Kapitel 2:
Eine Prinzessin in Not:
? – Januar 222:Als ihr die Augenbinde aus grobem Stoff endlich abgenommen wurde blinzelte Johanna Faust verwirrt und sofort stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie hatte keine Ahnung wie lange sie den verdammten Stofffetzen schon getragen hatte und beinahe in vollständiger Dunkelheit leben musste, aber es waren bestimmt schon mehrere Tage gewesen. Weiterhin wusste sie nicht wie viel Zeit seit ihrer Ankunft in Valiente und dem dortigen Überfall auf sie und ihre Leibwachen vergangen waren, aber sie vermutete dass es mehrere Wochen gewesen sein mussten.
Die Männer die sie und ihre Wachen angriffen waren eindeutig als Südländer zu erkennen gewesen, vielleicht kamen sie sogar aus Syrianna. Wer auch immer sie waren, sie hatten die Eisernen Fäuste nach einem kurzem, aber heftigem, Kampf niedergemacht, ihr eine Pistole gegen den Rücken gedrückt und sie von Valiente aus bis zur Hafenstadt Saragóza geführt. Dort waren sie an Bord einer Galeere gestiegen deren dunkles, trostloses Sklavendeck für die nächste Zeit auf See ihre Heimat gewesen war.
Keiner ihrer Entführer hatte auch nur ein einziges Wort mit ihr gewechselt, oder sie überhaupt beachtet, außer wenn sie ihr etwas zu Essen oder zu Trinken gebracht hatten. Jedes Mal wenn sie versucht hatte von sich aus ein Gespräch zu starten um zumindest ein paar Antworten zu kriegen war sie einfach ignoriert worden.
Zwar war Johanna noch immer unglaublich zornig und auch traurig über den Tod der Männer die damit beauftragt worden waren ihr Leben zu retten, aber sie war eine Faust und würde sich nicht weinerlich in eine Ecke verkriechen und schweigen nur weil sie Leichen und Blut gesehen hatte.
Trotz ihrer leicht draufgängerischen Art war sie aber noch immer eine Prinzessin und wurde nicht umsonst als eine der begehrtesten Frauen des Landes beschrieben. Ihr Aussehen spielte dabei natürlich keine geringe Rolle; während ihre Brüder, Kronprinz Ulrich und Prinz Dieter, eher ihrem Vater ähnelten hatte Johanna die langen, blonden Haare ihrer Mutter geerbt die ihr bis zum Rücken gingen, nach der langen See- und anschließenden Landreise mit nur wenigen Pausen um sich zu waschen, jedoch ziemlich zerzaust und durcheinander waren. Teilweise steckten sogar kleine Zweige in ihrer Frisur fest, nachdem sie sich am vergangenen Tag mit ihren Entführern durch einen Wald gekämpft hatte. Diese kleine Wanderung hatte sie ohnehin fast zur Weißglut getrieben, denn dank ihrer Augenbinde war sie ständig über irgendwelche Wurzeln oder Steine gestolpert und musste von ihren Begleitern aufgefangen werden, woraufhin sie diese leise anfauchte, jedoch nicht wirklich etwas tun konnte. Ihre Hände hatte man zwar nicht gefesselt, anscheinend hielt man es nicht für nötig, aber die Männer die ständig um sie herum waren griffen jedesmal ein wenn sie versucht hatte sich die Binde abzunehmen, weshalb sie nach einigen Stunden genervt aufgegeben hatte.
Neben der Haarfarbe hatte sie auch die grauen Augen ihrer Mutter und deren großen Körperbau geerbt, weshalb sie nicht wirklich kleiner war als viele der Männer am Hofe ihres Vaters, vom großen Nordländer Alexander einmal abgesehen. Die Prinzessin war zudem recht athletisch gebaut, was zum Teil daran lag dass sie schon immer mehr Zeit damit verbracht hatte sich im Fechten zu üben, auch auf Anraten ihrer Eltern hin. Wo die meisten Adelsfamilien Wert darauf legten dass die Frauen stricken, mit einem Fächer umgehen oder bezaubernd lächeln konnten war es bei den Faust umso wichtiger den edlen Kampf mit dem Degen oder Rapier zu beherrschen.
Was einem jedoch nicht besonders viel bringt wenn man keinen Degen bei sich hat... sinnierte Johanna in Gedanken und unterdrückte ein Seufzen, während sich ihre Augen endlich langsam an das schwache Licht gewöhnten und sie sich umsehen konnte.
Sie befand sich in einem großen, großzügig eingerichtetem Zelt in dessen Mitte ein großes Feuer prasselte, was die Kälte jedoch nicht ganz vertreiben konnte. Zwar war es Anfang Januar und Johanna war im Dezember aufgebrochen, allerdings war sie in die Lande der Valiente gereist, wo selbst im Winter wenigstens milde Temperaturen herrschten. Aus diesem Grund hatte sie lediglich ein dünnes, langärmeliges, schwarzes Kleid mit tiefem Ausschnitt getragen, der ihren Vorbau gut betonte. Abgesehen vom teuren Material war das Kleid auch recht schlicht gehalten und wies nur wenige, goldene Verzierungen auf die man eingestickt hatte, unter anderem den geschlossenen Panzerhandschuh auf ihrer linken Schulter.
Inzwischen trug die Prinzessin auch einen recht mitgenommenen Pelzmantel, den ihr einer ihrer Entführer übergeworfen hatte als sie von der Galeere aus an Land gegangen waren. Außerdem hatte man ihr noch im Schiff ordentliche Stiefel und dicke Socken gegeben, die sie durch ihre Seidenstrümpfe und feinen Schuhe ersetzt hatte. Selbst ohne sehen zu können hatte sie kaum dass sie von Bord waren gemerkt warum man ihr so großzügige Geschenke machte, das laute Knirschen frischen Schnees war unverkennbar gewesen. Anscheinend hatte man sie weiter in den Norden verschleppt und wollte nicht dass sie erfror bevor sie ihr Ziel erreichte, wofür sie den Fremden zumindest ein wenig dankbar war. Sie mochten verdammte, heidnische Südländer sein, aber immerhin hatten sie Manieren, was teilweise mehr war als man über die Ritter der Valiente oder Meravangi sagen konnte.
Außer dem Lagerfeuer befanden sich noch ein einfaches Bett, ein großzügig gedeckter Tisch und mehrere Stühle im Zelt, sowie eine Kommode und ein Schrank. Es sah fast so aus wie das Zelt eines Adligen und Johanna hätte vermutet dass es sich bei seinem Besitzer um einen handeln würde... wenn die Männer die vor ihr standen nicht so eindeutig
keine Adelsleute wären.
Außer Johanna befanden sich noch sechs weitere Personen im Zelt, wobei keiner von ihnen auch nur annähernd wie ein Südländer aussah. Die fünf Personen die sich im Hintergrund herumdrückten würdigte Johanna keines weiteren Blickes, sie schenkte ihre gesamte Aufmerksamkeit dem Mann der direkt vor ihr stand und sie aufmerksam musterte während er sich durch seinen langen, braunen Bart strich.
Er war mindestens Mitte 30, hatte lange, ungepflegte, braune Haare die zu einem Zopf gebunden worden waren und trug eine dicke Jacke aus Fell, über die er ein Kettenhemd geworfen hätte. Das Gesicht des Fremden war von Narben gezeichnet, vor allem seine Stirn und die rechte Wange schienen einige Hiebe und Stiche abbekommen zu haben, aber ohne sie und gepflegter war er wahrscheinlich einmal ein durchaus ansehnlicher Mann gewesen. An seiner Hüfte hing ein großes, brutal aussehendes Breitschwert und an den Schrank gelehnt stand ein großer, runder Holzschild.
„Ich wünsche Euch einen schönen Mittag, Mylady.“ begrüßte der Mann sie mit rauer Stimme und in spöttischem Tonfall, nachdem er sie lange genug angestarrt hatte und verneigte sich leicht. „Ich heiße Euch herzlich in meinem bescheidenem Heim willkommen.“ fügte er hinzu und deutete mit einer ausladenden Geste auf den Innenraum des Zelts.
Johanna runzelte kurz mit der Stirn als sie ihn sprechen hörte und kaute ein wenig auf ihrer Unterlippe herum. Der Mann sprach eindeutig Lundisch, die Sprache der Wikinger von Norselund, allerdings bediente er sich einem Dialekt mit dem sie überhaupt nicht vertraut war, weshalb sie vermutete dass er weit aus dem Norden stammen musste.
„Und mit wem habe ich die Ehre?“ fragte Johanna und verzog das Gesicht als sie sah wie die anderen Männer im Raum breit grinsten.
Sie konnte zwar Lundisch sprechen, hatte jedoch nie gelernt das 'R' so zu rollen wie es die Wikinger taten. Wie die meisten ihrer Landsmänner im Faustischen Reich benutzte sie das 'Skarre-R', wie es die Wikinger nannten, und wurde von ihrem Sprachlehrer bereits mehrmals damit aufgezogen dass es teilweise so klang als würde sie den Buchstaben nie aussprechen, auch wenn sie ihn selber deutlich verstehen konnte.
„Ich bin Ulf Kjøttøks, Anführer der 'Ulvene'. Das ist der Name meiner kleinen Söldnertruppe. Und wer seid Ihr?“
Johanna stutzte und blinzelte den Mann namens Ulf verwirrt an. „Ihr... wisst nicht wer ich bin?“
„Sollte ich es?“
Nun runzelte die Prinzessin die Stirn und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Nun, als Opfer einer Entführung sollte ich ja wohl davon ausgehen können dass mein Entführer zumindest weiß wie ich heiße.“
„Ha! Ich fürchte da liegt ein Missverständnis vor, wertes Fräulein!“ meinte der Nordmann lachend und grinste breit als sie misstrauisch eine Augenbraue in die Höhe zog als ihr auffiel dass er das letzte Wort tatsächlich in Germanisch gesagt hatte. „Ach, guckt nicht so überrascht drein! Jeder könnte Eurer Aussprache anhören dass Ihr aus einem der beiden Kaiserreiche kommt. Mir übrigens egal aus welchem, spielt keine Rolle ob Ihr die Otterbach oder Faust unterstützt.“
„Aha... und was für ein Missverständnis liegt hier vor?“
„Ich bin nicht derjenige der Euch entführt hat, ich habe Euch gerade geschenkt bekommen.“
„Wie bitte?“
„Oh ja, die Südlinge die Euch hergebracht haben... ich glaube es waren Muslime. Sie haben Euch einfach vor meinem Zelt abgestellt und meinen Männern einen Zettel in die Hand gedrückt. Anscheinend war es nur ihre Aufgabe Euch hierher zu bringen, was nun mit Euch geschieht liegt vollkommen bei mir. Normalerweise hätte ich sie gefragt ob sie verrückt sind, aber sie sahen nicht so aus als wenn sie sich lange mit mir unterhalten wollten, also habe ich das Geschenk einfach dankend angenommen und sie verabschiedet.“
Das erklärt die lange Wartezeit von vorhin dachte Johanna und dieses Mal ließ sie wirklich ein Seufzen hören, während sie sich die Stirn rieb. „Warum musste mir sowas passieren?“ murmelte sie kopfschüttelnd.
„Keine Ahnung, aber irgendjemand muss Euch wirklich hassen.“
„Das ist mir schon klar, wenn man mich in solcher Gesellschaft absetzt!“ fauchte Johanna ihn an, woraufhin dieser tatsächlich überrascht aussah. Er hatte augenscheinlich nicht erwartet dass sie keineswegs eingeschüchtert war. „Genau genommen war es mir schon bewusst als man meine Leibwachen aufgeschlitzt hat.“ fügte sie grummelnd hinzu, jedoch eher an sich selbst gewandt.
„Meint Ihr nicht dass Ihr Euch ein wenig höflicher benehmen solltet?“
„Als Geisel von Söldnern?“ fragte Johanna und schnaubte verächtlich. „Was, habt Ihr etwa die erste adlige Söldnerbande?“
„Das ist relativ nahe an der Wahrheit, ich war einst ein Adliger müsst Ihr wissen.“ meinte Ulf und knirschte mit den Zähnen, während seine Männer leise schluckten und ein wenig zurückwichen.
Sie wussten dass es nicht schlau war sich über die Herkunft ihres Anführers lustig zu machen, das hatte bereits mehr als einen Mann das Leben gekostet.
Johanna wusste davon freilich nicht, und selbst wenn hätte es sie überhaupt nicht interessiert. „Wirklich? Ihr seht nicht wirklich danach aus. Was wart Ihr, ein adliger Bär? Aber egal, könnte Ihr mir wenigstens sagen wo ich hier bin?“
„Du hast eine verdammt große Klappe für deine Situation.“ erwiderte Ulf mit zusammengekniffenen Augen und bedrohlichem Tonfall.
Gerade als er den Mund öffnete um noch etwas zu sagen war ein leiser Knall in der Ferne zu hören, gefolgt von Gebrüll und etwas dass nach Jubelschreien klang.
„Oh bei Odins Raben!“ fauchte Ulf und rieb sich die Stirn. „Haben die Idioten da draußen etwa wiedermal einen Streit oder ein Duell angefangen?“
„Möglich.“ erwiderte einer der anderen Männer schulterzuckend. „Soll ich mal nachsehen?“ fügte er fragend hinzu, woraufhin Johannas Augen sich misstrauisch verengten.
Zwar sprach er ebenfalls Lundisch und rollte das R wie es sich gehörte... aber irgendetwas klang dennoch seltsam, sie wusste nur nicht ganz was. Zumindest eines war sicher, er sprach keinesfalls den gleichen Dialekt wie sein Anführer.
„Bleib hier, die sollen sich ruhig abreagieren.“ murmelte Ulf kopfschüttelnd. „Ich wünschte nur sie würden sich wie echte Männer mit Äxten die Schädel einhauen, anstatt wertvolle Kugeln zu verschwenden.“ brummte er dann und verzog das Gesicht als er Johannas ungläubigen Blick bemerkte. „Muss wirklich seltsam für dich klingen, nicht wahr Fräulein? Wie man Kugeln tatsächlich als wertvoll bezeichnen kann. Bei euch Deutschen wachsen die Dinger ja scheinbar an Bäumen. Unsereins muss haufenweise Geld ausgeben um Munition für die wenigen Arkebusen und Pistolen zu kriegen die wir haben. Aber es ist es wert wenn wir damit sogar mit den fortschrittlichsten Heeren des Südens mithalten können.“
Als Johanna diese Worte hörte konnte sie nicht mehr anders, sie beugte sich leicht nach vorn, legte eine Hand auf den Mund und kicherte leise.
„Was gibt es da zu lachen?“ fragte Ulf, mit einer Mischung aus Zorn und Verwirrung in der Stimme.
„Oh... tut mir leid, das war nur zu komisch.“ meinte Johanna lächelnd und winkte abwehrend mit der Hand. „Ihr habt schon lange nichts mehr aus dem Süden gehört, oder?“
„Wie soll ich das verstehen? Ich habe erst vor ein paar Wochen mit einem Waffenhändler aus dem Ducado geredet. Er berichtete davon dass die Valiente ebenfalls begonnen haben ihre Truppen mit Arkebusen anstelle von Bögen auszurüsten.“
„Verzeihung, ich hätte mich deutlicher ausdrücken sollen: Ihr habt schon lange nichts mehr aus dem Kaiserreich gehört, oder? Arkebusen und Hakenbüchsen... das alles ist mittlerweile veraltet. Wir haben schon vor Monaten angefangen umzurüsten, ein Drittel unserer Truppen verfügt bereits über die neuen Musketen.“
„Musketen? Was soll das sein?“
„Nichts worüber ein Fürst der Bären sich den Kopf zerbrechen sollte.“ meinte Johanna schulterzuckend. „Können wir jetzt endlich darüber reden wo wir eigentlich sind?“ fragte sie dann, ehe erneut Schüsse ertönten und sich alle Anwesenden in Richtung Zelteingang drehten.
„Was zum... ist es jetzt zu einer Schlägerei ausgeartet?“
„Soll ich wirklich nicht nachsehen?“
„Du klingt verdammt nervös, Jens. Sonst reißt du dich doch nie darum den Jungs mal die Meinung zu geigen, was ist Heute los mit dir?“
Der Söldner namens Jens verzog das Gesicht und rückte das Langschwert an seiner Hüfte ein wenig zurecht. „Mag sein, aber bin ich wirklich der einzige der findet dass es sich so anhört als wenn der Tumult aus der Richtung kommt in welche die Südlinge abgezogen sind?“ fragte er dann, woraufhin kurzzeitig Schweigen eintrat.
„Jetzt wo du es sagst, hört sich verdächtig danach an.“ grummelte Ulf und runzelte die Stirn. „Die Idioten werden sich doch wohl nicht mit den Muslimen angelegt haben, oder? Die sahen aus als wenn sie erfahrene Krieger waren, nicht nur irgendwelche Banditen.“
„Wir haben eigentlich keine Fanatiker bei uns zur Zeit... aber wer weiß was vorgefallen sein könnte.“
„Grmpf, von mir aus. Jens, geh nachsehen. Sollten sie sich tatsächlich mit den Südlingen angelegt haben sag mir sofort Bescheid und versuche das ganze zu unterbrechen, ich will keinen Ärger mit ihrem Auftraggeber, wer auch immer es ist.“
„'Türlich, Ulf. Bin schon weg.“ meinte der Mann nickend, warf sich einen Pelzmantel über der auf einem nahen Stuhl lag und verließ das Zelt.
„Sollte es nur eine normale Schlägerei sein sag den Bastarden dass der Pisser der es nach der Warnung noch wagt einen Schuss zu verschwenden im nächsten See eisbaden darf!“ rief Ulf ihm noch hinterher als Jens aus dem Zelt trat und ein wenig Schnee ins Innere fiel.
Anscheinend hatte es mittlerweile angefangen draußen zu schneien, viel mehr konnte Johanna jedoch nicht erkennen, ehe die Zeltplane wieder zufiel und sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden wieder auf sie richtete.
„So, zurück zu dir, Fräulein... glaube nicht dass ich vergessen habe was du eben gesagt hast. Anscheinend hältst du es noch immer nicht für nötig mir Respekt entgegenzubringen.“
„Das von einem verfilzten Bären der es nicht nötig hält einem 'Fräulein' eine respektvolle Anrede zuzugestehen.“ antwortete die Prinzessin und schnalzte verächtlich mit der Zunge. „Was war das Leitmotto Eurer Adelsfamilie? 'Heucheln bis uns der Tod holt'?“
„Meine Familie waren die Rødhjart!“ fauchte Ulf und trat einen Schritt nach vorn, während er die Fäuste ballte.
„Und?“
„Wir waren eine der großen Adelsfamilien Norselunds, bis diese verräterischen Bastarde da oben uns in den Rücken fielen und wie Vieh jagten! Glaubst du, ich bin gerne hier und genieße mein Leben als Söldner? Nein! Ich tue es weil mir nichts anderes übrig bleibt um über die Runden zu kommen! Hast Weißt du was es heißt, als Wikinger geächtet zu sein? Ich musste hart kämpfen um überhaupt so weit zu kommen, und ich werde es niemandem, ich wiederhole,
niemandem, gestatten so mit mir zu reden! Hast du das verstanden, Fräulein?“
„Mhm... also doch eher 'Heulen und Heucheln bis uns der Tod holt'?“ fragte Johanna und zog unbeeindruckt eine Augenbraue in die Höhe.
„Das reicht, du verfluchte Schlampe!“ fauchte der Wikinger und schlug mit der rechten Faust zu.
Sehr zu seiner Überraschung, und der seiner Kameraden, ging sein Schlag jedoch ins Leere. Johanna hatte bereits mit einem Angriff gerechnet, war in die Knie gegangen um auszuweichen und schoss nun nach oben, wobei sie ihre Faust von unten gegen das Kinn des Nordmannes krachen ließ, der sie trotz ihrer Körpergröße noch um gut einen Kopf überragte, und dann ein lautes, schmerzerfülltes Zischen hören ließ während Ulf ein paar Schritte nach hinten taumelte.
Ist sein Kopf aus Stein?! fluchte sie in Gedanken und schüttelte mit Tränen in den Augen ihre rechte Hand, die sich tatsächlich so anfühlte als hätte sie gegen eine Mauer geschlagen.
Ehe sie dann jedoch noch etwas tun konnte waren die anderen vier Männer heran um zu verhindern dass die Gefangene es vielleicht sogar noch schaffte sich irgendwie eine der zahlreichen Waffen zu schnappen die hier im Zimmer herum lagen.
Johanna versuchte dem Angriff des ersten von ihnen mit einer Drehung auszuweichen, leider wollte ihr Kleid dabei nicht wirklich mitmachen. Sie stolperte über den Stoff, geriet ins Schwanken und konnte nichts mehr gegen den Faustschlag tun, der sie mitten in die Magengegend traf.
Die Prinzessin ließ ein lautes Keuchen hören und krümmte sich vor Schmerz, ehe sie anfing laut zu husten. Der Treffer hatte ihr kurzzeitig sämtliche Luft aus den Lugen gepresst, aber immerhin hatte ihr Angreifer keine Handschuhe aus Metall getragen, auch wenn das ein eher schwacher Trost für sie war.
„Oh... oh! Jetzt hast du es geschafft!“ fauchte Ulf wütend, während seine Männer Johanna an den Armen packten und sie dazu zwangen gerade zu stehen.
Der Anführer der Söldner rieb sich das Kinn und ging mit schweren Schritten auf die Prinzessin zu, in seiner linken Hand hielt er dabei einen gefährlich aussehenden Krummdolch. „Wenn ich mit dir fertig bin wird dich nicht einmal mehr dein... Moment! Hey, Knut! Dreh ihren Arm ein bisschen, den linken! Ich will ihre Schulter sehen!“ befahl er plötzlich, woraufhin Johannas Arm sofort unsanft herumgerissen wurde, was ihr ein leises Zischen entlockte, sowohl vor Schmerz als auch vor Wut. „Das kann doch verdammt nochmal nicht wahr sein!“ rief Ulf entgeistert und schlug mit der freien Hand gegen den Schrank in seiner Nähe, woraufhin der Schild welcher an ihn gelehnt war zu Boden glitt.
„Was ist denn los, Ulf?“
„Was ist los? Was ist los?! Bist du verdammt nochmal blind? Das Wappen war die ganze Zeit vor deiner Nase, selbst bevor du sie festgehalten hast! Sie ist eine gottverdammte Faust! Diese Südländischen Bastarde haben ein Mitglied der Kaiserfamilie verschleppt!“
„Oh... ich dachte das war einfach nur Dekoration um zu zeigen aus welchem Reich sie kommt.“ murmelte der Mann namens Knut leise und räusperte sich.
„Ich bin wirklich von Vollidioten umgeben.“ brummte der Söldnerführer und schüttelte den Kopf.
„Und jetzt? Verkaufen wir sie wieder an die Faust?“
„Hm... würde wahrscheinlich viel Gold einbringen.“ meinte Ulf schulterzuckend. „Aber die wollen sie bestimmt unbeschadet haben, und ich lasse sie verdammt nochmal nicht damit davonkommen die Rødhjart beleidigt und mich gedemütigt zu haben! Aber du kannst dich glücklich schätzen, Prinzesschen.“ fügte er an Johanna gewandt hinzu. „Eigentlich wollte ich dich zerschneiden und hier im Schnee vergraben, egal ob du eine Adlige bist. Aber eine Faust... na ja, sagen wir dein Wert ist gerade massiv angestiegen. Bin mir sicher die Sklavenhändler der Vastha weiter im Norden werden ein kleines Vermögen für dich ausgeben, selbst wenn du ein paar Narben im Gesicht hast.“
„Meinst du? Meiner Erfahrung nach mögen die es nicht wenn ihre Ware so offen sichtbare Schäden hat.“ meldete sich auf einmal eine Stimme zu Wort die Johanna bislang noch nicht gehört hatte. Sie kam vom Zelteingang hinter ihr und sie rechnete damit dass es einer der anderen drei Söldner war, die bislang noch nichts gesagt hatten.
Die Kälte welche in der Stimme lag sorgte bei ihr bereits für eine Gänsehaut, schaffte es jedoch gleichzeitig irgendwie scherzhaft und amüsiert zu klingen. Diese eigenartige Mischung sorgte dafür dass Johanna fürs erste der größte Unterschied zu den anderen Männern entging.
Auch Ulf schien so sehr auf seine Rache und auf Johanna konzentriert zu sein, dass es ihm überhaupt nicht auffiel.
„Mhm... stimmt.“ murmelte er leise und musterte Johanna abschätzend. „Also gut, dann vielleicht ein paar Narben auf deinem Bauch, oder auf die Oberschenkel. Das dürfte die Vastha kaum stören.“
„Die stehen im Süden aber auch auf Bauchtänzer, da fallen die Narben trotzdem auf. Und blonde Frauen sind besonders beliebt bei den Sultanen und Emiren.“
Als die fremde Stimme sich erneut zu Wort meldete runzelte Johanna die Stirn und vergaß für einen Augenblick sogar den riesigen Nordmann der mit einem Dolch vor ihr stand und damit drohte sie aufzuschlitzen.
Das... ist ein sehr seltsamer Dialekt dachte sie, ehe ihr etwas aufging und sie die Augen aufriss
Moment! Der spricht gar kein Lundisch!Ulf schien davon jedoch noch immer nichts mitbekommen zu haben, ebenso wenig wie er gemerkt hatte dass er automatisch dazu übergegangen war die Sprache des Fremden zu sprechen, den er noch immer nicht wirklich beachtet hatte. Auch schien er nicht zu hören dass der Krach, welcher in den letzten Minuten draußen immer lauter wurde, inzwischen verstummt war.
„Die Vashta machen alles so kompliziert... egal, auf die Schulterblätter kann man immer ein paar hübsche Narben zeichnen, notfalls auch auf den Brüsten, bei dir ist ja genug Platz da.“ meinte der Wikinger und grinste die Prinzessin breit an.
„Klingt sehr interessant und vor allem lustig. Ich wünsche dann noch viel Spaß dabei... aber vielleicht könnten wir davor einmal kurz auf mich zu sprechen kommen, meinst du nicht auch dass das fürs beste wäre, Ulf Kjøttøks? Oder Rødhjart? Oder Kjøttøks Rødhjart?“ meinte die fremde Stimme und klang inzwischen nur noch kalt und gelangweilt.
Mittlerweile schien es auch in Ulfs Kopf endlich 'Klick' zu machen. Der Wikinger schreckte nach oben und wich einen Schritt von Johanna zurück. Selbst der Griff der beiden anderen Söldner lockerte sich, woraufhin Johanna sich losreißen konnte. Anstatt zu versuchen zu flüchten entfernte sie sich jedoch lediglich ein paar Schritte bis sie den gesamten Innenraum des Zelts im Blick hatte.
Ulf hielt noch immer seinen Dolch in der linken Hand, hatte mit der rechten inzwischen jedoch auch sein Schwert gezückt, seine Männer hatten eine Art Halbkreis um den Zelteingang gebildet und hielten schwere Kampfäxte in ihren Händen.
Zum Schluss fiel Johannas Blick auf den Besitzer der neuen Stimme und sie runzelte verwirrt die Stirn als sie ihn sah, sein Anblick war einfach zu... seltsam.
Beim Fremden handelte es sich um einen jungen Mann, vielleicht zwei oder drei Jahre älter als ihr Bruder, Ulrich. Er hatte langes, dichtes, schwarzes Haar dass er zu einem Zopf gebunden hatte den er sich so über die rechte Schulter gelegt hatte, dass die Haarspitzen fast zu seiner Brust reichten. Johanna war sich sicher dass so ziemlich jede Frau im Reich die sie kannte auf die Haare dieses jungen Mannes neidisch gewesen wäre, sie sahen unglaublich gut gepflegt und geschmeidig aus und zusammen mit seinem Gesicht verliehen sie ihm ein edles und adliges, fast schon Engelsgleiches Erscheinungsbild.
Das linke Auge des Mannes war von einer schwarzen Augenklappe verdeckt auf der ein weißer, Schlangenähnlicher Drache aufgemalt war, während sein rechtes Auge in der Farbe eines Amethysten zu glänzen schien. Die Klappe sorgte jedoch nicht wirklich dafür seine Attraktivität zu mindern, im Gegenteil, sie verlieh ihm etwas mystisches dass ihn noch anziehender wirken ließ. Selbst Ulf und seine Söldner schienen sich seinem Bann nicht entziehen zu können, ja, sie schien er noch mehr zu fesseln als Johanna, denn sie schaffte es wenigstens ihn nicht mit offenem Mund anzugaffen.
Doch das seltsame Aussehen hörte nicht bei der Augenklappe oder der Frisur auf. Der Fremde trug einen langen, schwarzen Ledermantel der bis kurz über seine Knöchel reichte und denen ähnelte die meistens von den Commodores und Gouverneuren der Freibeuterliga getragen wurde. Im Gegensatz zu den Kleidungsstücken welche diese trugen, war der Mantel des Fremden keinesfalls heruntergekommen oder schäbig, er wirkte eher so als wenn er gerade eben erst für ihn angefertigt worden war und hatte auf Hüfthöhe mehrere Schnallen und einen Gürtel mit dem man ihn schließen konnte, außerdem waren die Schnallen und Knöpfe mit Silber verziert, was Johannas erster Vermutung, dass es sich bei ihn um einen Adligen handeln musste, nur bestätigte.
Die schwarzen Lederhandschuhe die er trug wirkten von nicht minder ausgezeichneter Qualität und sein dunkelrotes Seidenhemd, welches er unter dem Mantel trug, sah so aus als wenn selbst ein Adelsmann im Reich lieber zweimal darüber nachdenken sollte, ob er es
wirklich braucht.
Am ungewöhnlichsten jedoch, falls man das nach seiner Kleidung und Ausstrahlung überhaupt noch sagen konnte, waren jedoch seine Waffen. Am rechten Bein seiner festen, aus schwarz gefärbtem Leder hergestellten, Hose war eine längliche, dunkelbraune Pistole mit silbernen Verzierungen befestigt, die Johanna sofort als eine der neuesten Radschlosspistolen aus den Schmieden Essens wiedererkannte, zumindest sah sie optisch genauso aus. Pulver und Kugeln befanden sich anscheinend in den kleinen Beuteln die er am Gürtel seines Mantels trug.
Seine Hauptwaffe schien jedoch das Schwert zu sein, welches in einer Scheide steckte die er in seiner linken Hand trug. Die Scheide strahlte im Licht des Lagerfeuers und der Kerzen im Zelt und war königsblau gehalten, ohne irgendwelche Muster, Wappen oder Verzierungen. Die Klinge selbst war kein gewöhnliches Schwert, sondern eine der Waffen welche von den Samurai der Lao-Che verwendet wurden, die weit im Süden lebten; ein Katana.
Das Katana hatte einen schwarz-weißen Griff und endete in einem silbernem Ring an dem eine dunkelrote Schnur befestigt war, an der eine kleine Bommel hing.
„Und wer in Hels Namen bist du?“ fragte Ulf nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens und trat einen Schritt auf den Fremden zu. „Und viel wichtiger, was willst du?“ fügte er hinzu.
„Mein Name ist Lucifer Voldric, angenehm euch alle kennenzulernen.“ erwiderte der Fremde, klang jedoch keinesfalls so als würde er es tatsächlich ernst meinen.
„Moment! Ich kenne den Namen!“ entfuhr es dem Söldner namens Knut auf einmal, woraufhin dieser vollkommen bleich anlief.
„Natürlich tust du das, Hohlkopf!“ brummte Ulf seinen Untergebenen an und unterdrückte ein Stöhnen. „Egal, was willst du hier, Engel?“ fügte er in unfreundlichem Tonfall an Lucifer gewandt hinzu, wirkte jedoch sehr nervös und festigte den Griff um seine Waffen.
„Ich habe gehört dass du nach deiner Ankunft hier von einem Clan der Vikia adoptiert wurdest, stimmt das?“ fragte Lucifer in beiläufigem Tonfall und bestätigte somit die Vermutung die Johanna hatte, seit sie die Sprache gehört hatte die er benutzte, und zu der auch Ulf gewechselt war.
Bei ihr handelte es sich um Slavisch, eine Sprache die, wie der Name es schon verriet, in Slavia sehr weit verbreitet war.
Also bin ich zur Zeit in Slavia... hm, könnte schlimmer sein. Je nachdem wo wir sind ist es gar nicht mal allzu weit nachhause dachte Johanna und unterdrückte ein Lächeln. Noch war sie keinesfalls gerettet und sie sollte vermutlich schnell einen Fluchtplan zusammenstellen... aber sie wollte auch hören was jemand wie Lucifer wohl mit Ulf und seinem Gesindel wollte, denn die Prinzessin zweifelte nicht einen Augenblick daran dass der junge Mann weit über den gewöhnlichen Söldnern stand die sich hier im Zelt versammelt hatten.
„Wurde ich, warum?“ antwortete Ulf knapp und verengte misstrauisch die Augen.
„Weil ich dich zum Duell herausfordern will, ganz einfach. Ein simpler Kampf Mann gegen Mann, wenn du gewinnst kriegst du alles was ich besitze, wenn ich gewinne kriege ich alles was du hast. Wie klingt das für dich?“
Ulf sah Lucifer erst ungläubig an, grinste dann jedoch, fing an zu lachen und schüttelte den Kopf. „Du musst mich für vollkommen dämlich halten!“ meinte er dann grinsend.
„Warum?“ fragte Lucifer und legte den Kopf schief.
„Nach dem Gesetz der Vikia dürfte mein Clan, in diesem Fall meine Söldner, nichts gegen dich unternehmen wenn du mich im fairen Zweikampf besiegst. Ich bin nicht eingebildet genug zu glauben dass ich gegen dich gewinnen könnte, dafür hast du zu viele Männer auf dem Gewissen. Nein... ich lehne ab.“
„Und wirst den Rest deines Lebens als Feigling dastehen der vor einem Duell davon rennt?“
„Lieber ein lebender Feigling als ein toter Mann der seine Ehre behalten hat.“ meinte Ulf schulterzuckend. „Wenn du meine Beute und mein Geld haben willst musst du es mit meiner ganzen Bande aufnehmen! Und ich weiß nicht wie viele Leute du in letzter Zeit rekrutieren konntest, aber wir sind deinen Leuten noch immer mindestens ums zehnfache überlegen! Also verpiss dich lieber!“
„Ähm... Ulf? Hältst du es wirklich für eine gute Idee den Todesengel zu verärgern?“ fragte Knut, und erst jetzt fiel Johanna auf dass er und einer der anderen Söldner sich während des Gespräches von Lucifer entfernt hatte, und sie ihre Äxte gegen gespannte Armbrüste ausgetauscht hatten. Zwar zielten sie noch auf den Boden, aber Johanna hatte das Gefühl dass sich das bald ändern würde.
Auch Lucifer schien die Armbrüste misstrauisch zu beäugen, was wohl dafür sorgte dass Ulf sich noch sicherer fühlte.
„Ach, selbst der kann nicht viel machen in so einer Situation. Man darf nur nicht auf seine Provokationen reinfallen.“ meinte Ulf grinsend.
Lucifer seufzte lediglich und schüttelte mit dem Kopf. „Entweder bist du weniger hitzköpfig, feiger oder klüger als man mir erzählt hat.“ meinte er dann und lächelte schwach. „Also gut, ich gebe auf, du wirst dich wohl nicht mit mir duellieren... wie wäre es dann mit einem Handel?“
„Hm? Was schwebt dir vor?“ fragte Ulf, der beim Wort 'Handel' sofort wieder aufmerksam und ernst wurde.
„Der Inhalt dieses Beutels hier gegen die hübsche Lady dort in der Ecke.“ meinte Lucifer, noch immer lächelnd, zog einen klimpernden Geldbeutel aus einer Innentasche seines Mantels und warf ihn Ulf vor die Füße, woraufhin einige silberne Münzen nach draußen rutschten.
Während seine Männer leise Pfiffe ausstießen und so aussahen als würden sie sich sofort auf das Geld stürzen wollen kniff Ulf die Lippen zusammen und sah abwechselnd vom Beutel zur Prinzessin hinter sich.
„Ich... bin mir nicht sicher. Sie hat mich schwer beleidigt.“
„Ich bitte dich, Ulf. Wir haben gerade festgestellt dass deine Ehre dir nicht gerade viel wert ist.“ meinte Lucifer und schnalzte genervt mit der Zunge.
„Das mag sein, aber sie hat die Ehre meiner Familie beleidigt.“ warf Ulf halbherzig ein, ließ seinen Blick dann jedoch zur Pistole an Lucifers Bein wandern. „Was willst du überhaupt von ihr?“
„Was geht dich das an? Sie ist hübsch, sehr hübsch sogar und hat vom Aussehen her alles was man sich von einer Frau wünschen könnte.“ meinte Lucifer schulterzuckend.
„Gibst du nicht ein bisschen viel Geld aus, wenn du nur eine Bettgefährtin willst?“ fragte Ulf und klang etwas misstrauisch.
„Oh, ich bin mir sicher dass sie sich in sehr naher Zukunft als sehr nützlich erweisen wird.“ meinte Lucifer lächelnd.
Ulf dachte noch eine Weile lang nach, seufzte dann jedoch und klatschte in die Hände. „Also gut! Ich gebe sie dir für das Geld... und für die Pistole die du da bei dir trägst, wie klingt das für dich? Oder willst du mir etwa sagen dass die ein viel zu wertvolles Erbstück ist?“ fragte er dann grinsend.
„Die hier?“ fragte Lucifer und klopfte leicht mit der rechten Faust gegen die Schusswaffe. „Erbstück ja, unbezahlbar nein. Wenn du sie willst kannst du sie haben. Munition wirst du aber gefälligst selber kaufen. Du wirst keine einzige Kugel mit dieser Waffe kriegen.“
„Grmpf, von mir aus... hey! Prinzesschen!“ rief Ulf und drehte sich zu Johanna um. „Geh zu ihm.“ meinte er dann und ruckte mit dem Kopf in Richtung Lucifer.
Die Prinzessin dachte erst darüber nach ihn einfach zu ignorieren, aber dann sah sie wie der sogenannte 'Todesengel' sie zu sich winkte und irgendetwas an seinem Blick sagte ihr dass sie sich lieber bewegen sollte.
Gerade als sie Ulf passierte hörte sie wie dieser sich in Lundisch an seine Söldner wandte. „Hört mal, dieser dämliche Varier denkt dass er machen kann was er will, aber da hat er sich geschnitten. Wenn er hier raus spazieren will jagt ihr ihm ein paar Bolzen in den Rücken, aber passt auf dass ihr das Mädel nicht erwischt.“
Als sie das hörte schluckte Johanna kurz. Kaum hatte sie sich an die Seite von Lucifer gesellt wandte sie sich ihm zu und begann im Flüsterton zu sprechen. „Hört mir bitte zu, dieser Ulf...“
„Nicht jetzt, Mylady.“ meinte Lucifer und schenkte ihr ein warmherziges Lächeln, zumindest wirkte es auf Johanna wärmer als alles was sie bisher von ihm gesehen hatte. Er verneigte sich sogar leicht und drückte kurz seine Lippen auf den Handrücken der Prinzessin.
„Ähm... danke, endlich mal jemand der Manieren hat. Moment! Das spielt jetzt keine Rolle! Ihr müsst aufpassen, Ulf...“
„Mylady? Könntet Ihr mir wohl einen Gefallen tun?“ fragte Lucifer sie, noch immer lächelnd.
Johanna musste sich ziemlich beherrschen um ihn nicht einfach anzuschreien, schluckte die bissige Erwiderung die ihr auf der Zunge lag jedoch runter.
„Ja? Was kann ich für Euch tun?“ fragte sie mit zerknirschter Stimme.
„Würdet Ihr bitte kurz Euren Pelzmantel ablegen?“
„Was? Warum?“
„Tut es einfach, bitte.“
Johanna musterte Lucifer misstrauisch, streifte sich dann jedoch den Mantel ab und ließ ihn zu Boden gleiten.
„Danke, tretet jetzt bitte einen Schritt zur Seite... nein, andere Seite... ja! Perfekt.“ meinte Lucifer lächelnd als Johanna nun direkt vor ihm stand, nur gut einen halben Schritt von ihm entfernt.
Jetzt wo sie so direkt vor ihm stand fiel ihr erst auf dass er nicht größer war als sie und zwar etwas muskulöser gebaut zu sein schien, ansonsten jedoch auch nicht wirklich breiter war als sie.
„Und jetzt?“
„Hey! Was wird das wenn es fertig ist? Kriege ich jetzt bald meine versprochene Pistole?“ fauchte Ulf die beiden an, der anscheinend langsam ungeduldig wurde.
„Aber natürlich, Verzeihung.“ meinte Lucifer und nahm die Pistole aus ihrem Holster, ehe er einen kleinen Schritt zur Seite trat um an Johannas Gesicht vorbei sehen zu können und seine linke Hand auf ihre Schulter legte. „Noch eine Sache Prinzessin, dreht Euch bitte kurz um.“
„Was? Ich soll mich umdrehen?“
„Ja, einfach in Richtung des netten Wikingers sehen.“
Erneut schluckte Johanna eine Bemerkung hinunter und tat wie ihr geheißen. Sie musste anscheinend einfach darauf vertrauen dass dieser Lucifer kein vollständiger Idiot war.
Moment... so wie ich stehe gucke ich doch gar nicht Ulf an ging es Johanna durch den Kopf als sie merkte dass der Anführer der Söldner kaum in ihrem Sichtfeld war, und sie stattdessen zu Knut und den anderen... Armbrustschützen... sah...
„Du verdammter Bastard!“ entfuhr es ihr, als ihr aufging was Lucifer vorhatte und wollte sich umdrehen, ließ es jedoch sein als Lucifer seinen Griff an ihrer Schulter festigte und seinen Kopf soweit vorbeugte dass er ihr ins Ohr flüstern konnte.
„Nicht bewegen.“ meinte er so leise wie möglich.
„Was wird denn jetzt schon wieder geflüstert! Gib mir endlich die Pis-...“ weiter kam Ulf nicht.
Lucifer bewegte sich schneller als dass irgendjemand darauf reagieren konnte, spannte den Hahn der Pistole und drückte ab, woraufhin der Rest von Ulfs Satz in einem lauten Knall unterging. Im nächsten Augenblick war ein rundes, blutiges Loch in die Stirn des Söldnerführers gestanzt worden, während Pulverdampf sich im Zelt ausbreitete und es in Johannas Ohren klingelte.
„Du... verdammter Drecksack!“ schrie Knut und richtete die Armbrust auf Lucifer, woraufhin Johanna zum ersten Mal seit ihrer Entführung panisch aufschrie, doch der Söldner zögerte mit dem Schuss.
Anscheinend klang ihm noch immer der letzte Befehl seines Söldnerführers in den Ohren und er wollte Johanna nicht verletzen, obwohl die Situation sich grundlegend geändert hatte.
Dann, ehe er es sich noch einmal überlegen konnte stieß Lucifer einen Pfiff aus während er mit Johanna ein paar Schritte nach hinten wich, woraufhin von draußen ein vielfältiges Surren ertönte. Kurz darauf bohrten sich dutzende Bolzen durch die Zeltwand und in das Fleisch der Söldner die tot oder verletzt und schreiend zu Boden gingen.
„So, das wars. Vielen Dank für die Unterstützung, Mylady.“ meinte Lucifer lächelnd und klopfte Johanna auf den Rücken.
Die Prinzessin reagierte nicht, sondern stand vollkommen schockiert und unbeweglich auf der Stelle. Sie konnte es noch nicht ganz fassen tatsächlich lebend aus dieser Situation entkommen zu sein.
Mittlerweile betraten mehrere Gestalten mit Schwertern bewaffnet das Zelt und machten mit den letzten Überlebenden kurzen Prozess.
„Zum Glück habe ich damit gerechnet dass er Probleme macht, hat einiges an Arbeit erspart seine Bande schon vorher auszulöschen.“ meinte Lucifer beiläufig und steckte seine Pistole wieder weg.
Im selben Augenblick in dem Johanna wieder zu sich kam und herumwirbelte um ihn anzufahren betrat eine weitere Gestalt das Zelt. Diese war in einen schwarzen, zugespitzten Brustpanzer und eine passende Beinrüstung gekleidet, sowie einen Vollhelm mit Visier und schwarzem Federbusch, den sie jedoch in genau diesem Augenblick abnahm.
Johanna war etwas überrascht zu sehen dass es sich bei dem vermeintlichen Ritter um eine junge Frau mit dunkler Haut und kurzen, schwarzen Haaren sowie einem strengen Gesichtsausdruck handelte. An ihrer Hüfte hing ein Langschwert und in ihrer rechten Hand hielt sie eine große, dunkle Lanze mit der sie gelangweilt die Decke des Zelts aufriss.
„Hattest du nicht gesagt du gibst ihm keine einzige Kugel?“ fragte die Frau grinsend an Lucifer gewandt, woraufhin dieser mit den Schultern zuckte.
„Ich habe auch gesagt dass die Pistole mir nichts wert ist. Egal, ich nehme an ihr habt schon alles außer dieses Zelt hier geplündert?“
„Aber natürlich.“
„Hey, Lu! Fang!“ rief auf einmal einer der Männer die sich hinter Johanna befanden und im nächsten Augenblick flog der Geldbeutel an ihrem Kopf vorbei, woraufhin sie zusammenzuckte.
Lucifer fing ihn auf, warf ihn jedoch beinahe sofort zur Prinzessin weiter, die ihn beinahe fallen ließ.
„Ähm... was soll das?“ fragte sie verwirrt und vergaß fürs erste ihre Wut.
„Entschädigung dafür dass ich Euch als Schild benutzt habe.“ meinte Lucifer und zuckte mit den Schultern. „Ich wünsche Euch viel Spaß damit.“ fügte er dann hinzu und stieß erneut einen Pfiff aus, woraufhin die Männer die sich im Zelt befanden umwandten und wieder nach draußen gingen. „Ihr könnt Euch außerdem nehmen was immer Euch hier drinnen gefällt, wir haben schon mehr als genug erbeutet. Ich verabschieden uns dann mal.“
„Moment! Was ist mit mir?“
„Hm? Oh, ich wollte Euch nicht wirklich kaufen, Ihr seid frei und könnt machen was Ihr wollt.“ murmelte Lucifer und klang leicht abwesend, während er sich tatsächlich abwandte und aus dem Zelt trat.
„W-wartet!“ rief Johanna und folgte ihm nach draußen, woraufhin sie schlagartig anhielt und es ihr die Sprache verschlug.
Der Schnee im gesamten Lager in dem sie sich befand war blutrot gefärbt und überall lagen Leichen. Auf dem Boden in der Nähe konnte Johanna sogar den abgetrennten Kopf des Mannes namens Jens erkennen, woraufhin sie schnell den Blick abwandte.
„Wolltet Ihr noch etwas fragen?“
„Ja! Ich habe keine Ahnung wo ich bin!“
„Ah. Ihr seid in Vallachia, ein paar Miláz... Kilometer von Kosavar entfernt.“ meinte Lucifer, stieg dann auf ein schwarzes Pferd welches ganz in der Nähe auf ihn wartete und von zwei Männern an den Zügeln gehalten wurde.
Kaum war er aufgesessen gab er seinem Pferd ein Signal und setzte sich in Bewegung, ohne die Prinzessin auch nur noch eines Blickes zu würdigen.
Anscheinend wollte er jetzt wirklich von hier verschwinden und ließ Johanna einsam und alleine im Schnee zurück.
„Nochmals Danke für Eure Hilfe, Mylady.“ sagte plötzlich die dunkelhäutige Frau und reichte Johanna ihren Umhang, ehe sie ihren Helm aufsetzte und sich auf ein braunes Pferd schwang.
Die Prinzessin war noch immer vollkommen verwirrt und hatte sich den Umhang umgeworfen, ehe ihr plötzlich aufging dass diese seltsame Truppe anscheinend vorhatte sie tatsächlich alleine zu lassen. Sie schätzte die Größe von Lucifers Gefolge auf knapp fünfzig Mann und wie es aussah war es eine bunt zusammengewürfelte Gruppe. Hin und wieder sah sie Leute in Panzerrüstungen, dann wieder Männer die lediglich Fellmäntel trugen, oder Frauen die sich Kettenhemden übergeworfen hatten.
Hm... vielleicht ist er einer dieser niederen Adligen von Slavia. Habe gehört dass sie nie ein einheitliches Gefolge... hey! Jetzt ist keine Zeit dafür! unterbrach sie ihren eigenen Gedankengang als sie merkte dass sie mittlerweile alleine zwischen den Leichen stand und der Schnee sich auf ihrem Kopf sammelte. Kurz überlegte sie, ob sie nicht doch lieber das Geld nehmen und versuchen sollte sich alleine durchzuschlagen, verwarf diesen Gedanken dann jedoch wieder. Selbst mit einem Schwert konnte sie in ihrem Kleid nicht kämpfen und sie hatte keine Ahnung wo sie hingehen sollte, selbst wenn die Gegend vollkommen sicher wäre.
Also setzte sie sich in Bewegung und rannte so schnell es ihr Kleid erlaubte durch den Schnee, in der Hoffnung dass Lucifer und sein Gefolge ihren Schritt verlangsamen würden sobald sie merkten dass sie vorhatte sie zu begleiten.