[CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

AAR u.a. zu Spielen der Total War Reihe

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[CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 29. April 2016 07:46

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Die Spiele von Paradox sind geschichtlich erstaunlich akkurat. In dieser Story gehe ich auf die Historie der Epochen in CK2 und EU4 ein und steige bei verschiedenen Startpunkten der dargestellten Epochen ein. Interessante Startdaten und -charaktere gibt es genügend. Der Fokus liegt dieses Mal klar auf der Wiedergabe der Ereignisse jener Zeit, nicht auf dem bloßen Vorspielen einer Partie. Wer sich für Geschichte interessiert, sollte hier auf seine Kosten kommen.

Den roten Faden der Partie wird wohl die deutsche Geschichte mit seinen Königen und Kaisern bilden, aber es werden immer wieder auch andere Regionen im Mittelpunkt einzelner Kapitel stehen. Das Erzählen geht möglichst in chronologischer Folge voran, zunächst also Crusader Kings 2, das fünf Epochen mit 700 Jahren umfasst. Der erste Startpunkt beginnt mit dem Jahr 769, und das ist die Zeit von Karl dem Großen. Klar also, dass es mit ihm losgeht.


1. Frühmittelalter (ab 769)

Karl der Große (ab 769)
1. Wie man einen König macht
2. Bruderzwist
3. De bello saxonici
4. Eine Schlappe wird zum Heldenlied
5. Die Krönung zum Kaiser
6. Die Nachfolgeregelung
Das byzantinische Kaiserreich (ab 769)
1. Konstantin V. (769-780)
2. Leo IV. (780-797)
3. Romylia (797-801)
4. Konstantin VI. (801-810)

2. Das Zeitalter der Wikinger (ab 867)

Alfred der Große (ab 867)
1. Ethelred (867-884)
2. Alfred (884-918)
Die ersten deutschen Könige (ab 867)
1. Prolog: Was geschah von 814 bis 867?
2. Ludwig der Deutsche (840-873)
3. Karlmann von Baiern (873-886)
4. Arnulf von Kärnten (886-898)
5. Ludwig III. (898-937)
6. Heinrich I. (937-968)
7. Hundert Jahre: Von Otto II. zu Heinrich IV.

3. Das Hochmittelalter (ab 1066)

Wilhelm der Eroberer (ab 1066)
1. Vorgeschichte
2. Der Herzog in seinem Herzogtum – Williams Herkunft
3. Die Normandie und England
4. Der König und sein Königreich – Wilhelmus Rex
5. Williams letzte Jahre – die liebe Familie
Heinrich IV. (ab 1066)
1. Wehe dem Lande, dessen König ein Kind ist!
2. De bello saxonico
3. Der unheimliche Mönch
4. Der Gegenkönig
5. Reges geminati, papae geminati
6. Deus lo vult!
7. Heinrichs letztes Gefecht
Der Erste Kreuzzug (ab 1095)
1. Prolog – über das Leben Philipps I. von Frankreich
2. Der byzantinische Hilferuf
3. Der Zug durch das byzantinische Reich
4. Im Heiligen Land
Duell: Heinrich der Löwe und Barbarossa (ab 1147)
1. Vorgeschichte der Welfen und Staufer
2. Die Zeit unter dem Salier Heinrich V. (1104-1125)
3. Die Staufer werden um die Krone gebracht - Lothar III. (1125-1137)
4. Der erste Staufer auf dem Thron - Konrad III. (1137-1152)
5. Duell: Friedrich I. Barbarossa (1152-1190)
    1. Heinrich der Löwe verzichtet auf die Königskrone
    2. Heinrichs Kämpfe gegen die Wenden
    3. Krieg in Italien, Ärger in Sachsen
    4. Heinrichs Pilgerfahrt
    5. Die Unterredung von Chiavenna
    6. Der Prozess gegen den Löwen
    7. Nach dem Sturz
6. Das letzte Aufbäumen des Löwen - Heinrich VI. (1190-1197)
Duell: Saladin und Richard Löwenherz (ab 1190)
1. Saladin in Ägypten
2. Königreich der Himmel
3. Die Plantagenet: Richards Herkunft
4. König Richard auf dem Weg ins Heilige Land
5. Richard Löwenherz im Heiligen Land
Zwischenkapitel: Die Wehen der neuen Epoche (ab 1190)
1. Die glühende Krone - Heinrich VI. (1190-1197)
2. Better to reign in hell, than serve in heaven - John Lackland (1199-1216)
3. Ein Ausbund an Verderbtheit und das Werk der Hölle - der Vierte Kreuzzug (1202-1204)
4. Deutschland: Philipp von Schwaben gegen Otto IV. (1198-1212)

4. Mongolensturm (ab 1220)

Friedrich II. (ab 1212)
1. Noch einmal Staufer gegen Welfen
2. Friedrichs ganz eigener Kreuzzug
3. Messias oder Antichrist
4. Der Untergang der Staufer
Edward I. (ab 1272)
1. Prinz Edward
2. König Edward
3. Hammer der Schotten
Drei Familien: Habsburg - Rudolf I. (ab 1273)
1. Bescheidene Herkunft
2. Das Interregnum
3. Königswahl
4. Marsch auf Wien
5. Der Zweikampf
6. Hausmacht
7. Adolf von Nassau
8. Albrecht I.
Drei Familien: Wittelsbach – Ludwig IV. (ab 1308)
1. Die Wittelsbacher
2. Heinrich VII. von Luxemburg
3. Alighieri Dante
4. Doppelpack: Ludwig von Wittelsbach und Friedrich von Habsburg
5. Der Papst wird ausgesperrt

5. Spätmittelalter (ab 1337)

Drei Familien: Luxemburg – Karl IV. (ab 1337)
1. Der Kronprinz
2. Der Gegenkönig
3. Der Schwarze Tod
4. Die Goldene Bulle
Der Hundertjährige Krieg, Teil 1 – Edward III. (ab 1327)
1. Der Vater: Edward II.
2. Familienangelegenheiten
3. Die Schlacht von Crecy
4. Der Schwarze Tod
5. Die Schlacht von Poitiers
6. Ein König in Ketten
Das Konzil – Sigismund (ab 1411)
1. Sigismund sucht sich einen Thron
2. Die Reform an Haupt und Gliedern
Der Hundertjährige Krieg, Teil 2
1. Richard II.
2. Henry IV.
3. Henry V. und Charles VI.
4. Henry VI. und Charles VII.
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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 29. April 2016 07:57

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Wichtige Startcharaktere zu Beginn:

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Karl der Große (König der Westfranken)

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Karlmann (Karls Bruder, König der Mittelfranken)

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Desiderius (König der Lombarden)

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Tassilo III. (König von Baiern)

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Theoderic (Häuptling der Sachsen)

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Stephan IV. (seit 768 römischer Papst)


1. Wie man einen König macht

Es war das Jahr 754 der Fleischwerdung des Herrn, vor den Toren der königlichen Pfalz Ponthion in der Champagne. Man erwartete hohen Besuch, wie es ihn hier noch nicht gegeben hatte. Einige Wochen zuvor hatte ein heimkehrender Pilger ein geheimes, vielfach versiegeltes Schreiben mitgebracht, in dem sein Kommen angekündigt worden war. Pippin, seit drei Jahren nannte er sich König der Franken, hatte den Gast eingeladen. In der Halle der Pfalz saß er beisammen mit seinem Sohn Karl. „Ich habe einen Auftrag für, mein Sohn. Du bist nun in einem Alter, in dem Du neben der körperlichen Ertüchtigung auch das Geschäft der Politik erlernen sollst. Daher sollst Du es sein, der unserem hohen Gast entgegenzieht. Begrüße ihn und lasse ihn mit der Eskorte sicher hierher zur Pfalz geleiten.“ Der junge Prinz nickte, stolz über den Auftrag und das Vertrauen seines Vaters. Und er war neugierig, dem heiligen Mann zu begegnen, der auf dem Weg zu seinem Vater, dem König, war. Denn das war niemand geringeres als der römische Bischof und Papst, Stephan III.

Stephan III. war der erste Papst, der über die Alpen ging in jenes Land, das ihm nur vom Hörensagen bekannt war und jedem Römer, schon was das Klima betraf, unheimlich erscheinen musste. Wärme doch die Sonne dort weniger als der Mond über dem Tiber. Die Reise bestätigte sein Unbehagen: Reißende Flüsse, grausige Schluchten, eisbedeckte Pfade, peitschende Schneestürme und viele andere Gefahren hätten ihn und sein Gefolge bei Tag und bei Nacht bedroht, wie er später klagte. Erschöpft erreichte er das Kloster St. Maurice im Wallis, traf dort zwei Abgesandte des Frankenkönigs Pippin, die ihn nach Ponthion weiterleiteten, der königlichen Pfalz in der Champagne. Der erste Franke, der ihn weit vor den Toren begrüßte, war ein junger hochgewachsener Mann von etwa zwölf Jahren mit schulterlangen Haaren: Karl war sein Name, einer der Prinzen des Königs Pippin, später bekannt als Carolus Magnus, Karl der Große.

Pippin selbst ritt dem Papst mit seiner Familie dreitausend Schritt entgegen, entbot ihm die Proskynese und leistete den Stratordienst. Die um Beistand und Gnade flehende kniende Körperhaltung war ursprünglich von Alexander dem Großen dem persischen Hofzeremoniell entlehnt, von den römischen Kaisern später übernommen und schließlich von der Alten Kirche in die Liturgie aufgenommen worden. Neben dem Pferd des zu Ehrenden einherzugehen und den Zügel zu führen, gehörte einst zu den Aufgaben des Marschalls.

Am zweiten Tag nach Ankunft aber warf sich der Heilige Vater in Sack und Asche nieder vor Pippin – und erhob sich nicht eher, bis dieser ihm die Befreiung von der Langobarden Übermut versprochen worden war. Und der König Pippin schwor dem Papst tatsächlich die Übereignung des der Kirche von den Langobarden entrissenen Besitzes. Die Urkunde darüber wurde geschichtsnotorisch unter dem Namen „Pippinische Schenkung“, womit der Franke etwas verschenkte, was ihm nicht gehörte, sondern dem Kaiser von Byzanz. Die römische Delegation wusste das und verwies auf eine andere Schenkung, nämlich die „Donatio Constantini“. Ihr zufolge hatte der römische Kaiser Konstantin der Große (306-333) dem römischen Bischof zum Dank die Herrschaft über Rom, ganz Italien und alle Provinzen und Städte der westlichen Länder überlassen. Zur Urkunde geworden, diente sie immer wieder zur Verteidigung der Rechtmäßigkeit des Kirchenstaates. Zweifel an der Echtheit der Urkunde gab es schon damals. Erst tausend Jahre später gab auch der Vatikan zu, dass es sich um eine Fälschung aus ihrer Werkstatt handelte.

Des Papstes Gegenleistung für die Pippinische Schenkung bestand aus der Salbung des Königs und seiner Söhne, ausgeführt von eigener Hand. Für die beiden Prinzen, Karl und Karlmann, diente sie später als Legitimation, dass sie Herrscher von Gottes Gnaden seien. Stephan III. wies die versammelten Großen des Frankenreiches an, dass sie niemals aus der Nachkommenschaft eines anderen einen König zu wählen sich unterfingen, sondern nur jene, welche der heilige Petrus durch die Hände des Papstes zu weihen beschlossen hatte: jene aus dem Geschlecht der Karolinger.

Das Geschlecht der Karolinger, jetzt waren sie legitimiert als Könige - und zwar von Gottes Gnaden - zu herrschen. Das war zuvor nicht so gewesen, denn es fehlte ihnen an der Geblütsheiligkeit, die bisher für die Franken das entscheidende Merkmal gewesen war. Und diese Geblütsheiligkeit innegehabt hatte all die Generationen über die Dynastie der Merowinger. Ein Geschlecht aus dem Dunkel der Geschichte, das sich gründlich heruntergewirtschaftet hatte.

Von der Dynastie der Merowinger berichtete die Sage, dass ihr Gründer Merowech Sohn eines Meeresgottes gewesen sei. Womit die Merowinger dank ihres göttlichen Ursprungs des Königsheils teilhaftig geworden war. Und Königsheil bedeutete magische Kraft, Charisma, jene Gnadengabe, die seinen Träger vor anderen auszeichnete. Äußeres Zeichen bei den Merowingern waren die schulterlangen Haare, die keine Schere jemals berühren durfte. Sie herrschten über das Volk der Franken, die man je nach ihrer Heimatprovinz Rheinfranken (um Köln) oder Salische Franken (um Tournai) nannte.

Einer ihrer Herrscher war der Merowinger Chlodwig I., der ein echter Bösewicht war. Er war es, der sich (um das Jahr 500 herum) während einer Schlacht gegen die Alemannen, die zur Niederlage zu werden drohte, an seine Gemahlin wendete: Sie solle doch nun bei ihrem Gott vorstellig werden, auf dass er das Schlachtenglück noch wende. Sie begann zu beten... und tatsächlich, die Alemannen zogen sich zurück und überließen den Franken den Sieg. Chlodwig sah, dass der Gott, mit dem ihn seine Frau seit Jahren bedrängte, stärker war als seine germanischen Götter. Und so ließ Chlodwig I. sich taufen. Chlodwigs Übertritt zum Christentum geschah wohl weniger aus Überzeugung denn als Kalkül. Die geistlichen Würdenträger der Christen waren wichtig und es war klug, sich mit dem Mann gut zu stellen, den sie als ihre oberste Instanz betrachteten: den Bischof von Rom. Mit den Bischöfen war, im Sinne des Wortes, Staat zu machen. Als Chlodwig 511 in Paris, seiner neuen Residenz, starb, hinterließ er seinen Söhnen bereits ein einheitliches Reich, das vom Rhein bis zur Garonne – auch dank der Bischöfe – gut organisiert war.

Die nächsten Jahrzehnte boten dann aber eines der abschreckendsten Bilder der Weltgeschichte. Chlodwigs Söhne und Enkel übertrafen ihren Vorgänger noch an Bösartigkeit. Brudermord, Vatermord, Folterung, Verstümmelung, Ehebruch wie auch Inzest bildeten den düsteren Hintergrund der Zeit. Am bekanntesten wurde das Wüten der Brunichilde, die einen so gründlichen Familienkrieg um die Herrschaft führte, bis kein Erwachsener vom Geschlecht der Merowinger mehr am Leben war, der für den Thron in Frage gekommen wäre. Sie selbst wurde 613 gefangen genommen und zu Tode gefoltert.

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Zu jenen Männern, die sich gegen Brunichilde gestellt hatten, gehörten der Bischof Arnulf von Metz und Pippin der Ältere. Das sind die beiden ältesten Vorfahren des Geschlechts der Karolinger. Für das der Merowinger begann nach den Jahrzehnten des Brudermordes der Niedergang. Sie waren nun vollends unfähig und unwillig, das Reich zu verwalten. Diese Aufgabe überließen sie immer mehr dem Oberaufseher der königlichen Hofhaltung. Dieser major domus, auf Deutsch Hausmeier, übernahm immer mehr Ämter. Die Position wurde schließlich so bedeutend, dass niemand im Frankenreich an ihr vorbeikam. Der Enkel von Arnulf von Metz, genannt der mittlere Pippin, schaffte es im Jahre 687, die Ämter des Hausmeiers der verschiedenen fränkischen Teilreiche Austrien, Neustrien und Burgund in seiner Hand zu vereinen. Von nun an nannte er sich „dux et princeps Francorum“, Herzog und Erster der Franken. Die Merowinger-König hingegen wurden zu Schattenkönigen, die auf dem Thron zu hocken und den Herrscher zu spielen hatten.

Als Pippin sich 714 zum Sterben zurückzog, musste sein Sohn Karl (im folgenden Stammbaum links oben) sich seine Position zunächst erkämpfen, denn Pippins Ehefrau Plektrudis wollte die Macht an sich reißen. Karl war nämlich nicht ihr Sohn, sondern aus der illegitimen Verbindung Pippins mit einer Friedelfrau hervorgegangen. Natürlich wollte Plektrudis diesen Bastard ausschalten, um den Weg für ihre beiden eigenen Enkel zu bereiten. Karl jedoch war politisch und militärisch so versiert, dass er sie besiegte, das fränkische Reich wieder vereinte und sich den Beinamen Martellus, „der Hammer“, verdiente.

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Berühmt wurde Karl Martell durch seinen Erfolg von 732, als er mit seinem fränkischen Heer den Vormarsch der Sarazenen bei Poitiers stoppte. Das Kalifat der Umayyaden blieb jenseits der Pyrenäen. Die überraschende Überlegenheit der fränkischen Kavallerie gegenüber den taktisch genialen Reitern der Araber basierte wohl auf dem Einsatz des Steigbügels. Der schlichte Bügel gab den fränkischen Reitern den notwendigen Halt, ihren Lanzen Stoßkraft und die Möglichkeit, mit den breiten Langschwertern zuzuschlagen, ohne aus dem Sattel zu fallen.

737 starb dann der Merowinger-König Theuderich IV. und niemand im Frankenreich nahm Notiz davon. Die meisten wussten vermutlich gar nicht, dass es so etwas wie ein merowingisches Königtum überhaupt noch gab. Dennoch hatte Karl Martell diesen Theuderich auf den Thron gesetzt. Wie schattenhaft der Merowinger als Herrscher auch sein mochte, in seinen Adern floss das blaue Blut der Könige. Von ihm ging magische Kraft aus, er allein besaß das Königsheil, das den Sieg auf dem Schlachtfeld brachte, die Fruchtbarkeit der Äcker, den Reichtum an Kindern, die Ordnung im Chaos. Karl setzte nach Theuderichs Tod zunächst keinen Nachfolger auf den Thron, statt dessen berief er sich in Urkunden weiter auf ihn. Ziemlich ungewöhnlich.

Als Karl Martell 741 im Sterben begriffen war, teilte er sein Reich auf seine drei Söhne auf. Karlmann bekam Austrien mit Alemannien und Thüringen. Pippin erhielt Neustrien, Burgund und die Provence. Die Ländereien der beiden entsprach der Aufteilung in einen germanischen und einen romanisierten Teil. Der dritte Sohn hieß Grifo, der entstammte im Gegensatz zu Karlmann und Pippin aber einer unehelichen Beziehung. Karl Martell bat seine beiden ehelichen Söhne, ihren Halbbruder mit einem eigenen Gebiet abfinden. Sie versprachen es hoch und heilig.

Das Versprechen war nicht hoch und heilig genug. Kaum nach den Bestattungsfeierlichkeiten in St. Denis bei Paris setzten sie Grifo gefangen und verschleppten seine Mutter in ein Kloster. Die Uneinigkeit unter den (Halb-) Brüdern erzeugte einen Aufstand in mehreren Provinzen des Frankenreichs. Denn was war das überhaupt für ein Herrscherhaus, diese Karolinger, ohne König, ohne Königsheil? Dieses Haus hatte seine Herrschaft usurpiert. Es wurde wieder notwendig, einen Marionettenkönig auf dem Thron installieren. 743 wurde der Merowinger Childerich III. neuer König. Die Fürsten murrten aber weiter. Waren sie Karl Martell ergeben gewesen, für seine Söhne hatten sie nur Verachtung übrig. Aber die beiden Brüder hielten wider Erwarten zusammen und züchtigten die Aufständischen. Karlmann überzog die Alemannen 746 mit einem blutigen Gericht.

Als sich die beiden Brüder in ihren Teilreichen durchgesetzt hatten, forderten die Bischöfe von ihnen die Rückgabe jener Ländereien, die ihr Vater Karl Martell ihnen weggenommen und an seine fürstlichen Vasallen verteilt hatte (kein Wunder, dass Karl bei seinen Fürsten so beliebt gewesen war). Die zwei Brüder waren einerseits sehr fromm, mit den Fürsten wollten sie sich aber auch nicht anlegen. Es blieb bei ungefähren Versprechen.

Im Jahre 746 zeigte sich der ältere Bruder Karlmann regierungsmüde, genauer gesagt plagte ihn das Gewissen. Sein Blutgericht gegen die Alemannen quälte ihn und er wollte seine unsterbliche Seele retten. Es war wohl wirklich Weltflucht, die Karlmann dazu veranlasste, der Herrschaft zu entsagen und sich in ein Kloster zurückzuziehen. Jetzt war das Frankenreich wieder vereint, in der Hand des verbliebenen Bruders Pippin. Das ist jener Pippin, der wie eingangs geschildert, später den Papst Stephan III. empfangen sollte. Sein Sohn Karl war zum Zeitpunkt von Karlmanns Rückzug ins Kloster vermutlich vier Jahre alt.

Es war die Zeit der Missionierungen des bekannten Bonifatius, der den germanischen Heiden in Sachsen und Friesland den christlichen Glauben brachte. Als Legat des Papstes für das Frankenreich war er der wohl bedeutendste Geistliche nördlich der Alpen in jener Zeit. Bonifatius war es, der die heilige Donareiche fällte, um zu zeigen, dass die heidnischen Götter keine Macht hätten. Für Bonifatius war jedoch auch das, was er in der Kirche des Frankenreichs antraf, erschreckend. Immer wieder sah er sich veranlasst, Briefe oder Boten nach Rom zu schicken, um Instruktionen zu erhalten, wie er sich angesichts der heillosen Zustände verhalten solle. Heidnische Bräuche waren noch weit verbreitet. Ein besonderes Problem stellte die Ehe dar. Es war gang und gäbe, dass Verwandte untereinander heirateten. Eheschließungen wurden unter Familien oder Sippen ausgehandelt, und da kam es darauf an, dass Besitzungen zusammengehalten wurden. Nach außen zu heiraten konnte leicht zu großen Verlusten führen. Aber Bonifatius pochte auf die kirchlichen Regeln, und diese sahen ein Verbot der Verwandtenehe vor. Aber ab welchem Grad der Verwandtschaft war sie als Inzest verboten? Das blieb auch in der Kirche umstritten. Auf die erste Anfrage 726 erhielt Bonifatius aus Rom die Auskunft, dass bis zur vierten Generation nicht geheiratet werden dürfe. Später erhöhte der nachfolgende Papst Gregor III. im Jahr 732 das Verbot bis zur siebten Generation. Man kann sich vorstellen, welchen Unwillen diese Vorschriften unter den Menschen hervorriefen.

Aber es gab noch viel mehr zu klären. Was beispielsweise durfte ein Mann tun, dessen Frau erkrankt war und ihre ehelichen Pflichten nicht mehr erfüllen konnte? Antwort aus Rom: Er dürfe eine neue Frau heiraten, müsse aber der bisherigen Ehefrau Unterhalt leisten. Beim Opfermahl, so ein weiteres Problemfeld, dürfe nur ein einziger Kelch benutzt werden und nicht zwei oder drei, wie Bonifatius das antraf. Ob Menschen, die im Kindesalter in ein Kloster gegeben wurden, als Erwachsene wieder austreten und heiraten dürften, so lautete eine weitere Frage des Bonifatius. Die Antwort war: Nein, auf keinen Fall. Aus dem Jahre 732 stammt ein päpstlicher Brief, in dem folgende Fragen beantwortet wurden: Durften Christen ihre Sklaven an Heiden verkaufen? Durften sie Pferdefleisch essen? Mussten von Heiden Getaufte nochmals getauft werden? Alle Fragen wurden mit Nein beantwortet. Vor allem Pferdefleisch dürfe ein Christ unter keinen Umständen zu sich nehmen, denn es sei unrein und abscheulich. Es gab eine Fülle von Angelegenheiten, die geklärt werden mussten. Vom Kirchenrecht wurden sie später in königliche Kapitularien zu Reichsgesetzen erklärt. Weitere brennende Fragestellungen? Durfte bei der Taufe in Ermangelung von Wasser auch Wein verwendet werden? Musste das Taufwasser aus der Schale oder mit den Händen über das Haupt des Kindes gegossen werden? Durften Mönche lange Haare tragen?

Im Jahre 751 zogen zwei hohe kirchliche Beamte über die Alpen nach Rom, baten Papst Zacharias um eine Audienz und stellten ihm eine Frage, deren Antwort schwerste Folgen für das Mittelalter hatte. „Betreffs der Könige im Frankenreich begehren wir zu wissen“, fragte Burchard von Mainz, „ob es gut ist oder nicht gut, wenn es dort Könige gibt, die keine königliche Macht besitzen“? Der Heilige Vater antwortete: „Es ist besser, wenn derjenige, der über die königliche Macht verfügt, sich König nennt, als derjenige, dem keine Macht mehr verblieben ist“. Er fügte hinzu: „Damit die heilige Ordnung der Dinge nicht gestört werde, möge Pippin König sein. Kraft meiner apostolischen Autorität“.

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Pippin versammelte die Großen seines Reiches, um ihnen die Entscheidung des Papstes mitzuteilen und sich von ihnen zum König wählen zu lassen. Da ihm das blaue Blut, die Geblütsheiligkeit, fehlte, musste er mit einer ihr entsprechenden Würde ausgestattet werden: der Salbung, wie sie einst auch der biblische König David erhalten hatte. Der Hausmeier war nun König und entsorgte die Marionette Childerich samt seines Sohnes hinter Klostermauern. Das war es gewesen mit dem Geschlecht der Merowinger, sie landeten auf dem Müllhaufen der Geschichte. Schlimmer noch, sie endeten in der Vergessenheit.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 30. April 2016 08:34

2. Bruderzwist

Es zeichnete sich für Pippin früh ab, dass es um die Nachfolge in seinem Reich womöglich Schwierigkeiten geben würde. Der König der Franken hatte zwei Söhne, die beide nach den fränkischen Erbgesetzen Anspruch auf einen Teil des Reiches haben würden. Pippins Ehefrau Bertrada hatte Karl und dann im Jahre 751 Karlmann geboren. Karls Geburtsjahr hingegen ist nicht sicher und bleibt für die Zeitgenossen im Dunkeln. Spätere Angaben schwanken zwischen 742 und 747. Der Grund für die Heimlichtuerei dürfte darin gelegen haben, dass Karl ein voreheliches Kind war, denn Pippin und Bertrada heirateten erst 749. Das war im Zeitalter der Friedelfrauen und ihrer Bastarde, wie man später die unehelichen Kinder nannte, keine Schande, aber für einen Thronfolger auch keine Empfehlung. Karl hatte kein Interesse daran, dass dieser persönliche Makel großartig diskutiert wird.

Karlmanns Geburt zwei Jahre nach der Heirat war in dieser Hinsicht nicht belastet. Die beiden Brüder verstanden sich von früher Jugend an nicht gut. Im Jahre 768, in dem Jahr unmittelbar vor Spielbeginn, wurde König Pippin dann zu Grabe getragen. Er ließ sich mit dem Gesicht nach unten in den Sarg legen. Nicht seine eigenen Sünden drückten ihn so sehr, sondern die seines Vaters Karl Martell, der der Kirche so viele Güter genommen hatte. „Wassersucht“ wurde als Todesursache überliefert. Eine Diagnose, zu der die damaligen Ärzte immer dann kamen, wenn sie nicht wussten, woran ihr Patient wirklich gestorben war. Auf dem Sterbebett hatte Pippin sein Reich geteilt. Karl bekam Austrien und Neustrien (Westfranken, blaues Gebiet), Karlmann Burgund mit der Provence und die Ländereien des Elsass und Alemannien (Mittelfranken, graues Gebiet). Von Aquitanien fiel jedem der Brüder die Hälfte zu.

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Eine ungewöhnliche Teilung, wurde sie doch nicht nach der Maßgabe „hier germanisches Gebiet, dort romanisches Gebiet“ vorgenommen. Karls Reichsteil umschloss bogenförmig die Gebiete des Bruders. Wollte man Romanisches und Germanisches derart miteinander verzahnen, dass jeder auf den anderen immer angewiesen war? Jedenfalls mischten sich in jedem Reichsteil Germanen und Romanen, wobei in Karls Reich die Germanen überwogen, in Karlmanns Teil die Romanen. Beide Herrscher waren gezwungen, auf die beiden Nationalitäten Rücksicht zu nehmen. Offenbar wollte Pippin vermeiden, dass sich die Bevölkerungsgruppen durch die Erbteilung als getrennt fühlten.

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Das geteilte Aquitanien war eine besondere Provinz des Frankenreichs. Die Franken verachteten diese Leute, die sie für wankelmütig und hinterlistig hielten. Insgeheim beneideten sie sie aber, weil ihre Zivilisation entwickelter war und ihre Kultur höher schien. Nicht umsonst war das Land eine blühende Provinz des Römischen Reichs gewesen. Die beiden Karolinger mussten nach ihrem Regierungsantritt feststellen, dass die Widerstandskraft dieses Volkes noch nicht gänzlich gebrochen war. Die Thronfolge schien den Aquitaniern eine günstige Gelegenheit, noch einmal gegen die verhassten Franken aufzustehen und vielleicht ihre Freiheit zu erringen. Da beide Brüder einen Teil dieses Landes erhalten hatten, mussten sie sich zusammen um diese Revolte kümmern. Doch beim Zusammentreffen der zwei Heere zeigte sich, dass Karl mit seinen Panzerreitern, Karlmann hingegen nur mit seinem Gefolge erschien. Die Brüder gerieten darüber in Streit, denn Karl warf seinem jüngeren Bruder mangelhaften Einsatz vor. Beleidigt verließ Karlmann das Lager. Nichtsdestotrotz schlug Karl mit seinen Panzerreitern den Aufstand alleine nieder. Das Verhältnis der Brüder war aber hinüber.

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Mutter Bertrada versuchte, den Bruderzwist zu entschärfen, aber die beiden stimmten nur scheinbar zu, sich in Zukunft versöhnlich zu verhalten. Kurze Zeit später begab sich Bertrada auf eine politische Mission. Zunächst reiste sie nach Baiern, wo sie Tassilo III. in Regensburg treffen wollte. Der war eigentlich ein Herzog, herrschte aber mit der Macht eines Königs. Und war mit einer Königintochter verheiratet, der Langobardin Luitperga. Dieses Ehebündnis machte die Sache für die Franken gefährlich. Bertrada ging es darum, die Karolinger mit den bairischen Stammesführern zu versöhnen. Besser noch: Die drei großen germanischen Stämme der Franken, der Baiern und der Langobarden zu einem Freundschaftsbund zu vereinen.

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Von Regensburg reiste Bertrada weiter nach Pavia, der Hauptstadt des Langobardenreiches. Die Fränkin war Gast des Königs Desiderius, jenes Herrschers, der Tassilo III. zu seinen Schwiegersöhnen zählte. Er hatte nichts dagegen, auch Karl in seinen Familienverband aufzunehmen, aber er fragte Bertrada: „Was wird der Papst dazu sagen?“ Desiderius stellte diese Frage, denn der Papst verlangte die Herausgabe jener langobardischen Gebiete, die die Kirche aufgrund der Pippinischen Schenkung beanspruchte. Und in der Tat reagierte der Papst misstrauisch auf die Kunde von Bertradas Aufenthalt in Pavia. Immerhin hatten die Karolinger zur Schutzmacht des Kirchenstaates erklärt. Das war die Gegenleistung dafür, dass Stephan III. damals den Karolingern die Königswürde zugeschanzt hatte. Und für den Papst ging weiterhin die größte Bedrohung seines Kirchenstaates von den Langobarden aus, die über den Großteil Italiens herrschten. Bertrada reiste von Pavia weiter nach Rom und hatte einige Zusagen des Langobarden Desiderius im Gepäck, dem Papst ein paar der strittigen Ländereien herauszugeben. In Rom bekräftigte Bertrada, dass die Karolinger zu ihrem Versprechen stehen werden, dem Papst schützend zur Seite zu stehen und dem Kirchenstaat zur Durchsetzung seiner Territorialansprüche aus der Schenkungsurkunde zu verhelfen.

Auf der Rückreise zog Bertrada über Pavia und nahm vereinbarungsgemäß eine Tochter des Desiderius mit. Sie hieß Desiderata und war als Braut für Karl bestimmt. Der aber war wenig begeistert von seiner Braut, sie war wohl wenig anziehend. Zudem hatte ihm erst kürzlich seine Friedelfrau Himiltrud den ersten Sohn geboren, den er bezeichnenderweise nach seinem Vater Pippin nannte. Königliche Würden waren dem Knaben jedoch nicht bestimmt. Pippin hatte eine Missbildung am Rücken. Das konnte auf dem Thron nicht geduldet werden, denn eine körperliche Behinderung entsprach nicht dem Königsheil. Konsequenterweise wurde Pippin der Bucklige 781 von Karl aus der Erbfolge ausgeschlossen und in ein Kloster abgeschoben.

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Aber zurück zu der Verbindung mit der Langobarden-Prinzessin. Die Nachricht von der beabsichtigten Eheschließung Karls, anfangs in Rom für ein Gerücht gehalten, erzürnte den Papst. Wenn Franken und Langobarden zusammengingen, musste Stephan IV. um die Existenz seines Kirchenstaates fürchten. Er drohte Karl den Bannfluch an. Die Hochzeit mit Desiderata fand trotzdem statt.

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Alles gut also? Nein, neben dem Papst reagierte auch Karl Bruder Karlmann verschnupft. Die Verbindung bedeutete für ihn eine politische Abwertung, hatte er doch durch seine Ehe mit einer anderen langobardischen Königstochter ältere Rechte. Der Tag war gekommen, da Karlmann seinem ungeliebten Bruder den Fehdehandschuh hinwarf. Krieg lag unmittelbar in der Luft.

Aber dann, im Dezember 771, starb Karlmann in der Pfalz Samoussi an einem Blutsturz. Oder hatte jemand den Blutsturz herbeigeführt? Der Tod eines so jungen gesunden Mannes, der einem anderen Herrscher derart gelegen kam, öffnete wie stets in solchen Fällen bösen Gerüchten Tür und Tor. Denn für Karl war das ein Glücksfall: Gott hatte ihm die Herrschaft über das gesamte Reich ohne Blutvergießen verliehen.

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Das führte bei Karl zu einem Sinneswandel, denn unter diesen Umständen brauchte er nicht mehr auf die langobardische Karte setzen. Er konnte wieder die Politik aufnehmen, die seinem Vater die Krone verschafft hatte: Nach nur einem Jahr Ehe verstieß Karl seine langobardische Frau und wandte sich Hildegard zu, einem Mädchen aus einer edlen schwäbischen Familie. Der gesamte Hof zeigte sich befremdet über die Scheidung nach fränkischer Art. Für König Desiderius war es eine so ungeheure Beleidigung, dass Karl ihm seine Tochter zurückschickte und zieh ihn einen eid- und ehebrüchigen Heiden. Karl hatte sich einen Todfeind geschaffen. Da er jetzt aber die alleinige Herrschaft über das Frankenreich ausübte, hatte sich die „Geschäftsgrundlage“ geändert, die Ehe mit Desiderata war zu einer lästigen Fessel geworden.

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Dass Karl schon immer zielstrebig die alleinige Macht im Frankenreich wollte, zeigte sich in seinen nächsten Schritten. Er ließ sich nicht nur auf den Schild heben und zum König aller Franken krönen. Er schob damit auch Karlmanns unmündige Söhne zur Seite, die doch eigentlich zur Nachfolge berechtigt waren. Es war ein Staatsstreich, ein Thronraub. Karlmanns Witwe Gerberga floh mit den beiden Kindern Richtung Pavia, zum Hof ihres Vaters Desiderius. Sie wollte nicht warten, dass ihre Söhne in ein Kloster, zu den lebenden Tote, verbracht würden. Das nämlich hatte Karls Vater Pippin mit seinen Neffen getan, und die Erinnerung daran war noch wach.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 1. Mai 2016 09:05

3. De bello saxonici

Karlmann war tot. Karl konnte endlich, frei von Rücksichten und Bedrohungen, das tun, was er für notwendig hielt. Und für notwendig hielt er einen Krieg gegen die Sachsen, dieses wilde heidnische Volk. Einen rechten Frieden zwischen Franken und Sachsen hatte es nie gegeben. Karl Martell und König Pippin waren öfter zu Strafexpedition in ihre undurchdringlichen Wälder vorgestoßen, hatte Tribute und die Sicherheit für christliche Missionare eingefordert. Mit vulkanischer Gewalt brachen immer wieder neue Aufstände aus. Karl wollte mehr als eine der üblichen Strafexpeditionen. Er wollte die Sachsen ein für alle Mal in die Knie zwingen, in sein Reich eingliedern und zum Christentum bekehren. Zu diesem Zweck hielt König Karl im Mai 772 eine Versammlung in Worms ab.

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Genauer gesagt war es eine Heeresversammlung, denn der Zweck war der gemeinsame bewaffnete Aufbruch nach Sachsen. Jeder zum Kriegsdienst verpflichtete freie Mann hatte je nach Landbesitz eine Zahl an Gefolgsleuten mitzubringen. Der Trupp musste ausgerüstet sein mit Waffen, Kleidung und Lebensmitteln. Das alles war genau festgelegt. Auch Bischöfe und Äbte mussten gestiefelt und gespornt erscheinen, zusammen mit dem in ihren Waffenkammern lagernden Kriegsgerät.

Krieg zu führen kostete viel Geld. Besonders teuer kam der Panzerreiter, der überlegene und gefürchtete Truppentyp. Allein seine Ausrüstung und das Pferd kosteten vierzig Schillinge, dafür bekam man eine Herde von zwanzig Rindern. Entsprechend unglaubwürdig sind die zeitgenössischen Zahlenangaben, wenn es um Heeresgrößen ging. Realistisch, weil unterhaltbar, waren etwa 10.000 Krieger zu Fuß und 3.000 Reiter, von denen weniger als tausend gepanzert waren. Ein größeres Heer wäre schon an der Schwerfälligkeit des Trosses gescheitert. Nicht nur gute Waffen und der persönliche Mut der fränkischen Krieger, auch der professionell geregelte Nachschub machten aus Karls Heer eine gefürchtete Streitmacht.

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Der Stoß des fränkischen Heeres richtete sich gegen das Flussgebiet der Weser zwischen Corvey und Minden. Dort siedelten die Engern, einer der vier sächsischen Stämme. Auf seinem Zug durch dieses Gebiet verwüstete Karls Heer das Land. Am Oberlauf der Diemel eroberten sie die Eresburg im Sturm, zogen weiter nach Norden und erreichten die Irminsul. Dieser hochragende, riesige Baumstamm trug nach der Überzeugung der germanischen Sachsen das Himmelsgewölbe und war umgeben von einem heiligen Hain sowie diversen Gebäuden voller kostbarer, geweihter Gaben. Es ist klar, was dann geschah. Die Sachsen unterzeichneten Pergamente und stellten zwölf Geiseln, um Frieden zu erhalten. Doch die Zerstörung der Heiligtümer galt ihnen als eine himmelschreiende Tat. Man war es den Göttern schuldig, sie nicht ungerächt zu lassen. Und sie blieb es nicht...

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Das fränkische Heer marschierte ab, löste sich auf, die Krieger zogen wieder in ihre Heimatorte. Gewissensbisse werden sie nicht gehabt haben wegen ihres Sakrilegs. Im Gegenteil: Die Priester versicherten ihnen, dass sie ein gottgefälliges Werk wider ein barbarisches Heidenvolk getan hätten. Christlicher Hochmut schien bei den Franken eigentlich nicht am Platz. Das Bekenntnis zu Jesus Christus war bei den meisten von ihnen lediglich Tünche. Eine Tünche, die in Ausnahmesituationen abzublättern begann.

Aus Dämonenglauben war Heiligenkult. Die Reliquienverehrung und der Wunderglaube trugen heidnische Züge so wie die Feuerprobe und das Gottesurteil. Die Triebe dieser Menschen waren kaum gebändigt, Hemmungen nicht vorhanden, Atavismus brach immer wieder durch. Wer sein Recht suchte und es nicht bekam, griff zur Selbsthilfe. Sie glichen Menschen im Übergang, die ihren Urgrund verloren hatten, ohne neuen festen Boden gewonnen zu haben. Aus dieser Zwiespältigkeit wuchsen Charaktereigenschaften von grellem Gegensatz: Barmherzigkeit wohnte neben erschreckender Brutalität, Mildtätigkeit neben mörderischer Habgier, Edelsinn neben abstoßender Gemeinheit, Bescheidenheit neben wahnwitzigem Hochmut.

Es dauerte gar nicht lange, bis aus Sachsen wieder beunruhigende Nachrichten zu Karls Ohren drangen. Sie hatten das Kloster Fritzlar verwüstet, nur die Kirche – Bonifatius hatte geweissagt, kein Feuer werde ihr jemals etwas anhaben können! - blieb heil. Ein Wunder, das nicht weniger wunderbar erschien, wenn man betrachtete, dass das Kirchlein aus Stein erbaut worden war. Karl berief seinen Rat zusammen und beschloss mit ihnen, „das treulose und eidbrüchige Volk der Sachsen so lange zu bekriegen und nicht eher abzulassen, bis sie als Geschlagene das Christentum angenommen hätten oder gänzlich ausgerottet sein würden“.

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Die Seele des Widerstands war der Stammesführer Wichimann. Der Edeling, wie ein Angehöriger des Adels hieß, rief die Freien und Halbfreien zum Kampf gegen die verhassten Franken auf. Die drei Stände waren scharf, geradezu kastenartig voneinander geschieden. Er vereinte sie zum Kampf und versuchte die Franken in die unwegsamen Sümpfe zu locken. Wer sich hier verirrte, war verloren. Diese Landschaft bildete den Schauplatz für Wichimanns Kampf gegen Karl und sein Heer, für seine guerillaartigen Überfälle, seine blitzartigen Vorstöße und Rückzüge. Um seine militärische Unterlegenheit wettzumachen, mied er die offene Feldschlacht. Das Ziel der Attacken waren die Zwingburgen der Franken: die Karlsburg, die Eresburg, und andere. Wobei man sich nicht Burgen vorstellen darf, wie man sie als stolze Festungen mit Zinnen, Zugbrücken und Wassergräben im hohen Mittelalter erbaute. Wir sind erst im achten Jahrhundert. Es waren Wehrbauten auf Kuppen oder Spornen, von Erdwällen und Palisaden umgeben. Mauern in Steinbauweise gab es noch nicht. Holzerdmauern waren die Regel oder einfache Grasplaggen, die man wie Ziegel aufmauerte und mit Lagen von Dreikanthölzern befestigte.

Wichimann wurde für die Franken zum Staatsfeind Nummer Eins. Sie vermuteten ihn hinter jeder Rebellion, hinter jedem Überfall, hinter jedem Anschlag. Karl setzte seine besten Leute auf ihn an. Fassten sie ihn, würde der Widerstand zusammenbrechen. Doch dort, wo er vermutet wurde, fand man ihn nicht, und wo man ihn zu finden glaubte, war er nicht mehr.

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Sowohl unter den Sachsen als unter den Franken fing man an zu munkeln, Wichimann verfüge über geheime Kräfte, über die Gabe, sich unsichtbar zu machen mit einer Tarnkappe. Karl wusste es bald besser, denn die Erklärung war profan. Natürlich hatte Wichimann überall in Sachsen die Möglichkeit, Unterschlupf zu finden. Der größte Fehler des Rebellenführers war wohl, dass er sein Volk im Kampf nicht alleine lassen wollte, selbst als sich die Schlinge von Karls Häschern enger um ihn zog. Am Ende half wohl Geld aus der königlichen Schatulle, Wichimann bei einem Anschlag vom Leben in den Tod zu befördern. Danach brach der Aufstand, seines Hauptes beraubt, zusammen. Karl die Heiligtümer und Befestigungen, die sie Sachsen zwischenzeitlich wiedererrichtet hatten, nieder und ließ sich erneut Geiseln stellen. Diese sollten für die erneuerten Eide der Besiegten bürgen. Sodann zog der König mit seinem Heer wieder ab.

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Als zu dieser Zeit der Papst Stephan III. starb, endete ein Pontifikat, dass man politisch gesehen als gescheitert ansehen muss. Zur Macht verholfen hatte ihm einst die frankenfreundliche Partei unter Führung des Christophorus, die seine Wahl zum Papst im August 768 – also kurz vor Beginn dieser Partie – betrieben hatte. Der Gegenpapst Philipp, den die Langobarden gestützt hatten, trat vorher von seinem Amt zurück. Christophorus nahm nun mit seinen Anhängern grausame Rache an der Gegenpartei. Als Karl der Große durch eine politische Heirat mit der Tochter des Langobardenkönigs Desiderius ein Bündnis einging, das Stephan vergeblich zu verhindern versucht hatte, wechselte Stephan von der frankenfreundlichen Partei zu der Anhängerschaft der Langobarden und geriet in drückende Abhängigkeit von Desiderius. Zugleich ging es der frankenfreundlichen Partei an den Kragen: Christophorus und sein Sohn wurden ermordet. Als Karl der Große seine langobardische Gemahlin verstieß und sich mit Desiderius verfeindete, war die Politik Stephans endgültig gescheitert. Er starb am 24. Juli 775 und soll im Vatikan beerdigt sein. Der Ort seines Grabes ist nicht bekannt.

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Karl reiste umgehend nach, für die Sachsen hatte er jetzt keine Zeit. Ihm war daran gelegen, dass der neue Papst jene Politik fortsetzte, die die römische Kirche unter der fränkischen Schutzmacht sahen – und sich nicht mit den Langobarden arrangieren wollte. In Martin II. (historischer Name: Hadrian I.) fand Karl den geeigneten Pontifex. Der stellte sich nämlich tatsächlich gegen Desiderius und dessen Wunsch, Karlmanns Söhne zu Königen zu salben. Die beiden Kinder befanden sich gemeinsam mit Gerberga weiterhin am Hofe von Desiderius in Pavia. Ihr Thronanspruch war eine Gefahr für Karls Alleinherrschaft. Als Karl der Große zu Weihnachten 775 in Rom eintraf, erneuerte er die von seinem Vater Pippin gegenüber Papst Stephan II. ausgesprochenen Schenkungsversprechen. Das war der Preis für Martins wohlfeile Politik.

Zwischendurch erlaube ich mir mal, den Editor zu benutzen....

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Es dauerte nicht lange, bis die Sachsen die Abwesenheit starker fränkischer Kräfte ausnutzten. Dieses Mal scharten sich die Sachsen um einen Mann, der über ein ausgeprägtes Charisma sowie militärischer Brillianz verfügte: Widukind.

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Auch er ging mit den blitzartigen Attacken eines Guerilla gegen die Franken vor, um Karl zu besiegen. Die Franken brannten die Dörfer nieder, tauften oder verschleppten die Bevölkerung, verwüsteten die Kultstätten der Sachsen. Trotz aller Repressionen gelang es den Franken nicht, Widukind zu fassen. Niemand wollte oder konnte den Rebellenführer verraten, denn er verhielt sich cleverer als Wichimann vor ihm. War Gefahr in Verzug, ging Widukind über die Grenze, setzte sich ab zu den Dänen und war wieder zur Stelle, wenn Karl sich zurückgezogen hatte. An der Spitze seiner Truppen war er nicht zu sehen. Widukind war zu klug, um tollkühn zu sein. Karl wurde auch deshalb nicht mit den Sachsen fertig, weil es ihm nie gelang, die vier Teilstämme gleichzeitig zu stellen. Mal hatte er es mit den Engern zu tun, mal mit den Westfalen, mal mit den Nordalbingiern, mal mit den Ostfalen. Dieses höchst befremdliche Volk hatten keinen König, keinen Herzog, kein geographisches oder politisches Zentrum. Selbst im Krieg wählte jeder Stamm seinen eigenen Heerführer, wie Brun bei den Engern, Hessi bei den Ostfalen, Widukind bei den Westfalen. Beratungen und Beschlüsse fällten diese Stämme gemeinsam bei Treffen in Marklo. Marschieren und kämpfen taten sie anschließend jeder für sich.

Innerhalb der Sachsen brodelte es aber. Die Edelleute standen gegen die Gemeinen, die Stämme hatten verschiedene Meinungen, wie man die Freiheit bewahren könne. Nicht wenige Adelige sahen das Heil ihres Stammes in der Versöhnung mit den Fremden, weil die Franken auf Dauer zu stark waren für Widerstand. Immerhin wüteten die Franken zum wiederholten Male in ihrem Land.

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Anders die Freien, die ohnehin die Hauptlast der Feldzüge trugen. Ihr Freiheitsdurst, ihr Glaube an die germanischen Götter war so mächtig wie ihr Hass auf die Franken. Das Misstrauen gegen die Adeligen wuchs, nachdem Karl die Verwaltung nach fränkischem Vorbild einführte und sich Angehörige sächsischer Adelshäuser als Grafen einsetzen ließen. Die sich anbahnenden verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Adel hüben und drüben betrachteten sie als Verrat. Die Freien waren immer zur Stelle, wenn Widukind zu neuem Widerstand aufrief.

Karl rief nun die Ostfranken in seinen Krieg. Die befanden sich unter dem Kommando des Grafen Theoderich in einem Feldzug gegen die Slawen. Theoderich gab den Zug gegen die Slawen sogleich auf und rückte dorthin, wohin Karl ihn herbestellt hatte. Kundschafter berichteten, dass die Sachsen sich beim Sintelgebirge sammelten und offenbar zur Schlacht bereit waren. Und tatsächlich: In ihrem Zorn taten die Sachsen etwas, das sie bisher klug vermieden hatten. Sie stellten sich einer offenen Feldschlacht. An den nördlichen Hängen des Gebirges stünde Widukind mit 12.000 Mann, berichteten die Späher. Karl hatte trotz der eintreffenden Ostfranken keine 7.500 Mann unter seinem Kommando. Der König musste sich ganz auf seine gepanzerten Truppen und seine klugen Heerführer verlassen. Auf der anderen Seite befehligte mit Widukind ebenfalls ein militärisches Genie die zumeist leichten Truppen: Speerträger, Bogenschützen, leichte Reiter.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 3. Mai 2016 07:40

Auf der Südseite der Berge schlug Karl sein Heerlager auf, während die Ostfranken über die Weser setzten und sich dort verschanzten. Der König und der Graf beäugten sich misstrauisch, denn beide fürchteten, die Ehre des Sieges würde dem jeweils anderen zufallen. Als der Morgen des 19. Oktobers 776 anbrach, machten sich die Männer auf beiden Seiten bereit zum Kampf. Nachdem die Sachsen sich mit Kriegsgeschrei aufgestachelt hatten, jagten die Reiter mit ihren Pferden los, als gelte es, Fliehende zu verfolgen und nicht einem in Schlachtreihen stehenden Feind entgegen zu stürmen. So falsch der rasende Ritt, so schlimm der Kampf selbst. Von den Franken umzingelt, wurden sie reihenweise niedergemacht und blutig abgewiesen. Die sächsischen Bogenschützen konnten mit ihren Pfeilen nur wenig gegen die gut geschützten Franken ausrichten. Dann rückten die Reihen von Karls Heer vor und stürmten die feindliche Stellung. Jetzt wurden die leichten Fußtruppen, nur mit Holzschilden und wattierten Westen ausgerüstet, von den Franken in großer Zahl getötet. Wer konnte, floh vom Schlachtfeld. Am Ende des Tages lagen tausende Tote am Boden, zahlreiche Sachsen wurden gefangen genommen. Widukind floh nach Richtung Holstein.

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Auf die Nachricht von Widukinds Entkommen folgte die Ankündigung einiger sächsischer Großen, den Franken weiter die Stirn bieten zu wollen. Alle Anstrengungen, die Sachsen zu bekehren und in das Reich einzubinden, schienen vergeblich zu sein. In den Jahrbüchern des fränkischen Reiches hieß es dazu: „Die Nachricht der sächsischen Fürsten brachte auf Karl den peinlichsten Eindruck hervor“. Mit deutlicheren Worten: Er verlor die Selbstbeherrschung und beschloss, ein Exempel zu statuieren.

Der König erschien im Zentrum des Aufstandsgebiets und forderte die Edelinge auf, sich zu verantworten. Die meisten werden freiwillig gekommen sein, denn die Partei jener, die eine Aufnahme Sachsens in den fränkischen Reichsverband akzeptieren wollten, war gewachsen. Sie wurden aufgefordert, die am Aufstand beteiligten Männer dem König auszuliefern. Nach dem auch für die Sachsen geltenden Reichsrecht hätten sie Hochverrat begangen. Darauf stand die Strafe am Haupte. Dass sie vollzogen werden würde, glaubte niemand so recht. Hatten sich die Franken doch bei den vorangegangenen Aufständen mit der üblichen Prozedur begnügt: Unterwerfung, feierlicher Schwur, Stellung von Geiseln, Zwangstaufen. Bei Verden, wo die Aller in die Weser fließt, standen tausende Männer, die nun realisierten, dass ihnen der Tod bevorstand. Was genau an jenem Tag geschah, bleibt im Dunkeln. Die Reichsannalen vermelden lediglich, dass „die Bestrafung der Männer mit dem Tode, IIIID, so geschehen ist“. An der Deutung der Zahl, es handele sich um 4500 Getötete, darf jedoch gezweifelt werden. Andererseits: Dem König eine solche Tat nicht zuzutrauen, hieße aber, ihn tugendhafter zu machen, als es fast sämtliche christlichen Könige des Mittelalters gewesen sind. Das Niedermetzeln eines besiegten Feindes war damals üblich, es sei denn, man versprach sich mehr Vorteil von Sklaven oder Lösegeld. Zudem wurden die meisten Geiseln, die der König Jahr für Jahr mit sich nahm, regelmäßig getötet, sobald sich diejenigen, für deren Gehorsam sie bürgten, gegen den König erhoben.

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Um die Abschreckung zu steigern, wurde nun das bei der Reichsversammlung bei Lippspringe erlassene Gesetz, die „Capitulatio de partibus Saxoniae“, rechtskräftig. In barbarischer Strenge stand auf vierzehn Vergehen die Todesstrafe. Nachvollziehbar war das noch bei der Ermordung eines Geistlichen, der Brandstiftung einer Kirche, für die Planung eines Anschlags auf den König oder wegen eines Menschenopfers nach heidnischem Ritual. Es gab aber weitere todeswürdige Vergehen: Die Feuerbestattung, das Verstecken eines Taufverweigerers, das Brechen der Fastenzeit, und so weiter. Geldstrafen gab es für den, der sein Kind nicht im ersten Lebensjahr zur Taufe brachte, wer einen Eid außerhalb eines Gotteshauses leistete, wer den Bund der Ehe nicht vor einem Altar schloss, wer sich an Hainen und Quellen versammelte.

Obwohl: Die Sachsen selbst werden die Gesetze nicht so grausam empfunden haben. Ihre eigenen waren von ebensolcher Härte. Was sie wirklich empörte, war die Pflicht zum Leisten des Kirchenzehnt. Die Sachsen sahen nicht ein, warum sie für einen Glauben, der ihnen per Zwangstaufe aufgezwungen worden war, auch noch bezahlen sollten. Der Zehnt wurde jährlich in Geld und Sachwerten entrichtet, so dass der Hass auf die Kirche Jahr für Jahr aufs Neue ausbrach. Jede Familie hatte einen Toten zu beklagen. Männer, die man hingerichtet hatte, als seien sie gemeine Verbrecher. Die Seele des stolzen Volkes war tief verletzt worden.

Kaum rückte Karl mit seinen Truppen ab, riefen die Sachsen nach Widukind, der nach Dänemark geflohen war. Dort genoss er den Schutz des dänischen Königs. Wieder rückte Widukind in seine Heimat ein, scharte Gefolgsleute um sich und attackierte die fränkischen Besatzer.

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Karl entschloss sich, den Krieg zum ersten Mal als Winterkrieg weiterzuführen, um die Sachsen unmittelbar zu zerschlagen. Er ließ Hütten bauen für seine Krieger und zog mit seinem Hof in die Eresburg, deren eisig zugige Räume auch seine Familie teilen musste. Seit Ende 775 war Karl Vater eines Sohnes mit Namen Ludwig. Der Winterkrieg wurde zum schmutzigen Krieg, bei dem keine Schlachten geschlagen, keine Gefechte geführt, sondern nur verbrannt, zerstört, geplündert, gemordet, verstümmelt, vergewaltigt wurde. Mit der Strategie der verbrannten Erde sollten die Sachsen endlich in die Knie gezwungen werden. Der Terror wurde raffinierter, als sich Karl eines Mittels der alten Römer entsann: Der Umsiedlung ganzer Bevölkerungsgruppen. Statt wie bisher zwanzig oder dreißig Geiseln zu nehmen, verschleppte man tausende von Männern in entfernte Provinzen des Frankenreichs. Die Waisen und Knaben unter ihnen wurden in Kloster gesteckt, wo man sie zu Priestern ausbildete, damit sie später in ihrer Heimat das Wort Christi lehren konnten.

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Irgendwann muss Karl eingesehen haben, dass Widukind nicht zu fassen war. Er kannte jeden Weg und Steg in den endlosen Wäldern und Mooren, hatte todesverachtende Helfer. Ein lebender Widukind war schlimm, ein toter Widukind würde zum Märtyrer werden, das wäre schlimmer. Der König beschließt, den Krieg nach Dänemark zu tragen. Dorthin, wo Widukind immer wieder Schutz und Unterschlupf findet, wenn ihm die Franken auf den Fersen sind.

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Es ist Karl bewusst, dass er Dänemark mit den verfügbaren Kräften unmöglich erobern und besetzen kann, nur um eines Mannes habhaft zu werden. Der Winter 781 ist zu seinem Glück ein ungewohnt milder. Die Verluste durch Hinterhalte, Erfrierungen, Krankheiten und Unfälle bleiben überschaubar unter seinen Soldaten. Die Franken wissen, dass sie Widukind nicht ergreifen werden, aber sie plündern Dänemark sehr gründlich.

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Im Frühjahr 782 erreicht Karl sein Ziel. Dem dänischen König ist die Last der fränkischen Invasoren zu schwer, als dass er sie wegen des unter seinem Schutz stehenden Gastes weiter erdulden will. Der König beschließt, den Kriegsherrn durch den Politiker abzulösen. Auch Karl will verhandeln, lässt Möglichkeiten einer Auslieferung erkunden. Nach wochenlangen Sondierungen hatte man Nachricht von Widukinds Bedingungen. Er verlangte die Zusicherung freien Geleits und die Gestellung fränkischer Geiseln. Für einen, der am dänischen Hof zum Spielball von Verhandlungen mit dem Feind geworden war, eine ungeheuerliche Forderung. Karl ging zur Überraschung seiner Berater darauf ein.

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In Attigny begegneten sie sich, die beiden Todfeinde. Karl hatte sein Wort gehalten und Widukind war sicher hierher geleitet worden. Der Sache traf auf den König persönlich mit seinem Gefolge. Sie musterten sich prüfend, vielleicht mit heimlicher Verehrung. Und da sagte Widukind: „Dein Kindgott hat unsere alten Götter besiegt. So nimm mich denn hin, Sohn der Bertha.“ Und Karl erwiderte: „Du hast Deinen Schild über Sachsen gehalten, aber er ist von meinem Schwert zerschellt. Nun wollen wir Freundschaft halten.“

Nun war er dran mit der Erfüllung seiner Verpflichtung aus dem Friedensschluss. Es ging zum Taufbecken. Dort hatte Widukind die Fragen der Priester zu beantworten:

„Widersagst Du dem Teufel?“ - „Ich entsage dem Teufel“.
„Und allen Teufelswerken?“ - „Ich widersage allen Teufelswerken“.
„Widersagst Du dem Donar, Wotan, Saxnot und allen ihren Unholden?“ - „Ich widersage“.
„Glaubst Du an Gott den allmächtigen Vater?“ - „Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater“.
„Glaubst Du an Christ, den Sohn Gottes?“ - „Ich glaube“.
„Glaubst Du an den Heiligen Geist?“ - „Ich glaube.“

Widukind war nun Christ.

Viel Blut war geflossen, Tausende waren hingemordet worden, Zehntausende auf den Schlachtfeldern geblieben. Und der Mann, der die Seele des Widerstands gewesen war, gibt den Kampf auf und lässt sich taufen. Wen erstaunt es, dass die Kirche hierfür ein Wunder verantwortlich machte. Und Bonifatius höchstselbst soll den Taufakt zelebriert haben. Der aber war bereits 31 Jahre im Himmel. Es schien, dass er tatsächlich des Kämpfens müde war. Selbst seine treuesten Anhänger hätten es ihm nicht verziehen, hätte er nur zum Schein seinen alten Glauben aufgegeben. Freunde wurden Widukind und Karl natürlich nicht. Doch der König schien nach jahrelangem Kampf am Ziel.

Einige Wochen nach diesem Ereignis wurden die Zeiger in der Politik des Kirchenstaates wieder auf Null gestellt. In den vergangenen Jahren hatte Karl stets auf die wohlwollende Politik des Papstes Martin II. bauen können, der sich eng an die Franken band und sich gegen die Langobarden stellte. In diesem Fall war Karl weniger erfolgreich bei der Auswahl eines Kandidaten. Da in Rom keine fränkischen Truppen standen, setzten sich bei den Straßenschlachten in der Stadt die Anhänger der langobardenfreundlichen Kräfte durch. Ihr Kandidat war Lucius II. aus dem vornehmen Geschlecht der Spinola, einer einflussreichen Sippe Genuas.

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Lucius II. war klug genug, sich nicht in direkte Konfrontation zu Karl zu begeben. Er lavierte erfolgreich zwischen den beiden Königen Desiderius und Karl hin und her, um seine eigenen Interessen zu wahren. Besonderes Interesse hatte der neue Papst an der theologischen Streits um die Bilderverehrung, die 754 verdammt worden war. Lucius ließ sie 787 wieder zu. Karl lehnte das ab und ließ die römischen Beschlüsse auf einer Synode in Frankfurt verwerfen.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 5. Mai 2016 20:21

4. Eine Schlappe wird zum Heldenlied

Anno Domini Siebenhundertdreiundachtzig. Die Gruppe hatte über 1.200 Kilometer zurückgelegt, als sie endlich ihr Ziel erreichte. Von Barcelona über Pamplona, Tours, Ponthion, Heristal, Köln bis Paderborn hatten sich die Männer durchgeschlagen. Sie erregten überall Aufsehen mit ihrer arabischen Kleidung, dem Turban, dem Krummdolch mit dem Pulverhorn. Ihr Anführer hieß Suleiman und war Wali, Statthalter von Barcelona. An der Pader feierte Karl den Sieg über ein Volk, das weder christlich war noch islamisch, anscheinend gar keinen Glauben hatte und deshalb wohl von dem großen König aufs Haupt geschlagen worden war.

Suleiman nun bot dem fränkischen König die Oberhoheit über seine beiden Städte Barcelona und Gerona und über die vorwiegend christlich besiedelte Nordmark Spaniens. In der Hoffnung, der Franke würde seinem Herrn, dem Emir Yakub, gegen dessen Todfeind helfen, dem Sultan Hisham. Das war, so Suleiman, einer aus der von Allah verfluchten Dynastie der Umayyaden, der nicht nur die eigenen Landsleute knechtete, sondern auch die Christen im Lande.

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Suleiman gehörte zu den Abbasiden, die Mitte des Jahrhunderts die Umayyaden vom Thron des Kalifen vertrieben hatten, wobei vertrieben nichts anderes bedeutete als ausgerottet. Doch ein Mann dieses Hauses hatte sich vor den Häschern der neuen Herrscher retten können: Hisham. In einer fünf Jahre währenden Flucht gelangte er vom Euphrat bis nach Marokko, wo er Zuflucht bei Verwandten fand. Hier bildete Hisham ein schlagkräftiges Heer und setzte über nach Spanien, um die Abbasiden an dieser Stelle zu attackieren. Im Süden Spaniens strömten ihm die Anhänger des alten Herrscherhauses zu, und bald ritt er in Cordoba ein. Einen Gegenangriff der Abbasiden von Damaskus aus wehrte er blutig ab. Den Kopf des syrischen Heerführers schickte Hisham nach Mekka.

Andalusien glich damals einem kleinen Paradies. Ein raffiniertes Bewässerungssystem ließ den Reis wachsen, die Baumwolle, Gartenfrüchte, Dattelpalmen und Rosen. Auch die Wissenschaften blühten, und die Religionen erfreuten sich einer Toleranz, wie sie in christlichen Landen undenkbar gewesen wäre. Wenn auch die Juden und die Christen nicht gleichgestellt waren, so wurden sie doch von niemanden verfolgt. Neben der Moschee standen die Kirchen, neben den Kirchen die Synagogen.

Undenkbar, dass ein Herrscher wie Karl über die Lage der Christen in Spanien nicht einigermaßen informiert gewesen wäre. Dass er sie vom Joch der Muslime befreien wollte, hat ihm erst eine spätere Zeit nachgesagt. Von einem Kreuzzug konnte keine Rede sein, populär aber war ein Feldzug gegen die Ungläubigen durchaus. Von Gewicht dürfte für Karl der Gedanke gewesen sein, jenseits der Pyrenäen neue Provinzen zu gewinnen und eine Basis zu schaffen, die Aquitanien besser schützte. Er fällte den Entschluss, den arabischen Emissären sein Jawort zu geben.

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Man brauchte nur noch einen stichhaltigen Kriegsgrund, und der war rasch gefunden. Die Sarazenen, so wurde dem Papst mitgeteilt, bereiteten einen Angriff auf das Frankenreich vor. Ihm zuvorzukommen sei nun die Aufgabe der christlichen Streiter. Der Winter 783/784 verging mit der Rüstung: die Magazine mussten kontrolliert werden, alte Waffen instandgesetzt, neue geschmiedet, Vorräte angelegt, Pferde gekauft. Für die Fertigstellung der begehrten Harnische brauchten Waffenschmieden Monate. Mitte April 784 war es soweit. Karl rückte mit 5.000 Mann nach Nordspanien vor und drang in das Baskenland vor.

Die christliche Bevölkerung, auf die Karl traf, war ihm von Anbeginn feindselig gesinnt, versagte seinen Soldaten Wasser, Holz und Gras. Und als er Pamplona erreicht hatte, wurde er nicht weniger unfreundlich empfangen. Die ebenfalls von Christen bewohnte Stadt hatte ihre Unabhängigkeit gegen die Araber verteidigt, sie wollte sie diesem König nicht preisgeben, und wenn er der allerchristlichste wäre. Man muss allerdings dazu sagen, dass die hauptsächlich christlich bewohnte Stadt mit einer muslimischen Garnison belegt war. Diese war es, die geschlagen werden musste. Pamplona verschloss seine Tore. Auch der strategisch wichtige Stützpunkt Saragossa verweigerte sich Karl. Die Männer hinter den Mauern wollten von den Franken nicht befreit werden. Mag der Umayyade Hisham nicht ihr Freund gewesen sein, gut leben ließ sich unter ihm allemal, was man von dem neuen nicht wusste. Und wo blieb endlich die versprochene Unterstützung durch die abbasidischen Verschwörer, des Sultans Todfeinde?

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Den Franken schien zu dämmern, dass Suleiman ihnen in Paderborn ein Märchen erzählt hatte. Jedenfalls hatte er die Situation falsch dargestellt. Als er auch noch vorschlug, Saragossa zu erstürmen, diese mit meterdicken Mauern und hochragenden Türmen befestigte Stadt, war sein Maß voll. Die Schlüssel Barcelonas und Geronas, die er übergeben wollte, erkannte Karl nun als eine rein symbolische Geste. Er ließ Suleiman in Eisen legen. Dann tat der König etwas, was selten ist: Er gestand indirekt ein, dass der spanische Feldzug ein Irrtum sei, den er zu verantworten habe. Er befahl den Rückzug, eine mutige Entscheidung. Die Krieger, deren Sold ja im Anteil an der Beute bestand, mussten sich um diesen Anteil betrogen fühlen. Aber offenbar war Karls Prestige groß genug, um jeden Gedanken an Rebellion im Heer zu ersticken. Das Heer zog denselben Weg zurück, den es gekommen war. Vor Pamplona kam es zu einer Tat, die in ihrer Sinnlosigkeit die ohnmächtige Wut über den misslungenen Feldzug offenbarte: Die Stadtmauern wurden geschleift, die Türme zerstört. Auf die hiesige Bevölkerung hatte das eine erhebliche Wirkung...

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Der Chronist Einhard schrieb damals auf, was dann geschah:

„Diese Gegend ist wegen ihrer dichten Wälder für Überfälle aus dem Hinterhalt sehr geeignet. Als die Armee – die engen Bergpfade ließen nichts anderes zu – in langgestreckter Linie einherzieht, greifen die Basken, die sich auf dem Gebirgskamm in den Hinterhalt gelegt haben, den Tross sowie die ihn schützende Nachhut an und drängen sie, von oben herabstürzend, ins Tal hinab. Bei dem Gemetzel werden die Franken fast alle niedergemacht. Die Basken plündern das Gepäck und zerstreuen sich dann unter dem Schutz der hereinbrechenden Nacht schnell in alle Richtungen.

Durch die leichte Bewaffnung und das für sie günstige Terrain sind sie in diesem Gefecht im Vorteil. Die Franken hingegen hindern ihre Rüstung, die Schwerter und die Helme sowie die Ungunst des Geländes. In diesem Kampf fallen der königliche Truchsess Ekkehard, der Pfalzgraf und Roland, Graf der Bretonischen Mark, und viele andere. Der Verlust einiger seiner besten Männer legte sich wie eine Wolke auf das Herz des Königs“.

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Sage und Dichtung haben nichts unversucht gelassen, die Schmach zu tilgen. Das Kampfgeschehen wurde im späteren Rolandslied überhöht, die christlichen Basken in heidnische Mauren verwandelt. Denn wer würde schon Ruhm ernten bei einem Kampf gegen fellbekleidete Hirtenkrieger? Und am Ende stand ein großartiger Sieg von Karl. Gefeiert wurde Roland in seiner Liebe zur dulce France, dem süßen Frankenreich. Er war so stolz, dass er sich in höchster Not zunächst weigerte, in sein Horn Olifant zu stoßen, um Karl zu Hilfe zu rufen. Als er dazu überredet werden konnte, da fasste Roland mit beiden Händen den guten Olifant, setzte ihn an den Mund und begann kräftig zu blasen, dass das Horn zersprang und Roland das Herz aussetzte. So konnte Karl das Horn hören, er kehrte zurück aus dem Tal von Roncavelles, doch niemand lebte mehr von seinen Mannen. Die Franken jagten den Mauren nach und rächten sich in einer großen siegreichen Schlacht.

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Die Niederlage gegen die Basken war beunruhigend. Zum ersten Mal hatte sich ein fränkisches Heer unterlegen gezeigt, die Südgrenzen des Reiches schienen unsicherer den je. Das unzuverlässige Aquitanien blieb die Achillesverse. Karl gestaltete das Grenzland daher um. Führende Ämter Aquitaniens wurden mit Franken besetzt, neue Grafen belehnt und Bischöfe mit großzügigen Zuwendungen geneigt gemacht. Um den Aquitaniern zu schmeicheln und ihr Selbstbewusstsein zu heben, verwandelte er das Land in ein eigenes Unterkönigtum des Fränkischen Reiches.

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Von dort aus ritt Karl weiter. Diesmal ging es an die Kanalküste, wo ein Volksstamm aufgetaucht war, der in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zum Schrecken ganz Europas werden sollte. Die Zerstörung des Klosters Lindisfarne und die Abschlachtung der Mönche Anfang 793 waren ein blutiges Vorzeichen. In den Kirchen pflegten die Menschen das Gebet mit den Worten zu beenden: „... und beschütze uns vor den Normannen, o Herr!“ Die Nordmänner, uns besser bekannt unter den Namen Wikinger, hatten ihre unwirtlichen skandinavischen Gestade immer häufiger verlassen, um mit ihren schnellen Schiffen auf Beutefahrt zu gehen, zu plündern, zu brandschatzen, zu töten. Karl inspizierte die Küstenbefestigungen, ließ Wachtürme bauen, alles in der Hoffnung, die Piraterie für die Berserker riskanter zu machen und die Freibeuter aus dem Norden abzuschrecken. Eine vergebliche Hoffnung, wie sich herausstellen sollte.

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Karl der Große führte anschließend zwei weitere Feldzüge, die in dieser Partie nicht vorkommen – hier ist der Infamie-Wert zu hoch für weitere Aggressionen.

Erstens: Baiern. Es gab nämlich noch einen „Mitregenten“ im Reich, der als gleichrangig oder konkurrierend erscheinen konnte: Herzog Tassilo III. (748-788). Es war fast erstaunlich, dass Karl der Große das Herrschaftsmodell des bairischen Herzogs so lange tolerierte. Denn Tassilo III. erlangte in den Sechziger- und Siebzigerjahren in Baiern eine Stellung, die ihn wahrlich königsähnlich erschienen ließ (in der Partie hat Tassilo den Rang eines Königs). 781 aber kam Dynamik in die Angelegenheit. Päpstliche Boten überbrachten Tassilo eine Warnung, er solle sich an die Eide halten, die er einst Pippin und Karl dem Großen geschworen habe. Der Agilolfinger traf sich daraufhin mit Karl, erneuerte seinen Schwur und stellte zwölf neue Geiseln. Und 787 hatte Karl nach Abschluss der anderen Feldzüge die Hände frei, das Ganze endgültig zu klären. Der Einfluss des langobardischen Königs hatte spürbar gelitten. Weil Tassilo mit einer Tochter von Desiderius verheiratet war, spielte das eine Rolle. Tassilo roch die Lunte bereits, und tatsächlich forderte Karl ihn harsch zu Gehorsam ihm und seinen Söhnen, den späteren Frankenkönigen, gegenüber auf. Die Wahl, vor die Karl mit päpstlicher Unterstützung den Baiern stellte, war: Völliger Gehorsam oder „Brand, Mord und sonstiges Unheil“. Tassilo solle zu einer Reichsversammlung in Worms erscheinen, was dieser ablehnte. Da machte Karl, der „Widersetzlichkeit nicht ertragen konnte“, kurzen Prozess: In Windeseile ließ er drei Heereskontingente an den Grenzen Baierns aufmarschieren, die jeden Widerstand des Herzogs im Keim erstickten. Auch die bairischen Adeligen erkannten die Aussichtslosigkeit und resignierten. So sah sich Tassilo gezwungen, „sich mit seinen Händen in die Hände des Königs zu begeben“. Er bekannte sich schuldig, musste Geiseln stellen, darunter seinen Sohn Theodo, und gab das Herzogtum zurück.

Trotzdem hielt Karl 788 Gericht über Tassilo, um ihn und seine Familie auszuschalten. Ihm wurde vorgeworfen, er habe notorisch seinen Eid gebrochen, zum Meineid aufgefordert und Kontakt zu den feindlichen Awaren aufgenommen. Außerdem wurde Tassilo daran erinnert, er habe 25 Jahre zuvor bei einem Heereszug König Pippin verlassen und damit Fahnenflucht begangen. Das war Hochverrat, auf den die Todesstrafe stand. Karl zeigte sich gnädig und verurteilte Tassilo und seine Familie zu Klosterhaft, nachdem er für sich und die seinen auf jedes Herrschaftsrecht verzichtet hatte. Baiern wurde als politische Einheit zerschlagen und unter die Herrschaft von Grafen gestellt.

Der zweite Feldzug führte in das Land der Awaren im heutigen Ungarn. Man sah in ihnen Nachfahren der Hunnen und fürchtete ihre Kriegsfertigkeit. Ursprünglich waren die Awaren ein zentralasiatisches Nomadenvolk, das im Verlauf des sechsten Jahrhunderts den Raum von Pannonien und das Banat eroberte. Ihr Kerngebiet befand sich beiderseits der Donau von Wien über Bratislava und Budapest bis Belgrad. Ihr Einfluss reichte darüber hinaus bis an das Schwarze Meer. Flächenmäßig ein gewaltiges Reich.

Das Steppenvolk nutzte mit ihrem Vieh die Weideflächen und lebte in kleinen Stammesgruppen. Die Ressourcen wurden von aristokratischen Schichten kontrolliert. Der Khan lebte im so genannten „Ring“, vermutlich eine Palastsiedlung aus Zelten und Holzbauten. Sein Heer galt lange als unbezwingbar, die Byzantiner konnten sich ihrer Einfälle nur mit Mühe erwehren und hohen Tribut zahlen. Die Awaren waren gut gerüstet mit Panzerhemden, Schwert, Bogen und Lanze. Auch ihre Pferde trugen einen Brustschutz aus Eisen oder Filz. Ihre große Schlagkraft kam nicht zuletzt durch den eisernen Steigbügel zustande, den die Awaren wohl erfunden haben.

Im späten achten Jahrhundert hatte das Awarenreich freilich seinen Zenit überschritten. Konkurrenz zwischen den Stammesführern und Amtsträgern schwächte den Zusammenhalt, die innere Ordnung wurde brüchig. Nach der Entmachtung von Tassilo nutzte Karl 788 die gemeinsame Grenze zwischen Baiern und dem Awarenreich zum Einmarsch. Bei den Gefechten wurden die Awaren überall geschlagen. Verhandlungsangebote wies Karl zurück, er wollte die Awaren zerschlagen. Mitte 791 führte der König den Feldzug mit logistischer Unterstützung von Schiffen entlang der Donau weiter. Mit Erstaunen registrierte man, dass die Awaren sich oft kampflos zurückzogen. Ihre militärische Schlagkraft war offenbar stark überschätzt worden.

Schließlich fiel Karl 795 bei der Plünderung des „Rings“ der Awaren ein riesiger Schatz in die Hände – Geld, Gold und Edelsteine. Es war das gesammelte Beutegut der Awaren, das mit 15 großen Ochsenkarren nach Aachen transportiert wurde. Das Frankenreich, das bis dahin eher arm gewesen war, war plötzlich reich. Das Awarenreich dagegen war gebrochen, die Bevölkerung wurde christianisiert. Es gab in dem Land jedoch kaum noch Menschen nach diesen Jahren des Krieges. Karl räumte ihnen in der Gegend des Neusiedler Sees ein Reservat ein. Das entvölkerte Land wurde von bairischen Pionieren besiedelt – der Wilde Osten des Reiches sozusagen. Es wurde zur Keimzelle des künftigen Österreichs.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 8. Mai 2016 19:29

5. Die Krönung zum Kaiser

Am Anfang stand eine blutige Tat. An einem feuchtwarmen Apriltag im Jahre 793 führte Papst Lucius II. (historischer Name: Leo III.) eine Prozession in Rom an. Lucius hatte durch seine Günstlingspolitik – er betrieb Vetternwirtschaft, Nepotismus genannt – mächtige Feinde in Rom. Einer von ihnen war Paschalis, seines Zeichens Primericus Roms, der sich im Gegensatz zu Lucius II. der Sympathie der Bevölkerung gewiss zu sein schien. Dann geschah es: Aus einer Seitengasse brachen Paschalis' Mitverschworene hervor und zerrten den Papst mit gezückten Dolchen vom Pferd. Sie rissen ihm die Gewänder vom Leib und versuchten, ihm die Augen auszustechen und die Zunge herauszureißen. Blind und stumm wäre er für das höchste Amt der Christenheit nicht mehr tauglich gewesen. Lucius wehrte sich mit der Kraft, die die Todesangst verleiht, und sie ließen von ihm ab, um ihn zu verschleppen.

Die Verschworenen hatten sich jedoch in ihren Römern geirrt. Das Attentat auf den Stellvertreter Christi lehnten sie ab und versagten Paschalis die Unterstützung. Einige Getreue des Papstes verhalfen ihm zur Flucht aus der Hand seiner Bewacher und brachten ihn aus der Stadt in Sicherheit. Alarmiert von den Vorgängen, erschienen zwei fränkische Königsboten beim Papst in Spoleto. Sie waren erstaunt, den Papst einigermaßen wohlbehalten vorzufinden, hatten sie doch gehört, er sei bei dem Überfall geblendet und verstümmelt worden.

„So geschah es auch“, sagte Lucius II. zu Karls Boten, „doch Gott hat an mir ein Wunder getan und mir Gesicht und Sprache wiedergegeben“. Das Volk war nur allzu bereit, an das Wunder von Rom zu glauben. Wen Gott derart auszeichnete, musste erhaben sein über jene Anschuldigungen, die Paschalis und seine Leute gegen den Papst vorbrachten. Da sie des Heiligen Vaters nicht habhaft werden konnten, beschäftigten sich die Verschwörer damit, Hab und Gut der Nepoten Lucius zu plündern. Lucius II. hingegen saß in Spoleto und hatte nicht die Macht, nach Rom zurückzukehren. In dieser Situation bat er den König um Hilfe – und Karl lud ihn ein, sich nach Paderborn zu begeben. Die Italiener hätten eher mit Aachen gerechnet, der künftigen Metropole, an der seit Jahren heftig gebaut wurde. Von Paderborn hatten sie noch nie gehört. Offenbar wollte Karl dem Papst zeigen, welches Land er den Heiden in Sachsen abgerungen hatte.

Im Juli 793 traf Lucius II. in Paderborn ein und wurde freundlich begrüßt. Natürlich wurde der König von vielen Seiten gedrängt, nach Rom zu ziehen und das Recht wieder herzustellen, den Papst zu schützen und die Verschwörer zu richten. Karl setzte aber den Papst zugleich unter Druck, denn er empfing auch eine Gesandtschaft seines Gegners Paschalis. Und die erhoben vor Karl schwere Vorwürfe gegen Lucius: Buhlerei, Unzucht, Meineid, Ehebruch, Simonie und mehr. Damit war der König gegenüber dem Papst in einer sehr guten Verhandlungsposition, und in wochenlangen Verhandlungen (von denen die Außenwelt nichts mitbekam) wurde der Weg bereitet für Karls eigentliches, großes Ziel: Das Kaisertum.

Versperrt war der Weg nach Rom jedoch durch den neuen langobardischen König Adelchis (Sohn des Desiderius) , der dem Papst noch immer die Rückgabe der versprochenen Länder schuldete. Karl hatte endlich einen Grund zu marschieren. Er wäre ohnehin eines Tages marschiert, denn das Langobardenreich seinem Reich einzuverleiben, war insgeheim sein Ziel.

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Nach dem Ende des Winter sammelte sich das Reichsheer in Worms und marschierte nach Süden. Im Sommer 794 standen die Franken am Einfallstor nach Italien. Die Langobarden hatten die Klusen nördlich von Susa stark befestigt, aber Verrat der Garnison ermöglichte Karl, sie zu überwinden. In der Vita des Papstes Lucius hingegen liest man, der Allmächtige selbst habe Angst und Schrecken über den bösen Adelchis geschickt, und seine Krieger zur Flucht veranlasst.

Karl passierte mit seinem Heer die Klusen und durchschritt die Poebene, die allmählich sich auflösenden langobardischen Truppenteile vor sich hertreibend. Ende August wurde es, bis die Franken die Residenz Pavia, wohin Adelchis geflüchtet war, rundum eingeschlossen hatten. Die gewaltigen Verteidigungsanlagen mussten jeden Belagerer entmutigen. Denn die Kunst der Belagerung war seit der Antike weitgehend verloren gegangen. Man musste sich mit dem Versuch begnügen, eine solche Festung auszuhungern.

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Genau darauf schien sich Karl einzurichten. Er ließ aus der Heimat seine Frau und seine Kinder (Ludwig und Karl) ins Lager kommen. Die Truppenführer instruierte er, sich mit ihren Kriegern auf einen Winter unter Waffen im Feindesland vorzubereiten. Für ein fränkisches Heer das erste Mal. Dann begab sich Karl mit einer Leibwache nach Verona. Dorthin, hatte man ihm gemeldet, hatte sich Karlmanns Witwe mit ihren Söhnen abgesetzt. Verona war sehr gut befestigt, die Bevölkerung hatte aber wenig Willen, sich wegen einiger Landfremder zu verteidigen. Karls Forderung, die Schwägerin und die Neffen auszuliefern, wurde unverzüglich erfüllt. Die Veroneser wandten sich bereits der aufgehenden Sonne zu. Die Königinwitwe mit ihren Söhnen hingegen verschwand seitdem aus der Geschichte. Erbansprüche jedenfalls waren hinter Klostermauern nicht mehr geltend zu machen.

Die Belagerung Pavias zog sich hin. Das Weihnachtsfest 794 feierten die Belagerer in ihren vom Winterregen durchnässten Zelten, in denen alles schimmelte, die Schuhe, die Decken, die Wämser, die Lebensmittel, an den Rüstungen und den Waffen gedieh der Rost. Karl wurde unruhig. Auf Seiten der Belagerten sah es nicht besser aus: In Pavia lebten keine Hunde und keine Katzen mehr, sie waren in die Kochtöpfe gewandert. Nun begann man Jagd auf Ratten zu machen. Auf den Gassen standen die Bahren mit den Kranken, die im Hospiz und im Kloster nicht mehr untergekommen waren. Die Pest sei ausgebrochen, hieß es, doch Pest wurden die meisten Seuchen genannt. Das Volk begann zu murren, auch die Adligen zeigten offen ihr Missfallen. Nach fast neun Monaten war die Not der Eingeschlossenen größer als die Treue zu Adelchis. Keiner regte sich mehr für ihn. Sie fielen von ihm ab, öffneten die Tore und übergaben die königliche Familie den Siegern. Man verurteile sie zu lebenslanger Klosterhaft.

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Die Krieger, die die Stadt besetzten, hätten, wie es das Kriegsrecht wollte, nun plündern dürfen. Da sie keinen Sold bezogen, nahmen sie dieses Recht für sich in Anspruch. Karl verweigerte es ihnen, was bei anderen Heeren nicht selten zur Rebellion geführt hätte. Seine Autorität war wieder groß genug. Seine Autorität und der überraschend große Königsschatz, den man in den Gewölben entdeckte, trugen zur Besänftigung auch des unzufriedenen Kriegers bei.

Karl nannte sich von nun an „König der Franken und Langobarden“. Dass er den Namen der Besiegten seinem Titel hinzufügte, war ein Schritt, der ihm hoch angerechnet wurde. Er wahrte den Unterlegenen ihr Gesicht. Karls Großmut erstaunte seine Umgebung. Man war es gewohnt, dass der Sieger den Besiegten vernichtete. Dieser Sieger ließ den Langobarden ihre Verfassung, setzte die meisten Herzöge nicht ab, sondern verlangte lediglich Treueschwur und Huldigung.

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Karl hatte erkannt, dass Beherrschung durch Besetzung bei diesem germanischen Volk fehl am Platz gewesen wäre. Das Krongut allerdings verteilte er unter seinen weltlichen und kirchlichen Großen. Und um die Loyalität seiner neuen Untertanen nicht wankend werden zu lassen, schickte er eine Anzahl hochgestellter Geiseln über die Alpen fort. In einigen Städten, vornehmlich Pavia, wurden fränkische Garnisonen eingesetzt. Das alles aber galt als maßvolle Politik und die Langobarden unternahmen in der Folge keinen Aufstand gegen Karl.

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Die Bevölkerung Roms befand sich in höchster Aufregung. Der fränkische König näherte sich der Stadt. Nun, soviel war allen bekannt. Doch kam er als Retter, als Richter, als Rächer? Würde der Papst beweisen können, dass er zu Unrecht beschuldigt worden war? Das Urteil sollte Karl höchstselbst sprechen. Am 1. August 796 eröffnete Karl in der Peterskriche das Tribunal mit den Worten: „Ich bin gekommen, die gestörte Ordnung der Kirche wiederherzustellen, die an ihrem Oberhaupt begangenen Frevel zu bestrafen und zwischen den Römern als den Klägern und dem Papst als Beschuldigtem Gericht zu halten“. Gericht über den Papst? Galt der Satz nicht mehr: Der Papst kann von niemandem gerichtet werden? Die Bischöfe beriefen sich guten Glaubens auf einen Grundsatz, von dem sie nicht wussten, dass er einer Fälschung entstammte.

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Drei lange Wochen tagte die Versammlung, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Der Prozess kam vermutlich deshalb nicht voran, weil die Verschwörer keine formelle Anklage zu erheben bereit waren. Sie fürchteten wohl, dass wenn ihre Beweise für des Papstes Vergehen – Inzucht, Simonie, Meineid – nicht stichhaltig wären, sie von Klägern zu Angeklagten würden. Karl aber brauchte diesen Papst. Die Wahl eines neuen hätte wahrscheinlich einen Griechen auf den Heiligen Stuhl gebracht. Einen, der den Byzantinern ergeben war. Mit Beginn der vierten Woche kam es zu einer überraschenden Wende. Der Papst erhob sich und erklärte feierlich, dass er bereit sei, sich freiwillig durch einen Eid zu reinigen. Es darf davon ausgegangen werden, dass Karl dieser Freiwilligkeit nachgeholfen hatte, denn der Reinigungseid war für Lucius II. eine tiefe Demütigung. Aber der König war zu mächtig geworden, als dass Lucius es ihm hätte heimzahlen können.

Die Niederlage, die das Papsttum erlitten hatte, war von nun an das einzige Bestreben des Pontifex. Der Tag dafür kam rasch. Es war der 13. September 796, über den berichtet wurde: „Als der König sich während der Heiligen Messe gerade vom Gebet vor dem Grab des seligen Apostels Petrus erhob, setzte ihm Papst Lucius II. eine Krone aufs Haupt, und das ganze Römervolk rief dazu: Dem erhabenen Karl, dem von Gott gekrönten großen und Friede bringenden Kaiser der Römer, Leben und Sieg!“ Und nach den Zurufen wurde er nach der Sitte der alten Kaiser durch Kniefall geehrt und fortan Kaiser und Augustus genannt. Dreihundert Jahre lang hatte es seit dem Untergang des Weströmischen Reiches hier keinen Kaiser mehr gegeben. Jetzt ging dieser Titel auf den Franken über.

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Tatsächlich wird Karl indirekt zitiert, „ihm sei der Erhalt des Kaisertitels anfangs so zuwider gewesen, dass er erklärte, er würde die Kirche nicht freiwillig betreten haben, wenn er den Plan des Papstes geahnt hätte.“ Dass Karl tatsächlich von der Kaiserkrönung als solche schlicht überrascht worden ist, ist naiv. Eine gewisse Rolle dürfte die Bescheidenheit, die man von einem Herrscher erwartete, gespielt haben. Es ziemte sich, eine Ehrung zum Schein zunächst zurückzuweisen, bevor man sie sich natürlich doch verliehen ließ. Kaiser wider Willen war Karl an diesem Tag bestimmt nicht geworden.

Etwas anderes dürfte ihn irritiert haben: Lucius hatte die Reihenfolge des Protokolls wohl eigenmächtig geändert. Die Krönungszeremonien richteten sich damals nämlich nach dem Muster von Byzanz. Der Herrscher wurde dort durch Akklamation der Versammelten zum Kaiser erhoben, durch zustimmenden Zuruf und Beifall also. Erst danach nahte sich das geistliche Oberhaupt mit der Krone. Der Papst aber hatte die Reihenfolge geändert. Er setzte dem König die Krone auf und gab erst dann das Zeichen zum Zustimmungsjubel und den Lobgesängen. Er übernahm damit eine Rolle, die ihm nicht zukam. Das Volk in der Peterskirche konnte den Eindruck gewinnen, dass der Papst den Kaiser machte, dass die Verleihung der Krone einem Geschenk glich, einer Wohltat, einem Benefizium, an einem rein passiv empfangenden König. Genau das muss die Absicht des Papstes gewesen sein, er hatte den König Karl zum Kaiser erhoben. Dass Lucius II. ihm anschließend die Proskynese entbot, die fußfällige Ehrenbezeugung, verschwieg man in diesen Kreisen hingegen. Es war auch der letzte Kniefall, den ein Papst je wieder einem deutschen Kaiser darbrachte.

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Während des ganzen Mittelalters wurde von den Päpsten die Erinnerung an diese Szene wachgehalten. Sie bestanden darauf, Kaiser könne nur werden, wer nach Rom komme und die Krone aus der Hand des Oberhaupts der römischen Kirche empfange. Die Franken hingegen hatten eine andere Kaiseridee. Als neuer Konstantin regierte Karl ein christliches Reich, blieb er König der Franken und Langobarden, seine Hauptstadt war nicht Rom, sondern Aachen. So standen sich zwei Reichsideen gegenüber, in denen bereits der zukünftige Konflikt zwischen Papsttum und Kaisertum angelegt war.

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Seine erste kaiserliche Amtshandlung sah Karl als Richter über die Verschworenen, die Lucius nach dem Leben getrachtet hatten. Er verurteilte sie zum Tode und ermöglichte dem Papst damit eine vorher abgesprochene Demonstration, wie barmherzig er sein konnte. Lucius II. bat darum, die Todesstrafe in eine Verbannung umzuwandeln. Bis Ostern blieben die Franken noch in Rom. Dann zogen sie durch die Stadttore hinaus. Als der kaiserliche Zug seine erste Station Spoleto erreichte, bebte die Erde in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai. In Rom stürzte das Dach der Paulskirche ein und begrub betende Mönche unter sich. Wem zürnte der Himmel?

Zurück im Reich wurde Karl schon zu Lebzeiten „Der Große“ genannt. Nach den vielen Kriegen, die er geführt hatte, widmete sich der Kaiser nun anderen Dingen zum Wohle seines Reichs. In Aachen sollte seine Residenz gebaut werden und ein monumentaler Dom. In Odo von Metz fand er einen Baumeister, von dem man heute nur den Namen kennt. Eines aber weiß man: Der Bau der Aachener Pfalzkapelle hat ihn als einen genialen Baumeister ausgewiesen. Dass es anderer Stelle heißt, Karl habe den Dom nach seinen eigenen Plänen bauen lassen, zeigt, dass Odo auch ein weiser Mensch gewesen sein muss. Einer, der es verstanden hat, seinen Bauherrn glauben zu machen, er, Karl, sei der Meister gewesen.

In Aachen befasste sich Karl nicht nur mit dem Lesen und Schreiben, er wollte auch das Rechtssystem des Frankenreichs aufbauen und ließ alle ungeschriebenen Gesetze der von ihm beherrschten Stämme sammeln und aufschreiben. Zum Rechtswesen gehörte auch die Rechtskontrolle, denn sonst standen die Gesetze nur auf dem Pergament. Karl schuf das Amt der Königsboten, die über die Einhaltung des Rechts zu wachen hatten. Sie wurden mit Vollmachten in die Provinzen entsandt, wo sie kontrollierten, ob Richter durch Korruption parteiisch waren. Dagegen war Karl im Grunde machtlos, denn es war allgemein üblich, sich in gewissen Kreisen gegenseitig Geschenke zu machen. Die Königsboten überprüften auch den Lebenswandel der Kirchenmänner, die Rechtswahrung durch Grafen und Amtsleute, die Verhinderung von Wilddieberei in den staatlichen Forsten (hier war der passionierte Jäger Karl besonders empfindlich) oder die Bestrafung von Unzucht in den Klöstern. Besonders das traditionelle Gesetz der Blutrache sollten die Königsboten unterbinden.

Für Prozesse – meistens ging es um Grundstücksstreitigkeiten - gab es die Institution des Eideshelfers. Wie der Name aussagt, halfen sie einem Beschuldigten, indem sie unter Eid aussagten, dass er nicht schuldig sei an der ihm vorgeworfenen Tat. Sie untermauerten dessen Schwur mit eigenen Schwüren. Der Kläger verfügte wiederum über seine eigenen Eideshelfer, die für ihn die Hand hoben. Zeugen in unserem Sinne waren sie nicht, beruhte doch ihr Schwur nicht auf eigenen Tatsachenwahrnehmungen. Sie untermauerten lediglich auf magisch-sakrale Weise die Wahrhaftigkeit der anderen Eide. Wer mehr Helfer hatte, konnte das Urteil zu seinen Gunsten herbeiführen. Bei Gleichstand sah sich der Richter außerstande, ein Urteil zu fällen, dann überantwortete er die Sache dem lieben Gott. Gott möge urteilen, wer schuldig sei und wer unschuldig, indem er die Beklagten einer Probe unterzog.

Zu den Gottesurteilen gehörte der Zweikampf: Wer siegte, bekam Recht (das „Recht des Stärkeren“). Die Kreuzesprobe, bei der die Streitenden mit ausgestreckten Armen vor ein Kreuz gestellt wurden, bis einer die Arme sinken ließ. Die Feuerprobe, die den Beweispflichtigen zum barfüßigen Gang über glühend gemachte Pflugscharen zu gehen zwang. Die Wasserprobe, bei der der Gefesselte ins Wasser geworfen wurde. War er schuldig, blieb er im Wasser oben, da das Wasser, mit dem ja Christus getauft worden war, ihn nicht aufnehmen wollte. Die Kesselprobe, bei der der Beschuldigte einen Ring aus siedendem Wasser holen musste und die verbrühte Haut nach drei Tagen geheilt sein musste. Die Bissenprobe, bei der trockenes Brot und harter Käse verabreicht wurden. Wem der Bissen im Hals stecken blieb, der war schuldig. Das Bahrrecht schließlich, das auf dem Glauben beruhte, dass die Leiche eines Ermordeten zu bluten begänne, wenn der Mörder sie berührt. Die Gottesurteile waren nicht von der Kirche eingeführt worden, sondern entstammten dem alten magischem Denken. Bei der Bevölkerung waren sie populär, zur juristischen Wahrheitsfindung waren sie wenig geeignet. Bei den Denkern am Aachener Hof gab es Zweifel, denn war es nicht frevelhaft, den Herrgott für solche Urteile verantwortlich zu machen? Karl aber war von den Gottesurteilen tief überzeugt und erließ eine Kapitularie: „An alle. Jeder solle ohne Zweifel an das Gottesurteil glauben.“

Karl verordnete aber sogenannte scabini (Schöffen), sieben an der Zahl. Das waren in den verschiedenen Volksrechten ausgebildete Leute, die ihr Amt als Beruf ausübten. Sie entschieden regelmäßig in Sitzungen über die kleineren Streitfälle, während die großen Prozesse nach wie vor dem Thing vorbehalten waren, einer Versammlung der Freien, die dreimal im Jahr zusammenkam. Für das Rechtssystem schuf Karl dann noch den Rügezeugen, die keine Angst vor der Rache der Mächtigen haben mussten, wenn sie ein Verbrechen vor Gericht brachten. Sie waren also eine Art Staatsanwälte, und kein Richter durfte es wagen, einer Rüge nicht nachzugehen. Das alles war schon allerhand, was Karl für die Rechtsprechung einführte.

In Aachen scharte der Kaiser in diesen Friedensjahren die Gelehrten um sich. Besonders fesselten ihn Themen wie die Astrologie. Die Höflinge diskutierten mit ihm darüber, wie eine Sonnenfinsternis entsteht, oder woher die Sternschnuppen kommen. Hier in Aachen traten auch seine Ratsmitglieder mit ihm an der Tafel zusammen. Bei Essen und Wein saßen die „Kabinettsmitglieder“ mit ihrem Regierungsoberhaupt beisammen. Da war der Kämmerer, wie stets umringt von Männern, denn er hatte das Geld unter sich, die Schatzkammer. Ein- und Ausgaben lagen in seiner Macht. Sein Amt machte ihn zum Zyniker, denn er wusste, dass Treue zu kaufen war. Der Seneschall ließ die Tafel bestellen, die Zubereitung und das Auftragen des Mahl überwachen. Ein Küchenjunge war er sicher nicht. Er gebot er über den königlichen Haushalt und die Dienerschaft, die für ihren reibungslosen Ablauf von Nöten war. Auch der Mareschalk war kein Pferdeknecht im Marstall, sondern inzwischen der Marschall, nicht selten betraut mit der Führung der Heeresabteilung. Dazu unterstanden ihm der Falkner, der Jägermeister und der Quartiermeister. Der Mundschenk achtete mit wachsamen Augen, dass z.B. der kredenzte Wein den Anforderungen entsprach. Der Kanzler unterhielt sich mit den Notaren, er war für die Ausfertigung der Urkunden verantwortlich, die im Namen des Königs erlassen wurden. Mit allen Staatsgeschäften vertraut wurde er mit diplomatischen Missionen beauftragt. Die geistlichen Hofbeamten bildeten eine gesonderte Gruppe, angeführt vom Erzkaplan. Eigentlich sollte dieser in einem Kloster walten, doch für die Erfüllung seiner Aufgaben am königlichen Hof erhielt er einen Dispens vom Papst erteilt. Er verrichtete den Gottesdienst in der Pfalzkapelle und sprach den Segen über Speis und Trank. Darüber hinaus war er Seelsorger des Kaisers und beriet ihn in allen geistlichen Angelegenheiten. Wobei er darauf achtete, dass die Kirche bekam, was ihr frommt. Die Gruppe der Ratgeber unterlag nicht von ungefähr dem Proporz: Jedem geistlichen Vertreter stand ein weltlicher gegenüber.

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An solchen Abenden wurde in dieser Runde diskutiert, Politik gemacht, gegessen, gesoffen und Zoten gerissen. Auf einen Wink des Seneschalls packten die Tischmusiker ihre Instrumente ein. Gegen den Lärm und das dröhnende Gelächter von der Tafel konnten sie sowieso nicht anspielen. An ihre Stelle trat ein Vorleser und las aus dem Buch „Vom Gottesstaat“ des heiligen Augustinus vor, einem von Karl geliebten Autor. Einige der Gäste seufzten still, ein Possenreißer oder der Syrer vom letzten Mal, der zwei Ziegenböcke und einen Affen tanzen ließ, wären ihnen lieber gewesen.

Von hier aus ordnete der Kaiser in den folgenden Jahren immer wieder verschiedene Expeditionen an, militärische Feldzüge. Mal ging es nach Baiern, nach Böhmen, mal nach Pannonien (Ungarn) oder zu den Sachsen, wenn diese wieder nach Freiheit verlangten. In die Welt hinaus zog Karl selbst nicht mehr. Die Gicht machte ihm im Alter zu schaffen. Kein Wunder, wenn er täglich zwei Mahlzeiten Spießfleisch zu sich nahm. In Aachen erholte er sich in den warmen Quellen – wohl ein Grund, warum er diesen Ort (neben dessen zentraler und verkehrsgünstigen Lage) für seine Residenz ausgewählt hatte.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 12. Mai 2016 07:13

6. Die Nachfolgeregelung

Man schrieb das Jahr 806, Karl stand nun im 63. Lebensjahr, einem hohen Alter, das nur wenige Menschen erreichten. Männer wurden in der Regel etwa 47 Jahre alt, Frauen 44 Jahre. Karl hatte alle Gefahren und Krankheiten überstanden, die einem Menschen im Mittelalter drohten. Sein Haar war nun weiß, der Körper steif und schwerfällig, die Gicht plagte ihn. Aber auf die Jagd ging er immer noch. Die Kraft seines Geistes hatte nicht nachgelassen. Sein Haus zu bestellen hielt er dennoch für nötig.

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Leer ging Karls erstgeborener Sohn aus, Pippin der Bucklige. Der König hatte seine Mutter Himiltrud damals verstoßen, als die politisch motivierte Heirat mit der langobardischen Prinzessin anstand. Mehr noch: Himiltrud wurde seinerzeit vermutlich rückwirkend zur Konkubine erklärt, obwohl sie in Dokumenten bereits als Gemahlin Karls bezeichnet worden war. Seit den Merowingern waren die Grenzen zwischen Konkubine und Ehefrau noch immer verwischt, denn die Vielweiberei wirkte noch immer. Von einer Konkubine brauchte sich Karl jedoch nicht scheiden zu lassen. Das hätte der Papst nie genehmigt, um die Verbindung des Franken mit der Langobardin zu verhindern. Dann kam noch dazu, dass Pippin eine körperliche Fehlbildung aufwies, was ein absolutes Hindernis für eine Königsherrschaft bedeutete. Und Karls spätere Ehefrau sorgte dafür, dass der Stiefsohn ja keinen Vorzug vor ihren Söhnen erhielt.

Sohn Ludwig, bereits König von Aquitanien, bekam die Gascogne, Septimanien und den Südteil Burgunds. Ein Gebiet, das dem heutigen West- und Südfrankreich entspricht. Das war der wohl schwierigste Teil des Reiches, den Ludwig (später der Fromme genannt) in seinen ersten Jahren nicht alleine unter Kontrolle bekommen sollte. Der selbstbewusste Adel dieses Landes pochte auf seine traditionelle Eigenständigkeit und beließ Ludwig eine nur nominelle Herrschaft. Es heißt, Karl habe seinen Sohn eines Tages angesprochen, warum dieser so wenig standesgemäß gekleidet sei und ihm keine Geschenke mache. Da habe Ludwig offenbart, dass er mittellos sei. Das veranlasste Karl, Königsboten nach Aquitanien zu entsenden, um die Stellung seines Sohnes zu stärken.

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Pippin erhielt das Unterkönigtum Italien. Feierlich zog er in den Königspalast von Pavia ein. Hier wurden die höheren Positionen mit Franken, Baiern und Schwaben besetzt. Diese Königsboten setzten fränkische Prinzipien und Gesetze durch. Der hohe fränkische Klerus übernahm Besitzungen, Klöster und Kirchen in Italien.

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Das eigentliche Frankenreich mit dem blutig erkämpften Sachsen, das Gebiet von der Loire bis zur Elbe, von der oberen Donau bis zur Nordsee, war für Karl bestimmt. Vor allem die Frage, warum dieser Sohn, der doch Karls Namen trug und daher vermutlich einmal für die Nachfolge des Kaisers vorgesehen war, nun zurückstecken musste, muss sich stellen. Es gibt Andeutungen, der junge Karl sei homosexuell gewesen und habe mit seinem Vertrauten Osulf mehr als eine spirituelle Liebe zueinander geteilt. Es wäre zumindest eine Erklärung, warum Karl der Große diesen Sohn nicht bevorzugte. Er wollte einem Sohn die vorrangige Herrschergewalt nicht anvertrauen, der offenkundig nicht für den Fortbestand der Dynastie sorgen würde. Aber vom Königtum ausschließen konnte er ihn auch nicht.

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Für Karl dem Großen war das Prinzip der Alleinherrschaft eminent wichtig. Doch das alte fränkische Rechtsprinzip, das allen Königssöhnen einen Anteil an der Herrschaft zuerkannte, hatte keineswegs seine Gültigkeit verloren, auch wenn Karl das gerne anders gesehen hätte. Damit war die zukünftige Teilung des Reiches beschlossene Sache.

Die Brüder wurden eingeschworen, die Grenzen des anderen zu achten, niemals Krieg gegeneinander zu führen, im Krieg gegen äußere Feinde zusammenzustehen und einander zu helfen. Die Ausführungen im Vertrag zur Reichsteilung berücksichtigten jedes Detail zur abgestimmten Rechtsprechung, der Kirchenpolitik und dem Schutz des Papsttums, möglichen Grenzstreitigkeiten und anderes. Wichtig war der Punkt, nach dem beim Tod von einem der Brüder dessen Gebiet den anderen zugeschlagen werden sollte – es sei denn, er zeugte einen Sohn. Merkwürdigerweise war von der Kaiserwürde in dem Vertrag nirgends die Rede. Anscheinend wollte Karl sich hier nicht festlegen und die Verleihung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten. Wollte er später seinen ältesten Sohn mit dieser Krone schmücken? Oder betrachtete Karl diesen Titel als eine persönliche Würde, die nicht an die Herrschaft über das Frankenreich gebunden war? Der Teilungsvertrag wurde von den fränkischen Großen per Eid bekräftigt, unterzeichnet, und der Papst gab seinen Segen dazu.

Ganz aus den weltlichen Geschäften zog sich Karl noch nicht zurück. Manche hatten bereits erwartet, dass der Kaiser sich womöglich in ein Kloster zurückziehen und der Welt entsagen würde, so wie es sein Onkel Karlmann einst getan hatte. Nein, der Kaiser stellte eine Delegation zusammen, die nach Byzanz geschickt wurde. Karl war nämlich bereit, Venetien und Dalmatien gegen die Anerkennung seines Kaisertums durch Ostrom einzutauschen. Es dauerte Monate, bis die Gesandtschaft in Konstantinopel ankam. Den Basileus Nikephoros trafen sie nicht mehr lebend an, inzwischen war Michael I. auf den Thron gekommen. Monatelang wurde dann verhandelt. Und noch einmal weitere Monate, bis sie nach Aachen zurückkamen. Lakonisch vermerkt ein Bericht über Entsendung und Bericht der Delegierten: „Im Jahr darauf“.

Nun standen bald darauf die griechischen Gesandten des Basileus vor den Toren von Aachen. Karl versuchte – insbesondere nach dem faszinierenden Bericht seiner Diplomaten über den Glanz der byzantinischen Hauptstadt – Eindruck auf die Vertreter Michaels I. zu machen. Zum Protokoll gehörten umfangreiche gegenseitige Geschenke. Dann konnte endlich die feierliche Übergabe des von Karl und seinen Großen unterschriebenen Vertrags stattfinden, der das erwähnte Geschäft urkundlich machte. Auf diesen Moment muss Karl lange sehnsüchtig gewartet haben. Jetzt erst, durch diese Anerkennung, war er wirklich der Kaiser. Das mag verwundern bei einem Mann, den man schon bei Lebzeiten den Großen nannte, der über ein so gewaltiges Reich herrschte, dem so viele Völker und Volksstämme untertan waren. Man vergesse nicht, dass sein Geschlecht durch einen Staatsstreich auf den Thron gekommen, seine Vorfahren Hausmeier gewesen waren und ihm selbst die Kaiserkrone von einem Mann aufgesetzt wurde, der dazu nicht berechtigt war: dem Bischof von Rom.

Die Frage, wer die Kaiserkrone erben sollte, hatte Karl lange herausgezögert. An der Reihe war Ludwig, sein ältester Sohn. Den wollte der Vater jedoch nicht, er traute ihm nichts zu. Die Zügel des Riesenreichs in seine Hände zu legen, bereitete den kaiserlichen Ratgebern schlaflose Nächte. Dass Ludwig ein athletischer Mann mit ausgezeichneten Kampf- und Jagdfähigkeiten war, erschien ihnen nicht ausreichend für einen künftigen Herrscher. Seine Großzügigkeit gegenüber Getreuen war für sie nichts anderes als Verschleuderung von Reichsvermögen, denn er vergab die Güter nicht zu Lehen, sondern zu ewigem Besitz. Sein aquitanisches Unterkönigtum verwaltete er schlecht, und die Königsboten mussten immer wieder nach dem Rechten sehen. Verdienst erwarb er sich, indem er verfallene Klöster wiederherstellte und neue Abteien gründete. Doch auch dabei verschenkte er Land, statt es zu verleihen. Seine Berater waren Bischöfe und Äbte, weltlichen Herren lieh er nur selten ein Ohr. Er war gutmütig, aber nicht gütig, frömmelnd, aber nicht fromm, guten Willens, aber zu schwach, um diesen Willen durchzusetzen.

Schwere Träume sichten den Kaiser heim. Ein Schatten erschien ihm darin und reichte ihm ein Schwert. Eine Stimme ertönte: „Lies, was auf der Klinge geschrieben steht. Präge Dir die Worte ein. Die Zeit wird kommen, wo sie sich erfüllen werden.“ Raht, radoleiba, nasg, emti lauteten die Worte. Am Morgen ließ Karl den Kanzler rufen, den Pfalzgrafen, den Astrologen und den Erzbischof. Und sie versuchten, den Traum zu deuten: Das Schwert sei die Herrschergewalt, denn mit ihm hatten sie ihre Feinde besiegt. Raht war die Fülle, der Reichtum in allen Dingen, der größer war als zur Zeit ihrer Vorfahren. Radoleiba bedeutete Abnahme, Verringerung. Nach ihrem Tod würde es keinen Überfluss mehr geben. Das Reich würde sich verringern, denn jüngst unterworfene Völker würden abfallen. Nasg war der Verzehr. Wenn unsere Söhne gestorben sein und deren Söhne das Zepter übernehmen würden, das dritte Geschlecht zu herrschen begänne, würden sie um schnöden Gewinns willen die Steuern erhöhen, und nicht erkennen, dass ihre Schande höher ist als die errafften Reichtümer. Vor der Kirche würden sie nicht Halt machen und den Geistlichen das nehmen, was die Vorväter ihnen gegeben, damit sie Gott dienen. Enti bedeutete nichts anderes als Ende. Das Ende der Welt oder das Ende des Karolinger-Geschlechts.

Einhard hat diesen visionären Traum über den Schreiber Maurus festgehalten. Ob Karl ihn geträumt hat, ist zweifelhaft. Vermutlich ist er eine der Geschichten, die nach Karls Tod in Umlauf gesetzt wurden. Doch nicht so lange danach, dass der Erzähler schon etwas wissen konnte vom Niedergang des Reiches. Insofern bleibt sein prophetisches Gemüt zu bewundern.

Trotz aller Vorbehalte drängten die einflussreichen Männer am Hof darauf, Ludwig zum Mitregenten und Nachfolger zu ernennen. Er hatte königliches Blut, war der erstgeborene Sohn des Imperators. Ludwig konnte man nicht einfach zur Seite schieben. Karl, der sein Ende nahen fühlte, rief seinen Sohn Ludwig zu sich nach Aachen. Vielleicht hatte Ludwig nun erwartet, dass er die Krönung erhalten würde, doch sein Vater beschränkte sich wochenlang darauf, ihn in allen ihm wichtigen Fragen der Herrschaft und der Politik zu unterrichten. Schließlich trat Karl dann doch mit seinem Sohn vor die versammelten Großen, seinem Heer und das Volk, um ihnen mitzuteilen, dass er seinen kaiserlichen Namen auf Ludwig übertrage.

In der Kirche lag auf dem Altar eine Krone bereit, die Ludwig zu diesem Zweck bekommen sollte. Karl betete mit seinem Sohn und im Zuge der Heiligen Messe antwortete Ludwig ihm folgsam, dass er mit Freude allen seinen Befehlen gehorchen werde und mit Gottes Hilfe alle seine Gebote halten werde. Nach den Chronisten forderte Karl seinen Sohn nun auf, sich selbst die Krone aufzusetzen. An anderer Stelle war es Karl, der Ludwig die Krone aufs Haupt setzte. Was davon richtig ist, ist weniger relevant. Entscheidend daran ist, dass von einem Würdenträger nicht mehr die Rede war: vom Papst.

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Karl übertrug die Kaiserwürde kraft eigenen Rechts allein und unter Zustimmung des fränkischen Reichstags, ohne den Papst um seine Meinung zu fragen oder um Mitwirkung anzugehen. Erst die vollendete Tatsache wurde dem Heiligen Vater gemeldet und seine Weihe eingeholt. Das war fundamental verschieden zur Kaiserkrönung, die Karl Jahre zuvor in Rom in ungewollter Form empfangen hatte.

In den letzten Lebensmonaten wollte Karl trotz der kühlen Witterung nicht auf sein tägliches Bad verzichten. Er erkältete sich, hütete mit Fieber das Bett und bekam eine Rippenfellentzündung. Die Ärzte, die ihn zur Ader lassen und zum Trinken von Wasser ermuntern wollten, schickte er fort. Der Kaiser verlor zunehmend an Kräften. Am fünften Tag seiner Krankheit bat er seinen Erzkaplan um Stärkung für seinen letzten Weg durch das Sakrament des Blutes und Leibes Christi. Noch diesen Tag und die folgende Nacht hatte er zu leiden.

„Am anderen Morgen aber, da es hell wurde, in vollem Bewusstsein dessen, was er tun wollte, streckte er die rechte Hand aus und machte so kräftig, wie er es vermochte, das Zeichen des heiligen Kreuzes auf die Stirn, die Brust und den ganzen Körper. Zuletzt aber zog er die Füße zusammen, legte Arme und Hände über die Brust und sang mit leiser Stimme den Vers des 30. Psalms: In Deine Hände befehle ich meinen Geist.“

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Zwar hatte Karl im Jahre 763 verfügt, er wolle in St. Denis, dem Kloster der Karolinger nördlich von Paris, beigesetzt werden. Aber nach seinem Tod wurde Karl noch am selben Tag in seiner Kirche in Aachen in einen aus Marmor gehauenen antiken Sarkophag gebettet. Einen solchen Leichnam zu besitzen war nicht nur ehrenvoll, sondern brachte auch Gewinn durch Pilger. Über seinem Grab errichteten sie einen vergoldeten Bogen mit seinem Abbild und der Inschrift: „Unter diesen Steinen ruht der Leib Karls, des großen und rechtgläubigen Kaisers, der das Reich der Franken ruhmvoll vergrößerte und einundvierzig Jahre glückhaft beherrscht hat. Er starb im siebenundsechzigsten Jahr seines Lebens am 7. Juli Anno domini 809.“


… und was passierte danach?

Im Sommer 816 ließ sich Karls Nachfolger Ludwig von Papst Stephan IV. erneut zum Kaiser krönen, um ganz sicher das Heil Gottes für seine Herrschaft zu haben. Seine Krönung in Aachen entwertete Ludwig damit vollständig, der Papst war wieder für die Krönung zuständig. Um das Riesenreich, das er geerbt hatte, zu regieren, dafür fehlte Ludwig trotz aller Mühen das Format.

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Das Fundament des Reiches wurde eigentlich erst eine Generation später durch den oben genannten Ludwig den Frommen aufgeteilt. Im Vertrag von Verdun erhielt Ludwig der Deutsche Ostfranken, Karl der Kahle Westfranken, Lothar das Mittelreich (Lotharingen) und die Kaiserkrone, Pippin bekam Aquitanien. Die Zeit war reif für eine Teilung, und niemand hätte sie aufhalten können. Aus West- und Ostfranken entstanden später Frankreich und Deutschland.


Verwendete Literatur zu Karl dem Großen:

Fischer-Fabian: Der erste Europäer
Weinfurter: Der heilige Barbar

Eine sehenswerte Arte-Sendung über das Leben Karls des Großen:
http://www.arte.tv/guide/de/044202-001- ... grosse-1-3
http://www.arte.tv/guide/de/044202-002- ... grosse-2-3
http://www.arte.tv/guide/de/044202-003- ... grosse-3-3

Im nächsten Kapitel geht es um Karls politischen "Gegenpol"...

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 14. Mai 2016 09:02

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1. Frühmittelalter (ab 769)

Karl der Große (ab 769)
1. Wie man einen König macht
2. Bruderzwist
3. De bello saxonici
4. Eine Schlappe wird zum Heldenlied
5. Die Krönung zum Kaiser
6. Die Nachfolgeregelung

Das byzantinische Kaiserreich (ab 769)
1. Konstantin V.

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Konstantin V.
Kaiser von Byzanz, lebte 718-775
Startdatum: 1. Januar 769


Die Krönung Karls des Großen zum Kaiser im Jahre 800 in Rom gehört zu den wohl den am intensivsten behandelten Ereignissen des frühen Mittelalters. Das Bild wird geprägt von den zeitgenössischen Berichten – auf fränkischer Seite durch Einhard und auf päpstlicher Seite durch das liber pontificalis. Die byzantinische Sicht der Dinge geht aus der Chronik des Theophanes hervor. So berichtet sie unter dem Jahr 797, dass Leo auf den toten Papst Hadrian gefolgt sei. In demselben hätten sich die Verwandten des toten Hadrian gegen Leo erhoben, ihn gefangen genommen und (teilweise) geblendet. Papst Leo flüchtete zum Frankenkönig Karl, der grausame Rache an den Feinden Leo nahm und ihn als Papst restituierte. Seit jener Zeit, so die Chronik, stehe Rom unter der Macht der Franken. Als Belohnung dafür habe der Papst Karl am 25. Dezember der 9. Indiktion (also Weihnachten 800) zum römischen Kaiser gekrönt. Er habe ihn von Kopf bis zu den Füßen gesalbt, ihm das kaiserliche Gewand angelegt und die Krone aufgesetzt. Die Beschreibung gibt es wieder: Die Salbung Karls vom Kopf bis zu den Füßen ist in byzantinischen Augen schlicht lächerlich, quasi eine Verhöhnung der Krönung, der Akt ein Zerrbild einer tatsächlichen Krönung.

Es war das Zweikaiserproblem – der Widerspruch zwischen dem universalen Anspruch des Kaisertums, wonach es nach der Idee nur einen Kaiser geben durfte, und der realen Tatsache, dass nun mehrere Personen diesen Titel für sich beanspruchten. Es gab nun im Westen einen Kaiser und im Osten einen Kaiser. Obwohl: Das einleuchtend wirkende Ideal, nach dem es nur einen Kaiser geben konnte, war in der Vergangenheit durchaus auch flexibel gehandhabt worden.

Trotz des eigentlich universellen Charakters war es auch im spätantiken Römischen Reich nicht ungewöhnlich, dass ein römischer Kaiser eine andere Person, häufig einen Verwandten, zum Mitkaiser erhob. Zum Teil wurden dabei insofern Rangunterschiede gewahrt, als sich der Ranghöhere den Titel Augustus vorbehielt, während der Mitkaiser den Titel Caesar bekam. Diokletian ging dabei aber so weit, dass er, mit dem Ziel einer besseren Regierbarkeit des riesigen Reiches, ein System der Tetrarchie einführte, in dem es zwei Augusti und zwei Caesares gab. Dieses detailliert ausgearbeitete System der Vierkaiserherrschaft ging zwar nach dem Abtritt Diokletians in einer Reihe von Bürgerkriegen unter, sodass sich zunächst wieder die Alleinherrschaft einzelner Kaiser durchsetzte. Die Mehrkaiserherrschaft blieb aber üblich und wurde nach der Reichsteilung von 395 endgültig die Regel, wobei es fortan einen Kaiser im Weströmischen und einen im Oströmischen Reich gab. Das Weströmische Reich konnte sich nur noch bis 476 halten, als der letzte dortige Kaiser von Odoaker abgesetzt wurde, der dem verbliebenen Kaiser in Konstantinopel erklärte, man bedürfe im Westen keines Kaisers mehr. Im Osten dagegen bestand das Reich weiter fort.

Im Grunde ging es mit dem Anspruch der Franken los im Jahre 750, als die Gesandtschaft des karolingischen Hausmeiers Pippin in Rom den Papst fragte, „ob es gut sei oder nicht, dass im Frankenreich Könige seien, die keine königliche Macht hätten“. Der Papst antwortete wie gewünscht und ebnete Pippin den Weg auf den Thron, dabei den Rest der Merowinger-Dynastie beiseite schiebend. Es war ein bewusster Schritt des Papstes, denn er brauchte eine neue Schutzmacht. Die Langobarden waren der mächtigste Faktor in Italien, sie bedrohten seine unabhängige Herrschaft in Rom. Das oströmische Reich, inzwischen hatte sich Byzanz als Bezeichnung durchgesetzt, war noch präsent in Süditalien. Doch es war nicht mehr so kraftvoll wie in früheren Jahren, zudem gab es religiöse Differenzen zwischen Katholiken (Rom) und Orthodoxe (Konstantinopel). Unter den Schutz der Franken zu schlüpfen, erschien opportun für den Kirchenführer. Dieses Streben traf auf Pippins gleichzeitige Ambition auf den fränkischen Thron.

Diese Entwicklung beendete letztlich den alleinigen Anspruch des Kaisers in Konstantinopel auf das römische Kaisertum. Ostrom verlor sein Monopol, denn der Westen trat in Konkurrenz zu ihm. Die Franken und später die Deutschen beanspruchten dieselbe Geltung, freilich nicht in der ideologischen Konstruktion eines einzigen Kaisertums mit mehreren Vertretern, wie es unter Diokletian und dessen Nachfolgern bis 476 für Rom gegolten hatte. Sondern sie beanspruchten den Kaisertitel für sich allein, so wie es zum Beispiel Justanian im sechsten Jahrhundert getan hatte.

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Konstantin V. (regiert 741 bis 780)

Byzanz sah sich im achten Jahrhundert einem neuen, gefährlichen Gegner gegenüber. Früher war im Osten das Persische Reich der große Konkurrent. Im siebten Jahrhundert aber geschah der Siegeszug des Islam, die Araber wurden zur dominierenden Macht im Nahen Osten – und bedrohten die byzantinischen Grenzen. Jerusalem, Bagdad, Damaskus: All diese Metropolen wurden Teil des arabischen Reiches.

Konstantins Vater Leo III. (717-741) ordnete während seiner Regierungszeit Maßnahmen an zur Stärkung der Verteidigung des Reiches gegenüber dem Kalifat. Konstantin selbst verheiratete er, um die Khazaren als Verbündete zu gewinnen. Der Schutz Kleinasiens war für Byzanz von entscheidender Bedeutung. Der Balkan blieb Nebenschauplatz, mit den Bulgaren hielt man seit 716 Frieden. In Italien geriet der Kaiser dagegen mehr unter Druck, nur der Süden und Sizilien blieben einigermaßen sicher.

Als Konsequenz aus einer arabischen Belagerung Konstantinopels ordnete Leo III. 718 Sondersteuern an, um die entstandenen Schäden beseitigen zu können. In Italien stieß das auf heftigen Widerstand, den der Papst unterstützte. Als Antwort beschlagnahmte Kaiser Leo III. die päpstlichen Besitzungen in Unteritalien und Sizilien und entzog der päpstlichen Jurisdiktion darüber hinaus das Illyricum und die süditalienischen und sizilischen Kirchenprovinzen, die allesamt dem Patriarchat in Konstantinopel unterstellt wurden. Hier liegt eine der Wurzeln für die dauerhafte Verstimmung der Päpste gegenüber Byzanz. Zur Belastung zwischen Rom und Konstantinopel wurde dann noch der Bilderstreit.

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Die Regierungszeit Leos III. und seiner Nachfolger, insbesondere Konstantins V., wurde von diesem Bilderstreit überschattet, bei dem sich Bilderverehrer (Ikonodulen) und Bilderzerstörer (Ikonoklasten) gegenüberstanden. Der begann wohl 727, als Leo III. nach einem schweren Seebeben zu seinem Vorgehen gegen die als übertrieben empfundene Ikonenverehrung vorging, 730 musste deshalb auch der amtierende Patriarch auf kaiserlichen Druck seinen Posten räumen. Der Papst in Rom bezog klar Stellung zugunsten der Bilderverehrer.

Im Jahre 754 war Konstantin V. an der Macht und organisierte ein Konzil, bei dem die Bilderverehrung als Häresie verurteilt wurde. Doch sowohl der Papst in Rom wie auch die Kirchenführer in Antiochia, Alexandria und Jerusalem erkannten die Ergebnisse des Konzils nicht an. Zumindest außerhalb von Konstantinopel nahm man das Thema wohl eher gelassen, zumindest wurde auf dem Konzil kein orthodoxer Bischof abgesetzt.

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Konstantin V. hatte in seinen ersten Regierungsjahren alle Hände voll zu tun, seinen Schwager Artabasdos zu besiegen. In dem mehrjährigen Bürgerkrieg um die Macht riefen beide Parteien sogar nach Unterstützung des Kalifen. Die Araber waren ab 750 aber mit sich selbst beschäftigt, hier spielte sich zu dieser Zeit der Sturz der umayyadischen Dynastie ab, die durch die omajadische Dynastie der Abbasiden abgelöst wurde. Die arabischen Kräfte waren gelähmt, was Konstantin V. eine Atempause verschaffte. Auch die Verlegung der Hauptstadt von Damaskus nach Bagdad in Mesopotamien verringerte den arabischen Druck auf Byzanz. Konstantin V. konnte nun den Blick in jede beliebige Richtung werfen, sei es auf den Balkan, in den Kaukasus und an die Grenze zum Kalifat oder auch nach Italien, wo Byzanz schon lange auf dem Rückzug war. Konstantin V. zog als erstes aber nicht gegen die Langobarden, z.B. um Ravenna zurückzugewinnen, sondern kämpfte im Grenzgebiet zum Kalifat. Mit der Eroberung Zypern versuchte der Kaiser, das Reich gegen künftige arabische Angriffe abzusichern.

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Konstantin V. führte einen Feldzug im Gebiet zwischen Reich und Kalifat durch, der weniger das Ziel von Eroberungen hatte, als vielmehr die arabischen Grenzbefestigungen zu schwächen und die eigenen zu stärken. Man bekam den Eindruck, dass es ihm hauptsächlich darum ging, zwischen den Reichen eine Art von Niemandsland zu schaffen und so die arabischen Einfälle nach Byzanz zu erschweren, da die Invasoren sich nicht mehr aus dem verlassenen Land ernähren konnten. Das arabische Reich war in seiner Schlagkraft dem byzantinischen überlegen, daher agierte der Kaiser hier in einem defensiven Sinne.

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Die Grenzregion sollte damit als Aufmarschbasis für arabische Angriffe ausfallen. Demselben Zweck diente eine Reihe von Bevölkerungsumsiedlungen aus diesem Gebiet nach Thrakien. Damit kehrte sich die frühere Bevölkerungspolitik um, als Byzanz Slawen aus dem Balkan nach Kleinasien umgesiedelt hatte. Um 770 saß Konstantin V. so sicher auf dem Thron, dass er es wagen konnte, gegen unliebsame Fürsten in den eigenen Reihen vorzugehen.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 19. Mai 2016 07:16

Währenddessen im Frankenreich: Im November 770 kommt es zu dem Ereignis, bei dem Karl seine langobardische Braut zurück nach Pavia schickt. Damit stellte sich der Franke klar auf die Seite des Papstes und gegen König Desiderius, den er sich wegen der verschmähten Tochter zum Todfeind machte.

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Konstantin V. wendete sich nach der Entmachtung verschiedener unzuverlässiger Herzöge 773 offensiv dem lokalen Konkurrenten auf dem Balkan zu, den Bulgaren. Das taktische Ziel dieses Feldzugs war es, die Bulgaren auf den Status einer Sekundärmacht zurückzuwerfen. Strategisch war es sicher beabsichtigt, sie schließlich komplett zu unterwerfen.

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Italien hatte da zurückzustehen, Konstantin V. begnügte sich hier mit diplomatischen Aktionen und allenfalls auf einige Demonstrationen der maritimen Möglichkeiten des Reiches, ohne größere Kraftanstrengungen zu unternehmen. Kein Wunder, dass der Papst sich den Franken zuwendete, zumal der Disput um die Bilderverehrung unverändert anhielt. Der Osten war Konstantin V. allemal wichtiger, er war substantiell für den Erhalt des Reiches.

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Konstantin war ein unbequemer und nicht bei allen beliebter Kaiser, wofür wiederholte Umsturzpläne und Verschwörungen sprechen (links im Bild). Aber er ließ sich nicht davon beirren, sondern setzte seine Pläne rücksichtslos durch. Sein ältester Sohn und Nachfolger Leo IV. wurde im Dezember 773 Vater eines Sohnes, der den Namen Konstantin (VI.) erhielt. Bei der Geburt des Kindes starb Leos Ehefrau Irene (rechts oben im Bild). Sie war ihrem Mann eine starke Gefährtin gewesen, die ihm später die Regierung bestimmt erleichtert hätte. (Anmerkung: Die historische Irene lebte noch bis 803 und wurde erste weibliche Kaiserin auf dem Thron, sie übte die Regentschaft für den kleinen Konstantin VI. aus und stürzte ihn später sogar, um weiter regieren zu können)

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Auf dem ersten Blick war die Dynastie mit der Geburt des kleinen Konstantin gesichert, aber zwei Probleme zeichneten sich bereits ab. Zum einen waren da die Halbbrüder des Thronfolger Leo, fünf an der Zahl. Leo selbst war wohl ein eher schwacher Charakter. Es musste damit gerechnet werden, dass seine Brüder Christophorus, Nikephoros, Niketas, Anthimos und Eudokimos ihren eigenen Anspruch auf den Thron erheben würden. Das zweite Problem war, dass auch die spätere Thronfolge des kleinen Konstantin nicht so eindeutig war, wie es für einen Erstgeborenen scheint. Denn in Byzanz galt zwar das Gesetz der Primogenitur, die Porphyrogenese spielte jedoch zugleich eine wichtige Rolle. Damit meinte man die Purpurgeburt, benannt nach der Porphyra, der Kammer des Großen Palastes in Konstantinopel. Ein Knabe, der dort – also bereits während der Herrschaft seines kaiserlichen Vaters – geboren wurde, galt als edler im Blut als sein älterer Bruder, der zu einem Zeitpunkt vor der Kaiserherrschaft des Vaters zur Welt gekommen war. Der kleine Konstantin war nicht in purpur geboren, denn sein Vater Leo war noch nicht Kaiser.

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Im Juli 776 brach sich der aufgestaute Unmut der Fürsten erneut in einem Aufstand Bann. Kaiser Konstantin V. sah sich dieses Mal allerdings einer ausgewachsenen Erhebung seiner Adeligen gegenüber, die ihn zu einer raschen Beendigung seines Feldzugs in Bulgarien nötigte.

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Der Friedensschluss mit dem bulgarischen Herrscher bedeutete einerseits einen Sieg für den Kaiser. Doch Konstantin V. musste die Bulgaren, die am Rande der völligen Vernichtung standen, quasi vom Haken lassen, um die Hände frei zu bekommen für die inneren Probleme. So waren die Bulgaren durch den Frieden vom Oktober 776 zwar geschwächt, aber nicht ausgeschaltet. Auf Jahre blieben sie notgedrungen ruhig, nutzten die Zeit aber auch zur Wiederherstellung ihrer Kräfte.

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Kaiser Konstantin V. gelang es, die Revolte bis zum August 778 blutig niederzuschlagen. Elf bedeutende Fürsten fielen in seine Hände und wurden in Konstantinopel eingekerkert. Die Strafen fielen sehr hart aus, Konstantin ließ die Empörer ihrer Titel entheben und blenden. Die Grafschaften und Herzogtümer verteilte er an seine sechs Söhne, um ihnen gleichermaßen eine Hausmacht für künftige Zeiten einzurichten.

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Das war die letzte aktive politische Handlung des Kaisers. Im Januar 779 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Sechzigjährigen. Die Ikonodulen deuteten die Krankheit als göttliche Bestrafung. Konstantin V. hatte sich mit seiner Bilderzerstörung nicht wenige Feinde in Byzanz gemacht – im neunten Jahrhundert gruben Ikonodule übrigens seinen Leichnam aus und verbrannten ihn.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 22. Mai 2016 10:09

Leo IV. (regiert 780 bis 797)

Am 2. April 780 starb der Kaiser nach einem über einjährigem Siechtum. Konstantin V. war offensichtlich ein militärisch fähiger und erfolgreicher Kaiser, der die Grenzen des Reiches sicherte und verlorene Territorien zurückeroberte. Militärische Erfolge vermochten ihm sogar seine Gegner, die ansonsten nichts Gutes über den Kaiser zu berichten wussten, in ihren historischen Werken nicht gänzlich abzusprechen. Nur in Italien musste Konstantin den Verlust byzantinischer Autorität hinnehmen. Genauere Aussagen über seine Innenpolitik sind aufgrund der tendenziösen Quellenlage sehr schwierig, doch scheint er keine harte ikonoklastische Politik betrieben zu haben; vielmehr ging er gegen politische Opposition entschieden vor und versuchte religionspolitisch, gegen Aberglauben vorzugehen. Er reformierte die Armee und die Verwaltung und kümmerte sich auch um theologische Fragen. All dies ergibt das Bild eines Kaisers, der seine politischen Pflichten ernst nahm und ihnen vor allem gewachsen war.

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Nach Konstantins Tod blieb die Eintracht der Brüder zwar zunächst gewahrt, aber das hielt nicht lange. Wie erwähnt war der Nachfolger Leo IV. ein schwächlicher Mann, charakterlich zugleich zaghaft wie grausam. Zum Zeitpunkt der Thronbesteigung war Leo IV. dreißig Jahre alt und hatte einen sechsjährigen Sohn.

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Leo IV. erkannte in den verwandtschaftlich begründeten Thronansprüchen die größte Gefahr für seine Herrschaft und machte sich daran, sie zu entmachten. Noch im April 780 warf er seinem Bruder Nikephoros – wohl zu recht – Hochverrat vor und erhob seinen eigenen Sohn Konstantin VI. zum Mitkaiser. Leo IV. scheint sich seiner Macht und persönlichen Konstitution nicht allzu sicher gewesen zu sein. Im Gegensatz zu seinem Vater und Großvater zog er nicht persönlich ins Feld, sondern blieb in Konstantinopel.

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Nikephoros gelang vor den Häschern des Kaisers die Flucht aus Konstantinopel, er setzte sich in sein Herzogtum ab und rüstete sich für einen Umsturz. Sein Bruder Niketas hatte weniger Glück, er geriet in die Gewalt von Leo IV., der ihn in den Kellern des Palastes einsperren ließ.

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Dort verblieb Niketas zunächst, denn Leo IV. widmete sich in den folgenden Monaten dem erfolgreichen Abschluss der Eroberung des serbischen Ohrid, das er im Juli 780 dem Byzantinischen Reich einverleiben konnte.

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Im November 780 wurde dem unglücklichen Niketas der Schauprozess gemacht. Erwartungsgemäß wurde er des Hochverrats verurteilt und zur Strafe sein Augenlicht geblendet. Als Thronprätendent war dieser Bruder des Kaisers damit keine Gefahr mehr, denn nach Meinung der Leute konnte von einem körperlich offensichtlich versehrten kein göttliches Heil für das Reich ausgehen.

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Der Kaiser ging ganz sicher und ließ seinen Bruder weiter verfolgen. Im August 781 meuchelten gedungene Mörder den Prinzen, als sie ihn während eines Umritts in einen Hinterhalt tappen ließen. Einige Monate zuvor hatte der lange Arm des Kaisers bereits den älteren Bruder von Nikephoros und Niketas ereilt: Christophorus war klassisch durch vergifteten Wein umgekommen. Anthimos folgte ihm im Juni 783 ins Grab, als er bei einem verdächtigen Unfall ums Leben kam.

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All jene Fürsten, die mit der Herrschaft des Kaisers nicht einverstanden waren, sammelten sich nun hinter Nikephoros, der ihnen für ihre Hilfe beim Erringen des brüderlichen Throns wohl weitreichende Privilegien versprochen hatte. Im Januar 782 kam es zum Bruch zwischen Leo IV. und den Herzögen von Nicäa sowie jenen der westlichen Teile des Reiches, die seit jeher eine untergeordnete Aufmerksamkeit der Machthaber in Konstantinopel zu bemängeln hatten.

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Prinz Nikephoros musste aus Nicäa fliehen, weil die Anhänger des Kaisers hier die Oberhand gewannen. Er ging nach Westen und bereite von Italien aus seinen Marsch auf die Hauptstadt des Byzantinischen Reichs vor.

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Für Leo IV. war diese Situation bedrohlich. Im Osten drängten die Araber gegen die Grenzen, unterstützt von den Paulikianern – eine Gruppe der orthodoxen Kirche, die als häretisch verurteilt und aus Byzanz vertrieben worden war. Ihre Lehre enthielt Züge der Gnostiker und kann als Vorläufer der Katharer, die später in Westeuropa auftauchten, bezeichnet werden. Sie lehnten kirchliche Hierarchien, Bilder- und Reliquienverehrung sowie das Symbol des Kreuzes ab. Der Kalif gab ihnen Schutz und wies den Paulikianern Dörfer in Syrien zu, in denen sie leben konnten.

Die Westpolitik des Kaisers zeigte angesichts der Schwierigkeiten im Inneren wenig Aktivitäten. Von Belang war lediglich die Flucht des langobardischen Prinzen Adalgis vor der fränkischen Übermacht an den Hof Leos IV., wo man ihn freundlich aufnahm. Man benannte ihn um in Theodotos und hielt ihn als potentiellen Prätendenten in Bereitschaft. Es war wie die Bedrohung durch den in Italien weilenden Nikephoros, nur unter umgekehrten Vorzeichen.

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Leo IV. hatte erkannt, dass nach der Einnahme Pavias durch Karl den Großen nicht länger die Langobarden, sondern die Franken die größte Bedrohung des byzantinischen Einflusses in Italien darstellten. Da es Papst Hadrian I. mit den Franken hielt, nahmen die Byzantiner nicht mehr große Rücksicht auf ihn. Papst Hadrian seinerseits vollzog endgültig die Abkehr von Ostrom, datierte jetzt nicht mehr nach den Kaisern, sondern nach seinen eigenen Pontifikatsjahren und prägte Münzen mit seinem eigenen Bild. Die Griechen waren für ihn, wie aus seinen Briefen hervorgeht, „gottverhasst und verbrecherisch“, der byzantinische Statthalter von Sizilien der verbrecherischste von allen. Von Sizilien aus operierten byzantinische Piraten vor Italiens Küste.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 26. Mai 2016 13:14

Wenn überhaupt etwas geschehen sollte, musste man sich mit der neuen Großmacht in Italien auseinandersetzen, den Franken. Man musste herausfinden, was sie wollten, und dann nach Möglichkeit zu einem Modus vivendi gelangen, dem die anderen, vergleichsweise kleinen Mächte Italiens sich würden beugen müssen. Genau dies geschah 785, als Leo IV. Gesandte zu Karl dem Großen schickte, damit sie über ein Bündnis der beiden Mächte verhandelten, das durch eine Eheverbindung zwischen Karls Tochter Hildegardis und Leons Sohn Konstantin VI. bekräftigt werden sollte. Die Angelegenheit blieb lange ergebnislos, weil Karl mit dem Krieg gegen die Sachsen alle Hände voll zu tun hatte. Dann ereilte im Juni 788 Leos Bruder Nikephoros überraschend der Tod.

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Karl der Große hatte einen Faustpfand und die byzantinischen aufständischen Fürsten ihre Galionsfigur verloren. Für Leo IV. verminderte sich die Notwendigkeit, sich umfassend mit den Franken zu einigen. Die Opposition gegen den Kaiser brach nach diesem Ereignis rasch zusammen, weil sich die militärisch bedrängten Fürsten nun mit Leo IV. verständigten.

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Nachdem sich Leo IV. mit seinen Fürsten geeinigt hatte und sie gegen Strafzahlungen in ihren Ämtern beließ, war es um den letzten verbliebenen Bruder und Prätendenten Eudokinos geschehen. Ohne den Schutz der Fürsten geriet er schnell in die Gewalt des Kaisers, der ihn 790 blenden und somit als Thronanwärter ausscheiden ließ.

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Erstmals in den zehn Jahren seiner bisherigen Herrschaft war Leos Position jetzt ungefährdet, er konnte sich der Umsetzung seiner politischen Agenda zuwenden. Im Dezember 790 berief der Patriarch von Konstantinopel eine Synode nach Hiereia (heute: Fenerbahce) ein, auf der die Bilderverehrung in aller Deutlichkeit als Häresie verurteilt und die Bischöfe Johannes von Damaskus sowie Germanus von Konstantinopel exkommunizierten. Ob es zu Verfolgungen von Bilderverehrern kam, ist unklar. Die historischen Quellen beschreiben dies, doch sie stammen aus späterer Zeit, in der die Ikonodulen wieder die Oberhand gewonnen hatten und die Zeiten der Bilderstürmer in den schwärzesten Farben beschrieben. Vermutlich war der Kaiser kein gnadenloser Bilderstürmer.

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Die Durchsetzung des Ikonoklasmus lag Leo IV. aber ganz offenbar am Herzen, denn er zwang im Jahre 791 den byzantinischen Patriarchen zum Rücktritt und ersetzte ihn durch den kompromissloseren Polykarpos. Mit ihm wurde nicht nur ein gewiefter Politiker, sondern auch ein enger Gefolgsmann des Kaisers neuer Patriarch, dessen wichtigste Aufgabe es war, die Beschlüsse der Synode von 790 durchzusetzen.

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Das galt auch für die gewünschte Abgrenzung zum römischen Papst. Auf der Synode war der katholische Kirchenführer durch zwei Legaten vertreten gewesen, die Haltung des Papstes in dieser Frage war klar, die Katholiken befürworteten die Bilderverehrung. Die erneute Vertiefung der Spaltung zwischen West- und Ostkirche bewog den Papst dazu, freudig auf das Angebot des bulgarischen Königs Boris einzugehen: Der war zum Christentum übergetreten und ersuchte den Heiligen Vater um die Entsendung von katholischen Missionaren. Für Leo IV. war das eine Provokation, denn er betrachtete Bulgarien klar als Teil der byzantinischen Einflusssphäre. Die katholische Missionarstätigkeit in Bulgarien blieb deshalb Episode, Konstantinopel setzte sich in dieser Frage durch. Bulgarien wurde orthodox. Die Hoffnung der Byzantiner, die Bulgaren könnten nach der Annahme des Christentums weniger kriegerisch und übergriffig werden, erfüllte sich indes nicht.

Veränderungen im Arabischen Reich führten zu einer günstigen Lage für Leo IV. im Osten. Im Mai 791 stürzten die Ashiden unter ihrem Anführer Abu-Bakr die Dynastie der Abbasiden und übernahmen das Kalifat. Die zwangsläufig folgende Phase innerer Unruhen im Kalifat minderte den Druck, den die Araber jahrelang auf Kleinasien ausgeübt hatten. Abu-Bakr führte zu seinem Schutz übrigens eine Leibwache ein, die Mameluken, die bald zu einer einflussreichen Größe am Hof des Kalifen heranwuchsen.

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Leo IV. nutzte die Schwäche der Araber und fiel in Kilikien ein und besetze Tarsus, Lykandos und Adana. Der kilikische Scheich Ishaq, der bisher auf den Schutz der Araber hatte zählen können, musste Tarsus verlorengeben und an Byzanz übergeben.

Im Dezember 791 wurde Leos Sohn Konstantin der Ältere volljährig. Er war der Erstgeborene unter den Söhnen, war aber vor der Thronbesteigung des Kaisers zur Welt gekommen. Daher war der zweite Sohn, Konstantin der Jüngere (Konstantin VI.), als Purpurgeborener der Erbe des Byzantinischen Reiches. Konstantin der Ältere hatte da also zurückzustehen. Es zeichnete sich ab, dass der junge Mann sich anschickte, nach militärischem Ruhm zu streben, was für einen Mann von sechzehn Jahren verständlich sein mag. Dem Reich bekam es aber nicht gut. Zu Beginn der 790er Jahre zeigten die Bulgaren sich erholt und begannen byzantinische Grenzprovinzen zu beunruhigen. Der Kaiser übergab Konstantin dem Älteren den Oberbefehl über die militärischen Kräfte (wobei ein großer Teil noch in Kleinasien gebunden blieb), der gegen die Unruhestifter marschierte.

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Konstantin der Ältere wurde 792 bei Markellai vernichtend geschlagen. Ein Großteil der führenden Militärs fiel, und Byzanz musste schließlich einem Tributfrieden zustimmen. Für Leo IV. muss das Versagen seines Sohnes eine schlimme Enttäuschung gewesen sein. Energisch eingreifen, um das Ruder gegen die Bulgaren zu wenden, konnte er jedoch nicht: Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich. Kein Wunder, dass unter den Gegnern der herrschenden Dynastie sofort der Kampf um die Thronfolge einsetzte, weil sie sowohl den minderjährigen Konstantin VI. als Nachfolger als auch den erfolglosen Konstantin den Älteren ablehnten.

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Damit schloss sich an die zweijährige Phase der Konsolidierung (790-792) erneut eine Zeit der inneren Kämpfe (792-796) an, die an die unruhige Zeit (780-790) zu Beginn der Herrschaft Leos IV. erinnert. Nach vierjährigem Bürgerkrieg setzten sich die Anhänger der syrischen Dynastie (so benannt nach ihrer geographischen Herkunft) der regierenden Isauros durch. Von Bedeutung war, dass Leo IV. im Zuge seines Sieges auch sein letzter überlebender Bruder Eudokimos samt seiner Tochter Euphemia in die Hände fiel. Das Mädchen wurde eingekerkert, ihr Vater im März 796 als Verräter verurteilt und hingerichtet.

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Aus der Erfahrung der wiederholten Palastrevolten schuf der Kaiser mit den Warägern eine persönliche Leibgarde, ähnlich wie es der Sultan mit den Mamelucken getan hatte. Die Erwähnung der Waräger wirft ein interessantes Schlaglicht auf die Beziehungen und auf die Verkehrswege dieser Zeit, denn eine fränkische Quelle berichtet, dass eine byzantinische Gesandtschaft von Männern der „Rhos“ begleitet worden sei, die nach Konstantinopel gekommen waren. Hierbei handelte es sich offensichtlich um Skandinavier aus dem Ostseeraum oder aus Nordrussland. Diese Männer konnten nicht über Südrussland in ihre Heimat zurückkehren und hatten sich den Byzantinern angeschlossen, um auf dem Weg über das fränkische Reich in ihre Heimat zurückzureisen. Die Franken sahen in ihnen Spione und hielten sie zunächst zurück – angesichts der ständigen Angriffe der skandinavischen Wikinger auf die fränkischen Küsten eine durchaus verständliche Vorsichtsmaßnahme. Es ist dies der erste eindeutige Beleg für Beziehungen zwischen Byzanz und den skandinavischen Warägern.

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Es scheint diesen Warägern oder Rhos schließlich doch gelungen zu sein, nach Skandinavien zurückzukehren, wie wir aus einem kuriosen Fund erfahren: Vor einigen Jahren wurde bei Ausgrabungen in Haithabu an der Schlei das Siegel eines byzantinischen Würdenträgers namens Theodosios gefunden. Da es kaum wahrscheinlich ist, dass ein hoher Beamter des Reiches jemals persönlich nach Haithabu gelangte und da es auch keinerlei andere Funde gibt, die auf Handelsbeziehungen zwischen Haithabu und Byzanz schließen lassen, kann man vermuten, dass das Siegel mit diesen Warägern nach Haithabu gekommen ist und dass die Waräger über Haithabu in ihre Heimat zurückkehrten.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 27. Mai 2016 20:11

Am 7. Oktober 797 starb schließlich Kaiser Leo IV. im Alter von 47 Jahren und hinterließ seinen minderjährigen Sohn Konstantin VI. als Nachfolger.

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Romylia (regiert 797-801)

Jetzt setzte eine neue Phase byzantinischer Politik ein, denn es erhob sich die Machtfrage: Wer sollte für den jungen Konstantin die notwendige Regentschaft führen? Nahe gelegen hätte die Übernahme dieses Amtes durch Konstantin dem Älteren, dem Bruder des Knaben. Aber das barg die Gefahr, dass Konstantin VI. ausgeschaltet wurde und der Regent selbst den Thron bestieg. Ehe einer der Brüder durchsetzten konnte, hatte ihre Mutter Romylia (historischer Name: Irene) die Initiative ergriffen und sich als Regentin etabliert. Das war ein Novum, das keinen Präzedenzfall hatte. Wir können wohl annehmen, dass die Initiative nicht von Romylia allein ausging, sondern dass sie die Gefolgsleute ihres verstorbenen Gemahls hinter sich hatte, die auf diese Weise an der Macht bleiben konnten, was wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre, wenn der Bruder Konstantins VI. die Regentschaft erlangt hätte. Aber Romylia war nur ein angeheiratetes Mitglied der Dynastie.

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Alles zusammengenommen muss die Lage der Kaiserin und der von ihr geführten Regierung sehr labil gewesen sein. Schon kurz nach ihrem Machtantritt ging deshalb gegen ihre Gegner vor, die sie unter dem Deckmantel der Anklage der orthodoxen Häresie angriff. Die dadurch freigewordenen Stellen besetzte sie mit eigenen Anhängern.

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Ansonsten regierte sie eher defensiv. Außenpolitische Abenteuer hätten ihre wackelige Herrschaft in Bedrängnis bringen können. So folgte sie – mit einer schwerwiegenden Ausnahme - im Wesentlichen den von ihrem toten Mann vorgezeichneten Linien. Gegenüber den Arabern geriet Byzanz in die Defensive. Die neue Dynastie der Ashiden hatte seit 791 ihre Macht gefestigt und war in der Lage, eine offensivere Politik zu führen. Im Jahre 799 stießen die Araber mit einem Heer bis nach Chrysopolis im Nordwesten Kleinasiens vor – wo sie ohne Flotte Konstantinopel freilich nicht bedrohen konnten – und zwangen Romylia zu Verhandlungen, in denen sie einem kostspieligen Tributfrieden zustimmte.

Dieser Misserfolg hat Romylias Ansehen offensichtlich beschädigt, denn im folgenden Jahr führte ihr Vertrauter Zenon, der leitende Staatsmann am Hof, einen Umsturzversuch gegen die Kaiserin durch. Die Oppositionellen verlangten, dass der Regentschaftsrat der Romylia ausgetauscht wird. Wieder einmal waren die byzantinischen Kräfte durch innere Unruhen gebunden, obwohl ein energisches Eingreifen in Bulgarien und Italien dringend nötig gewesen wäre, weil Konstantinopel hier gravierend an Einfluss verlor.

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Während dieser Zeit der Regentschaft ereignete sich Karls Krönung zum römischen Kaiser. Im Jahre 799 wurde Papst Leo von den Römern gefangen genommen, er wurde geblendet und man schnitt ihm die Zunge heraus. Leo konnte fliehen und kam zu Karl, der ihn ehrenvoll aufnahm und wieder nach Rom zurückschickte. Im Sommer 800 brach Karl dann nach Italien auf. Ein Teil des Heeres zog gegen Benevent, Karl selbst wandte sich nach Rom, wo ihn der Papst bis zwölf Meilen vor die Stadt entgegen kam und ihn dann am folgenden Tag auf den Stufen der Peterskirche mit großem Zeremoniell empfing. Eine Woche später leitete Karl eine groß angelegte Untersuchung über die dem Papst zur Last gelegten Verbrechen. Leo III. legte einen Reinigungseid ab. Die Anschuldigungen galten damit als widerlegt. Noch am selben Tag erschienen zwei Mönche aus Jerusalem, die Karl unter anderem die Schlüssel zum Grab Christi und zur Stadt Jerusalem überbrachten.

Als der König am Weihnachtstag 800 bei der Messe vom Gebet aufstand, setzte ihm Leo eine Krone auf das Haupt, und das ganze römische Volk brach in Lobrufe aus: „Dem Augustus Karl, dem von Gott gekrönten großen und friedbringenden Kaiser der Römer, Leben und Sieg“. Und nach den Lobrufen wurde er vom Papst nach der Sitte der alten Kaiser kniefällig geehrt und unter Weglassung des Patriciustitels Kaiser und Augustus genannt.

Karl sträubte sich augenscheinlich dagegen, zum Kaiser erhoben zu werden. Das hing mit der Demut zusammen, die man in vergleichbaren Fällen von den Aspiranten erwartete. Man bewarb sich nicht um das Kaisertum, sondern die Bescheidenheit verlangte, dass man die Würde ablehnte. Das Kaisertum kam zu Karl, weil dieser es aufgrund seiner Person und seiner Machtstellung verdiente. Deshalb störte es Karl auch, dass Leo III. ihm die Krone vor der Akklamation des Volkes aufgesetzt hatte, weil der Papst damit die Rolle des „Kaisermachers“ für sich beanspruchte. Karl wollte aber nur durch Gottes Willen, nicht durch die Gunst des Papstes Kaiser sein. Schon gar nicht wollte er es den Byzantinern verdanken, denn dann hätte er ja zugestehen müssen, dass sie gleichsam über das Kaisertum verfügten und damit über ihm standen. Beim Papst mochte das noch anders sein. Schließlich hatte schon Pippin, Karls Vater, die Salbung durch den Papst empfangen, und der Papst handelte hier gewissermaßen als Gottes Stellvertreter. Bei den Byzantinern war dies nicht der Fall und schon gar nicht bei Romylia.

Tatsächlich gab es wohl 798 ein byzantinisches Angebot, Karl das westliche Kaisertum anzutragen und ihn als zweiten Kaiser zu akzeptieren. Ein solches Angebot kostete Romylia gar nichts, dafür hätte es einen Ausgleich zwischen Byzanz und dem Frankenreich gegeben: Karl hätte unter diesen Umständen als Kaiser des Westens kaum einen Angriff auf das östliche Kaiserreich unternehmen können. Für Papst Leo III. wäre eine solche Verständigung zwischen den Franken und den Byzantinern sehr negativ gewesen, denn dieser Interessenausgleich hätte die päpstliche Stellung in Italien geschwächt. Ganz abgesehen davon, dass eine Kaiserkrönung Karls durch Byzanz den ideellen Anspruch des Papstes bedrohte, den dieser einst mit seiner Zustimmung zur Königserhebung Pippins erworben hatte.

Karl wiederum hielt in Rom alle Fäden in der Hand. Die Krönung zum Kaiser in Rom war damit nur eine logische Konsequenz seiner überragenden Stellung. Dass die Krönung ohne Karls Wissen und zu seiner Überraschung vorbereitet und durchgeführt worden sein soll, ist so gut wie ausgeschlossen. Dazu war Karl zu stark und der Papst zu schwach. Ebenfalls ausgeschlossen sein dürfte, dass Leo III. Karl gleichsam im Auftrag Romylias gekrönt haben sollte. Dann wären hohe und höchste byzantinische Würdenträger anwesend gewesen und hätten die Krönung selbst vorgenommen. Vor allem ist kaum denkbar, dass Karl in seinem Selbstverständnis bereit gewesen wäre, sich die Kaiserkrone, auch wenn es „nur“ diejenige von Westrom war, von Romylias Beauftragten aufsetzen zu lassen und damit ihren höheren rang anzuerkennen. Die Haltung des Franken war eindeutig, dass der Kaisertitel gottgewollt sei und Karl zustehe. Es bedurfte keiner Zugeständnisse an Byzanz.

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In der Chronik des Theophanes, der über diese Jahre aus byzantinischer Sicht berichtete, erfahren wir, Karl habe den Plan gehabt, mit einer Flotte Sizilien zu überfallen, das aber wieder aufgegeben, weil er Romylia habe heiraten wollen. Deshalb habe er im Jahre 801 Gesandte zu ihr geschickt. Romylia hätte diesem Antrag auch zugestimmt, wenn nicht die Anhänger ihres Sohnes Konstantin VI. dies nicht verhindert hätten, um den Herrschaftsanspruch des jungen Kaisers zu bewahren.

Theophanes gibt in seiner Chronik offenbar Gerüchte wieder, die in Konstantinopel kursierten. Das angebliche Heiratsangebot Karls ergibt keinen Sinn. Wie hätte eine solche Heirat geschlossen werden sollen? Sollte Karl nach Konstantinopel kommen oder Romylia nach Rom oder noch weiter ins Frankenreich? Beides wäre absurd gewesen, wobei eine Ehe, bei der beide Eheleute sich niemals getroffen hätten, kaum einen erkennbaren Sinn gehabt hätte – von den kirchenrechtlichen Problemen einmal ganz abgesehen. Gemeinsame Kinder hätten die beiden schon aus Altersgründen nicht haben können. Als Gerücht, das in Konstantinopel umlief, konnte man sich die Geschichte aber schon vorstellen. Einer Kaiserin, die ihrer Machtgier sogar den eigenen Sohn zu opfern bereit war und sich ganz offensichtlich in innenpolitischen Schwierigkeiten befand, wäre auch die Bereitschaft zuzutrauen gewesen, einen Barbaren, der Karl in byzantinischen Augen nach wie vor war, zu heiraten, um an der Macht zu bleiben.

Die Legitimität der Romylia bekam 801 ernsthafte Sprünge. Sie hatte die Regentschaft für ihren Sohn Konstantin VI. übernommen, als dieser zwölf Jahre alt war. Sobald der Kaiser sechzehn Jahre und damit volljährig wurde, also 801, hätte sie die Regentschaft abgeben müssen. Sie tat dies nicht und scheint ihren Sohn allenfalls im Bereich des Zeremoniells als gleichrangig behandelt zu haben.

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Es ist kein Wunder, dass die oppositionellen Kräfte nun versuchten, den Kaiser gegen die Regentin aufzuwiegeln. Den ersten Schlag konnte Romylia noch abwehren, als sie aber im Gegenzug versuchte, ihre eigene Regierung zu etablieren und Konstantin VI. endgültig von der Macht fernzuhalten, provozierte sie den Widerspruch der Armee, die sie schließlich zum Rücktritt zwang. Romylia wurde unter Hausarrest gestellt, ihr engster Berater verbannt. Konstantin VI. übernahm die Regierung. Über die Gründe Romylias können wir nur spekulieren: Hielt sie ihren Sohn für unfähig? War sie machtbesessen? Wurde sie von ihren Ratgebern dazu gebracht, die um ihren Einfluss fürchteten? Im Endeffekt hatte sie durch ihr Verhalten ihren Sturz nur beschleunigt. Dennoch scheint das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn nicht endgültig zerrüttet gewesen zu sein. Romylia wurde schließlich in ein von ihr gegründetes Kloster auf einer der Prinzeninseln im Marmarameer verbannt, später nach Lesbos, wo sie 806 gestorben ist.

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Anmerkung: Die echte Romylia (Irene) ging übrigens einen Schritt weiter, es ihr Sohn Konstantin VI. volljährig wurde und den Thron für sich beanspruchte. Sie ließ ihren Sohn in einer Palastverschwörung stürzen und anschließend blenden. Auf seinem Thron nahm nun wieder seine Mutter Platz. Das war historisch im Jahre 797 geschehen, danach regierte Irene fünf Jahre mit mäßigem Erfolg. 802 wurde sie seinerseits von dem „Finanzminister“ Nikephoros gestürzt und wie oben erwähnt ins Kloster verbannt, wo sie im Jahr darauf (803) starb.

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 30. Mai 2016 20:32

Konstantin VI. (regiert 801-810)

Konstantin VI. versuchte, ein starker Herrscher zu sein. Er begann jetzt, sich innenpolitisch als energischer Monarch zu profilieren, der die Dinge zunehmend in die eigene Hand nahm. Seinen älteren Bruder band er kunstvoll durch Drohungen und Zuwendungen – er ernannte ihn zum Herzog von Adrianopel – in seine Politik ein und zog ihn aus dem Lager der Opposition zu sich. Bei anderen alten Kräften führte das emanzipierte Verhalten des jungen Kaisers naturgemäß zum Widerstand. Noch immer war seine Herrschaft nicht in allen Teilen des Reiches anerkannt.

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Ideologisch musste sich Konstantin VI. zudem mit der Frage auseinandersetzen, wie man mit der Kaiserkrönung Karls umgehen sollte. Der Kaisertitel war sowohl nach der alten römischen wie auch nach der christlichen Auffassung per definitonem nicht vermehrbar: Es konnte nur einen Kaiser geben. Niemand hatte vorher überhaupt nur die Frage gestellt, ob das römische Kaisertum nicht einmalig sein könnte. Es war eine von allen anerkannte Selbstverständlichkeit, etwas anderes gar nicht denkbar. Die Tatsache der Krönung Karls stellte das ganze System plötzlich in Frage, und man musste nun sehen, wie man damit zurechtkam. Erst jetzt begann man die Ausnahmestellung des byzantinischen Kaisers theoretisch zu begründen.

Karl der Große war zweifelsfrei zum Imperator Romanum, zum römischen Kaiser, gesalbt worden. Zu wem auch sonst? Einen anderen gab es nicht. Auch das Zeremoniell folgte dem Muster, mit dem im spätantiken Rom und in Byzanz die Kaiser gekrönt wurden, freilich mit einer bezeichnenden Ausnahme: Anders als in Ostrom stand an erster Stelle die Krönung durch den Papst, und erst danach kamen die Akklamationen der Römer. In Ostrom war es genau andersherum: Zuerst akklamierte das Volk, und zwar in getrennten Gruppen: Senat, Armee sowie die Bevölkerung Konstantinopels, vertreten durch die Demen, und erst danach wurde dem Kandidaten die Krone aufs Haupt gesetzt. Die Krönung durch den Patriarchen von Konstantinopel hatte nur insofern eine rechtliche Bedeutung, als sie die Gesamtheit des Zeremoniells vervollständigte. Für sich allein wäre sie nicht ausreichend gewesen. Eine Salbung gab es überhaupt nicht.

Aus byzantinischer Sicht war die Krönung in Rom eindeutig nicht geeignet, einem Kaiser die notwendige Legitimität zu verleihen. Der Papst hatte dazu keinerlei Befugnis, und um die Unrechtmäßigkeit dieser Krönung noch deutlicher zu machen, wurde in den byzantinischen Quellen, die über die Krönung berichteten, auch jeder Hinweis auf die – im byzantinischen Krönungszeremoniell absolut notwendigen – Akklamationen unterlassen.

Im Grunde waren die Byzantiner bereit, Karl – und später seinen Nachfolgern – den Kaisertitel zuzuerkennen, aber nicht den eines römischen Kaisers. Dies kam zum Ausdruck, als griechische Gesandte im Jahre 812 Karl als Kaiser und Basileus akklamierten: imperatorem eum basileum appellantes. Das Romanorum fehlt. Die Franken und ihnen folgend die deutschen Kaiser vefuhren ihrerseits nicht anders: Der byzantinische Kaiser wurde zum rex Grevorum, bestenfalls zum Imperator Constantinopolitanus, je nach dem Stand der diplomatischen Beziehungen. Man sollte den Stellenwert dieses Titelstreits jedoch nicht überbewerten. In der Tagespolitik, die sich an den Realitäten zu orientieren hatte, spielte er kaum eine Rolle.

Die byzantinische Nachgiebigkeit im Titelstreit mit den Franken nach 800 hing zu einem nicht geringen Teil auch damit zusammen, dass Konstantinopel beim besten Willen keine größeren Kräfte für Italien erübrigen konnte. Die Auseinandersetzungen mit den Gegnern im eigenen Bereich forderte das Reich in einem solchen Maße, dass Kaiser Konstantin VI. zu wiederholten Malen zu finanziellen Maßnahmen, sprich Steuererhöhungen, Zwangsabgaben und ähnlichem, greifen musste, was seine Beliebtheit nicht gerade steigerte. Zudem hatte er von Anfang an mit Aufständen und Usurpationsversuchen zu kämpfen. Innerhalb seiner Dynastie beseitigte Konstantin VI. ganz in der Tradition seines Vater seinen Bruder Stephanos, bevor dieser mit seinem im Blut liegenden Thronanspruch zum Kristallisationspunkt der Opposition werden konnte.

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Den größten Teil seiner Regierungszeit verbrachte der Kaiser im Krieg gegen die Araber, die mehrmals in Kleinasien einfielen und den Byzantinern empfindliche Niederlagen beibrachten. Im Inneren führte Konstantin VI. nicht nur die Auseinandersetzung mit der fürstlichen Opposition, sondern auch im theologischen Bereich – dem Streit zwischen den orthodoxen Bilderverehrern und den Ikonoklasten.

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Während der Regierungszeit Konstantins VI. stand im Westen nicht mehr Süditalien im Vordergrund des byzantinischen Interesses, da auch die fränkische Aufmerksamkeit sich von dieser Region abwandte und auf andere Reichsteile konzentrierte. In Italien war dies vor allem Venetien, wo Karls Sohn Pippin die fränkische Herrschaft durchzusetzen suchte. Dies berührte byzantinische Interessen, da Konstantinopel Venedig und die dalmatinische Küste als zu Byzanz gehörig sah. Für Venedig traf dies zwar nur bedingt zu, denn der venezianische Doge wurde nicht vom Kaiser ernannt, sondern von den Venezianern selbst gewählt. Aber zumindest formal erkannte Venedig die byzantinische Souveränität an. Angesichts des fränkischen Drucks betrieben die Dogen jedoch eine Schaukelpolitik zwischen Franken und Byzantinern, die Anstrengungen jeder der beiden Mächte provozierte. Im Winter 805 unterwarf sich der Doge Obelierus offiziell den Franken, die jetzt auch Anspruch auf das byzantinische Dalmatien erhoben. Dies war Konstantin VI. denn doch zu viel: Er entsandte 807 eine Flotte in den oberen Adriaraum, die Venedig wieder verstärkt unter Kontrolle bringen sollte, was aber nur kurzzeitig gelang. Im Winter 809/810 griffen die Franken Venedig selbst an und zwangen die Dogen zurück zur Anerkennung der fränkischen Forderungen. Nach Dalmatien ausgreifen konnten die Franken aber nicht, dafür fehlte ihnen die Flotte. Die Auseinandersetzungen mit den Franken wurden eingestellt und Karl als Kaiser anerkannt, wofür er den Byzantinern Venetien und Dalmatien überließ. Hier zeigt sich der wirkliche Stellenwert des Kaisertitels für Byzanz: ein Tauschobjekt für territoriale Vorteile, wie klein sie auch sein mochten.

Konstantin VI. hatte zu dieser Zeit die Adelsopposition in seinem Reich vorläufig ausgeschaltet. Die Araber waren in inneren Kämpfen gebunden und hielten sich mit Invasionen in Kleinasien zurück. Das ergab für den Kaiser die Gelegenheit, die Politik seiner Vorgänger aufzugreifen und sich den Bulgaren zuzuwenden. Die hatten unter dem Khan Kermek, der seit 802 herrschte, ihre Position auszubauen vermocht und waren nunmehr stark genug, Byzanz Paroli zu bieten.

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Es kam zu mehreren Kämpfen mit unterschiedlichem Ausgang. Das konnte Konstantin VI. nicht zufrieden stellen, und er beschloss, der Angelegenheit ein Ende zu machen und mit den Bulgaren ein für alle Mal aufzuräumen. Im Jahre 809 wurde das kaiserliche Hauptheer zusammengezogen, auch die kleinasiatischen Verbände wurden nach Europa überführt. Der gesammelten byzantinischen Macht traten die Bulgaren nicht entgegen, sondern sie zogen sich zurück. Lediglich in Dalmatien gelang es den Byzantinern, ein Heer der Bulgaren, dass plündernd in die reiche Provinz eingefallen war, zu stellen und zu vernichten.

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Der Rückzug der Bulgaren ermöglichte es den Byzantinern (rechts im Bild), weit in das Land vorzustoßen und sogar die Hauptstadt Pliska zu besetzen. Aber dann ließ Kermek die Gebirgspässe besetzen, und unversehens sah das siegreiche byzantinische Heer sich eingeschlossen. Panik breitete sich aus. Dem bulgarischen Angriff setzten die Griechen kaum Widerstand entgegen, sondern flohen in alle Richtungen. Ein großer Teil der Soldaten wurde getötet, unter ihnen auch viele Offiziere. Selbst Konstantin VI. wurde erschlagen, und die Legende will, dass Kermek sich den Schädel des Kaisers in Silber fassen und als Trinkschale benutzte. Es war eine verheerende Niederlage, vergleichbar nur mit derjenigen von Adrianopel im Jahre 378, als Kaiser Valens den Tod fand.


Und wie ging es weiter...?


Der einflussreiche Fürst Staurakios wurde 811 zum Kaiser ausgerufen, obwohl sein Tod absehbar war. Und so bestieg wenig später sein Schwiegersohn als Michael I. den Thron. Michael war zwar ein frommer, aber zugleich auch ein schwacher Kaiser, dem es nicht gelang, sich dauerhaft durchzusetzen. Immerhin gab er sich Mühe. Mit den Franken erneute er den Vertrag über die Einstellung von Feindseligkeiten, Karl wurde als Kaiser bestätigt, die Franken erkannten Venetien und Dalmatien als byzantinische Einflusssphäre an. Michaels Hauptproblem blieben die Bulgaren, die nach ihrem Sieg den Druck auf das byzantinische Thrakien verstärkten. Ein zweiter Feldzug, den Michael I. gegen die Bulgaren anführte, kam nicht einmal bis nach Bulgarien hinein. Bereits beim ersten bulgarischen Angriff zerfiel das demoralisierte Heer der Griechen und Michael I. gelangte nur mit knapper Not nach Konstantinopel. Sein Leben konnte er damit retten, die Herrschaft nicht. Wenige Tage später wurde er gestürzt, seine Söhne wurden entmannt und die ganze Familie in ein Kloster eingewiesen. Fast vierzig Jahre später sollte der jüngste Sohn des Kaisers unter dem Namen Ignatios noch eine bemerkenswerte Karriere als Patriarch von Konstantinopel machen. Nach Michaels Sturz bestieg der General Leo V. 813 den Thron.

Leo V. regierte sieben Jahre und führte eine harte bilderfeindliche Politik. Im Jahre 820 wurde er seinerseits von einem seiner Generäle gestürzt, genauer gesagt am Weihnachtsabend 820 in der Palastkapelle ermordet. An seiner Stelle ergriff Michael II. die Macht und verfuhr mit Leos Söhne so, wie es Leo V. zuvor mit denen von Michael I. hielt: Er schonte ihr Leben, ließ sie aber kastrieren. Michael II. verbrauchte die meiste Energie während seiner neunjährigen Regierung, gegen die weiteren Prätendenten aus dem Militär zu kämpfen, um seine Krone zu verteidigen.

Sein Sohn Theophilos bestieg 829 den Thron, er war fanatischer Ikonoklast. Außenpolitisch hatte er alle Hände voll zu tun, die Bulgaren im Zaum zu halten und Sizilien sowie Kleinasien gegen die Moslems zu verteidigen. Theophilos' jüngster Sohn Michael III. folgte 842 im Alter von drei Jahren auf den Thron. Seine Mutter führte die Regentschaft und beendete die Unterdrückung der Bilderverehrer. Michael III. wuchs wohl in ziemlichen Ausschweifungen auf, trotzdem erzielte er einige politische Erfolge. Der Bulgare Boris I. ließ sich von ihm taufen, die Kiewer Rus schlug er am Bosporus zurück. Dafür blieb Byzanz weiter auf Sizilien und Kreta unter dem Druck der arabischen Angriffe. Im Jahre 867 wurde er von seinem Günstling Basileus ermordet, einem früheren Stallknecht (womit wir das Jahr 867 erreichen, Ausgangspunkt der zweiten Epoche). Dieser Basileus I. begründete aber eine Dynastie, die ein neues Zeitalter des Byzantinischen Reiches einläutete. Sie herrschte fast zweihundert Jahre.

Das war die byzantinische Perspektive auf die Jahre, in den Karl der Große sein Kaisertum formte. Bevor ich wieder zurückkehre zu den Deutschen und dem Werden ihres Reiches, gibt es einen Abstecher zum England des Jahres 867 - dem nächsten anwählbaren Startjahr in Crusader Kings 2.


Verwendete Literatur:
Lilie: Byzanz

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Re: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

Beitragvon Mark » 4. Juni 2016 11:38

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1. Frühmittelalter (ab 769)

Karl der Große (ab 769)
1. Wie man einen König macht
2. Bruderzwist
3. De bello saxonici
4. Eine Schlappe wird zum Heldenlied
5. Die Krönung zum Kaiser
6. Die Nachfolgeregelung
Das byzantinische Kaiserreich (ab 769)
1. Konstantin V. (769-780)
2. Leo IV. (780-797)
3. Romylia (797-801)
4. Konstantin VI. (801-810)


2. Das Zeitalter der Wikinger (ab 867)

Alfred der Große (ab 867)

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Ethelred / Alfred der Große
König von Wessex, lebte 837-871
Startdatum: 1. Januar 867


Die Angelsachsen herrschten über die britische Insel, aber sie waren nicht mehr sicher. Ein furchtbarer Gegner war an den Küsten Britanniens erschienen und forderte die ganze Kraft der sieben Königreiche heraus. Die Rede ist von den Wikingern – Dänen, Norweger und andere Völker aus dem heidnischen Skandinavien im Norden Europas. Angefangen hatte es schon Jahrzehnte zuvor, am 8. Juni 793 wurde das Kloster Lindisfarne, das im Nordosten in der Grafschaft Northumbria stand, von ihnen überfallen. Das war wohl der Beginn der regelmäßigen Überfälle dieses wilden Seefahrervolkes. Auch Lindisfarne suchten sie immer wieder heim. Die Klöster waren ein gutes Ziel für Plünderer wie die Wikinger, denn sie waren verhältnismäßig reich. Nun, im Jahre 869, war Eardulf der Bischof von Lindisfarne, er bewahrte und beschützte die sterblichen Überreste vieler angelsächsischer Heiliger. Doch sie waren dort inzwischen nicht mehr sicher. Eardulf bereitete das Verlassen des Klosters vor.

Im Süden Britanniens lag das Königreich der Westsachsen, daher Wessex genannt. Seit zwei Jahren herrschte hier Ethelred, der dritte Sohn des Königs Ethelwulf (regierte 839-858). Zunächst waren die beiden älteren Brüder auf den Thron gefolgt, aber es waren finstere Zeiten, in denen man auch in jungen Jahren schnell sein Leben verlieren konnte. So kam die Herrschaft über Wessex im Jahre 865 zu dem Angelsachsen Ethelred.

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Auch die Angelsachsen selbst waren einst aus der Fremde auf die britische Insel gekommen. Einst hatten die Römer weite Teile Britanniens erobert, die Pikten (Schotten) und Scoten (Iren) gaben aber keine Ruhe. Auch der Bau des Hadrianswalls half auf Dauer nicht, als die Schlagkraft der Römer zum Ende der Antike erlahmte. Um die Pikten in Schach zu halten, heuerten die Römer Söldner an, solche aus dem Stamm der Sachsen. Man wollte die wilden Heiden quasi mit ihren eigenen Waffen schlagen. Im fünften Jahrhundert geriet Rom zu sehr unter den Druck verschiedener Invasoren, als das sie alle Territorien hätten zugleich verteidigen können. Die Römer räumten Britannien und überließen die keltischen Inselbewohner sich selbst.

Man sollte meinen, dass diese den römischen Imperialisten nicht nachtrauerten, aber ganz so war es nicht. Viele der Einheimischen, vor allem die Adligen, hatten die römische Lebensart und ihre hohe Kultur angenommen. Sie sprachen Latein, besuchten römische Bäder und Theater und hatten sich der neuen römischen Staatsreligion – dem Christentum – zugewandt. Sie fühlten sich im Stich gelassen, teilten das Land dennoch unverdrossen unter sich auf und versuchten, die Verwaltung, die öffentliche Ordnung und die Verteidigung aufrecht zu erhalten.

Aber natürlich hatte der Abzug der Römer und vor allem ihrer Legionen ein Machtvakuum hinterlassen. Die bereits erwähnten Pikten aus Schottland und die kaum weniger wilden Scoten aus Irland ergriffen ihre Chance und unternahmen Überfälle auf ihre Nachbarn. Die Briten mussten bald feststellen, dass sie allein nicht damit fertig wurden, und taten das, was die Römer ihnen vorgemacht hatten: Die Kelten engagierten germanische Söldnerverbände, um die Pikten und Scoten zu vertreiben. Diese germanischen Söldner aus Norddeutschland, die Sachsen, vertrieben zwar die einfallenden Aggressoren, weigerten sich dann aber, wieder nach Hause zu gehen. Sie fanden das Land fruchtbar, das Klima mild, die Einheimischen uneins und nicht besonders wehrhaft. Etwa um das Jahr 450 begannen sie, ihre Familien zu holen und eigene Herrschaftsgebiete zu gründen. Das war der Beginn der sächsischen Besiedlung.

Das Land Britanniens war wild, etwa achtzig Prozent seiner Fläche waren von dichten Wäldern bedeckt, die von Wölfen und Bären bevölkert waren. Wenn jemand in den Wald ging, war es keine Selbstverständlichkeit, dass er auch wieder herauskam. Wo kein Wald war, lag Marschland, das teilweise sehr sumpfig war, so dass gerade die Flussniederungen oft unbewohnbar waren. In all dieser ungezähmten Wildnis fand sich hier und da eine Siedlung, wo die Bauern dem Boden nicht nur die Ernte, sondern auch dem Wald den Boden abringen mussten. Außer London und York gab es kaum nennenswerte Städte, und selbst die boten ein eher dörfliches Bild mit Gemüsebeeten und mehr Schweinen und Hühnern als Fuhrwerken auf den schlammigen Straßen. Kein lieblicher Garten Eden also, und trotzdem siedelten die Sachsen in diesem Land. Ihnen folgten einige Jüten, Friesen und viele Angeln, daher wurden sie von den Kelten bald in ihrer Gesamtheit Angelsachsen genannt. Wie Wölfe in den Schafpferch habe man sie ins Land gelassen, schrieb ein Chronist.

Von jenen Angelsachsen stammte auch König Ethelred, der seit 865 über Wessex im Süden Britanniens regierte, ab. Geboren war er um 837, er war also etwa dreißig Jahre alt. So genau kannte man das Geburtsjahr selbst hochgestellter Persönlichkeiten nicht. Von seinen Vorfahren hatte er das Christentum quasi in die Wiege gelegt bekommen, Ethelred war früh getauft worden und war vom Charakter her religiös geprägt – gemäßigt und keusch in seinem Verlangen, voller Demut, doch entschlossen darin, Gott den ihm zustehenden Gehorsam zu verschaffen.

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Als sich die angelsächsischen Vorfahren von Ethelred in Britannien niedergelassen hatten, gestaltete sich das friedliche Nebeneinander der britischen Ureinwohner und der angelsächsischen Einwanderer schwierig. Abgesehen von den unter diesen harten Lebensumständen normalen Verteilungskämpfen gab es nichts, das sie gemeinsam hatten. Keine Sprache, denn die einen waren Kelten, die anderen Germanen. Keine Religion, denn die Kelten waren entweder Christen oder Anhänger ihrer alten Naturreligion, während die Angelsachsen Wotan und Thor um Beistand in ihren Schlachten baten. Oft fanden sie Gehör, denn in den kommenden 250 Jahren nahmen sie das Land allmählich in Besitz und drängten die Kelten nach Wales und Cornwall ab. Nicht einmal ihr Anführer Artus, der sich den Angelsachsen in zwölf Schlachten entgegen warf und zwölfmal siegte, konnte verhindern, dass die Kelten von der Bühne der englischen Geschichte verschwanden.

Bis zum Jahr 700 hatten die germanischen Siedler sieben Königreiche gebildet: Kent, Ostsachsen (Essex), Südsachsen (Sussex), Westsachsen (man ahnt es schon: Wessex), East-Anglia, Mercia und Northumbria. Heptarchie (griechisch hepta = sieben) wurde diese Epoche genannt, wegen der Anzahl der Königreiche.

Inzwischen nannten sich die Einwanderer selber Angelcynn, Volk der Angeln, und ihr Land Engla-Land, das Land der Angeln. Interessanterweise war Papst Gregor der Große aufgrund dieser Bezeichnung davon überzeugt, der Name sei ein göttliches Zeichen, eine Aufforderung zur Missionierung dieser Menschen. Auf Betreiben des Papstes kam im Jahre 597 ein Mönch namens Augustin in das ferne Britannien. Er landete in Kent im Südosten der Insel, wo man bereits rege Handelsbeziehungen zum Kontinent unterhielt und der Herrscher bereits zum Christen getauft war. Von Kent aus setzte eine Missionsbewegung in nördlicher und westlicher Richtung ein, und eine zweite begann 633 von Norden aus unter der Führung irischer Mönche, die auf der zu Northumbria gehörenden Insel Lindisfarne ein Kloster und einen Bischofssitz gründeten. Das ist es, das erwähnte Kloster. Schon in der zweiten Hälfte des siebten Jahrhunderts war praktisch ganz Engla-Land zum Christentum bekehrt.

Dann kam das Jahr 793 und mit ihm dunkle Omen: Schreckliche Wirbelwinde und Blitze habe man am Himmel über Northumbria gesichtet, gefolgt von feurigen Drachen und einer Hungersnot, und am 8. Januar fielen plündernde Heiden auf der Klosterinsel ein, raubten und mordeten, zerstörten die Kirche, bevor sie wieder verschwanden. Dieses traumatische Erlebnis des ersten Wikingerüberfalls war der Beginn eines lange währenden Albtraums für die Angelsachsen, die ja schließlich besser als die meisten wussten, dass man an einer Küste landen, ein ganzes Land erobern und seine Einwohner vertreiben oder versklaven konnte, wenn man dazu nur entschlossen genug war. Und die dänischen Wikinger waren entschlossen: Wieder und wieder kamen sie mit ihren Schiffen über die Nordsee und überfielen die Klöster entlang der Küste und befahrbaren Flüsse, um ihnen das Gold und Silber zu rauben. Im Laufe der Zeit wurden aus den gelegentlichen Überfälle systematische Raubzüge gegen ganze Küstenstriche, unter denen die Bevölkerung sehr zu leiden hatte. Im Jahre 865 fielen die Dänen mit einem großen Heer ein, und dieses Mal kamen sie, um endgültig zu bleiben. Sie eroberten Northumbria, East-Anglia und den nordöstlichen Teil Mercias. Mit einer unüberwindlichen Streitmacht standen sie in Jorvik (York, oben im Bild).

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