[HOI3 AAR] "Three Lions & no Lord Byron"

AARs zum Zeitpunkte der beiden Weltkriege

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Re: [HOI3 AAR] "Three Lions & no Lord Byron"

Beitragvon Löschzement » 12. Oktober 2012 21:13

William Byron kam am Nachmittag von der Therapiestunde benebelt zurück ins Zimmer geschlürft. Die tägliche Dosis plus darauffolgende Wirkung des emphatisch machenden Mittels wich einer medizinischen Toleranz, so daß sich der Traumapatient schlichtweg nur noch entkräftet fühlte. Dieses mal hatte Mister Byron sich den wiederkehrenden, monotonen Sitzungsverlauf des Spezialisten Doktor Bennet, der noch dazu keine Erfolge mehr brachte, entgegengestellt. Er sagte es ihm aus trockener Kehle frei heraus, er hätte keine Lust noch einmal drei Wochen hier bewußt zu verbringen. Da half es auch nichts, daß Doktor Bennet ihm täglichen Freigang, also Erlaubnis das Krankenhaus bis zehn Uhr Abends zu verlassen, anbot.

Der erfahrene Traumadoktor beteuerte immer wieder, wie wichtig es sei, die Isolation von der Außenwelt stückweise zu lockern, während William dabei nur in den Sinn kam, wie Ned's Pub sich doch erst ab elf Uhr Abends langsam füllte. Der Pub und die heimlichen Ausbrüche, nein, das war es sicher nicht. Und wie er da so im bequemen Sessel saß, die Blicke des Königs vom Ölgemälde herunter, wie jene Blicke Bennets, als dieser den nun schweigenden Patienten anstarrte, bemerkte der Doktor dann nach quälender Pause hinzufügend:
"Bis Ihre Identität nicht eindeutig geklärt wurde, sollten Sie in diesen Zeiten sowieso bei uns verbleiben."

Und es war Mister Byron so, als schwinge eine unterschwellige Drohung in dem Satze mit, eine die nur ausgesprochen ward, weil der Doktor einer der Menschen war, die von Geburt an mit einem feinem Gespür ausgestattet sind. Mister Byron war dieser ganzen Angelegenheit aber überdrüssig geworden. Der Gedanke in ihm setzte sich fest: diese Behandlung führt nicht zum gewünschten Effekt!

Jetzt stand er in Krankenhausschlappen im Zimmer und machte ein langes Gesicht. Er sah George, der gerade seine Sachen zusammenpackte und auch Micky hatte seine Klamotten für morgen, den Tag der Entlassung, rausgelegt und die Tasche ruhte gepackt am Boden neben dem Bett. Da sprach ihn auch schon der Ire an:
"Hee, was los? Was ziehst du so ein Gesicht?"
William nahm den Wasserkrug von seiner Kommode, schenkte sich ein Glas Wasser ein, trank und ließ sich halb auf das Schlafgemach in weis fallen.

"Ich scheine ein recht trauriges Leben zu haben. Mein Vater ist tot, ich bin in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und nicht mal verheiratet. Noch dazu weiß ich nicht was normal ist. Es herrscht Krieg und mit meiner nicht vorhandenen Erinnerung kann ich mich nicht an die Friedenszeit erinnern. Alles ist so unreal."
"Aber wer wird denn hier gleich heulen?" stellte Micky eher eine rethorische Frage.
"Ach was. Von heulen ist keine Rede. Ich habe nur keinen blassen Schimmer wie es jetzt weitergeht."
"Was sagt denn der Doktor?" fragte nun George.
"Er hat Andeutungen gemacht."

William wischte sich den durch das rätselhafte Mittel hervorgebrachten Schweiß von der Stirn und fuhr nach kurzer Pause fort:
"Er sagt ich darf jetzt am Tage aus dem Hospital und will mich solange hier behalten bis irgendwo Akten oder so auftauchen die meine Person als britischer Staatsbürger bestätigen."
Micky klatschte in die Hände.
"Das ist ja mal wieder typisch. Die angekohlte Ausweishälfte reicht denen wohl nicht. Das du ein Opfer des Krieges bist, reich denen wohl auch nicht, nein, jetzt sollst du hier auch noch das bettlägrige Humanexperimentcorpus spielen. Komm, wenn das jetzt so ist, daß wir offiziell einen kippen gehen können, dann lass uns das doch gleich mal machen. Zieh dich an und schau einmal gerade aus!"
Der letzte Satz wurde von O'Connor besonders laut und deutlich ausgesprochen und manchmal war es Mister Byron so, als würde der Ire sich über die Traumapatienten lustig machen.

Nach wenigen Minuten des Anziehens und vielen Minuten des Überredens von George an diesem letzten gemeinsamen Tag doch mal mitzukommen in den Pub, gingen die drei, durch den Vordereingang des Universitätskrankenhauses heraus.


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Wenig später saßen die drei Männer unterschiedlichen Alters in Ned's Pub, der zu dieser Stunde nur sehr wenige Gäste beherbergte. Nach kurzem Umsehen fiel George auf, wie wenig Soldaten des Heeres zugegen waren.
"Ach,..." lachte Micky O'Connor, "...das wird das Tageslicht sein. Wir waren noch nie unterm Tag hier, immer erst Abends. Stimmts Jungchen?" und gab dem neben ihm sitzenden Byron einen kräftigen Klaps auf die Schulter.
Dem gefiel das Wort Jungchen wahrlich nicht, war er, zumindest laut übriggebliebenem Ausweisfetzen bereits 30 Jahre alt.
"Irgendwie ist die Stimmung hier sehr bedrückend." gab William von sich.
Der Kellner kam und nahm die Bestellung auf.
"Nein, nein. Hier liegt etwas in der Luft. Ihr kennt sowas vielleicht nicht, aber ich fühle es. Die Soldaten sind weg." sprach George und zirbelte sich seinen vermuteterweise typisch, englischen Schnauzbart dabei ein wenig.

Und als das Thema der Leere des Pubs von allen am Tisch sitzenden genug erörtert wurde, machte es anderen Themen Platz. Tief ins private rutschten sie nicht ab, da wurden nur oberflächlich, gegenseitige Fragen gestellt. Vielleicht saß die Angst der kommenden Zeiten schon wie ein nebliger Brei über allen und alles. Und während Micky, George und William Runde um Runde in dem lichten, einstigen Vergnügungsort der späten Stunde zechten, war da tatsächlich ein reges Treiben, ein wühlmäuseartiges Schaben unter der behäbigen Oberfläche zu erahnen, es brauchte nur eines winzigen Anhebens des Rockzipfels der alten Dame Britannia und schon hätte sich alles erleichtert offenbart.
So spürten sie es nur, wissen konnten es Nichteingeweihte und Menschen die nicht unter Waffen dienten zu diesem Zeitpunkt noch kaum, doch sie würden die Konsequenzen der getroffenen Entscheidungen später rückwirkend beurteilen können, dann vielleicht erschrecken wie nahe sie dem Abgrund des bösartigen Strudels dieser Epoche standen.


Es war in jenen Tagen der schrecklichen Bombardements der deutschen Luftwaffe, als die eintreffenden Meldungen über die starken Verluste der Handelsmarine die Bevölkerung zusammenschrecken und die britischen Politiker zum Handeln bewegen ließ. In stiller Vorbereitung wurde dem Great Britain Command eine aufgestellte Continental-Front unterstellt, in der die Freifranzösische Armee mit ihren mittlerweile auf 135.000 Mann sowie die 1st Army 'British Victorious' mit 109.000 Mann eingegliedert und in nächtlichen Transporten in Richtung des walisischen Hafens Pembroke verlegt wurde.
Das High Command legte nach Freigabe des britischen Parlaments die Pläne für die Operation 'The Cid' vor, die Unterstützung Spaniens.



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Re: [HOI3 AAR] "Three Lions & no Lord Byron"

Beitragvon Löschzement » 12. Oktober 2012 21:45

George verabschiedete sich nach zwei Stunden, er war partout nicht in der Lage sich anzutrinken, obwohl er jede Runde mittrank. Zu sehr war er in Gedanken vertieft. Er teilte den andern beiden mit, daß er morgen nach Hause fahren würde, nach einem kleinem Dorf in Cornwall. Heimlich hatte er bereits aus dem Krankenhaus seine Meldung bei der Armee eingereicht und als alter Veteran war er dort mehr als willkommen. Er erzählte beinahe beiläufig, daß er in die Garnisionsdivision in Gibraltar kommen würde. Dann ging er.

Als er weg war, sprach Micky mit beträchtlicher Fahne zu William:
"Also mich wollen sie auch einziehen. Ich soll in eine Feldersatzkompanie für die 9th Scottish Highlanders, eine Gebirgsdivision die gerade im Begriff ist sich kriegsbereit zu machen. Weiß der Himmel wo die dann eingesetzt wird."
"Bereust du es aus Irland weggegangen zu sein?"
"Ha!" rief Micky laut aus. "In Irland wäre ich jetzt vielleicht schon tot. Aber jetzt für die Engländer den Büttel zu machen...ich bin doch nicht verrückt, ich hab die feinen Herren unter ihren Tellerhelmen damals bekämpft. Da mache ich jetzt sicher nicht auf ihrer Seite mit."
"Vielleicht gibt es schlimmeres als gegen den Faschismus zu kämpfen." antwortete William Byron an seinem Stout nippend.
"Ja klar, heute der Faschismus und morgen der Bolschewismus. Übermorgen wieder die Iren oder wo sonst dann vielleicht ein Unabhängigkeitskrieg ausbricht, wie wärs mit Indien? Nein, ich habe meine Entscheidung getroffen."
"War es das was du mir vorhin auf dem Zimmer sagen wolltest?"
"Ja William, ich hau ab. Irgendwohin nach Übersee. Ich schleich mich morgen früh noch vor Sonnenausgang raus und schlag mich in irgendeine Hafenstadt durch. Kannst ja mitkommen."
"Ich soll mitkommen?"
"Warum nicht? Die ziehen dich früher oder später auch ein und dann wirst du am Ende so ein seelisches Wrack wie George falls du es überlebst. Oder der Doktor richtet dich mit seiner Therapie zu Grunde beziehungsweise sein Mittel. Weißt du eigentlich was du da nimmst? Was ist wenn sie deine Identität herausfinden und es stellt sich raus, das du einen Postzug überfallen hast?"

Mister Byron überlegte, nippte nochmals an dem mittlerweile fahl gewordenen Stout:
"Ich dachte auch schon daran auf eigene Faust loszuziehen. Das hier im Krankenhaus bring ja nichts. Ich würde dann nach Liverpool gehen, da sind meine Wurzeln glaube ich. Aber ob der Doktor mich freiwillig entläßt, ich glaube kaum."
"So schaust du aus. Das steht doch in deinem Ausweis. Da werden sie dich zuerst suchen. Fang doch in Plymouth an, wo du in der Hafenbehörde abgegeben wurdest. Plymouth wird ab und zu bombardiert. Durch das ganze Kriegswirrwar kommen wir besser ungesehen durch als weiter oben im Norden. Glaubs mir, ich bin in Irland eine Zeit lang ein Stadtkämpfer gewesen."
"Ich weiß nicht, vielleicht ist das keine gute Idee."
O'Connor zog die Augenbrauen hoch, murmelte was auf gälisch und sprach dann weiter:
"Wie du willst. Dann bleib hier. Aber an deiner Stelle würde ich es mir noch überlegen. Heute Nacht haue ich ab und runter von der Insel."

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Re: [HOI3 AAR] "Three Lions & no Lord Byron"

Beitragvon Löschzement » 30. Oktober 2012 18:17

Später wieder im Krankenhaus angelangt, legten sie sich angetrunken schlafen. Noch auf dem Rückweg redete Micky auf William ein, nicht lange, doch versuchte er ihn trotzdem dazu bewegen sein Schicksal selber in die Hand zu nehmen. Ganz ohne Doktoren und Militärs die einen doch nur verheizen würden.
Als mitten in der Nachtruhe, eine geschlagene Stunde vor Sonnenaufgang O'Connor sich leise aus dem Bett hievte und sich anzog, wurde auch Mister Byron der diesbezüglich eh kaum Schlaf fand, gänzlich wach.
William hatte es sich überlegt. Er wollte mitkommen. Länger im Krankenhaus hielt er es nicht mehr aus. Zu dringend und quälend waren fragenden Gedanken, die er hatte und ja doch nicht gelöst wurden. Als William sich wortlos anzog und sein weniges Hab und Gut aus dem Gemeinschaftsschrank herausnahm, nickte Micky ihm bestätigend zu. Beide gingen auf versucht leisen Sohlen zum Fenster und machten sich in gewohnter Manier aus eben diesem.

Schwester Beth, die auf dem Weg zu ihrer Frühschicht war, erwischte die Ausreißer, als sie gerade aus dem Fenster auf dem Bürgersteig kletterten. Sie stand völlig verdutzt vor ihnen, sprachlos und hübsch, duftend nach Zitronenwasser und einer Morgenzigarette.
"Oh, guten Morgen Schwester. Ist das nicht eine herrliche Nacht? Wolkenlos der Himmel, glitzernd die Sterne. Sie sehen wie immer bezaubernd aus!" flüsterte Micky O'Connor, dabei William aus dem Fenster helfend.
Als Mister Byron auch auf dem Gehweg stand, war er sich in einem kurzem Anflug der Zweifel nicht ganz sicher was sein türmendes Vorhaben anging.
Micky stand daneben als William und Schwester Beth sich verlegen anschauten. Sie hatte bisher immer noch nichts gesagt.
"Nun sag schon was, nur nicht so schüchtern. Die Kleine steht auf dich!" sprach der Ire, gab William abermals einen Klaps auf die Schulter.
William Byron wäre in diesem Augenblick gerne im Erdboden versunken. Er schaute kurz auf den Boden, doch endlich rang er sich nach einem luftholenden, langem Atemzug zu ein paar Worten durch:
"Danke das sie mich gepflegt und gewaschen haben. Darf ich Ihnen schreiben?"

Verlegen nickte Beth, ramschte daraufhin in ihrer Tasche und schrieb auf einem vergilbten Zettel ihre Adresse auf. Sie lächelte als sie ihm die Adresse hinhielt und William nahm dankend an, wollte sich aber sogleich Micky zuwenden um endlich diese Situation zu beenden.
Doch der Ire, ein, wie man an seiner Art unschwer erkennen konnte, Lebenskünstler und erfahrener Mensch in beinahe allen Lagen, schubste ihn sanft zurück:
"Frauen läßt man nicht einfach so stehen. Du bist ihr jetzt was schuldig."
Als William sich umdrehte, sah er Beth tief in ihre dunklen Augen und blickte ihr auf ihre zarten Lippen. Sie wich seinem Blick nicht aus und erst jetzt bemerkte William wie nervös sie war, beinahe zitternd in seiner Gegenwart. Er machte einen Schritt auf sie zu und faßte sie mit seinen Seemannshänden an Taille und umgriff fast zur Gänze ihren Hals, zog sie an sich ran und küsste sie als hätte er nie etwas anderes getan.
Sie presste ihren Körper bereitwillig an den seinen und als er ihre Brüste spürte regte sich auch in William zunehmenst die Lust auf dieses ruhige, weibliche Wesen.

"Nun ist aber gut, komm schon!" flüsterte Micky etwas lauter als er ihn von hinten wegzog.
William drehte sich noch um, schaute ihr nach und schmeckte seine Lippen als bräuchte er noch einen Beweis diese schöne Frau fordernd geküsst zu haben.


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Re: [HOI3 AAR] "Three Lions & no Lord Byron"

Beitragvon Löschzement » 30. Oktober 2012 21:23

Kapitel 6 - Plymouth


William Byron und Micky O'Connor sprachen in den frühen Morgenstunden ihrer Flucht aus den Fängen der Obrigkeit kaum. Sie nahmen ein Taxi das sie aus der Stadt bringen sollte und machten sich dann zu Fuß von den Westbezirken Londons auf in Richtung Plymouth. Das Liverpool, Mister Byrons Heimatstadt, laut Ausweisfetzen, nicht zu den bevorzugten Zielen des Amnesisten zählen würde, war schon geklärt worden.
Wo Micky genau hinwollte war ihm wohl selbst noch nicht ganz klar. Er hatte zwar von Übersee gesprochen, beließ es aber dabei und William, der einen gewissen Adrenalinpegel verspürte, fragte nicht näher nach. Er erhoffte sich einen Anknüpfpunkt in der Hafenbehörde von Plymouth und wollte ihm das nicht gelingen, so würde er beizeiten sehen wie weiter vorgegangen werden sollte.

So geschah es, daß der ehemalige Untergrundkämpfer aus Irland und der identitätslose Seefahrer aus Liverpool sich heimlich in Richtung Cornwall aufmachten. Sie mieden außerhalb von London Straßen und größere Wege, gingen zu Fuß an Bahnschienen und kleinen Bächen entlang. Schauten bei größeren Ortschaften schon aus der Ferne ob dort in der Gegend etwas sein konnte was sie aufhalten würde, sprich Polizei oder ähnliches. Micky beteuerte zwar, daß er nicht glaube, daß das Krankenhaus eine großangelegte Fahndung an Scotland Yard weiterleitete, doch sagte er im selben Atemzug wie man den Engländern nicht trauen könne und sie im besten Falle als Deserteure und Landstreicher festgenommen würden, wenn sie nicht mit äußerster Vorsicht ihr Handeln beseelten.

Einige Tage später, eines frühen Morgens, sie kamen südlich Bristol an einem kleinen Vorortbahnhof die Schienen entlang gehend an, warteten dort bereits viele Soldaten der 2nd Arme 'Commonwealth Pride' wie sie sogleich von den Gesprächen der Männer erfuhren.
Die 2nd Army war ein gemischter Verband mit hauptsächlich kanadischen Expeditionstruppen und Verbänden der britischen, königlichen Armee.
Da waren junge Männer zu sehen, kaum älter als Mister Byron selbst, die meisten sogar noch jünger, die teils in überspielter Furcht und verdrängender Lustigkeit die Zeit bis zum nächsten Zug totzuschlagen versuchten.


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Mister Byron konnte nicht anders und fragte einen der jungen Burschen wohin sie denn fahren würden.
Der musterte den aufgrund tagelanger Reise ohne fließend Wasser ausgekommenen und daher leicht müffeligen Byron erst eingehend, doch William Byron hatte eine typisch englische Gesichtspartie was den jungen Soldaten dann schlußendlichst zum Reden animierte:
"Wir fahren nach Wales, zusammen mit den Kanadiern. Jetzt wo Teile der 1st Army bei Gibraltar schon gelandet sind, kann ich es ja sagen. Wohin gehts für dich?"
"Verwandte besuchen in Plymouth!" log William ungeniert.
Der junge Soldat machte ein ungläubiges Gesicht und fast schien es so, als würde er gleich lauthals schreien hier sei ein Spion, doch dann lächelte er und bot dem weitgewanderten William eine Zigarette an.
William nahm diese dankend an und als der junge Soldat bemerkte, das er mit Micky reiste, bot er auch ihm eine Zigarette an.

Am Bahnsteig eines kleines walisischen Dorfes in dem Teile der 2nd Army einquartiert waren, ergab es sich, daß fremde Menschen unter der brennenden Augustsonne beinahe wortlos zusammen eine Zigarette rauchten, während eine Militärkapelle im Hintergrund den ersten Abtransport per Zug musikalisch begleitete.
Zum ersten mal seit seines Aufwachens spürte der ehemalige Traumapatient beim Anblick dieser Männer eine Art von Verbundenheit und Heimatgefühl.


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Re: [HOI3 AAR] "Three Lions & no Lord Byron"

Beitragvon Löschzement » 30. Oktober 2012 22:36

Irgendwann gingen die zwei Ausreißer weiter die Bahnschienen entlang und viele Züge voll mit Truppen kamen ihnen in Richtung Norden entgegen. Am frühen Abend und einige Tage nach ihrer Flucht aus dem St. Bartholomew's Hospital in London, kamen sie auf eine Anhöhe vor Plymouth an, welche die Stadt überblickbar machte. Dort hielten die erschöpften sowie hungrigen Gestalten kurz inne.
"Sag mal Micky, wohin willst du eigentlich?"
O'Connor setzte sich ins hohe Gras, während wenige Grashüpfer ihr Sommerorchester aufführten.
"Ich gehe mit dir runter zum Hafen, dort wo die vielen Schiffe angetaut liegen, schau wie ich dir noch ein wenig helfen kann etwas herauszufinden und besteige dann das nächstbeste Frachtschiff in Richtung irgendeiner Kolonie. Singapur vielleicht oder Kenia. Ich hätte aber auch nichts gegen Südafrika oder Australien. Das sind beide weite Länder in denen man aufs Land ziehen kann und niemand wird einen finden, wenn man selber in der halben Wildnis lebt und Gemüse hinter dem selbstgebauten Häuschen anbaut."

Dann schwieg Micky und auch William sagte ein paar Minuten nichts. Die Aussicht auf den Hafen von Plymouth war mit der untergehenden Abendsonne zu ihrer Rechten ein hoffnungsvoller für beide. Es lagen viele Frachtschiffe im Hafen die von wenigen, leichten Eskortschiffen bewacht wurden. Plötzlich wurde unten in der Stadt Fliegeralarm durch die dröhnenden, anzukurbelnden Sirenen ausgelöst und der schrille Lärm suchte sich weit seine Bahnen. In der Entfernung, noch auf offenem Meer bewegten sich kleine Punkte über dem Horizont und es dauerte nicht lange, als schon die Boforsflakgeschütze


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aus vielen Stadtteilen in den Himmel schossen. Aus der Ferne wehten die Geräusche von explodierendem Metall, knatternden Geschossen und Sturzkampffliegern gemischt mit Bombenexplosionen auf den Hügel hinauf. Untätig und ohnmächtig sahen die beiden von oben herab auf das Treiben, den Kampf dort über dem Hafen zu und wußten, daß dort gerade Menschen verzweifelt auf beiden Seiten um ihr Leben kämpften.
"Was machst du wenn du weißt wer du bist?" fragte Micky inmitten dieses blutigen Schauspiels.
William zündete sich die letzte Zigarette an die ihm der junge Soldat auf dem Bahnhof mitgegeben hat. Unten im Hafen explodierte gerade ein Frachter. Zuerst war der Feuerball und die davonrasende Druckwelle zu sehen und einige Sekunden später krachte es ganz ungeheuerlich in der Luft.
"Wirst du dich deiner Vergangenheit fügen oder selbstbestimmt im jetzt und in der Zukunft leben?" fragte Micky weiter, ohne dabei seinen Blick von der Kampfszenerie in der Ferne abzuwenden.

"Ich weiß es nicht. Noch nicht. Ich blicke hier aufs Meer, sehe die Weite, all die Möglichkeiten die vor mir liegen und erkenne ein Teil von mir, während da unten der Irrsinn regiert."
Sie saßen noch etliche Augenblicke auf dem Hügel, sahen einer abstürzenden Maschine hinterher und machten sich am Ende des Gefechts über der Stadt nach unten auf.
Beide wußten um diesen sonderbaren Moment, beide wußten um die Unvergänglichkeit und der ewigen Erinnerung dieses Tages, ob sie nun 100 Jahre noch oder nur 1 Tag zu leben hatten.
Bald kamen sie zum Hafen von Plymouth, die Feuerwehr versuchte auf dem Wasser und auf dem Land Brände zu löschen. Sirenen von Automobilen waren zu hören und die beiden Ausreißer sprachen nicht.


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Unten am Hafen wurden die zwei naturgemäß nicht beachtet. Zu sehr waren die Menschen mit den Folgen des Luftangriffes beschäftigt, noch brannten Lagerhallen, nur der getroffene Frachter war halb untergegangen und Feuerflammen züngelten auf den Aufbauten, Öl verbrannte mit pechschwarzen Rauchschwaden.
Beinahe wurden William und Micky von einem Krankenwagen umgefahren als sie zu dem ausgewiesenen Gebäude der Hafenbehörde gingen.
Zuletzt geändert von Löschzement am 1. November 2012 08:53, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: [HOI3 AAR] "Three Lions & no Lord Byron"

Beitragvon Löschzement » 31. Oktober 2012 13:04

In der Hafenbehörde war die Hölle los. Sekretärinnen rannten mit Zetteln durch die Gänge, der Portier sprach gerade am Telephon und notierte sich dazu etwas. Sanitäter brachten Leichtverletzte die Treppen hoch, auf dem Boden waren einige Blutlachen zu sehen und eine Putzfrau füllte in der Toilette am Eingangsbereich Eimer mit warmen Wasser und stopfte sich Waschlappen in ihren blauen Arbeitskittel.
Micky ging entschlossen und am beschäftigten Portier vorbei die Treppen nach oben. William roch unverwechselbaren Brand- und Ölgeruch in der Vorhalle der von draußen reinzog und schritt dem Iren dann hinterher.

Oben in der ersten Etage gab es auf dem Flur einige Sitzgelegenheiten die von Menschen mit Verletzungen genutzt wurden. Sie warteten auf die Sanitäter die in einigen Räumen deren Türen offen waren bereits ihrer Arbeit nachgingen. Micky sah eine ältere Frau sitzen die einen etwa handlangen Holzsplitter mit Daumenumfang in ihrer Schulter stecken hatte und kniete sich vor sie hin.
"Darf ich mir das ansehen, ich kenne mich mit Verletzung etwas aus?"
Mit schmerzverzogenem Gesicht nickte die Frau. William fragte den pitschnassen Seemann der sich seinen Arm hielt was passiert sei.
"Unser Schiff ist explodiert und die Druckwelle hat mich von Achtern aus etwa 15 Meter auf das Kai geschleudert, ich prallte ab und fiel ins Hafenbecken." antwortete dieser.

Als die Putzfrau mit den Eimern warmen Wassers nach oben kam um sie den Sanitätern zu bringen, bat William sie um ein paar Handtücher, Tischdecken oder ähnliches. Er selbst zog seine Jacke aus und legte sie erstmal um den nassen Matrosen, zog ihm die Schuhe aus und seine an. Unterdessen fixierte Micky den Arm der älteren Frau, schnitt mit seinem Taschenmesser die Klamotten um die Wunde weg und holte einen Flachmann hervor den er der Lady anbot und anschließend hochprozentigen Alkohol bedacht auf die Wunde träufelte. Da kamen auch schon die Sanitäter und holten die beiden zu sich rein, während das Ausreißerduo sich den nächsten Verletzten zuwandte.

Später kam noch ein Krankenwagen und nahm einige der unglücklich, notversorgten Menschen mit. Eine gefühlte Ewigkeit, es mochte aber nur eine knappe Stunde vergangen sein, beruhigte sich die Szenerie im Gebäude der Hafenbehörde wenigstens, doch außerhalb waren Rettungskräfte, Freiwillige und Feuerwehr noch lange am Löschen und Helfen.
"Wer sind diese Männer?" sprach ein Mann in Weste und Anzug der in den Raum der Sanitäter trat.
"Wissen wir nicht, sie haben uns aber gut geholfen die Verwundeten zu versorgen." antworteten sie als sie im Begriff waren ihr Zeug zusammenzupacken.
Der Anzugträger kam auf die beiden leicht verdreckten Wanderer zu:
"Gestatten, mein Name ist Theodor Smith, ich betreibe hier für die Peninsular and Oriental Steam Navigation Company ein Import-, Exportbüro. Das war sehr hilfsbereit von Ihnen daher möchte ich mich bei Ihnen bedanken. Zur Zeit des Angriffs war ich im Rathaus und als ich ankam gab es Erste Hilfe technisch nicht mehr viel für mich zu tun. Für mich fängt die Arbeit erst noch an. Schadensberichte, Wareninventur, technische Dienste anfordern....aber was erzähle ich da, kommen Sie doch bitte auf eine Stärkung in mein Büro."

Micky und William folgten Mister Smith, der sogleich den auf Socken gehenden Mister Byron fragte wo er seine Schuhe hinhätte.
William erklärte es ihm und sofort bot Mister Smith ihm seine Arbeitsschuhe an:
"In diesen schweren Zeiten müssen wir alle zusammenrücken."
Im Büro, welches dem Stand des Mannes der P&O Reederei nur noch unterstrich, saßen sie kurz darauf auf Sesseln um einen Tisch herum, der Doktor Bennets nicht ganz unähnlich war, so kam es William in den Sinn.
"Erzählen Sie von sich, brauchen Sie Arbeit? Sie können sich vorstellen das wir bei der jetzigen Situation auf See und hier in den Häfen immer Männer brauchen können. Die Arbeit wird auch ganz gut bezahlt, der Kriegsverlierer zahlt später und das werden ja wohl nicht wir sein!"
Die beiden Wanderer stellten sich nocheinmal genauer vor, vermieden aber zu erzählen aus dem Krankenhaus abgehauen zu sein.
"Mein Freund William hier, hat also sein Gedächtnis verloren. Alles deutet aber daraufhin, daß er Seemann war. Wir sind unter anderem deshalb hier, weil das Marinearchiv in London zerstört wurde und William hier in Plymouth vor knapp zwei Monaten abgegeben wurde. Vielleicht haben Sie noch Notizen, Daten oder etwas hilfreiches über jenen Tag zur Hand?"

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Re: [HOI3 AAR] "Three Lions & no Lord Byron"

Beitragvon Löschzement » 31. Oktober 2012 13:50

Mister Smith zeigte sich verständnisvoll und holte eine Flasche schottischen Whiskey aus dem Schrank, stellte die Flasche neben dem bereits angebotenen Gebäck. Er griff zum Hörer und wählte die Null:
"Smith hier am Apparat, könnten Sie bitte kurz in mein Büro kommen? ....Danke."
Dann holte er ein paar Ordner aus einem Regal und ging sie gewissenhaft durch.
William wurde zunehmend aufgeregter, ein Lichtblick seiner undurchsichtigen Vergangenheit tat sich auf. Micky dagegen blieb ganz ruhig und nahm die Zeitung vom Tisch:


Truppenverlegung nach Südspanien!
Seit Tagen sind die Verbände der Kontinentalarmee bereits im Marsch in die Verlegungshäfen in Wales. Teile der Armee konnten bereits in Sevilla und Gibraltar anlanden und verlegen in die Bereitstellungsräume, hauptsächlich der Gebirgszug Betische Kordillere von Gibraltar bis Valencia. Es ist ein Wettrennen gegen die Deutschen. Möge Gott den Spaniern soviel Widerstandskraft geben, daß unsere tapfere Armee samt ihrer Alliierten Streitkräfte genug Zeit besitzen um die einzunehmenden Stellungen fest auszubauen.



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Die Invasion in Südspanien wird von unserer Flotte genügend gedeckt, doch Vorsicht ist angesagt, unsere Aufklärung vermeldet starke und moderne Großkampfschiffe der Kriegsmarine in den französischen Atlantikhäfen.


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Der ältere, hagere Portier der Hafenbehörde von kleinem Wuchs, kam in seiner blauen Uniform in das Büro der Reederei.
"Bitte sehr, Mister Smith."
"Hatten Sie mir nicht vor ein paar Wochen von diesem Vorfall erzählt? Die Schiffbrüchigen der HMS Paradoxian die über Umwege nach England kamen?"
Der Portier mußte so um die 70 Jahre alt sein, Haare wuchsen ihm aus den Ohren und der Nase, die blaue Uniform hielt schlabbrig an seinem Leibe, tiefe Furchen in Gesicht und große Hände erzählten ohne Worte von einem früheren, harten Seemannsleben. Er überlegte noch, dann, nach einigen Momenten in denen Mister Byrons Herz anfing immer schneller zu schlagen, erzählte er:
"Ja, gewiß. Ich erinnere mich. Ich habe alles ordnungsgemäß in die Portiersklatte eingetragen. Ich kann sie holen gehen."
William hielt es nicht mehr aus, drehte sich aus dem Sessel heraus zu dem Mann um und fragte:
"Hatten Sie an jenem Tag hier Dienst?"
Der Mann bejahte, schaute dann etwas genauer auf Mister Byron und sprach weiter:
"Sie sind das, Sie waren im Koma. Ihre Mannschaft und Ihr Bruder haben sich rührend um Sie gekümmert. Von dem Internierungslager in Portugal bis zu dem Rotkreuzschiff, welches sie da rausholte."
"Ich war in Portugal?"
"Zumindest haben das ihre Kameraden erzählt und das Rotkreuzschiff habe ich selbst gesehen."
"Nun gehen sie schon die Unterlagen holen. Wir wollen dem hilfsbereiten Mann ebenso helfen." warf Mister Smith ein und fuhr fort:
"Die HMS Paradoxian war eines unserer Handelsschiffe. Wenn das so ist, kann ich Ihnen sicherlich bessere Auskunft geben als ein abgebrandtes Marinearchiv in London."

"Wie kann es sein, daß das Krankenhaus in London darüber nicht informiert wurde? Und wo sind die anderen Schiffbrüchigen die erwähnt wurden?" wollte diesmal Micky wissen, der die Szene irisch, misstrauisch mitverfolgte.
"Das kann ich Ihnen gerade nicht sagen. In den Wirren des Krieges geht vieles unkonventionall um dem entstandenen Chaos in allen Bereichen entgegenzuwirken. Dabei könnte es sein, daß Unterlagen abhanden gekommen oder kriegsbedingt vernichtet worden sind. Ich werde da auf jeden Fall nachforschen, versprochen."
"HMS Paradoxian, klingelt da was bei Dir?" fragte Micky den aufgeregten William.
Dieser wußte im Moment gerade selber nicht viel, doch der Name des Schiffes kam ihm vertraut vor. Aber das sein Bruder auch an Bord gewesen sein soll, passte laut seines Instinktes irgendwie nicht so ganz dazu.

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Re: [HOI3 AAR] "Three Lions & no Lord Byron"

Beitragvon Löschzement » 31. Oktober 2012 14:44

Kurz darauf bekam William Byron die Portiersklatte mit aufgeschlagenem Datum des besagten Tages selber zu Gesicht:

29. Juni 1940, 23:57 Uhr

-> Rotkreuzschiff "Genfer Glück" in Plymouth angelegt
-> Von Bord gingen auf Initiative der Hilfsorganisation die heimgeholten britischen Staatsbürger:
(2 Seiten lange Liste mit Namen der von Bord gegangenen, darunter
des vor der portugiesischen Küste durch ein deutsches U-Boot torpedierten Frachters der P&O Reederei
HMS Paradoxian:
...
- William Byron, 1. Offizier, britischer Staatsbürger
- Stanley Byron, britischer Staatsbürger
...
30. Juni 1940, Passagierliste "HMS Margrete"
...
- Stanley Byron, britischer Staatsbürger, Ticket nach Singapur
...
)



Mister Smith hatte zwischenzeitlich den Ordner des Schiffes herausgeholt, dessen Heimathafen Liverpool war. Er erklärte, daß das Schiff über Gibraltar, Malta, Suez, Aden, Colombo, Singapur und Shanghai bis Darwin in Australien lief um von dort aus über Hawai und den Panamakanal zurück über die Azoren nach Liverpool gelangte. Dies war die gängige Route des Handelsschiffes, nur Shanghai sei aufgrund der Situation in Ostasien aus der Linie genommen worden.
Das Schiff sei zuletzt aus Liverpool am 03. Juni ausgelaufen und wurde eine Woche später torpediert und versenkt. Die Mannschaft wurde von der portugiesischen Küstenmarine in ihren Rettungsbooten aufgegriffen und in Portugal interniert.
Auf Drängen des internationalen Roten Kreuzes und der Schweizer Botschaft in via London in Lissabon, sei die Mannschaft am 21. Juni durch eine von P&O gezahlte Geldsumme an Portugal freigekommen.
In der Tat fand Mister Smith auch nach Wühlen in anderen Ordnern eine Karteikarte des Seemanns Byron, mit Angaben über die nautische Ausbildung von William und den Engagements seit seiner Anfangszeit bei der Handelsmarine.
"Wohnhaft in Liverpool, heißt es hier. Und Sie sind noch bei uns angestellt, Mister Byron." freute sich Mister Smith, wußte er doch um die Tonnageversenkungen der deutschen Seewölfe.
Den Reedereien gingen langsam die gut ausgebildeten Seemänner aus.

Plötzlich bekam Mister Byron stechende Kopfschmerzen, ihm wurde schwindelig und grau vor den Augen. Wie mit Hammer und Meißel brach sich eine Erinnerung durch seine Gehirnwindungen Bahn. Er stand des nächtens auf der Brücke der HMS Paradoxian, witzelte mit dem Navigator rum, als das ganze Schiff von einer Explosion mittschiffs angehoben, leicht in die Luft gedrückt wurde und dann mit brechendem Geräusch auf das Wasser zurückfiel. Scheiben zersprangen, eine Feuerwand tastete sich in beide Richtungen des Wasserfahrzeugs vor. Schreie und die Alarmglocke vermischten sich mit seinem pochendem Herz.
"Ist alles in Ordnung, Mister Byron?"
Micky sah zu seinem Freund rüber, stand auf und packte ihm am Arm:
"Wir müssen kurz an die frische Luft, ihm geht es nicht gut, zu viel Aufregung."

O'Connor zerrte ihn rauß vor das Gebäude der Hafenbehörde. Die Feuerwehr war immer noch mit Löscharbeiten beschäftigt, eine schwarze Rauchsäule wand sich kilometerhoch in den Himmel und verdunkelte die Sonne. Es war nicht so, daß Mister Byron ein weiteres Mal ohnmächtig geworden wäre, doch dieser Erinnerungsschub plus die neuen Erkenntnisse hinterließen deutlich körperliche Spuren und verschlechterten sein Gemüt schlagartig.
"Dein Bruder war auch auf dem Schiff?"
"Anscheinend."
"Welcher Bruder, du hast erzählt du hättest zwei."
William rieb sich die Augen und setzte sich auf die Vortreppe des Gebäudes.
"Kann ich dir nicht sagen. Ich hätte dir auch nicht vorher sagen können, wie er heißt. Jetzt weiß ich es durch die Akten. Stanley."
"Dann sollten wir wenns dir besser geht wieder reingehen und versuchen alles über ihn rauszukriegen was die Unterlagen hergeben. Aber vorher wäre es angebracht, wenn du dir darüber klar wirst, was du machen willst. Der Typ da drin hat sich schon die Finger geschleckt nach dir. Du weißt selber aus der Zeitung wie hoch die Verluste unserer Handelsmarine zur Zeit sind. Der will dich auf ein Schiff verfrachten, weil du da noch angestellt bist, aber ich bezweifle das du schon soweit bist. Wenn du kündigst, kriegst du vom Kriegsministerium bald einen Einberufungsbefehl wie ich zu den 9th Highlanders.
Ich schleiche mich heute Nacht auf eines der übrigen Schiffe hier und weg bin ich."

"Auf welches denn?" fragte William nach.
Micky O'Connor sah zum Hafen rüber, dann deutete er auf eines mit einer amerikanischen Flagge hinten:
"Das da! Kommst du mit mir?"
"Warte einen Moment, gib mal einen Schluck deines Flachmanns."
Gesagt, getan und William leerte den Flachmann mit einem kräftigen Schluck ganz aus.
"Ich bin mir noch nicht sicher, vielleicht sollte ich auch anheuern und versuchen meinen Bruder auszumachen. Er hat einen Tag nach unserer Ankunft ein Ticket dorthin gekauft. Warum ist er nicht bei mir geblieben?"
"Kann sein, daß er ein Arschloch ist. Sorry."
"Nein, das glaube ich nicht. Vielleicht braucht er Hilfe oder sowas. Ach, lass uns wieder reingehen zu Mister Smith. Bis heute Nacht kann ich es mir ja noch überlegen." sprach William Byron und stand wieder auf.