermaßen auf die Probe gestellt, wie die Halskette, die sich unerbittliche weigerte, Naleya in ihre Geheimnisse einzuweihen. Wie hatte Uriel sich das ganze eigentlich vorgestellt? Kein einziger, den Menschen bekannter Gegenzauber funktionierte bei der Kette, wie sollte sie so den Zauber lösen? Sie konnte sich unmöglich, mit der Magie der Engel messen und... Naleya hielt bei diesen Gedanken inne, und ihr Blick wanderte zum anderen Tisch im Zimmer, auf dem noch immer das Fläschchen lag, dass mit Engelsblut gefüllt war. Sie dachte kurz nach, schüttelte dann den Kopf und lachte über ihren dämlichen Einfall. Das würde nie im Leben funktionieren... oder doch? Sie zögerte und dachte noch einmal über die Sache nach. Was hatte sie zu verlieren? Wenn es nicht funktionierte, dann hätte sie ein wenig vom wertvollen Blut verschwendet, dass sie später noch untersuchen wollte, aber wenn sie nur ein wenig benutzte, dann hätte sie noch immer genug für ihre Forschungen übrig. Naleya überlegte noch eine Weile lang hin und her, ehe sie tief Luft holte und mit schnellen Schritten zur Mischecke ging. Einen kleinen Augenblick zögerte sie noch, dann schnappte sie sich das Fläschchen und ging zum Verzauberungstisch zurück. Vorsichtig öffnete sie das Glasfläschchen und träufelte eine winzige Menge des Bluts auf den Obelisken. Eine Weile lang geschah nichts, das Blut lag einfach nur auf dem Stein und glänzte schwach vor sich hin. Naleya seufzte und wollte gerade das Fläschchen weglegen, als auf einmal ein Zischen zu hören war und das Blut auf dem Obelisken anfing zu dampfen. Plötzlich veränderte es sich, es wurde pechschwarz und war dann auf einmal... verschwunden. Naleya blinzelte verwirrt und sah sich den Tisch genauer an. Er schwamm schon fast in diversen Tränken, die sie über die Halskette ausgeschüttet hatte, aber vom Blut war keine Spur zu sehen. Nachdenklich hielt die Alchemistin das Fläschchen in die Höhe und beobachtet es. Dann hörte sie plötzlich ein lautes Klopfen von oben und zuckte zusammen. „Oh... nein!“ rief sie, doch es war zu spät. Das Fläschchen fiel ihr aus der Hand, landete auf dem Tisch und zerbrach, woraufhin sich das Blut über die gesamte Oberfläche ausbreitete. Naleya fluchte laut vor sich hin und suchte mit ihren Augen die Werkstatt nach einem Tuch ab, oder einer Möglichkeit noch etwas vom Blut zu retten, als es oben erneut klopfte, um einiges lauter als letztes mal. Ein letztes mal ließ Naleya einen Fluch hören, ehe sie die Treppe nach oben hastete, ehe ihr derjenige, der dort anklopfte noch die Tür einschlug. In ihrer Eile bemerkte sie nicht, wie das Blut auf dem Tisch sich ebenfalls schwarz färbte und förmlich vom Obelisken angezogen wurde und wie langsam ein leises Lachen den Raum erfüllte. Stattdessen hatte sie endlich den Laden erreicht und stand vor der Tür, erstarrte jedoch, kurz bevor sie diese öffnen konnte. Sie schluckte nervös, während sie durch das kleine Fenster in der Tür sah, wer dort vor ihrem Laden stand. Vier Männer in roten Rüstungen standen vor der Tür, zusammen mit... drei Engeln! Bei den Männern handelte es sich eindeutig um Soldaten der Inquisition und die Engel trugen weiße Plattenrüstungen, also musste es sich, wenn man den Erzählungen der Priester Glauben schenken konnte, um Seraphim handeln, den Engeln, die dazu auserwählt worden waren, dem einzig wahren Gott als Leibwachen zu dienen. Einer der Engel, ein Mann mit schwarzen Haaren, bemerkte sie schließlich und lächelte ihr freundlich zu, während er auf die Tür deutete. Naleya holte einmal tief Luft und schloss auf. Sie öffnete die Tür und ging einen Schritt zur Seite, woraufhin die Engel und Soldaten den Laden betraten.
„Ihr seid Naleya Armeogh?“ fragte einer der Soldaten in unfreundlichem Ton, kaum hatte er den Laden betreten, während einer seiner Kollegen die Tür schloss.
„W-was? Ähm... ja, die bin ich, wie kann ich Euch helfen?“ fragte Naleya verwirrt, woraufhin der Soldat ihr einen wuterfüllten Blick zuwarf.
„Tu nicht so, Verräterin! Wir wissen, dass du...“
„Hauptmann.“ warf der Engel mit sanfter Stimme ein und der Soldat verstummte. „Ich sagte doch bereits, dass ich an ihre Unschuld glaube, oder etwa nicht?“
„N-natürlich mein Lord... es ist nur... sie waren meine Freunde und...“
„Ich verstehe Eure Trauer, Hauptmann. Auch ich habe einen guten Freund und Kameraden verloren, aber das sollte nicht Eure Gedanken beeinflussen. Ein voreingenommener Geist, vernebelt die Wahrnehmung und kann leicht zu falschen Entscheidungen führen.“
„Ja, mein Lord. Vergebt mir.“
„Es gibt nichts zu vergeben.“ sagte der Engel und wandte sich schließlich an Naleya, die immer nervöser wurde. „Und Ihr müsst Euch nicht fürchten, Lady Armeogh. Mein Name ist Remiel und ich bin ein Seraphim.“
„Freut mich, Euch kennenzulernen, Seraphim.“ sagte Naleya und verbeugte sich. „Wie kann ich Euch helfen und warum hat der Hauptmann mich Verräterin genannt?“
„Weil Ihr benutzt worden seid, fürchte ich.“ sagte Remiel mit Bedauern in der Stimme. „Ich habe einen Trupp der Inquisition begleitet, die etwas äußerst wichtiges in ein Kloster transportieren sollten. Wir wurden überfallen und dieses wichtige Etwas, wurde gestohlen. Ein verräterischer Engel, war am Überfall beteiligt und konnte schwer verletzt entkommen. Wir haben sie vor einigen Tagen aufgespürt und gegen sie gekämpft, leider konnte sie uns entkommen. Wir haben sie verfolgt und wurden somit auf eine falsche Fährte gelockt, ehe ich bemerkte, dass sie den Gegenstand gar nicht mehr bei sich hatte. Nach einer Weile gelang es mir schließlich, die magische Fährte aufzunehmen und bis zu diesem Laden zu verfolgen. Wollt Ihr mir vielleicht sagen, wie Ihr in den Besitz des Gefängnisses gekommen seid?“
„Gefängnis?“ fragte Naleya verwirrt und Remiel musterte sie eine Weile, ehe er lächelte.
„Gut, Ihr scheint wirklich nur benutzt worden zu sein. Wie seid Ihr an...“ plötzlich verblasste das Lächeln im Gesicht des Engels und er wurde unglaublich bleich.
„Lord Remiel? Was ist los?“ fragte der Hauptmann besorgt und sah ihn fragend an, doch Remiel antwortete nicht, stattdessen wandte er sich mit einem panischen Gesichtsausdruck an Naleya.
„Törichtes Mädchen!“ rief er und Angst schwang in seiner Stimme mit. „Was hast du getan?“ Auf einmal schien nichts mehr vom anmutigen, netten Engel da zu sein, der eben noch so freundlich zu Naleya war.
„Was? Wovon redet Ihr?“ fragte Naleya und bekam langsam selber Angst. Was war hier los? Warum führte der Engel sich so auf? Sie spürte überhaupt nichts... plötzlich riss Naleya die Augen auf. Sie spürte nichts! Seit sie vor beinahe vier Tagen die Halskette in ihr Haus gebracht hatte, lag immer eine leichte, magische Aura in der Luft, nicht aufdringlich, aber durchaus spürbar. Jetzt war sie weg und sie vermutete, dass genau das dem Engel solche Angst machte. „Ähm, wenn es um die Halskette geht...“ begann Naleya, verstummte jedoch als sie merkte, dass alle drei Engel und die Soldaten an ihr vorbei starrten. Die Alchemistin schluckte nervös, als ihr aufging, wohin sie sahen und drehte sich langsam um. Was sie dort sah, brachte auch sie dazu ihre Augen weit aufzureißen. Dort, in der Tür, die zu den Treppen führte, stand ein weiterer Engel, der sich jedoch von den anderen hier im Laden unterschied, und auch von Uriel. Dieser Engel hatte das Aussehen eines jungen Mannes mit kurzen, schwarzen Haaren, spitzen Ohren, wie jeder Engel, und grünen Augen. Sein Gesicht war... einfach perfekt und unglaublich anziehend, selbst verglichen mit den anderen Engeln. Gekleidet war der Engel in eine schlichte, braune Robe und Naleya erkannte sofort, dass es sich um eine ihrer Arbeitsroben handelte, die eigentlich in ihrer Werkstatt herumlagen. Da die Robe nun einmal für Naleya angefertigt worden war, saß sie nicht richtig beim Engel und schien ein wenig zu klein zu sein, aber ihr Blick wurde momentan eh von den Flügeln gefangen. Anscheinend hatte sich der Engel die Freiheit genommen, Löcher in den Rücken der Robe zu schneiden, um Platz für seine Flügel zu schaffen. Naleya zählte ganze zwölf Flügel, sechs Paare, die jedoch nicht so schneeweiß waren, wie die von Uriel oder Remiel. Die Flügel dieses neuen Engels waren pechschwarz und verliehen im einen äußerst bedrohlichen Eindruck.
„Ah... es tut gut, mal wieder meine Flügel strecken zu können.“ sagte der Engel mit kalter, boshafter Stimme und lächelte die Anwesenden kalt an. „Oh? Remiel? Bist du das? In der Rüstung der Seraphim... nicht schlecht, du hast es weit gebracht, seit wir uns das letzte mal gesehen haben.“
„Lord... Thelios?“ hauchte Remiel und riss die Augen weit auf. „Nein... nein, nein, nein, nein, nein!“ rief er und seine Stimme klang fast schon hysterisch.
„Doch, doch, doch, doch, doch.“ äffte der Engel namens Thelios in mit einem boshaften Grinsen im Gesicht nach. „Deiner Reaktion nach zu urteilen, bin ich nicht derjenige, den du erwartet hattest.“ fügte er hinzu und schien kurz davor zu sein, laut loszulachen.
„D-das k-kann nicht sein.“ Naleya starrte Remiel verwundert an, der Engel zitterte am ganzen Leib und stotterte vor sich hin, was war hier los? „I-ihr... nein! E-es sollte jemand anderes sein... jemand ganz anderes!“
„Ah... du wurdest falsch informiert, wie niedlich.“
„Lord Remiel, kriegt Euch wieder ein!“ fuhr einer der weiblichen Engel an Remiels Seite den Seraphim an und richtete ihre Hellebarde auf Thelios. „Er mag einst ein mächtiger Engel gewesen sein, aber ihm wurde sämtliche, heilige Energie aus dem Körper gespült, das könnt Ihr doch wohl sehen. Er ist nichts, als ein Schatten seiner selbst! Er stellt keine Gefahr für uns dar, verhaften wir ihn und...“ Die Frau brach ab, als Thelios in lautes Gelächter ausbrach, es war ein helles, freundliches Lachen, bei dem Naleya sogleich warm ums Herz wurde und das auch sie Lächeln ließ, den Soldaten schien es ähnlich zu gehen, lediglich die Engel reagierten anders. Remiel wurde noch eine Spur bleicher, während die anderen beiden Engel zornige Blicke zu Thelios warfen. „Was ist daran so lustig, Gefallener?“
„Oh, nichts, nichts.“ sagte Thelios, nachdem er sich wieder eingekriegt hatte und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Diese kleine Rede wäre sicherlich äußerst beeindruckend und bedrohlich gewesen, wenn du... na ja, beeindruckend oder bedrohlich wirken würdest. Tut mir leid, aber ich kenne nicht einmal deinen Namen, daher ist es einfach nur lustig, dass du glaubst, du könntest gegen mich gewinnen.“
„Wie bitte?“
„Du hast mich schon richtig verstanden, und deine Flügel... du hast vier Flügel.“ Thelios seufzte. „Das heißt du bist eine einfache Nudrin. Und du glaubst allen Ernstes, du könntest gegen einen Nathrezim gewinnen?“
„Ihr könnt keine Heilige Magie mehr wirken und...“
„Stimmt, in meinem Körper befindet sich kein Funken heiliger Energie mehr.“ kanzelte Thelios die Frau ab, ließ dann jedoch ein bösartiges Lächeln in seinem Gesicht erscheinen. „Aber sollte das nicht eher ein Grund zur Besorgnis für euch sein?“
„W-was? Was meint Ihr damit?“ die Frau blinzelte kurz unsicher und schien nicht mehr allzu überzeugt von sich sein.
„Nun, wenn ich keine Heilige Energie mehr in mir habe... heißt das, ich kann so etwas hier machen.“ sagte Thelios leichthin und kurz darauf erschien eine schwarze Flamme über seiner rechten Hand, deren Fläche er nach oben gerichtet hatte.
„Nein!“ schrie Remiel auf, wandte sich um und stürmte aus dem Laden. Kaum war er draußen, spreizte er seine Flügel und flog davon.
„Lord Remiel!“ rief ihm die Frau nach, ehe sie sich wieder zu Thelios umwandte.
„Remiel ist der klügste von euch. Wollt ihr ihm nicht nachlaufen? Oder nachfliegen?“ Anstatt zu antworten, ging die Frau zum Angriff über, dicht gefolgt von der zweiten Engelsfrau und den Soldaten. „Zu schade.“ meinte Thelios mit einem Seufzen und richtete seine Hand auf die Angreifer. Die schwarze Flamme vervielfältigte sich und schoss auf die Engel und Menschen zu. Man konnte ein helles Klirren hören und etwas blitzte Golden, dann schrien die Soldaten und Seraphim gleichzeitig schmerzerfüllt auf und griffen sich an den Hals. Die schwarzen Flammen waren scheinbar spurlos verschwunden, trotzdem setzten sie nicht ihren Angriff fort, sondern ließen ihre Waffen fallen und gingen in die Knie. „Möge Nuvaz über eure Seelen wachen.“ flüsterte Thelios und kurz darauf... verschwanden die sechs Personen einfach. An ihrer Stelle flammte kurz schwarzes Feuer in der Luft auf, dass jedoch ein paar Sekunden später verschwand, dann war es still im Laden. Naleya starrte Thelios voller Angst an und wollte etwas tun, wegrennen, um Hilfe rufen, doch sie konnte es nicht. Als ihr Blick dem des Engels begegnete, fühlte sie, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief und sie setzte einen Fuß nach vorn. Dann gaben plötzlich ihre Beine nach und dann sah sie nur noch, wie der Boden ihres Ladens immer näher kam, bevor für sie alles dunkel wurde.
Zuletzt geändert von Mimir am 27. September 2014 09:32, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: [Geschichte] Aufstieg des Dämonenkönigs

Beitragvon Mimir » 27. September 2014 09:31

Kapitel 3 - Der gefallene Prinz (Öffnen)
Kapitel 3 – Der gefallene Prinz:


Naleya wachte davon auf, dass warme Sonnenstrahlen auf ihr Gesicht schienen und sie förmlich blendeten, als sie die Augen öffnete. Sie setzte sich auf und blinzelte kurz verwirrt, ehe ihr aufging, wo sie sich befand. Sie saß in Unterwäsche auf ihrem Bett, die Sonne schien durch ein kleines Fenster im Dach auf sie hinab, weshalb Naleya annahm, dass es bereits Mittags sein dürfte. Müde rieb sie sich die Augen und merkte zu ihrer Überraschung, dass sie sich unglaublich frisch und munter fühlte, kein Vergleich mit dem Tag zuvor... sie hielt inne. Was war gestern eigentlich passiert? Sie hatte an der Halskette herumexperimentiert, bis plötzlich drei Engel und die Inquisition bei ihr aufgetaucht waren. Dann war ein weiterer, seltsamer Engel erschienen, hatte die meisten anderen getötet und sie war in ihrem Laden ohnmächtig geworden. Naleya seufzte.
„Was für ein verrückter Traum.“ murmelte sie vor sich hin, während sie sich aus dem Bett schwang. Wahrscheinlich hatte sie sich überarbeitet und war deswegen vollkommen durch den Wind.
„Ah, du bist wach. Guten Morgen.“ erklang eine freundliche, amüsierte Stimme aus einer Ecke ihres Zimmers.
„Guten Morgen.“ gähnte Naleya als Antwort, ging zu ihrem Kleiderschrank und griff wahllos nach einem Hemd, ehe sie erstarrte. Ganz langsam drehte sie sich um und warf einen Blick in die Richtung, aus der die Stimme kam, die sie begrüßt hatte. Dort, auf einem kleinen Hocker, saß der Engel mit den zwölf schwarzen Flügeln! Wenn sie sich richtig erinnerte, nannten die anderen Engel ihn Thelios und zumindest der Anführer der Engel, hatte ziemliche Angst vor ihm gehabt. Auch Naleya hatte sich ziemlich vor ihm gefürchtet, vor allem nachdem er ohne mit der Wimper zu zucken ein halbes Dutzend Personen umgebracht hatte, selbst, als sie das ganze noch für einen Traum hielt. Als sie Thelios nun jedoch aufmerksam musterte, fand sie nicht wirklich etwas bedrohliches an ihm. Seine grünen Augen starrten direkt in ihre und auf seinem jungen, hübschen Gesicht zeichnete sich ein freundliches Lächeln ab. Selbst seine Flügel wirkten nicht länger bedrohlich, eher anmutig und das, obwohl sie nicht ausgebreitet, sondern eng an seinen Körper angelegt waren, damit er genug Platz in der Ecke ihres Zimmers hatte. Allerdings trug er nicht länger die schlichte Arbeitsrobe, wie am Tage zuvor, sondern ein ärmelloses, schwarzes Seidenhemd und dazu passende Hose und Schuhe. Auf seinem Schoß lag außerdem eines von Naleyas Büchern, eines über Geisterbindung, dass sie sich vor Ewigkeiten einmal gekauft hatte. Leider war sie bisher noch nie dazu gekommen, es zu lesen.
„Du ahnst gar nicht, wie froh ich bin dich wohlauf zu sehen, Herrin.“ sagte er schließlich, woraufhin Naleya ihn verwirrt ansah.
„Ähm... was? Herrin? Was soll das heißen?“ Thelios zuckte mit den Schultern.
„Ich muss gestehen, ich weiß genauso wenig wie du, warum es passiert ist, ich weiß nur, dass es passiert ist. Vermutlich war ich erschöpft und müde, als ich aufgewacht bin und habe einen Fehler gemacht, weshalb wir zwei eine Bindung eingegangen sind, aber dazu später mehr. Ich denke nämlich, du solltest dir etwas anziehen, bevor wir weiterreden. Selbst wenn es das eigene Haus ist, sollte man zumindest ein paar Sachen tragen.“ meinte der Engel, woraufhin Naleya ihm einen fragenden Blick zuwarf, ehe sie an sich hinunter sah und ihr wieder einfiel, dass sie noch immer in Unterwäsche dastand. Die Alchemistin lief hochrot an, schnappte sich ein paar Sachen aus ihrem Schrank und stürmte aus dem Zimmer, während der Engel die ganze Sache interessiert beobachtete. Kurz darauf stand Naleya wieder im Zimmer, in ein rotes Hemd und eine einfache Stoffhose gekleidet, und funkelte den Engel wütend an, noch immer war ihr Gesicht knallrot. „Schon viel besser.“ kommentierte der Engel.
„Warum?“ fragte Naleya, mit vor Wut bebender Stimme, woraufhin Thelios den Kopf schief legte.
„Warum was?“
„Warum war ich halbnackt? Wenn die Sache von Gestern nicht geträumt war, dann müsste ich eigentlich meine Arbeitssachen anhaben und in meinem Laden liegen! Also, warum bin ich halbnackt in meinem Bett aufgewacht?“
„Achso, das.“ der Engel sah sie noch immer ein wenig verwirrt an, als wenn ihm einfach nicht einfallen wollte, warum Naleya deswegen so einen Aufstand machte. „Nachdem ich mich um die Idioten gekümmert habe, bist du zusammengebrochen, bevor ich mich bei dir bedanken konnte. Also habe ich dich hierhin gebracht, allerdings ist mir aufgefallen, dass etwas mit dir nicht stimmte, also habe ich dich kurz untersucht, festgestellt was genau los war und habe dich geheilt.“
„Was... was mit mir los war? Was meinst du?“ Bevor er antwortete, zog Thelios etwas aus seiner Hosentasche und warf es Naleya zu. Diese fing den Gegenstand auf und bemerkte, dass es die Halskette war, die sie von Uriel erhalten hatte. „Die Halskette? Was ist damit?“
„Nicht nur eine einfache Halskette.“ berichtigte der Engel sie. „Ein Gefängnis... nun, es war einmal ein Gefängnis. Meines, um genau zu sein. Deswegen wollte ich mich auch bedanken, du hast mich befreit.“ Naleya wusste überhaupt nicht mehr, was sie sagen sollte und auch ihre Wut war verflogen. Sie seufzte, nahm sich einen Stuhl und setzte sich Thelios gegenüber.
„Wenn wir so weitermachen, werde ich nie verstehen, worum es geht.“ meinte sie seufzend, ehe sie ihre Hand ausstreckte. „Fangen wir am besten ganz von vorne an, ich bin Naleya Armeogh, Alchemistin von Amderad.“ Thelios blinzelte sie kurz ungläubig an, ehe er in ein helles Lachen ausbrach. Naleya warf ihm einen missmutigen Blick zu. „Entschuldige vielmals, dass die Vorstellung, ich sei eine Alchemistin so lächerlich ist.“ murmelte sie beleidigt, woraufhin Thelios aufhörte zu lachen.
„Oh, nein, nein. Du missverstehst mich. Ich fand es nur äußerst amüsant, was für Überraschungen das Schicksal doch für einen bereithält.“ sagte er und schüttelte ihre Hand. „Ich weiß, dass du eine richtige Alchemistin bist, in den letzten Tagen hatte ich genug Möglichkeiten, mich davon zu überzeugen.“
„Oh... ähm... dann tut es mir leid.“ sagte Naleya und senkte den Blick, ehe sie stutzte. „Moment... in den letzten Tagen?“ fragte sie und ahnte schlimmes.
„Ja, du warst drei Tage lang ohnmächtig.“ Naleyas Mund klappte auf und sie machte Anstalten, von ihrem Stuhl aufzuspringen, Thelios kam ihr jedoch zuvor und drückte sie auf den Stuhl zurück. „Nicht so hastig, du bist gerade eben erst wieder aufgewacht und es könnte noch Nebenwirkungen geben. Wo willst du überhaupt so eilig hin?“
„Zu Temeria natürlich! Sie ist meine beste Freundin.“ erklärte Naleya ungeduldig. Die Händlerin würde sich sicherlich Sorgen machen, wenn sie so lange nichts mehr von Naleya gehört hatte. „Lass mich zu ihr, ich muss ihr sagen, dass es mir gut geht.“
„Das weiß sie schon.“ sagte Thelios und lächelte, als er Naleyas überraschten Gesichtsausdruck bemerkte. „Ich habe es ihr gesagt. Sie war es auch, die mir diese Sachen hier gegeben hat.“
„W-was? Du hast mit Temeria geredet? Sie weiß also, dass ich einen Engel bei mir habe?“
„Nicht ganz.“ Thelios lachte leise vor sich hin. „Ich habe ihr gesagt, dass du erschöpft bist, weil du die letzten Tage an einer Elementarbindung gearbeitet hast. Ich habe einfach behauptet, ich sei ein Dunkelelementar, den du gebunden und den Körper eines Engels verliehen hast. Wenn das ganze Dorf wüsste, was ich eigentlich bin, könnte es schnell ungemütlich werden.“
„Was mich zu einem anderen Thema bringt... was bist du eigentlich?“ fragte Naleya und musterte den Engel von Kopf bis Fuß. „Ich erinnere mich noch, dass du gesagt hast du seist ein Nathrezim, oder so ähnlich. Und die Frau hast du als Nudrin bezeichnet...“ sie verstummte als ihr einfiel, was er mit den anderen Engeln und den Soldaten angestellt hatte.
„Ah, tut mir leid. Ich habe mich tatsächlich noch nicht vorgestellt. Ich bin Thelios, Fürst der Cherubim... nein, das stimmt nicht mehr. Ehemaliger Fürst der Cherubim, ehemaliger Erzengel und ein Nathrezim. Ich bin das, was ihr Sterblichen als 'Gefallene Engel' bezeichnet.“ Naleya verkrampfte sich und unterdrückte das Verlangen, sofort aufzustehen und wegzurennen. Ein Gefallener Engel! Sie kannte den Begriff nur aus Geschichten und Legenden und in denen hieß es immer, dass diese Engel das reine Böse waren und Tod und Verderben in der Welt verbreiteten. Allerdings wirkte Thelios überhaupt nicht so auf sie, also blieb sie sitzen. „Oh, ich hatte eigentlich erwartet, dass du wegrennst.“ meinte der Engel mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht, woraufhin Naleya den Blick abwandte und versuchte, möglichst unschuldig auszusehen. Es war ihr peinlich, dass sie tatsächlich über einen Fluchtversuch nachgedacht hatte, obwohl es dafür, abgesehen von ein paar alten Geschichten, überhaupt keinen Anlass gab. Das Gefühl hielt jedoch nicht lange an, denn langsam aber sicher gewann die Neugier in ihr die Oberhand. Nachdem sie eine Weile lang schweigend dasaßen, begann Naleya ungeduldig auf ihrem Stuhl hin und her zu rutschen, was Thelios nicht entging. „Wenn du Fragen hast, stelle sie ruhig. Ich habe momentan eh nichts besseres zu tun... oder besser gesagt, ich kann nichts besseres tun. Also kann ich genauso gut deine Fragen beantworten.“ sagte er, mit einem amüsierten Unterton in der Stimme. Die Augen der Alchemistin schienen förmlich zu strahlen, als sie das hörte und sie sprang sofort auf.
„Wirklich? Das wäre großartig! Wir wissen viel zu wenig über Engel, wenn du mir also ein paar Fragen... ah, Moment!“ rief sie und ging mit schnellen Schritten zu einem kleinen Schreibtisch, der an der gegenüberliegenden Wand des Zimmers stand, und kramte darin herum, ehe sie mit einem Haufen Papier, Feder und Tinte zurückkam. „Also...“ murmelte sie vor sich hin, während sie begann auf das Papier zu kritzeln. Sie hielt inne und überlegte. Ihr kamen viele Fragen in den Sinn. Was hatte diese Halskette, die Thelios als Gefängnis bezeichnete, angestellt, dass der Engel sie heilen musste? Wenn die Kette gefährlich war, warum hatte Uriel sie ihr gegeben? Warum wollte Uriel überhaupt, dass ein Gefallener Engel befreit wurde? Immerhin konnte Naleya sich inzwischen denken, wen Uriel gemeint hatte, als sie sagte 'Er' würde Naleya sagen können, was zu tun sei. Die Alchemistin schwieg eine ganze Weile und dachte nach, obwohl sie aufgeregt und vollkommen verwirrt war, gewann die Professionalität eines Alchemisten in ihr die Oberhand.

Sie ordnete die Fragen in ihrem Kopf und dachte lange nach, ehe sie sich schließlich mit der ersten an Thelios wandte. „Was sind Nudrin und Nathrezim?“ Naleya beschloss, es zuerst mit den grundlegenden Fragen zu versuchen. Sie wollte erst mehr über die Engel erfahren, ehe sie die Fragen zu ihrer jetzigen Situation stellte.
„Das sind zwei von vier Rängen, die es im Himmelspalast von Nuvaz gibt.“ erklärte Thelios und deutete auf seine Flügel, während er ein leises Lachen hören ließ. Allem Anschein nach, amüsierte ihn die eifrige, neugierige Art von Naleya. „Welchen Rang ein Engel hat, hängt von der Anzahl seiner Flügel ab, also größtenteils vom Alter. Da die ältesten Engel gleichzeitig zu den mächtigsten gehören, kann man also sagen, dass die Ränge gleichzeitig einteilen, wer die mächtigsten Engel sind. Ganz unten, in der Rangordnung befinden sich die Nudrin, sie haben bis zu zwei Flügelpaare, danach kommen die Napheon, sie haben bis zu vier Flügelpaare. Dann kommen die Nethea, mit fünf Flügelpaaren und letztendlich die Nathrezim, mit sechs.“ Naleya schrieb mit, während Thelios sprach und runzelte dann verwirrt die Stirn.
„Aber... was ist mit den Erzengeln?“
„Ein Erzengel kann aus jedem der vier Ränge kommen, es ist eine besondere Ehrung. Es gibt nur dreizehn Erzengel und sie sind praktisch die Herrscher des Himmelsreichs, während Nuvaz sich mit Dingen beschäftigt... nun ja, mit denen sich ein Gott nun einmal beschäftigt.“
„Ich verstehe.“ murmelte Naleya und machte sich weitere Notizen. „Haben die Namen eine besondere Bedeutung? Sie hören sich nicht an, als wenn sie aus unserer Sprache kommen... ach ja, und was sind Cherubim? Ich habe bisher nur von den Seraphim gehört und weiß, dass sie die Leibwachen Gottes sind, oder zumindest so ähnlich.“ Thelios öffnete gerade den Mund um zu antworten, als Naleya eine Hand empor hob. „Warte! Wenn ich genauer darüber nachdenke... in Liútevállan gibt es da so ein Wort, ähm...“ Die Alchemistin zog die Augenbrauen zusammen und dachte angestrengt nach, es war lange her, seit sie die Sprache der Elfen einmal studiert hatte. Nach einer Weile hellte sich ihre Miene jedoch auf. „Nathárzón!“ rief sie triumphierend und strahlte Thelios voller Stolz an, als wenn sie erwartete, dass er sie lobte. „Wenn ich mich nicht irre, bedeutet es 'Königlich', oder so etwas in die Richtung. Kommt das Wort etwa von 'Nathrezim'?“ Thelios sah sie kurz überrascht an, klatschte dann jedoch drei mal langsam in seine Hände.
„Nicht schlecht, Alchemistin.“ sagte er, und schien tatsächlich ein wenig beeindruckt zu sein. „Du bist schlauer, als ich dachte.“
„Danke... Moment, was soll das heißen?“
„Nathrezim bedeutet übersetzt in eure Sprache so viel wie 'Prinz'.“ setzte Thelios seine Erklärung fort und ignorierte Naleya vollkommen. „Von uns gibt es nur vier im gesamten Himmelsreich... nein, es gab einmal vier. Mich mitgerechnet, gibt es jetzt nur noch drei von uns.“
„Warum gibt es so wenige von euch? Ich habe gehört, Engel werden sehr alt, in der Kirche heißt es, sie sind unsterblich.“ warf Naleya ein, dachte kurz nach und musterte dann Thelios' Flügel. „Wie alt bist du eigentlich?“ Der Engel stutzte und schien zum ersten mal ernsthaft überlegen zu müssen, ehe er antwortete. Schließlich gab er auf und schüttelte den Kopf.
„Ich weiß es nicht.“ sagte er und zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ich habe schon vor einigen Jahren aufgehört zu zählen.“ Naleya schluckte, also war Thelios wahrscheinlich sehr alt... und sie redete nicht gerade respektvoll mit ihm, dafür, dass er ein uraltes, himmlisches Wesen war. Andererseits schien sich der Engel nicht großartig daran zu stören, es schien ihn eher zu freuen, sich normal mit Naleya unterhalten zu können, also beschloss sie, vorerst so weiterzumachen. „Um deine andere Frage zu beantworten, einst gab es um die siebzig Nathrezim, die meisten von ihnen fielen jedoch im Dunklen Krieg, gegen Veynlaz und seine dämonischen Horden.“
„Siebzig?“ entfuhr es Naleya. „Aber... wie konnten siebzig der mächtigsten Lebewesen die es gibt einfach so... sterben?“ Ein gequältes Lächeln zeichnete sich auf Thelios' Gesicht ab.
„Wer hat gesagt, dass wir die mächtigsten Lebewesen sind, die es auf Amtheon gibt? Es existieren Wesen, die weit mächtiger sind, als selbst die Nathrezim... wahrscheinlich auch mächtiger als derjenige, der sie im Dunklen Krieg angeführt hat.“ Naleya dachte kurz über die Worte des Engels nach, ehe ihr aufging, was er meinte.
„Die Teufel! Die vier Generäle des Erzdämons!“ Thelios nickte.
„Vier von ihnen sind in den Krieg gezogen und kein einziger von ihnen ist gefallen. Niemand weiß, was letztendlich mit ihnen passiert ist, niemand außer Nuvaz selbst.“ Thelios verzog das Gesicht, als er an die Zeiten des Kriegs zurückdachte, während Naleya schweigend über das nachdachte, was ihr eben gerade offenbart worden war. Konnte das wirklich stimmen? Gab es tatsächlich Wesen auf Amtheon, die gefährlicher und stärker waren, als selbst die reinsten und mächtigsten Diener Gottes? Für sie war das eigentlich unvorstellbar, andererseits war Thelios einer dieser Diener Gottes und musste es ja wissen... oder zumindest war er es. Irgendwie bezweifelte sie, dass der Gefallene Engel noch als 'rein' bezeichnet werden konnte. „... hörst du mir überhaupt noch zu?“ fragte der Engel und Naleya zuckte zusammen.
„Was?“
„Ich fragte, ob du mir überhaupt noch zuhörst.“ sagte der Engel und Naleya lachte verlegen auf und kratzte sich am Hinterkopf.
„Ah... Entschuldigung, ich war vollständig in meinen Gedanken versunken, das passiert hin und wieder.“ Thelios seufzte.
„Genau das, was man von einer Alchemistin erwarten muss... nein, das stimmt nicht ganz. Ich denke, das hat nichts damit zu tun, dass du eine Alchemistin bist.“ Plötzlich erhob Thelios sich von seinem Hocker und stand direkt vor Naleya, die ein wenig zurückzuckte. Sie wollte eigentlich fragen, was er vorhatte, brachte jedoch kein Wort über ihre Lippen, während Thelios ihr tief in ihre Augen starrte und sie förmlich von seinen grünen Pupillen angezogen wurde, sie konnte sich einfach auf nichts anderes mehr konzentrieren. Je länger sie in die Augen des Engels starrte, desto mehr wurde sie davon überzeugt, vor einem wahren Diener Nuvaz zu sitzen. Thelios war ohne Zweifel ein Wesen, dass es verdient hatte angebetet und verehrt zu werden. Sie sollte damit anfangen, einen Tempel für ihn hier in Amderad zu bauen und dann... so überraschend und plötzlich, wie Thelios aufgestanden war, hatte er sich auch schon wieder auf seinem Sitzplatz niedergelassen und den Blickkontakt zu Naleya unterbrochen. Diese schüttelte kurz den Kopf und lief erneut rot an, als ihr bewusst wurde, was sie da gerade gedacht hatte. Was war nur los mit ihr? „Ah, Verzeihung.“ sagte Thelios und hob entschuldigend die Hände. „Ich war so lange weg, dass ich ganz vergessen habe, was für eine Wirkung wir auf euch Sterbliche haben, wenn wir euch zu lange in die Augen sehen.“
„Wirkung? Dann warst du an dem Schuld, was ich gerade gedacht habe?“ Thelios nickte.
„Wahrscheinlich, es kommt ganz darauf an, was du gedacht hast.“ meinte er und lachte. „Jeder Engel hat eine besonders starke, magische Ausstrahlung, welche die sterblichen Rassen beeinflussen kann, je mächtiger der Engel, desto stärker der Effekt. Aber egal, wie ich schon sagte, bevor ich mich habe ablenken lassen: Die Cherubim sind eine Organisation im Himmelsreich, ich war einst ihr Anführer. Unsere Aufgabe war es, die Wege der Magie zu erforschen und über die zahlreichen Bibliotheken im Himmelspalast zu wachen.“
„Hm...“ machte Naleya, schrieb etwas auf das Blatt auf ihrem Schoß und tippte dann mit der Feder auf das Papier. „Also seid ihr so etwas wie Alchemisten?“
„Wie... Alchemisten?“ fragte Thelios verdutzt und wollte gerade lachen, dachte dann jedoch ein wenig genauer nach, ehe er kurz den Kopf schüttelte. „Du bist seltsam, Naleya.“ sagte er schließlich und als er ihren Namen aussprach, klang es nicht wie der Name einer einfachen Alchemistin, sondern wie der einer Heiligen. „Kein Sterblicher... nein, nicht einmal ein Engel hat bisher so einen Vergleich gezogen. Aber du hast nicht unbedingt unrecht. Wir sind uns tatsächlich ähnlich, auch darin, dass sowohl Cherubim, als auch Alchemisten einen tiefen Wunsch verspüren, die Geheimnisse von Amtheon zu lüften, was letztendlich auch zu meinem Fall geführt hat.“ Als Thelios seinen 'Fall' ansprach spitzte Naleya die Ohren und dachte sofort wieder an die Halskette... und daran, dass Thelios sie angeblich gerettet hatte, auch wenn sie noch immer nicht wusste, vor was. Sie überlegte kurz, ob es noch weitere, grundlegende Fragen gab, auf die sie eine Antwort brauchte. Die ein oder andere kam ihr durchaus noch in den Sinn, aber die konnten warten. Jetzt wollte sie erst einmal wissen, wie sie überhaupt in diese ganze Sache reingeraten war, und vor allem, in was für eine Sache. Also holte sie tief Luft und richtete ihren Blick auf Thelios, auch wenn sie darauf bedacht war, ihm nicht direkt in die Augen zu sehen, sie wollte nicht riskieren, dass ihre Gedanken wieder mit Unsinn vernebelt wurden.
„Das führt mich zu einer weitaus wichtigeren Frage, wieso warst du in der Halskette gefangen? Warum musstest du mich retten? Und warum hat Uriel mir die Halskette gegeben, wenn sie so gefährlich ist?“
„Was hast du da gesagt?“ entfuhr es Thelios und er stand plötzlich wieder direkt vor Naleya.
„Ähm... was genau?“ fragte sie und war ziemlich nervös. Irgendetwas schien den Engel ziemlich aufzuwühlen und sie wusste nicht was. Bisher hatte er geduldig ihre Fragen beantwortet, also schätzte sie, dass sie irgendetwas falsches gesagt haben musste.
„Der Name! Hast du gerade Uriel gesagt?“
„Oh, ja. Sie war es, die mir die Halskette gegeben hat.“ Thelios sah vollkommen verwirrt aus, schüttelte dann aber den Kopf und setzte sich wieder.
„Das kann nicht sein.“
„Ist es aber!“ sagte Naleya und setzte eine beleidigte Miene auf. Sie konnte sich ja wohl an den Namen des ersten Engels erinnern, mit dem sie je gesprochen hatte. „Eine Frau mit acht weißen Engelsflügen hat mir die Kette gegeben und gesagt, ihr Name sei Uriel. Warum ist das so seltsam?“
„Weil Uriel tot ist.“ sagte Thelios und tiefe Trauer schwang in seiner Stimme mit. „Ich habe ihre Leiche selbst gesehen. Uriel, Lyaena, Lucifer, sie alle sind tot. Erschlagen von einem Verräter innerhalb des Himmelspalasts.“ mit jedem Wort, dass Thelios sprach verfinsterte sich sein Tonfall und es wurde deutlich kälter im Zimmer. Letztendlich war es soweit, dass Naleya sehen konnte, wie ihr Atem weiße Wölkchen aufstieß und sie anfing zu frieren, obwohl draußen die Sonne unbarmherzig auf die Stadt knallte.
„K-k-kannst d-du dich e-ein b-bisschen b-b-beruhigen?“ stotterte Naleya und klapperte mit den Zähnen, woraufhin Thelios sie kurz ansah und dann beschämt den Blick abwandte.
„Tut mir leid.“ murmelte er und nicht zum ersten mal, während dieses Gesprächs, dachte Naleya, dass Thelios keinesfalls den Eindruck eines uralten, erhabenen Wesens machte.
„Schon gut, wir alle können mal wütend werden.“ sagte Naleya, als es wieder wärmer im Zimmer wurde, und klopfte prüfend gegen ihr Fässchen voll Tinte. Sie seufzte und stellte es zur Seite, die Tinte war eingefroren und es würde wohl eine Weile dauern, ehe sie wieder benutzt werden konnte. Also legte sie auch Feder und Papier zur Seite und widmete ihre ganze Aufmerksamkeit dem Engel vor sich. „Also... willst du mir erzählen, was es mit der ganzen Sache auf sich hat?“ Thelios sah sie kurz an und, zum ersten mal, seit sie das Gespräch begonnen hatten, zögerte er, ehe er antwortete.
„Du kannst mir einfach befehlen, deine Fragen zu beantworten.“ sagte er schließlich und Naleya sah ihn verwirrt an.
„Was? Wieso?“
„Ich habe doch gesagt, dass wir irgendwie eine Bindung eingegangen sind... so etwas, wie eine Elementarbindung, oder eine Geisterbindung.“ sagte Thelios und deutete auf Naleyas Schulter.
„Was? Was ist mit meiner Schulter?“ fragte Naleya, hob ihr Hemd ein wenig an und betrachtete ihren Körper genauer. „Was in Nuvaz' Namen ist das?“ entfuhr es ihr plötzlich, als sie ein schwarzes Pentagramm bemerkte, dass mitten auf ihrer Schulter prangte und das sie beim hastigen anziehen vorhin gar nicht bemerkt hatte.
„Der Beweis dafür, dass du meine Herrin bist.“ sagte Thelios und zeigte ihr seine Handfläche, auf der sich ein umgedrehtes, schwarzes Dreieck befand, das von einem Kreis eingeschlossen war.
„Aber wie...“ begann Naleya, verstummte dann jedoch und warf Thelios einen vorwurfsvollen Blick zu. „Du wolltest mich ablenken!“
„Nein... nein, wollte ich gar nicht.“ sagte der Engel, sah dabei jedoch an Naleya vorbei und wich ihrem Blick aus. „Vertraue mir, Engel lügen nicht.“
„Ach ja? Ich befehle dir, mir die Wahrheit zu sagen.“ sagte Naleya trocken und Thelios starrte sie ungläubig an.
„Das ist... das ist ungerecht!“ rief er, woraufhin Naleya ihn jedoch nur auffordernd ansah. „Gut... Engel lügen nicht, sie... verschweigen nur manchmal Teile der Wahrheit.“
„Und?“
„...“
„Ich warte.“
„Bei Nuvaz! Ich gebe auf!“ stöhnte Thelios auf und warf die Hände in die Luft. „Ich komme mit euch einfach nicht klar! Aber gut, wenn du es unbedingt hören willst, Gefallene Engel lügen durchaus des öfteren.“
„Dachte ich mir schon.“ sagte Naleya und grinste zufrieden. Anscheinend hatte Thelios nicht gelogen, als er gesagt hatte, sie sei seine Herrin... entweder das, oder der Engel spielte ein äußerst seltsames Spiel mit ihr. „Hast du mir bisher die Wahrheit erzählt?“ Thelios warf ihr einen missmutigen Blick zu.
„Ja, habe ich.“
„Gut, das freut mich.“ Naleya nickte zufrieden. „Du darfst jetzt aufhören, nur noch die Wahrheit zu sagen.“
„Was?“ Thelios sah sie verwirrt an. „Willst du mir nicht befehlen, dir zu sagen, warum ich verbannt wurde? Was es mit der Kette auf sich hat?“ Naleya zögerte kurz, schüttelte dann jedoch den Kopf.
„Wenn du es mir nicht sagen willst, musst du nicht. Ich will dich nicht dazu zwingen.“
„Aha... und was sollte die kleine Aktion eben?“ fragte Thelios mit tonloser Stimme, woraufhin Naleya beschloss, dass ihre Zimmerwand äußerst interessant ist und begann, sie eingehend zu mustern.
„Ähm... also... na ja... ich... ich wollte nur gucken, ob du auch die Wahrheit gesagt hattest, als du meintest, wir haben eine Bindung.“ Sie zögerte kurz, wandte sich dann wieder zu Thelios und senkte ihren Kopf vor ihm. „Es tut mir leid, ich hätte das nicht tun dürfen.“ Erneut ließ Thelios ein Seufzen hören.
„Ich kann dich einfach nicht einordnen.“ murmelte er, mehr zu sich selbst, als zu Naleya. Eine Weile lang schwiegen sie, dann stand Thelios jedoch auf, öffnete ein nahes Fenster und steckte hinaus, auf Amderad. Naleya beobachtete ihn die ganze Zeit und wie er dort am Fenster stand, die Meeresbrise durch sein Haar wehen ließ und mit geschlossenen Augen die Sonne auf sein Gesicht schienen ließ, wirkte er wie ein ganz gewöhnlicher, junger Mann auf Naleya... minus die spitzen Ohren und die gewaltigen Flügel. „Uriel war vor zwanzig Jahren die Anführerin der Seraphim, der Leibwache Nuvaz', wie du schon richtig gesagt hast.“ begann Thelios plötzlich und Naleya rückte mit ihrem Stuhl näher zu ihm, um auch wirklich jedes Wort mitzubekommen. „Wir waren gute Freunde, die zusammen im Dunklen Krieg gegen die Heerscharen Veynlaz' gekämpft haben. Sie war streng, aber gerecht. Nicht viele Engel waren mit ihr befreundet, die meisten hielten sie für zu distanziert und kühl, aber das waren diejenigen, die sich nie wirklich die Mühe gemacht haben, Uriel richtig kennenzulernen. Luciel war ein Silberflügel, so nennen wir die jungen Engel, weil ihre Federn noch silbern sind und nicht weiß. Er war gerade einmal sechzig Jahre alt und trotzdem schon meine rechte Hand bei den Cherubim, ich hatte noch nie einen talentierteren Engel als ihn gesehen.“ Sein Blick huschte kurz zu Naleya und er schien kurz nachzudenken. „Obwohl... vielleicht doch, aber ich schweife ab.“ Thelios schien seine Gedanken zu ordnen und fuhr dann fort. „Lyaena war ebenfalls Teil der Cherubim, eine Nudrin und für mich, wie eine kleine Schwester.“
„Engel haben Geschwister?“ fragte Naleya erstaunt, ehe sie sich die Hände vor den Mund hielt. Vielleicht war jetzt nicht der beste Zeitpunkt, um Thelios mit Fragen zu unterbrechen. Dieser lächelte sie jedoch nur an.
„Natürlich, hast du etwa noch nie von den Zwillingen gehört?“ fragte er und spielte damit auf Raphael und Azrael an, die angeblich ganz alleine einen der Teufel während des Dunklen Krieges zurückgeschlagen hatten. Allerdings schien er keine wirkliche Antwort von Naleya zu erwarten, denn er fuhr einfach fort. „Vor...“ er zögerte und warf erneut einen Blick zu Naleya. „Welches Jahr haben wir?“
„Wie bitte?“
„Welches Jahr, ich weiß nicht, wie lange ich in der Kette gefangen war.“
„Oh. Es ist das Jahr 1098 nach dem Dunklen Krieg.“ sagte Naleya und war sofort wieder still, um den Engel weitererzählen zu lassen.
„1098...“ murmelte er. „Dann ist es noch nicht zu lange her. Vor knapp zwanzig Jahren, begann eine Reihe von seltsamen Morden im Himmelspalast. Mitglieder der Cherubim und Seraphim wurden scheinbar wahllos abgeschlachtet und ihre inneren Organe wurden entfernt. Innerhalb von drei Monaten wurden vierzig Engel ermordet und die Seraphim konnten vom Täter keine Spur finden. Ich hatte jedoch mehr Glück... oder zumindest dachte ich das.“ ein bitteres Lächeln zeigte sich auf Thelios' Gesicht, als er weitersprach. „Ich habe mir die Morde einmal genauer angesehen und fand eine Spur, die zu Asbael führte, einem Nethea und Uriels rechte Hand, bei den Seraphim. Das hätte auch erklärt, warum diese nicht vorankamen, Asbael hatte das volle Vertrauen von Uriel und bis ich die Beweise fand, auch von mir. Wir hatten immerhin gemeinsam im Krieg gekämpft, Seite an Seite. Aber ich war von meinen Beweisen überzeugt, allerdings konnte ich nicht einfach so zu den Seraphim marschieren, das wäre äußerst unklug gewesen, vor allem, weil ich noch nicht genug Beweise hatte, jedenfalls nicht, um ein Gericht aus allen dreizehn Erzengeln zu überzeugen. Also habe ich ein geheimes Treffen mit Uriel, Lucifer und Lyaena arrangiert, den Engeln, denen ich am meisten vertraut habe. Wir wollten uns in einer der Bibliotheken treffen, in einem Flügel, zu dem nur ich und drei andere Engel Zugang hatten. Einer war Uriel, die anderen beiden waren in den Monaten zuvor ermordet worden. Als ich in der Bibliothek ankam, erwartete mich allerdings ein schockierender Anblick. Uriel, Lucifer und Lyaena lagen tot auf dem Boden. Sie wurden mit Magie getötet, Magie, die eigentlich mein Spezialgebiet war. Ehe ich reagieren konnte, platzten die Seraphim in die Bibliothek, angeführt von Asbael. Zuerst dachte ich, er habe mir eine Falle gestellt, aber als er ans Uriels Seite geeilt ist um nach ihr zu sehen und als ich den hasserfüllten Blick gesehen hatte, den er mir zuwarf, war ich mir sicher, dass er unschuldig ist. Irgendjemand hat mich reingelegt und in meiner Arroganz und dem Glauben, ich könne mich nicht irren, habe ich meine drei besten Freunde in den Tod geführt.“ Thelios seufzte, schloss das Fenster und setzte sich wieder auf seinen Hocker. „Zumindest dachte ich das, aber du behauptest, Uriel lebt noch?“ Naleya nickte. „Wie sah sie aus? Der Engel, der behauptet hat, Uriel zu sein.“
„Sie hatte kurze, blonde Haare, graue Augen und vier weiße Flügelpaare.“ Thelios riss die Augen auf und ein fröhliches Lächeln schien über sein Gesicht zu huschen.
„Das... das klingt nach Uriel. Aber wie ist das möglich? Vielleicht... wenn sie wusste, dass ich Verbannt worden war...“
„Ähm... Entschuldigung.“ warf Naleya ein und lenkte damit Thelios' Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Ich hätte noch ein paar Fragen... also, wenn es in Ordnung für dich ist.“ murmelte sie und senkte den Kopf. Sie schämte sich ein wenig dafür, Thelios in diesem Augenblick abzulenken, aber wer wusste schon, wann sie noch einmal die Möglichkeit kriegen würde, mit ihm darüber zu reden? Soweit sie wusste, könnte der Engel am nächsten Tag verschwunden sein, oder sich weigern, mit ihr zu reden.
„Oh, natürlich.“ sagte Thelios und schien sich wieder ein wenig einzukriegen. „Ich war nur zu... begeistert von der Möglichkeit, dass Uriel noch am Leben ist, tut mir leid.“
„Nein, nein! Du musst dich nicht entschuldigen!“ Naleya wedelte abwehrend mit den Händen in der Luft. „Es ist nur so, dass ich gerne wissen würde, wie die Geschichte ausgeht... und warum du mich heilen musstest.“ Thelios nickte.
„Gut, wie du willst, allerdings gibt es nicht mehr viel zu erzählen. Ich wurde vor ein Gericht aller Erzengel gebracht und wie ich feststellen musste, gab es zahlreiche Beweise und Zeugen, die mich als Täter belasteten. Ich weiß nicht wer, oder wie, aber irgendjemand hat es geschafft eine wahrhaft meisterhafte Intrige gegen mich zu spinnen und ich wurde als verrückter Mörder dargestellt. Zu meinem Glück bin ich ein Nathrezim und angesehener Erzengel... oder war es zumindest vor der ganzen Sache. Deswegen verzichtete man auf die Todesstrafe, stattdessen wurde ich vor Nuvaz persönlich gebracht. Er war es, der die heilige Energie aus meinem Körper gebannt hat. Danach legte er einen Siegelzauber auf mich und das ist alles, was ich weiß.“ Thelios seufzte. „Ich wünschte, ich wüsste mehr, aber leider ist dem nicht so.“
„Was genau meinst du eigentlich, mit heiliger Energie?“
„Nun... es ist... Energie... Magie, die durch unsere Körper fließt und ist... na ja, heilig.“ sagte Thelios und zuckte mit den Schultern. „Selbst wir Cherubim sind auf diesem Gebiet der Forschung nicht besonders weit gekommen, wir wissen selber kaum etwas darüber. Das einzige, was fest steht ist, dass die heilige Energie es uns Engeln ermöglicht, die Magie Nuvaz' zu nutzen, was keinem anderen Volk auf Amtheon gelingen will. Gleichzeitig verhindert sie jedoch, dass wir unheilige Magie benutzen können, wie ich es in deinem Laden getan habe.“ Naleya erschauderte, als sie daran zurückdachte. Jetzt war ihr auch klar, warum der Engel namens Remiel so panisch reagiert hatte... zumindest glaubte sie es.
„Unheilige Magie ist äußerst gefährlich für einen Engel, nicht wahr?“ fragte sie, um ihre Vermutung zu bestätigen.
„Richtig, glücklicherweise für uns Engel gibt es nur wenige, die in der Lage sind unheilige Magie zu verwenden..“
„Warum hast du... warum hast du die anderen Engel und die Soldaten getötet?“ fragte Naleya mit leiser Stimme und musterte Thelios aufmerksam.
„Es war notwendig.“ sagte der Engel und Naleya bemerkte überrascht, dass er äußerst niedergeschlagen wirkte, obwohl er sich im Laden so verhalten hatte, als wenn ihn die ganze Sache nicht wirklich interessierte. „Hätte ich es nicht getan, wäre ich wieder gefangengenommen, oder getötet worden. Ich musste es tun, um zu überleben.“ Der Engel warf einen Blick auf seine Hände, ehe er fortfuhr. „Allerdings... scheint etwas schiefgegangen zu sein, als du das Siegel gelöst hast. Du musst beim Ritual irgendetwas falsch gemacht haben, weil ich mich mit dem simplen Zauber ziemlich überanstrengt habe. Du hast einen Teil meiner Magie noch immer in der Halskette versiegelt gelassen. Das war es auch, was deinen Körper angegriffen hat, unheilige Energien, die deinen Körper ausgezehrt haben. Ohne mich, wärst du wohl innerhalb von wenigen Stunden gestorben... andererseits wärst du ohne mich nie wirklich in Gefahr gewesen.“ Thelios hob seinen Blick und sah zu Naleya hinüber, die nervös auf ihrem Stuhl hin und her rutschte und wieder einmal beharrlich auf die Wand starrte. „Was ist?“
„Na ja, also... ähm... von was für einem Ritual redest du?“ Thelios starrte die Alchemistin ungläubig an.
„Wie bitte? Vom Ritual zum lösen des Siegelzaubers natürlich. Wovon auch sonst?“
„Ja... also wenn es darum geht... besteht das Ritual zufällig daraus, Blut eines Engels über den Obelisken zu gießen?“
„Was? Nein, natürlich nicht! Du musst Weihrauch aus Corpheus, dreißig Obsidiansplitter und die Nugránplfanze zusammen verbrennen, dabei die Entzauberungsformel sprechen und...“ Thelios hielt an, als ihm klar wurde, was Naleya da gerade gesagt hatte. „Moment... du hast nichts davon getan?“ Die Alchemistin schüttelte den Kopf. „Aber... wie...warum bin ich dann hier?“ fragte er, woraufhin Naleya seufzte und ihm dann erzählte, was sie alles getan hatte, um das Siegel zu lösen.
„... und dann bist du plötzlich im Laden aufgetaucht.“ schloss sie ihren Bericht und wand sich unter den ungläubigen Blicken des Engels. Eine Weile lang herrschte ein unbehagliches Schweigen, dann brach Thelios jedoch in ein befreites, lautes Lachen aus.
„Oh, bei Nuvaz. Ich kann es nicht glauben! Seit Jahrtausenden haben wir Engel unser Ritual durchgeführt, um unsere Siegelzauber zu lösen... und dann gibt es so eine einfache Lösung? Das ist unglaublich! Woran liegt das wohl? Vielleicht an der heiligen Energie in unserem Blut? Du sagtest, Uriels Blut hat sich schwarz gefärbt, als es den Obelisken berührt hat... das könnte eine Reaktion, auf meine unheilige Magie sein, die ja im Obelisken gefangen war... ich muss das erforschen, unbedingt!“ plapperte der Engel vor sich hin und hörte erst auf, als er Naleyas verdutzten Blick bemerkte. „Ist etwas?“
„Nein... nein, überhaupt nichts. Ich glaube nur, ich weiß jetzt wie ich auf Temeria wirken muss, wenn ich über meine Arbeit rede.“ sagte Naleya und lächelte. Dann wurde ihre Miene jedoch wieder ernster. „Was... was willst du jetzt machen?“ fragte sie den Engel. Sie hatte ihr Versprechen gegenüber Uriel gehalten und das Siegel gelöst... mehr oder weniger. Jetzt wusste sie nicht, wie die ganze Sache weitergehen sollte, vor allem, weil sie irgendwie in eine himmlische Intrige verstrickt worden war.
„Das liegt ganz an dir.“ antwortete Thelios ihr und riss die Alchemistin somit aus ihren Gedanken.
„An mir?“
„Natürlich, ich sagte doch bereits, wir sind eine Bindung eingegangen... ob es an deiner seltsamen Art das Siegel zu lösen lag, oder an einem Fehler meinerseits weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich mich nicht allzu weit von deiner Seite entfernen kann, und dass ich gezwungen bin, deine Befehle zu befolgen.“ Thelios überlegte kurz, ehe er ein schiefes Lächeln aufsetzte. „Theoretisch könntest du mich zur Kirche bringen. Niemand glaubt an meine Unschuld und ich bin offiziell ein Gefallener Engel und verrückter Mörder. Ich bin mir sicher, dich würde eine gewaltige Belohnung erwarten, wenn du...“
„Nein!“ unterbrach Naleya den Engel, ehe er ausreden konnte und sprang von ihrem Stuhl auf. Sie schien äußerst wütend zu sein, was Thelios ziemlich überraschte. „Für was hältst du mich eigentlich?“ fragte Naleya und brauste auf, sie vergaß sogar vollkommen, dass sie gerade mit einem Engel redete, der wahrscheinlich hundert mal so alt war wie sie, wenn nicht sogar noch älter. „Denkst du, ich liefere einfach so jemanden aus, der Hilfe braucht? Dann hätte ich schon Uriel an die Inquisition übergeben! Und du hast mein Leben gerettet, da werde ich dich ganz bestimmt nicht einfach so im Stich lassen!“ Nachdem sie geendet hatte, atmete Naleya tief ein und aus und setzte sich wieder auf ihren Stuhl, während sie Thelios wütend anfunkelte. Dieser hob abwehrend die Hände in die Luft.
„Schon gut... tut mir leid.“ sagte er und schien es durchaus ernst zu meinen, weshalb Naleya nickte.
„Schon vergeben... aber pass zukünftig auf, was du sagst.“
„Natürlich, Herrin.“ meinte Thelios und ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht, das noch breiter wurde, als Naleya, die sich mittlerweile bewusst wurde, wie sie sich verhalten hatte, rot anlief.
„Ähm... ja... gut... solange du Bescheid weißt, ist ja alles... gut.“ murmelte sie.
„Und was willst du nun machen?“ fragte Thelios sie belustigt. Er selber hatte kein Ziel, er war ein Verstoßener, ein Gefallener Engel. Egal was er machen, oder wohin er gehen würde, er konnte nirgendwo Hilfe erwarten. Naleya schien ernsthaft über seine Frage nachzudenken, mehrere Minuten sogar, weshalb Thelios wieder aufstand und zum erneut zum Fenster ging. Dann nickte Naleya plötzlich sachte, ehe sie in die Hände klatschte und Thelios anstrahlte.
„Ich werde dir helfen!“ verkündete sie enthusiastisch und ging zum Engel hinüber.
„Ach ja? Und wie?“
„Das... überlege ich mir noch!“ sagte sie und deutete auf ihre Schulter. „Ich weiß schon, was ich machen will, nur noch nicht wie. Als erstes werden wir die Bindung zwischen uns lösen, damit du nicht gezwungen bist, meine Befehle zu befolgen und gehen kannst, wohin du willst. Danach werden wir einen Weg finden, den Rest deiner Magie aus der Kette zu bekommen... was?“ frage Naleya, als Thelios sie einfach nur anstarrte.
„Nichts.“ sagte dieser und schüttelte den Kopf, zeigte dabei jedoch ein Lächeln, dass Naleya zum ersten mal bei ihm sah. Es war ein warmherziges Lächeln, dass von ganzem Herzen zu kommen schien und Naleya konnte einfach nicht anders, als ihn eine Weile lang anzusehen. „Du erinnerst mich nur an jemanden.“ fügte Thelios nach einer Weile hinzu und riss Naleya somit aus ihrer Starre.
„W-was? Ah... ach ja, genau... gut... dann ist ja... alles... gut.“ Naleya stolperte mehrmals über ihre Zunge, während sie sprach und wandte sich von Thelios ab. „Ähm... weißt du, wie man die Bindung löst?“ fragte sie schließlich, als ihr einfiel, dass sie ziemlich wenig Erfahrung auf diesem Gebiet hatte.
„Leider nicht, dazu müsste ich erst mehr über die Bindung selbst wissen. Es wird eine Weile dauern und einige Experimente brauchen, ehe ich weiß, was genau eigentlich passiert ist.“
„Oh, kann ich dir dabei helfen?“ fragte Naleya und drehte sich wieder zum Engel um. Dieser dachte kurz nach und nickte dann.
„Ich könnte durchaus Hilfe gebrauchen, aber vorher will ich dir helfen.“
„Was meinst du damit?“
„Ich hatte doch erwähnt, dass ich mit deiner Freundin gesprochen habe. Ich sollte dir ausrichten, dass die Hámmeth-Karawane sich verspätet, sie werden erst in zwei Tagen hier eintreffen.“
„Oh...“ Naleya hatte die Sache mit der Karawane bereits ganz vergessen.
„Außerdem meinte deine Freundin, dass du dich nicht überarbeiten sollst. Also werde ich dir dabei helfen, Waren für die Karawane herzustellen.“
„Danke für das Angebot... aber ist das wirklich in Ordnung?“ fragte Naleya und sah Thelios erstaunt an.
„Gibt es etwa Regeln, die besagen dass Alchemisten keine Hilfe von Engeln kriegen dürfen?“
„Nein, das meine ich nicht! Ich bin wirklich dankbar für dein Angebot. Aber ich habe versprochen, dir zu helfen! Da kann ich doch nicht einfach...“ Naleya verstummte, als Thelios erneut lächelte. „W-was ist? Warum lächelst du so?“ fragte sie und wandte den Blick ab.
„Kein besonderer Grund.“ sagte der Engel. „Ich finde nur, dass du ein ungewöhnlicher Mensch bist. Mache dir keine Sorgen, ich bin hunderte von Jahren alt, ein paar Tage zu warten und zu arbeiten wird auch keinen Unterschied machen.“ meinte er und Naleya nickte langsam.
„Ich denke du hast recht. Also gut, ich nehme dein Angebot an.“
„Wunderbar, auf eine gute Zusammenarbeit.“ sagte Thelios und reichte Naleya seine Hand. Als sie einschlug, lief ihr ein kurzer Schauer über den Rücken und sie verspürte ein seltsames Gefühl in ihrer rechten Brust. Allerdings war es schnell wieder vorbei und so beschloss sie, das ganze zu ignorieren.
„Auf eine gute Zusammenarbeit.“ sagte sie ebenfalls und war in Gedanken bereits in ihrer Werkstatt und bei den wundersamen Dingen, die sie mit der Hilfe eines Engels herstellen könnte.



Das Kloster der Inquisition sah von Außen nicht wirklich nach etwas besonderem aus und auch, wenn man es betrat wirkte es nicht gerade, wie eine geheime Einrichtung, in der wertvolle Gegenstände aufbewahrt wurden. Betrat man das Kloster, kam man in einen großen Raum, in dessen Mitte eine Statue von Nuvaz stand, gekleidet in eine prächtige Rüstung und mit einem Speer in der Hand, mehr gab es auf den ersten Blick nicht. In der hintersten Ecke gab es jedoch eine magisch versiegelte Tür im Boden, durch die man in das eigentliche Kloster gelangte, oder besser gesagt, in die größte Reliquienkammer der gesamten Inselreiche. Der gesamte Hügel, auf dem der Eingang in die Kammer gebaut war, sowie weite Teil der Landschaft um den Hügel herum, waren von unterirdischen Gängen und Höhlen durchzogen. Man hatte das ganze mit Hilfe der Goblins von Dergnov gebaut, die sich bestens mit solchen Arbeiten auskannten. Die Gänge waren mit Steinen gepflastert, ebenso wie die Wände und überall hingen Gemälde, Kronleuchter, oder magische Lampen. Die Reliquienkammer wirkte so mehr wie eine Kathedrale, als irgendein unterirdisch angelegtes Versteck. Feon stapfte äußerst schlecht gelaunt durch eben jene Gänge, und das schon seit Tagen. Der General war einige Stunden nach seinem Gespräch mit Asbael in einer der 'Höhlen' aufgewacht, welche für die Garnison des Klosters bereitstanden und die es durchaus mit den Quartieren in den Kasernen der Inquisition aufnehmen könnten, auch wenn das nicht viel zu sagen hatte. Sofort war er davon informiert wurden, dass die Engel sofort nach dem Gespräch mit Feon das Kloster verlassen hatten, mit der Nachricht für Feon, dass er hier auf neue Befehle warten sollte. Ihm gefiel die ganze Sache zwar überhaupt nicht, aber es war der Befehl eines Erzengels und den konnte er schlecht einfach so ignorieren. Also wartete Feon, und jeder Tag, den er in den schier unendlichen Gängen der Reliquienkammer verbrachte, trieb ihn langsam aber sicher in den Wahnsinn. Immerhin konnte er sich ablenken, indem er hin und wieder die Großinquisitoren verfluchte, die ihm die ganze Sache eingebrockt hatten. Feon war an den Kämpfen gegen die Rebellen beteiligt gewesen und einige, kleinere Erfolge feiern können, ehe er für seine Taten während der Schlacht von Drestiak zum General befördert worden war. Er hatte fest damit gerechnet, dass sein nächster Auftrag ihn nach Lioxport führen würde, wo die Truppen der Kirche sich darauf vorbereiteten, die rebellische Stadt zu belagern. Stattdessen durfte er eine dämliche Truhe eskortieren, sich von Engeln fast umbringen lassen, zusehen wie der Inhalt der Truhe gestohlen wird, die Engel verlieren, die er ebenfalls eskortieren sollte und sich zum Schluss von einem weiteren Engel in einen magischen Schlaf versetzen lassen, natürlich erst, nachdem man ihm sagte, dass er nicht erfahren durfte, worum es eigentlich ging. Leise vor sich hin fluchend stieg er eine Treppe empor und murmelte eine magische Formel, woraufhin sich die Decke über ihm einfach öffnete und er in die 'Eingangshalle' gelangte. Er warf einen kurzen Blick auf die Statue des Gottes und verbeugte sich kurz vor ihr, wie es in den Kirchen und Klöstern Demeors üblich war, ehe er das Gebäude verließ und sich zu den Soldaten gesellte, die draußen Wache standen. Es waren insgesamt sechs Soldaten in den roten Rüstungen der Inquisition und sie begrüßten Feon freundlich.
„General, guten Morgen!“
„Ich wünschte, er wäre gut.“ murmelte Feon, woraufhin die Soldaten anfingen zu lachen.
„Also noch immer keine Nachricht aus Panyeon?“ fragte eine Frau, die anstelle der für die Inquisition typische Partisane ein zweihändig geführtes Schwert auf dem Rücken trug.
„Nein... keine Nachricht aus Panyeon, keine Nachricht von Lord Remiel, überhaupt nichts.“ seufzte Feon.
„Man könnte meinen, dass man uns hier auf ewig festhalten will, nur weil wir die Truhe nicht beschützen konnten.“ murrte einer der Soldaten, was dafür sorgte, dass Feon das Gesicht verzog.
„Bitte, fange nicht mit so etwas an. Das kann ich überhaupt nicht gebrauchen.“
„Verzeihung, General.“ Feon seufzte.
„Ich wünschte, es würde wenigstens etwas hier ankommen, und wenn es nur eine Nachricht ist, dass...“ der Rest von Feons Worten gingen in einem schrecklichen Gebrüll unter, dass die Soldaten und den General dazu veranlasste, sich die Hände auf die Ohren zu drücken.
„Was war das?“ fragte einer der Soldaten und sah sich misstrauisch um, kaum hatte das Gebrüll nachgelassen. Bevor jemand antworten konnte, verdunkelte sich der Himmel kurzzeitig und alle hoben den Blick.
„Bei Nuvaz, das kann doch wohl nicht wahr sein!“ zischte Feon und zog sein Schwert als er sah, was dort angeflogen kam. Es war eine Kreatur, die den Körper eines Ochsen hatte, die Hinterbeine endeten in Hufen, die Vorderbeine in Klauen, die denen eines Löwen ähnelten. Aus dem Rücken der Kreatur wuchsen gewaltige Adlerschwingen und der Kopf wirkte beinahe menschlich, wenn da nicht die spitzen Zähne und die glühenden, roten Augen wären. Die gesamte Kreatur war grau und als sie landete bebte die Erde ein wenig, auf Grund ihres Gewichts. Es war das erste mal, dass Feon einen echten, lebenden Lamassu gesehen hatte. Diese Dämonen überragten einen Menschen um gut einen Kopf und ihre Haut war verflucht und fast so hart wie Stein. Seit dem Dunklen Krieg hatte man keine dieser Bestien mehr außerhalb von Ahn' Sherov gesehen. Die Soldaten hatten sich jedoch bereits wieder gefangen und die Kreatur eingekreist, diese schien jedoch keine Anstalten zu machen, anzugreifen... zumindest noch nicht. Plötzlich zeigte der Lamassu ein breites Lächeln und starrte Feon direkt in die Augen.
„Du bist hier der Anführer?“ fragte der Dämon, mit tiefer Stimme, wobei man gleichzeitig leise ein Geräusch vernehmen konnte, dass sich anhörte, als wenn jemand zwei Steine aneinander rieb.
„Das bin ich, was willst du, Lamassu?“
„Gib mir den Stein, dann werde ich wieder verschwinden und niemand wird verletzt.“
„Den... Stein?“ fragte Feon verwirrt. Wovon redete der Dämon da?
„Spiel keine Spielchen mit mir, Mensch.“ knurrte der Lamassu und ein bedrohlicher Unterton mischte sich in seine Stimme. „Ich weiß, dass er hier ist, die Spur führt von Panyeon bis hier her.“
„Ähm... ich fürchte, du irrst dich. Ich weiß wirklich nichts, von einem Stein.“ meinte Feon, und beobachtete jede noch so kleine Bewegung des Dämons ganz genau. Der Lamassu ließ ein wütendes Brüllen hören.
„Du hast es so gewollt, Mensch!“ knurrte er und machte sich bereit zum Angriff. Bevor er jedoch überhaupt etwas machen konnte, kam eine heftige Windböe auf und eine Gestalt, schwebte plötzlich neben dem Lamassu. Es war eine junge, äußerst attraktive, Frau mit kurzen, schwarzen Haaren und violetten Augen. Sie trug eine eng sitzende, schwarze Lederrüstung, an deren Armen sichelartige Klingen angebracht waren. Der emotionslose Ausdruck in ihrem Gesicht und die geschnörkelten, schwarzen Hörner, die aus ihren Schläfen wuchsen, ließen keinerlei Zweifel übrig, um was es sich beim Neuankömmling handelte. Sie war eindeutig eine Succubi, die weiblichen Gegenstücke zu den weitaus häufigeren Incubi. Feon schluckte nervös. Er wusste nicht viel über Dämonen, aber er wusste zumindest, dass Lamassu und Succubi zu den höchstrangigen Dämonen gehörten, die es gab. Was auch immer sie suchten, es musste wichtig für den Erzdämon sein.
„Ruhig, Sh'arkrul.“ sagte die Succubi, mit emotionsloser, leiser Stimme und streichelte den Kopf des anderen Dämons. „Er ist nicht hier.“
„Bist du dir sicher?“
„Ich würde ihn spüren“ Der Lamassu ließ ein frustriertes Knurren hören. „Du hast noch mehr schlechte Nachrichten, das spüre ich.“
„Richtig. Wir wurden reingelegt. Die Kirche hatte ihn nie, sie haben etwas anderes transportiert.“
„Was? Aber... es fühlt sich richtig an. Eine starke, magische Spur. Er muss es sein.“ Die Succubi schüttelte den Kopf.
„Ich habe die Quelle gefunden, er ist es nicht.“
„Davon will ich mich selber überzeugen.“
„Du vertraust mir nicht?“ Der Lamassu antwortete nicht und im Gesicht der Succubi regte sich noch immer nichts, also konnte man schlecht einschätzen, wie sie auf die Situation reagierte. „Wenn du unbedingt willst, ich führe dich.“ sagte die Succubi schließlich und begann langsam immer höher zu schweben.
„Warte!“ rief Feon plötzlich und trat einen Schritt nach vorn, woraufhin die Succubi ihn fragend ansah.
„Was willst du, Mensch?“
„Wie heißt du?“ fragte er, an die Succubi gewandt.
„Warum willst du meinen Namen wissen, Mensch?“
„Muss ich einen Grund dafür haben?“
„Nein.“ Mehr sagte die Succubi nicht. Feon sah sie eine ganze Weile lang fragend an, während der Lamassu begann, mit seinen Klauen über den Boden zu scharren.
„Also...? Wie heißt du?“ probierte Feon es erneut.
„Name.“ sagte die Succubi und deutete auf den General.
„Wie bitte? Ich? Mein Name ist Feon de Lanceux.“ Die Succubi nickte.
„Mein Name ist Venyaz. Ich denke, wir werden uns wiedersehen.“ mit diesen Worten flog die Succubi endgültig davon, dicht gefolgt vom Lamassu. Feon atmete erleichtert aus.
„General? Warum haben wir nicht gegen sie gekämpft?“ fragte einer der Soldaten und erntete zustimmendes Gemurmel, vom Rest. Feon zog eine Augenbraue in die Höhe.
„Weil es keinen Grund gab zu kämpfen natürlich.“ sagte er und seufzte. „Nur weil sie Dämonen sind, müssen wir nicht gleich kämpfen. Wie auch immer, mir reicht es langsam.“
„Was meint Ihr damit?“
„Menschen, Elfen, Engel... und jetzt auch noch Dämonen, sie alle sind hinter dieser verfluchten Truhe her, oder wegen dem, was mal drinnen war, oder denken zumindest, dass sie dahinter her sind. Ich will endlich wissen, was da drinnen war!“ Feon wandte sich um und ging in Richtung Kloster davon. „Stellt vorsichtshalber mehr Wachen auf, ich will nicht, dass es unschöne Überraschungen gibt.“ sagte er noch, ehe er wieder in den unterirdischen Gängen verschwand. Er würde noch zwei Tage auf eine Nachricht warten. Sollte nichts kommen, würde er nach Panyeon zurückkehren und den hohen Tieren dort solange auf die Nerven gehen, bis sie ihm seine Fragen beantworteten. Irgendetwas äußerst wichtiges musste sich in der Truhe befunden haben und Feon würde nicht ruhen, ehe er wusste, was genau es war.
Zuletzt geändert von Mimir am 30. September 2014 19:33, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: [Geschichte] Aufstieg des Dämonenkönigs

Beitragvon Mimir » 30. September 2014 19:32

Kapitel 4 - Das Treffen in der Phaneon-Höhle (Öffnen)
Kapitel 4 – Das Treffen in der Phaneon-Höhle:


Der große Augenblick war endlich gekommen! Es war zwei Tage, nachdem Naleya ihr Gespräch mit Thelios geführt und beschlossen hatte, ihm zu helfen, mit anderen Worten, die Hámmeth-Karawane würde heute nach Amderad kommen! Leider konnte Naleya sich nicht so ganz darüber freuen. Sie saß in ihrer Werkstatt und war damit beschäftigt, eine Kette aus Edelsteinen ein letztes mal auf Fehler zu überprüfen, wobei sie jedoch immer wieder Blicke zu ihrer Mischecke warf. Dort stand Thelios und schien Naleya vollkommen zu ignorieren, während er sich an ihren Zutaten bediente und irgendwelche Tinkturen zusammenbraute. Kurz darauf war sie mit der Halskette fertig, befand sie für gut und legte sie auf den Tisch vor sich, ehe sie aufstand und zu Thelios hinüberging. Eine Weile lang kreiste sie einfach um ihn herum und beobachtete ihn bei der Arbeit, bis er plötzlich die Phiole, welche er gerade in der Hand hielt, abstellte und laut hörbar seufzte.
„Kann ich dir irgendwie helfen?“ fragte er und drehte sich zur Alchemistin um.
„Hm? Ähm... na ja...“ begann sie zögerlich und deutete auf die Phiole. „Was machst du da?“
„Das kannst du doch wohl erkennen, ich stelle Medizin her.“
„Ja, das sehe ich.“
„Warum fragst du dann?“
„Weil ich eigentlich dachte, dass du... na ja... als du gesagt hast, dass du mir helfen willst Waren herzustellen, da dachte ich eigentlich...“
„Dass ich was? Dir geheime Zauber der Engel beibringe und dir Wissen aus dem Himmelspalast gebe?“ fragte Thelios und lächelte Naleya an.
„Etwas in die Richtung, ja.“ antwortete sie mit einem Seufzen.
„Dann muss ich dich enttäuschen. Selbst wenn du mich dazu zwingen würdest, es dir zu verraten würde ich mich eher umbringen. Ich war einst ein Cherubim und mein Fall hat nichts an meinem Pflichtgefühl geändert. Es ist meine Aufgabe, das Wissen der Welt zu hüten und dafür zu sorgen, dass es nicht in falsche Hände fällt und du bist eine Alchemistin, die ich seit ein paar Tagen kenne.“
„Ich verlange ja auch gar nichts besonderes.“ sagte Naleya und warf dem Engel einen hoffnungsvollen Blick zu. „Nur ein paar kleine Geheimnisse? Zwei, drei winzige Tipps, wie man heilige Magie nutzen kann, um...“
„Nein.“ Naleya ließ ein leises 'Tch' hören, gab jedoch nicht auf.
„Und wenn es etwas noch simpleres wäre? Zum Beispiel, wie man starke Waffen schmiedet, die nie rosten und...“
„Nein.“
„Ach komm schon! Du musst mir doch wenigstens etwas sagen können!“ rief Naleya, nun schon beinahe flehentlich. Vor ihr saß ein uralter Engel, ein Hüter des Wissens von Amtheon! Es war die Möglichkeit, mehr über die Welt zu lernen, aber er weigerte sich, sein immenses Wissen mit ihr zu teilen! Das war eine Gemeinheit und konnte sicherlich nicht im Interesse Gottes liegen! Gerade, als sie darüber nachdachte wie sie das ganze auf eine Art formulieren sollte, die Thelios überzeugen würde, läutete auf einmal die Ladenglocke und kurz darauf hörte Naleya, wie jemand die Treppe in die Werkstatt hinunterging.
„Guten Morgen, Naleya!“ erklang eine fröhliche Stimme von der Tür, als Temeria die Werkstatt betrat. Die Händlerin trug ein verziertes, schwarzes Kleid und hielt einen Korb in der Hand, der mit einem roten Tuch bedeckt war.
„Hallo Temeria. Warte doch bitte einen Augenblick, ja?“ meinte sie und wandte sich wieder an Thelios. „Du wirst mir doch wenigstens eine winzige...“
„Schön dich zu sehen, Temeria.“ sagte Thelios und ging an Naleya vorbei, um der Händlerin die Hand zu schütteln. Die letzten zwei Tage war Temeria öfters zu Besuch gewesen und hatte sich inzwischen an den Anblick des Engels gewöhnt, auch wenn sie weiterhin dachte, dass er ein Dunkelelementar sei.
„Ignoriere mich gefälligst nicht!“ empörte Naleya sich und folgte Thelios.
„Ärger im Paradies?“ fragte Temeria mit einem breiten Grinsen im Gesicht., ehe sie sich an Thelios wandte. „Du musst ihr verzeihen, sie ist es nicht gewohnt, mit einem Mann unter einem Dach zu leben. Ich hätte ehrlich gesagt nie gedacht, dass es jemals dazu kommen würde, und dann auch noch so ein attraktiver, junger Mann wie du es bist, Thelios.“
„Du schmeichelst mir.“ sagte der Engel und verbeugte sich tief. „Aber ich bin nichts weiter, als ein einfacher Elementar, dem Naleya Form gegeben hat. Ohne sie, wäre ich nichts.“
„Ach, das muss doch nichts heißen. Ich habe gehört, dass es bei den Elfen gar nicht mal so unüblich sind, dass ein Elementar und sein Herr, oder Herrin, eine etwas intimere Beziehung haben.“
„Was kann ich heute für dich tun, Temeria?“ fragte Naleya, mit ungewöhnlich lauter und hoher Stimme, während sie vollkommen rot anlief. Auch sie hatte Gerüchte über die ungewöhnlich enge Verbindung von Meister und Elementar bei den Elfen gehört und sie hatte keine Lust, sich von Temeria damit aufziehen zu lassen.
„Ah, richtig. Ich wollte dir sagen, dass die Karawane soeben eingetroffen ist. Einer der Händler ist ein Freund meiner Tante und hat uns einen wahrhaft gigantischen Vorrat an Backwaren geliefert, also dachte ich mir, ich bringe euch ein paar vorbei.“ sagte Temeria und zog das Tuch vom Korb. Bevor Naleya sich bedanken konnte, blitzte es in Thelios' Augen auf und plötzlich schossen seine Hände nach vorne. Nur einen winzigen Augenblick später, saß der der Engel in einer Ecke des Raumes und hielt zwei helle, weiche Brötchen in den Händen, die mit einer Art roten Glasur bedeckt waren, und verschlang sie, ohne ein einziges Wort zu sagen. Naleya und Temeria starrten Thelios einfach nur ungläubig an.
„Was war das?“ fragte die Alchemistin schließlich und das Lächeln in ihrem Gesicht sagte Temeria, dass sie mal wieder irgendeinen Plan hatte.
„Anscheinend hatte dein Elementar Hunger, du solltest ihn besser füttern.“
„Nein, ich meine, was waren das für Backwaren?“
„Oh... Bruchen, hast du schon einmal davon gehört?“ Naleya schüttelte den Kopf. „Sie kommen aus Dergnov und sind bei den Orks sehr beliebt. Sie bestehen aus süßlichem Teig und in ihrem Inneren ist eine äußerst süße Soße eingeschlossen. In der Glasur befinden sich dafür jedoch einige scharfe Gewürze, weshalb das ganze... süß und scharf schmeckt, eine merkwürdige Mischung.“ erklärte Temeria. „Thelios scheint sie jedenfalls zu mögen.“
„Ja, allerdings.“ murmelte Naleya vor sich hin, während Thelios wieder zu ihnen kam, sich räusperte und so tat, als wäre überhaupt nichts passiert.
„Also... die Karawane ist da?“ fragte er und machte mit seinem Blick deutlich, dass er nicht über das reden würde, was gerade geschehen war.
„Genau, sie werden fünf Tage lang hier sein, ehe sie weiterreisen.“ meinte Temeria und nickte zur Bestätigung. Dann stellte sie den Korb mit dem restlichen Gebäck auf einen nahen Stuhl und wandte sich an Naleya. „Ich muss leider auch schon wieder gehen, ich habe meiner Tante versprochen, mit ihr einmal die Karawane zu besuchen.“
„Oh, natürlich. Wir sehen uns dann später.“
„Bis dann!“ rief die Händlerin fröhlich, ehe sie die Treppe empor ging und aus dem Laden verschwand. Naleya warf einen Blick in eine Ecke der Werkstatt, in der ein halbes Dutzend Kisten standen, allesamt bis oben hin mit den verschiedensten Waren gefüllt. Sie nickte kurz entschlossen und klatschte dann in die Hände.
„Also gut, es wird Zeit, dass ich den Händlern mal zeige, was ich so anzubieten habe.“
„Naleya?“ fragte Thelios, woraufhin die Alchemistin sich zu ihm umdrehte. Er sprach sie äußerst selten an, zwar unterhielt er sich ganz normal mit ihr und beantwortete ihre Fragen, aber er selber stellte kaum welche und fing eigentlich kaum Gespräche an.
„Was gibt es?“
„Soll ich... soll ich dir helfen, das alles zum Markt zu tragen?“ fragte er und starrte in Richtung Treppe, mit einem Blick, den Naleya noch nie bei ihm gesehen hatte. Er wirkte... nervös und unruhig.
„Ich könnte Hilfe gebrauchen, aber...“
„Ich weiß, du willst, dass ich im Laden bleibe, und das kann ich auch verstehen.“ begann der Engel und stand plötzlich direkt vor Naleya. Er legte seine Hände auf ihre Schultern und starrte ihr tief und fest in die Augen. „Aber dass hier ist äußerst wichtig, es geht um Leben und Tod.“ sagte er, mit bedeutungsschweren Tonfall und vollkommen ernster Miene. Naleya musterte den Engel zögerlich.
„Worum geht es?“
„Das weiß ich noch nicht ganz, aber ich habe ein... seltsames Gefühl. Es hat heute angefangen, wahrscheinlich, als die Karawane das Dorf betreten hat. Ich kann es nicht richtig beschreiben, aber es ist ein Gefühl, dass mir vertraut ist. Nein, das ist nicht richtig. Es ist nicht wirklich vertraut, aber ich kenne es, ich habe es schon einmal gespürt, vor langer Zeit.“ erklärte Thelios und zuckte hilflos mit den Schultern. Die Alchemistin dachte eine Weile darüber nach. Es schien Thelios wirklich wichtig zu sein und sie wollte ihn nicht dazu zwingen, im Haus zu bleiben, aber sie wollte auch nicht riskieren, dass Gerüchte aufkamen, in Amderad gäbe es einen Gefallenen Engel, das wäre nicht gut für das Dorf.
„Schade, dass du deine Flügel nicht verstecken kannst.“ murmelte sie und seufzte. „Dann könntest du dich für einen Elfen ausgeben... ist etwas?“fragte sie, als Thelios bei ihren Augen die Stirn runzelte. „Habe ich was falsches gesagt?“
„Nein... nein, hast du nicht. Du hast mich nur auf einen äußerst lächerlichen Gedanken gebracht, weiter nichts.“
„Ach ja, warum sagtest du, es ginge um Leben und Tod?“
„Weil ich weiß, wann ich dieses Gefühl schon einmal hatte, es war während des Dunklen Kriegs.“ Schweigen kehrte in der Werkstatt ein und Naleya verstand sofort, warum der Engel sich solche Sorgen machte.
„Aber wie kann das sein? Du glaubst doch wohl nicht etwa, dass jemand, der im Krieg gekämpft hat, nach Amderad gekommen ist, oder?“
„Nein, natürlich nicht.“ sagte Thelios und lächelte schwach. „Aber es könnte sein, dass sich ein Artefakt aus Zeiten des Krieges im Besitz eines Händlers der Karawane befindet. Falls dem so ist, sollte ich es mir zumindest einmal ansehen um sicherzugehen, dass es keine Gefahr für euch Sterbliche ist. Viele Waffen, Rüstungen und andere Artefakte aus der Zeit des Kriegs wurden mit Flüchen belegt und als Fallen benutzt. Sie können durchaus gefährlich sein, also sollte man gut aufpassen.“
„Na gut... dann schätze ich, bleibt uns keine andere Wahl. Komme mit mir auf den Markt, und suche nach der Quelle, dieses komischen Gefühls dass du hast. Sollte es etwas gefährliches sein, werde ich mich darauf verlassen, dass du dich darum kümmerst.“ Der Engel zögerte.
„Ich kann wahrscheinlich erkennen, worum es sich bei dem Artefakt handelt, falls es überhaupt eines ist, aber es kann sein, dass ich nichts tun kann, selbst wenn ich es finde. Wie ich bereits gesagt habe, viel von meiner Macht ist noch immer in der Halskette versiegelt. Je nachdem von wem der Fluch stammt, falls es überhaupt einer ist, könnte es sich als schwierig bis unmöglich erweisen, ihn aufzuheben.“
„Und wenn wir vorher das Ritual durchführen, um den Rest deiner Kräfte...“
„Nein! Auf gar keinen Fall!“ sagte Thelios so streng, dass Naleya zusammenzuckte. Als Thelios das merkte, wandte er kurz den Blick ab, anscheinend war es ihm peinlich, so heftig reagiert zu haben. „Tut mir leid.“ murmelte er.
„Schon gut. Kannst du mir sagen, warum ich das Ritual nicht machen soll? Ich habe alles, was ich dazu brauche hier, in der Werkstatt.“
„Das mag sein, aber so eine Situation gab es noch nie zuvor.“ sagte Thelios und deutete dabei auf sich. „Es ist noch nie passiert, dass ein Engel von einem Teil seiner Kräfte abgeschnitten war. Das Ritual, welches normalerweise benutzt wird, sorgt dafür, dass die gesamte, versiegelte Kraft eines Wesens freigesetzt wird. Wenn wir das jetzt benutzen, obwohl bereits ein Teil von mir frei ist, weiß ich nicht, was passieren wird. Es könnte natürlich sein, dass ich einfach wieder über meine ganze Macht verfüge, genau so gut kann es aber auch sein, dass die versiegelte Energie verrückt spielt und nie dagewesene Verwüstung anrichtet.“
„Oh... das klingt... nicht gut.“
„Ganz genau. Also muss ich auch hier erst eine Weile forschen und experimentieren, bevor wir uns daran versuchen können, meine Macht wieder herzustellen.“ Naleya seufzte. Die ganze Sache wurde immer komplizierter.
„Also gut, dann gehen wir einfach gemeinsam durch das Dorf und hoffen, dass, was auch immer dieses Gefühl bei dir auslöst, ungefährlich ist. Ich muss eh von Händler zu Händler gehen und versuchen, meine Waren loszuwerden. Also gut, dann wollen wir mal!“

Der Marktplatz vor Naleyas Laden war geradezu überfüllt, als die Alchemistin und Thelios das Haus verließen, jeder mit drei großen Kisten in den Armen. Überall waren Marktstände aufgebaut worden und hunderte Menschen tummelten sich auf dem kleinen Platz, gingen von Stand zu Stand und begutachteten die Waren der reisenden Händler, oder versuchten ihre eigenen loszuwerden. Gemeinsam mit Thelios schlenderte Naleya an den verschiedenen Ständen vorbei und es dauerte auch nicht lange, bis ihr jemand tatsächlich den Großteil ihrer Waren abkaufte. Ein alter Elf, mit faltigem Gesicht und grauen Haaren kaufte ihr sämtliche Waffen, Medizin und Rüstung ab, die sie mit sich herumtrug. Naleya konnte es kaum glauben und starrte den Elfen noch immer aus großen Augen an, nachdem sie ihr Geld bekommen hatte, was diesem ein Lächeln entlockte. Elfen gehörten zu den Rassen unter den Sterblichen, die am längsten lebten. Ein Elf konnte bis zu fünfhundert Jahre alt werden und selbst ein Elf, der bereits zwei- oder dreihundert Jahre gelebt hatte, sah äußerlich so aus, wie ein junger Mann, oder eine junge Frau. Äußerlich hatten sie viel mit den Engeln gemeinsam, zum Beispiel die spitzen Ohren.
„Ich sehe schon, dass du es nicht gewohnt bist, so viele deiner Waren zu verkaufen.“ meinte der Elf schmunzelnd zu Naleya, die nickte.
„Hier braucht man nicht so viele Waffen oder Rüstungen, also hatte ich darauf gehofft, etwas davon an die Karawane zu verkaufen... aber ich hätte nie gedacht, dass ihr so viel kauft.“ Bei diesen Worten der Alchemistin verfinsterte sich das Gesicht des Elfen ein wenig.
„Ich wünschte wir könnten es uns leisten, weniger Geld dafür auszugeben, aber das ist unmöglich. In letzter Zeit gibt es immer mehr Monster in unseren Heimatwäldern, wir brauchen viele, gut ausgerüstete Männer, wenn wir uns durch die Wälder bis zu unseren Städten durchkämpfen wollen. Es ist bei weitem nicht mehr so friedlich, wie noch vor zwanzig Jahren, als wir das letzte mal daheim waren. Selbst hier, in der Nähe von Amderad, ist es nicht sicher.“
„Was meint Ihr damit?“ fragte Naleya überrascht. Sie hörte zum ersten mal davon, dass es nahe Amderad gefährlich sein sollte.
„Du hast noch nichts davon gehört? Hier in der Nähe sollen sich angeblich sehr viele Rebellen rumtreiben. Außerdem gab es vor ein paar Tagen im Gebirge im Westen ein Erdbeben.“
„W-was?“
„Ah ja, ich hatte ganz vergessen, dir davon zu erzählen.“ erklang auf einmal Thelios' Stimme hinter Naleya, woraufhin sie sich zum Engel umdrehte. Dieser hielt in einer Hand einen Bruchen und in der anderen einen kleinen Beutel voller Münzen, den er Naleya zuwarf. „Hier, ich bin die anderen Waren losgeworden.“
„So schnell?“
„Ja.“
„Gute Arbeit... warte! Was hat es jetzt mit dem Erdbeben auf sich?“
„Temeria hat mir davon erzählt, anscheinend gab es im Gebirge ein... na ja, ein Erdbeben halt, mehr weiß ich auch nicht.“
„Das hättest du mir auch früher sagen können.“ meinte Naleya missmutig, ehe sie den Elfen bemerkte, der Thelios aus großen Augen anstarrte.
„Ihr... Ihr seid ein Engel!“ entfuhr es ihm, woraufhin Thelios lediglich lächelte.
„Ich fürchte, ich muss Euch enttäuschen, mein Herr.“ sagte er und verneigte sich leicht. „Ich bin ein Elementar, den Naleya hier gebunden hat. Ich bin ein einfacher Diener, sie hat mir lediglich das Aussehen eines Engels verliehen, warum auch immer. Bislang gibt es dadurch nichts als Probleme, ich musste die ganze Sache heute schon mehrmals erklären.“
„Oh... ich verstehe.“ sagte der Elf und wirkte leicht enttäuscht, lachte dann jedoch. „Ein Elementar also. Ich bin beeindruckt, Mädchen. Du musst eine gute Alchemistin sein, wenn es dir gelingt einen so mächtigen Elementar zu binden.“
„Was meint Ihr mit mächtig?“
„Huch? Kannst du es etwa nicht spüren? Nun, vielleicht muss man ein Elf oder Engel sein, um es zu merken. Ich kann jedenfalls deutlich spüren, wie dein Elementar nur so vor Macht zu sprühen scheint.“
„Ah... vielen Dank.“ murmelte Naleya und fühlte sich ziemlich schlecht. Es war nicht ihr Verdienst, dass Thelios so mächtig war und es gefiel ihr überhaupt nicht, dafür gelobt zu werden, vor allem, da sie in Wahrheit nicht einmal wusste, wie man einen Elementar überhaupt beschwor, geschweige denn, wie man ihn band. Sie plauderte noch ein wenig mit dem Elfen, ehe sie und Thelios sich verabschiedeten und weiter über den Marktplatz gingen. Plötzlich packte Naleya Thelios am Arm und zog ihn in eine Seitengasse.
„Kann ich dir irgendwie helfen?“ fragte der Engel und zog eine Augenbraue hoch.
„Ich will nicht, dass uns jemand belauscht, das ist alles.“ sagte Naleya und sah sich an, ehe sie ihre Frage stellte. „Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?“ Thelios zögerte kurz, schüttelte dann jedoch den Kopf.
„Je mehr ich mich umsehe, desto mehr merke ich, dass das Gefühl nicht von einem einzelnen Gegenstand stammt, sondern eher von der Karawane an sich.“
„Wie ist das möglich?“ fragte Naleya verwirrt.
„Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass sie nichts mit sich führen, dass mit dem Dunklen Krieg zu tun hat. Viel eher glaube ich nun, dass sie einmal durch ein Gebiet gereist sind, das stark vom Krieg geprägt wurde... und da die Karawane durch die ganzen Inselreiche reist, gibt es natürlich mehrere Möglichkeiten. Da das Gefühl aber eher schwach ist schätze ich, dass es bereits eine ganze Weile her ist, dass sie dort waren, vielleicht schon mehrere Jahre. Jedenfalls besteht keine Gefahr für die Karawane, oder das Dorf.“ Naleya atmete erleichtert aus.
„Ich hatte schon das schlimmste befürchtet.“
„Um auf ein anderes Thema zu kommen, was meinte der Elf, als er von 'Rebellen' geredet hatte?“
„Huch? Du weißt nichts davon?“
„Ich war zwanzig Jahre in einer Halskette eingeschlossen, Naleya.“ sagte der Engel seufzend. „Ich weiß vieles nicht, was in dieser Zeit passiert ist.“
„Oh... natürlich. Die Rebellen sind... nun ja, Rebellen. Sie nennen sich 'Kult des Gefallenen', oder so ähnlich, und rebellieren gegen die Kirche...“ Naleya stockte und ihre Augen weiteten sich. „Hast du etwas mit ihnen zu tun?“ fragte sie und musterte Thelios aufmerksam.
„Was?“
„Nun, du bist ein Gefallener Engel, also dachte ich, dass...“
„Störe ich euch zwei?“ Naleya zuckte zusammen, als sie Temerias Stimme hörte und drehte sich um. Ihre Freundin stand am Ende der Gasse und grinste die Alchemistin an.
„T-temeria? W-wie viel hast du gehört?“ fragte sie und schluckte nervös. Naleya glaubte zwar nicht, dass ihre Freundin sofort zur Kirche rennen würde, wenn sie die Wahrheit über Thelios erfuhr, aber es würde ganz bestimmt Probleme geben.
„Oh, ich habe alles gehört.“ sagte die Händlerin und nickte wissend mit dem Kopf, während sie sich näherte. „Angefangen, bei deiner Liebeserklärung, und...“
„Also hast du nichts gehört.“ stellte Naleya nüchtern fest und ignorierte die Worte ihrer Freundin.
„Nicht wirklich, habe ich wenigstens gut geraten?“
„Nein!“
„Schade...“ meinte die Händlerin mit einem Seufzen. „Weißt du, du könntest zumindest hin und wieder mal ein wenig...“
„Ja, ja, das ist jetzt egal. Viel wichtiger, was hat es mit diesem Erdbeben auf sich, von dem ich gehört habe?“
„Was? Erdbeben? Ach, du meinst das von vor ein paar Tagen? Hat Thelios dir gar nichts davon erzählt?“
„Ich fürchte, ich habe es vergessen.“ sagte der Engel und lächelte. „Es erschien mir nicht besonders wichtig und viel wusste ich nicht darüber.“
„Ich verstehe. Nun, vor ein paar Tagen sorgte ein Erdbeben im Phaneon-Gebirge dafür, dass eine Höhle freigelegt wurde, nicht weit vom Steinbruch entfernt. Ein paar Leute haben die Höhle erforscht und stellten fest, dass es dort ziemlich viel Valis-Erz gibt. Allerdings kam man noch nicht dazu, die Höhle wirklich weit zu erkunden, denn dort scheint es von Kobolden nur so zu wimmeln.“ Kobolde waren kleine, grauhäutige Monster, die meistens unterirdisch lebten. Sie zählten zu den primitiven Monstern, die eher Tieren glichen, als den intelligenten Rassen Amtheons. Ein Kobold alleine war kein Problem, aber die Monster jagten meist in Rudeln von bis zu dreißig Stück und solch große Gruppen von Kobolden, waren eine ernsthafte Bedrohung. „Die Stadtwache hat darüber nachgedacht, die Kobolde auszuräuchern, es jedoch vorerst bleiben lassen. Es heißt, irgendetwas stimmt nicht mit den Kreaturen. Sie verhalten sich angeblich... intelligenter als gewöhnlich, Augenzeugen berichten, dass einige der Kobolde kleine Speere benutzt haben und dass sie steinernen Schmuck trugen. Deswegen will man vorerst warten und sehen, wie die Situation sich entwickelt... ist alles in Ordnung, Thelios?“ fragte Temeria besorgt, als sie merkte, wie sich die Miene des Engels verfinsterte.
„Tut mir leid, Temeria, aber ich muss dringend mit Naleya reden... alleine, geht das in Ordnung?“
„Was? Nun... natürlich. Ich wollte euch auch gar nicht stören.“ meinte Temeria und warf Naleya einen fragenden Blick zu, den die Alchemistin mit einem Schulterzucken beantwortete. Sie wusste auch nicht, was Thelios von ihr wollte. Als Temeria sich entfernt hatte, wandte der Engel sich sofort mit einem eindringlichen Blick an Naleya.
„Wir müssen zu dieser Höhle, sofort!“ sagte er, mit drängendem Unterton in der Stimme.
„Was? Warum?“
„Weil ich eine Vermutung habe. In den letzten Tagen habe ich mir ein paar Karten angeguckt und mir kam die Lage von Amderad irgendwie bekannt vor, ich wusste nur nicht, warum. Aber die Sache mit den Kobolden... mir fällt nur eine Erklärung, für ihr Verhalten ein.“
„Und die wäre?“ Thelios zögerte und wandte den Blick ab.
„Das... will ich nicht sagen, wenn es nicht absolut notwendig ist. Bitte, Naleya, lass uns zur Höhle gehen. Wenn ich mich irre, ist alles in Ordnung und wir müssen uns nicht weiter darüber Sorgen machen. Sollte sich meine Vermutung jedoch bestätigen, muss ich sofort Gegenmaßnahmen ergreifen, sonst könnte es sein, dass Amderad kurz vor der Vernichtung steht.“
„Übertreibst du nicht ein wenig?“ fragte Naleya und war ziemlich nervös.
„Ich wünschte, ich würde übertreiben. Ich verspreche dir, ich werde dir alles erklären, wenn die Sache vorbei ist. Es ist nur so, dass das ganze...“
„Ein Geheimnis der Engel ist?“ Thelios nickte und Naleya seufzte. „Ich verstehe, deswegen willst du mir also nichts sagen.“
„Bitte, Naleya, vertraue mir.“ Naleya zögerte noch einen Augenblick, nickte dann jedoch.
„Also gut, wir gehen zur Höhle. Aber wehe, du erzählst mir nicht, was es mit der ganzen Sache auf sich hat!“



Feon saß in seinem 'Büro', in den Gängen des Klosters und brütete über einem großen, dicken Buch, das aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch lag. Er hatte es sich aus der Bibliothek des Klosters geliehen und war die letzten zwei Tage, seit dem plötzlichen Auftauchen der Dämonen, damit beschäftigt gewesen, es sich durchzulesen. Für Feons Geschmack gab es viel zu viele unbeantwortete Fragen, zu den Ereignissen der letzten Tage und er hoffte, in diesem Buch vielleicht ein paar Antworten zu finden. Es handelte sich um eine Sammlung von Aufzeichnungen, aus den Zeiten des Dunklen Kriegs, unter anderem gab es hier eine Auflistung von Engeln, die im Krieg gekämpft hatten und zu vielen auch eine Beschreibung ihres Aussehens, zu manchen Engeln gab es sogar Bilder. Plötzlich hielt Feon inne und starrte auf die Zeichnung eines Engels, die sich ganz unten rechts auf der Seite befand, die er gerade las. Er blinzelte kurz und betrachtete es dann genauer. Natürlich gab es keine Möglichkeit, es genau zu wissen, aber der Engel auf dem Bild, hatte durchaus Ähnlichkeiten mit der Frau, die Feon während des Überfalls angegriffen hatte. Kurz darauf seufzte Feon jedoch und blätterte um, denn nirgendwo stand, wer auf dem Bild abgebildet war, weshalb er genauso weit war, wie zuvor. Lustlos blätterte er durch die Seiten, bis etwas seine Aufmerksamkeit fing. Es war das Bild eines Engels mit kurzen, schwarzen Haaren und ganzen vierzehn Flügeln, der eine gewaltige Sense in der Hand hielt und einer riesigen Schlange mit drei Köpfen gegenüberstand. Auch hier stand nicht, wer auf dem Bild abgebildet war, trotzdem war Feons Interesse gefangen und er begann, sich den Text auf der Seite durchzulesen, der Dunkle Krieg hatte ihn schon immer fasziniert und er las gerne Bücher, die darüber berichteten.
„Währenddessen war der Prinz der Zerstörung auf Demeor gelandet, mit lediglich fünf Seraphim an seiner Seite.“ Feon stutzte und las den Satz erneut. Tatsächlich, dort stand 'Demeor'. Bislang hatte der General noch nie einen Text gefunden, in dem wirklich viel über die Kämpfe auf Demeor während des Krieges stand. Alleine in diesem einen Satz, steckten beinahe mehr Informationen, als in allen anderen Büchern, die Feon über den Krieg gelesen hatte. Außerdem ließ der Titel 'Prinz der Zerstörung' Feon die Stirn runzeln. Das war ein äußerst ungewöhnlicher Titel, für einen Engel.
„Das Heilige Reich lag vollkommen verwüstet da, die Hydren hatten das Land mit Feuer, Eis und Blitzen überzogen und nichts stehen lassen. Ihr Vormarsch war nicht aufzuhalten, bis der Prinz aus dem Himmel herabstieg und die Nemesis der Lebenden zu einem Zweikampf herausforderte. Es war mit Abstand der heftigste Kampf, der während des Kriegs ausgefochten wurde und keiner der Kontrahenten konnte einen Vorteil erringen, was die Menschen und Engel jedoch nicht entmutigte, im Gegenteil! Die letzten sieben Jahre hatten sie gegen die Nemesis gekämpft, ohne dass auch nur ein einziger Angriff Wirkung zeigte, die größten Krieger der Menschen hatten gegen sie kläglich versagt und auch die erste Welle der Krieger des Himmels, wurde von ihr ohne Probleme niedergemacht. Und nun gelang es einer einzigen Person, die Nemesis zu fordern, wie kein anderer zuvor. Die gefährlichste und mächtigste Waffe im Arsenal des Erzdämons wurde vom Prinzen aufgehalten, während die Menschen und Seraphim langsam aber sicher die Hydren zurück ins Meer drängten. Als der Nemesis klar wurde, dass ihre Invasion gescheitert war, brach sie in helles Gelächter aus und gratulierte dem Prinzen zu seinem Sieg. Die Nemesis hatte während der Kämpfe eine tiefe Wunde durch die Sense des Prinzen davongetragen und zog sich nun zurück. Doch auch der Prinz war nicht unbeschadet davongekommen, die Nemesis...“ Feon schreckte auf, als plötzlich die Tür zu seinem Büro aufplatzte und jemand hereinstürmte.
„General! Es gibt ein Problem, ein großes Problem!“ Es war die Soldatin mit dem Zweihänder, die Feon vor ein paar Tagen außerhalb des Klosters gesehen hatte. Jetzt, wo sie ihren Helm nicht trug, konnte er sehen, dass sie äußerst kurze, schwarze Haare hatte und glaubte sogar, sich an ihren Namen erinnern zu können, war sich jedoch nicht sicher. Sie war nicht eine von seinen Soldaten, sondern war Teil der Truppen, die ihm von der Garnison Panyeons zugeteilt worden waren.
„Was gibt es, Aurica?“
„Ich habe es selber gerade eben erst erfahren. Vor einer knappen Stunde ist Inquisitor Aléon de Prucoix im Kloster angekommen. Eigentlich sollte er Euch nur die neuen Befehle überbringen, aber dann hat ihm einer der Soldaten gesagt, dass hier vor zwei Tagen Dämonen aufgetaucht sind. Lord de Prucoix hat sofort befohlen, sie zu verfolgen und zur Strecke zu bringen.“
„Was?!“ entfuhr es Feon und er sprang auf. Er kannte de Prucoix und wusste, dass er eine ziemlich radikale Einstellung hatte, aber normalerweise verhielt er sich weit intelligenter und agierte viel bedachter, als in diesem Fall. „Ist er wahnsinnig geworden? Die Dämonen waren eine Succubi und ein Lamassu! Nach allem was wir wissen, könnten das Adlige, oder Botschafter aus Ahn' Sherov sein, da kann er doch nicht einfach befehlen, sie zu jagen! Ist er sich nicht bewusst, was das für eine Katastrophe verursachen könnte? Bring mich sofort zu ihm, ich muss ihm diesen Unsinn ausreden!“
„General... Lord de Prucoix ist bereits aufgebrochen, mit beinahe zwei Dutzend unserer Soldaten.“ sagte Aurica und senkte den Blick. „Ich habe wirklich gerade eben erst davon erfahren, einer der Männer, die wir als zusätzliche Wachen aufgestellt haben, hat es mir erzählt, als ich ihn ablösen wollte. Allem Anschein nach, waren viele Soldaten ohnehin der Meinung, dass wir die Dämonen nicht hätten entkommen lassen sollen, nachdem sie uns gedroht hatten.“ Feon stöhnte auf.
„Das kann doch nicht wahr sein! Wollen diese Idioten einen Krieg mit Ahn' Sherov? Es reicht wohl nicht, dass wir uns mit Rebellen rumschlagen müssen, sie wollen sich auch noch die Dämonen zu Feinden machen. Weißt du, wo sie hin sind?“
„Ja, der Inquisitor hat die Spur der Dämonen aufgenommen, sie sind in Richtung Phaneon-Gebirge unterwegs.“ Feon überlegte kurz und stand dann auf.
„Aurica, schnappe dir zwei oder drei Männer, von denen du dir sicher bist, dass sie nicht genauso verblendet sind, wie de Prucoix und bringe sie nach draußen. Der Rest bleibt hier, um das Kloster zu schützen, während wir ihm folgen und versuchen ihn davon abzuhalten, den größten Fehler seines Lebens zu begehen.“
„Jawohl, General!“ rief Aurica und rannte aus dem Zimmer, während Feon seine Rüstung anlegte und seine Gedanken sich überschlugen. Das Gebirge war vielleicht zwei Tage vom Kloster entfernt und der Inquisitor hatte höchstens eine Stunde Vorsprung, es dürfte also durchaus möglich sein, ihn einzuholen, es sei denn... Feon fluchte und stürmte aus dem Zimmer.
„Aurica!“ rief er und die Soldatin, die bereits das Ende des Ganges erreicht hatte, kam zu ihm zurück.
„General?“
„Vergiss die anderen, wir brechen sofort auf. Wir dürfen keine Zeit verlieren!“
„Was meint Ihr damit, General?“
„Jede Sekunde zählt, de Prucoix ist ein Meister des Segens des Guillaume, er und die Trottel die ihm folgen, werden weit schneller vorankommen, als gedacht.“ Der Segens des Guillaume war ein Zauber der Kirche, der dafür sorgte, dass die vom Segen Betroffenen weit mehr Ausdauer hatten, als gewöhnliche Menschen und sich viel schneller bewegen konnten. In der Theorie könnte eine Gruppe von zwei Dutzend Mann, die mit diesem Segen belegt war, das Gebirge innerhalb von nur einem Tag erreichen, wenn sie den ganzen Weg rannten, und wären dabei nicht erschöpfter, als wenn sie die zwei Tage marschiert wären. „Ich hoffe nur, dass sie eine Weile brauchen um die Dämonen zu finden.“ murmelte er, während er mit Aurica zur Oberfläche ging. Er selbst konnte ebenfalls den Segen des Guillaume wirken, wenn auch nicht mit der selben Macht, wie de Prucoix. Es ließ sich also nur hoffen, dass der Inquisitor und seine Leute noch keinen Krieg verursacht hatten, bevor Feon ihn aufhalten konnte.



Venyaz fing den Schlag eines Schwerts mit der Klinge an ihrem linken Arm ab, trat einen Schritt nach vorn und schlitzte dem rot gerüsteten Soldaten vor sich den Bauch auf. Der mit dämonischer Magie bearbeitete Stahl ihrer Waffe, fraß sich ohne Probleme durch die Rüstung ihres Gegners, der zu Boden sank und verzweifelt versuchte, seine Eingeweide im Körper zu behalten. Das Gesicht der Succubi war noch immer vollkommen ausdruckslos, während sie sich in der Höhle umsah. Vor ihr lagen bereits drei tote Soldaten der Inquisition, ein weiterer lag regelrecht zerfetzt vor Sh'arkrul, der gerade den Kopf eines weiteren Mannes in seinem Mund hatte und mit wildem Knurren darauf herumkaute. Das ganze verlief überhaupt nicht so, wie die Succubi es geplant hatte. Gestern hatte sie den Lamassu zum kleinen Dorf der Menschen geführt, damit er mit eigenen Augen sehen konnte, was der Ursprung der magischen Spur war, der sie die ganze Zeit gefolgt waren. Dadurch war letztendlich auch Sh'arkrul davon überzeugt worden, dass die Menschen im Kloster sie nicht angelogen hatten, und dass sie der ganzen Zeit einer falschen Fährte gefolgt waren. Kurzerhand hatten die beiden Dämonen beschlossen, nach Ahn' Sherov zurückzukehren und vom Misserfolg ihrer Mission zu berichten. In der selben Nacht jedoch, in der sie aufbrechen wollten, nahmen sie eine neue Fährte mächtiger Magie auf, direkt in der Nähe des kleinen Dorfes. Es fühlte sich zwar überhaupt nicht so an, wie die Fährte desjenigen, den sie suchten, aber trotzdem war sie es wert untersucht zu werden. Die Spur hatte sie zu dieser Höhle geführt, in der die Dämonen von Dutzenden Kobolden erwartet worden waren, die ohne zu zögern und vollkommen furchtlos über sie hergefallen waren. Venyaz war vom Verhalten der Kobolde überrascht gewesen und ihre Überraschung steigerte sich nur noch, als sie einem Tunnel aus der ersten Höhle folgten und in eine zweite gelangten, in er es gleich dutzende Tunnel zu geben schien, die noch tiefer in das Gebirge führten. Was die Succubi jedoch überraschte, befand sich in der hintersten Ecke der Höhle. Es war eine Statue aus Stein sah, so groß wie ein Mensch, die ein Wesen abbildete, das die Succubi noch nie zuvor gesehen hatte. Das Wesen hatte den Oberkörper einer Frau, der aus dem Unterkörper eines riesigen Skorpions wuchs. Auf dem Hals der Frau saß der Kopf eines Wolfs und an den Händen befanden sich riesige Klauen. Man konnte zwar erkennen, was die Statue darstellte, allerdings war sie nicht besonders gut gearbeitet worden, weshalb die Succubi vermutete, dass sie von den Kobolden hergestellt worden war, was überhaupt nicht zu diesen Kreaturen passte. Bevor sie und Sh'arkrul jedoch herausfinden konnten, was es mit der ganzen Sache auf sich hatte, waren auf einmal die Menschen in roten Rüstungen aufgetaucht und hatten begonnen, sie anzugreifen. Venyaz hörte ein Sirren und sah, wie ein halbes Dutzend dicker Bolzen auf sie zuflogen. Bevor die Geschosse sie jedoch erreichen konnten, hielten sie plötzlich mitten in der Luft an und fielen zu Boden. Succubi zählten zusammen mit den Lamassu zu den stärksten Magiern unter den Dämonen. Niemand vermochte es, den Wind dermaßen zu manipulieren, wie die Succubi. Plötzlich war jedoch ein knackendes Geräusch zu hören und Venyaz richtete ihren Blick auf einen Punkt in der Luft direkt vor sich. Irgendetwas hatte gerade ihre magischen Schilde aus Wind vernichtet, und als sie den Blick zum Höhleneingang wandte sah sie auch, was. Ein alter, glatzköpfiger Mensch, gekleidet in eine weiße Robe mit goldenen Verzierungen, betrat die Höhle und lächelte die Succubi überheblich an.
„Und so müssen selbst die mächtigsten der Unheiligen vor den Worten Gottes weichen, ihre Schilde zerstört, ihre Waffen abgestumpft, ihre Rüstung verrostet.“ sagte er und es gab ein erneutes Knacken, anscheinend waren auch Sh'arkruls Schilde gerade vernichtet worden.
„Venyaz, das ist nicht gut.“ knurrte der Lamassu, der gerade die Leiche des Soldaten losgelassen hatte und musterte den Mann, der die Dämonen noch immer angrinste.
„Ich weiß.“ sagte die Succubi tonlos. Dieser Mann war ein Priester, oder etwas in der Art. Es gab nicht viele von ihnen, aber die wenigen die es gab, waren ein großes Problem für jeden Magier, oder magisch begabte Wesen, die ihnen entgegentraten. Die Gebete, durchtränkt mit heiliger Energie, hatten die Macht so gut wie jede andere Art von Magie auf der Stelle zu zerschmettern und nutzlos zu machen.
„Vernichtet die Dämonen! Reinigt die Ländereien der Kirche von ihrer unheiligen Gegenwart!“ rief der Mann und deutete auf Venyaz. „Ihre Magie wurde zerschmettert, sie haben keine Chance mehr! Tötet sie!“ Die Soldaten brachen in Jubel aus und stürmten erneut nach vorn, was der Succubi ein leises Zischen entlockte. Sie schoss nach vorn und trennte dem ersten Menschen, der sich ihr näherte mit einem schnellen hieb ihrer Klingen den Kopf ab, ehe sie mit einem Sprung durch die Luft wirbelte und inmitten von vier Feinden landete. Sie brauchte nicht einmal wirklich zielen, sondern ließ einfach ihre Arme kreisen, um die Feinde regelrecht in Stücke zu schneiden. Dann gab es jedoch ein erneutes Sirren und ein Bolzen bohrte sich in die Schulter der Succubi, woraufhin diese tatsächlich das Gesicht verzog und sich wieder an die Seite des Lamassu begab, der sich schützend vor ihr aufbaute.
„Ist alles in Ordnung, Venyaz?“
„Ich denke schon.“ meinte die Succubi, doch plötzlich erstarrte sie. „Sh'arkrul, spürst du das?“ flüsterte sie und der Lamassu nickte.
„Es ist... es ist die magische Spur aus dem Dorf. Nur weit stärker...“ der Lamassu runzelte die Stirn, ehe er die Augen aufriss. „Das...“ begann er, konnte jedoch nicht weiterreden. Die Präsenz, die er spürte, übte einen starken Druck auf seinen Körper aus und zwang ihn in die Knie, Venyaz und den Menschen schien es ebenso zu gehen, nur der alte Mann schien sich auf den Beinen halten zu können und überhaupt nichts zu spüren.
„Was geht hier vor sich?“ fragte er misstrauisch und sah sich um. „Was...“
„Zwei Dämonen und die Inquisition also.“ kam eine kalte Stimme aus Richtung des Tunnels, der zum Ausgang der Höhle führte. Die Blicke aller Anwesenden wanderten dorthin. Im Tunnel stand ein Engel mit zwölf schwarzen Flügeln und musterte die Menschen und Dämonen mit kaltem Blick, bei dem es selbst Venyaz kalt den Rücken herunterlief. Es war der Besitzer der magischen Spur, den sie im Dorf der Menschen gesehen hatte und jetzt, wo er vor ihr stand, wurde ihr klar, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte. Sofort ging sie noch tiefer in die Knie und verbeugte sich vor dem Neuankömmling.
„Lord Thelios.“ hauchte sie und wagte es nicht, den Kopf zu heben. „Ich... ich hätte nicht erwartet, Euch zu begegnen.“
„Du weißt, wer ich bin?“ fragte der Engel und klang überrascht. „Hebe dein Haupt, Succubi.“ Venyaz tat wie ihr geheißen und sah direkt in die grünen, kalten Augen des Engels.
„Venyaz, was ist los? Woher kennst du den Engel?“ fragte Sh'arkrul flüsternd, doch die Succubi ignorierte ihn.
„Woher kennst du meinen Namen?“ fragte Thelios und die Succubi schluckte kurz nervös. Echte Furcht spiegelte sich in ihrem Gesicht, es war das erste mal, dass Sh'arkrul überhaupt eine Gefühlsregung bei ihr gesehen hatte und das machte ihn noch nervöser, als er ohnehin schon war. Wenn selbst eine uralte Succubi wie Venyaz Angst hatte, musste der Engel wirklich etwas besonderes sein.
„Ich bin eine der letzten Dämonen, die im Dunklen Krieg gekämpft haben, Lord Thelios.“ flüsterte sie und senkte den Blick wieder. „Ich bin eine Überlebende der Schlacht des Wintermeeres.“ sagte sie, woraufhin der Engel lächelte.
„Ich verstehe.“ sagte er lediglich.
„Wie könnt ihr es wagen, mich zu ignorieren?“ platzte es plötzlich aus dem Inquisitor hervor, dessen Blick wütend zwischen Venyaz und Thelios hin und her wanderte. Er murmelte ein Gebet und kurz darauf ließ der Druck nach, der seine Soldaten am Boden gehalten hatte. „Heute muss mein Glückstag sein.“ sagte er lächelnd. „Ich kann nicht nur zwei Dämonen zur Strecke bringen, sondern auch noch einen Gefallenen Engel!“ In seinem Gesicht spiegelte sich Begeisterung, allerdings schienen seine Truppen weit weniger enthusiastisch zu sein.
„Lord de Prucoix... Dämonen sind eine Sache, aber ein Gefallener Engel?“
„Sei still!“ zischte der Inquisitor und deutete auf Thelios. „Ein Engel ohne heilige Energie ist nichts! Vor allem, wenn er unbewaffnet ist!“
„Mensch, ich gebe dir einen Rat.“ flüsterte Venyaz, die noch immer den Blick gesenkt hatte. „Schweige. Du weißt nicht, wer dort vor dir steht.“
„Netter Versuch, Dämon.“
„Ich meine es ernst!“ zischte die Succubi. Sie brannte zwar nicht gerade darauf, dem Menschen das Leben zu retten, aber sie selbst wollte heute noch nicht sterben, also wäre es besser, wenn Thelios nicht provoziert wurde. „Vor dir steht ein Engel, der im Dunklen Krieg gekämpft hat! Wir Dämonen haben ihm auch einen Spitznamen gegeben. Bei unseren Truppen war er bekannt, als der 'Fürst des Schreckens', er hat mehr von unseren Leuten erschlagen, als... als...“ Venyaz brach ab und starrte einfach nur verwirrt zu Thelios hinüber. Sie konnte nicht glauben, was sich gerade vor ihren Augen abspielte. Aus dem Tunnel trat plötzlich ein weiterer Mensch, ein junges Mädchen mit roten Haaren und einem hübschen, freundlichen Gesicht. Sie ging direkt zu Thelios hinüber und zupfte ihm ungeduldig am Hemd.
„Thelios! Du ignorierst mich schon den ganzen Tag! Warum...“ das Mädchen brach plötzlich ab und ließ ihren Blick durch die Höhle wandern, ehe sie erschrocken die Augen aufriss. „Was bei Nuvaz ist hier passiert?“ fragte sie und Thelios seufzte.
„Anscheinend sind wir direkt in einen kleinen Konflikt zwischen zwei Dämonen und der Inquisition geraten.“ sagte er. „Ich wollte gerade selber Fragen, was genau hier passiert ist, als du aufgetaucht bist.“
„Dann warst du also nicht derjenige, der die Kobolde am Eingang erledigt hat?“
„Nein. Und jetzt sei bitte still, ja? Die Situation ist schlimmer, als ich gedacht habe.“
„Ich werde ganz bestimmt nicht still sein! Du hast mir noch immer mit keinem Wort gesagt, was hier eigentlich los ist! Ich weiß noch immer nichts! Und du...“ Venyaz blinzelte einfach nur ungläubig, während sie beobachtete, wie das Mädchen weiterhin auf den Engel einredete und ihn dauernd antippte, als er sie weiterhin ignorierte. Die Succubi war sich sicher, dass sie sich nicht irrte. Das war ganz eindeutig Thelios, selbst das Mädchen nannte ihn so. Nur hatte er überhaupt nichts mit dem Engel gemeinsam, dem Venyaz auf den Schlachtfeldern des Dunklen Kriegs gegenübergetreten war. Damals war er ein unerbittlicher Kämpfer gewesen, der sich ohne Gnade durch die Reihen der Dämonen geschlachtet hatten, selbst als diese bereits den Rückzug angetreten hatten. Und jetzt... jetzt ließ er sich einfach so von einem Mädchen belästigen, ohne dass es ihn zu stören schien. Die Succubi wurde von plötzlichem Gelächter aus ihren Gedanken gerissen. Der Inquisitor lachte laut vor sich hin, während er auf Thelios deutete.
„Fürst des Schreckens also, ja?“ fragte er und schüttelte den Kopf. „Netter Versuch, Dämon, aber...“ Ohne Vorwarnung stand Thelios direkt vor dem Inquisitor und musterte ihn mit kaltem Blick.
„Bist du für das Blutvergießen hier verantwortlich?“ fragte er, woraufhin der Inquisitor ihn verwirrt ansah.
„Was?“
„Ich habe die Kobolde getötet, Lord Thelios.“ sagte Venyaz und schluckte nervös. Anscheinend schien es dem Engel überhaupt nicht zu gefallen, was hier geschehen war. „Verzeiht mir, wenn ich etwas getan habe, was ich nicht hätte...“
„Die Kobolde sind mir egal, es geht um das Blut, dass in dieser Kammer hier vergossen wurde!“ zischte Thelios und sah sich um. „Ihr habt noch einmal Glück gehabt, aber ist euch eigentlich bewusst, was Ihr beinahe angerichtet hättet?“ Weder Menschen noch Dämonen sagten etwas. „Anscheinend nicht.“ murmelte Thelios vor sich hin, ehe er sich abwandte. „Verschwindet, sofort!“
„Hört nicht auf ihn Männer, tötet den Gefallenen...“ Ein durchdringender Blick von Thelios ließ den Inquisitor aufkeuchen und zu Boden sinken, während er sich an die Brust fasste, die sich anfühlte, als würde sie von Innen heraus verbrennen.
„Verschwindet!“ zischte Thelios erneut und dieses mal leisteten die Menschen folge. Sie packten den Inquisitor unter den Armen und zogen ihn hinter sich her, aus der Höhle heraus. „Ihr auch.“ fügte Thelios an die Dämonen gewandt hinzu.
„Ihr... Ihr lasst uns entkommen?“ fragte Venyaz und atmete erleichtert auf.
„Ich habe keinen Grund, euch zu töten. Jetzt geht.“
„Jawohl, Lord.“ sagte Venyaz, stand auf und ging mit schnellen Schritten in Richtung Ausgang der Höhle, dicht gefolgt von Sh'arkrul. Kaum waren sie draußen, flogen sie auch schon in den Himmel empor und beobachteten von oben herab das Gebirge.
„Venyaz, was hat es mit der ganzen Sache auf sich? Und war das wirklich der Fürst des Schreckens?“ fragte der Lamassu, nachdem sie eine Weile lang nur geschwiegen hatten.
„Er war es.“ murmelte Venyaz. Sie würde nie vergessen, wie der Engel aussah, dem es gelungen war, das Heer der Astarte während des Dunklen Kriegs in die Flucht zu schlagen. „Aber ich weiß nicht, was hier vorgeht. Ich weiß nur, dass sich etwas unglaublich schreckliches in der Höhle befinden muss, wenn selbst er besorgt war. Was auch immer dort ist, ich bin mir sicher, wir können froh sein, dass er gekommen ist, bevor wir es getroffen haben.“ Damit war das Gespräch für Venyaz beendet. Sie warf einen letzten Blick auf das Gebirge, ehe sie sich wieder an Sh'arkrul wandte. „Wir sollten noch eine Weile hierbleiben.“ sagte sie schließlich, woraufhin der Lamassu die Stirn runzelte.
„Warum?“
„Ich glaube... ich glaube die beiden sind Teil der Prophezeiung. Ich weiß nicht, wie der Engel hineinpasst, aber ich glaube, das Mädchen ist eine Hüterin.“ Dem Lamassu klappte der Mund auf.
„Weißt du eigentlich, was du da gerade sagst?“ Die Succubi nickte. „Nun gut, dann werden wir sie noch eine Weile beobachten. Wir müssen jeder Spur nachgehen, die wir finden können.“ meinte Sh'arkrul seufzend. „Wir können uns keine Fehler erlauben, nicht, wenn die Geburt des Dämonenkönigs so kurz bevorsteht.“
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Re: [Geschichte] Aufstieg des Dämonenkönigs

Beitragvon Mimir » 7. Oktober 2014 22:11

Kapitel 5 - Der Krieg der Götter (Öffnen)
Kapitel 5 – Der Krieg der Götter:


Nachdem sowohl Dämonen als auch Inquisition die Höhle verlassen hatten, blieben Naleya und Thelios alleine zurück. Gerade als die Alchemistin fragen wollte, was hier eigentlich los war, ging der Engel in die Knie und seine Hand verkrampfte sich in seinem Hemd.
„Thelios! Ist alles in Ordnung?“ fragte Naleya und eilte an seine Seite.
„Ja, alles bestens.“ sagte Thelios mit schwacher Stimme und richtete sich wieder auf. „Ich muss mich nur noch daran gewöhnen, dass ich nur auf einen Bruchteil meiner Macht zugreifen kann.“ fügte er hinzu und seufzte. „Früher hätte es mir keinerlei Probleme bereitet.“
„Du siehst ziemlich erschöpft aus. Sollten wir nicht lieber verschwinden, bevor die Inquisition wiederkommt?“
„Sie werden nicht wiederkommen, dafür habe ich gesorgt. Ich habe ein wenig mit ihren Erinnerungen und Gedanken gespielt, sie werden sich nicht einmal daran erinnern können, dass diese Höhle hier überhaupt existiert.“
„Wie bitte? So etwas geht?“ Naleya war sichtlich erstaunt über diese Offenbarung. Sie wusste zwar, dass man mit Magie so einiges tun konnte, aber bislang hatte sie noch nie davon gehört, dass man auch die Erinnerungen eines Menschen beeinflussen konnte.
„Es ist möglich, allerdings wissen nur sehr wenige, wie man so einen Zauber einsetzt. Er gehört zu den Zaubern, die in der Bibliothek des verbotenen Wissens aufbewahrt werden.“ er warf einen Blick in Richtung des Ausgangs und schüttelte kurz mit dem Kopf. „Ich hätte nie gedacht, dass es mich so viel Kraft kosten würde, um ein paar Menschen zu beeinflussen... irgendetwas stimmt da nicht. Aber egal, das schlimmste konnte immerhin verhindert werden.“ Bei diesen Worten fiel Naleya wieder ein, dass Thelios ihr noch immer überhaupt nichts darüber gesagt hatte, weshalb sie in der Höhle waren, oder was genau hier so gefährlich für Amderad sein sollte, dass sie sich hier unbedingt umsehen mussten.
„Was genau konnten wir eigentlich verhindern?“ fragte sie schließlich, woraufhin Thelios auf den Boden deutete. Naleyas Blick wanderte zu der Stelle, an der die toten Soldaten der Inquisition lagen und sie runzelte die Stirn, ihr fiel nicht wirklich etwas besonderes auf. Als Tochter von Priestern war der Anblick von toten Menschen nicht ungewohnt für sie, weshalb sie relativ gut damit klarkam, hier in einer Höhle voller Leichen zu stehen, auch wenn es ihr nicht gerade gefiel. „Willst du auf etwas bestimmtes...“ begann sie, brach dann jedoch ab, als ihr klar wurde, was der Engel meinte. „Moment, wo ist das Blut hin?“ Naleya sah sich suchend um, doch nirgendwo war auch nur ein Tropfen Blut zu sehen, selbst der Boden vor einem enthaupteten Soldaten war staubtrocken.
„Es wurde aufgesammelt.“ meinte Thelios und ging zur seltsamen Staue hinüber, die sich in der Höhle befand. „Außerdem muss ich sagen, dass du besser mit der Situation zurechtkommst, als ich erwartet hatte. Viele Menschen wären beim Anblick eines Enthaupteten bei weitem nicht so abgeklärt wie du.“ Naleya zuckte lediglich mit den Schultern.
„Ich habe meinen Eltern früher viel geholfen und sie begleitet, wenn sie sich um verwundete Soldaten kümmern mussten. Es hat immerhin dafür gesorgt, dass ich mich nicht mehr übergeben muss, wenn ich einen Toten sehe.“
„Oh? Was haben deine Eltern denn gemacht?“
„Sie waren Priester in Panyeon und... hey! Du versuchst mich abzulenken!“ rief Naleya plötzlich, woraufhin der Engel seufzte.
„Du bist wirklich hartnäckig.“
„Du hattest versprochen, mir alles zu erzählen.“
„Und ich werde mein Versprechen halten, gib mir nur einen Augenblick Zeit.“ Thelios stand nun direkt vor der Statue und legte eine Hand auf den Wolfskopf, ehe er die Augen schloss und begann, Worte in einer für Naleya vollkommen fremden Sprache zu murmeln. Irgendwie kam ihr die Sprache jedoch bekannt vor, sie wusste nur nicht, woher. Nach einer Weile verstummte Thelios und atmete erleichtert aus. „Sehr gut, alles ist, wie es sein sollte.“ sagte er und ging wieder zu Naleya. „Lass uns nach draußen gehen. Ich will mich nicht hier drinnen unterhalten.“ Die Alchemistin nickte zustimmend und gemeinsam verließen sie die Höhle. Kurz vor dem Ausgang lagen die Leichen von dutzenden Kobolden und Naleya kniete sich neben eine von ihnen, um sie genauer zu betrachten. Es war das erste mal, dass sie einen echten Kobold sah, bislang kannte sie diese Monster nur aus Büchern und Geschichten, die ihr Lehrer ihr erzählt hatte. Der Kobold war ungefähr so groß wie ein Zwerg, würde Naleya also wohl nur bis zum Bauchnabel gehen, wenn er vor ihr stehen würde. Die Haut der Kreatur war mit Schuppen überzogen und an den kleinen Händen und Füßen befanden sich lange Krallen, am Hals jedoch, hörten die Schuppen auf und gingen in Fell über. Der Kopf des Kobolds glich dem eines Wolfes und hatte ein paar lange Fangzähne, die aus den Mundwinkeln des toten Monsters ragten. Naleya strich mit dem Finger durch die violette Flüssigkeit, in welcher der Kobold lag und sah sie sich kurz an, ehe sie plötzlich eine Phiole in der Hand hielt und etwas vom Blut abfüllte. Sie nickte zufrieden, stand auf und bemerkte erst jetzt, dass Thelios ihr einen fragenden Blick zuwarf.
„Ist etwas?“
„Nein, ich frage mich nur, warum du Blut eines Kobolds mitnimmst.“ Die Alchemistin zuckte mit den Schultern.
„Ich wollte nur einmal sehen, was man damit so alles anfangen kann. Aus Blut von Monstern kann man öfters recht nützliche Dinge herstellen, vor allem das Blut von Basilisken hat viele Verwendungszwecke.“
„Oh, dessen bin ich mir bewusst. Aber Koboldblut wird eigentlich nur für eine einzige Sache verwendet, es ist ein wichtiger Bestandteil von Arméon.“
„Wirklich? Davon wusste ich gar nichts.“ sagte Naleya verdutzt. Arméon war ein äußerst starkes Gift, dass zwar nicht tödlich war, aber die Gedanken seines Opfers stark vernebelte, so dass dieses vollkommen unfähig war, vernünftige Entscheidungen zu treffen, oder überhaupt vernünftig zu denken. „Rástlágrha ist nicht gerade erpicht darauf, seine Geheimnisse zu teilen.“ fügte sie mit einem Seufzen hinzu. Rástlágrha war eine Stadt der Kirche auf Corpheus und eine der fünf 'Hauptstädte' der Alchemisten, zu denen auch Panyeon zählte. Bei diesen handelte es sich um Städte des Heiligen Reichs, die im Laufe der Zeit zu Sammelpunkten der Alchemisten geworden waren. Die Alchemisten von Rástlágrha waren durch ihr großes Wissen über Gifte, Medizin und Heiltränke berühmt geworden und waren bekannt dafür, ihre Rezepte und Forschungen eifersüchtig zu hüten und ja nicht herauszugeben. Nur wenige Alchemisten waren wirklich erpicht darauf, ihre Forschungsergebnisse mit den anderen zu teilen und die meisten musste man förmlich anflehen, ehe sie es taten, aber niemand trieb es mit der Geheimnistuerei so weit, wie die Einwohner von Rástlágrha.
„Natürlich nicht, selbst wenn sie es wären, dürften sie es nicht.“ sagte Thelios lächelnd und trat aus der Höhle, woraufhin Naleya aufsprang und hinter ihm her rannte. Kaum waren sie draußen, ging Naleya zu einem nahen Busch und zog einen großen Rucksack hervor, den sie vor dem Betreten der Höhle dort versteckt hatte, ehe sie wieder zu Thelios ging. Dieser wartete kurz, bis die Alchemistin den Rucksack richtig geschultert hatte, danach gingen die beiden Seite an Seite den kleinen Trampelpfad entlang, der sie von den Ausläufern der Berge in ein kleines Waldstück, und letztendlich nach Amderad führen würde. Naleya hatte gerade den Mund geöffnet um Thelios zu fragen, was seine letzte Bemerkung bedeuten sollte, als dieser selber anfing zu sprechen. „Nun gut... auf dem Rückweg kann ich dir ja ein wenig über die Katastrophe erzählen, die beinahe über Amderad und, wahrscheinlich, auch über Panyeon hereingebrochen wäre.“ sagte er und Naleya verzog das Gesicht. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Thelios diese Geschichte benutzte, um von seiner seltsamen Aussage von eben abzulenken. Naleya fühlte sich wie ein Hund, dem der Engel einen Knochen hinwarf, um ihn davon abzulenken, dass nur ein wenig weiter entfernt, ein großes Stück Fleisch lag. Leider musste sie sich eingestehen, dass es funktionierte, sie wollte unbedingt wissen, was es mit der Höhle auf sich hatte, also verkniff sie sich ihre andere Frage, schwor sich jedoch, sie auf keinen Fall zu vergessen. „Was weißt du über die Religion der Elfen?“ fragte Thelios plötzlich und Naleya sah ihn überrascht an.
„Ähm... nicht allzu viel, fürchte ich. Sie beten ein Pantheon von alten Göttern an, dass war es dann leider schon.“ Der Engel schnalzte mit der Zunge und schien ein wenig enttäuscht zu sein.
„So tief ist die Menschheit also gesunken.“ murmelte er vor sich hin und schüttelte den Kopf. „Ich hoffe doch, dass die meisten Menschen mehr wissen als du.“
„Soweit ich weiß nicht... die Priester und Gelehrten der Kirche wissen vielleicht ein wenig mehr über die Religion der Elfen, aber alles was man uns sagt ist, dass sie die alten Götter anbeten.“
„Was? Da ist man gerade mal zwanzig Jahre irgendwo eingesperrt und schon verändert sich die ganze Welt.“ meinte Thelios kopfschüttelnd. „Also gut, dann will ich dich mal aufklären, denn der Glauben der Elfen unterscheidet sich nicht wirklich von dem der Heiligen Kirche, genau genommen, glauben beide an den selben Gott. Nuvaz ist nämlich einer der sieben Götter, die im Pantheon der Elfen angebetet werden. Bei ihnen gibt es die drei Götter der Finsternis, die drei Götter des Lichts und den Gott der Schatten. Nuvaz ist dabei der Gott der Schatten, man könnte sagen, er ist die neutrale Instanz und dafür verantwortlich, die Balance zwischen den Göttern der Finsternis und des Lichts zu bewahren. Vor einigen tausend Jahren, noch lange vor dem Dunklen Krieg, kam es dann jedoch zum Konflikt zwischen den Göttern. Die Herrscher der Finsternis, wie sie auch genannt werden, griffen die Wächter des Lichts an, und es entbrannte ein richtiger Krieg zwischen ihnen, der so schrecklich war, dass er den Dunklen Krieg, wie einen harmlosen Grenzkonflikt wirken lässt... ist etwas?“ fragte Thelios, als er den verwirrten Blick von Naleya bemerkte.
„Ja... so wie du davon erzählst könnte man meinen, dass es diesen Krieg und die alten Götter wirklich gab.“
„Was? Natürlich gab es sie.“ nun war es an Thelios, die Alchemistin verwirrt anzusehen.
„Aber die Kirche sagt, dass Nuvaz der einzig wahre Gott ist!“ protestierte Naleya und konnte nicht glauben, was sie da gerade hörte. Sie hätte nie im Leben erwartet, solch ketzerischen Worte von einem Engel zu hören! Die Vorstellung, dass es noch andere Götter neben Nuvaz gab, war für die meisten Einwohner Demeors einfach nur lächerlich.
„Und das ist auch nicht gelogen, Nuvaz ist tatsächlich der einzig wahre Gott, zumindest ist er der einzige, der noch lebt.“ meinte Thelios lachend. „Nachdem der Krieg über zweihundert Jahre getobt hatte, ohne dass sich ein Sieger herauskristallisierte, griff Nuvaz ein. Er schloss sich den Wächtern des Lichts an und zog gegen die Götter der Finsternis. Letztendlich endete der Krieg jedoch trotzdem damit, dass sämtliche Götter, außer Nuvaz, getötet worden sind... auch wenn 'getötet' vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist. Denn bislang ist es noch niemandem gelungen, einen Gott wirklich umzubringen. Wie auch immer, kommen wir zu den Kobolden. Die meiste Zeit über, sind sie einfach nur simple Kreaturen, Monster, die ihren Instinkten folgen und sonst nichts weiter tun, das ändert sich jedoch, unter bestimmten Umständen. Denn die Kobolde wurden von Gorgonath erschaffen, einem der finsteren Götter. Erinnerst du dich an die Statue, die in der Höhle stand?“ Naleya nickte.
„Ich habe mich schon gefragt, was das sein soll.“
„Das war eine Lampad. Man könnte sie mit uns Engeln vergleichen, sie waren die obersten Diener des Gorgonath. Wann immer sich Kobolde in der Nähe einer Lampad befinden, übernehmen diese die Kontrolle über die niederen Diener und steuern sie. Sobald das passiert, verhalten Kobolde sich mehr wie eine zivilisierte Rasse, je nachdem, wie mächtig die Lampad ist, unter deren Kontrolle sie stehen.“
„Moment, soll das heißen, die Statue war gar keine Statue?“ fragte Naleya überrascht und Thelios nickte.
„Lampad sind magische Kreaturen, die... aufgeladen werden müssen, um lebendig zu werden. Wenn ihre Energie aufgebraucht ist, werden sie zu Statuen. Zwar bekommen sie noch immer mit, was um sie herum passiert und können die Kontrolle über Kobolde übernehmen, aber sie sind unfähig sich zu bewegen.“
„Und wie werden sie aufgeladen?“
„Gorgonath war der Gott des Blutes.“ sagte der Engel und warf Naleya einen vielsagenden Blick zu. Die Alchemistin verstand sofort, worauf er hinauswollte.
„Soll das heißen, wenn die Dämonen und Inquisition sich noch weiter gegenseitig umgebracht hätten, wäre die Statue zum Leben erwacht?“
„Richtig. Dir ist ja aufgefallen, dass in der Höhle nicht ein Tropfen Blut zu finden war, der Grund dafür war, dass die Lampad das Blut in Magie umgewandelt und in sich aufgenommen hat. Ein paar Dutzend Tote mehr, und sie hätte sich wieder bewegen können. Ohne ihren Gott, wäre sie allerdings wahrscheinlich verrückt geworden und hätte sich munter durch die Insel gemordet, bis es irgendjemandem gelungen wäre, sie zu stoppen. Es gab insgesamt nur zehn Lampad. Vier sind während des Kriegs gestorben, drei wurden gefangengenommen und in das Himmelsreich gebracht. Die letzten drei sind verschwunden, niemand wusste wohin, zumindest, bis vor vierhundert Jahren. Einige Meilen nördlich von hier, sind Elfen auf ein riesiges Heer von Kobolden gestoßen. Die Monster plünderten Dörfer der Elfen und brachten die Gefangenen in eine Höhle, wo die Elfen dann geopfert wurden. Dies führte letztendlich dazu, dass eine der drei verschollenen Lampad erwachte.“ Thelios' Gesicht verfinsterte sich, als er davon sprach und Naleya schluckte.
„Wie... wie ist die Sache ausgegangen?“
„Die Lampad und ihre Kobolde haben einen Feldzug gegen die Diener der anderen Götter gestartet. Letztendlich sah Nuvaz sich gezwungen, den Sterblichen Hilfe zu schicken. Die dreizehn Erzengel wurden entsandt, um sich der Sache anzunehmen, nur elf von uns kehrten in den Himmelspalast zurück.“
„Willst du mir etwa sagen, dass die Lampad zwei Erzengel getötet hatte?“
„Es waren lediglich Napheon. Außerdem waren Uriel und ich zu diesem Zeitpunkt... geschwächt und konnten nicht richtig in den Kampf eingreifen, aber ja. Zwei Erzengel sind im Kampf gegen die Lampad gefallen. Wir hatten die Gefahr einfach unterschätzt.“
„Soll das heißen, dass die Kobolde in der Höhle dort auch bald angefangen hätten, nahe Dörfer zu überfallen um Opfer für die Statue zu finden?“
„Ich vermute es.“
„Aber... wir müssen irgendetwas dagegen tun! Was, wenn noch jemand die Höhle findet und ausversehen die Lampad zum Leben erweckt? Wir sollten...“ Thelios lächelte, als er den besorgten Ausdruck in Naleyas Gesicht sah, es war deutlich, dass sie sich mehr Sorgen um Amderad und dessen Einwohner machte, als um ihr eigenes Leben.
„Keine Sorge, das wird nicht passieren. Es ist mir gelungen, den Verstand der Lampad zu zerschmettern, sie war viel zu lange in Form einer Statue gefangen und konnte mir nicht viel entgegensetzen, da war es noch schwerer, den Inquisitor zu beeinflussen. Wie auch immer, selbst wenn jemand die Lampad zum Leben erwecken sollte, wäre sie nun nicht mehr, als eine bedrohlich aussehende, leere Hülle, die sich nicht bewegen, geschweige denn denken kann.“
„Du hast was gemacht?“
„Hm, vielleicht habe ich es ein wenig zu extrem ausgedrückt. Ich habe dir doch gesagt, dass Lampad magische Kreaturen sind. Wenn man es schafft, die Magie aus ihnen zu ziehen, ist es das selbe, als wenn man die Seele eines Menschen vernichten würde. Also sei ganz unbesorgt, sie ist keine Bedrohung mehr.“ Eine Weile lang liefen die beiden schweigend nebeneinander, in Richtung Amderad, ehe Thelios sich plötzlich an Naleya wandte. „Darf ich dich etwas fragen?“
„Natürlich.“
„Was sagt die Kirche über die Elfen?“
„Ähm... es heißt immer, dass sie zwar Verbündete sind, aber dass wir sie trotzdem genauestens beobachten und vorsichtig sein sollen. Viele Priester sagen, dass die Gedanken und der Glaube der Elfen schädlich für die Diener Gottes sind, und dass man sie meiden sollte.“ Thelios verzog das Gesicht bei diesen Worten und runzelte die Stirn.
„Was ist mit der Kirche los? Sie haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass es neben Nuvaz noch andere Götter gab. Vor ein paar hundert Jahren noch, war es etwas, dass man jedem kleinen Kind beibrachte. Was denkt der Paladin sich? Und warum unternimmt Nuvaz nichts dagegen?“ murmelte der Engel, mehr zu sich selbst, als zu Naleya. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf. „Es hat keinen Sinn, weiter darüber nachzudenken. Komm, beeilen wir uns. Ich will noch bevor es dunkel wird einen geeigneten Platz für ein Lager finden.“



Während der Gefallene Engel und die Alchemistin sich bereits auf dem Weg zurück nach Amderad befanden, erreichten General Feon und Aurica gerade eine Lichtung, nicht allzu weit vom Phaneon-Gebirge entfernt. Zu ihrer Überraschung, trafen sie dort Inquisitor de Prucoix und die Soldaten, welche ihn vom Kloster aus begleitet hatten. Feon atmete tief ein und aus, ehe er den Segen aufhob, den er auf sich und Aurica gewirkt hatte, jetzt wo sie den Inquisitor eingeholt hatten, gab es keinen Grund mehr den Zauber aufrecht zu erhalten. Der Inquisitor und die Soldaten schienen sie ebenfalls bemerkt zu haben und kamen zu ihnen herüber. De Prucoix war alt, mindestens drei mal so alt wie Feon. Er hatte eine Glatze, keinerlei Bartwuchs und graue Augen, die Feon mit kaltem Blick musterten, ehe der Inquisitor freundlich lächelte.
„General de Lanceux! Es freut mich, Euch wiederzusehen.“ begrüßte er den General.
„Es freut mich ebenfalls Euch zu sehen, vor allem unbeschadet, Inquisitor.“ sagte Feon, ehe er stirnrunzelnd zu den Soldaten sah. „Das sind doch nicht alle Soldaten, mit denen ihr das Kloster verlassen habt. Was ist passiert?“
„Ah ja, wir haben die Dämonen nahe einer Höhle in den Bergen gestellt und gegen sie gekämpft. Sie sind leider entkommen und haben dabei ein paar Soldaten getötet, wirklich bedauerlich.“ erklärte der Inquisitor kopfschüttelnd und Feon war sich ziemlich sicher, dass er mit 'bedauerlich', nicht den Tod der Soldaten meinte. „Ich kenne diesen Gesichtsausdruck, General.“ meinte Aléon plötzlich und seufzte. „Mir ist bewusst, dass Ihr meine Taten nicht gut heißt, aber seid Euch sicher, dass ich nur das beste für die Kirche im Sinn habe.“
„Daran zweifle ich gar nicht, aber in diesem Fall habt Ihr der Kirche mehr geschadet, als dass Ihr geholfen habt.“ antwortete Feon mit strenger Miene. „Und jetzt führt uns zur Höhle, damit wir die Gefallenen bergen können.“
„Ich fürchte, das wird nicht möglich sein. Sie wurden durch dämonisches Feuer verbrannt, bevor ich eingreifen konnte. Die Dämonen waren mächtige Magier, ich habe sie ein wenig unterschätzt.“ Feon fluchte. „Aber gut, nun da die Sache mit den Dämonen geklärt ist, können wir ja zum eigentlich Grund für meine Anwesenheit kommen.“ sagte der Inquisitor und schien zu beschließen, dass die toten Soldaten es gar nicht weiter wert waren, über sie zu reden. "Wir werden gemeinsam nach Panyeon reisen, General. Von dort aus werden wir mit der siebten Flotte nach Dergnov segeln.“
„Wie bitte?“ entfuhr es Feon ungläubig. „Soll das etwa die Strafe dafür sein, dass ich bei dem Auftrag hier versagt habe? Nur, weil ich eine dämliche Truhe...“
„Das bringt mich zum nächsten Punkt. Ich wurde angewiesen Euch davon zu unterrichten, dass Ihr das Kloster besucht habt, um die Reliquienkammer zu inspizieren. Es gab nie eine Truhe, Ihr seid nicht mit einer Gruppe von Engeln gereist und schon gar nicht wurdet Ihr von Engeln angegriffen. Habt Ihr das verstanden?“
„Was? Das kann könnt Ihr doch nicht ernst meinen! So etwas darf man doch nicht einfach...“
„Die Befehle kamen direkt von Eurer Schwester.“ meinte Aléon lächelnd, woraufhin Feon tatsächlich verstummte. Seine ältere Schwester war eine Hohepriesterin und Beraterin des Paladins, dem Oberhaupt der Kirche. Wenn sie Feon so einen Befehl erteilte, war die ganze Sache weit ernster, als er gedacht hatte. „Weiterhin soll ich Euch ausrichten, dass Euer neuer Auftrag keine Strafe ist.“ fuhr der Inquisitor fort und Feon zuckte bei diesen Worten zusammen. Seine Schwester kannte ihn viel zu gut.
„Aha... warum werde ich dann nach Dergnov versetzt?“
„Weil es dort Probleme gibt.“ als der Inquisitor dies sagte, wurde er schlagartig ernst und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. „Vor einer Woche wurde der General, der die Garnison von Darzank angeführt hat ermordet... auch wenn ermordet vielleicht nicht ganz richtig ist. Er und die Hälfte der Garnison wurden getötet.“
„Was?!“ rief Feon, der nicht glauben konnte, was er da gerade hörte. Gut, Darzank war für seine Größe nicht gerade die Stadt, mit der größten Garnison, trotzdem waren knapp zweitausend Soldaten dort stationiert und auf Dergnov gab es keine Feinde! „Wie ist das möglich?“
„Vor einiger Zeit haben sich die Rebellen auf Dergnov niedergelassen und wir haben endlich ihr Lager gefunden. Der General und die Hälfte seiner Truppen sind ausgezogen, um die Rebellen zu zerschlagen, dabei gerieten sie in einen Hinterhalt und wurden beinahe vollständig ausgelöscht. Überlebende sagen, die Angreifer seien Gnome gewesen, deren Augen in einem unnatürlichen Grün geleuchtet haben, niemand weiß, was man davon halten soll. Die Gnome behaupten jedenfalls, sie haben mit der ganzen Sache nichts zu tun. Wie dem auch sei, Eure Schwester befürchtet, dass Darzank bald angegriffen werden könnte. Deshalb hat sie die siebte Flotte zusammengezogen und eine neue Armee aufgestellt, insgesamt viertausend Mann. Sie will, dass Ihr den Befehl über die Truppen übernehmt und sie nach Darzank führt, um die Stadt zu verteidigen und herauszufinden, was es mit den Gnomen auf sich hat.“
„Und welche Rolle spielt Ihr dabei?“
„Ich werde Euch als Berater zur Seite stehen.“ sagte Aléon und verbeugte sich leicht vor Feon. „Auch wenn wir uns gegenseitig keine Befehle geben können, hoffe ich dennoch, dass Ihr auf meine Ratschläge hören werdet.“
„Ich werde es versuchen.“ meinte Feon mit einem schwachen Lächeln im Gesicht. „Wir mögen zwar unterschiedliche Meinungen haben, aber es ist mir dennoch eine Ehre, mit einem so erfahrenen Inquisitor wie Euch zu arbeiten. Lasst uns am besten zum Kloster zurückkehren und...“
„Das wird nicht nötig sein.“ warf Aléon ein. „Du da, Soldat.“ sagte er und deutete auf einen der Männer, die ihn begleitet hatten. „Nimm dir drei deiner Kameraden und kehre zum Kloster zurück, sagt den Männern dort, dass General de Lanceux nach Dergnov befehligt wurde.“ Der Soldat salutierte, gab drei anderen ein Signal und sofort machten sie sich auf den Weg, in Richtung des Klosters. Kaum waren die Männer weg, wandte der Inquisitor sich wieder an Feon. „Wir haben keine Zeit zu verlieren, Eure Schwester meinte, je eher wir in Panyeon sind, desto besser.“ erklärte er und Feon seufzte.
„Also gut, dann lasst uns sofort nach Panyeon aufbrechen.“
„Natürlich, General.“ meinte Aléon und kurze Zeit später, war die Gruppe auf dem Weg in Richtung Hafenstadt. Der Inquisitor ging an der Spitze, flankiert von zwei Soldaten, während Feon ganz am Ende der Gruppe ging. Nach einer Weile bemerkte er, dass Aurica ihre Schritte verlangsamt hatte und sich zu ihm gesellte.
„General?“
„Was gibt es, Aurica?“
„Ich muss gestehen, ich weiß nicht ganz, was ich machen soll. Immerhin bin ich Teil der Garnison von Panyeon, allerdings wurde ich Eurem Befehl unterstellt. Nun bin ich mir nicht sicher, ob ich Euch nach Dergnov begleiten, oder in Panyeon bleiben soll.“ Feon zögerte einen Augenblick, ehe er antwortete.
„Ich werde den Befehlshaber der Garnison fragen, sobald wir die Stadt erreicht haben. Ich hoffe allerdings, dass du mich nach Dergnov begleiten kannst.“ sagte er und seufzte. „Wie ich meine Schwester kenne, wird der Großteil der Truppen aus gewöhnlichen Soldaten bestehen und nicht aus Kriegern der Inquisition. Je mehr von euch ich kriegen kann, desto besser für mich. Vor allem, da die Situation auf Dergnov wirklich ziemlich ernst zu sein scheint.“ Nicht zum ersten mal wanderte Feons Blick zum Zweihänder, den Aurica auf dem Rücken trug. „Du kommst von einer der Nebeninseln Ahn' Sherovs, nicht wahr?“ Die Soldatin sah kurz überrascht aus, nickte dann jedoch.
„Richtig, mein Name ist Aurica Vladion. Meine Familie gehört zu den Clans der Schwertmeister von Sham' Rheon, weshalb es nicht gerade leicht war, bei der Inquisition akzeptiert zu werden.“ Feon nickte, um zu zeigen dass er wusste, worauf sie hinauswollte. Die Menschen, welche auf den Inseln in der Nähe von Ahn' Sherov lebten, wurden eigentlich immer mit Misstrauen beäugt, da sie im Dunklen Krieg auf der Seite der Dämonen gestanden hatten. Selbst heutzutage waren die meisten noch immer sehr vorsichtig, wenn sie mit ihnen zu tun hatten. Soweit Feon wusste, waren die Clans der Schwertmeister berühmt dafür, die besten Kämpfer der Inselreiche hervorzubringen, auch wenn diese sich meistens nicht der Kirche anschlossen, sondern als Söldner über die Inseln wanderten.
„Eine Schwertmeisterin also? Ich denke, du wärst auf Dergnov wirklich besser aufgehoben, als in Panyeon.“ sagte er, woraufhin Aurica auflachte.
„Ihr missversteht, General. Ich bin noch keine Schwertmeisterin, ich habe bei der Prüfung versagt. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, mein Glück bei der Kirche zu versuchen. Denn wenn man die Prüfung zum Schwertmeister nicht besteht, kriegt man nur noch eine einzige, weitere Chance. Versagt man erneut, kann man nie mehr zum Schwertmeister werden und gilt auf Sham' Rheon fortan als 'Gebrochener', im Sinne von einem zerbrochenen Schwert. Sehr viele von uns bestehen die erste Prüfung nicht, und haben dann so viel Angst davor, als Gebrochener zu gelten, dass sie es kein zweites Mal versuchen. Deswegen gibt es nur sehr wenige Gebrochene, aber sogar noch weit weniger Schwertmeister. Jedenfalls habe ich beschlossen, einige Jahre als Soldatin zu dienen, bevor ich es ein zweites Mal probiere. Deshalb wäre ich Euch sehr dankbar, wenn Ihr dafür sorgen könntet, dass ich mit nach Dergnov darf. So wie Lord de Prucoix es ausgedrückt hat, scheint dort bald sehr viel los zu sein. Ich würde mir nur äußerst ungern diese Gelegenheit entgehen lassen, um Erfahrung zu sammeln.“
„Ich werde sehen, was ich tun kann.“ sagte Feon lächelnd, wurde dann jedoch ernster, als er fortfuhr. „Allerdings befürchte ich, dass die Situation auf Dergnov weit schlimmer ist, als es sich anhört. Meine Schwester würde nie im Leben so einen Aufwand betreiben und ein so großes Heer aufstellen, nur weil sie befürchtet, Darzank könnte angegriffen werden.“
„Wer ist sie eigentlich? Sie klingt ziemlich einflussreich.“
„Das kann man so sagen, sie ist eine Hohepriesterin und gerade einmal fünf Jahre älter als ich. Sie hat es ziemlich weit gebracht, ohne sie wäre ich vermutlich nicht einmal General.“ sagte Feon und zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir sicher, dass ich nur auf ihr Drängen hin, gleich zum General befördert worden bin.“
„Ihr solltet Eure Leistung nicht herunterspielen, General.“ sagte Aurica und schüttelte mit dem Kopf, was Feon ein wenig verwunderte. „Ich habe gehört, dass Ihr befördert worden seid, weil Ihr die Schlacht von Drestiak für die Kirche gewonnen habt, das hätte bei weitem nicht jeder geschafft. Soweit ich weiß, hattet Ihr gerade einmal halb so viele Soldaten zur Verfügung, wie die Rebellen, nachdem Euer General gestorben war. Es wird genug Neider geben, die versuchen werden, Euren Ruhm zu schmälern und Eure Taten herunter zureden, da müsst Ihr ihnen nicht auch noch helfen.“
„Ich verstehe. Tut mir leid, es wird nie wieder vorkommen.“ sagte Feon und verbeugte sich tief vor Aurica. Die Soldatin wurde sich offenbar erst jetzt bewusst, wie sie da gerade mit ihrem General geredet hatte, räusperte sich und wandte den Blick ab, ehe sie verlegen antwortete.
„Ähm... ja, tut mir leid, General. Ich wollte nicht...“
„Schon gut.“ meinte Feon und lachte. „Ihr habt nicht ganz unrecht, es wird wirklich genug Leute geben, denen mein schneller Aufstieg nicht gefällt und es wird schwer genug sein, ihnen zu beweisen, dass ich meinen Rang nicht zu unrecht habe. Da fällt mir ein, würdest du mir die Ehre erweisen, und ein wenig mit mir trainieren?“ fragte Feon, woraufhin Aurica ihn kurz verwirrt anblinzelte.
„Was meint Ihr damit?“
„Nun, selbst wenn du noch keine Schwertmeisterin bist, so hast du dennoch mit ihnen trainiert, oder nicht?“ Aurica nickte. „Dachte ich mir schon. Ich würde gerne sehen, ob ich es im Kampf mit der Schülerin eines Schwertmeisters aufnehmen kann, also was sagst du?“
„Ich... denke es spricht nichts dagegen, wenn Ihr das wirklich wollt, General.“ sagte die Soldatin zögerlich.
„Sehr gut. Dann sagen wir, dass wir unseren Trainingskampf in Panyeon ausführen werden?“
„Von mir aus gerne.“ meinte Aurica und lächelte.
„Wunderbar, ich freue mich schon.“ sagte Feon und konnte es gar nicht mehr erwarten, die Stadt zu erreichen, denn wann erhielt man schon einmal die Möglichkeit, sich mit einer angehenden Schwertmeisterin zu messen?



Es war bereits gegen Abend, als Thelios und Naleya sich einer Lichtung näherten, auf der sie auch schon auf dem Weg zum Gebirge übernachtet hatten. Die letzte halbe Stunde waren sie eher schweigend nebeneinander gegangen, was den Engel ein wenig verunsicherte, da die Alchemistin sonst keine Gelegenheit ausließ, um ihn mit Fragen zu löchern, aber heute schien irgendetwas sie abzulenken, zumindest dachte Thelios das. Als er den Blick jedoch zur Alchemistin wandte merkte er, dass sie äußerst bleich war und sehr stark schwitzte, was nicht nur an der abendlichen Hitze liegen konnte, zumal Naleya nun auch noch anfing hin und her zu torkeln. Es war zwar warm, aber bei weitem nicht so warm, dass es der Alchemistin Probleme bereiten sollte.
„Naleya? Ist alles in Ordnung?“ fragte Thelios, woraufhin Naleya, die bislang auf den Boden vor ihren Füßen gestarrt hatte, den Kopf hob und den Engel aus glasigen Augen ansah.
„Thelios... ja... alles in bester...“ sagte sie, ehe ihre Augen zufielen, sie die Träger des Rucksacks losließ und einfach umkippte. Thelios packte sie an den Schultern, bevor sie auf dem Boden aufschlug und zog sie hoch, allerdings schien die Alchemistin bereits ohnmächtig zu sein. Vorsichtig nahm Thelios ihr den Rucksack ab und stellte ihn auf den Boden. Plötzlich stieß er einen leisen Fluch aus, als er aus dem Augenwinkel sah, wie sich dunkle Linien in Naleyas Gesicht abzeichneten. Er legte ihren Arm über seine seine Schulter und trug sie zum Rand des Trampelpfads, wo er die Alchemistin vor einem Baum auf das Gras legte und sich neben sie kniete. Die Linien gingen inzwischen vom Gesicht der Alchemistin aus weiter nach unten und waren auch auf ihrem Hals zu sehen. Thelios zögerte nicht lange und zog Naleya ihre Weste und ihr Hemd aus, während sie noch bleicher wurde und anfing, sich auf dem Boden hin und her zu wälzen. Thelios fluchte erneut, als er sah wie die Linien sich bereits über die Brüste und den Bauch, bis hin zum Bauchnabel des Mädchens ausgebreitet hatten. Mit der linken Hand packte der Engel ihre Schulter und drückte sie fest auf den Boden, um sie zumindest halbwegs stillzuhalten, dann schloss er die Augen und legte seine rechte Hand auf ihren Bauch. Er verzog kurz das Gesicht als seine Finger sich so anfühlten, als würden sie bei der Berührung in Flammen aufgehen, ignorierte die Schmerzen jedoch und fing an, in einer uralten Sprache zu sprechen, die selbst für die meisten Engel fremd war. Es handelte sich um die Sprache der alten Götter des Lichts, die heutzutage nur noch wenige beherrschten. Nach einer Weile verstummte Thelios, öffnete die Augen und hob seine Hand an, woraufhin Naleya aufstöhnte und sich vor Schmerzen zu krümmen schien, weshalb Thelios sie noch fester gegen den Boden drückte. Die dunklen Linien schienen nun aus ihrem Körper auszutreten und sammelten sich ein einer Art dunkle, magische Kugel unter der Handfläche des Engels. Dieser fuhr nun mit der Hand langsam durch die Luft, direkt über dem Körper der Alchemistin und dort, wo seine Hand war, verschwanden die Linien auf der Haut der Alchemistin. Kurze Zeit später war nichts mehr von ihnen auf Naleyas Körper zu erkennen und Thelios atmete erleichtert auf, als er ihre Schulter losließ und sich mit dem Rücken gegen den Baum lehnte. Eine Weile lang betrachtete er die Kugel aus dunkler Magie, die nun über seiner Handfläche schwebte und verzog das Gesicht. Dann holte er einmal tief Luft und öffnete den Mund, woraufhin die Kugel begann, sich in feinen, schwarzen Nebel aufzulösen und in den Mund des Engels gesogen wurde. Kaum war die Kugel vollständig verschwunden, griff Thelios sich an die Brust, riss die Augen auf und begann zu husten. Er beugte sich nach vorn und fiel dadurch zu Boden. Seine andere Hand krallte sich in das Gras und Blut trat aus seinem Mund aus. Als Thelios langsam schwarz vor Augen wurde und er kurz davor stand, ohnmächtig zu werden, hörte das ganze so plötzlich auf, wie es angefangen hatte und der Engel drehte sich schwer atmend auf den Rücken.
„Du brauchst dich nicht zu verstecken.“ sagte er plötzlich mit schwacher Stimme, richtete sich ein wenig auf und lehnte sich wieder gegen den Baum. Eine Weile lang geschah nichts, doch dann trat eine Gestalt hinter einem Baum hervor und ging zögerlich auf Thelios zu. Der Gefallene Engel musterte sie eine Weile lang, ehe er die Augen schloss und den Kopf in den Nacken legte. „Du schuldest mir eine Erklärung.“ fügte er erschöpft hinzu, woraufhin die Angesprochene den Blick senkte. Bei ihr handelte es sich um niemand anderen, als um Uriel, die blonde, kurzhaarige Engelsfrau mit den vier Flügelpaaren, von der Naleya die Halskette hatte. Sie trug eine schwarze Lederrüstung mit passender Hose und an ihrer Hüfte hing das Schwert, welches Thelios schon so oft gesehen hatte. Es war eine goldene, gezackte Klinge, die den Namen Anthrezar trug, und mit der Uriel sich während des Dunklen Kriegs einen Namen gemacht hatte. Außerdem hing ein kleiner Beutel, an ihrer anderen Hüfte.
„Es freut mich zu sehen, dass mit dir alles in Ordnung ist.“ murmelte Uriel als Begrüßung, warf einen kurzen Blick auf die ohnmächtige Alchemistin und setzte sich dann neben Thelios. Eine Weile lang schwiegen die beiden Engel und Uriel begann, nervös eine ihrer kurzen Haarsträhnen um einen Finger zu wickeln.
„Ich dachte du wärst tot.“ sagte Thelios plötzlich, woraufhin Uriel zusammenzuckte. „Wie geht es Lyaena und Lucifer?“
„Sie sind noch am Leben.“ Uriel zögerte, dann legte sie eine Hand auf Thelios' Schulter, um ihn dazu zu bringen, ihr in die Augen zu sehen. „Thelios, es tut mir leid, dass ich nicht mehr für dich tun konnte, aber mir blieb keine andere Wahl.“ Der andere Engel musterte sie eine Weile lang aufmerksam, dann wandte richtete er seinen Blick wieder gen Himmel.
„Was ist passiert?“ fragte er lediglich, aber das war schon genug, um Uriel erleichtert aufatmen zu lassen. Sie hatte befürchtet, dass Thelios zu wütend sein würde, um ihr überhaupt zuzuhören, wenn sie sich ihm zeigte.
„Wir sind vor dir am Treffpunkt angelangt und haben auf dich gewartet, soweit ging alles nach Plan.“ begann sie und sah ebenfalls in den Himmel empor. „Aber irgendwie muss der Mörder herausgefunden haben, was wir vorhatten, wir wurden angegriffen.“
„Konntest du erkennen wer es war?“ Uriel lächelte schwach.
„Ich konnte sehen was es war, die Lampad haben uns angegriffen.“
„Was?“ Thelios wandte sich sofort zu Uriel um und sah sie schockiert an. „Jemand hat die Lampad erweckt und auf euch gehetzt?“ Die ehemalige Seraphim nickte.
„Mir ist es geradeso gelungen sie abzulenken und auszutricksen. Ich habe einen Zauber gewirkt, der uns in einen todesähnlichen Zustand versetzt hat... leider sind wir erst daraus erwacht, als Nuvaz uns genauer untersucht und den Zauber aufgehoben hat. Zu diesem Zeitpunkt war es zu spät, um deine Verurteilung zu verhindern. Allerdings hatte Nuvaz eh nicht vor, sie rückgängig zu machen, er meinte, die Beweise seien zu erdrückend, selbst nach unserer Aussage, dass du uns nicht angegriffen hattest. Er meinte, es sei noch immer möglich, dass du die Lampad benutzt hast, um uns anzugreifen.“ Thelios nickte sachte. Es gab tatsächlich nicht viele Engel, die wussten wo die Lampad sich in ihrem versteinerten Zustand befanden, also war diese Theorie nicht sonderlich weit hergeholt.
„Wie kommt es, dass du ebenfalls auf Amtheon wanderst, und von der Inquisition gejagt wirst?“
„Wir wurden ebenfalls reingelegt.“ sagte Uriel mit finsterer Miene. „Es gab einige Engel, außer Lyaena, Lucifer und mir, die an deine Unschuld geglaubt haben, egal wie eindeutig die Beweise waren. Wir waren uns sicher, dass du nicht für die Morde verantwortlich bist. Also haben wir uns zusammengeschlossen und angefangen, selber nach dem wahren Mörder zu suchen. Ich weiß nicht wie genau er es geschafft hat, aber das ganze endete damit, dass wir alle des Verrats angeklagt wurden. Es hieß, wir hätten geplant gegen Nuvaz zu rebellieren, ihn zu stürzen und dich zum Gott zu erheben.“
„Wie bitte? Das ist doch vollkommen lächerlich!“
„Ich weiß, aber auch hier waren die Beweise eindeutig. Es gab viele Zeugenaussagen, nicht nur von Engeln, sondern auch von Sterblichen. Hast du schon vom Kult des Gefallenen gehört?“ Thelios nickte.
„Ich habe gehört, es sind Rebellen, die gegen die Kirche und Nuvaz kämpfen.“
„Genau, der Mörder hat den Kult ins Leben gerufen, dessen bin ich mir sicher. Irgendwie hat er es jedoch geschafft es so aussehen zu lassen, als wenn ich die Anführerin wäre, obwohl ich am Tag meiner Anklage zum ersten mal vom Kult gehört habe. Wie dem auch sei, wir mussten aus dem Himmelspalast fliehen und haben es bis hier her geschafft. Einige Zeit lang wussten wir nicht, was wir tun sollten, bis wir eines Tages durch Zufall auf das Hauptquartier der Rebellen gestoßen sind. Nach langer Diskussion sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir, wenn es schon heißt, wir seien Rebellen, den Kult nutzen können, um gegen den wahren Verräter vorzugehen. Ich habe nun wirklich die Kontrolle übernommen und tue mein bestes um herauszufinden, wer für unsere Verbannung und die Morde verantwortlich ist.“
„Ich habe gehört, die Rebellion begann vor knapp einem halben Jahr, wann wart ihr gezwungen, den Himmelspalast zu verlassen?“
„Vor zwei Monaten. Und vor drei Wochen habe ich herausgefunden, wo du gefangen gehalten wurdest. Mir war klar, dass du nicht mehr lange dort bleiben würdest, also habe ich alle verfügbaren Truppen versammelt, die sich in der Nähe von Panyeon befanden und habe die Truppen der Kirche überfallen, die mit dem Transport der Halskette beauftragt waren. So konnten wir dich letztendlich befreien, mit Hilfe dieses Mädchens.“ Uriels Stimme bekam einen traurigen Unterton, als ihr Blick zu Naleya wanderte, die noch immer ohnmächtig vor den Engeln lag.
„Du wusstest, was passieren würde.“ meinte Thelios und runzelte die Stirn. Uriel zögerte zwar kurz, nickte dann jedoch.
„Es war zu erwarten, dass sie den Kontakt mit unheiliger Magie nicht lange überstehen würde, sie hat sich länger gehalten, als ich gedacht habe. Aber wenn ihr Opfer dafür sorgen kann, dass wir in dem Krieg gegen die Kirche eine bessere Chance haben, dann...“
„Sie hat so lange überlebt, weil ich ihr geholfen habe.“ unterbrach Thelios sie, woraufhin Uriel ihn überrascht ansah.
„Was soll das heißen?“
„Ich habe bereits zwei mal die Magie aus ihrem Körper gesaugt, die sie sonst umgebracht hätte.“
„Bist du verrückt? Selbst wenn du ein Gefallener Engel bist, ist die Magie noch immer schädlich für dich, auch wenn es deine eigene ist!“
„Ich weiß, aber bei weitem nicht so schädlich, wie sie für Naleya ist.“ Uriel schüttelte einfach nur ungläubig den Kopf.
„Wie auch immer, es ist Zeit, dich von ihr zu verabschieden. Ich nehme dich mit zu unserem Hauptquartier auf Corpheus, dann können wir gemeinsam beraten, wie wir weiter vorgehen wollen.“
„Tut mir leid, aber ich muss ablehnen.“
„Wie bitte?“
„Du hast mich verstanden, ich werde bei Naleya bleiben, bis ich einen Weg gefunden habe, die Magie ein für alle mal aus ihrem Körper zu bannen.“ sagte Thelios und lächelte, woraufhin Uriel die Stirn runzelte.
„Bist du verrückt geworden? Das Leben dieses Mädchens ist doch niemals wichtiger, als...“
„Uriel!“ zischte Thelios sie an und schien auf einmal ziemlich wütend zu sein. „Spiele nicht die Dumme! Du kannst mir nicht sagen, dass du nicht erkannt hast, wer sie ist!“ fauchte er und Uriel wandte den Blick ab.
„Ich weiß nicht, wovon du...“
„Du weißt sehr genau, wovon ich rede! Ihr Name ist Armeogh! Ich kenne mich zwar nicht besonders gut mit menschlichen Namen aus, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Name nicht gerade häufig vorkommt.“ meinte Thelios trocken. Uriel biss sich auf die Lippe, schwieg jedoch. „Ich bin mir sicher, dass du es sofort bemerkt hast, wahrscheinlich hattest du sie deswegen überhaupt darum gebeten, sich um die Kette zu kümmern.“ Eine Weile lang schwiegen sie, dann seufzte Uriel schließlich, beugte sich nach vorn und strich Naleya das rote Haar aus dem Gesicht.
„Sie sieht ihr ähnlich.“ Thelios nickte und Uriel riss die Augen auf. „Warte... ist das der Grund, warum du auf sie aufpasst?“ Der Nathrezim zögerte kurz, dann senkte er den Blick.
„Es ist meine Pflicht.“
„Nein... nein! Ist es überhaupt nicht!“
„Ach wirklich? Es ist eine zweite Chance! Ich kann meinen Fehler wieder gut machen, und...“
„Du bist der einzige, der denkt dass er einen Fehler gemacht hat!“ fuhr Uriel ihn wütend an und sprang auf. „Du warst nicht da! Du konntest nichts dafür! Selbst Cecilia hatte dir keine Schuld gegeben!“
„Und ich sage dir, es war meine Schuld.“ sagte Thelios und schien sich von Uriels Ausbruch nicht beeindrucken zu lassen. „Wenn ich... wenn ich mich nicht so lange zurückgehalten hätte, dann wäre ich rechtzeitig angekommen, um euch im Kampf gegen Lilith zu unterstützen.“
„Thelios! Du kennst das Mädchen nicht einmal wirklich! Du kannst doch nicht ernsthaft ihr Leben, über das Wohl deiner Untergebenen setzen! Das ist einfach...“
„Sie will mir helfen.“ flüsterte Thelios und brachte Uriel damit zum verstummen. Er hob endlich wieder seinen Blick und sah Uriel direkt in die Augen. „Wenn du auch nur einen halben Tag mit ihr verbringst, wirst du merken, was ich meine. Jede ihrer Bewegungen, jedes ihrer Worte erinnert mich an Darion, und ihr Aussehen... nun, du hast es ja schon selbst festgestellt.“ Uriel starrte ihn eine Weile lang an, dann seufzte sie und setzte sich wieder neben ihn.
„Dann nimm sie mit nach Corpheus, ich bin mir sicher wir...“
„Nein, ich werde sie nicht in deinen Krieg mit hineinziehen, Uriel.“
„Es ist auch dein Krieg! Oder willst du mir sagen, dass es dir egal ist, von nun an ein Verbannter zu sein?“
„Natürlich nicht. Ich verspreche dir, sobald ich einen Weg gefunden habe, ihr zu helfen, werde ich nach Corpheus kommen, um dir zu helfen.“
„Irgendwie kann ich es kaum glauben, dass ich das jetzt sage... aber vor dem Krieg konnte ich leichter mit dir zurechtkommen.“ murmelte Uriel und schüttelte den Kopf. „Ich werde mich an dein Versprechen erinnern. Aber vielleicht... vielleicht kannst du mir mit einer anderen Sache helfen.“ sagte sie, zog eine Schriftrolle aus ihrem Beutel und reichte sie an Thelios weiter. „Das hat der Kult in einem Kloster der Inquisition gefunden, allerdings konnten weder sie noch ich etwas damit anfangen.“ Der Nathrezim rollte das Schriftstück auf und hob überrascht eine Augenbraue. „Das ist eine Prophezeiung der Dämonen. Von... Astarte?“ Uriel nickte.
„Soviel konnten wir auch noch herausfinden, und wir glauben, dass es um den Dämonenkönig geht, aber was genau das ganze heißen soll, wissen wir nicht ganz.“ Thelios' Blick verfinsterte sich beim Wort 'Dämonenkönig'. Die Dämonen waren das einzige Volk in den Inselreichen, dass Nuvaz überhaupt nicht anbetete, sondern einen eigenen Gott hatte, den sie lediglich als Dämonenkönig bezeichneten. Das besondere an ihrem Glauben war, dass sie nicht glaubten, dass ihr Gott bereits existierte, sondern viel eher, dass er eines Tages auf Amtheon erscheinen und die Herrschaft über die Welt an sich reißen würde. Thelios richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Text und begann zu lesen.
„Der Herrscher, befreit aus der Dunkelheit, mit Hilfe des Lichts.
Durch Zufall, ihre Reise begann.
Der Vogel war ihr erstes Ziel, er führte sie zum Meister der Winde.
Im Osten rebellierte der Drache gegen seinen alten Freund, den Herrscher, suchte sich einen neuen Partner.
Herrscher, Licht und Vogel zogen gemeinsam in den Westen, fanden den Meister der Winde, bestraften den Verräter der Erde.
Der Verräter nun selbst betrogen, erschlagen von seinem treuesten Diener, die Prinzessin der Sümpfe wurde die Königin der Erde.
Im Zentrum des Lichts strandeten sie, auf Grund eines Sturms, sie trafen auf den Meister der Winde.
Ihr Weg führte nach Osten, wo sie trafen den Puppenspieler der Finsternis und die Maid des Feuers.
Letztendlich fanden sie den Weg nach Süden, sie begegneten der Herrin des Meeres.
Herrscher, Licht, Finsternis, Wasser, Feuer, Erde und Wind marschierten auf die Zitadelle, stürzten den falschen König, und dann den falschen Gott.“

„Hm...“ machte Thelios und Uriel beugte sich näher zu ihm.
„Hm? Soll das heißen, dass du schon eine Idee hast?“ Thelios nickte vorsichtig.
„Wir sind heute zwei Dämonen begegnet, einer Succubi und einem Lamassu, sie schienen nach irgendetwas zu suchen. Sie könnten der Herrscher und das Licht sein, von denen hier die Rede ist.“ sagte Thelios und zögerte. „Und... ich denke ich weiß, wo sie hinwollen. Der Vogel... wenn sie auf Thórvallen sind, gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit.“
„Wirklich? Oh... ich glaube ich weiß, was du meinst. Was soll ich tun?“
„Gar nichts.“
„Was? Aber wenn der Text wirklich über den Dämonenkönig ist, und sie hier sind, um die Prophezeiung in Erfüllung gehen zu lassen...“ Thelios lächelte Uriel an, woraufhin sie verstummte.
„Ich sagte, du musst nichts machen. Du solltest nach Corpheus zurückkehren, und dich um deinen Krieg kümmern, ich werde mich mit diesem 'Vogel' treffen und sehen, ob er etwas mehr über die Prophezeiung weiß.“ Uriel zog eine Augenbraue in die Höhe.
„Ich dachte, du wolltest Naleya nicht in Gefahr bringen?“
„Sie wird auch nicht in Gefahr sein, die Dämonen haben Angst vor mir und ich denke nicht, dass sie uns etwas antun wollen. Außerdem muss ich zu den Elfen, wenn ich mich der Sache annehme, also, tief in die elfischen Gebiete, nicht nur die paar Städte, die den Menschen bekannt sind. Dort kann man Naleya vielleicht helfen. Ich sage es nicht gerne, aber die Elfen wissen einige Dinge, die selbst uns Cherubim unbekannt sind.“
„Was, wenn Naleya sich weigert mit dir zu reisen?“ Thelios blinzelte Uriel kurz an und brach dann in Gelächter aus.
„Ich bitte dich! Sie ist eine Alchemistin und eine Nachfahrin von Darion! Sobald sie hört, dass ich sie tief in die Gebiete der Elfen führen will, wird sie vollkommen begeistert von der Sache sein und mitkommen wollen, selbst wenn ich ihr sagen würde, dass sie in Amderad bleiben soll!“ Uriel stimmte in sein Lachen mit ein.
„Da hast du recht. Auf die Neugier der Armeogh konnte man sich schon immer verlassen. Ach ja, ehe ich es vergesse... was ist mit deiner Waffe? Du hast mir nie gesagt, was du nach dem Krieg mit ihr getan hast.“ Thelios' Lächeln verschwand aus seinem Gesicht.
„Ich habe Naruz an ihrem Grab versteckt.“ murmelte er. 'Naruz' war der Name der Waffe gewesen, die er im Dunklen Krieg geführt hatte.
„Oh... soll ich sie für dich holen? Ich meine, früher oder später wirst du sie brauchen, besonders, wenn du dich uns anschließt, nachdem du Naleya geholfen hast.“
„Das wird nicht möglich sein. Ich habe es gleich gemerkt, als ich aus meinem Gefängnis erwacht bin, Naruz ist eine neue Bindung eingegangen.“ Uriel fluchte, doch Thelios zuckte lediglich mit den Schultern.
„Es war zu erwarten gewesen, eine Seelenwaffe, die man zu lange kein Blut lecken lässt, wird sich unweigerlich von dir trennen. Ehrlich gesagt ist es ein Zeichen von Respekt mir gegenüber, dass Naruz so lange gewartet hatte, um sich einen neuen Krieger zu suchen.“
„Ich schätze, damit hast du recht.“ sagte Uriel, ehe sie aufstand. „Wie dem auch sei, ich muss aufbrechen. Lyaena und Lucifer werden sich schon Sorgen um mich machen, sie haben befürchtet, dass du deine Wut an mir auslassen wirst, wenn du mich siehst... wegen der Sache mit dem vorgetäuschten Tod, und so weiter.“
„Wie überaus nett von ihnen.“ meinte Thelios und lachte kurz auf. „Grüße die beiden von mir und sage ihnen, dass wir uns schon bald sehen werden. Ich denke, es wird nicht lange dauern, bis ich das Problem unserer kleinen Alchemistin hier gelöst habe.“
„Ich werde daran denken. Auf Wiedersehen, Thelios... und pass auf dich auf.“
„Und du auf dich.“ Uriel zögerte noch einen winzigen Augenblick, dann wandte sie sich jedoch ab, breitete ihre Flügel aus und flog in die Lüfte. Als sie über den Baumkronen schwebte, drehte sie sich noch einmal um und winkte Thelios zum Abschied, ehe sie endgültig außer Sicht verschwand. Thelios starrte noch einige Minuten lang in den Himmel, bevor er auf Naleya aufmerksam wurde, die anfing zu stöhnen und langsam die Augen öffnete.
„Was... wo bin ich?“ fragte sie mit schwacher Stimme und richtete sich auf.
„Guten Morgen.“ begrüßte Thelios sie mit einem Lächeln. „Du scheinst die Hitze nicht ganz vertragen zu haben und bist zusammengebrochen. Du hast leider Uriels Besuch verpasst.“
„Was? Wie? Wer? Uriel? Moment... sie war hier?“ Thelios nickte.
„Und es ist gut, dass du aufgewacht bist, ich muss dir nämlich etwas wichtiges sagen...“
Zuletzt geändert von Mimir am 15. Oktober 2014 02:57, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: [Geschichte] Aufstieg des Dämonenkönigs

Beitragvon Mimir » 15. Oktober 2014 02:56

Kapitel 6 – Der General und die Hohepriesterin:


Panyeon lag an der Südküste von Thórvallen und war nicht nur die größte, menschliche Stadt auf der größtenteils unerforschten Insel, sondern auch die größte Hafenstadt des Heiligen Reichs, nach Lioxports Rebellion. Im Süden wurde die Stadt durch gewaltige Klippen geschützt, die eine Bucht bildeten, welche bis hin zum Stadtzentrum führte. Zwei Türme wachten über die Einfahrt zur Bucht, welche der einzige Zugang zum Hafen von Panyeon war, außerdem waren die natürlichen Klippen in den Jahren des Dunklen Kriegs mit Hilfe von Goblins, Zwergen, Gnomen und deren Magie bearbeitet und ausgehöhlt worden. Dadurch waren die Klippen selbst mittlerweile zu richtigen Festungen geworden, dutzende Tunnel verliefen durch das Gestein und es gab hunderte Schießscharten für Bogenschützen, sowie zwei Dutzend größere Öffnungen, für Katapulte und Ballisten. Selbst ohne Flotte der Kirche im Hafen, wäre ein Angriff von See aus auf Panyeon blanker Wahnsinn, weshalb die einzige Möglichkeit Panyeon zu erobern, der Landweg war, was allerdings weit schwieriger ist, als es klingt. Eine dicke, steinerne Mauer umringte die Stadt dort, wo das Meer und die Klippen keinen natürlichen Schutz mehr boten, und auf jeder Seite wurde die Mauer von einem großen Turm dominiert, der schon eher einer kleinen Burg ähnelte. Auf dem Dach jedes Turms befanden sich drei Katapulte und zu jeder Zeit waren zweihundert Soldaten in den 'Türmen' stationiert. Von den Stadttoren aus führten mehrere Straßen ins Zentrum der Stadt, sie alle endeten in einem gewaltigen Marktplatz der im Herzen von Panyeon lag. Auch die meisten Wohnhäuser und Geschäfte, standen in der Nähe des Markts, je weiter man zum Hafen ging, desto weniger Gebäude gab es jedoch. Direkt am Hafen stand eine riesige Burg, welche noch einmal zusätzlichen Schutz, gegenüber eines Angriffs von See aus bot. Um die Burg herum waren mehrere Kasernen und Übungsplätze für die Soldaten gebaut worden, außerdem gab es ein relativ großes Kloster, für Mitglieder der Inquisition, die eine Weile lang in Panyeon stationiert waren. Zwischen Marktplatz und den militärischen Einrichtungen am Hafen, befand sich die größte Attraktion von Panyeon, die jedes Jahr tausende von Reisende anlockte; die Kathedrale des Raphael. Nach der Kathedrale des Nuvaz, welche in Demeors Hauptstadt stand, war sie die größte Kirche des Heiligen Reichs. Sie wurde aus weißem Stein gebaut und stand inmitten eines Parks, in dem hunderte von Blumenbeeten angelegt worden waren, wodurch Kirche und Park ein heller, strahlender Fleck, in der sonst so tristen, grauen Hafenstadt waren. Benannt wurde sie nach einem der beiden Engel, die Thórvallen während des Dunklen Kriegs befreit hatten, aber auch Raphaels Zwillingsbruder wurde nicht vergessen, er wurde in Form der Burg am Hafen verewigt, welche den Namen 'Ägis des Azrael' trug. Auf einem der Übungsplätze, direkt in der Nähe der Burg, standen Feon, Aurica und ein älterer Mann mit grauen Haaren und Bart. Gekleidet war er in ein teures Seidenhemd und dazu passende Hose. Bei ihm handelte es sich um den Anführer der Garnison von Panyeon, Gilés de Lioux. Er war ein Ritter der Inquisition, was der höchste Rang innerhalb der Inquisition war, nach den Generälen und den Inquisitoren. Feon war gerade damit fertig geworden, ihm davon zu berichten, dass viele der Soldaten, die er aus Panyeon mitgenommen hatte, im Kampf gefallen waren, woraufhin Gilés traurig den Kopf schüttelte.
„Ein Überfall der Rebellen also? Ich kann es noch immer nicht glauben, wir hatten keinerlei Berichte darüber erhalten, dass die Rebellen sogar schon auf Thórvallen aktiv sind.“ murmelte er und warf einen leicht misstrauischen Blick zu Feon. „Ich dachte eigentlich, Ihr wurdet von Engeln begleitet, wie kam es zu so einer Katastrophe?“
„Ich fürchte, Ihr irrt Euch, Sir Gilés.“ sagte Feon mit einem schwachen Lächeln im Gesicht. „Wir wurden tatsächlich von Engeln begleitet, allerdings nur ein kleines Stück, kurz nachdem wir Panyeon verlassen hatten, trennten sie sich von uns um sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern.“
„Oh... ja, das macht Sinn.“ Gilés nickte sachte, während er das sagte. „Ich hatte mich sowieso gefragt, warum Engel Euch auf Eurer Reise zu einem Kloster begleiten würden... also, nichts gegen Euch General, aber ich bin mir sicher Ihr versteht, was ich meine.“
„Natürlich, ich war ja schon überrascht, dass jemand wie Lord Remiel überhaupt mit mir gesprochen hatte. Es war eine große Ehre, sich mit einem Engel unterhalten zu können, wenn auch nur für kurze Zeit.“
„Das glaube ich gerne.“ der alte Mann lachte. „Kommt ja nicht jeden Tag vor, dass man sich mit göttlichen Wesen unterhalten darf. Ach ja, Ihr hattet erwähnt, dass Ihr mich auch nach etwas fragen wolltet?“
„Genau, ich wollte Euch darum bitten, Aurica hier meinem Befehl zu unterstellen. Bislang galt der Befehl nur, bis wir vom Kloster zurückgekehrt sind, weshalb sie genau genommen wieder hier in Panyeon stationiert sein sollte. Aber da es auf Dergnov Probleme gibt, erscheint es mir wie eine große Verschwendung, eine Kriegerin der Inquisition hier in Panyeon stationiert zu lassen, anstatt sie in die Krisengebiete mitzunehmen. Ich meine, was nützt uns unsere Elite, wenn wir sie nie einsetzen?“ Gilés zuckte mit den Schultern.
„Ich habe keinerlei Einwände. Hier ist eh nie etwas los, ein paar Dutzend Soldaten mehr oder weniger werden schon keine Probleme machen, solange niemand auf die Idee kommt, in die Gebiete der Elfen vorzurücken.“
„Habe ich etwas verpasst? Ist etwa wieder eine Expedition geplant?“ Die Menschen lebten schon seit Jahrhunderten mit den Elfen in Frieden auf Thórvallen, und trotzdem war der Menschheit bislang nur die Südküste der Insel bekannt, alles andere war größtenteils unerforschtes Territorium. Einzelne Gruppen von Wanderern trauten sich nicht tiefer in die Insel hinein, weil es in den Flüsterwäldern, welche den Großteil der Insel bedeckten, von gefährlichen Tieren und Monstern nur so wimmelte, weshalb kleine Gruppen von Reisenden leichte Beute waren. Aus diesem Grund konnte man nicht einfach ein paar Späher oder Kundschafter schicken, um die Insel zu erkunden. Eine größere Gruppe von Soldaten konnte man jedoch auch nicht entsenden, da die Elfen dies eventuell als eine Provokation auffassen könnten. In den letzten Jahrhunderten hatte die Kirche aber insgesamt vier mal eine Expedition in die Flüsterwälder geschickt, um zumindest ein wenig mehr über sie zu lernen, was immerhin dafür gesorgt hatte, das das erkundete Gebiet von Thórvallen sich verdoppelt hatte, auch wenn es noch immer nicht mehr, als ein Zehntel der Insel war.
„Es gibt zumindest Gerüchte darüber.“ Gilés zuckte erneut mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, aber es heißt, der Paladin wolle endlich mehr über die Wälder lernen.“
„Ja, das klingt nach dem Paladin.“ murmelte Feon und seufzte. Das derzeitige Oberhaupt der Kirche des Nuvaz war Paladin Ûvion II., der jüngste Paladin in der Geschichte des Heiligen Reichs. Vor seiner Ernennung zum Paladin war er ein Alchemist gewesen und er gilt als neugieriger, intelligenter Mann. Soweit Feon wusste, war Ûvion im Alter von zwölf Jahren zum Alchemisten ernannt worden, ehe man ihn nur fünf Jahre später zum Paladin machte, auch wenn nie öffentlich gemacht wurde, was er gemacht hatte, um zum Paladin zu werden. Gerüchte besagten, er habe eine Medizin erfunden, die jede Krankheit heilen könnte, andere sagten, er habe eine Möglichkeit gefunden, um Unheilige Magie vollständig zu neutralisieren. Feon glaubte eigentlich weder das eine, noch das andere, aber es entsprach zumindest den Tatsachen, dass Ûvion unglaublich jung war. Unter seiner Herrschaft blühte die Alchemie noch weiter auf, als sie es sowieso schon tat, und er legte viel Wert darauf, alles über Amtheon zu wissen, was es über die Welt zu wissen gab, über die gesamte Welt, nicht nur die Inselreiche. In den letzten Monaten waren sogar mehrere kleine Flotten ausgesandt worden, welche das stürmische, von Monstern verseuchte, Meer, jenseits der Inselreiche erkunden sollten. Dabei hatten sie sogar irgendwie Erfolg gehabt, zwar wusste man noch immer so gut wie gar nichts über das Meer, oder was dahinter lag, aber vor wenigen Wochen hatte eines der Schiffe angeblich ein Seemonster nach Demeor gebracht, damit die dortigen Alchemisten es untersuchen konnten, wenn man den Gerüchten glauben konnte, hatte noch keiner von ihnen etwas gesehen, dass dem Monster auch nur ähnelte. Das war zwar alles schön und gut, aber der Paladin schien sich nicht vollkommen bewusst zu sein, dass er haufenweise Ressourcen für seine Forschungen und Expeditionen aus dem Fenster warf, wie man gebrauchen könnte, um gegen die Rebellen vorzugehen. Feon war sich ziemlich sicher, dass alleine die Truppen und Schiffe, die zur Zeit die Meere besegelten, ausreichen würden, um die Rebellen ohne größere Schwierigkeiten zurückzuschlagen... aber was wusste er schon? Immerhin war er nur ein einfacher General und Ûvion der von Nuvaz auserwählte Anführer des Heiligen Reichs.
„Ist alles in Ordnung, General?“ Feon zuckte zusammen, als Auricas Stimme ihn aus seinen Gedanken riss.
„Ja, natürlich. Ich hoffe nur, dass diese neue Expedition, wenn es sie denn überhaupt geben wird, erfolgreicher wird, als die letzten. Besonders viel hatte man ja nie rausgefunden, außer dass es in den Wäldern mitunter gefährlicher ist, als auf einem Schlachtfeld. Aber egal, wie wäre es, wenn wir jetzt unseren Trainingskampf austragen?“ fragte Feon und warf Aurica einen erwartungsvollen Blick zu. Er hielt sich für einen ziemlich guten Schwertkämpfer und wusste, dass er besser war als viele der anderen Generäle, aber er wusste nicht, wie gut er verglichen mit den berühmten Schwertmeistern abschneiden würde. Außerdem wusste er nichts über die Art, wie die Schwertmeister kämpften, während des Kampfs gegen die Engel, war er zu beschäftigt gewesen, um sein Leben zu kämpfen, als dass er auf seine Soldaten hätte achten können.
„Natürlich, sehr gerne sogar.“ sagte die Soldatin und lächelte.

Kurze Zeit später standen die beiden mitten auf dem Übungsplatz, welcher von den gewöhnlichen Soldaten geräumt worden war. Sie standen in einem großen Kreis um den General und die angehende Schwertmeisterin versammelt und waren bereits damit beschäftigt, Wetten auf den Ausgang des Kampfes abzuschließen. Die Soldaten wussten, dass Feon als ein guter Kämpfer galt, allerdings wussten sie auch, dass Aurica aus einem Clan von Schwertmeistern stammte, weshalb sich niemand wirklich sicher war, wer wohl als Sieger aus dem Kampf hervorgehen würde. Feon hielt sein Schwert bereits in der Hand und runzelte die Stirn, als er sah wie Aurica ihren Zweihänder vom Rücken zog und ihn mit Leichtigkeit in der Luft herumwirbelte, ehe sie die Klinge waagerecht in der Luft hielt und mit der Spitze auf Feon zielte. Das Schwert musste verzaubert sein, anders konnte Feon sich nicht erklären, wie es Aurica gelang, die Waffe überhaupt anzuheben, nicht bei ihrem eher zierlichen Körperbau, wie er bei den Menschen der südlichen Inseln üblich war.
„Sind die Kontrahenten bereit?“ fragte Gilés, der sich bereit erklärt hatte, als Aufseher für den Kampf zu fungieren. Sowohl Feon als auch Aurica nickten. „Dann möge das Duell beginnen!“ rief Gilés und sofort setzten die beiden sich in Bewegung. Sehr zu Feons Überraschung, war Aurica trotz ihrer Waffe schneller als er. Urplötzlich stand sie direkt vor ihm und stieß mit ihrer Klinge nach seiner Brust. Feon riss sein Schwert empor und drückte die Waffe der Soldatin nach oben. Anstatt jedoch nur ein wenig zu verrutschen und ihn zu verfehlen, so wie Feon es geplant hatte, schoss Auricas Schwert geradezu in die Höhe, als wenn es überhaupt nichts wiegen würde. Er hatte also recht gehabt, die Waffe war verzaubert. Ehe Feon jedoch weiter darüber nachdenken konnte, fuhr Auricas Arm nach unten und das Schwert raste schnell auf Feons Kopf zu, zu schnell. Der General wich schnell mit einem Schritt zur Seite aus, woraufhin der Zweihänder dorthin auf den Boden krachte, wo er eben gerade noch gestanden hatte. Die Wucht des Aufpralls zerschmetterte einen der Steine, welche den Boden des Übungsplatzes bedeckten, was Feon erneut die Stirn runzeln ließ. Er war sich ziemlich sicher, dass nicht einmal ein Ceruaner genug Kraft gehabt hätte, um eine der Steinplatten mit einer so leichten Waffe, wie dem Schwert der Soldatin zu zertrümmern, wahrscheinlicher war, dass das Schwert zersplittert wäre. Der General ging zum Angriff über und führte einen diagonalen Schlag gegen Aurica, die zur Abwehr in die Knie ging und ihr Schwert horizontal über sich hielt, um den Angriff zu parieren. Als die beiden Klingen aufeinanderprallten, hatte Feon alle Mühe seine Waffe in der Hand zu behalten, es war, als wenn er mit voller Wucht gegen eine Steinmauer geschlagen hätte! Auricas Schwert bewegte sich nicht mal um eine Haaresbreite, zumindest nicht wegen seinem Angriff. Feon bemerkte, wie die Arme der Soldatin anfingen zu zittern, ehe sie zum Gegenangriff überging. Mit unglaublicher Geschwindigkeit raste die Klinge auf Feons Kehle zu, der geradeso mit einer Drehung ausweichen konnte, was Aurica jedoch genug Zeit gab um aufzustehen und sich ein wenig vom General zu entfernen. Dieser hatte dafür endlich herausgefunden, was es mit Auricas Waffe auf sich hatte, zumindest hoffte er das. Wenn Feon sich nicht irrte, konnte die Soldatin mit Hilfe eines Zaubers, der auf ihrem Schwert lag, Gewicht, Masse und Härte ihrer Waffe ändern. Während Feon über den Zauber nachdachte, hatte Aurica sich wieder gesammelt und ging erneut zum Angriff über. Sie schoss nach vorn und schlug nach dem Kopf des Generals. Anstatt zur Seite, oder nach hinten auszuweichen, ging Feon jedoch lediglich einen Schritt nach vorn und stand nun direkt vor Aurica, so dass ihre Gesichter nur wenige Fingerbreiten von einander entfernt waren. Der Angriff der Soldatin ging ins Leere, lediglich ihr Arm traf Feons Schulter, was diesen jedoch nicht sonderlich kümmerte. Aurica blinzelte ihn verwirrt aus ihren braunen Augen an, anscheinend hatte sie nicht damit gerechnet, dass Feon einfach auf sie zugehen würde.
„Ähm... Auszeit?“ fragte sie, als ihr klar wurde, dass ihre Waffe in dieser Situation ziemlich nutzlos war.
„Ich glaube eher, dass ich gewonnen habe.“ meinte Feon lächelnd und Aurica merkte, wie die Spitze seines Schwerts gegen ihre Achselhöhle drückte. Die Soldatin seufzte.
„Also gut, ich gebe auf.“
„Der Gewinner des Kampfes ist General Feon de Lanceux!“ verkündete Gilés, woraufhin einige der Soldaten in Jubel ausbrachen, während andere enttäuscht aufstöhnten. Aurica nahm ihren Arm von Feons Schulter und befestigte ihr Schwert wieder an der Halterung auf ihrem Rücken, während der General seine Waffe wegsteckte und ein paar Schritte zurückging.
„Das war ein... interessanter Kampf.“ sagte Feon und warf einen Blick auf den Griff von Auricas Schwert. „Bislang hatte ich noch nie von so einem Zauber gehört.“
„Er ist einer von drei Zaubern, welche die Clans benutzen, auch wenn ich die einzige aus meiner Familie bin, die ihn verwendet.“
„Gratuliere zu deinem Sieg, Feon.“ erklang eine Stimme hinter dem General, ehe dieser antworten konnte und er erstarrte kurz, ehe er herumwirbelte. Dort standen zwei Personen, die eine war Inquisitor Aléon, der nicht gerade so aussah, als wenn er gerne hier wäre, aber er war es nicht, der Feons Aufmerksamkeit gefangen hatte, sondern die junge Frau, die an der Seite des Inquisitors stand. Sie hatte lange, blonde Haare, die ihr bis zum Rücken gingen und graue Augen, die Feon belustigt anfunkelten, als der sie vollkommen überrascht anstarrte. Sie war in eine weite, weiße Robe gekleidet, die mit ein paar goldenen Schnüren verziert war, und auf dem Kopf trug sei eine weiße Mitra mit goldenem Rand und einer großen, roten Sonne, die in der Mitte der Kopfbedeckung gestickt war.
„Isabelle? Was machst du denn...“ begann Feon, brach dann jedoch ab, räusperte sich und deutete eine Verbeugung an. „Ich meine, ich hätte nicht erwartet, hier auf Euch zu treffen, Hohepriesterin. Was führt Euch nach Panyeon?“ Die Frau seufzte.
„Wie oft noch Feon? Es gibt keinen Grund für dich, mich andauernd 'Hohepriesterin' zu nennen, schon gar nicht jetzt, wo du zum General ernannt wurdest.“ sagte sie und schüttelte den Kopf, ehe sie ihre Aufmerksamkeit auf Aurica richtete. „Wie heißt du, und was ist dein Rang?“ fragte sie die Soldatin, die kurz zusammenzuckte, als eine so hochrangige Dienerin der Kirche das Wort direkt an sie richtete.
„Ähm... ich bin Aurica Vladion, gewöhnliche Soldatin der Inquisition.“ murmelte sie und verbeugte sich.
„Gewöhnliche Soldatin? Hm... du bist noch jung, vielleicht liegt es daran. Mit ein wenig mehr Erfahrung, hättest du sicherlich einen höheren Rang... aber es wäre eine Schande so viel Talent zu vergeuden.“ Die Hohepriesterin schien eher mit sich selbst zu reden, als mit Aurica oder Feon, ehe sie sich wieder direkt an Aurica wandte. „Du bist Teil der Armee, die nach Dergnov reisen wird?“ Aurica nickte lediglich, und die Priesterin schlug ihre Hände zusammen und lächelte. „Aurica Vladion, hiermit befördere ich Euch in den Rang einer Gardistin der Inquisition.“ verkündete sie, woraufhin sie von allen Anwesenden überraschte Blicke erntete.
„Moment, Isabelle? Eine Gardistin hat die Aufgabe...“ begann Feon, wurde jedoch abgeschnitten, bevor er ausreden konnte.
„Ich weiß, ein Gardist, oder eine Gardistin, agiert als Leibwache eines hochrangigen Dieners der Inquisition. Gardistin Aurica, ich ernenne Euch hiermit zur Leibwache meines kleinen Bruders.“
„Euer kleiner Bruder?“ fragte Aurica leicht verwirrt, und warf einen Blick in Richtung Feon. Isabelle nickte.
„General Feon de Lanceux ist mein kleiner Bruder und er wird die Truppen auf Dergnov anführen. Ich möchte, dass du ihm dort als Leibwächterin zur Seite stehst, nimmst du den Auftrag an?“
„Natürlich, ich nehme den Auftrag an.“ sagte Aurica ohne zu zögern und verbeugte sich erneut.
„Einen Moment bitte! Du weißt ganz genau, dass ich keine...“
„Wir reden gleich darüber, Feon.“ sagte Isabelle und unterbrach ihren Bruder, indem sie eine Hand in die Höhe hielt. „Ich muss dir eh noch etwas über die Situation in Dergnov erzählen.“
„Was denn?“
„Nicht hier.“ meinte die Priesterin und schüttelte den Kopf, ehe sie sich an Gilés und Aléon wandte. „Es tut mir leid, aber die Information, die ich für meinen Bruder habe, ist nur für Leute mit dem Rang eines Generals oder höher gedacht, ich hoffe, ihr könnt das verstehen.“
„Natürlich, Lady Isabelle.“ meinte Gilés. „Also seid Ihr in Panyeon, um mit Eurem Bruder zu reden?“
„Ihr wusstet nicht, dass Isabelle hier ist?“ fragte Feon verwirrt, er hätte eigentlich gedacht, dass seine Schwester schon eine Weile in Panyeon war, vor allem da Aléon nicht gerade überrascht zu sein schien, dass sie sich hier befand.
„Ich bin gerade eben erst angekommen.“ erklärte Isabelle lächelnd. „Und ich bin nicht nur gekommen, um mit Feon zu reden, sondern auch, um Euch etwas auszurichten, Sir Gilés. Der Paladin möchte, dass Ihr Lord Aléon und General Feon nach Dergnov begleitet, Ihr sollt Feon als zweiter Berater zur Seite stehen. Ich bin hier, um während Eurer Abwesenheit Panyeon zu verwalten.“
„W-was?“ entfuhr es Gilés, der ziemlich überrumpelt aussah. „Das... kommt ziemlich plötzlich. Hätte man mich nicht früher informieren können?“
„Oh? Sag bloß nicht, dass du den Rest deines Lebens hier in aller Ruhe in Panyeon verbringen wolltest, alter Mann.“ kam es plötzlich von Aléon, der laut auflachte.
„Bei Nuvaz, Aléon? Ich habe dich ja kaum wiedererkannt! Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen! Aber... wenn sogar du mich einen alten Mann nennst...“ seufzte Gilés und schüttelte den Kopf.
„Ihr kennt euch?“ fragte Feon, woraufhin der Ritter nickte.
„Wir haben früher zusammen gedient, das letzte mal war vor... sechzehn Jahren, als wir auf Corpheus eine Sphinx gejagt haben.“ der Ritter seufzte erneut. „Das waren noch Zeiten, heutzutage kann ich wahrscheinlich gerade noch so mein Schwert heben.“
„Da habe ich es leichter.“ meinte Aléon und grinste. „Ich habe dir doch immer gesagt, Magie ist besser als das Schwert.“
„Ja, ja. Wie auch immer, wo wir uns endlich einmal wiedersehen, was ist eigentlich aus diesem Ork von damals geworden? Wenn ich mich richtig erinnere, war sein Name...“ Inquisitor und Ritter begannen ein Gespräch und gingen gemeinsam in Richtung Burg davon.

Isabelle sah ihnen lächelnd nach.
„Anscheinend wurden wir vollkommen vergessen.“ sagte sie und richtete ihren Blick auf Aurica, die schon die ganze Zeit von Isabelle zu Feon und zurück geschaut hatte. „Willst du vielleicht etwas fragen, Gardistin?“ Aurica zögerte und trat nervös von einem Bein aufs andere, ehe sie den Mund zur Antwort öffnete. Das ganze kam ein wenig plötzlich für sie. Sie kannte die Hohepriesterin nicht einmal und hatte keine fünf Minuten mit ihr geredet, ehe sie auch schon zur Leibwächterin eines Generals ernannt wurde! Entweder hatte sie Isabelle mit ihrem kleinen Trainingskampf wirklich beeindruckt, oder die Hohepriesterin führte irgendetwas im Schilde. Was auch immer es war, sie wollte weder Isabelle noch Feon beleidigen, oder unangenehme Fragen stellen. Trotzdem war sie neugierig, weshalb sie letztendlich vorsichtig die Frage stellte, die ihr schon im Kopf herumschwirrte, seit Isabelle sich als Feons Schwester vorgestellt hatte.
„Ähm... nun ja, seid ihr wirklich Geschwister? Ich meine, ihr seht euch nicht wirklich ähnlich.“ meinte Aurica, während ihr Blick immer wieder zwischen den beiden Geschwistern hin und her wanderte. Feon schwieg und starrte einfach stur geradeaus, weshalb es Isabelle war, welche die Frage beantwortete.
„Wir sind keine Blutsverwandten.“ sagte sie, warf dann jedoch einen zögernden Blick zu Feon. Dieser seufzte und nickte kurz.
„Du kannst es ihr ruhig sagen, es ist immerhin kein Geheimnis.“ Feon drehte sich zu Aurica um, ehe er fortfuhr. „Meine Schwester heißt Isabelle de Fancious, ich bin mir sicher, Fancious sagt dir mehr als Lanceux.“ Aurica nickte. Bevor sie Feon unterstellt worden war, hatte sie tatsächlich noch nie von der Lanceux Familie gehört, die Fancious' hingegen, waren eine alte, berühmte Familie. Viele Hohepriester und mächtige Magier kamen aus der Fancious Familie, und sie hatte sogar schon zwei mal den Paladin gestellt.
„Die Lanceux waren eine kleine Adelsfamilie und unsere Vasallen.“ sagte Isabelle und sprang für ihren Bruder ein, der anscheinend nicht wirklich weiterreden wollte. „Vor zwanzig Jahren kam es jedoch zu einem Zwischenfall in den Ländereien der Lanceux. Ein Drache erschien mitten in ihrem Fürstentum und legte alles in Schutt und Asche. Er wurde dabei von einer Horde Wyvern unterstützt, denen es letztendlich gelang, in die Burg der Lanceux einzudringen. Beinahe die gesamte Familie wurde ausgelöscht, nur Feon hatte überlebt. Die Leibwachen seiner Mutter haben ihn rechtzeitig aus der Burg geschafft. Als meine Familie von dem Zwischenfall erfuhr, entsandten wir unsere Truppen um die Drachen und Wyvern zu vertreiben, was uns letztendlich auch gelungen ist. Mein Vater hatte Mitleid, mit Feon, adoptierte ihn und machte ihn zu einem Fancious. Allerdings hat Feon, als er seinen Dienst in der Armee begann, den Namen de Lanceux wieder angenommen und es sich zum Ziel gemacht, seine Familie wieder aufzubauen.“
„Oh...“ sagte Aurica und wusste nicht ganz, wie sie darauf reagieren sollte, sie hatte eigentlich nicht erwartet, so eine Geschichte zu hören zu kriegen.
„Isabelle sagt nicht ganz die Wahrheit.“ warf Feon ein, woraufhin die Hohepriesterin tatsächlich schuldbewusst den Blick senkte. „Sie hat vergessen zu erwähnen, wie der Drache überhaupt in den Ländereien meiner Familie auftauchen konnte.
„Was meint Ihr damit?“ fragte Aurica verwirrt.
„Nichts, Feon glaubt nur gewissen... Gerüchten, die nach dem Zwischenfall in Umlauf gebracht wurden. Diesen zufolge, war es seine Mutter, die den Drachen mitgebracht hat. Sie war eine talentierte Magierin und dachte, dass sie die Bestie kontrollieren könne, zumindest erzählt man es sich so, ich glaube jedoch nicht daran... und du solltest es auch nicht tun, Feon.“ meinte Isabelle und warf Feon einen tadelnden Blick zu.
„Ich glaube den Gerüchten nicht, aber ich sage auch nicht, dass es vollkommen unmöglich ist. Eines Tages werde ich die Wahrheit herausfinden, dann wird sich herausstellen, wer Schuld an der Sache trug.“
„Wie wollt Ihr es denn herausfinden?“
„Der Drache, welcher für den Angriff verantwortlich war hat überlebt. Er hat sich die letzten Jahre bedeckt gehalten, aber er wird früher oder später wieder auftauchen.“ meinte Feon und zuckte mit den Schultern. „Und wenn er es tut, werde ich dort sein, um herauszufinden, was damals wirklich passiert ist.“
„Nun, wie dem auch sei, ich habe leider nicht den ganzen Tag Zeit. Ich muss mich noch in meine neuen Pflichten einarbeiten, die hier auf mich warten. Gardistin? Könntest du meinen Bruder und mich eine Weile lang alleine lassen?“ sagte Isabelle, bevor Aurica auf Feons Antwort reagieren konnte.
„Natürlich, ich... ähm... warte da hinten.“ meinte Aurica, nachdem sie sich ein wenig umgesehen hatte und deutete zu einem einzelnen Baum, der in einiger Entfernung stand. Sie wusste eh nicht, was sie hätte sagen sollen, also kam ihr diese kleine Auszeit recht gelegen. Kaum hatte Aurica sich von ihnen entfernt, zog Isabelle eine goldene Halskette in Form eines Zepters unter ihrer Robe hervor und murmelte ein Gebet. Es gab ein kurzes, helles Leuchten, und als Feon sich umsah bemerkte er, dass sich eine Art Kugel aus blauem Licht um ihn und seine Schwester gebildet hatte.
„Oh, das Siegel der Canea? Ich habe schon gehört, dass sich das Relikt im Besitz der Kirche befinden soll, aber ich wusste nicht, dass du es bekommen hast.“ sagte Feon, mit beeindrucktem Unterton in der Stimme. Über die fünf Inselreiche verteilt gab es insgesamt etwas mehr als einhundert 'Relikte', Gegenstände, die sich einst im Besitz von mächtigen Kriegern, Magiern, Alchemisten, oder Priestern befunden hatten. Wie viele es genau gab wusste niemand, aber man rechnete mit nicht viel mehr als einhundert, von denen sich der Großteil im Besitz der Kirche befand. Zum Träger eines Relikts ernannt zu werden, war eine große Ehre und ein noch weit größerer Vertrauensbeweis. Soweit Feon wusste sorgte das Relikt, welches seine Schwester benutzt dafür, dass niemand, der sich außerhalb der seltsamen Kugel befand hören konnte, was darin gesagt wurde. Neben den gewöhnlichen Relikten gab es auch insgesamt sechs verbotene Relikte, welche zu mächtig waren, um von gewöhnlichen Menschen geführt zu werden.
„Also dann, kommen wir zu dem, was ich dir noch sagen wollte bevor du aufbrichst.“ sagte Isabelle plötzlich und riss Feon damit aus seinen Gedanken. „Genau genommen sind es zwei Dinge, das erste hat mit deinem Auftrag zu tun.“ Plötzlich war ihr Gesichtsausdruck vollkommen ernst und sie musterte Feon mit strengem Blick. „Was weißt du über die Lage auf Dergnov?“
„Nicht viel, nur, dass unsere Truppen von Gnomen mit grün leuchtenden Augen überfallen und getötet worden waren. Na ja, das, und dass ich herausfinden soll, wer oder was dahinter steckt.“ Isabelle verzog das Gesicht.
„Gut, das ist die Geschichte, die wir allen erzählen. Die Wahrheit ist jedoch, dass wir wissen wer dahinter steckt, oder zumindest sind wir uns ziemlich sicher. Hast du vom Unfall gehört, der sich vor ein paar Wochen in Demeor ereignet hat? Der im Turm der Magier.“ Feon nickte. Der Turm war das Hauptquartier der Magier des Heiligen Reichs und lag im Herzen von Rhêvion, der Hauptstadt des Reichs.
„Ich habe gehört, ein magisches Experiment ist schief gelaufen und hat über ein Dutzend Magier schwer verletzt und sogar einige von ihnen getötet. Warte...“ sagte er, als seine Schwester gerade etwas sagen wollte. „Lass mich raten, es war kein Unfall?“
„Richtig. Thrazôl Dolcios.“
„Was soll das für eine Sprache sein?“
„Das ist keine Sprache, sondern ein Name.“ sagte Isabelle und seufzte. „Er war ein Schüler im Turm der Magier, ein Beschwörer um genau zu sein. Mit fünf Jahren kam Thrazôl in den Turm um dort die Magie zu studieren, das sollte dir sagen, wie außergewöhnlich er ist.“
„Hm? Ich dachte die meisten Schüler werden mit fünf oder sechs Jahren in den Turm gebracht um...“
„Du verstehst nicht, Feon. Er kam in den Turm. Alleine. Niemand konnte rausfinden, wer seine Eltern waren und er hat nie über sie gesprochen, selbst die besten Zauberer konnten nicht in seinen Verstand vordringen, sie sagten, es sei als wenn irgendetwas ihn vor ihnen beschützen würde. Thrazôl wurde letztendlich bei den Magiern aufgenommen und begann seine Studien. Mit elf Jahren hatte er mehr Zauber gemeistert, als die höchstrangigen Schüler. Als er gerade einmal fünfzehn Jahre alt war, wurde er zum Beschwörer ernannt. Vor ihm war der Heilige Anthrûl der jüngste Beschwörer aller Zeiten gewesen, und er erhielt den Rang im Alter von achtundzwanzig Jahren.“
„Ich... verstehe.“ sagte Feon und schluckte. „Dieser Thrazôl scheint ein ziemliches Genie zu sein... wie alt ist er jetzt?“
„Er ist kurz vor dem... Zwischenfall achtzehn geworden, auch wenn 'Zwischenfall' viel zu harmlos ist. Niemand weiß warum, aber eines Tages hat Thrazôl einfach so seine Lehrer umgebracht und die Magier, welche gekommen waren um ihn für seine Taten zur Rede zu stellen, schwer verletzt. Danach ist er von Demeor geflüchtet, vermutlich nach Dergnov. Allerdings nicht, ohne vorher eine Schriftrolle aus der Bibliothek des Turms zu stehlen.“
„Und du glaubst, er steckt hinter dem Angriff der Goblins?“
„Ja, der Paladin ebenso. Giftgrüne Augen, sagten die Soldaten, die überlebt hatten. Das ist ein Zeichen davon, dass ihre Gedanken von einem Magier kontrolliert wurden, allerdings sollte selbst Thrazôl nicht mächtig genug sein, um ein ganzes Heer zu steuern.“ Isabelle schüttelte den Kopf und verstummte, weshalb Feon das Wort ergriff.
„Und warum sagst du mir das?“
„Damit du vorbereitet bist. Dein Auftrag lautet noch immer, herauszufinden, ob Thrazôl wirklich hinter dem Angriff der Goblins steckt. Falls nicht, finde heraus wer es wirklich ist. Falls er es tatsächlich ist, finde heraus, wie er es schafft, so viele Goblins gleichzeitig zu kontrollieren. Das ist alles.“ Feon kratzte sich nachdenklich am Kopf.
„Aber... warum die Geheimnistuerei? Warum sagen wir nicht einfach, dass ein Magier durchgedreht ist und die Goblins anführt?“
„Weil wir nicht wollen, dass die Bürger anfangen zu denken, wir verlieren die Kontrolle über das Reich. Die Rebellen sind schon schlimm genug, da können wir nicht auch noch gebrauchen, dass man über einen abtrünnigen Magier redet.“
„Wenn du meinst, dass das die beste Möglichkeit ist.“ sagte Feon und zuckte mit den Schultern. „Ich wäre allerdings dafür die Wahrheit zu sagen, zumindest, dass es einen abtrünnigen Magier gibt. Wenn darüber nichts bekannt ist, dürfte es ihm doch weit leichter fallen, sich in den Städten des Reichs aufzuhalten, ohne aufzufallen, oder?“
„Ich vertrete lediglich die Meinung des Paladins, in diesem Fall.“ sagte Isabelle. „Und keine Sorge, wir lassen natürlich nach Thrazôl suchen, allerdings nicht als abtrünniger Magier, sondern als ein Serienmörder.“
„Das wird die Bürger natürlich ungemein beruhigen.“ Isabelle zuckte auf diese Worte hin mit den Schultern.
„Lieber ein verrückter Serienmörder, als ein verrückter Serienmörder der Magie benutzen kann.“
„War das alles?“
„Eine Sache noch...“ begann Isabelle, biss sich dann jedoch auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. „Nein, vergiss es. Ich wünsche dir viel Glück, bei deinem Auftrag und passe auf dich auf. Vergiss nicht, du sollst die Stadt verteidigen und Nachforschungen anstellen, mehr nicht. Am besten bleibst du in der Stadt und lässt deine Untergebenen Informationen sammeln. Thrazôl ist äußerst gefährlich, deswegen habe ich auch dieses Mädchen zu deiner Leibwächterin gemacht, die Clans des Südens haben Erfahrung damit, gegen Magier und magische Wesen zu kämpfen. Aber das gilt eh nur dafür, falls Thrazôl die Stadt angreift, denn was auch immer du tust, du wirst dich auf keinen Fall mit ihm anlegen, oder jagen. Verstanden?“
„Was? Aber wenn er...“
„Das ist ein Befehl.“ sagte Isabelle mit strenger Miene, woraufhin Feon wütend die Stirn runzelte, sich jedoch geschlagen gab.
„Verstanden.“ presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, ehe er sich abrupt abwandte und aus der Kugel trat. Kurz darauf löste Isabelle die Kugel auf und Feon wandte sich noch einmal zu ihr um. „Ich wünsche dir auch viel Glück, hier in Panyeon. Pass auf dich auf.“ sagte er, ehe er zu Aurica ging und darüber nachdachte, was seine Schwester wohl dazu veranlasst hatte, ihm zu befehlen, sich vom Abtrünnigen fernzuhalten. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass Isabelle mehr wusste, als sie ihm gesagt hatte und er hoffte von ganzem Herzen, dass er sich irrte.



Naleya warf einen letzten Blick durch ihren Laden und nickte zufrieden. Neben der Theke standen drei große Rucksäcke, die mit Proviant, Werkzeugen, Zutaten für Tränke und Kleidung vollgestopft waren. Nachdem Naleya im Wald aufgewacht war, hatte Thelios ihr davon erzählt, dass Uriel aufgetaucht war, um sich mit ihm zu unterhalten. Alles, was die Alchemistin von Thelios erfuhr war, dass Uriel ihm eine Schriftrolle mit einer Art Prophezeiung gegeben hatte, mit der Bitte, dass der Nathrezim die Vorhersage ein wenig genauer untersuchen sollte. Kaum wurde erwähnt, dass er dafür tief in die Gebiete der Elfen musste, da war Naleya auch schon Feuer und Flamme gewesen. Der Engel konnte nicht einmal richtig ausreden, bevor die Alchemistin förmlich darum gebettelt hatte, mitkommen zu dürfen. Bislang war noch nie ein Mensch so tief in die Wälder vorgedrungen, wie Thelios' Reise ihn bringen würde, und Naleya wollte sich diese Gelegenheit keines Falls entgehen lassen. Thelios hatte zuerst so getan, als wenn er Naleya nicht mitnehmen wollte, weil sie wahrscheinlich zu viel Gepäck mitnehmen und dauernd anhalten würde, um irgendetwas zu untersuchen. Erst ihr Versprechen, sich selber um das Gepäck zu kümmern, und keine Zeit zu verschwenden, war Thelios bereit gewesen sie mitkommen zu lassen. Darüber hatte Naleya sich so sehr gefreut, dass ihr erst jetzt, drei Tage später, eingefallen war, dass Thelios ohne sie die Stadt überhaupt nicht verlassen konnte, aufgrund der Bindung, die sie eingegangen waren. Die Alchemistin seufzte, jetzt war es eh zu spät, um sich darüber aufzuregen, zumal es Naleya ja letztendlich gelungen war dafür zu sorgen, dass sie ihr Gepäck überhaupt nicht tragen musste.
Nach einem Gespräch mit dem Anführer der Hámmeth-Karawane, welcher sich als der Elf herausstellte, der Naleya vom Erdbeben erzählt hatte, beschloss Thelios, mit der Karawane zu reisen. So konnte sie ihr Gepäck auf einen der Karren laden, auch wenn Naleya sich ziemlich sicher war, dass es einen ganz anderen Grund dafür gab, dass der Engel mit der Karawane reisen wollte, leider sagte er ihr nicht warum.
„Ist alles in Ordnung?“ fragte Thelios und erschien plötzlich an ihrer Seite.
„Was? Oh, ja, ich habe nur ein wenig nachgedacht.“ sagte Naleya und überlegte kurz, ob sie Thelios fragen sollte, warum er unbedingt die Karawane begleiten wollte, seufzte dann jedoch. Es hatte eh keinen Sinn, er würde es ihr nicht sagen, sonst hätte er es schon längst getan. Sie konnte nur hoffen, dass er sie irgendwann über seine Gründe informieren würde. Vielleicht war es ja auch nur, damit er sich ein wenig sicherer fühlen konnte, immerhin hieß es, dass die Flüsterwälder äußerst gefährlich waren... Naleya schüttelte den Kopf als sie sich daran erinnerte, wie Thelios zwei andere Engel einfach so in schwarze Flammen verwandelt hatte. Er würde sich bestimmt keine Sorgen machen, selbst wenn er vollkommen alleine durch die Wälder reisen musste, zumindest solange er nicht zu viel Magie benutzte. „Oh.“ sagte Naleya plötzlich.
„Hm? Was ist?“
„Mir ist gerade etwas eingefallen, du bist ja ein uralter Engel, nicht wahr?“
„Richtig, und weiter?“
„Na ja, du hast doch bestimmt früher öfters mal gekämpft, da wollte ich wissen, wo denn deine Waffe ist. Ich habe gelesen, dass jeder der Erzengel eine besondere, magische Waffe hat...“ Naleya zögerte und runzelte die Stirn, als sie sich an das erinnerte, was sie über Engel gelesen hatte. „Aber... ich habe gelesen, dass es nur zwölf Erzengel gibt, auch wenn in dem Buch, dass ich gelesen habe nur elf erwähnt wurden... dein Name war gar nicht dabei.“
„Wahrscheinlich war es ein etwas neueres Buch. Nach meinem Fall wird man mich wohl nicht mehr zu den Erzengeln gezählt haben.“
„Das Buch war schon beinahe siebzig Jahre alt.“
„Um deine Frage zu beantworten...“
„Wage es bloß nicht das Thema zu wechseln!“ rief Naleya empört, wurde jedoch ignoriert.
„... ich hatte wirklich einmal eine Waffe. Aus persönlichen Gründen, habe ich sie jedoch weggesperrt und kann sie nicht mehr benutzen.“
„Meinst du nicht, dass du eine Waffe brauchen wirst? Ich habe ein paar rumliegen und...“
„Wie bitte? Ich bin ein Nathrezim! Ich brauche keine Waffen, und selbst wenn ich eine führen müsste, würde ich ganz bestimmt nicht irgendein gewöhnliches Schwert nehmen.“ sagte Thelios und verzog das Gesicht, was Naleya ziemlich überraschte. Da Thelios die ganze Zeit in gewöhnlichen, schwarzen Roben rumlief und sich ganz normal mit ihr unterhielt, hätte sie nie erwartet, dass ihm Waffen so wichtig waren. Auch fühlte Naleya sich ein wenig beleidigt, dass Thelios ihre Waffen 'gewöhnlich' genannt hatte. Natürlich war sie noch lange keine meisterhafte Alchemistin, aber es kränkte trotzdem ihren Stolz.
„Soll das eine Herausforderung sein?“ fragte sie, mit beleidigtem Gesichtsausdruck.
„Was?“
„Ich nehme an, du wirst schon sehen, ich werde eine Waffe schmieden, die du einfach annehmen musst!“
„Hast du mir gerade nicht zugehört? Ich brauche keine Waffe.“
„Also soll das heißen, du würdest nichtmal eine makellose Waffe annehmen, die perfekt zu dir passt?“ Thelios zog eine Augenbraue in die Höhe und sah Naleya zweifelnd an.
„Glaubst du, du kannst so etwas herstellen?“ Die Alchemistin zögerte kurz, nickte dann jedoch.
„Ja, mit genug Übung kann ich es schaffen, da bin ich mir sicher. Ich werde die perfekte Waffe herstellen, die selbst ein Engel akzeptieren muss!“ Thelios musterte sie eine Weile lang, fing dann jedoch an zu lachen.
„Du scheinst immerhin ziemlich überzeugt von dir zu sein. Also gut, wenn du es schaffst, die perfekte Waffe für mich zu schmieden, werde ich sie benutzen, das schwöre ich dir.“
„Sehr gut, dann...“
„Aber, ich habe drei Bedingungen. Erstens, du hast nur einen Versuch. Sollte die erste Waffe, die du mir anbietest mich nicht zufrieden stellen, ist es egal, wie gut deine weiteren Versuche sind. Ich werde sie nicht annehmen. Zweitens, es muss die selbe Art von Waffe, wie meine alte sein. Ich werde dir jedoch nicht sagen, was es ist.“
„Wie bitte? Wie soll ich diese Aufgabe dann lösen?“
„Eine gute Alchemistin sollte sich nicht von solchen Kleinigkeiten aufhalten lassen, meinst du nicht? Vertraue einfach deinen Instinkten als Alchemistin.“
„Na vielen Dank auch... was ist deine dritte Bedingung?“
„Du wirst keine gewöhnlichen Materialien verwenden. Was du benutzt, bleibt dir überlassen, solange es seltenes, oder ungewöhnliches Material ist. Ich werde dir helfen, die Erze, oder was auch immer du benutzen willst zu sammeln, wenn du mir sagst was du benutzen willst. Das ist alles.“
„Aha... und warum dürfen es keine gewöhnlichen Materialien sein?“
„Weil es so lustiger ist.“ meinte Thelios und grinste sie an. „Egal, ich gehe zu den Elfen und sage, dass wir gleich bei ihnen sind, kümmere du dich um deine Freundin.“ sagte er und verschwand von Naleyas Seite, in Richtung Tür. Als die Alchemistin sich umdrehte, sah sie, dass Temeria vor der Tür stand und ihr zuwinkte. Thelios trat nach draußen und begrüßte die Händlerin kurz, ehe er aus Naleyas Blickfeld verschwand und Temeria den Laden betrat.
„Ich schätze, jetzt heißt es Abschied nehmen.“ sagte sie und lächelte Naleya schwach an. „Um ehrlich zu sein, hatte ich schon befürchtet, dass du eines Tages verschwinden würdest. Alchemisten sind ja bekannt dafür, ständig irgendwo hinzureisen, um irgendetwas zu erforschen, oder zu sammeln.“
„Du hörst dich ja an, als wenn wir uns nie wieder sehen werden.“ meinte Naleya lachend. „Keine Sorge, es ist nur ein kurzer Ausflug in die Wälder, um seltene Materialien zu sammeln.“ Der Alchemistin gefiel es nicht, ihre Freundin anzulügen, aber sie hatte nicht wirklich eine andere Wahl, es sei denn sie wollte Temeria sagen, dass Thelios ein echter Engel war... und das könnte für die Händlerin schlimmere Konsequenzen haben, als wenn sie weiterhin angelogen wurde.
„Ich weiß, aber die Wälder sind gefährlich!“
„Wir reisen ja nicht alleine, die Elfen werden uns begleiten, und die kennen sich in den Wäldern aus.“ Bevor Temeria noch etwas sagen konnte nahm Naleya ihre Hand und zog sie zur Ladentheke, wo sie eine der Schubladen öffnete. „Hier drinnen ist Medizin, für deine Tante. Ich habe in den letzten Tagen meine Vorräte benutzt, um sie herzustellen. Das dürfte für ein halbes Jahr reichen.“
„Wolltest du nicht in spätestens einem Monat zurück sein?“ fragte Temeria und lächelte.
„Schon, aber man weiß ja nie, ob es nicht doch etwas gibt, dass einen aufhält. Außerdem, so muss ich die nächsten Monate keine Medizin mehr herstellen, wenn ich zurück bin.“ meinte Naleya und lachte. Zu ihrer Überraschung stimmte Temeria jedoch nicht in das Lachen ein, oder lächelte, sondern nickte wissend.
„Ich verstehe schon, Naleya. Du brauchst mir nichts vorspielen.“
„Wie bitte? Wovon redest du?“
„Ich verzeihe es dir, du bist immerhin meine beste Freundin und ich werde dich unterstützen. Was für eine tragische Geschichte, gemeinsam mit Thelios fliehst du in die Lande der Elfen, weil eure Liebe im Heiligen Reich verboten ist und...“
„Ich fliehe nicht mit ihm ins Land der Elfen! Und Liebe zwischen Elementaren und Menschen ist nicht verboten!“
„Oh, davon rede ich gar nicht.“
„Was meinst du...“ begann Naleya unsicher, riss dann jedoch die Augen auf. Die Kirche hatte tatsächlich ein Gesetz, welches es zwei Rassen verbot zu heiraten, oder Kinder zu zeugen. Allerdings betraf das Gesetz keine Elementare, sondern Engel. Und im Gegensatz zu den meisten anderen Gesetzen, war dieses angeblich von Nuvaz selbst erlassen worden, weshalb selbst die Engel es beachteten... auch wenn Naleya bezweifelte, dass sich jemals ein Engel in einen Menschen verlieben würde.
„Keine Sorge, ich werde es niemandem erzählen.“ meinte Temeria und zwinkerte ihr zu.
„Aber... woher weißt du es?“ Die Händlerin lächelte.
„Das ist ein Geheimnis. Wie dem auch sei, ich wünsche dir viel Spaß auf deiner Reise, und pass auf dich auf. Du reist in Begleitung eines Prinzen, und die ziehen Ärger geradezu magisch an, wann immer sie auf Amtheon wandeln.“ mit diesen Worten ging Temeria aus dem Laden und ließ eine vollkommen perplexe Naleya zurück, die verzweifelt versuchte zu verstehen, was, bei allen Dämonen, eigentlich vor sich ging und woher Temeria ihr Wissen bezog.



Zur selben Zeit kniete Remiel in einer kleinen, dunklen Kammer, die sich in den Katakomben unter der Kathedrale des Nuvaz befand. Eine kleine, magische Kugel schwebte in der Mitte des Raums und sorgte für ein wenig Licht, trotzdem konnte man nicht allzu viel sehen. Nachdem Remiel bereits zehn Minuten hier gekniet hatte, leuchtete plötzlich ein weißer Blitz auf und drei weitere Gestalten erschienen in der Kammer. Die erste trug einen goldenen Brustpanzer, der von zwei silbernen Drachenköpfen verziert war, dazu kamen große Schulterplatten, mit silbernen Stacheln, und ein goldener Helm mit einer Maske, welche die Gesichtszüge eines Engels zeigte. An der Hüfte der Gestalt hing ein Schwert, welches leicht gekrümmt war und keine Parierstange hatte, und auch hier war auf dem schwarzen Griff ein silberner Drachenkopf zu sehen. Die anderen beiden Gestalten waren da schon schlichter gekleidet, sie trugen beide graue Roben mit Kapuze und silberne Masken im Gesicht, jedoch keinerlei Waffen. Die beiden standen hinter der Gestalt in Rüstung und sahen demütig auf den Boden, aus ihren Rücken wuchsen jeweils acht Flügel, die in reinem Weiß strahlten. Die Person vor ihnen hatte keine Flügel, und doch war sie ohne Zweifel die mächtigste, von allen Anwesenden.
„Mein Herr.“ flüsterte Remiel und starrte weiterhin auf den Boden.
„Hebe dein Haupt, Remiel.“ sprach die Gestalt mit glockenheller Stimme und Remiel folgte der Aufforderung. „Zu aller erst solltest du wissen, dass du nichts falsch gemacht hast, Remiel.“
„Ihr seid zu gütig, Lord Nuvaz.“ flüsterte Remiel, doch der Gott hob lediglich abwehrend eine Hand.
„Im Gegenteil, du hast alles richtig gemacht. Asbael hatte dich nicht richtig über die Gefahr informiert, die von der gefangenen Person ausging. Als du herausgefunden hast, wer es war, hast du das einzig richtige getan und bist geflohen. Es bräuchte wohl den gesamten Rat der Erzengel, um Thelios aufzuhalten. Immerhin ist er der letzte seiner Art, wer so lange überlebt hat, ist sicherlich mächtig genug, dass er es selbst mit den Lampad aufnehmen könnte.“
„Der letzte seiner Art? Was soll das heißen?“
„Das ist unwichtig, Remiel. Du darfst jetzt gehen und dich an Asbael wenden, er wird dir sagen, was du nun tun sollst. Oder hast du noch etwas zu berichten?“ Remiel zögerte kurz, nickte dann jedoch.
„Irgendetwas war seltsam, mit dem Mädchen.“
„Mädchen?“
„Sie... hat Thelios befreit. Ich dachte, Lord Asbael hat Euch davon erzählt.“ Der Gott schwieg eine Weile, als er dann schließlich das Wort erhob, war seine Stimme vollkommen kalt.
„Er hat keinen Menschen erwähnt, er sagte, dass Uriel den Gefangenen befreit hat. Erzähle mir von der Menschenfrau.“
„Verzeiht mir mein Herr, ich weiß nicht viel über sie. Nur, dass ich mich seltsam gefühlt habe, als ich in ihrer Nähe war, außerdem war sie eine Alchemistin. Sie hatte rote Haare und...“
„Danke, das reicht.“ meinte der Gott und seine Stimme war schlagartig wieder freundlich. „Du magst es vielleicht nicht glauben, aber deine Informationen waren äußerst wertvoll.“
„Wirklich? Das freut mich, mein Herr.“
„Es ist außerdem äußerst wichtig, dass du niemandem vom Mädchen erzählst, ich hoffe, du verstehst das.“
„Natürlich, mein Herr.“
„Danke, Remiel.“ Der Engel öffnete den Mund um zu antworten, kam jedoch nicht dazu. In einer fließenden Bewegung, hatte sein Gegenüber sein Schwert gezogen und den Seraphim enthauptet. Der kopflose Körper fiel zu Boden, während Remiels Mörder sich umwandte und die Klinge an der Robe eines der beiden Engel hinter sich abwischte.
„Was sollen wir nun machen, mein Lord?“ fragte der linke von ihnen. „Wenn Asbael Informationen vorenthalten hat...“
„Asbael ist kein Problem, er wird für seinen Verrat bestraft werden.“ meinte der Gott, wieder mit kalter Stimme. „Es ist weit schlimmer, dass es auf Amtheon nicht mehr nach Plan läuft. Ich hätte nie erwartet, dass Thelios befreit wird.“
„Sollen wir ihn töten?“
„Mach keine Witze, selbst ihr hättet keine Chance.“ Er schwieg eine Weile, ehe er sich an den rechten Engel wandte. „Wie steht es mit der Menschenfrau, von der du mir erzählt hast? Der Attentäterin?“
„Sie ist vor kurzem in Panyeon angekommen und wird mit der Flotte nach Dergnov segeln.“
„Ich nehme an, dass sie gut genug ist, um das Problem dort zu beseitigen?“
„Natürlich, mein Herr. Allerdings kann es sein, dass der General Probleme macht. Sollte er herausfinden, was der Auftrag des vernichteten Heers war... er könnte sich gegen uns auflehnen. Soll ich die Attentäterin anweisen, ihn aus dem Weg zu räumen? Der Inquisitor, der ihn begleitet könnte ihn ersetzen.“ Der Gott zögerte einen winzigen Augenblick, nickte dann jedoch.
„Beseitigt ihn, wir können keinerlei Risiko eingehen. Das letzte mal, konnte Veynlaz meine Pläne verhindern, dieses mal wird mir jedoch nichts in die Quere kommen.“ Während er sprach, nahm er den Helm von seinem Kopf, woraufhin die Engel vor ihm erschauderten und den Blick abwandten. Der Gott schien sich daran jedoch nicht zu stören, im Gegenteil. Er lächelte und hielt den Helm vor sich in die Luft, so dass er die Maske sehen konnte. „Warte nur ab.“ flüsterte er und sein Grinsen wurde breiter. „Ich werde alles vernichten, und du wirst den Tag bereuen, an dem du mich hintergangen hast, Nuvaz.“
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Kawaii Kingdom (Aura Kingdom AAR mit Vanidar)
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Die Goldene Faust, Thera AAR
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